Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

5. Beispiele

Um den Ansatz der praktischen Ausbildung auf theoretische Bereiche anzuwenden, müssen interne kognitive Prozesse, die unsichtbar ablaufen, externalisiert und damit sichtbar gemacht werden. Dies wird im Folgenden an drei Beispielen erläutert: am Leseunterricht (nach Palincsar und Brown), am freien Schreiben (nach Scardamalia und Bereiter) und am Matheunterricht (nach Schoenfeld). Eine Zusammenfassung im Internet zu diesen Beispielen findet sich unter http://www.21learn.org/arch/articles/brown_seely.html

 

5.1 Lesen

Für das Erlernen einer effektiven Lesestrategie wurde von Palincsar und Brown ein Leitfaden im Sinne des Cognitive Apprenticeship erstellt. Dieser Ansatz heißt „Reciprocal Teaching“ („wechselseitiges Unterrichten“) und stellt vier grundlegende Fähigkeiten in den Vordergrund: Auf der Basis eines gelesenen Textes Fragen formulieren, Textzusammenfassung, Vermutungen über den Fortgang des Textes anstellen und Probleme mit dem Text klären.

Diese vier Schritte werden wie folgt realisiert:

  • Zu Beginn lesen Lehrer und Lerner jeder für sich einen Textabschnitt. Der Lehrer (oder ein Lerner, der die Lehrerrolle einnimmt) formuliert nun eine Frage, die auf dem Textabschnitt basiert, macht eine Zusammenfassung und gibt eine Prognose für den weiteren Text ab oder verdeutlicht den Inhalt des Gelesenen noch einmal.
  • Anfangs zeigt der Lehrer den Lernern diese vier Schritte, die dem Lesen folgen (Modeling) und beobachtet und berät sie intensiv bei der Konstruktion einer sinnvollen Frage bzw. der Zusammenfassung des Textes (Coaching). Er kritisiert die Arbeit der Lerner und gibt positive Rückmeldungen über die Anteile, die ihnen gut gelungen sind. So stellt er den Lernern das „Scaffolding“ zur Verfügung, also die Hilfe, die sie beim Ausführen der (kognitiven) Arbeitsschritte noch brauchen.
  • Die Lerner führen nur so viele Arbeitsschritte aus, wie sie gemäß ihrem Lernstand bewältigen können und steigern sich langsam bis sie die vier Schritte selbstständig erledigen können.
  • Sobald die Lerner diese Kompetenz erreicht haben, tritt das „Fading“ ein, der Lehrer nimmt die Rolle der Aufsicht ein und gibt nur noch gelegentlich nach Bedarf Hinweise oder ein Feedback.
  • Durch dieses methodische Vorgehen wird dem Lernenden ermöglicht, ein neues Konzept vom Lesen zu entwickeln, das über das bloße Erkennen der Buchstaben und Wörter hinweg auf die Bedeutungsebene getragen wird. Den Lernern wird klar, dass Lesen zum einen konstruktive Akte erforderlich macht, wie das Formulieren von Fragen oder das Zusammenfassen, zum anderen bewertende Akte wie das Analysieren und Klären von Unklarheiten im Text. Außerdem verdeutlicht das wiederholte Lesen eines Textabschnittes zur Ausführung der vier Analyse­schritte den Lernern die Tatsache, dass Lesen nicht nur das einmalige Überfliegen eines Textes bedeutet, sondern dass meistens mehrere Male gelesen werden muss, bevor ein Text verstanden werden kann. So gelangen sie zu einer realistischeren Einschätzung dessen, was Lesen bedeutet und welche Fähigkeiten sie erlangen müssen, um mit komplexeren Texten arbeiten zu können.

Ein besonderer Aspekt der Methode des Cognitive Apprenticeship, der hier tragend ist, ist die Tatsache, dass die Lerner gewissermaßen im Kontext lernen. Während der Lehrer die vier Schritte des Lesens demonstriert, wissen die Lerner, dass dies gleich auch ihre Aufgabe sein wird und haben so einen stärkeren Bezug zu dem, was der Lehrer ihnen erklärt. Wenn sie selbst die Arbeitsschritte einmal ausgeführt haben, hören sie dem Lehrenden mit dem Wissen über die möglichen Schwierigkeiten bei der Ausführung der einzelnen Schritte besser zu und vergleichen gleichzeitig ihre Strategien mit denen des Fachkundigen. Diese Reflexion des eigenen Vorgehens ist ein wesentlicher, wenngleich immer kritischer Aspekt des Lernprozesses.

