Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

3. Theoretische und praktische Begründung

>> 3.1. Theoretische Begründung
>> 3.2. Praktische Begründung

3.1 Theoretische Begründung

 

 

3.1.1 Entstehung der Methode

Erzählt und gedacht wird, seit es den Mensch gibt. Bereits die ältesten uns bekannten Hochkulturen verfassten Schriften in Form von Geschichten. Schon seit jeher werden Wissen, Erfahrungen und Grundüberzeugung in Form von Geschichten ausgetauscht und tradiert, heutige Wissenschaftsbereiche wie Historie, Kultur, Recht, Ethik und Religion in Form von Geschichten von Generation zu Generation übermittelt (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.16 u. 44 u. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.7). Noch heute spielt das mündliche Erzählen im Alltag eine große Rolle. Ereignisse werden alltagssprachlich weitergegeben, indem die Geschehnisse, oft angeregt durch Erzählungen anderer, (weiter-) erzählt werden (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2006, S.35). Menschen informieren sich über Geschichten, kommunizieren mit Hilfe von Geschichten und reflektieren und verarbeiten Erlebtes anhand von Erzählungen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.50-51). Der einzelne Mensch ist demnach ein erzählendes Wesen. Erzählend übermittelt der Mensch seine Erlebnisse, Erfahrungen, Träume und Fantasien (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.14). Geschichten sind damit Speicher der Denkmuster der Menschen, in denen sich individuelle Werte, Einschätzungen und Vorstellungen, d.h. Sinnzuschreibungen, zeigen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.51). Geschichten, die sich Menschen untereinander erzählen, sind somit immer Ausdruck ihrer Identität, ihres Bewusstseins und der Beziehung zu anderen. Entsprechend kann die Menschheit als ein kollektiv erzählendes Wesen, als ein sich gegenseitig erzählender und zuhörender Organismus, betrachtet werden, indem sich jeder Einzelne durch das gegenseitige Erzählen und Zuhören die Welt erschließt und zu Eigen macht (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.6-7).  

 

 

3.1.2 Narrative Form

 

 

3.1.2.1 Narrative Sprachverwendung/Narratives Denken

Die narrative Sprachverwendung setzt in der kindlichen Entwicklung früh ein. Neben der für die narrative Sprachverwendung kennzeichnenden und hörbaren sprachlichen Tempusform (Vergangenheitsform um Vergangenes mitzuteilen), lässt sich erkennen, wie Kinder damit beginnen, sich über ihre inneren Vorstellungen mit Hilfe von geringen sprachlichen und mimischen Ausdrucksmitteln mitzuteilen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.67-68). BRITTON unterscheidet hierbei zwischen zwei Sprachverwendungen, und teilt diese in >>teilnehmendes<< (Rolle des Teilnehmers) und >>betrachtendes<< (Rolle des Zuschauers) Sprechen ein. Die Sprache in der Rolle des Teilnehmers findet sich hierbei in Gesprächen, in denen z.B. argumentiert, gestritten und überredet, d.h. Sprache benutzt wird, um an einer gemeinsamen Aufgabe zu arbeiten. Hierbei werden Vorstellungen vergangener Erfahrung festgelegt um die aktuelle Situation zu deuten, ihr einen Sinn zu verleihen und auf sie einzuwirken. Die Sprache in der Rolle des Zuschauers (Betrachters) findet sich dagegen in der Wiederbelebung vergangener Erfahrungen, oder um Erfahrungen als Gegenstände der Betrachtung auszudenken. Hierbei wird versucht, die Einheitlichkeit und den Zusammenhang der Erinnerung früherer Erfahrungen zu sichern bzw. Erfahrungen zu bearbeiten, womit die Sprache in der Rolle des Zuschauers die Funktion Erfahrungen zu verarbeiten erhält (Vgl. Britton, 1979, In: Merkel, Johannes, 2000, S.68/69). Hierbei macht MERKEL deutlich, dass sich die jeweils unterschiedlichen Sprechweisen nicht allein durch ihre jeweiligen sprachlichen Zeichen und Regeln unterscheiden, sondern es sich vielmehr um zwei verschiedene, d.h. spezifischer ausgedrückt um zwei gegensätzliche Formen handelt, die Erfahrungen jeweils unterschiedlich verarbeiten und organisieren. Das heißt, nach BRITTONS Kennzeichnung, dass sich das betrachtende Sprechen vom tätigen Eingreifen des teilnehmenden Sprechens, und der darauf aufbauenden kognitiven Durchdringung der Umwelt, abgrenzt bzw. nicht in der sozialen Welt gehandelt, sondern solches Handeln in der Vorstellung nachbildet, wird (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.69).

 

BRUNER unterscheidet hierbei zwischen einem >>logisch-wissenschaftlichen<< bzw. >>argumentativen<< und einem >>narrativen<< Denken, wobei das >>narrative<< Denken, welches Wahrnehmungen auf anderer Art verarbeitet und eine eigene Realität konstruiert, nach FRENZEL u.a. als eine Wiederentdeckung der fehlenden anderen Seite des Denkens betrachtet werden muss (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.16). Dabei bedarf es zum Verstehen und Handeln und um über die Realität zu kommunizieren die Seite des >>logisch-wissenschaftlichen<< bzw. >>argumentativen<< und des >>narrativen<< Denkens. Beide Denkarten verschaffen sich hierbei einen jeweils unterschiedlichen Zugang zur Welt und machen erst gemeinsam, in ihrem Zusammenspiel, die Breite menschlicher Erfahrungen aus. Dieses impliziert, dass die jeweiligen Denkarten nicht gegeneinander austauschbar sind, d.h., dass sich weder die eine Art des Denkens auf die andere Art des Denkens zurückführen lässt, noch die eine Art des Denkens zugunsten der anderen Art des Denkens vernachlässigt werden kann, ohne das breite Spektrum des Denkens zu verfehlen (Vgl. Bruner, 1986, In: Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.14-15 u. Merkel, Johannes, 2000, S.69).

 

STERN versteht unter der narrativen Sprachverwendung ein >>erzählendes Selbstempfinden<<, indem er den Blickwinkel von der Bearbeitung der gegenständlichen Umwelt und der Beeinflussung der sozialen Umwelt (nach Brittons Formulierung die Rolle des Teilnehmers), auf die Selbstwahrnehmung des Individuums, verschiebt. Hierbei sieht Stern im >>erzählenden Selbstempfinden<< die Fähigkeit, eigene lebensgeschichtliche Erfahrungen in einen sinnvollen Zusammenhang zu gliedern, sobald sich das Kind in den Anfängen der Sprachbeherrschung immer weiter von der körperlich-sinnlichen Wahrnehmung entfernt und sich mehr und mehr auf sprachliche Konzepte bezieht (Vgl. Stern, 1992, In: Merkel, Johannes, 2000, S.69-70). Diesen Gedanken aufgreifend, spricht Merkel perspektivisch erweiternd von einem >>Modus der inneren Vorstellungswelt<<, indem sich Kinder durch das erzählende Reden (und über fiktive Spiele) Geltung verschaffen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.92), d.h. über das erzählende Reden die zentrale Erfahrung menschlicher Bewusstwerdung, die sich aus der Unvereinbarkeit von sozialer Außen- und individueller psychischer Innenwelt ergibt, zu verarbeiten (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.9).  

 

 

3.1.2.2 Narratives Prinzip

Im Gegensatz zum rein argumentativen Denken, welches Fakten und Sachverhalte isoliert oder lediglich in vordefinierten Zusammenhängen betrachtet bzw. sich an Einzelheiten und Teilaspekten orientiert, werden Fakten (Akteure und Sachverhalte), von denen die Geschichte erzählt, mit ihrer Umgebung in merkbarer Form zueinander in Beziehung gesetzt, worüber ein Zusammenhang des Gesamtprozesses geschaffen wird (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.20). Geschichten sind ein Instrument der Vernetzung. Indem Inhalte über das Verbinden und Verknüpfen in eine sinnvolle und bedeutende Ordnung gebracht bzw. in eine Beziehung gesetzt werden, lässt sich für die Zuhörer über diesen Zusammenhang immer mehr erkennen als die Summe der eigentlichen Fakten, Regeln und Gesetze. Indem Inhalte in konkrete Situationen bzw. konkrete Umwelten eingebettet werden, liefern Geschichten immer einen konkreten Kontext mit, und machen Thematiken so für die Zuhörer eher sichtbar (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.10). „Erlebtes wird in eine Ordnung gebracht, Zusammenhänge werden hergestellt, Ereignisse, Veränderungen, Handlungen werden strukturiert, Wissen mit einem konkreten Kontext verknüpft.“ (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.58) Hierbei ist wichtig, dass das >>logisch-wissenschaftliche<< bzw. >>argumentative<< Denken im Zuge des narrativen Denkens seinen Platz behält, um z.B. im Anschluss, bei der Beschäftigung mit dem noch nicht Realen (Idee/Vision), zu prüfen, wie die Idee/Vision letztlich real werden kann. Einseitig >>logisch-wissenschaftliches<< bzw. >>argumentatives<< Denken erstarrt in Fakten, schafft nichts Neues und blendet relevante Zusammenhänge und Wirkfaktoren aus. Einseitig narratives Denken läuft hingegen ebenso Gefahr, wichtige Realitätsbereiche auszugrenzen, indem sich Geschichten und Möglichkeiten ohne Anbindung an die Realität verlieren (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.23).

 

Geschichten sind immer >>ganzheitlich<<, da sie inhaltliche und emotionale Elemente  in einen Zusammenhang bringen. Geschichten sind damit systemischer als eine reine Beschreibung von Fakten und kennzeichnen damit kein Fakten- sondern Zusammenhangswissen, und schließt neben den abstrakten Überlegungen auch Empfindungen mit ein (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.26). Neben dem Wissensgehalt enthalten Geschichten somit eine emotionalisierende Wirkung, die, durch das erwünschte Agieren der Zuhörer auf die Erzählung, sowie mit dem Erzählen einer Geschichte selbst, individuelle Denk- und Sichtweisen anderer zulässt. Hierüber wird nicht nur analytisch rational gedacht, sondern auch soziale und emotionale Intelligenz gefördert (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.26-27).

 

Hierbei liefern Geschichten immer ein bestimmtes Bild, knüpfen am Bestehenden und bereits Bekannten an, verbinden das Bekannte mit dem Unbekannten bzw. das Eigene mit dem Fremden und lassen Inhalte über einen anderen Blickwinkel aus einer anderen Perspektive erscheinen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.11). Individuelle Perspektiven zeichnen sich hierbei über die Interpretation von Gegenwart aus, zu der viele unterschiedliche Varianten der Vergangenheit existieren. Hierbei lassen sich übereinstimmende Fakten erkennen, sagen diese Fakten jedoch unterschiedliches aus, da sie in individuellen Zusammenhängen erscheinen und mit je unterschiedlicher Bedeutung versehen sind (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.237). Zuhörer können sich über Geschichten Anderer in individuelle Perspektiven mit ihren zusätzlichen Elementen hineinversetzen und den Raum der Möglichkeiten erweitern, indem Sachlagen anders beurteilt, Optionen erkannt und Alternativen erfahren werden (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.11). Neben einem bestimmten Bild liefern Geschichten immer auch ein ganzes Bild, welches den Zuhörern erlaubt, wesentliche Strukturen zu überblicken. Das Gesamte im Überblickt schafft Orientierung, motiviert und befähigt die Lerner, aktiv und eigenständig zu Handeln (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.174).

 

Geschichten schaffen ein narratives Grundelement von Lehr- und Lernprozessen, indem Deskription und Narration (Vermitteln und Erzählen) miteinander verknüpft werden (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.3). Nach JOHANNES MERKEL hängt die Erinnerungsleistung des durchschnittlichen Gedächtnisses von einem sinnhaften Ganzen, von der Struktur eines sinnvollen und verbindenden Zusammenhangs der Einzelheiten, ab (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.187). In Geschichten verarbeitete und über Geschichten geäußerte Informationen liefern die entsprechenden Bezüge (Zusammenhang der Fakten unter Berücksichtigung der Emotionen) und lassen sich im Gegensatz zu abstrakten Erklärungen und beschreibenden Informationen schneller verstehen und behalten (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.9). Neben dem Aspekt des sinnhaften Ganzen, ergänzt der Zuhörer die einzelnen Informationen der Geschichte aus seiner eigenen Vorstellung und Erfahrung und zieht beim Hören einer Geschichte über seine eigene Vorstellung und Erfahrung die Verbindungslinien zwischen diesen Informationen. Hierbei zieht der Zuhörer Folgerungen, entdeckt Möglichkeiten und erkennt und trifft Unterscheidungen zwischen seiner eigenen Vorstellungs- und Erfahrungswelt und der Vorstellungs- und Erfahrungswelt Anderer. Das Hören von Geschichten kennzeichnet gegenüber dem Hören von Erklärungen und dem Präsentieren von Konzepten entsprechend immer eine höhere geistige Aktivität und Aufmerksamkeit, da beim Hören von Geschichten immer auch mitgedacht wird und daher immer eine schöpferische Eigenleistung mit einhergeht (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.174-175). Hierbei werden alle geistigen Aktivitäten, d.h. das Abstrakte und das Sinnliche wie auch der Gedanke und das Gefühl,  gleichermaßen angeregt. Über die Einbettung der Inhalte in eine konkrete Situation bzw. Umwelt werden die Inhalte für die Lerner greifbar und darüber leichter verständlich, da sie sich in die Situation hineinversetzen können und Geschichten so zum Nahbereich ihres Erlebens werden (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.9 u. 110).

 

„Geschichten sind offenbar eine höchst ökonomische Art, mit der Komplexität der Welt umzugehen. Sie setzen unterschiedliche Akteure in einer spannenden, die Emotionen [...] fesselnden und daher gut merkbaren Form zueinander in Beziehungen […] Sie integrieren in einzigartiger Weise kognitive und emotionale Schemata und werden so zu einem der wichtigsten Interpretationsrahmen, die wir als Menschen zur Deutung unserer Erfahrungen verwenden.“ (Vgl. Simon, 2004, In: Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.44)

 

 

3.1.3 Grundlagen und Auswirkungen zwischenmenschlicher  Kommunikation (u. zwischenmenschlichen Erzählens)

 

 

3.1.3.1 Faktoren zwischenmenschlicher Kommunikation

Tritt eine Person mit einer anderen Person (kommunikativ) in Beziehung, sendet der so genannte Sender dem Empfänger eine Nachricht auf verbaler und nonverbaler Ebene, bestehend aus den Aspekten der Sache, Beziehung, Selbstoffenbarung und dem Appell. In der ein und derselben Nachricht sind entsprechend viele Botschaften gleichzeitig enthalten und der Empfänger muss mit den jeweils vier entsprechenden Empfangsohren auf die Nachricht reagieren, will er die Nachricht vollständig interpretieren bzw. verstehen. Die >>Klarheit<< der Kommunikation ist somit eine vier-dimensionale Angelegenheit, in der alle vier Aspekte als prinzipiell gleichrangig anzusehen sind (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.15-16 u. 44). Kommunikation beinhaltet jedoch mehr als das bloße Senden und Empfangen von Nachrichten. Der Empfänger reagiert auf die Nachricht, und wird durch diese Reaktion zum Sender einer weiteren Nachricht und umgekehrt. Sowohl der Sender als auch der Empfänger nehmen auf einander Einfluss. Die gegenseitige Einflussnahme kennzeichnet die Interaktion (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.82). Aus der systemischen Beobachtungsperspektive wird Kommunikation aufgrund der wechselseitigen Beeinflussung einzelner Elemente im Prozess der Rückwirkung entsprechend als zirkulärer Kreisprozess betrachtet (prozessorientiertes und dynamisches Modell) (Vgl. Reich, Kersten, 2005, S.26). „Kommunikation ist ein Wechselwirkungsgeschäft mit mindestens zwei Beteiligten. Persönliche Eigenarten, individuelle Verhaltensweisen sind interaktionsbedingt. Es gehören immer (mindestens) zwei dazu.“ (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.83)

 

 

3.1.3.2 Modell zwischenmenschlicher Kommunikation

 

Modell zwischenmenschlicher Kommunikation

(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, Abb.4, S.30 u. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, Abb.2, S.29).

 

 

(zu Aspekt 1)

Sachinhalt

Der Sachaspekt drückt aus, worüber der Sender informiert. Jede Nachricht enthält mindestens eine Sachinformation, die klar und verständlich mitgeteilt wird (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.13 u. 26).

 

 

(zu Aspekt 2)

Beziehung

Der Beziehungsaspekt drückt zwei Arten von Botschaften aus. Der erste Teil des Beziehungsaspekts beinhaltet die Art der erbrachten Kommunikation des Senders. Durch das WIE (wie der Sender den Empfänger anredet) wird zum Ausdruck gebracht, was der Sender vom Empfänger hält. Der zweite Teil des Beziehungsaspekts beinhaltet die Art, wie der Sender zum Empfänger steht. Dieser Teil des Beziehungsaspekts drückt eine bestimmte Art von Beziehung aus. Diese ist Abhängig von der Rolle des Anderen oder z.B. wie formell oder informell der Rahmen ist (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.13 u. 27-28 u. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S. 26).

 

 

(zu Aspekt 3)

Selbstoffenbarung

Der Selbstoffenbarungsaspekt beinhaltet das, was der Sender von sich selbst bzw. seiner Persönlichkeit in gewollter Selbstdarstellung oder unfreiwilliger Selbstenthüllung preisgibt. Mit der Nachricht des Senders sind immer Ich-Botschaften verknüpft, womit der Empfänger Informationen über die Person des Senders erhält (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.14 u. 26-27).

 

 

(zu Aspekt 4)

Appell

Der Appellaspekt drückt aus, zu Was der Sender den Empfänger veranlassen möchte. Der Sender nimmt Einfluss auf das Denken, Fühlen und Handeln des Empfängers (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.14 u. 29-30).

 

 

(zu A)

Sender

 

(1)

 

Der Sender einer Nachricht

 

teilt dem Empfänger Sachinformationen mit.

 

(2)

 

Der Sender einer Nachricht

 

drückt dem Empfänger aus, was er von ihm hält und wie er zu ihm steht.

 

(3)

 

Der Sender einer Nachricht

 

stellt sich dem Empfänger selbst dar.

