Isidor von Sevilla



Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 2. Herzberg 1990. Sp. 1374-1379:

ISIDOR, Erzbischof von Sevilla, Heiliger, * um 560 in Cartagena, + 4 .4 . 636 in Sevilla. - I. entstammte einer vornehmen Familie, die in der Mitte des 6. Jahrhunderts aus Cartagena (Südostspanien) nach Sevilla übersiedelte; wahrscheinlich erfolgte die Ausweisung auf Veran lassung byzantinischer Behörden. I.s älterer Bruder Leander war Bischof im westgotischen Sevilla, sein zweiter Bruder Fulgentius Bischof von Astigi, seine Schwester Florentina wurde Nonne. Als Nachfolger seines Bruders Leander wurde I.um 599/601 Metropolit von Sevilla. Bis zu seinem Tod förderte I. die asketische und wissenschaftliche Ausbildung der Geistlichen und die Gründung entsprechender bischöflichen Schulen (in Sevilla, Toledo, Saragossa u. a.), die er mit reichen Bibliotheken ausstattete. Des weiteren beeinflußte er die spanische Geschichte maßgeblich; sein Vorsitz beim 4. Reichskonzil zu Toledo (633) gibt davon ein eindrucksvolles Zeugnis. Vor allem aber erreichte I. mit seinem umfangreichen schriftstellerischen Schaffen eine außergewöhnliche Bedeutung. In seinen Werken - überliefert in über tausend Handschriften und zahlreichen Drucken - behandelt I. naturwissenschaftliche, grammatische, historische und theologische Themen. Die bedeutendste Schrift in der Reihe der naturwissenschaftlichen Werke ist die für König Sisebut geschriebene "Etymologiae" (auch "Origines" genannt; um 630 abgeschlossen) , die I.s Schüler und Freund Braulio in zwanzig Bücher einteilte und herausgab. Diese "Etymologiae" fassen als eine Realenzyklopädie das gesamte weltliche und geistliche Wissen der Zeit zusammen; sie bieten die systematische Aufarbeitung der septem artes liberales und einen Abriß der bis dahin bekannten Weltgeschichte. Das "Grundbuch des ganzen Mittelalters" (E. R. Curtius), aus vielerlei Vorlagen kompiliert, erläutert Naturphänomene wie Sonnen- und Mondfinsternis, Tag und Nacht, Erdbeben usw. und bietet Erklärungen für nahezu alle Bereiche der menschlichen Existenz, wie etwa Sprache und Grammatik, Rechte und Pflichten. Aber auch auf Entlegeneres [Sp. 1375] weitet I. das Blickfeld aus: so verurteilt er z. B. strengstens das Theaterwesen. Wie in den "Etymologiae" nimmt I. auch in der Sisebut dedizierten Schrift "De natura rerum" eine knappe Darstellung der Naturereignisse vor. In gewisser Hinsicht wird diese Arbeit ergänzt durch "De ordine creaturarum", ein Werk, das ebenfalls ausführlich auf die Welt des Geistigen und der materiellen Sprache eingeht. Dabei wird allerdings das Naturwissenschaftliche zugunsten des Lebens nach dem Tod (Fegefeuer, Paradies, Jüngstes Gericht) eher marginal behandelt. Anhand der Methode der Begriffsherleitung ist I. den Sinngehalt wichtiger, zentraler Begriffe klarzulegen bemüht. In der Etymologie sieht I. eine der Lehrweisen, um über die Sprache den Weg zur Erkenntnis zu finden. Diesen Ansatz wählte I. auch für das grammatische Werk "Differentiae", dessen Buch I und II in alphabetischer Folge eine Gruppe von Wortarten zum entsprechenden Begriff stellt. Anders als der Titel "Synonyma" vermuten läßt, werden hier nicht Lexeme subsummiert; vielmehr beklagt eine sündige Seele das menschliche Elend, und zwar in jeder Redeeinheit mit synonymen Ausdrücken. Dieses zweibändige, weitgehend philologisch orientierte Werk verbindet - unter häufigen zeitkritischen Einschüben - das Pädagogisch-Philologische mit dem Ethisch-Religiösen. In den geschichtlich ausgerichteten Schriften stellt I. historische Persönlichkeiten vor. So wird in "De viris illustribus" biographisches und hagiographisches Material über vornehmlich afrikanische und spanische Schriftsteller des 6.