Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

3. Theoretische und praktische Begründung

In der westlichen Moderne gibt es einen Mythos vom Einzelkämpfer, der tief im Bildungsdenken verankert ist. Insbesondere die Robinsonade (vgl. Reich: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik, Kap. 6) drückt aus, dass durch hohe Selbstdisziplin und die Ausbildung umfassender Selbstzwänge, durch Arbeit, auch wenn deren Sinn fragwürdig sein mag, in the long run Erfolg und Anerkennung winken.

Aus diesem Interessenspektrum heraus hat die Einzelarbeit in der Schule der Moderne einen hohen Stellenwert gehabt. In ihr sind das individuelle Erinnern der erworbenen Informationen und die Anwendung, auch Transfer genannt, grundsätzliche Ziele des Unterrichts. Als Institution soll die Schule die primäre Aufgabe haben, die Schüler und Schülerinnen individuell auf das Leben vorzubereiten und sie dazu zu befähigen, dass sie sich Welt mit eigenen Mitteln erschließen können. Im Rahmen von Rangvergleichen mittels Noten, Ver­setzungen und einem insgesamt nach Leistungsklassen gegliederten Schulsystem soll vor allem der individuellen Leistung entsprochen werden. Man erwartet, dass das individuelle Lernen zu einem handlungsorientierten und aufgeklärten Verhältnis zur Welt führt, was die Schüler und Schülerinnen über die Schule hinaus zu einem eigenen Verhältnis zu Welt und ihren Problemlagen nutzen können. Ein Problem dieser Sichtweise allerdings ist, dass man dadurch zu wenig auf die Förderung jener Lerner sieht, die durch sozial ungünstige Ausgangsbedingungen in ihrem individuellen Lernen zu wenig Hilfen erhalten. Zudem wird Teamarbeit vernachlässigt, was immer weniger der beruflichen Realität auch im Kapitalismus entsprechen kann.

Im herkömmlichen Unterricht wird ein zu isolierter Einsatz der Einzelarbeit oft durch ein Denken in „Stufen“ gefördert. Ganz zu Beginn, so heißt es dann, steht der Lerninhalt, der in irgendeiner Weise von der Lehrkraft dargeboten wird. Das Wichtige an dieser Darbietung scheint es dann zu sein, was mit den neuen Informationen geschieht. Man kann nicht davon ausgehen, dass alle Schüler und Schülerinnen synchron zum Unterrichtsgeschehen lernen. Insoweit soll nach frontalen Phasen die Einzelarbeit zu einer Individualisierung des Lernens beitragen. Oft bleibt hierbei übersehen, dass nur noch Lerner, die der Darbietung folgen konnten, hier eine reelle Chance haben, hinreichende Leistungen zu zeigen.

In der konstruktivistischen Didaktik entsteht ein deutlich erweitertes Verständnis der Einzelarbeit. Eine Individualisierung des Lernens wird zunächst immer notwendig sein, denn im Rahmen einer konstruktivistischen Didaktik soll gerade den unterschiedlichen Konstruktionen von Welt und dem unterschiedlich konstruierten Vor-Wissen Raum gegeben werden. Es geht dann in der Einzelarbeit darum, den neuen Lerninhalt in die bestehenden Konstruktionen von Welt der individuellen Lerner einzufügen. Aber dies gelingt nur hinreichend, wenn die Ausgangslagen der Lerner beachtet und durch ein klares Förderkonzept unterstützt werden. Denn beim Lernen können Probleme, Schwierigkeiten oder Verwirrung auftreten, oft passt das Dargebotene gar nicht zu den vorherigen Konstruktionen. In so einem Fall muss das bestehende Wissen hinterfragt und eventuell verworfen oder neu, anders konstruiert werden. Und dieser Prozess ist das eigentlich wesentliche am Lernprozess: Die Eigentätigkeit des Lernenden, die Verknüpfung des Neuen mit dem Alten, das Erkennen von Zusammenhängen, Brüchen oder Problemen. Damit dies möglicht ist, muss das „alte Wissen“ stets erinnert und verwertet werden und das neue muss verfestigt, eingeübt und rekonstruiert werden, bevor man anfängt, mit dem „neuen Wissen zu arbeiten“, es quasi auseinander zu nehmen. Die PISA-Studie hat uns gezeigt, dass es gerade bei uns in Deutschland an dieser Fähigkeit, Wissen anzuwenden, mangelt. Aber Wissen ohne Weiterverarbeitung, ohne Anwendung, ist Ballast und wird schnell zu völlig totem Wissen. Informationen als solche sind bedeutungslos, es kommt darauf an, sie in einen größeren Zusammenhang einbetten und sich damit neue Welten erschließen zu können.

Ein wesentlicher Faktor, die Einzelarbeit aus ihrer Unfähigkeit zu befreien, für möglichst viele Lerner eine hilfreiche und fördernde Funktion im Lernen einzunehmen, besteht darin, sie aus der engen Verknüpfung erst Lehrervortrag dann Übungsphase zu lösen. Sofern der Lehrervortrag dominant vor der Einzelarbeit kontinuierlich eingesetzt wird, steigen die Chancen, dass nur jene Lerner Anschluss finden, für die der Vortrag passt. Sofern eine Fülle von anderen Methoden für die Erarbeitung und Darbietung neunen Wissens eingesetzt werden, in denen die Lerner bereits aktiver ihr Vorwissen einbringen müssen, steigen die Chancen, dass dieser Anschluss besser verläuft. Bei solcher Methodenvielfalt müssen Lehrende zudem stärker planen und überprüfen, wie sie das Vorwissen ihrer Lerner differenziert mit den neuen Intentionen und Inhalten verbinden.

Aus diesen Gründen erscheint es als notwendig für den schulischen Unterricht, die Methode der Einzelarbeit neben anderen interaktiven oder frontalen Settings, zwar regelmäßig durchzuführen und sie zu einem festen Bestandteil der Lernkultur zu machen, sie aber auch effektiv in ein vielfältiges Setting von Methoden einzubinden. Andererseits ist zu beachten, dass Methodenvielfalt alleine auch kein Königsweg der Didaktik ist. So sehr auch interaktive Methoden wichtig und wertvoll sind, so ist es doch auch wichtig, methodisch der Indi­vidualität und dem je eigenen Denken der Lernenden und der eigenen, selbstgesteuerten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsinhalt Raum zu geben. Gerade wenn man den Aspekt bedenkt, dass nicht jeder in dem gleichen Tempo und auf die gleiche Weise lernt, sondern es verschiedene Lerntypen gibt, dann wird die Phase der Einzelarbeit auch zur notwendigen Phase einer individuellen Lernförderung, in der der Lehrende gefordert ist, sich insbesondere differenzierend um seine Lerner zu kümmern. Die Einzelarbeit als Methode gibt gerade der Findung des je eigenen Lerntyps und der Auseinandersetzung mit sich und dem Lerninhalt einen konstruktiven Raum.

Differenzierung ist allerdings bei größeren Lernergruppen schwierig. Insbesondere bei den Lernanfängern, wo der Grundstein für späteres Lernen und damit auch das Bewältigen der Individualphasen gelegt wird, sollten daher die Lerngruppen kleiner sein (vorbildlich in Skandinavien gelöst).