 

(4)

 

Der Sender einer Nachricht

 

nimmt Einfluss auf den Empfänger im Denken, Fühlen und Handeln.

 

(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.44).

 

                                                                                                                       

Im Zusammenhang mit den vier Aspekten einer Nachricht geht beim Sender eine Vorstellung über die Reaktion des Empfängers, die Vorstellung wie der Kommunikationspartner reagieren soll, mit einher.

 

 

(zu B)

Empfänger

 

(1)

 

Der Empfänger einer Nachricht

 

versucht die Sachinformationen des Senders zu verstehen.

 

(2)

 

Der Empfänger einer Nachricht

 

zeigt Betroffenheit durch die Botschaft des Beziehungsaspekts und fühlt sich in einer speziellen Art behandelt.

 

(3)

 

Der Empfänger einer Nachricht

 

reagiert auf den Sender, indem er versucht, die Darstellung des Senders personaldiagnostisch zu charakterisieren (Was ist das für einer? Was ist mit ihm los?).

 

(4)

 

Der Empfänger einer Nachricht

 

wertet den Appell aus (Was sollte ich jetzt am besten tun? Wo will er mich hinhaben?).

 

(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.44).

 

 

Die vier Aspekte einer Nachricht des Senders sind als gleichrangig anzusehen, wobei bei jeder Nachricht einzelne Aspekte in den Vordergrund bzw. in den Hintergrund rücken können. Deshalb kann der Empfänger unterschiedlich auf ein und die selbe Nachricht reagieren, da er prinzipiell die freie Auswahl der Seiten hat, mit der er auf die Nachricht reagieren will (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.16 u. 45).   

 

 

3.1.3.3 Kongruenz (Authentizität)

Die weiter oben beschriebene freie Auswahl des Empfängers auf die vier gesendeten Aspekte einer Nachricht kann zu Kommunikationsstörungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern führen. Dieses geschieht, wenn der Empfänger auf einen Aspekt der Nachricht Bezug nimmt, auf die der Sender das Gewicht nicht legen wollte, d.h. der Empfänger verstärkt auf einem bestimmten Ohr, anstatt mit vier Ohren, zuhört (keine Vierohrigkeit) (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.46), oder anders ausgedrückt, die mitvermittelte Absicht der Nachricht des Senders durch den Empfänger anders gedeutet wird (Vgl. Reich, Heike, In: Reich, Kersten, 2005, S.33-34). Eine mit der Absicht nicht konform gehende Deutung ergibt sich hierbei oft durch widersprüchlich gesendete Botschaften (mit gesendete Information auf der Beziehungsebene), die sich durch Inkongruenz zwischen verbaler und nonverbaler Ausdrucksweise ergeben (inkongruente Kommunikation) (Vgl. Reich, Heike, In: Reich, Kersten, 2005, S.37). Bezogen auf die Methode des Geschichtenerzählens kommt es zur inkongruenten Kommunikation, wenn beim Geschichtenerzählen einzelne Aspekte in den Vordergrund bzw. in den Hintergrund rücken, oder, sofern es sich um eine Botschaft handelt, diese falsch interpretiert und damit nicht verstanden wird. Dieses geschieht z.B. wenn Geschichten vom Erzähler nicht gut gebaut sind, der Erzähler das Ziel mit der Botschaft verfehlt oder unbewusst falsche bzw. widersprüchliche Botschaften vermittelt.

 

 

Nach CARL ROGERS ist die Kongruenz die Übereinstimmung zwischen drei Bereichen der Persönlichkeit:

 

 

 

Bezogen auf den Erzähler einer Geschichte

 

Dem inneren Erleben

 

Was der Erzähler fühlt u. was sich in dem Erzähler regt.

 

Dem Bewusstsein

 

Was der Erzähler für sich davon bewusst mitbekommt.

          

Der Kommunikation

 

Was der Erzähler davon mitteilt bzw. nach außen hin sichtbar werden lässt.

 

(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.115 u. 117)

 

 

Je kongruenter bzw. je authentischer der Erzähler einer Erzählung ist bzw. dem Zuhörer erscheint, desto klarer und eindeutiger ist die Nachricht der Geschichte. „Sei du selbst, gib dich nach außen hin so, wie dir innerlich zumute ist. Und als Voraussetzung dafür: Versuche dir selbst klar zu werden, wie dir innerlich zumute ist (offenbare dich dir selbst, erkenne dich selbst)!“ (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.116-117). Gibt sich der Erzähler nicht offen, fühlt sich der Zuhörer verunsichert und misstraut ihm. Der Zuhörer denkt über das Problem der >>Inkongruenz<< nach, ist abgelenkt und kann sich nicht voll und ganz auf die Sache konzentrieren. Im umgekehrten Sinne meint dieses, dass je mehr der Zuhörer zuhört, desto mehr sich der Erzähler verstanden fühlt und dem Zuhörer darüber eine positive Wertschätzung auf der Beziehungsseite entgegen bringt. Dieses wiederum registriert der Zuhörer, und fühlt sich vom Erzähler akzeptiert (Symmetrische Beziehung), um daraufhin selbst kongruent zu kommunizieren (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.117).

 

Um dem Missverständnis, wonach unter Authentizität verstanden wird, >>immer alles, was in einem ist, herauszulassen, und es im Anschluss das Problem des Empfängers sein zu lassen, und dieser zusehen muss, was er damit anfängt<< vorzubeugen, spricht RUTH COHN von der selektiven Authentizität (ausgewählte Stimmigkeit), die im Gegensatz zur maximalen Authentizität, welche sich durch totale bzw. absolute Offenheit kennzeichnet, als optimale Authentizität „das, was sich an persönlicher Erfahrung im Inneren ereignet, mit optimaler innerer Ehrlichkeit und kommunikativer Klarheit - also authentisch - dem Partner mitzuteilen.“, bezeichnet wird (aus einem Interview mit Ruth Cohn, 1979, In: Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.120-121). Für RUTH COHN sind für die Authentizität zwei Merkmale entscheidend. Zum einen soll sich der Sender über die eigenen Gefühle, der eigenen Motivation und den eigenen Gedanken klar werden, um zum anderen das klar auszusprechen, was gesagt werden soll, so, dass es beim Empfänger ankommt. Hierbei soll sich der Sender gleichzeitig vorstellen, wie das, was in dem Sender selbst (in einem selbst) vorgeht, vom Empfänger gehört wird (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.120). „Nicht alles, was echt ist, will ich sagen, doch was ich sage, soll echt sein.“ (Vgl. Ruth Cohn, 1979 In: Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.120)

 

 

Stimmigkeit bedeutet für FRIEDEMANN SCHULZ VON THUN, nach RUTH COHNS Beschreibung der selektiven Authentizität, die Übereinstimmung mit der Wahrheit der Gesamtsituation, welche sich aus…

 

 

 

Bezogen auf die Methode des Geschichtenerzählens

 

…der inneren Verfassung,

 

Sind die Erzählung und die Art der Erzählweise authentisch?

 

der Zielsetzung,         

 

Passen die Geschichte, der Bau der Geschichte und die in der Geschichte enthaltende Botschaft, um das Ziel zu erreichen?

 

dem Charakter der Beziehung,

 

Herrscht gemeinsames Interesse? Ist die Beziehung zwischen der Lehrperson und den Lernern bzw. unter den Lernern selbst symmetrisch (demokratisch) angelegt?

 

der inneren Verfassung des Empfängers u.

 

Wie kann bei den Zuhörern Interesse geweckt werden? Wie werden die Zuhörer die Geschichte wahrnehmen?

 

der Forderungen der Lage,  zusammensetzt.

 

 

 

 

Wie kann über die Geschichte verbunden mit der Art der Geschichte und der Erzählweise eine symmetrische Beziehung aufgebaut werden? Wie geht man mit dem Ergebnis heute und in Zukunft um?

 

(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.121).

 

 

3.1.3.4 Kommunikative Störungen

Kommunikative Störungen haben zur Folge, dass Beobachterperspektiven über das Nachfragen häufiger geklärt und gegeneinander abgeglichen werden müssen. Um Missverständnisse zwischen der Absicht des Senders und ihrer Deutung durch den Empfänger in der Kommunikation zu bemerken und aus den Weg zu räumen, bedarf es der bewussten Rückmeldung. Eine bewusste Rückmeldung meint die Mitteilung vom Empfänger (wird zum Sender) an den Sender (wird zum Empfänger) über sein Empfinden der vorangegangenen Mitteilung, d.h. wie der Empfänger das Verhalten visuell und auditiv wahrgenommen, das Wahrgenommene interpretiert bzw. gedeutet und sich in der Situation in Bezug auf seine Emotionen gefühlt hat. Im Weiteren, dass die hinter der Äußerung liegende innere Botschaft des Senders aufgespürt, und neben der personaldiagnostischen Haltung (Was ist das für einer?) ein größeres Verständnis für die Nachricht des Senders erlangt wird. Damit wird aus der eher personaldiagnostischen Haltung eine zusätzlich wohlwollend einfühlende (Empathie) und damit wertschätzende (Akzeptanz) Haltung gegenüber der Nachricht des Senders, und des Senders selbst, eingenommen. Über bewusste Rückmeldungen können entsprechend Missverständnisse vermieden, Klarheit über die Inhalts- und Beziehungsebene verschafft und dem ursprünglichen Sender gleichzeitig Wertschätzung durch Signalisieren wirklichen Zuhörens entgegengebracht, werden (Vgl. Reich, Heike, In: Reich, Kersten, 2005, S.42-43). Das aktive (wirkliche) Zuhören ist nach ROGERS für Gesprächstherapeuten und nach GORDON für Erzieher eine wichtige Kommunikationsfähigkeit (Vgl. Rogers, in Tausch, 1979, u.  Gordon, 1972, In: Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.57). Hierbei steht primär die Selbstoffenbarungsseite der vier Seiten einer Nachricht beim Erzählen im Vordergrund, in dem Bemühen, sich in die Gefühls- und Gedankenwelt des Senders (Erzählers) einzufühlen und dessen Inhalte (Selbstoffenbarungsanteile) einfühlend zu entdecken und gleichsam zurück zu übersetzen, so dass der Sender (Erzähler) mehr zu sich selbst kommt und verleitet wird, (weiter) zu erzählen (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.57-58). Empfindungen sollten daher durch bewusste Rückmeldungen immer überprüft werden. Hierbei sollten Rückmeldungen nach GORDON immer einen hohen Selbstkundgabeanteil in Form von Ich-Botschaften enthalten, indem sich der Rückmelder in seinem Befinden selbst beschreibt und sich nicht auf den Anderen bezieht. Hierbei wiederum spielt die Selbstwahrnehmung eine relevante Rolle, um eigene Gefühle überhaupt mitteilen zu können (Vgl. Reich, Heike, In: Reich, Kersten, 2005, S.44). 

 

 

3.1.3.5 Grundkonzept mündlicher Kommunikation

Als Grundkonzept der mündlichen Kommunikation gilt das Gespräch, welches nach GEISSNER als ein in symmetrischer Kommunikation, als >>offener Prozess des Antwortens und Fragens<<, mit vertauschten Rollen, verstanden werden muss (Vgl. Geißner, 1979, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.11). Da es unmöglich scheint, sich nur über Gesprächsprozesse zu artikulieren, ist der Mensch gezwungen, sich der als asymmetrische Kommunikationsform bezeichnete Rede anzunehmen. Nach BARTSCH jedoch unterliegt auch die asymmetrische Rede dem dialogischen Prinzip (Vgl. Bartsch, 1979, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.12). Entsprechend kann das Grundmuster des Gesprächs (Fragen und Antworten) als Orientierung beim Aufbau einer Rede (Erzählung) hilfreich sein. Nach Geißner: „Denn wenn auch für die Rede das Ziel gilt, 'mentale oder reale Handlungen auszulösen', dann gibt es keine andere Möglichkeit, als so zu reden, dass die Hörer mitdenken können und - wenn sie die vorgeschlagenen, argumentativ begründeten oder plausibel erläuterten Handlungsziele akzeptieren - mithandeln. Dies fordert vom Redner […] angemessen an die steuernden Faktoren der jeweiligen Situation, vor allem an die Verstehensfähigkeit der Zuhörer, eine sprachliche und sprecherische Ausdrucksweise, die den Hörer zum Mitdenken einlädt und zum Mithandeln freilässt.“ (Vgl. Geißner, 1979, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.12)

 

 

3.1.3.6 Grundkonzept mündlicher Erzählung

Anders, als z.B. über ein Gespräch um Erklärung zu bitten oder in einem Gespräch seiner Meinung Gehör zu verschaffen, muss sich der Erzähler einer Geschichte an bestimmte und sich gegenüber dem Gespräch unterscheidbare Ausdrucksweisen bedienen. Im Gegensatz zum Gespräch, in der jeder Beteiligte die Rolle des Teilnehmers verkörpert, befindet sich der Erzähler einer Geschichte im Modus des betrachtenden Sprechens (Vgl. Britton, 1979, In: Merkel, Johannes, 2000, S.68/69). Kenntlich bietet jede Geschichte ein eigenständiges und zusammenhängendes Gebilde (Handlungsfolge), welches auf Grund dieses Umstandes, losgelöst vom Gespräch, den Erzähler auffordert, sich aus dem gegebenen Handlungskontext zu lösen. Über den vom Gespräch gelösten Kontext müssen, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer von der sinnlich wahrnehmenden Situation in den Wirkungsbereich der Geschichte zu überführen, Handlungen und ihre zugehörigen Situationen in der Vorstellung nachgebildet bzw. nachgestellt werden. Dabei muss der Erzähler die Geschichte, explizit über die Modulation der Stimme und der körpersprachlichen Untermalung in Gestik und Mimik, ausgestalten und nach einem vorgegebenen Muster typischer Erzählhandlungen wiedergeben. Hierbei geht, laut Untersuchungen, die gestische und spielerische Darstellung über den sprachbegleitenden nonverbalen Ausdruck eines Alltagsgesprächs hinaus. Hierbei kennzeichnet der Modus des betrachtenden Sprechens im Weiteren den Tempusgebrauch, um deutlich zu machen, dass sich das Folgende im Raum der Erzählung und nicht im Hier und Jetzt, der unmittelbaren Gegenwart abspielt, und den Ein- und Ausstieg der Erzählung, und damit den Erzählbeitrag selbst (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap02/kap04/kap06 u. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).

 

Aus dieser knappen Schilderung geht hervor, dass auch beim Erzählen von Geschichten, wie bei der Rede, die asymmetrische Kommunikationsform, gekennzeichnet durch einen längeren Erzählbeitrag, angenommen werden muss. Jedoch unterliegt auch das Erzählen von Geschichten dem dialogischen Prinzip. „Storytelling ist immer und von Anfang an eine dialogische Methode. Im Wechselspiel zwischen Erzählen und Zuhören, zwischen Weitererzählen und Mitdenken, zwischen Deuten und Weiterdenken der Geschichten und ihrer Botschaften entstehen Energien und neues Wissen, Verständnis und Gespräche […].“ (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.76). „Erzählen ist ein fortgesetzter Austauschprozess. Wer eine Geschichte erzählt, löst damit in aller Regel das Erzählen anderer aus […], und damit ist Storytelling der Gegenpol zur Einweg-Kommunikation. Wer erzählt, spricht damit gleichsam immer auch eine Einladung aus, sich zu beteiligen und mitzuerzählen, in den Austausch einzusteigen.“ (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.5)

 

Als die natürliche Urform des Erzählens gilt das >>konversationelle Erzählen<<, ein in  alltägliche Unterhaltungen eingebettetes Erzählen, welches für alle Beteiligten durch einen gleichen Zugang zum Rederecht und einem gleichberechtigten freien Äußern charakterisiert ist (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.94). Sowie sich Sprechintervalle in Dialogen über Verständigungssignale (z.B. durch Ansprechen, Fragen stellen, Einlegen kurzer Pausen) regeln, müssen geplante Erzählbeiträge vom Erzähler angekündigt (Das erinnert mich an was, nämlich…) und im Folgenden die Bereitschaft der potenziellen Zuhörer abgewartet werden. Diese signalisieren entsprechend die Bereitschaft oder das Desinteresse an dieser Erzählung. Entsprechend wird über die Ankündigung, eine Geschichte erzählen zu wollen, immer erst das Wort abgegeben, um es ggf. im Sinne einer Aufforderung zum Erzählen zurück zu bekommen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.94-95).

 

Während des Erzählens von Geschichten muss der Erzähler Rücksicht auf die Zuhörer nehmen und sich zwischenzeitlich von den Zuhörern das Interesse, mit der Erzählung fortzufahren, durch Aufforderung bestätigen lassen. Damit läuft das Erzählen zwischen Erzähler und Zuhörer unter dem dialogischen Prinzip, unter ständiger Abstimmung und Rückkopplung, weiter (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.96). Neben der gerichteten Aufmerksamkeit auf die Zuhörer, muss sich der Erzähler ebenso auf die Entfaltung der Handlungen und Ereignisse der Geschichte konzentrieren. Hierbei verschiebt sich in dramatischen Momenten zwischenzeitlich die Aufmerksamkeit, d.h. auf die Fokussierung des Inhalts und der Wiedergabe der Geschichte. Entsprechend befinden sich sowohl der Erzähler als auch die Zuhörer zum einen in der gelebten Gegenwart der Erzählsituation, in der der Erzähler auf die Reaktionen der Zuhörer eingeht, als auch im Geschehen der Geschichte selbst, in der der Erzähler versucht mit seiner Darstellung zu beeindrucken, zu unterhalten oder zu überzeugen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.93).  

 

 

3.1.3.7 Modell kommunikativer Dimensionen von Geschichten

Das leicht veränderte Modell der kommunikativen Dimensionen von Geschichten nach KAROLINA FRENTZEL u.a. ist angeregt durch das Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation nach FRIEDEMANN SCHULZ VON THUN. In dieser Darstellung verkörpern…

 

 

der Erzähler

die Funktion

des Senders

 

 

der Zuhörer

die Funktion

des Empfängers

 

 

die Geschichte

die Funktion

der Nachricht

 

 

Modell kommunikativer Dimensionen von Geschichten

(Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, Abb.2, S.29)

 

 

In der Methode des Geschichtenerzählens wird die Appellseite einer Geschichte gegenüber den anderen drei Seiten einer Nachricht weniger berücksichtigt bzw. sollte darauf geachtet werden, dass keine Appelle in einer Geschichte enthalten sind. An Stelle des Appells rückt der Raum für kreatives Denken in Planung und Mitdenken zur Problembeseitigung (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.28). Der Appell im Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation wird somit, im Modell der kommunikativen Dimension von Geschichten, zum Appell der Einladung eines Gedankenaustauschs.