- 7. Jahrhunderts geboten. Für diese frühe christliche Literaturgeschichte benutzte I. als Quelle das gleichnamige Werk von Hieronymus und Gennodius von Marseille; manches aber erhielt er auch von Papst Gregor den Großen, den I. als "papa Romanae sedis apostolicae praesul" (De viris, cap. 40) würdigt. Über die Herrscher dreier Völker seit dem 4. Jahrhundert berichtet I. in der "Historia de regibus Gothorum, Vandalorum et Sueborum", wobei sich alleine 70 der in 92 Kapitel eingeteilten Schrift auf die Goten beziehen. In der Weltchronik, der "Chronika maiora", weist I. in Anlehnung an die Augustinische Lehre von den sechs Weltzeitaltern warnend auf das "residuum saeculi tempus" hin. In erster Linie aber schreibt I. als Theologe. Mit seinen dogmatischen und exegetischen Werken beein- flußte I. maßgeblich die Glaubens- und Sittenlehre bis in späte Mittelalter. Sein theologisches Hauptwerk, die als Handbuch konzipierte, moraltheologisch ausgerichtete Schrift "Sententiarum libri tres", befaßt sich mit der Kirchenlehre, [Sp. 1376:] dem christlichen, ethischen Handeln und der kirchlichen Organisation. Besonders stellt sie die karitative Aufgabe des Klerikers in den Vordergrund (Gebot der Nächstenliebe). Als Vorlage fungierten hier die "Moralia in Job" Gregors des Großen. Der kirchlichen Lehre und Praxis widmen sich die Schriften "De haeresibus" und "Indiculus de haeresibus". Juden und Heiden, die vom christlichen Glauben Abgewichenen, werden streng verurteilt, doch die Anwendung physischer Gewalt zur Zwangsbekehrung lehnt I. entschieden ab. Weiterhin gehören zu den Schriften, die die praktische Theologie beinhalten, die zwei Bände "De ecclesiasticis offlciis" (neben Klerikern wird auch Jungfrauen, Witwen und Verehelichten besondere Aufmerksamkeit geschenkt) und die Mönchsregel "Regula monachorum". I. nimmt darin eine augenfällige Einschränkung vor. Mönche haben ungeachtet ihrer klerikalen Aufgabe auch Handarbeit zu verrichten, hingegen sei die grobe Arbeit von Klostersklaven zu leisten. Ihnen wiederum wird aus- drücklich die wirtschaftliche Versorgung im Monasterium zugesichert. Eine Exegese biblischer Texte unternimmt I. in den "Questiones in vetus testamentum"; ein Lehrer stellt Fragen zu biblischen Gegenständen. Dabei orientiert sich I. vornehmlich an Autoritäten wie Origines und besonders an Gregor den Großen. Biographisches Material zu 86 Personen der Bibel stellt I. in der Arbeit "De ortu et obitu patrum" zusammen, wobei I. für die Hauptgestalten des Alten Testaments die MöglichkeIten ihrer typologi- schen Deutung aufzuzeigen beabsichtigt. Die Schrift "De flde catholica ex veteri et novo testamento contra Judaeos", der Schwester Florentina gewidmet, weist in den Texten des Alten Testaments typologische Entsprechungen Christi nach. Diese Arbeit I.s ist - um nun kurz die Wirkungsgeschichte zu umreißen - bereits im 8. Jahrhundert ins Althochdeutsche übertragen worden. Bei der Übersetzung, die in zwei Handschriften vorliegt (Bibl. Nat, Paris; Nationalbibl. Wien) handelt es sich um Ab- bzw . Um- schriften von bilinguen Vorlagen; die Schriften dieser sogenannten "Isidor-Gruppe"" sind die „ältesten Zeugnisse einer theologischen Übersetzungsliteratur in deutscher Sprache aus dem 8./9. Jahrhundert. Der (unbekannte) Übersetzer ist im Kreis um Alkuin zu vermuten; der Dialekt läßt sich nicht exakt bestimmen, man bezeichnet ihn daher als "Isidorsprache". I. hat auf die folgenden Jahrhunderte eine immense Wirkung ausgeübt. Seine Leistungen als "letzter abendländischer Kirchenvater" sowie seine Ausstrahlung auf die Welt des Mittelalters sind ohne [1377:] Zweifel von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In Anerkennung seiner Verdienste um die Festigung der Macht der spanischen Könige und um die Einigkeit der frühchristlichen Kirche pries bereits das 8.Toletanum (653) I.als "nostri saeculi doctor egregius, catholicae ecclesiae novissimum decus" (s. v. Schubert, 183). I.s Schriften fanden schon früh Verbreitung. In Irland wird um 650 die Benutzung seiner Werke bezeugt. Von hier aus ging ein großer Teil des isidorischen oeuvres ins übrige Europa. In der Zeit des 15./16. Jahrhunderts klang dann das Interesse an I.s Schriften ab. - Ferdinand von Kastilien und Léon (1035-1065) ließ I.s Reliquien von Sevilla nach Léon (Nordspanien) überführen; später wurde hier die Stiftskirche San Isidore errichtet. Zusammenfassend kann I.s Wirken und Bedeutung wie folgt umrissen werden: er verknüpfte das frühe Mittelalter mit der Bibelwissenschaft und der Theologie der Patristik; er hat zum Verständnis der antiken Überlieferung erheblich beigetragen und schließlich hat er erfolgreich das System der septem artes liberales tradiert. - I. wurde 1598 heilig gesprochen und 1722 zum Kirchenlehrer ernannt. Er wird dargestellt als Bischof in weißem Gewand mit Buch und Federkiel.