Durch das „Scaffolding“, die sich Schritt für Schritt zurückziehende Hilfestellung durch den Lehrer, wird der komplexe Arbeitsvorgang in besser zu bewältigende „Häppchen“ aufgeteilt, jeder Lerner kann also so kleinschrittig vorgehen, wie er es braucht. So wird das Selbstbewusstsein gestärkt, denn es drohen weniger Situationen, in denen die Lerner negativ scheitern können.

Ein letzter wichtiger Aspekt ist die Doppelrolle des Lerners sowohl als Produzent als auch als Kritiker: Lerner produzieren nicht nur Zusammenfassungen, sondern lernen auch, die der anderen Lerner zu bewerten. Sie werden dadurch gezwungen, ihr Wissen über eine „gute“ Zusammenfassung zu formulieren, wodurch dieses Wissen für sie selbst besser abrufbar wird.

 

5.2 Schreiben

Der Ansatz zum Schreiben wurde z.B. von Scardamalia und Bereiter entwickelt. Über den Vergleich von „Experten“- und „Laien“- Strategien im Schreibprozess sollen die Lerner einen Eindruck über die erforderlichen Arbeitsschritte bekommen, die zum Schreiben dazugehören. Laien schreiben meist mit der „Wissensmitteilungs-Strategie“, sie schreiben alles auf, was ihnen zu einem Thema einfällt und hören auf, wenn ihnen nichts mehr einfällt. Experten jedoch planen, was sie schreiben möchten und redigieren ihre Schreibergebnisse.

Scardamalia und Bereiter haben das Vorgehen professioneller Schreiber kognitiv analysiert und ihre „Procedural Facilitations“ (prozessorientierte Hilfen bei der Verfahrensweise) daraus abgeleitet. Das Planen eines Textes unterteilen sie in

  • eine neue Idee entwickeln
  • eine Idee verbessern
  • eine Idee ausarbeiten
  • Ziele festlegen
  • die Ideen in einen Zusammenhang setzen

Für jeden einzelnen Punkt haben sie Hilfestellungen erarbeitet, die den komplexen Ausarbeitungsprozess aufgliedern und vereinfachen:

Neue Idee
Eine noch bessere Idee ist…
Ein wichtiger Punkt, den ich noch nicht beachtet habe ist…
Ein besseres Argument wäre…

Verbessern
Ich bin noch nicht ganz sicher über das, was ich gerade geschrieben habe…
Ich glaube wirklich, dass dies nicht nötig ist, weil…
Dies klingt nicht sehr überzeugend weil…
Aber viele Leser werden nicht damit einverstanden sein, dass…

Ausarbeitung
Ein Beispiel hierfür ist…
Das stimmt, aber es reicht noch nicht aus, deshalb…
Der Grund aus dem ich das denke ist…
Ein guter Aspekt des Gegenarguments ist…

Ziele
Ein Ziel auf das ich hinarbeiten könnte wäre…
Meine Absicht ist…

Zusammensetzung
Wenn ich mit meiner stärksten Idee anfangen will, werde ich…
Ich kann dies verbinden, indem ich…
Mein Hauptargument ist…