 

 

(zu Aspekt 1.1)

Sachinhalt

Mit Geschichten lassen sich Sachinformationen umfangreich schildern. Mit Geschichten kann Komplexität geschaffen oder reduziert werden. Handlungen und Informationen werden in einen Kontext eingebettet, wodurch die Verknüpfungen der einzelnen Elemente sichtbar werden (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.27).

 

 

(zu Aspekt 2.1)

Beziehung

Wer Informationen durch das Erzählen einer Geschichte preisgibt oder persönliches offenbart, signalisiert damit Vertrauen und macht dem Zuhörer ein Beziehungsangebot. Unter der Annahme, dass jeder Wissender und Unwissender zugleich ist, wird mit einer Erzählung eine Einladung zum miteinander Nachdenken und um Erfahrungen auszutauschen signalisiert. Durch das symmetrische Beziehungsangebot, wodurch sich der Erzähler und der Zuhörer gegenüber das gleiche Verhalten zeigen, sich gegenseitig kritisieren oder beide Seiten Vorschläge machen und Ratschläge geben, können (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.181), rücken in der Methode des Geschichtenerzählens hierarchische Beziehungsdimensionen in den Hintergrund, sodass eine Kommunikation auf Augenhöhe stattfindet (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.27-28).

 

 

(zu Aspekt 3.1)

Selbstoffenbarung

Geschichten schaffen auf zwei Ebenen Unmittelbarkeit. Die erste Ebene kennzeichnet die Wahl mit einer Geschichte zu arbeiten bzw. mit einer Geschichte als Kommunikationsform zu arbeiten. Die zweite Ebene kennzeichnet die Wahl der Geschichte selbst und ihre Art der Erzählung. Spezifischer betrachtet und bezogen auf die zweite Ebene der Unmittelbarkeit, haben Ich-Erzählungen einen sehr großen Offenbarungswert, da sie von eigenen Erfahrungen berichten (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.29). Hierbei offenbaren erzählte Geschichten, explizit die spontan erzählten Geschichten junger Lerner, die Identität, das Bewusstsein, die Wünsche, Hoffnungen und Ängste wie auch die Ideen und Erfahrungen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.7). Der Erzähler offenbart, was er weiß und was er nicht weiß, was er fühlt und was er nicht fühlt oder ob er den sozialen Code beherrscht und wie er Sachverhalte/Inhalte bewertet (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.25 u. 27). In anderer Weise, unabhängig von einer Ich-Erzählung, exponiert sich der Erzähler durch eine körpernahe Sprache in Gestik und Mimik (darüber hinaus in Modulation der Stimme) und teilt über diese Darstellung (Erzählweise) immer etwas über sich selber mit (Vgl. Merkel, Johannes / Nagel, Michael, 1982, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/vorschulkinder.html).

 

 

(zu Aspekt 4.1)

Appell

Die Appellseite einer Nachricht ist in der Methode des Geschichtenerzählens nicht gleichrangig zu den anderen drei Seiten einer Nachricht zu sehen. Das heißt, Geschichten sollten keine Appelle im Sinne von Handlungsanweisungen, Befehlen, unmittelbaren Aufforderungen oder die Aufforderung, bestimmte Schlüsse und Konsequenzen aus der Geschichte zu ziehen, enthalten (es sei denn, es versteckt sich eine besondere Botschaft in Form einer Fabel oder didaktischen Erzählung hinter der Geschichte), sondern an Stelle dessen den Raum für kreatives Denken in Planung, Mitdenken in der Problembeseitigung und Reflektion öffnen und bereitstellen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.28).

 

 

(zu A.1)

Erzähler

 

(1.1)

 

Der Erzähler einer Geschichte

 

teilt dem Zuhörer Sachinformationen in narrativer Form mit.

 

(2.1)

 

Der Erzähler einer Geschichte

 

Offenbart Informationen und signalisiert damit Vertrauen. Der Erzähler macht dem Zuhörer damit ein Beziehungsangebot und drückt dem Zuhörer aus, was er von ihm hält und wie er zu ihm steht (Symmetrisches Beziehungsangebot).

 

(3.1)

 

Der Erzähler einer Geschichte

 

stellt sich dem Zuhörer durch die Wahl einer Geschichte als Kommunikationsform, durch die Art der Geschichte und durch die Art der Erzählweise, selbst dar.

 

(4.1)

 

Der Erzähler einer Geschichte

 

lädt den Zuhörer zum Mitdenken ein. Darüber hinaus, in anderen Varianten des Geschichtenerzählens, zum Mitagieren und Miterzählen, zum selbst gestalten und selbst Erzählen.

 

 

Im Zusammenhang mit den vier Aspekten einer Nachricht geht beim Erzähler eine Vorstellung über die Reaktion des Zuhörers, die Vorstellung, wie der Kommunikationspartner reagieren soll, mit einher. Zieldefiniert vorgetragene Geschichten sollten vom Erzähler entsprechend in ihren Details und die Art des Erzählens geplant und eingeübt, und die Geschichte so aufgebaut werden, dass sie die Zuhörer gedanklich einnimmt, indem der Erzähler die Zuhörer von vorn herein mit in die Geschichte einschließt. Während des Erzählens von Geschichten muss der Erzähler Rücksicht auf die Signale der Zuhörer nehmen und sich zwischenzeitlich von den Zuhörern das Interesse, mit der Erzählung fortzufahren, durch Aufforderung bestätigen lassen, sowie bei z.B. hörerorientierten Geschichten, den Inhalt und den Verlauf der Geschichte anhand der unmittelbaren Rückkopplung organisieren.

 

 

(zu B.1)

Zuhörer

 

(1.1)

 

Der Zuhörer der Geschichte

 

versucht die Geschichte (Die Sachinformation) zu verstehen. Der Zuhörer fragt sich, warum eine Geschichte erzählt wird? u. wieso jetzt, zu diesem Zeitpunkt?

 

(2.1)

 

Der Zuhörer der Geschichte

 

zeigt Betroffenheit durch die Botschaft des Beziehungsaspekts und fühlt sich in einer speziellen Art behandelt (Symmetrisches Beziehungsangebot).

 

(3.1)

 

Der Zuhörer der Geschichte

 

reagiert auf den Erzähler, indem er versucht die Darstellung des Erzählers personaldiagnostisch zu charakterisieren (Was ist das für einer? Was ist mit ihm los?) oder sich der Erzählung eines Problems offenbar zu werden (Wo ist das Problem?). Hierbei muss der Zuhörer dem Erzähler während der Geschichte signalisieren fortzufahren.

 

(4.1)

 

Der Zuhörer der Geschichte

 

nutzt seinen Verstand, seine Phantasie, Gefühle, Vorerfahrung und Weltsicht, um an der Lösung mitzuwirken oder interpretiert die Botschaften, die in einer Geschichte enthalten sind, nach individuellem Hintergrundwissen. 

 

 

Der Zuhörer muss dem Erzähler erkenntliche Signale seiner Aufmerksamkeit senden, dass heißt z.B. spontane Erzählungen junger Lerner ggf. durch interessiertes Nachfragen oder unterstützenden Bemerkungen bzw. Anregungen zum Fortschreiten animieren, um die Lerner in der Situation des eigenen Erzählens verweilen zu lassen.

 

 

3.1.4 Mündliches Erzählen und Zuhören

 

 

3.1.4.1 Erzählentwicklung

Kinder übernehmen ihre Muttersprache im lebendigen Umgang mit ihren Bezugspersonen in Form bzw. im Rahmen von Gesprächen. Der teilnehmende Sprachgebrauch bezieht sich dabei auf das gemeinsame Handeln, der dialogische Austausch erfolgt dabei immer unmittelbar und vollzieht sich in kurzen Dialogbeiträgen. Im betrachtenden Sprachgebrauch (bereits im Rollenspiel, aufbauend in Erzählungen) hingegen müssen Handlungen (die nie im Hier und Jetzt stattfinden) sprachlich nachgestellt werden, wobei es sich dabei um längere und zudem in sich geschlossene sprachliche Äußerungen handelt. Hierbei geht es immer auch um das Textverstehen beim Hören von längeren in sich geschlossenen Geschichten (Texten) (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).

 

Kinder erwerben die Wortsprache über die körpersprachlichen und lautlichen Äußerungsformen (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.25). Sie lernen ein Verlangen mit einer Geste, verstärkt durch einen auffordernden Laut, mitzuteilen, bevor sie sich sprachlich ausdrücken können. Kinder wenden in dieser Entwicklungsphase, um einen Gegenstand zu erreichen, gestische Ausdrucksmittel (verstärkt durch einen Laut) an, woraufhin die Bezugsperson den Gegenstand beim Überreichen mit Lautgebilden verbindet. Über die Nachahmung sich wiederholender Lautgebilden, d.h. eine immer wieder von der Bezugsperson mit den gleichen Worten versehenden Handlung, werden diese Worte (Begrifflichkeiten) von Kindern in Benutzung der Hinweisgebärde verwendet und standardisiert. Nach und nach erwerben die Kinder dabei einen ausgeprägten instrumentellen bzw. operativen Sprachgebrauch, indem gestische Hinweisgebärden nach und nach in den Hintergrund rücken, und die Kinder begreifen, ihr Verlangen allein über Wortsprache (in Begleitung illustrierender Gesten) ausführen zu können (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.66-67).

 

Frühe Formen des erzählenden Sprechens finden sich bei Kindern in ihren Selbstgesprächen vor dem Einschlafen. Hierbei verleiten Laut- und Sprachspiele die Kinder zu einem Monolog, indem die Kinder, angetrieben und ausgerichtet am Sprachklang, aneinander gereihte Laute, einzelne Wörter und Redewendungen durch eigene Wiedergabe einverleiben. Das an dem Sprachklang ausgerichtete erzählende Sprechen verhilft den Kindern hierbei, längere monologische Äußerungen durchzuhalten (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.104). Hierbei fließen neben den reinen Laut- und Wortäußerungen nach und nach erinnerte und imaginierte Handlungen ein. Die Sprachäußerungen beginnen sich um Erinnerungen und Vorstellungen herum zu gruppieren, womit sich die Sprachäußerungen zu erkennbareren Aussagen zusammenfügen und das fortwährende erzählende Sprechen nicht mehr allein auf den Sprachklang angewiesen ist. Vielmehr werden in der weiteren Entwicklung über Sprachklänge Vorstellungen hervorgerufen, die wiederum nach einem sprachlichen Ausdruck drängen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.70-71).  Je mehr die Faszination des Kindes am Laut ihren Reiz verliert, setzen sich Bilder innerer Vorstellungen in den Vordergrund, d.h. dass das kindliche Erzählen eher vom sinnlichen Eindruck angeregt wird. Einhergehend beginnen sich Handlungen im erzählerischen Sprechen immer mehr aufeinander zu beziehen, wobei sich geäußerte Zusammenhänge zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung eher zufällig bilden, und eine erst zum späteren Zeitpunkt der Entwicklung vorgestellte Handlungsabfolge das Erzählen steuern wird (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.80-81 u. 104). Die Steigerung einer einheitlichen und aufeinander aufbauenden Handlungsfolge wird hierbei über die Übung, phantastische Einschübe auf die Alltagshandlungen zu beziehen und diese über den Versuch einer Verknüpfung einzugliedern, erlernt. Vorerst bilden sich Geschichten während dieser Entwicklungsphase im Akt des Erzählens selbst (ausgerichtet an Klangfaszination und inneren Bildern) (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.86).

 

Drei Themenbezüge, die den Erfahrungsbereich des Erlebens eines Kindes entsprechen, können nach MERKEL für das anfängliche erzählerische Sprechen ausgemacht werden. Zum einen sind es die Erinnerungen an den geregelten Umgang mit Personen und Gegenständen des Umfelds (alltägliche Handlungssequenzen und Alltagsverrichtungen), die durch Versprachlichung bewusst gemacht werden. Im Weiteren Erinnerungen an Ereignisse die vom geregelten Ablauf abweichen und ins Gedächtnis gerufen werden (neue Erfahrungen), und zudem Phantasievorstellungen, d.h. die Beschäftigung mit phantastischen und fiktionalen Gestalten, die keine direkte Vorlage zur Lebenswelt liefern (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.72 u. 82). Entsprechend werden erzählbare Geschichten gebildet. Dies geschieht zum einen über das Nachvollziehen bzw. Nachzeichnen von Erlebnissen und zum anderen über das Ausphantasieren erdachter Handlungen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.105). Hierbei wird im Erzählen zwischen den drei Elementen, zweidimensional gedacht zwischen den Phantasievorstellungen der eigenen inneren Welt und den Erfahrungen einer äußerlichen konventionellen Welt, hin und her gesprungen bzw. phantastische Einschübe mit Alltagserfahrungen vermengt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.83 u. 89). Unpassende und Zusammenhangslose Äußerungen entstehen hierbei laut MERKEL durch die spontane Versprachlichung der inneren Bewusstseinstätigkeit. Hierbei werden, unbeeinflusst von allen Strukturregeln, Bilder der inneren Wahrnehmung in eine sprachliche und kommunikative Form verwandelt und unkontrolliert wiedergegeben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.86 u. 205). Nach APPLEBEE nehmen kindliche Monologe im weiteren Verlauf der Entwicklung die Form eines sozialen Austauschs an, indem kindliche Selbstgespräche in ihrer imaginären Welt an fiktive Zuhörer gerichtet werden (Vgl. Applebee, 1978, In: Merkel, Johannes, 2000, S.74). Hierbei bilden sich Schwerpunkte, an die sich die Aussagen, weiterhin mit Wortassoziationen ohne Handlungslogik vermischt, anlagern und sich zu einem anfänglichen Handlungsstrang ergänzen. Bilden sich Schwerpunkte heraus, an denen sich Handlungen lose herumgruppieren, sich nur lose aufeinander beziehen und in Begleitung von Laut- und Wortassoziationen ohne Handlungslogik zu einem ungefähren Handlungsstrang ergänzen, handelt es sich nicht um ausgeführte Erzählungen, gleichwohl um eine nach BRITTON beschriebene >>verarbeitende<< Form der Sprachverwendung (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.75), welches nach APPLEBEE einen >>betrachtenden<< Sprachgebrauch darstellt und von daher nach MERKEL (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.88) als Erzählungen gehandhabt werden muss. Hierüber lässt sich Vermuten, dass die Fähigkeit des betrachtenden Sprechens einem frühen Alter einzuordnen ist und sich das >>betrachtende<< Sprechen vermutlich schon vor dem >>teilnehmenden<< Sprechen ausbildet (Vgl. Applebee, 1978, In: Merkel, Johannes, 2000, S.75).

 

Erzählende Passagen kindlicher Selbstgespräche dienen dabei der sprachlichen Selbstfindung, und werden durch die Fähigkeit, Handlungen in erzählender Rede wiederzugeben, ermöglicht. Nach STERN sind Kinder über den narrativen Sprachgebrauch dazu gezwungen, ihre subjektive Perspektive, d.h., wer sie sind und wie sie es im Verhältnis zu den anderen sind, neu zu bestimmen (Vgl. Stern, 1989, In: Merkel, Johannes, 2000, S.76-77). Ein an die Person selbstgerichtetes erzählendes Formulieren bzw. Ausformulieren innerer Vorstellungen (psychische Eigenwelt) dient dabei der Selbstvergewisserung und um die eigene Person in einer gewünschten Perspektive darzustellen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.77-78). Hierbei werden innere Vorstellungen über das Erzählen nicht nur in eine mittelbare Form gebracht, sondern versucht, der individuell erfahrenden Innenwelt einen in der von verbindlichen Normen dominierenden Außenwelt gütigen Ausdruck zu verleihen, in der sozialen Welt zu integrieren und ihr Anerkennung zu verschaffen. Grenzziehungen zwischen Innen- und Außenwahrnehmung werden hierüber gezogen und eher akzeptiert (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.148-149).

 

 

3.1.4.2 Gestik und Mimik (unter Berücksichtigung ihrer Entwicklung)          

Das Greifverhalten des Kindes verändert sich im achten Monat von einem instrumentellen Greifen hin zu einer Hinweisgebärde. Das Greifverhalten wird hierbei weniger dringlich, während Kinder sich in dieser Phase der Entwicklung zu einem Gegenstand ausstrecken, nehmen sie Blickkontakt zu ihrer Bezugsperson auf (Vgl. Bruner, 1977, In: Merkel, Johannes, 2000, S.66). Illustrierende Gesten ergänzen in der weiteren Entwicklung die zuvor erworbenen konventionellen Gesten des Greifens und Zeigens, und bauen auf diese auf. Das Kind beginnt durch eigene spielerische Gesten, bildliche Vorstellungen und Erinnerungen in körperliche Bewegungen zu übersetzen und zu illustrieren (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.70). Das Kind lernt, Bildinhalte kommunizierbar zu machen, ohne diese vollständig versprachlichen zu müssen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.183).

 

Neben dem Wortlaut sind der Sprechausdruck und die Körpersprache in der Rhetorik von hoher Bedeutung. Wortlaut, Sprechausdruck und Körpersprache wirken zusammen und machen den Sinn einer Äußerung deutlich, womit sie mitbestimmend für die Gesamtwirkung der Sprache sind (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.24). Mündliches Erzählen verläuft entsprechend audiovisuell (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.176), der erzählte Text als eins der Ausdrucksmittel steht wie jede andere mündliche Sprachäußerung in einem Kontext nonverbaler, akustischer und körperlicher Zeichen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.41), die über ihre Mitteilung weitere Botschaften vermitteln (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.161). Nach McNEILL unterscheiden sich vier Arten der Gestik. Diese teilen sich in deiktische Gesten, die auf einen bestimmten Ort bzw. Richtung verweisen (zeigen), ikonische Gesten, die über die bedeutungsvolle Beziehung zum Inhalt konkrete Handlungen nachstellen (z.B. eine Spiralbewegung mit dem Zeigefinger beim Sprechen über einen Wasserstrudel), Embleme, die auf Grund ihrer konventionalisierten bzw. sozial verbindlichen Bedeutung nicht spontan im Redefluss gebildet werden (z.B. Daumen nach oben = OK) und taktschlagende Gesten, wie rhythmische Auf- und Abbewegungen mit der Hand, die vermutlich den Sprachrhythmus dirigieren bzw. den Sprachfluss unterstreichen und zentrale Aussagen und Absätze markieren (Vgl. De Ruiter, 1998, nach D. McNeill, 1992, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.41 u. McNeill/Levy, 1982, In: Merkel, Johannes, 2000, S.162).