Werke: - CPL 1186-1215; MPL 81-83; I. iunioris episcopi Hispalensis Historia Gothorum, Vandalorum, Sueborum. Hrsg. von Theodor Mommsen, Hannover 1894(MG AA 11), 267-303. I. iunioris episcopi Hispalensis Chronica maiora. Hrsg. von Theodor Mommsen. Hannover 1894 (MG AA 11). 424-488; I. Hispalensis episcopi etymologiarum sive originum libri XX. Hrsg. von Wallace M. Lindsay. Oxford 1911; I., Traité de la nature. Hrsg. von Jacques Fontaine, Bordeaux 1960; The letters of St. I. Hrsg. von Gordon B. Ford, Amster- dam 21970; I. Etymologies. Engl. - Lat., Paris. Bisher: Buch II, hrsg. von Peter K. Marshall, 1983; Buch IX, hrsg. von Marc Reydellet, 1984; Buch XII, hrsg. von Jacques André, 1986; Buch XVII. hrsg. von Jacques André, 1981; George A. Hench: Der althochdeutsche I. Faksimile-Ausgabe des Paris Codes ..., Straßburg 1893; Der althochdeutsche I. Nach der Pariser Handschrift und den Monseer Fragmenten neu hrsg. von Hans Aggers, Tübingen 1964.

Lit.: Gustav von Dzialowski. I. und Ildefons als Litteraturhistoriker. Eine quellenkrit Unters. der Schriften "De viris illustribus". Münster 1898; - Arno Schenk, De I. Hispalensis de natura rerum libelli fontibus, Diss.Jena 1909.-Ernest Brehaut, An encyclopedist of the dark ages: I. New York 1912; -Charles Henry Beeson, I.-Studien, München 1913; - Otto Probst, I.s Schrift "De medicina". in: Archiv f. Gesch. der Medizin 8, 1915, 22-38; - Karl Sudhoff, Die Verse I.s auf dem Schrank der medizinischen Werke seiner Bibliothek, in: Mitt. zur Gesch. der Medizin 15, 1916, 200- 204; - Hans von Schubert, Gesch. der christl. Kirche im Früh-MA Tübingen 1921; -Johann Sofer, Lateinisches u. Romanisches aus den Etymologiae des I., Göttingen 1930; - Berthold Altaner, Der Stand der Isidorforschung, in: [1378:] Miscellanea Isidoriana Rom 1936, 1-32; - Ernst Robert Curtius. Europ. Literatur und lat MA. München 1948. 71969, 447-452; - Wilibald Gurlitt. Zur Bedeutungsgesch. von musicus und cantor bei I.,in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Geistes- u. Sozialwiss. Klasse, 1950, H. 7, 539-558; - Alban Dolfund Johannes Duft, Die älteste irische Handschriften-Reliquie der Stiftsbibl. St Gallen mit Texten aus I.s Etymologien, Beuron 1955; -Jacques Fontaine I. et la culture classique dans l'Espagne visigothique, Paris 1959; - Hans Eggers, Vollst latein-althochdeutsches Wörterbuch zur althochdeutschen I.-Übersetzung, Berlin 1960; - Y. M.-J Congar, Saint I. et la culture antique, in: Revue des siences religieuses 1961, 49-54; - Bernhard Bischoff, Die europ. Verbreitung der Werke I.s, in: Isidoriana, Léon 1961, 317-344. - Jocelyn N. Hillgarth, The position of Isidorian studies: a critical review of the literature since 1935, in: ebd., 1 1-74; -Jacques Fontaine, Problémes de methode dans l'étude des sources isidoriennes, in: ebd.. 115-131; - Bettina Kirschstein, Sprachl. Unters. zur Herkunft der althochdeutschen Isidorübersetzung, in: Beitr. zur Gesch. der Deutschen Sprache und Literatur (PBB. Tübingen) 84, 1962. 