Diese Hilfestellungen stehen den Lernern auf Stichwortkärtchen zur Verfügung. Auch hierbei wird die Methode des Modeling, Coaching, Scaffolding und Fading angewandt.
Der Lehrer demonstriert zunächst, wie die Hilfestellungen, die auf den Stichwortkärtchen notiert sind, verwendet werden sollen, indem er selbst eine Idee vorstellt, über die er schreiben möchte. Dann versuchen die einzelnen Lerner, einen Aufsatz über ein neues Thema zu planen. Dieser Vorgang wird „Soloing“ („allein machen“) genannt. Wie beim Reciprocal Teaching nehmen die Lerner hierbei sowohl die Produktions- als auch die Kritikerrolle an. Der Lehrer und die anderen Lerner bewerten das Soloing jedes Lerners, indem sie z.B. Diskrepanzen zwischen dem erklärten Ziel und dem vorgeschlagenen Plan aufzeigen. Außerdem beteiligen sich die Lerner in der Diskussion über die Probleme, die der Autor nicht überwinden konnte.
Auch hier übernehmen die Lerner nach und nach die Aufgaben der Kontrolle und des Problemlösens, dies sie anfangs vom Lehrenden abgeschaut haben. Die Lerner verinnerlichen die Hilfsschritte immer mehr, bis auch die Stichwortkarten nicht mehr benötigt werden.

Eine weitere Strategie ist die Co-Investigation (Nachforschung), die die Lerner ermutigen soll, sowohl ihre bereits vorhandenen Strategien als auch solche, die sie gerade erwerben, zu reflektieren. Hierbei sollen die Lerner, während sie eine Aufgabe erledigen, ihre Gedanken dazu laut äußern und diese dann gemeinsam reflektieren. Durch den Vergleich von eigenen Denkprozessen mit den Hilfen auf den Stichwortkärtchen stellen die Lerner fest, inwiefern ihre eigenen Strategien von denen eines „Experten“ abweichen.

Die Lerner bauen durch diese Methode ein neues Bild des Schreibvorganges auf, sie lernen, dass auch erfolgreiche Autoren ihre Werke nicht einfach herunter schreiben, sondern ihre Texte vielfach überarbeiten müssen, bevor sie sie veröffentlichen können.

Durch das Modeling wird deutlich, dass auch fortgeschrittene Schreiber Probleme haben, falsch anfangen, ganze Passagen aus ihren Texten auf dem Weg zur Fertigstellung streichen müssen. Der zufällig erscheinende Schreibprozess gliedert sich durch die vereinfachten Einzelschritte in eine übersichtliche Struktur auf, die die Lerner mit Hilfe der Stichwortkärtchen verinnerlichen.


5.3 Mathematikunterricht

Einen Ansatz zum Lösen von mathematischen Problemen hat Schoenfeld entwickelt. Auch er verbindet die vier Elemente des Cognitive Apprenticeship mit der Hinführung der Lerner zur Reflexion ihrer eigenen Problemlösestrategien.
In der Mathematik ist ein Unterschied zwischen Fachkundigen und Laien die Tatsache, dass Fachkundige heuristische Methoden verwenden, das heißt, sie stellen vorläufige Vermutungen an, die sie dann zu beweisen versuchen.
Um diese heuristischen Methoden direkt zu vermitteln, hat Schoenfeld heuristische Strategien formuliert, die Faustregeln für das Herangehen an mathematische Probleme darstellen. Eine dieser Faustregeln erklärt zum Beispiel, wie man Sonderfälle im Problemlöseprozess vom Normalfall unterscheidet.
Andere kritische Faktoren sind die so genannten Kontrollstrategien und Systeme der Überzeugungen. Kontrollstrategien beinhalten Ausführungsentscheidungen wie die Entwicklung alternativer Lösungswege und die Einschätzung, welcher Lösungsweg uns dichter an die Lösung heranbringt und welchen Lösungsweg wir am ehesten ausführen können, die Überlegung, welche Annahme man auf dem Weg zur Lösung beweisen könnte und die Einschätzung, ob man mit dem gewählten Rechenweg der Lösung näher kommt.
Systeme der Überzeugungen beinhalten Eigeneinschätzungen (z.B. eine generelle Abneigung gegen Mathematik), Einschätzungen der Umwelt (z.B., dass physikalische Phänomene physikalische Ursachen und keine psychischen haben), Einschätzungen des Wirkungsbereiches (z.B., dass ein mathematischer Beweis nicht bei einem geometrischen Konstruktionsproblem hilft).
Schoenfeld unterrichtet nicht nur einfach den nötigen Fundus an mathematischen Operationen, sondern legt Wert darauf, dass über die mathematischen Probleme nachgedacht wird und sie mit heuristischer Vorgehensweise und unter Einbezug der Kontrollstrategien und Glaubenssysteme gelöst werden. Er nutzt dazu Modeling, Coaching, Scaffolding und Fading wie folgt:

  • Modeling erfolgt über die demonstrierte Auswahl einer bestimmten Strategie in Bezug auf ihren Nutzen im Problemlöseprozess. Der Lehrer legt hierbei seinen Denkprozess offen, sagt, welche Vorannahme er anstellt und welche Kontrollstrategien er nutzt. Dabei wird die Aufmerksamkeit der Lerner besonders auf den Gebrauch und die Organisation einer spezifischen Strategie gelenkt.
  • Als nächstes gibt er den Lernern zu lösende Probleme, die an die eingeführte Strategie angelehnt sind. Er agiert im nun folgenden Lösungsprozess als Moderator, indem er die Lerner nach Heuristiken und Lösungsstrategien fragt, während er die nötigen Kontroll­strategien in den Raum stellt, die den Lernern helfen sollen, zu entscheiden, ob ihre Vorschläge sie zu der Lösung führen können (Scaffolding).
  • Die Hilfen des Lehrers gehen immer weiter zurück, bis die Lerner das Problem allein lösen können.

Wie auch Scardamalia und Bereiter legt Schoenfeld Wert auf die „Entglorifizierung“ des mathematischen Denkens, indem er selbst von den Lernern gestellte Probleme löst und sie so an dem Prozess teilhaben lässt und auch zeigt, dass auf dem Weg zur Lösung Sackgassen auftreten, dass Lösungswege scheitern können. Dieses Demonstrieren falscher Lösungswege fördert das Gespür der Lerner für mögliche richtige Wege.

Dabei arbeiten die Lerner in Kleingruppen an Problemstellungen, während der Lehrer als Berater tätig ist. Er bedient sich hierbei dreier Fragen:

1. Was macht ihr?
2. Warum macht ihr das?
3. Inwiefern wird ein Erfolg in dem, was ihr tut, euch der Lösung näher bringen?

So reflektieren die Lerner ihr Vorgehen und entwickeln die Fähigkeit der Selbstbeobachtung. Die Lerner beginnen, sich die kritischen Fragen selbst zu stellen und können ihr Vorgehen so selbst kontrollieren. Die Kleingruppenarbeit ermöglicht es dem Lehrer, die einzelnen Gruppen je nach Bedarf zu betreuen und die Lerner lernen durch die Diskussion in der Gruppe, ihre Denkoperationen zu verbalisieren und damit auch auf ihre Logik hin zu überprüfen, sie erwerben also metakognitive Fähigkeiten.
Zusätzlich zu den Methoden des Cognitive Apprenticeship strukturiert Schoenfeld die Problemabfolge, um vier pädagogische Ziele zu erreichen: Motivation, Veranschaulichung, Übung und Integration.
Zunächst demonstriert er den Lernern den Nutzen einer Heuristik, indem er ihnen eine Aufgabe stellt, die sie ohne diese nicht lösen können. Dann zeigt er ihnen einige Strategien, die die Lerner zur Lösung der Aufgabe befähigen. So überzeugt er die Lerner, dass die Heuristiken es wert sind, gelernt zu werden.
Die Aufgaben, mit denen er eine neue Strategie einführt, sind genau auf die Heuristik zugeschnitten, sie wird so lange geübt, bis sie verinnerlicht ist und dann allmählich mit anderen Aufgabentypen gemischt, so dass die Lerner auch die Auswahl der Strategie üben und lernen, nicht nur einen Aufgabentyp mit dieser Strategie zu bearbeiten.

Ein letzter wichtiger Aspekt ist die „Postmortem-Analyse“, die dem Lösungsprozess nachfolgt. Sie beinhaltet ein Rekapitulieren der einzelnen Arbeitsschritte, die zu der Lösung geführt haben. Durch die Postmortem-Analyse werden die kritischen Entscheidungen und Arbeitsschritte noch einmal betont. Dies kann z.B. auch im Rahmen einer Hausaufgabenbesprechung geschehen, wenn die Lerner erklären, wie sie zu ihrer Lösung gekommen sind.