 

Hinsichtlich der einzunehmenden offenen Haltung, sieht LURIJA neben dem Aspekt, dem Zuhörer in einer offenen Haltung zugewandter zu sein, gerade die Möglichkeit, das Formulieren bzw. Erzählen durch Gestik und Mimik zu unterstützen (Vgl. Lurija, 1982, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.25) bzw. nach KAROLINA FRENZEL u.a. als Performanzen zur Verlebendigung der Geschichte zu nutzen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.174). Erzählen beschränkt sich nicht auf das bloße Sprechen bzw. auf den bloßen Wortlaut, sondern wird immer durch illustrierende Gesten und Spieleinlagen untermalt. Die Gestik ermöglicht es, sprachliche Informationen um bildliche und imaginative Informationen zu ergänzen, indem innere Vorstellungen in eine mittelbare Formsprache gesetzt werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.174). Neben der Gestik bilden hierbei die Mimik (Nuancen des Gesichtsausdrucks) und die Modulation der Stimme die Gefühle der Protagonisten ab, und machen die Inhalte der Erzählung so für die Zuhörer sichtbar und greifbar (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.158). Eine vom Erzähler offen zugewandte Haltung mit direktem Blickkontakt zu den Zuhörern ermöglicht den Zuhörern entsprechend, die mimisch und gestisch eingespielten Untermalungen der Lehrperson sichtbar und situativ sinnvoll (passend) aufzunehmen und ggf. zu kopieren, worüber das Erzählen und Zuhören über das begleitend ausdrucksvolle Ausagieren zu einem szenischen Spiel werden kann.

 

Nach CLAUS CLAUSSEN bedingen sich Erzählen, Zuhören und Mitmachen gegenseitig, wobei neben dem Erzählen und Zuhören, speziell das gestisch begleitende Ausagieren von Erzähltexten, das Erlernen und Behalten neuer Informationen, nachhaltig stützen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.40-42). Nach KENDON erhöht ein durch Gestik begleitendes Reden die Merkfähigkeit und die Gedächtnisleistung (Vgl. Kendon, 1983, In: Merkel, Johannes, 2000, S.163). Nach RISEBOROUGH werden beim Hörer durch begleitende Gestik visuelle Bilder erzeugt und hervorgerufen, womit die Vorstellungsfähigkeit erhöht und vermutlich eine verbesserte Gedächtnisleistung einhergeht (Vgl. Riseborough, 1981, In: Merkel, Johannes, 2000, S.163).

 

Nach DE RUITER beschränkt sich die gestische Ausdrucksweise nicht auf eine bloße Begleiterscheinung des Sprechens. Der gestische Ausdruck fügt der Äußerung nichts hinzu, sondern gestaltet den Sprechprozess mit, und erleichtert den Abruf von Konzepten aus dem Gedächtnis (Vgl. De Ruiter, 1998, In:  Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S. 40-41). Hierbei führt die Geste vor, wozu die Sprache im späteren Verlauf ansetzt (Vgl. McNeil, 1986, In: Merkel, Johannes, 2000, S.164-165). Nach MARITA PABST-WEINSCHENK belegen Beispiele von Redeübungen, dass bei geschlossener Haltung, in der die Gestik unterdrückt wird, vermehrt Sprech-Unflüssigkeiten auftreten (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.43).

 

 

3.1.4.3 Entwicklung und Funktion spontaner Rollenspiele (soziodramatisches Spiel)

So wie Geschichten es erlauben die gelebte Gegenwart durch das Präsentieren von Handlungen zu durchbrechen, durchbrechen Kinder, während ihres spontanen Rollenspiels (spielerische Darstellung bzw. Präsentation), ihre täglichen Erfahrungen, indem sie diese mit nachvollzogenen und ausgedachten Handlungsweisen vermengen, die über die Erfahrungen hinaus gehen (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap01). Hierbei wird mit dem Rollenspiel eine besondere Weise der Sprachverwendung ausgebildet, eine Sprachverwendung, die sich vom Handlungskontext zwischenmenschlichen Sprechens (Sender und Empfänger) trennt. Hierbei müssen im spontanen Rollenspiel Spielhandlungen und Rollen abgesprochen und diese im Weiteren stellvertretend (präsentierend) dargestellt und umgesetzt werden, um darüber hinaus, nach kurzen dargestellten Spielintervallen, zurück in das Gespräch zu gelangen, um weitere Absprachen zu treffen (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html). Das sprecherische Moment der Spielsituation, welches sich als getrennt vom Handlungskontext zwischenmenschlichen Sprechens darstellt, kann hierbei nach MERKEL, auf Grund der Parallelen zum Erzählen, als ein in Szene gesetztes Erzählen verstanden bzw. das spontane kindliche Erzählen als versprachtlichtes Rollenspiel aufgefasst werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.153).

 

 

1

 

Nach SACHS spielen Kinder anfänglich mit Fiktionen, ohne wirkliche Rollen und Handlungen. Kinder gebrauchen Gegenstände in symbolischer Bedeutung und koordinieren die gemeinten Handlungen sprachlich (kein soziodramatisches Spiel)  (Vgl. Sachs, 1984, In: Merkel, Johannes, 2000, S.155).

 

Ist die Fähigkeit symbolischen Spielens ausgebildet, können Erinnerungen und innere Vorstellungen von der sinnlich erfahrenen Gegenwart abgelöst und spielerisch-darstellerisch nachgebildet werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.155).

2

Hier folgt nach Sachs eine Übernahme von wechselseitigen Rollen (soziodramatisches Spiel), wobei das Spiel selbst zum größten Teil aus dem wechselnden Gebrauch von Gegenständen ohne zusammenhängende Erzählung besteht (Vgl. Sachs, 1984, In: Merkel, Johannes, 2000, S.155).

 

 

Werden Rollenmuster beherrscht, können Handlungssequenzen kombiniert werden. Das Überblicken komplementärer Rollen wird möglich (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.155).  

 

3

Im Weiteren wird nach SACHS das Spiel durch Absprachen gestützt, womit einhergehend ein reicherer Rahmen für die Spielfiktion entsteht. Dieser Rahmen beinhaltet einen höheren Anteil an Handlungselementen. Dennoch bleibt die Entwicklung einer zusammenhängenden Erzählung begrenzt. Das Fehlen gemeinsamer Kenntnisse und die Neigung, Handlungen eher den Spielgegenständen unterzuordnen anstatt sie miteinander in  Verbindung zu setzen, ist weiterhin sehr präsent (Vgl. Sachs, 1984, In: Merkel, Johannes, 2000, S.155-156).

 

Erzählende Elemente, Handlungen und Ereignisse (die die Erwartung des sozialen Umgangs durchbrechen) werden über die gegenseitige Abstimmung in das Spiel eingefügt. Eingebrachte Einfälle reichern die Spielhandlungen an, worüber sich die gemeinsamen Rollenspiele immer mehr zu Erzählungen entwickeln (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.155).

4

Nach RUBIN/WOLF löst sich das Kind im Weiteren von der unmittelbaren Gegenwart ab. Das heißt zusammengenommen, dass das Kind von der anfänglichen Welt pragmatischen Handelns über die zwischenzeitliche Welt des nachahmenden Handelns zur Welt des phantasierenden erzählerischen Handelns wechselt (Vgl. Rubin/Wolf, 1979, In: Merkel, Johannes, 2000, S.156).

 

Die sich steigernden aufeinander aufbauenden Handlungssequenzen weichen mehr und mehr von den Alltagshandlungen ab, wobei innere Vorstellungen und Regungen in das Spiel überführt werden. Aus dem Rollenspiel wird ein Phantasiespiel. Innere Vorstellungen können in die Außenwelt gebracht und über das Spiel erfahrbar und mitteilbar gemacht werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.156).

 

 

 

Ersteres Spielen kindlicher Entwicklung spiegelt sich im Zweckbefremden von Gegenständen wieder, indem diese >>symbolisch<< benutzt bzw. mit neuem Sinn bestückt, werden (Die Schüssel, die sich das Kind auf dem Kopf setzt, wird zum Helm…verkehrt herum auf dem Tisch gestellt, zum Berg). Diese einfachen Symbolsetzungen kennzeichnen dabei die sich entwickelnde Fähigkeit des Kindes, sich nach und nach von der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung zu lösen. Um im Rollenspiel Andere darzustellen (z.B. in körperlicher Bewegung), bedarf es einer wesentlich komplexeren Wahrnehmung als auch einer komplexeren Tätigkeit in der Darstellung bzw. Präsentation, und zudem, sich über einen längeren Zeitraum von der sinnlich erfahrenen Gegenwart lösen, und die verkörperte Rolle über einen längeren Zeitraum halten, zu können (Vgl. Merkel, Johannes / Nagel, Michael, 1982, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/vorschulkinder.html). Mit der Entwicklung eines wechselseitigen Rollenverständnisses müssen Spielfiktionen gemeinsam in Kooperation gefunden, ausgehandelt und eingebrachte Vorschläge in eine für alle befriedigende Vorstellung eingeführt, werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.127). Das heißt, dass sich im szenisch dargestellten Spiel die kommunikativen Abstimmungen in den Vordergrund schieben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.131), und sich Kinder hierbei >>spielend<< das hoch komplizierte soziale Kommunikationsspiel aneignen bzw. zu handhaben lernen. Dabei stellen sich die Kinder immer genauer auf die Erwartungen der Anderen ein, ohne dabei die eigenen Ansprüche aufzugeben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.139). Über die wechselseitige Abstimmung regen Erinnerungen des einen Kindes das Gedächtnis des anderen Kindes an, worüber erlebte Vorlagen durch verschiedene Blickwinkel gesehen, und Erinnerungen und Phantasien über die Auseinandersetzung in eine verständliche Form gebracht werden können (müssen) (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.120 u. 127). Hierbei werden Bedeutungen gemeinsam ausgehandelt, d.h. eigene Erfahrungen und Vorstellungen mit den Erfahrungen und Vorstellungen Anderer abgeglichen, und damit spezifische Muster angelegt, mit denen sich die spielenden Kinder sich selbst und ihre Umwelt wahrnehmen (Vgl. Merkel, Johannes, Beitrag in Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (Ersterscheinung), In: Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/wahrnehmung.html). Eingebrachte Phantasien erbringen hierbei ein bunteres und bewegteres Bild, machen die Spielfiktionen dadurch reichhaltiger und erlauben ein intensiveres Erleben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.127). Die Einbringung verschiedenster Phantasien, erlaubt es den Kindern hierbei, für einen längeren Zeitraum in der Spielfiktion (Vorstellungswelt) zu verweilen und das Rollenspiel aufrecht zu erhalten (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.132). Mit der Übernahme einer Rolle, die es zu verkörpern bzw. darzustellen gilt, wird versucht eine Sprache zu sprechen, d.h. einen angemessenen Sprachduktus zu schaffen, der die zu verkörpernde Rolle kennzeichnet und sich darüber gleichsam von der handelnden Sprechweise im Umgang mit anderen Kindern oder Bezugspersonen abgrenzt (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).   Darüber, das Kinder in ihren Rollenspielen immer wieder andere Personen darstellen, erfahren sie die Kontinuität ihrer eigenen Persönlichkeit (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.139). Nach SINGER und SINGER führt das spontane Rollenspiel hierbei zu einer differenzierten Selbstwahrnehmung, indem >>Phantasie-Ichs<< und zu verkörpernde Rollen angenommen werden, sich das Kind darüber immer mehr aus seiner Umgebung herauslöst und verschiedene Möglichkeiten wahrnimmt, die sonst von äußerlichen Situationen nicht gefordert werden. SINGER und SINGER vermuten hierbei, dass Kinder einen Sinn dafür entwickeln, was man selbst im Vergleich zu anderen möglichen Zuständen ist (Vgl. Singer/Singer, 1990, In: Merkel, Johannes, 2000, S.139). Über die hierdurch gewonnene Selbstwahrnehmung entsteht gleichsam eine genauere Wahrnehmung des Fremden, worüber Beziehungsfähigkeit entwickelt wird (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.139). Dabei klären Kinder über die Darstellung innerer Vorstellungen innerhalb einer Spielfiktion im Weiteren für sich den Unterschied zwischen der eigenen, individuell erfahrenen Innenwelt und der von verbindlichen Normen dominierten Außenwelt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.149). Hierbei kristallisieren sich Spielfiktionen heraus, die von der vorgefundenen sozialen Wirklichkeit (deutlich) abweichen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.131-132), weniger strukturiert sind und keinen eindeutigen Abschluss zu erkennen geben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.120).

 

 

3.1.4.4 In Szene gesetztes Erzählen (Rollenspiel) und Erzählen (Im engeren Sinn)

Versteht man kindliche Rollenspiele als ein in Szene gesetztes Erzählen, verschiebt sich in der Entwicklung des Kindes die Gewichtung wesentlicher Bestandteile bzw. Merkmale, die das in Szene gesetzte Erzählen vom Erzählen (im engeren Sinn) unterscheidet. Hierbei gewinnt die betrachtende Position des Erzählers gegenüber der agierenden Position des Mitspielers an wesentlicher Bedeutung (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.153). Das heißt, dass die sprachliche Darstellung gegenüber dem Spiel die Führung übernimmt und sich die ausgespielte Rolle auf die direkte Rede und gestisch-mimische Zeichen verkürzt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.217).

 

 

In Szene gesetztes Erzählen (Rollenspiel)

 

Erzählen

(Erzählen im engeren Sinn)

1

Spielort u. Spielfiguren werden von den Akteuren festgelegt.

 

Ort, Zeit und Helden werden vom Erzähler benannt.

2

Ein Ereignis setzt die Spielhandlung in Gang.

Ein Ereignis setzt die Handlung der Geschichte in Gang (Ereignis und Reaktion des Protagonisten).

 

3

Spielhandlungen können von Fall zu Fall unter Absprache geändert werden.

 

Der Erzähler ist eng am Strukturschema (Ordnungsschema von Erzählungen) gebunden.

4

Sprachliche und spielerische Darstellung der Rolle. Handelnde Figuren werden repräsentiert, Gegenstände und Requisiten in übertragender Bedeutung eingesetzt (symbolische Verwendung von Gegenständen).

 

Der Erzähler verlebendigt die Protagonisten durch Modulation der Stimme und illustriert über Gestik und Mimik wichtige Handlungen und Vorgänge (Direkte Rede und gestische Zeichen).

5

Das unmittelbare Vergnügen wird im Spiel ausgelebt (Bemerkungen über das eigene Spiel).

 

Das Unterhaltsame wird vom Erzähler reflektierend über Bewertungen der erzählten Handlungsweisen geliefert (Evaluierende Kommentare).

 

(Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.153-154).

 

 

Das in Szene gesetzte Erzählen (Rollenspiel) erlaubt den Spielern, sich jederzeit in das Gespräch zurück zu begeben, um die Handlungsfolge anders bzw. umzugestalten (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html), d.h. aus dem Rollenspiel herauszutreten, um über das Gespräch auf einer >>Metaebene<< die Spielhandlung und seine Fortführung auszuhandeln (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap04). Beim Erzählen im engeren Sinn hingegen muss ein abstraktes Handlungsschema mit festgelegten Szenen ausgefüllt, d.h. die im Rollenspiel getroffenen Absprachen zu einem sprachlichen Erzähltext ausgeweitet werden, damit die Erzählung von den Zuhörern als eine Erzählung verstanden wird (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html u. Beitrag in Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (Ersterscheinung), In: http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/wahrnehmung.html). Die spielerische Darstellung der Rolle bzw. die spielerische Repräsentation der Figuren wandelt sich an den entscheidenden Stellen der Handlung zur Verlebendigung der Protagonisten, d.h. zu einem kurzen Anspielen der handelnden Personen (Protagonisten). Der Erzähler verleiht den Protagonisten hierbei über die Modulation der Stimme und den gestisch und mimisch ausstaffierten Bewegungen eine jeweils typische Haltung und illustriert über Gestik und Mimik weitere wichtige Handlungen und Vorgänge (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap02).

 

 

3.1.5 Entwicklung und Funktion des Ordnungsschemas von Erzählungen (Erzählstruktur)

 

 

3.1.5.1 Entwicklung des Ordnungsschemas

Das kindliche Erzählen bleibt zu Beginn das Produkt des gelungenen Augenblicks, d.h. abhängig von der Situation in der sie erzählen. Die Situation bestimmt sich hierbei aus der Anregung phantastischer Einschübe, und wie darauf folgend diese Einschübe im Zusammenwirken mit der Bezugsperson (Zuhörer) in mittelbare Form (sprachliche und gestische Form) gebracht werden kann (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.228). So wie das Kind kommunikative Verhaltensweisen über die Nachahmung zu übernehmen lernt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.117), müssen die Verhaltensweisen und Regeln (Struktur- bzw. Ordnungsschema von Erzählungen), die dem Erzählen zu Grunde liegen und aktiv angewendet werden sollen, über das Hören von Erzählungen und im Weiteren über das wiederholende eigene Erzählen erfahren, aufgenommen und intuitiv gelernt bzw. übernommen (bewusster wahrgenommen) werden (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett,http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap05). Über die Vorlagen der Bezugsperson (Hören und Nachahmen), als auch über den eigenen Erzählversuchen, die durch die Bezugsperson mit hilfreichen Einwürfen und Reaktionen begleitend werden, passen sich Kinder mit ihrem unvollständigen Struktur- bzw. Ordnungsschema von Erzählungen nach und nach einem kulturell verbindlichen Erzählmuster an (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.117). Die Bauformen, Muster und das kommunikative Verhalten erzählenden Sprechens (Erzählerwerb) sind dabei mit dem zwölften Lebensjahr endgültig abgeschlossen, und damit soweit verinnerlicht und verfügbar, dass losgelöst vom gelungenen Augenblick, und ohne Zusammenwirken mit der Bezugsperson, sicher und Modellgerecht erzählt werden kann (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.233).