5-122; - Jacques Fontaine, La diffusion de l'oeuvre d'Isidore de Séville dans les scriptora helvétiques du haut moyen âge, in: Schweizer Zs. für Gesch., 12, 1962, 305-327 - Justo Pérez de Urbel, I. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Köln 1962 (span. 1945); - William D. Sharpe, I.: the medical writings,in: Transactions of the American PhilosophicalSociety, NF54, 1964, 75 S.; - Arno Borst, Storia e lingua nell'enciclopedcia di I., in: Bolletino dell'Istituto storico italiano per ilmedio evo e Archivio Muratoriano 77, 1965, 1 -20; - Jacques Fontaine, I., auteur »ascetique«: les énigmes des Synonyma, in: Studi medievali, 3. série,VI, 1, 1965, 163-195. - Arno Borst, Das Bild der Gesch. in der Enzyklopädie I.s,in: DA22, 1966, 1-62; - Heinrich Kraft, Kirchenväterlexikon, München 1966, 321-324. - Eduard Arthur Thompson, The Goths in Spain, Oxford 1969. - Gerhard Köbler, Verzeichnis der Übersetzungsgleichungen der althochdeutschen Isidorgruppe, Göttingen 1970; - Klaus Matzel, Unters. zur Verfasserschaft, Sprache und Herkunft der althochdeutschen Übers. der Isidor-Sippe, Bonn 1970; - Hans-Joachim Diesner, Kirche, Papsttum und Zeitgesch. bei I., in: Theol. Literaturztg. 96, 1971, 81-90; - Ders., I und seine Zeit, Stuttgart 1973; - Wolfgang Haubrichs, Zum Stand der Isidorforschung, in: Zs. für Deutsche Philologie 94, 1974, 1-15; - Altaner 8. Aufl, 1978, 494- 497. - Hans Joachim Diesner, I. und das westgotische Spanien, Trier 1978; - Kurt Ostberg, The old High german I. in its relationship to the extant manuscrits (8-11. Jh.) of Isidorus De fide catholica, Göppingen 1979. - Roger E. Reynolds, The »Isidorian« Epistula ad Leudefredum. An eary medieval epitome of the clerical duties, in: MS 41, 1979, 252-330; - Marc Reydellet, la royauté dans la littérature latine de Sidoine Apollinaire à I., Rom 1981; - Cornelia Bertram, Unters. zur Einwirkung der »Etymologien« des I. auf die althochdeutsche Obers. des Traktats »De fide catholica ex veteri et novo testamento contra Judaeos«, Diss. München 1951; - Roger Collins, Early medieval Spain Unity in diversity, 400-1000, London 1983; - Wolfgang Schweikard, »etymologia est origo vocabulorum«: zum verständnis der Etymologiedefinition I.s, in: Historiographia linguistica 12, 1985, 1-25; - Theol. Realenzyklopädie 1977 ff., XVI, 1987, 310- 3 15; - Alfred R. Wedel, Syntagmatische und paradigmatische [1379:] Mittel zur Angabe der aspektuellen Differenzierung: die Wiedergabe des lat. Perfekts im ahd. "I." und "Tatian", in: Neuphilolog. Mitt. 88, 1987, 80-89; - Vollst. Heiligen-Lex., hrsg von Johann Stadler, III, 1869, 76-77; - Holweck, 513-514; - Doyé I, 630; - Catholicisme VI, 154-166; - DS VII, 2, Sp. 2104-2116; - DTh CVIII, 98-111; - EC VII, 254-258 (mit Abb.); BS VII, 973-981; - Bardenhewer V, 401-416; - RGG 3III, 906; - EKL 2II, 393-394; Wimmer, 404; - VerfLex 1II, 558-560; - VerfLex 2I, 296-303; - LThK 1V, 626-628; - LThK 2V, 786-787.


Max Manitius: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. Erster Teil. München 1959. S. 54-56.