 

Anmerkung zur Entwicklung:

Über das Hören frei erzählter Geschichten nehmen Lerner mit mangelnder Sprachbeherrschung das Ordnungsschema von Erzählungen bewusster wahr, als es das Vorlesen von Geschichten gestattet. Schriftliche Erzählungen sind in einer hoch stilisierten Schriftsprache verfasst, und lassen sich, da schriftliche Erzählungen von Beschreibungen durchsetzt sind, die zugrunde liegenden Strukturen eines Ordnungsschemas weniger gut erkennen. Frei vorgetragene Geschichten hingegen wecken durch ihre gestische Erzählweise bei Lernern mit mangelnder Sprachbeherrschung mehr Aufmerksamkeit hervor, und erlaubt es den Lernern darüber hinaus, über die auf das sprachliche Verständnis der Lerner zugeschnittenen Formulierungen, das Durchschauen der Strukturen des Ordnungsschemas zu erleichtern (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap05). Hierbei erweist sich das freie Vortragen von Geschichten durch eine Bezugsperson hinsichtlich des Erlernens eines Ordnungsschemas im Vergleich zum spontan improvisierten Rollenspiel unter Gleichaltrigen ebenfalls als Vorteil, da anders als im spontanen Rollenspiel unter Gleichaltrigen, welches in seinen Grundformen untereinander abgeschaut wird, das kulturell verbindliche Ordnungsschema aus sicherer Quelle nachgeahmt und übernommen werden kann (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).

 

 

3.1.5.2 Funktion des Ordnungsschemas

Das Wissen um das Ordnungsschema von Erzählungen ermöglicht es den Menschen schon zu Beginn sowohl im Erzählen selbst als auch beim Hören einer Erzählung, eine Unterscheidung zwischen dem betrachtenden und teilnehmenden Sprechen zu treffen. Ein kulturell verbindliches Ordnungsschema dient damit der Verständlichkeit (auch im eigenen Erzählen) und sichert die wechselseitige Verständigung beim Erzählen (gegenseitige Erwartungshaltung). Im Augenblick des Hörens kann das Gehörte in sinnvolle, aufeinander bezogene Elemente untergliedert, in dieser Form im Gedächtnis einverleibt und die Merkbarkeit gesichert werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.188-189). MICHAEL SCHEFFEL sagt: Erzählend überführt der Mensch Geschehen in Geschichten, in denen Ereignisse auseinander und nicht bloß aufeinander folgen. Auf diese Weise ist er in der Lage, zeitliche Sachverhalte zu organisieren und in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Neben dem Erinnern, Vergegenwärtigen und Imaginieren von Ereignisfolgen dient das Erzählen also ganz allgemein der Erklärung und damit der kognitiven Bewältigung von raum-zeitlichen Daten (Vgl. Scheffel, Michael, In: Der Deutschunterricht H2 (2005) S.2). KONRAD EHLICH führt aus: „Schon die elementarste, in der kindlichen Sprachentwicklung früh ausgebildete […] Form des 'und dann…und dann…und dann…' ist nicht trivial. Die Reihung von Ereignissen in eine sprachliche Reihung umzusetzen, verlangt vom Kind die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, Abfolgen zu bestimmen und erzählend festzuhalten, unterschiedliche Ordnungsprinzipien zu erfahren und sich und den Zuhörern zu vergegenwärtigen.“ (Vgl. Ehlich, Konrad, In: Grundschule H.2 (2004) S.44) Strukturierung und Kohärenz haben dabei für junge Lerner eine besondere Bedeutung. JOHANNES MERKEL führt aus: „[…] Der Grundkonflikt erwächst aus dem Zusammenstoß der sozialen Alltagswelt mit der bedrängenden, aus dem Unbewußten gespeisten Innenwelt. Für Kinder ist der Gegensatz zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung, den eigenen Phantasien, Wunsch- oder Schreckbildern einerseits, […], und der festgefügten sozialen Außenwelt, die sich aus allgemeinen und verbindlichen Bedeutungen zusammensetzt, insgesamt bedrückend und schwer zu begreifen. Der Zusammenstoß der beiden Lebenssphären wird immer wieder als rätselhaft und belastend erfahren und stellt in sich schon so etwas wie einen Konflikt dar. Die wachsende >>Kohärenz<< der Erzählungen verhilft dazu, die phantastischen Einschübe immer besser in die Welt der sozialen Erfahrung zu integrieren und damit zu einem einheitlichen Dritten zu machen.“ (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.234)

 

Anmerkung zur Funktion:

Erlernte Planung strukturierten Sprechens bedeutet für Kinder, längere aus dem Gespräch gelöste Äußerungen nach dem zugrunde liegenden Strukturschema zu organisieren. Dabei erlernen sie, neben dem sich im eigenen Erzählen in kulturell verbindlicher Weise mitzuteilen, längere, nach einem Ordnungsschema strukturierte Redebeiträge zu organisieren, und sich damit die Grundlage für ein allgemeines Textverstehen anzueignen. Allgemeines Textverstehen wiederum ist Voraussetzung eigener Lese- und Schreibfähigkeit, d.h. Voraussetzung sinngemäßen Lesens und sinngemäßen Verfassens eigener Texte (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap04 u. http://www. …html#kap05 u. Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).  

 

 

3.1.6 Mündliches Erzählen (vs. schriftliches Erzählen)

Beim mündlichen Erzählen (freies Sprechen) entsteht eine Kommunikation als gemeinsames Produkt von Erzähler und Zuhörer. Gegenüber dem schriftlichen Sprachgebrauch, ergibt sich bei einer Gesprächsituation ein direkter Adressatenbezug und damit eine unmittelbare kommunikative Situation, in der der Zuhörer den Erzähler durch Aufmerksamkeit und Äußerungen verbaler und nonverbaler Art, wie z.B. durch das skeptische Hochziehen der Augenbrauen (Reiz), beeinflusst (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2006, S.59 u. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.45). Entsprechend ergibt sich zwischen dem Erzähler und dem Zuhörer ein Inhalts- und Beziehungsaspekt, der beim schriftlichen Sprachgebrauch in dieser persönlichen Form nicht zugegen ist. Einhergehend mit der Kommunikation als gemeinsames Produkt, muss der Erzähler auf Grund der unmittelbaren Rückkopplung ggf. auf Zwischenfragen antworten, was das Sprechen gegenüber dem Schriftlichen provisorischer, additiver und redundanter gestaltet (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.29). Um Zwischenfragen stellen zu können, muss der Zuhörer konzentriert zuhören, was voraussetzt, dass sich der Zuhörer unmittelbar innerlich mit dem beschäftigt, was erzählt wird. Das freie Erzählen wirkt demnach reagierend, wobei der schriftliche Sprachgebrauch, auf Grund der nicht gegebenen unmittelbaren Rückkopplung, spekulativer Art ist (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2006, S.59). Wichtige Unterscheidungsmerkmale zwischen mündlichem und schriftlichem Erzählen kennzeichnen sich entsprechend über den Einsatz gestischer und mimischer Mittel, wobei der Erzähler ebenfalls selbst auf Gestik und Mimik, wie auch auf die Modulation der Stimme, hier jeweils als dramaturgisches Mittel eingesetzt, zurückgreift (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2006, S.35). Über die Verbundenheit des mündlichen Erzählens und der körperlichen Bewegung in Gestik und Mimik, sind sprachliche Äußerungen, gegenüber dem schriftlichen Erzählen, wiederum für den Zuhörer verständlicher und erleichtern zudem die eigene Äußerung gegenüber dem Schreiben (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).  

 

 

3.1.6.1 Sprechdenken (Sprechen vs. Schriftsprachgebrauch)

Erzählen und Zuhören fördern das Sprechdenken und das Hörverstehen in verschiedenen Rede- und Gesprächsformen, wobei der Prozess des Sprechdenkens und des Hörverstehens in der mündlichen Kommunikation immer aufeinander bezogen sind. Gegenüber dem schriftlichen Sprachgebrauch, wo der Satzbau im Vorfeld gut überlegt sein muss, wird nach KLEIST der Gedanke beim Sprechen erst allmählich verfertigt (Vgl. Kleist, 1805, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.22), wobei das Formulieren und damit die Planung beim Sprechen zeitlich begrenzt ist (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.28-29). Entsprechend verlaufen, gegenüber dem Denken und Schreiben, das Denken und Sprechen zueinander parallel, wobei nach WYGOTSKI, zwischen einem Gedanken und dessen Ausformulierung, eine innere Sprache steht, die sich auf die Hauptvorstellungen beschränkt. Diese Hauptvorstellungen werden dann während des Sprechdenkprozesses für den Zuhörer verständlich ausgeformt und wiedergegeben. Voraussetzung für ein gelungenes Ausformulieren innerhalb eines Gesprächs ist daher ein breiter Wortschatz und die Kenntnis vielfältiger Satzmuster (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.35-36). Gegenüber dem schriftlichen Sprachgebrauch verwendet man beim Sprechdenken einfachere grammatische Formen und einen abwechslungsreicheren Satzbau (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.17). Im Sprechen erbrachte Wiederholungen sind gegenüber dem schriftlichen Sprachgebrauch erwünscht, damit wichtige Punkte beim Zuhörer verständlich aufgenommen werden können (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.22). Im Sinne des Erzählens entlasten die Wiederholungen den Erzähler im Moment eines improvisierten Geschichtenerzählens von der Suche nach den richtigen Worten, worüber die Zuhörer zugleich, auf Grund der formelhaften Art, Flüchtiges rascher aufnehmen können (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap02).

 

Im freien Sprechen wird die verbale Sprache nicht nur durch nonverbale Hinweise ergänzt, sondern wirken die Formulierungen beim freien Sprechen gegenüber dem schriftlichen Sprachgebrauch immer nur im Zusammenhang mit der körpersprachlichen und sprecherischen Präsentation, und machen zusammen den Sinn einer Äußerung aus (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.11 u. 16). Die körpersprachlichen und sprecherischen Präsentationen repräsentieren die gedankliche Gliederung der Inhalte, die Art, wie der Zuhörer einbezogen und wie auf die Sprechsituation Bezug genommen, wird. Mündliche Äußerungen sind damit kontextgebundener und situationsbezogener, da beim Sprechen der Verweis auf Gegenständliches möglich und die Formulierung durch Körpersprache und Sprechausdruck ergänzt wird. Das Verstehen einer Äußerung ist somit abhängig von der Art und Weise, wie man eine Äußerung wiedergibt (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.28).

 

 

3.1.6.2 Hörverstehen (Hören vs. Lesen)

So wie im Sprechdenken das Formulieren und damit die Planung beim Sprechen zeitlich begrenzt ist, verhält es sich beim Hörverstehen hinsichtlich der Aufnahme von Informationen gleichermaßen, da der Rezeptionsvorgang nicht wiederholt werden kann, der Schall der Rede vergänglich und die Merkzeit begrenzt ist (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.28-29). Entsprechend muss das Geäußerte direkt verstanden (unterstützt durch die formelhafte Art der Wiederholungen im Erzählen), und kann nicht, wie im Schriftlichen, zurückblätternd wiederholt werden, womit der Zuhörer dem Gedankenaufbau des Erzählers sofort folgen können muss (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.16). Beim Hörverstehen werden Äußerungen aktiv interpretiert, und enthaltende Handlungsanweisungen durchgeführt bzw. bewusst abgelehnt. Nach HÖRMANNS Analyse-durch-Synthese-Theorie wird das Gehörte entweder mit Hilfe des Vorwissens synthetisiert oder analysiert (Vgl. Hörmann, 1976, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.45-46). Diese Verarbeitungsprozesse verlaufen weitgehend wechselseitig parallel und interaktiv, und lassen sich nach GUTJAHR und KYRITZ in einen Top-down Verarbeitungsprozess (wissens-, konzept-, schema- und erwartungsgeleitet) und einem Bottom-up Verarbeitungsprozess (daten- und textgeleitet) unterteilen (Vgl. Gutjahr/Kyritz, 1985, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.46). Entsprechend ist das Zuhören im Sinne des Hörverstehens ein aktiver und intentionaler (ein in Absicht und zweckbestimmter) Prozess (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.44).

 

 

3.1.7 Aktives Zuhören

Unter aktivem Zuhören wird sowohl eine innerliche als auch eine äußerliche Beteiligung der Zuhörer beim Erzählen von Geschichten verstanden. Das Entstehen >>innerer Bilder<< bzw. das sich >>aktiv ein Bild machen<< beim Hören von Geschichten kennzeichnet hierbei die innerliche Beteiligung. Die äußerliche Beteiligung wird gekennzeichnet durch Mimik, Gestik und den verbalen Ausdruck, wobei diese drei letztgenannten Elemente sowohl >>verdeckt<< als auch bewusst eingesetzt in Erscheinung treten können. Als >>verdeckt<< in Erscheinung tretend meint, dass sich die innerliche Beteiligung über erkennbare Zeichen, wie eben über die Mimik und Gestik oder den verbalen Ausdruck, äußert, d.h. aus der Sicht des Erzählers, sich in den Gesichtern, in der Körpersprache oder in Verlautbarung als automatisches Mitmachen der Zuhörer zu erkennen gibt. Bewusst eingesetzte Formen äußerlicher Beteiligung umfassen im Rahmen einer aktuell erzählten Geschichte das gezielte Ausagieren von Passagen der Handlung mit Händen, Füssen und Ganzkörperbewegung als auch das gezielte Mitsprechen von Wörtern, Sätzen, Textpassagen, Wiederholungen und Schlusssätzen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.40) bzw. dem bewussten und gezielten Einbringen individuell geknüpfter Assoziationen der Zuhörer, wobei letztere wiederum eher der innerlichen Beteiligung zuzuordnen sind.

 

Aus einem bestimmten Blickwinkel heraus betrachtet, fungiert die Lehrperson als Erzähler selbst, wobei sie neben dem Erzählen einhergehend immer auch die Lerner als Zuhörer im Blick haben muss, um auf diese zu reagieren. In einer ausgeprägten Form des Reagierens werden die Lerner dabei z.B. aktiv in die Geschichte, und hier explizit in den Handlungsaufbau und den Handlungsverlauf einbezogen, indem ihre geäußerten Vorstellungen (innere Beteiligung, erkennbar gemacht über den verbalen Ausdruck im Sinne einer Verlautbarung von Assoziationen) improvisierend in die Geschichte eingebaut werden. Das heißt, aktives Zuhören kennzeichnet sich zum anderen darüber aus, dass Lerner in der Methode des Geschichtenerzählens die Möglichkeit erhalten, über wechselseitiges Interagieren, Ereignisse für sich sinngemäß zu konstruieren, und sich ggf. darüber hinaus unmittelbar durch Verlautbarung am Aufbau und am Verlauf der Erzählung oder weiterführend an Gesprächen, zu beteiligen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.12).

 

Nach ROGERS ist das aktive Zuhören für Gesprächstherapeuten und nach GORDON für Erzieher eine wichtige Kommunikationsfähigkeit (Vgl. Rogers, in Tausch, 1979, u. Gordon, 1972, In: Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.57). Hierbei steht in der Aufmerksamkeit des Empfängers primär die Selbstoffenbarungsseite des Erzählers beim Hören einer Geschichte im Vordergrund, in dem Bemühen, sich in die Gefühls- und Gedankenwelt des Senders einzufühlen und deren Inhalte (Selbstoffenbarungsanteile) einfühlend zu entdecken. Von hoher Bedeutung ist in diesem Fall, dass nicht diagnostizierend oder entlarvend, d.h. wertend auf den Sender reagiert wird, sondern dem Sender die einfühlsame Entdeckung gleichsam zurückübersetzt wird, sodass der Sender mehr zu sich selbst kommt und verleitet wird, (weiter) zu erzählen (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.57-58). Im übertragenden Sinn, bezogen auf das Erzählen von Geschichten, heißt das, dass die Lehrperson das Erzählen und die Gespräche der Lerner aufzugreifen versucht. Erzählungen werden durch gezieltes Nachfragen an- und weiterleitet oder über >>verdeckte<< jedoch erkennbare Zeichen das Verstehen und damit Wertschätzung zum Ausdruck gebracht bzw. den erzählenden Lernern in ihrem Erzählen durch Interesse und Zustimmung in Form eines erwartungsvollen Blicks oder eines zustimmenden Nickens bestätigt und sich damit innerlich am Gehörten und damit in Form einer Anteilnahme beteiligt (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/zuhoeren.html).

 

 

3.1.8 Assoziation und Geschichten

 

 

3.1.8.1 Assoziation und authentische Geschichten 

Authentische Geschichten schaffen einen schnellen und unmittelbaren Zugang zum realen Umfeld, indem sie an den Rahmenbedingungen der Zuhörer in z.B. Arbeit, Schule, Freizeit (Hobbys/Alltag), Kommunikation etc. anknüpfen und an die Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen der Zuhörer anschließen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.34-36). Hierbei sind authentische Geschichten immer konkret, da sie immer den konkreten Kontext eines Ereignisses oder einer Ereignisfolge beinhalten. Sie erzählen von konkreten Personen und ihrer konkreten Tätigkeit innerhalb eines ganz bestimmten Umfeldes (im Gegensatz zu einer abstrakten Beschreibung von Sachverhalten, welches theoretische Überlegungen (Fakten) als Ausgangspunkt nimmt). Hierbei bringen authentische Geschichten Ideen auf den Punkt, veranschaulichen neue Gedanken und erklären oder transportieren Erfahrungen wie individuelle Erlebnisse und Erinnerungen. Sie schaffen einen unmittelbaren Zugang zum realen Umfeld, indem sie an den Rahmenbedingungen anknüpfen, unter denen die Zuhörer arbeiten, lernen und leben (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.19/36-37 u. 195-196). Das Konkrete ist für die Zuhörer nachvollziehbar und ermöglicht einen direkten Vergleich mit dem eigenen Erfahrungsbereich und der eigenen Erlebniswelt. Hierbei fällt es den Lernern über die mitgelieferte Anschlussfähigkeit leichter, persönliche Kontexte beim Hören der Erzählung zu schaffen. Werden sodann aus persönlichen Erfahrungen, Einschätzungen und Lebenshintergründen persönliche Zusammenhänge beim Hören einer Geschichte geschaffen, identifizieren sich die Zuhörer verstärkt mit der Geschichte, und ermöglichen so einen intensiveren Lernprozess. MARITA PABST-WEINSCHENK führt aus: „Richtiges Zuhören setzt voraus, dass wir und innerlich mit dem beschäftigen, was wir hören, dass wir versuchen, es auf dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen nachzuvollziehen, um es zu verstehen.“ (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.44). Über das Hineinversetzen in die geschilderte Welt ist es den Zuhörern möglich, präzise Fragen zu stellen und einer anschließenden Diskussion (formell oder informell via Gespräch) mehr Anteilnahme und Teilhabe zu haben. Dabei macht der Erzähler über die Authentizität einer Geschichte dem Zuhörer das Angebot, sich über das Konkrete und Reale, dem Hier und Jetzt des Zuhörers, zu verständigen bzw. über eine Realität, die die Zuhörer aus ihrer Umgebung oder Erlebniswelt teilen, zu sprechen. Dabei bringen authentische Geschichte über ihren konkreten Kontext automatisch die Frage nach den Realisierungsmöglichkeiten und den Bedingungen und Voraussetzungen mit sich, und zeigen auf oder geben Hinweise darüber, dass etwas unter bestimmten Umständen realisiert werden kann bzw. realisiert werden konnte. Der Gebrauch authentischer Geschichten zu einem bestimmten Thema versachlicht damit die Diskussion von vornherein, die ggf. im Anschluss an die erzählte Geschichte folgt (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.35-38).