De natura rerum. Das Werk ist mit einem Briefe dem König Sisebut (612-620) gewidmet, der mit Isidor naturwissenschaftliche Korrespondenz unterhielt, die von des letzteren Seite vielleicht schon mehrfach in poetischer Form gehalten war; denn darauf könnten Sisebuts Worte im Eingang seines an Isidor gerichteten Gedichts über Mond- und Sonnenfinsternisse deuten Tu forte in lucis lentus vaga carmina gignis Argutosque inter latices et musica flabra Pierio liquidam perfundis nectare mentem. Dies Gedicht aber scheint eine Gegenwidmung für Isidors De natura rerum zu sein, denn der alte Colon. 83IIa.798 hat die Aufschrift incipit epistola sisebuto regis gotorum missa ad isidorum de libro rotarum, wie das Werk De nat. rerum öfters in den Handschriften heißt (s. ed. G. Becker p. V).1) Sisebut hatte ihn um eine solche Schrift gebeten, Praef. 1 .(Becker p. 1) et quaedam ex rerum natura vel causis a me tibi efflagitas suffraganda. Es ist kaum zu bezweifeln, daß Isidor ein wissenschaftliches Interesse daran hatte (praef. 2 p. 1) Neque enim earum rerum naturam noscere superstitiosae scientiae est, er deckt freilich sein christliches Gewissen mit einer Bibelstelle (Sap. 7, 17f.), da ja die geographische und physikalische Kenntnis der Welt für den Christen bedenklich erscheinen konnte. Den Titel nahm Isidor wohl aus dem Pratum Suetons De naturis rerum. Den Inhalt2) seines Buches gibt Isidor selbst an praef. 1 p. 1 expedire aliqua ex parte rationem dierum ac mensium, anni quoque metas et temporum vicissitudines, naturam etiam elimentorum, solis denique ac lunae cursus et quorundam causas astrorum, tempestatum scilicet signa adque ventorum nec non et terrae positionem, also eine Naturlehre oder eine Kosmographie. Er geht hierbei von der Zeiteinteilung aus, behandelt das Himmelsgewölbe, Sonne, Mond und Sterne, spricht ausführlich über die Himmels- und Witterungserscheinungen und geht dann vom Meere auf das Festland über. Diese an sich klare Disposition wird an einigen Stellen durch Einschiebungen unterbrochen, ähnlich wie die älteren römischen Geographen sich durch besonders wunderbare Erscheinungen zu Exkursen veranlaßt sahen; solche Einschiebungen sind c. 27 über die Beseelung der Gestirne, c. 43 über den Nil und c. 47 über den Aetna. Freilich leidet die Einheitlichkeit des Ganzen ziemlich stark durch die Zerteilung des Stoffes in 48 Kapitel, deren Gepräge und Ton fast ausschließlich3) durch die in ihnen benutzten Quellen bestimmt wird, die meist wörtlich zum Ausdruck kommen. Unterschiedslos werden antike und christliche Schriftsteller angeführt, so daß sachliche Erzählung mit kühner Spekulation abwechselt. Aber Isidor geht auch zuweilen über seine Gewährsmänner hinaus und regt sogar zur Bearbeitung gestellter Themen an, wie er am Ende von c.27 (p. 53,17 Becker) die Frage stellt, was mit den Sternen, falls sie beseelt seien, bei der Auferstehung geschehen werde. Die Darstellung ist im allgemeinen bedeutend eingehender als in den betreffenden Abschnitten der Etymologiae, da die Quellen fast nie exzerpiert werden, sondern im vollen Wortlaut, allerdings oft mit kleinen Veränderungen des Textes, reden. Dieselben sind zum Teil, weil sonst nicht erhalten, wichtig. Hierüber s. ed. Becker p. VI-XXII. Da Isidor seine Gewährsmänner nicht häufig nennt, so ist die Herkunft seines Berichts an vielen Stellen unsicher; jedenfalls hat er neben Hygins astronomischem Werk4) (besonders c.16-22 und 48) die Werke von Sueton keineswegs so stark benutzt, wie Reifferscheid meint. Er hat sie c. 37 f. und 44 genannt.5) Als weitere antike Quellen verwertet er den Scholiasten zu Germanici Aratea (vgl. Schenk p. 42 ff.), Solin (c. 40), Lucretius (c. 30.36.39) und Palladius (c. 5). Servius.6) Die Anführung Varros an zwei Stellen geht wohl nicht auf unmittelbare Kenntnis, sondern auf Vermittlung durch eine andere Quelle zurück (c. 10.38); dasselbe ist der Fall mit Versen aus Atta. Naevius und Pacuvius (c. 44). Sonst werden häufig Vergil und je einmal Lucan (c. 12) und Statius (c. 30) zitiert. Auf der anderen Seite benutzt Isidor einige christliche Schriftsteller in ausgedehntem Maße. nämlich besonders das Hexaemeron des Ambrosius,7) die Recognitiones des Pseudo-Clemens und mehrere Schriften Augustins;8) daneben wird natürlich auch die Bibel angeführt.

Diese Schrift hat in der christlichen Welt für das nächste Jahrhundert den Bedürfnissen der Zeit völlig entsprochen bis Beda einen Auszug mit vielen Zusätzen aus ihr veranstaltete, wobei die Rücksicht auf die Schule überwog. Dieser Auszug hat bei der Bedeutung seines Verfassers das ursprüngliche Werk mehr in den Hintergrund treten lassen, obwohl es immerhin noch oft genug abgeschrieben wurde. Alte Aufschriften sind häufig. z.B. Reichenau 821 (B. 6, 327.331 f.). St. Riquier 831 (B. 11.68.71), Konstanz s. IX (B. 15. 214f.), St. Gallen s. IX (B. 22.214). Lorsch s. IX (B.37. 331), Bobbio s. X (B. 32, 156f.) mit der Aufschrift De diebus et septimanis temporibus et signis libros II usw. Handschriften: Bamberg.H.I.IV.l5 s.VIII und H.I. IV. 17 s.IX. Basil. F. III. 15a s.vIII-IX, F. III.15f. s.IX. Bern. 417.s. IX. 224 und 249 s. X.9) Monac. 16128 s. IX10) und 396 s. X. 14300 s. X. Sangall. 238 s.VIII. Colon. 83 II s.VIII. Becker p. XXVI f. hat die Hss. nach dem Vorhandensein von c. 44 in zwei Klassen geteilt. Einzige kritische Ausgabe: rec. Gust. Becker, Berlin 1857. Arno Schenk, De Isidori Hispalensis de natura rerum libelli fontibus, Jenae 1909.

1) Findet sich auch verschrieben zu notarum, z.B. Reichenau 821 (Becker, Catal. 6, 327). Zu den bei Becker p.V aufgezählten Ueberschriften ist vielleicht noch De mirabilibus mundi zu rechnen, wie eine Aufschrift aus London 1448 (J.P.Malcolm, Londinium redivivum 1, 30) besagt.
2) A. Schenk, De Isid. Hisp. de natura rerum libelli fontibus (Jenae 1909) vergleicht die mit den Etymologiae kongruenten Stellen p. 8f. und kommt p. 10-18 zu dem Ergebnis, daß Isidor für beide Werke die Quellen gesondert benutzt habe, und daß also beide voneinander unabhängig seien.
3) Was auf des Autors eigene Rechnung zu setzen ist, hat A. Schenk a.a.O. p. 21f. zusammengestellt.
4) Vgl. G. Kauffmann, De Hygini memoria (Breslau 1888) S. 62-65 und besonders A. Schenk p. 46-52.
5) Vgl. Näheres bei Reifferscheid, Suet. Tranq. praeter Caesarum libros reliquiae p. 427ff. Die Entlehnungen von c. 1-8 sollen aus Suetons Pratum de anno Romanorum und die von c. 9-46 aus dem Pratum de naturis rerum stammen. Vgl. Reifferscheid p. 149 bis 246. Vgl. aber Schenk p. 65-72.
6) Vgl. Servius ed. Thilo 2 p. XXXVIII und Schenk p. 54-57.
7) Es ist in viel weiterem Umfange benutzt, als man bisher annahm, vgl. A. Schenk p. 24ff., wo p. 26-29 geleugnet wird, daß die Prata Suetons im Exaemeron benutzt werden (trotz Giraldi Cambr. Itiner. Cambriae 1, 7).
8) Hierzu vgl.Wölfflin, Rhein. Mus. 42, 485 und Schenk p. 31 f.
9) Bern. A. 92 N. 20 enthält ein Fragment aus s. IX.
10) Die Hs. enthält viele Bilder und besitzt wie der erste Bamberg., Monac. 14300 und Colon. 83 II das Gedicht Sisebuts.