 

Möchte man einen engeren Rahmen setzen, um z.B. Themen aus dem beruflichen/schulischen Feld oder die Interessen der Zuhörer mit der Geschichte zu verbinden, um Ideen und Lösungen aus dem jeweiligen Feld zu erhalten oder Botschaften zu vermitteln, bieten sich zum Erzählen entsprechend authentische Geschichten an. Klare Botschaften oder weiterführende Zielsetzungen (das, was über die Geschichte hinaus geht) müssen hierbei durch die Vorbereitung im Erzählen und einem durchdachten Bau der Geschichte geschickt herauskristallisiert werden. Geschichten sollten dabei so geschlossen und schlüssig sein, dass man die Geschichten als Zuhörer ohne weitere Erklärung versteht und gleichzeitig offen genug, um als Angebot zum Assoziieren, Mit- oder Weiterdenken zu fungieren. Entsprechend sollten Geschichten eng genug sein und einen bestimmten Themenbereich setzen, um Orientierung zu geben, jedoch weit genug, um verschiedene Sichtweisen und Fokussierungen der einzelnen Zuhörer zuzulassen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S. 182-183). Das heißt auch, dass neben der eigenen Botschaft, die man zum Ausdruck bringen möchte, die Assoziationen der Zuhörer als ebenso wichtig, und hierbei nicht als richtig oder falsch, anzusehen sind. Die Assoziationen der Zuhörer sind, wie die Geschichte selbst, ein wichtiger Teil der Methode des Geschichtenerzählens, gerade dann, wenn sich die Möglichkeit bietet, mit den Zuhörern über die Geschichte zu sprechen. Als Erzähler sollte man entsprechend das, was man mit der Geschichte ausdrücken will, nie höher bewerten als das, was die Zuhörer mit der Geschichte assoziieren, und somit die Botschaft nie korrigieren, indem man die Botschaft im nachhinein (richtig) erklärt (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.182-183). „Wer auf seine Geschichte und die Intelligenz seiner Zuhörer vertraut, wird nie restlos drüber aufklären, welchen Sinn seine Story hat, sondern dem >>zuhörenden Verstand<< etwas übrig lassen, was ihn beschäftigt und fordert.“ (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.32).

 

Trotz gesetzten engeren Rahmens und den damit verbundenen Versuch der >>Assoziationseingrenzung<<, ist zu bedenken, dass die Zuhörer ihre Assoziationen beim Hören von Geschichten jeweils aus einem individuellen Erfahrungshintergrund heraus knüpfen. Neue Informationen werden nach bestimmten Strukturen und Kategorien (Wahrnehmungsweisen) eingegliedert und bewertet, Strukturen und Kategorien, die auf Basis früherer Wahrnehmung gebildet wurden. Hierbei bilden die Sinneseindrücke (die zuhörende Erzählung) den Rohstoff, die im Weiteren über bzw. durch feststehende Strukturen und Kategorien verarbeitet werden, welches zusammengenommen die Wahrnehmung kennzeichnet. Das heißt, dass alle Wahrnehmung von Strukturen und Kategorien geprägt ist bzw. gesteuert wird. Aus der Gewöhnung (kulturelles Umfeld) gebildete und bestehende Wahrnehmungsweisen heraus entstehen entsprechend unterschiedliche Sichtweisen und Sinngebungen, d.h. individuell geknüpfte Schlussfolgerungen des Gehörten (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/wahrnehmung.html).

 

Anmerkungen zu authentischen Geschichten:

Wie in dem Punkt Bestandteile und Bauweisen von Geschichten noch aufgezeigt wird, unterliegen Geschichten einem kulturell gültigen Bauplan bzw. Schema. Ein Geschichtenschema dient dem Zuhörer zum einen, die Geschichte überhaupt als Geschichte zu erkennen, und zum anderen, über die Struktur des Aufbaus, den Inhalt (das Erzählte) folgerichtig zu entziffern. Das heißt, dass Geschichten, die auf erlebte oder gehörte Erlebnisse basieren, immer nur bedingt authentisch sind bzw. sein können, da der Erzähler hinsichtlich seiner Präsentation, die erlebten oder gehörten Handlungen dem kulturell gültigen Geschichtenmuster anpassen muss, indem der Erzähler die entsprechenden Handlungen umstellt und verändert, d.h. die >>wirklichen<< Erlebnisse umformt, ausgestaltet oder reduziert, um darüber eine präsentative und wirkungsvolle Erzählung zu gewährleisten. Hierbei ist im Weiteren darauf hinzuweisen, dass schon im konversationellen Erzählen die Reaktionen der Zuhörer, als auch das zwingende Füllen von Erinnerungslücken, den Verlauf und den Inhalt der Erzählung mitbestimmen. Hierbei übergeht der Erzähler potenziell langweilige Details und schmückt dabei wiederum andere Passagen, die die Zuhörer in die Geschichte hineinziehen sollen, aus. Hierbei wird ggf. die Reihenfolge der Ereignisse vom Erzähler umgestellt, um eine bessere Wirkung zu erzielen, Erinnerungslücken immer mit wirkungsvollen und kausalitätsgerechten Einbringungen gefüllt. Beobachten lassen sich die im konversationellen Erzählen gebrachten Umformungen nicht (kaum), da in der Erinnerung nicht das >>tatsächliche<< Erlebnis abgespeichert wird, sondern dieses in Form einer Erzählung geschieht. Hierbei passt sich die gleiche Erzählung hinsichtlich einer wirkungsvolleren Form der Erzählung von mal zu mal, d.h. im wiederholenden Erzählen, mehr und mehr an (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/geschichten.html).

 

Der positive Nebeneffekt über das Erbringen eines Kontextes über das Erfahrungswissen der Zuhörer ist das unvermeidliche Erzeugen einer symmetrischen Kommunikation. Es herrscht eine Gleichheit zwischen den Kommunikationspartnern, da im Erfahren, Erleben und Beobachten jeder ein eigener Experte ist, und entsprechend jeder eine eigene Geschichte zum Thema beitragen kann (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.27-28).

 

Geht es um die Glaubwürdigkeit des Erzählens und um die Glaubwürdigkeit der Geschichte, vermitteln authentische Geschichten Sicherheit, da sie durch das Befragen von Zeugen, oder, sofern sich die Geschichten im eigenen Erfahrungsbereich oder der Erlebniswelt widerspiegeln, mit Hilfe der eigenen Beurteilungsfähigkeit (Selbsterfahrung), überprüfbar sind. Hiermit bekommt der Zuhörer durch das Hinterfragen der Plausibilität und dem Hinterfragen der Logik der Ereignisse und Zusammenhänge die Möglichkeit, die Geschichten auf ihre Wahrscheinlichkeit hin zu überprüfen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.36-37).

 

 

3.1.8.2 Assoziation und fiktive Geschichten

Werden Geschichten erzählt, um grob formuliert in ein Thema einzuführen, mit dem sich die Zuhörer während und im Anschluss der Geschichte auseinandersetzen sollen (engerer Rahmen), ergibt sich bei fiktiven Geschichten wie z.B. Märchen, Fabeln, Sagen und literarische Erzählungen die Problematik einer Komplexität von Bezügen, d.h. das Problem einer zu weit gefächerten Assoziationsvielfalt und -breite. Eine weitere Problematik fiktiver Geschichten zeigt sich hierbei in der nicht gegebene direkte Anbindung gemeinsamer Realität von Erzähler und Zuhörer, d.h. dass ohne diesen konkreten Kontext gemeinsamer Realität (den authentische Geschichten mit sich bringen) eine zu hohe Interpretationsmöglichkeit der einzelnen Zuhörer besteht und in Folge dessen bei den Zuhörern unterschiedlichste und nicht voraussehbare Assoziationen ausgelöst werden, die einer Themenbehandlung im engeren Rahmen nicht dienlich sind (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.34-35).

 

Aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtet, spricht SCHULZ, im Sinne eines Märchens, von einem mittleren Maß an Komplexität fiktiver Geschichten (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.19). Für Märchen kennzeichnend sind dabei bestimmte Faktoren, die sich in der Dominanz der Handlung, den Verzicht auf detaillierte Beschreibungen, die Vorliebe für das Formelhafte wie auch die Eindimensionalität und Isolation des Helden, zeigen (Vgl. Wardetzky, 1992, In: Schulz, Gudrun, 2005, S.19).

 

 

Dominanz

der Handlung

Dominanz der Handlung meint, dass es sich nach LÜTHI in Märchen um ein wieder erkennbares allgemeines Schema handelt, und sich in Form von Kernvorgängen wie Schwierigkeiten/Überwindung, Kampf/Sieg und Aufgabe/Lösung, darstellt, wobei er in diesen Kernvorgängen menschliche Verhaltensweisen und Unternehmungen erkennt (Vgl. Lüthi, 1979, In: Schulz, Gudrun, 2005, S.25).

 

Allgemeines Märchenschema (In fünf Kategorien)

Phase I berichtet über das Eingangsereignis. Die Situation des Helden wechselt, der Held wird veranlasst ein Ziel zu erreichen, ggf. eine Änderung des momentanen Zustands zu bewirken. Hierbei folgt auf die Veranlassung in Phase II die innere Reaktion des Helden. Die Phase III kennzeichnet im Weiteren den Hauptbestandteil, und kann als Kategorie des Versuchs aufgefasst, werden. Hierin wird der Held motiviert eine Reihe von offenen Aktionen auszuführen, und sich an diesen zu probieren, worüber sich in Phase IV als Konsequenz zu erkennen gibt, ob der Held sein Ziel erreichen bzw. eine Änderung des momentanen Zustands bewirken, konnte. In Phase V schließt sich der Verlauf als Reaktion in Form verschiedener Informationstypen. Hierbei können emotionale und kognitive Antwort auf die Erreichung des Ziels gegeben oder Ereignisse, die sich direkt aus der Zielerreichung ergeben genannt, werden. In einer weiteren Variante schließt sich dabei eine zusammenfassende Moral an, die darüber berichtet, was der Held in der Erreichung des speziellen Ziels gelernt hat bzw. die hinweisend ermahnt, die Bedeutungslosigkeit des angestrebten Ziels zu bedenken. Neben dem formalen Operationsschema einer klassischen Märchenstruktur, kennzeichnet das Märchen im Weiteren die Darstellung des im Innern des Helden ablaufenden Prozesse (Vgl. Stein/Trabasso, 1982, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/geschichten.html).

 

Verzicht auf detaillierte Beschreibungen

Der Verzicht auf detaillierte Beschreibungen lässt sich z.B. in den Andeutungen des Ortes, da wo das Märchen spielt, erkennen. In der Regel finden Märchen an nicht weiter erläuterten Orten wie z.B. im Wald, bei einem Brunnen oder in einem Turm etc. statt (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.27-28).  

 

Vorliebe für das Formelhafte

Die Vorliebe für das Formelhafte meint die Antithesen, die sich z.B. in schön und hässlich, fleißig und faul, klug und dumm etc. zeigen (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.27-28).

 

Eindimensionalität u. Isolation des Helden

Eindimensionalität meint, dass der Held (Protagonist) zumeist der menschlich-diesseitigen Welt angehört (Bei dem Märchen >>Der Froschkönig<< ist es die Königstochter), wobei die jeweiligen Gegner oder Helfer, die im Märchen immer auf den Helden bezogen sind, der Außenmenschlichen Welt angehören (Bei dem Märchen >>Der Froschkönig<< ist es der Frosch) (Vgl. Lüthi, 1979, In: Schulz, Gudrun, 2005, S.25). Über diese mitgegebene Isolation des Helden können sich die Lerner explizit auf den Helden des Märchens konzentrieren und den jeweiligen Weg des Helden gedanklich mitverfolgen (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.26-27). 

 

 

 

Im Weiteren entspricht die im Märchen gegebene Polarisation in gut und böse und der entsprechende Sieg über das Böse laut SCHULZ dem Gerechtigkeitsempfinden junger Lerner, womit dieses Gerechtigkeitsempfinden einhergehend bestärkt wird (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.20). Explizit junge Lerner erfahren sich selbst in Märchen, da gerade in märchenhaften Erzählungen, die Kleinen und Schwachen Gefahren überwinden müssen (subjektiv empfundene Machtverhältnisse), dieses in der Regel auch gelingt, und den Lernern dadurch vermittelt wird, dass es Gefahren im Leben gibt, die überwunden werden können (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.13). Märchen enden, nach Überwindung diverser Gefahren und Schwierigkeiten, in der Regel positiv für den Protagonisten (Märchen enthalten eine positiv-optimistische Erzählweise), wobei sich die Lerner an positiv besetzt erfahrenen Emotionen vorangegangener Märchen erinnern und dieses Erleben mit einem neuen Märchen in Beziehung setzen. Nach WARDETZKY bilden Lerner bei der Rezeption (Interpretation) von Märchen emotionale Schemata aus, um ihren emotionalen Erfahrungsbereich zu strukturieren (Vgl. Wardetzky, 1992, In: Schulz, Gudrun, 2005, S.13-14).

 

Nach LÜTHI entspricht das Märchen den Bedürfnissen des kindlichen Geistes und ermöglicht den Lernern das Üben ihrer Vorstellungsmechanismen. Bei raschen Übergängen oder Verwandlungen der Märchenfiguren, die in Märchen gang und gebe sind, denken sich die Lerner in die Situation hinein und erleben diese mit großer Intensität (Ausbildung der Fantasie und Vorstellungskraft) (Vgl. Lüthi, 1995, In: Schulz, Gudrun, 2005, S.19). Hierbei entwickeln gerade jüngere Lerner beim Hören fiktiver Geschichten Vorstellungsbilder, die mit eigenen Assoziationen, Gefühlen und Stimmungen besetzt und verknüpft werden (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.12). Ein übermäßiger Konsum in Form  eines inaktiven Hörens von Märchen behindert jedoch die produktive Phantasie (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/maerchenbrauchen.html). Für jüngere Lerner ist es beim Hören von Geschichten wichtig, und dieses schließt Märchenerzählungen mit ein, sich während der Erzählsituation über ihre Assoziationen, die aus ihrer alltäglichen Wahrnehmung stammen oder sich auf die unmittelbaren Märchenphantasien ergeben, zu äußern (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/ton.html), und über die interaktive Variante des Geschichtenerzählens, in der die Lerner den Geschichtenaufbau und den Geschichtenverlaufs unmittelbar während der Erzählsituation mitbestimmen, ihre eigenen Phantasiegeschichten kreieren.  

 

 

3.1.9 Bestandteile und Bauweisen von Geschichten

 

 

3.1.9.1 Elemente einer Geschichte

Nach QUASTHOFF steht im Mittelpunkt einer Geschichte stets ein >>Ereignis<< bzw. eine >>Ereignisfolge<<, die gewissen Minimalbedingungen von Ungewöhnlichkeit entsprechen muss (Vgl. Quasthoff, 1980, In: Claussen, Claus, 2006, S.17). Neben dem Element des >>Ereignisses<< bzw. der >>Ereignisfolge<< bestehen nach KAROLINA FRENTZEL u.a. Geschichten aus den Elementen des Protagonisten (der ein Ereignis erlebt), einer Anfangssituation (Ereignis), einer Endsituation (das Ergebnis des Ereignisses), und dem Zwischenliegenden von Anfang und Ende (Transformation bzw. Ereignisfolge) (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.76). Das heißt, dass die Grundform einer jeden Geschichte einem Dreischritt nachgeht. Dieser besteht aus dem >>Anfangszustand<<, in der der Ort, die Zeit und der Held benannt und die Situation, in der sich der Held befindet oder hineingerät, geschildert, wird, der >>Veränderungsphase<<, in der das Ereignis in das Leben des Helden eingreift und den Helden zur Reaktion zwingt, zum Handeln auffordert um sich mit dem Ereignis auseinanderzusetzen und sich zu bewähren, und dem >>Endzustand<<, in der der Held die Auseinandersetzung zu einem Ergebnis bzw. die Geschichte zu einem Schluss bringt (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.273-274 u. Merkel, Johannes, 2000, S.190).

 

Das heißt zusammengenommen, und in Bezugnahme auf BRITTONS Unterscheidung des teilnehmenden und betrachtenden Sprechens, dass die Erzählung vom Erzähler durch den Übergang in das betrachtende Sprechen aus der laufenden Gegenwart ausgegrenzt werden muss, um im Gebrauch der Rolle des Beobachters, den Held, die Zeit und den Ort der Handlung zu benennen, ein Ereignis in das Leben des Helden einfallen und sich diesen damit auseinandersetzen zu lassen, um diese Auseinandersetzung im Verlauf zu einem Ergebnis zu führen, womit der Erzähler zurück in die Rolle des Teilnehmers verfällt, und damit zu erkennen gibt, die zuvor verlassene Gegenwart wieder betreten zu haben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.190).

 

 

3.1.9.2 Protagonist (Element des Protagonisten)

Im Mittelpunkt einer jeden Geschichte steht zumindest eine Person, die die logisch, kausal verknüpfte Abfolge der Ereignisse erlebt oder miterlebt hat. Neben dem Protagonisten treten in der Regel noch andere Figuren auf (Nebendarsteller), die jeweils eine bestimmte Rolle in der Geschichte verkörpern (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.88 u. 90).