Isidor von Sevilla - Bibliographisches

1. Editionen Gesamtausgaben:
Sancti Isidori Hispalensis Episcopi, opera omnia quae extant, Köln 1617.
Arévalo, F.: 1797-1803, übernommen in Migne, Bd. 81-84.
Coll. ALMA (Archivum latinitatis medii aevi. Bulletin Du Cange), Paris [Ed. mit Übersetzung und Kommentar in Vorbereitung]
Einzelwerke:
Etymologia:
Lindsay, Wallaca Martin: Oxford 1911.
De natura rerum:
Gustav Becker: Isidori Hispalensis De natura rerum liber. Berlin 1857 (ND Amsterdam 1967).
Fontaine, J.: Isidore de Séville - Traité de la nature. Bordeaux 1960
De eccl. off.:
Lawson, C.: (Corpus Christianorum, Series Latina 1989)
Epistola:
The letters of St. Isidore of Seville. Ed. G.B. Ford Jr., Amsterdam 1970.

2. Zu den Handschriften:
Beeson, Charles Henry: Isidor Studien (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters, 4. Bd., 2. Heft), Münster 1913.
Díaz y Díaz, M. C.: Index Script. Lat. MA Hisp. I, 1958, 28-44.
Bischoff, Bernhard: Isidoriana (s.u.), S. 317-344

3. Literatur
Altaner, B: Der Stand der Isidorforschung (Miscellanae Isidoriana, Roma 1936, S. 1-32).
Anspach, A.E.: Isidori Hispalensis ‘Institutionum Disciplinae’ (Rheinisches Museum für Philologie, NF, 67. Bd., 1912, S. 556-568).
ders.: Das Fortleben Isidors im 7. bis 9. Jh. (Miscellanae Isidoriana, Roma 1936, S. 323-356).
Banniard, M.: „Viva voce“: communication écrite et communication orale du IVe au Ixe s. en Occident lat., ch. IV sur I. [im Druck]
Bertram, Cornelia: Untersuchungen zur Einwirkung der 'Etymologien' des Isidor von Sevilla auf die althochdeutsche Uebersetzung des Traktats 'De fide catholica ex veteri et novo testamento contra iudaeos', München, Univ., Diss., 1981
Brehaut, Ernest: An Encyclopedist of the dark ages, Isidore of Seville. (Burt Franklin research source work series. 107), Repr., New York, 1966.
Borst, Arno: Das Bild der Geschichte in der Enzyklopädie Isidors von Sevilla (Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 22, 1966).
Cazier, Pierre: Isidore de Séville et la naissance de’l Espagne catholique, Paris 1994.
Concordantia in Isidori Hispaliensis Etymologias / comp. by Ana-Isabel Magallón García (Alpha - Omega : Reihe A, Lexika, Indizes, Konkordanzen zur klassischen Philologie ; 120), Hildesheim
Diesner, Hans-Joachim: Isidor von Sevilla und das westgotische Spanien, Abhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse, Bd. 67, Heft 3, Berlin 1977.
Diesner, Hans-Joachim: Isidor von Sevilla und seine Zeit (Aufsätze und Vorträge zur Theologie und Religionswissenschaft), Berlin, 1973.
Diesner, Hans-Joachim: Kirche, Papsttum und Zeitgeschichte bei Isidor von Sevilla. Theol. Literaturzeitung, 96. Jg., Sp. 81-90.
ders.: Zeitgeschichte und Gegenwartsbezug bei Isidor von sevilla. In: Philologus, Bd. 119, 1975, S. 92-97.
Dressel, H.: De Isidori originum fontibus. Diss. Aug. Taurinorum 1874.
Dzialowski, G. von: Isidor und Ildefons als Litteraturhistoriker. Münster 1898.
Eggers, Hans: Vollstaendiges lateinisch-althochdeutsches Woerterbuch zur althochdeutschen Isidor-Uebersetzung (Institut f. deutsche Sprache u. Lit. (Berlin, Akad.): Veroeff. 20), Berlin 1960
Eggers, Hans (Hg.): Der althochdeutsche Isidor. (De fide catholica ex veteri et novo testamento contra Judaeos ad Florentinam sororem) Nach der Pariser Handschrift und den Monseer Fragmenten. (Altdeutsche Textbibliothek ; 63), Tübingen, 1964.
L’Europe héritière de l’Espagne wisigoth., hg. J. Fontaine.
Fernández Galiano, Manuel: 1986.
Fontaine, J.: Isidore de Séville et la culture classique de l’Espagne wisigoth., 3 Bde, 19832
ders.: Isidore de Séville padre de la cultura europ. (La conversión de Roma, 1990), S. 265-293.
ders.: Tradition et actualité chez Isidore de Séville, 1988.
ders.: Isidore de Séville auteur ‘ascétique’: Les énigmes des Synonyma. Studii medievali, 3. Serie, VI, I, 1965, S. 163-195.
ders.: Problèmes de méthode dans l’étude des sources isidoriennes (Isidoriana, León 1961, S. 115-131).
ders.: Art. Isidore de Séville (Dictionnaire de spiritualité ascétique et mystique, Fasc. L-LI, Paris 1971, Sp. 2105-2116).
Fuentes Moreno, F.: Isidorus Hispalensis, Granada 1987.
Gurlitt, Wilibald: Zur Bedeutungsgeschichte von musicus und cantor bei Isidor von Sevilla. (Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse / Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz ; 1950,7), Mainz, 1950
Hillgarth, J.: 1990.
Isidor von Sevilla und die sogenannten Germanicusscholien, vorgel. von Artur v. Fragstein, Breslau, Univ., Diss., 1931
D 'Isidore de Séville à Saint Thomas d'Aquin : etudes d'histoire et de théologie / Jean Châtillon, London, 1985.
Isidoriana. (Estud. sobre S.I. de S. en el XIV anivers. de su nacimiento), ed. M.C. Díaz y Díaz, Leon 1961.
Misc. Isidoriana, Roma 1936
Kurze Lebensgeschichte der hl. Isidor und Gamelbert, Rastadt, 1830
Macé, Alcides: De emendando differentiarum libro qui inscribitur De proprietate sermonum et Isidori Hispalensis esse fertur, Paris, Univ., Diss., 1900
MacFarlane, Katherine N: Isidore of Seville on the Pagan gods : Origines VIII.11 (Transactions of the american philosophical society ; 70,3), Philadelphia 1980
Nelson, Hein L.: Etymologiae van Isidorus van Sevilla, Een boek op de Grens van de antieke en de middeleeuwse Wereld, Leiden 1954.
Ostberg, Kurt: The old high german Isidor in its relationship to the extant manuscripts (eight to twelfth century) of Isidorus de Fide Catholica (Göppinger Arbeiten zur Germanistik ; 203), Teilw. zugl.: London, Univ., Diss., 1966. Göppingen, 1979
Pellegrino, M.: Le Confessioni di San Agostino nell’opera di San Isidoro di Siviglia (Isidoriana, hrsg. von M.C. Díaz y Díaz, León 1961, S. 223-270).
Pellistrandi, Ch.: [im Druck]
Philipp, Hans: Die historisch-geographischen Quellen in den etymologiae des Isidorus von Sevilla. (Diss. Berlin, Friedrich-Wilhelms-Universität, 1911)
Reydellet, Marc: La royauté dans la littérature latine de Sidoine Apollinaire à Isidore de Séville, Roma, 1981 (Bibliothèque des Écoles Françaises d'Athènes et de Rome ; 243), Zugl.: Paris, Univ., Diss., 1977
Schenk, A.: De Isidori Hispalensis de natura rerum libelli fontibus, Diss., Jena 1909.
Schmekel, August: Isidorus von Sevilla : Sein System und seine Quellen, Berlin, 1914
Schütte, F.: Studien über den Schriftstellerkatalog Isidors (Kirchengeschichtliche Arbeiten, I, 1902, S. 75ff.).
Schütz, Heinz-Albert: Die Schrift „De medicina“ des Isidor von Sevilla: ein Beitrag zur Medizin im spätantiken Spanien, Gießen, Univ., Diss., 1984
Séjourné, Paul: Saint Isidore de Seville: son role dans l'histoire du droit canonique, Paris, 1929
Le VIIe s.: changements et continuités, hg. J. Fontaine.
Sofer, Johann: Lateinisches und romanisches aus den Etymologiae des Isidorus von Sevilla. Hildesheim/New York 1975.
Uhden, Richard: Die Weltkarte des Isidor von sevilla. In: Mnemosyne ser. 3 (1935/36), S. 1-28.
Urbel, J. Perez de: Isidor von Sevilla. Sein Leben, sein Werk und seine Zeit. 1962.
Los Visigodos (Actas de la Semana nternac. de Estud. Visigót.) Madrid 1985, hg. A. González Blanco.