 

Die Grundvoraussetzung für das Interesse an vorgetragenen Geschichten ist die Identifikation mit dem Protagonisten (Held). Das heißt, dass der Protagonist zum einem in seinem Handeln (Zielerreichung, Problemlösen, in seinen Ideen) ein erkennbares Merkmal haben und dem Zuhörer ähnlich sein sollte. Zum anderen sollte der Kontext, die Situation, in der sich der Held befindet, für den Zuhörer ähnlich oder zumindest interessant sein (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.88). Erzählt wird mit einer Geschichte der Veränderungsprozess, die Transformation von Zustand A zu Zustand B. Der Protagonist löst die Transformation zwischen Anfangs- und Endzustand aktiv oder passiv aus, durchlebt oder erleidet die Transformation und steht somit im Mittelpunkt des Veränderungsprozesses und damit im Mittelpunkt der Geschichte (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.90). Der Protagonist kann zum einen der Erzähler selbst (Erzählweise in Ich-Form) oder eine Gruppe (Erzählweise in Wir- Form) und zum anderen der Weggefährte des Protagonisten, sein, womit der Erzähler zur Nebenfigur wird (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.90-92). Die Erzählung aus der Sicht einer Nebenfigur birgt den Vorteil der größeren Distanz des Erzählens zum Geschehen, da der Protagonist kommentiert und kritisch reflektiert werden kann. Mit wachsender Distanz fungiert der Erzähler als Nebenfigur des Protagonisten immer mehr zum Berichterstatter, wobei er hierbei im gleichen Maße an Authentizität und damit an Glaubwürdigkeit einbüßt  (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.92).

 

 

3.1.9.3 Ereignis (Element der Anfangssituation)

Die Grundlage einer Geschichte ist immer ein Ereignis, welches ein Erlebnis, was geschehen ist oder geschehen könnte, wiedergibt (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.19). Kindliche Selbstgespräche beruhen auf Ereignisse, die sich zum Erzählen anbieten. Hierbei kennzeichnet ein phantastischer Einschub, der in die geordnete Alltäglichkeit (Alltagsverrichtungen) einbricht, das auslösende Ereignis. Dieser phantastische Einschub steht unvermittelt im losen Raum und muss in einen sinnvollen und in sich schlüssigen (kausalen) Ablauf integriert werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.88). Die Integration, und damit die Frage, ob sich ein Ereignis (phantastischer Einschub) zum Erzählen anbietet, ist davon abhängig, inwiefern das unerwartete Ereignis an Bedeutung durchscheinen lässt. Je nach dem, entsteht eine entsprechende Spannung, die aus dem unerwarteten Ereignis eine Geschichte werden lässt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.199).

 

Es gibt oftmals mehrere Erlebnisse in einer Geschichte, wobei sich immer ein zentrales Ereignis als der wichtigste Dreh- und Angelpunkt, wie z.B. eine Schwierigkeit die überwunden werden musste, herauskristallisiert. Kleinere Ereignisse, die mit einer zweckorientiert vorgetragenen Geschichte erzählt werden, sollten sich auf das zentrale Ereignis beziehen und um dieses gruppiert sein. Geht mit dem Erzählen einer Geschichte eine Absicht einher wie z.B. zu motivieren, Wissen, Werte oder Visionen zu vermitteln oder einen Sachverhalt zu illustrieren, sollte die Erzählung auf den Kern fokussiert werden. Einhergehend sollten Ereignisse, die mit dem Dreh- und Angelpunkt nichts zu tun haben, gestrichen werden, zumal eine authentische Geschichte nichts an ihrer Authentizität verliert, wenn nicht minutiös erzählt wird. Unwichtige Details provozieren vielmehr unnötige Fragen der Zuhörer, lenkt in Folge dessen die Zuhörer vom Kern der Geschichte ab und führt sie von der Botschaft der Geschichte oder mit der gewollten Fragestellung zum weiteren Nachdenken, weg (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.53-55 u. 57).

 

Nicht alles, was echt ist, will ich sagen, doch was ich sage, soll echt sein.“ (Vgl. Ruth Cohn, 1979 In: Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.120)

 

 

3.1.9.4 Vorher-Nacher-Effekt (Transformation) (Element des Zwischen Anfang und Ende)

Neben den formalen Anfangs- und Endpunkten hat der Zuhörer bei bestimmten Folgen von Handlungen, Erlebnissen und Ereignissen, ein Gefühl für das natürliche Ende einer Geschichte. Das gefühlte Ende ist dann erreicht, wenn alle Fragen zu Beginn oder während der Geschichte beantwortet wurden oder ein erkennbarer Veränderungsprozess während des Verlaufs der Geschichte stattgefunden hat. Das heißt, dass sich der Endzustand vom Anfangszustand unterscheiden muss, damit die Geschichte für die Zuhörer interessant ist (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.73 u. 76). Was als Ende einer Geschichte erwartet wird, hängt entsprechend stark von ihrem Anfang und ihren aufgeworfenen Fragen oder den Problemen, die zu Anfang überwunden werden mussten, ab. Es geht demnach im Erzählen von Geschichten immer auch um die Differenz zwischen dem Anfang und dem Ende einer Geschichte, also z.B. um die Botschaft einer Lösung oder Veränderung, die durch die Transformation (Differenz zwischen Anfang und Ende) deutlich vermittelt bzw. erzählt und nicht erklärt wird. Die Triebfeder der Transformation ist das zentrale Ereignis, wie der Konflikt, den es zu lösen gilt, oder das Problem, was gemeistert werden muss (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.75/79/82-83). Das zentrale (auslösende) Ereignis (herausragendes Ereignis oder überraschender Einfall), als Triebfeder benannt, kennzeichnet MERKEL als Eckstein, der jede Erzählung in Gang bringt und das gesamte Gefüge trägt. Dieser Eckstein muss >>gesetzt<<, und um den Eckstein herum einzelne Bausteine in bestimmter Reihenfolge angefügt, werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.195-196). Dadurch gewinnt das formale Operationsschema eine in ihm angelegte Dynamik, indem mit dem auslösenden Ereignis zugleich die Frage eines Ergebnisses bzw. einer Lösung aufgeworfen, d.h. ein schlüssiges Ende der Erzählung erwartet, wird. Damit ergibt sich eine auf den Ablauf der Erzählung gerichtete >>inhaltliche<< Kategorie, in der sich Erlebnisse dann ausformen, sofern Erwartetes oder Erwartbares von überraschenden Ergebnissen durchkreuzt wird (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.196).

 

 

3.1.9.4.1 Transformation und Funktionalität

Da die Grundaussage der Botschaft durch den Unterschied zwischen Anfang und Ende bestimmt wird, und die einzelnen Ereignisse in einer Geschichte als Botschaft relevant erscheinen sollen, müssen der Anfang und das Ende einer Geschichte aufeinander bezogen sein und entsprechend zusammenpassen. Denn erzählt wird der Veränderungsprozess, die Transformation von Zustand A zu Zustand B. Ereignisse bzw. Fragen oder ein gewisser Stand der Dinge müssen sich während oder zum Ende der Geschichte aufgeklärt, beantwortet oder verändert haben, damit der Zustand A, der sich zu Zustand B wandeln soll, eine Funktion erhält. Das Herausheben des zentralen Ereignisses hängt demnach ebenfalls von der Transformation ab, da diese dem zentralem Ereignis (der Anfangspunkt / das Problem) seine Funktion verleiht (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.79 u. 102).

 

 

3.1.9.4.2 Transformation und Kausalität

Damit die Transformation selbst für den Zuhörer der Erzählung plausibel erscheint, müssen die einzelnen Schritte bzw. Geschehnisse, die von A über die Transformation zu B führen, im Sinne einer logischen, kausal verknüpften Abfolge der Ereignisse aufeinander bezogen sein (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.109). Das heißt, die Handlungselemente müssen auseinander hervorgehen, und jeden einzelnen Schritt als die unausweichliche Folge des vorhergegangenen Schritts erscheinen lassen. Bezogen auf die beiden Ebenen der Wahrnehmung, d.h. bezogen auf die psychische Innenwelt und der jedem Individuum verbindlich erscheinenden äußerlichen Welt, heißt das, ungewöhnliche Ereignisse (z.B. phantastischer Einzug), verstanden als psychische Bilder, die in den gesellschaftlichen Alltag einbrechen, in die Welt der sozialen Wahrnehmung einzufügen bzw. in den geregelten Lauf der Dinge einzugliedern (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.209). Dazu MERKEL: „Auf den Einfall, der die Erzählung in Gang setzt, oder das seltsame Erlebnis, das sie auslöst, folgt der Versuch, diese disparaten Elemente miteinander zu verknüpfen und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Erzählungen versetzen die soziale Erfahrung der Erzähler mit den inneren Strebungen und Phantasien oder beleben, wenn wir mehr auf fiktionales Erzählen abheben, die phantasierten Aktivitäten mit den Figuren und Verhaltensweisen, die wir täglich wahrnehmen. Ob eine Geschichte gelingt, hängt davon ab, wie genau wir beide Ebenen unserer Wahrnehmung miteinander zu verzahnen verstehen, wie weit sie sich gegenseitig durchdringen oder nebeneinander stehen bleiben.“ (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.200)

 

 

3.1.9.5 Botschaft (Element der Endsituation)

Gut erzählte Geschichten enthalten eine klare Botschaft, wobei ein und dieselbe Geschichte verschiedene Botschaften vermitteln kann, je nachdem, in welchem Kontext die Geschichte erzählt wird (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.64-65 u. 67).

 

 

3.2 Praktische Begründung

Die pragmatisch ausgerichtete (handlungsorientierte) Methode des Erzählens versteht sich als Methode des offenen Wissens- und Gedankenaustauschs und ermöglicht den Lernern, aus Sicht der systemisch-konstruktiven Didaktik, einen offenen Lernprozess unter den Perspektiven eines konstruktiven, re- und dekonstruktiven Lernens (offener Lernprozess auf der Basis des Findens, Entdeckens und Enttarnens/Relativierens). Neben der unbedingten Form des freien und lebendigen Erzählens und dem Merkmal einer kreisförmigen Sitzkonstellation (Erzählkreis), die in allen denkbaren Erzählsituationen zugegen sein sollte, lassen sich die Erzählwerkstattarbeit und das Gespräch, als zwei weitere integrale Bestandteile, die die Methode prägen und mitbestimmen, ausmachen. Die Erzählwerkstattarbeit muss dabei als ein potentieller Bestandteil, das Gespräch als ein zum Erzählen im symbiotischen Verhältnis stehender Bestandteil, verstanden und aufgefasst werden [Verhältnis gegenseitigen Nutzens: Vom Erzählen zum Gespräch, um über das Gespräch zurück in ein >>in das Gespräch eingebettetes Erzählen<< zu gelangen] (Zum Merkmal des Erzählkreises und zum potentiellen Bestandteil der Erzählwerkstatt siehe Punkt 4/Darstellung).

 

 

3.2.1 Aspekte der Lernatmosphäre und Lernumgebung

Über eine gesellige Runde des Erzählens von Geschichten kann eine angenehme Lernatmosphäre, welche als notwendige Voraussetzung zum Aufbau nachhaltigen Wissens gegeben sein muss, geschaffen werden. Über die enge Verbundenheit der Methode des Erzählens mit einem Erzählkreis und einer Erzählwerkstatt, schafft die Methode eine konsequent gestaltete und wider erkennbare, d.h. im Zuge dessen eine motivierende Lernumgebung, in der die Lerner ein selbsttätiges und selbst bestimmendes/lernerorientiertes Lernen, d.h. ein auf Partizipation ausgelegtes und auf Freiheit hin angelegtes Lernen, praktizieren können. Darüber hinaus ermöglicht die Methode des Erzählens über die symbiotische Verbundenheit mit dem Gespräch ein diskursives, d.h. ein auf offene Dialoge ausgerichtetes Lernen, indem die Lerner in jeglichen Erzählsituationen, d.h. in einer gemeinsamen Praxis (Erzählwerkstattarbeit incl.), miteinander interagieren (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.24-25/162 u. 208-209). Der Sozialbezug gilt dabei als grundlegende Bedingung zur Entwicklung der Lerner und ist dabei von hoher Bedeutung, um anregende und akzeptierende Geselligkeit herzustellen und das Leben und Lernen als gemeinsame Aufgabe zu verstehen (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2000, S.19).

 

 

3.2.2 Aspekte der Lernperspektive und des Lernverständnisses

Lernen findet immer in bestimmten Situationen und Kontexten statt (Kontext- und situationsbezogenes Lernen). Geschichten erzeugen bestimmte Situationen, wobei ferner die Struktur von Geschichten, d.h. dass in Beziehungssetzen von Elementen und Faktoren als erkennbarer Zusammenhang, den Lernern ein erleichtertes (Lern-)Verständnis erlaubt. Zugleich kommt die Methode des Erzählens dem produktiven Denken, welcher nach WERTHEIMER in den Bereich der Kreativität zu verorten und durch konstruktive Tätigkeiten charakterisiert ist, entgegen. Nach WERTHEIMER gibt es im Denken die Tendenz Unklarheiten und Unordnungen aufheben zu wollen, worüber aus konstruktivistischer Sicht passende (nicht richtig oder falsch) Lösungen gesucht und konstruiert werden. Das Hören wie auch das Kreieren und Erzählen eigener Geschichten ermöglicht den Lernern dabei eigene Gedanken zu entwerfen, um das Gehörte bzw. den Gedanken im Kreieren und späteren Erzählen plausibel und zu einer passenden (ganzheitlichen) Gestalt zu konstruieren, d.h., Unvollständiges in der Suche nach Prägnanz durch konstruktive Eigenlösungen zu vervollständigen. Ein auf Eigenlösungen gerichtetes produktives Denken und kreatives Lernen bedarf nach WERTHEIMER im Weiteren eines Antriebs, welcher sich in einem zur Verfügung gestellten Raum des Einfalls (Finden, Entdecken und Enttarnen/Relativieren als kreativer Prozess) auf Basis innerer Spannung und starker Emotionen in Form eigener Betroffenheit (Staunen) zeigt (Emotionale Reaktion = Emotionales Lernen). Die emotionale Reaktion des Staunens wiederum erzeugt bei den Lernern Neugier, welches nach GUILFORD als grundlegendes Motiv kreativen Lernens ausgemacht werden kann. Geschichten berücksichtigen dabei immer den affektiven und kognitiven Bereich des Lernens, was für ein ganzheitliches Lernen erforderlich ist. Geschichten enthalten einen Ereigniskern und sind dabei immer problemorientiert. Geschichten ermöglichen es, einen entsprechend großen Kontrast, d.h. eine Differenz von Bekanntem und Unbekanntem, welches von den Lernern als spannendes Element entdeckt, und im Weiteren bei den Lernern das Begehren und die Neugierde auf den Lerngegenstand weckt, zu erzeugen. Bauen Geschichten auf bereits Bekanntes auf, und werden die Lerner dabei gleichzeitig mit etwas Neuem konfrontiert, werden darüber sowohl vorhandene kognitive wie auch emotionale Muster verstört. Dadurch werden die Lerner in ein Staunen versetzt, welches wie weiter oben bereits angedeutet, die Neugier weckt und damit den kreativen Prozess fördert. Letzteres geschieht im Sinne eines divergenten Denkens, welches das Denken in und aus vielen Richtungen bzw. Perspektiven oder Blickwinkeln, in Einbezogenheit des Imaginären, berücksichtigt (offener Gedanken- und Wissensaustausch) (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.197-199).

 

 

3.2.3 Aspekt des interaktiven Lernens unter der Betrachtungsweise einer Beziehungsdidaktik

Lernen geschieht über Kommunikation, d.h. über die Interaktion in Lehr- und Lernprozessen. Interaktionen der Lerner zwischen sich und dem Lerngegenstand, der Lerner untereinander und zu der Lernperson, gelten dabei als entscheidende Faktoren sinnerfüllten und erfolgreichen Lernens (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.24 u. 31). Als einer der wichtigsten Grundsätze in der Methode des Erzählens zählt der zur Verfügung gestellte Raum und die zur Verfügung gestellte Zeit, um im Anschluss einer gehörten bzw. vorgetragenen Geschichte untereinander in einen Dialog zu treten. Hierbei sollten Themen, übermittelt in Form einer Geschichte, lediglich angeschnitten und nicht abgehandelt werden bzw. sollte versucht werden, die Lerner in einen dialogischen Austausch ihrer je individuellen Eindrücke, Wahrnehmungen und Gefühle bezüglich des Inhalts hineinzuführen, um diese zu erläutern und zu erörtern (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.32 u. Claussen, Claus, 2006, S.14). In Gesprächen verständigen sich soziale Gruppen, Gespräche kennzeichnen dabei immer Aushandlungs- und Diskussionsprozesse (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.24). Über das Erzählen können gemeinschaftlich Erlebnisse und Erfahrungen Anderer erkannt und sich in Folge dessen gemeinschaftlich in Gesprächen darüber verständigt werden. Dabei orientieren sich soziale Gruppen an gemeinsamen Inhalten oder verständigen sich gemeinschaftlich über einen Aushandlungsprozess über Sinn und Werte, d.h. über die je individuelle Sinngebung, welches zu einer wechselseitigen Bereicherung oder Abgrenzung führt (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.48). Gespräche gelten somit als Basis und Ausdruck geistiger Gemeinschaft und dienen ihrer Bestätigung und Klärung bzw. dem Erhalt und der Festigung von Beziehungen, indem sie Missverständnisse beseitigen und Misstrauen abbauen (Vgl. Weisgerber, Bernhard, 1983, S.247). MICHAEL SCHEFFEL führt aus: „Berücksichtigt man, dass jede Erzählung immer auch einen kommunikativen Akt darstellt, so dient das Erzählen unterschiedlicher Arten von großen oder kleinen Geschichten aber auch dazu, soziale Beziehungen herzustellen, zu vervielfältigen und qualitativ zu differenzieren. Das Erzählen ermöglicht dem Menschen die Stiftung und Erhaltung sozialer Gemeinschaften sowie die Ausdifferenzierung der Identität von Individuen und Kollektiven.“ (Vgl. Scheffel, Michael, In: Der Deutschunterricht H2 (2005) S.2-3)

 

In der systemisch-konstruktiven Didaktik ist eine gemeinsame Wissensaneignung (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.209), und wie weiter oben beschrieben, explizit in der Methode des Erzählens, über einen gemeinsamen und offenen Gedanken- und Wissensaustausch, erwünscht. Dabei geht es in der Beziehungsdidaktik darum, gemeinsam ein Problem zu erfahren und zu erkennen, und dessen Lösungen individuell oder im Team, über eine offene und handlungsorientierte, d.h. über eine wertschätzende und lösungsorientierte Interaktion, zu finden (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.26). Werden Geschichten in einen authentischen und damit lebensweltbezogenen Kontext eingebettet, können die Lerner das Problem bzw. das Ereignis unmittelbar erleben, gemeinschaftlich erfahren und das Problem als bedeutsame Situation erfassen. Über die Bewusstmachung des Problems kann dessen Lösung und Lösungsweg im Anschluss der Geschichte in Gruppenarbeit erlebend und erfahrend bearbeitet werden (Erzählwerkstattarbeit), worüber die geschaffene Situation zu einer wichtigen bzw. sinnstiftenden Begründung des Lernens für die Lerner wird.

 

 

3.2.4 Aspekte des sozialen Lernens unter der Betrachtungsweise eines reflexiven- bzw. Meta-Lernens

Im Hören von Geschichten identifizieren sich die Lerner mit den Akteuren und Ereignissen (mit der Handlung) einer Geschichte oder grenzen sich von diesen ab, worüber Geschichten eine Hilfestellung bei der Erschließung der eigenen Lebenswelt bieten. Indem sich die Lerner beim Hören einer Geschichte ihr eigenes Bild von der Welt machen, stellen sie Vergleiche zwischen sich und der Handlung her. Es wird untersucht und verglichen, einhergehend tritt reflexiv eine Beobachtung des eigenen Systems und der Beziehung zur Umwelt ein (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.13), welches die Methode des Erzählens zu einer Methode der Selbstbeobachtung bzw. Selbstreflexion werden lässt. Wahrnehmungen kennzeichnen dabei subjektive Wirklichkeiten (subjektive Wirklichkeitskonstruktionen) und sind entsprechend kein universelles Konstrukt, sondern jeweils vermittelt durch die Sozialisationserfahrung eines bestimmten kulturellen Raums und damit immer beeinflusst durch konventionellen Druck (Vgl. Reich, Kersten, 2005, S.20-21). Das heißt, dass hinter jeder Beobachterperspektive (Blickwinkel) ein kulturhistorischer Hintergrund, bestehend aus spezifisch kulturellen Inhalten, eingreift, dem die Beobachter in ihrer Wahrnehmung und Interpretation (Beobachtung) unterlegen sind (Vgl. Reich, Kersten, 2005, S.54 u. 59). Wahrnehmungen und Interpretationen bzw. subjektive Wirklichkeiten sind somit von der Erfahrung her (selektives Element = emotionale Erlebnisse, internalisierte Verhaltensmuster und Kenntnisstand) beeinflusst, wobei neben dem Element der Erfahrung, das jeweilige Element des individuellen Empfindens (perspektivisches Element = Wünsche und Erwartungen) und der sozialen Wahrnehmung (zweckorientiertes Element = Konventionen der Lebenswelt, Übernahme von Rollenkonzepten und soziale Erwartungen) auf die subjektive Wirklichkeitskonstruktion Einfluss nimmt (Vgl. Reich, Kersten, 2005, S.21ff. u. 28). Werden von einem Lerner, im eigenen Erzählen, persönliche Erfahrungen und Einschätzungen oder Empfindungen mit in die Geschichte hineingebracht, müssen diese subjektiven Äußerungen bezüglich der Geschichte von den anderen Lernern in einen zusammenhängenden Kontext gebracht werden. Da dieser Kontext nicht immer bekannt ist, ergibt sich auch hier die Möglichkeit, untereinander in einen Dialog zu treten, um Unverstandenes zu klären bzw. aufzuklären. Diese klärenden Gespräche fördern das Verstehen und Tolerieren anderer Auffassungen und Mentalitäten und bauen Misstrauen ab, da individuelle Interpretationen und Einschätzungen sozial ein- und rückgebunden sind, und somit erlernt wird, andere in ihren Äußerungen verstehen zu können oder selbst verstanden zu werden bzw. Neues zu erfahren oder selber Neues erzählen zu können. Über die soziale Ein- und Rückgebundenheit der je individuellen Bedeutungen, Interpretationen und Einschätzungen, können Lerner erfahren, dass andere Lerner Erzählungen und Beiträge (Inhalte) anders empfinden und wertschätzen (multiperspektivisch), worüber die Lerner die Möglichkeit erhalten, Gefühle, Meinungen, Gedanken, Einschätzungen und Erfahrungen auszutauschen und sich über das jeweils Besondere bzw. über die subjektive Sinngebung von Inhalten auseinander zu setzen. Sprachhandelnd wird dabei an den Erlebnissen und Erfahrungen anderer praktiziert, welches den Lernern bei der Verständigung, Orientierung und Sinnsuche hilft (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S. 48/50-51 u. 78), d.h. neben dem Erlernen, andere Vorstellungen und Absichten zu respektieren und zu tolerieren, sich seiner Selbst über die Vorstellungen anderer bewusst zu werden, welches die Methode des Erzählens zu einer Methode der Fremdbeobachtung und Fremdreflexion werden lässt.

 

Summa summarum erweitern sich im sozialbezogenen Unterricht über die Methode des Erzählens die Erfahrungen der Lerner durch die Lerner selbst (Interaktions-Lernen unter Gleichaltrigen), da es über die Wahrnehmung der je individuellen Lebenswelt zu einem dialogischen Gedankenaustausch, und darüber zu neuen Aspekten, neuen Sichtweisen und Themen, führt (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2006, S.247). Individuelle Bedeutungen, Deutungen, Interpretationen, Empfindungen, Wertschätzungen und Einschätzungen, d.h. fremde Weltdeutungen und Lebensbilder (Sinngebungen) können im Vergleich mit Gleichaltrigen, die ihrerseits einen Vergleich mit der Handlung anstellen, und zu anderen Ergebnissen kommen, getroffen werden (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.11 u. 49-51). KONRAD EHLICH äußert sich wie folgt: „[…] Schule ist heute geprägt von den vielfältigen Kulturen. Die Vergemeinschaftung von Weltwissen, das Teilen von Umgangsweisen mit einer differenzierten, vielfältig gebrochenen und multipel gewordenen Wirklichkeit geschieht in der alltäglichen Kunst des Erzählens. Stiftung von Solidarität ereignet sich durch die gemeinsame Erzählerfahrung. So ist das Erzählen eine zentrale Ressource für die soziale Interaktion und für das Verstehen.“ (Vgl. Ehlich, Konrad, In: Grundschule H.2 (2004) S.44)

 

Selbst besser verstanden zu werden wie auch selbst andere besser zu verstehen, beinhaltet Selbstfindung, womit das Gespräch über eine Erzählung, und das, was im Gespräch als Prozess sprachhandelnder Auseinandersetzung mit den Anderen darüber hinausgeht, eine identitätsbildende Funktion erhält. Dabei reicht es nicht aus, lediglich auf der grammatisch-semantischen Ebene verstanden zu werden (das Verstehen von Sätzen) oder andere auf der grammatisch-semantischen Ebene zu verstehen, sondern müssen Äußerungen der jeweils Beteiligten auch auf der pragmatischen Ebene erfasst werden, d.h. verstanden werden, wie die Äußerung im Sinngehalt gemeint ist. Für den Prozess der Selbstverwirklichung eignet sich somit das Anschlussgespräch einer Geschichte, womit neben den persönlichen Ansichten auch die Verhaltensweisen im Gebrauch der Sprache und in der Kommunikation miteinander verglichen und unterschieden, als auch durch die Reaktionen der Anderen, das eigene Wirken auf Andere in den Äußerungen hinterfragt und bewusst gemacht werden kann (Provozieren meine Äußerungen? Welche Reaktionen rufen sie hervor?), worüber die Lerner im Weiteren die Möglichkeit erhalten, ihr eigenes Wirken auf Anregungen, Bestätigungen oder Kritiken zu hinterfragen (Wie gehe ich mit Anregungen, Bestätigungen oder Kritik um?) (Vgl. Weisgerber, Bernhard, 1983, S.248-253).

 

 

3.2.5 Aspekt der Sprachdidaktik

Die Methode des Erzählens lässt sich aus sprachdidaktischer Sicht als eine rhetorische Methode, die die pragmatische Funktion des Erzählens in den Vordergrund, und die schöne Form des Redens lernspezifisch als sekundäre Instanz einhergehen lässt, beschreiben. Durch das Erzählen selbst und den Gesprächen soll es nach sprachdidaktischen Kriterien bei den Lernern primär zur Handlungsauslösung des Sprechdenkens und Hörverstehens innerhalb verschiedener Erzähl-, Gesprächs- und Redeformen (Kommunikationsformen) kommen (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.10-12). Damit die Lerner eigenaktiv sprachhandeln, ist es bedeutsam, für die Lerner sinnvolle Sprachlern-Situationen zu schaffen. Geschichten bieten im Zusammenschluss mit dem Gespräch komplexe Handlungssituationen, in denen Sprechakte nötig werden. Geschichten wecken das Interesse und verweilen für die Lerner nicht als isolierte Erzähl-, Sprach- und Sprechübungen, sondern bieten durch ihren situativen Bezug eine Begründung für das Erzählen, Sprechen und sprachliche Handeln, worüber das Üben eigenen Erzählens und Sprechens aus der Verwendung heraus motiviert ist. Dabei aktiviert das Erzählen und das Gespräch die sprachlichen Möglichkeiten der Lerner und regt die Lerner dazu an, über das Gespräch die Möglichkeiten des Sprachhandelns im Sinne des sprachlichen Austauschs, der sprachlichen Erarbeitung und der sprachlichen Verständigung weiterzuentwickeln (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2000, S.17-18 u. 21 u. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.49).

 

Das Erzählen von Geschichten und die im Anschluss oder in Unterbrechung des Erzählens geführten Gespräche dienen den Lernern dazu, Sprache bzw. neue Möglichkeiten im Gebrauch von Sprache kennen zu lernen. Die Lerner können sich beim Erzählen von Geschichten in sprachliche Mittel und Möglichkeiten hineinfühlen, und sich neue nutzbare Wörter, Redewendungen, Sätze, Erzählmuster und -schemata zur persönlichen Sprachentwicklung aneignen, um sie im Weiteren selbst anzuwenden. Darüber, dass Lerner über ihren Lernprozess sprechen bzw. zusammen über Lernprozesse gesprochen wird, werden unterschiedliche Funktionen von Gesprächen (Kommunikationsarten und -formen) kennen gelernt und jeweilige Kompetenzen in Kommunikation erworben und/oder erweitert, um in Folge dessen zu erfahren, verschiedenartige Kommunikationsformen in ihrer jeweiligen Gültigkeit einzuschätzen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.12 u. 78-79). Anschlussdiskussionen (z.B. Aushandlungsprozesse) dienen dabei der Entwicklung einer humanen Gesprächskultur und stehen als Übungs- und Erfahrungsfeld symmetrischer Kommunikation, in der die Lerner lernen, sich gegenseitig als Gesprächsteilnehmer ernst nehmen und einander aktiv zuhören zur Verfügung (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2006, S.27-28). „Das Bemühen, sich einem symmetrischen Interaktionsverhältnis im Gespräch anzunähern, gehört zu den Voraussetzungen wie zu den Zielen der Gesprächserziehung. Es ist zugleich Ausdruck eines demokratischen Gesellschaftsverständnisses, nach dem die Ausübung von Macht durch wenige zu Gunsten der Mitentscheidung und Mitverantwortung Aller zurückgedrängt werden soll.“ (Vgl. Weisgerber, Bernhard, 1983, S.253) 

 

 

3.2.6 Politisch-pragmatischer Aspekt

Die Demokratie lebt von der Partizipation ihrer Bürger, und damit von der Mündigkeit jedes Einzelnen. In einer demokratischen Gemeinschaft sind Entscheidungen gefordert, die durch Konsensfindung erbracht werden. Um mitreden und mitentscheiden zu können, bedarf es nach der heute vertretenen Demokratiethese, dass Mündlichkeit einen erheblichen Beitrag zur Mündigkeit leistet, die Ausbildung sprachlicher Kompetenz. In ADORNOS Worten: „Mündig ist der, der für sich selber spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet, der nicht bevormundet wird.“ (Vgl. Adorno, 1971, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.14) Nach GEISSNER äußert sich Gesprächskompetenz wie folgt: „Gesprächsfähig ist, wer im situativ gesteuerten, personengebundenen, sprachbezogenen, formbestimmten, leibhaft vollzogenen Miteinandersprechen - als Sprecher wie als Hörer - Sinn so zu konstruieren vermag, dass damit das Ziel verwirklicht wird, etwas zur gemeinsamen Sache zu machen, der zugleich imstand ist, sich im Miteinandersprechen und die im Miteinandersprechen gemeinsam gemachte Sache zu verantworten.“ (Vgl. Geißner, 1981, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.14) Die Lerner sollen demnach in der Lage sein, ihre persönlichen Auffassungen und Interessen wirkungsvoll zu versprachlichen, wie auch andere Auffassungen und deren Argumente zu verstehen, kritisch zu verarbeiten und in die eigene Strategie zur Konfliktlösung einzubeziehen. Hier wird von den Lernern verlangt, sich in einem besonderen Maß an Sachlichkeit von der eigenen Position zu distanzieren, um andere Interessen ins eigene Blickfeld nehmen zu können.

 

Politische Konflikte ergeben sich aus unterschiedlichen politischen Konzepten, die, eng verbunden mit einer Verbesserung der gesellschaftlichen Lage, zukunftsgedacht sind. Zukunftsentwürfe sind nur denkbar über Sprache, und bedienen sich der Kreativität. Entsprechend bedarf es auch aus politisch-pragmatischer Sicht sprachliche Kreativität (verstanden als Entwürfe noch nicht verwirklichter Wirklichkeiten in Sprache, und nicht verstanden als das Hervorbringen von Sätzen, die noch nicht gesagt oder gehört worden sind) zu fördern, da sprachliche Ausdrucksweisen (Qualität der sprachlichen Fassung) über die Verwirklichung von Zukunftsentwürfen, und damit nach MARITA PABST-WEINSCHENK, die intersubjektive Akzeptanz von Ideen, immer auf der wirksamen und für die anderen nachvollziehbaren Präsentation dieser Ideen innerhalb eines Aushandlungsprozesses, entscheiden. Hierbei geht es nicht um Objektivität sondern um Intersubjektivität, d.h. dass der oder die Gegenüber (Gruppe) den eingebrachten  Vorstellungen zustimmen müssen, sofern sie Gültigkeit über den persönlichen Kreis hinaus erlangen sollen. Je mehr Personen aus ihrer subjektiven Sicht den eingebrachten Vorstellungen zustimmen können, umso größere intersubjektive Anerkennung und Gültigkeit wird dabei erlangt (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.12-13).

 

In Bezug auf politische Zukunftsentwürfe und deren Diskussionen sollen die Lerner zudem in der Lage sein, verschiedenartig angewandte Mittel der politischen Sprache kritisch analysieren zu können (Vgl. Weisgerber, Bernhard, 1983, S.59-62). Entsprechende Erzählungen dienen dazu, die Lerner in die genannten Situationen hineinzuziehen, um sich z.B. in einer im Anschluss dargestellten Podiumsdiskussion, sprachlich argumentativ zu üben, Konfliktsituationen sprachlich zu bewältigen und diese spezifischen Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern. Neben den Aspekten des genauen Zuhörens und Analysierens sieht Drach im Hören das sachlich-bereitwillige >>Zuhörenkönnen<<, welches sich im anständigen Begegnen und Achtung gegenüber der Überzeugung anderer zeigt (Vgl. Drach, 1932, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.48).       

 

 

3.2.7 Aspekt der Entlastung

Neben dem Aufbau sozialer Beziehungen, ihrer Vervielfältigung und Differenzierung, der Ausdifferenzierung der eigenen Identität und ihre Verortung in der Welt (Vgl. Scheffel, Michael, In: Der Deutschunterricht H2 (2005) S.2-3), sieht KONRAD EHLICH des Weiteren im Erzählen eine entlastende Funktion der Weltbewältigung bzw. Weltbemächtigung. Er führt aus: „Im Erzählen werden die Erzählenden entlastet. Im Erzählen werden Bedrohungen und Ängste für sie objektivierbar. Die narrative Distanz hilft dazu, Abstand zu Ereignissen zu schaffen, die schwer zu verarbeiten sind. Indem Solidarität gewonnen wird, werden sie erträglicher, […].“ (Vgl. Ehlich, Konrad, In: Grundschule H.2 (2004) S.44) In Gesprächen findet über das wechselseitige Rollenverhältnis des Senders und des Empfängers somit immer ein Erkenntnisfortschritt statt, indem sich die jeweiligen Teilnehmer gegenseitig anregen, kritisieren oder bestätigen sowie korrigieren. Über das Gespräch lassen sich gleiche Problemlagen bzw. gemeinsame Probleme ausmachen, wobei die gleiche Problemlage des Gegenübers zur sprachlichen Anstrengung und sprachlichen Formulierung motiviert und befähigt (außerhalb einer Gesprächsituation nicht findbar). Probleme, die von den Lernern nicht in Worte gefasst werden können, finden über das Gespräch mit anderen die Bereitschaft aufmerksamen Zuhörens, womit eine Motivation sprachlicher Anstrengung einhergeht. Hierüber können von den Lernern untereinander Formulierungen für das Problem, ggf. durch das Anbieten von Formulierungen, gefunden werden. Über die Formulierung des Problems geht bei den Lernern die Feststellung einher, dass das Problem artikuliert werden kann. Über die Sprache bzw. den sprachlichen Begriff wird das Problem für die Lerner fassbar und damit objektiviert. Hierüber tritt eine Distanz und damit eine Entlastung ein, da dass bis dahin Unsagbare sagbar wird, und darüber eine Lösung des Problems gefunden werden kann (Vgl. Weisgerber, Bernhard, 1983, S.247-248).


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