Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

3. Theoretische und praktische Begründung

Die Entwicklung des Wissens in der Moderne bis zur Postmoderne stellt uns vor schwierige Aufgaben. Einerseits wird immer mehr Wissen angehäuft, das nur noch speziellen Experten zugänglich ist und für diese relativ überschaubar bleibt, andererseits hat die Halbwertzeit des Wissens insgesamt zugenommen, so dass sich Lerner fragen

  • inwieweit es überhaupt noch lohnt, sich Wissen in all seiner Vielfalt anzueignen,
  • inwieweit es nicht immer wichtiger wird, Kompetenzen zu erwerben, die dazu führen, Wissen nur noch bei Bedarf anzueignen,
  • inwieweit ein relativ isoliertes Fachwissen von Nutzen sein kann, sofern Lerner mangels hinreichendem Kontextbezug und fehlendem dauerhaften Gebrauch es ohnehin leicht vergessen,
  • inwieweit Wissenserwerb nicht immer auch einen Handlungsbezug und eine Einsicht in den Sinn des Wissens einschließen muss.

Diese Fragen verschärfen sich mit dem Übergang in die Postmoderne, in der es immer schwieriger wird, in klar abgegrenzten fachlichen Expertenräumen zu denken, da auch die Experten zunehmend flexibler mit ihrem Wissen und den Vergessensraten  umgehen müssen.
Es ist in diesem Kontext offensichtlich, dass die Schule ein besonderes Problem mit der Dynamisierung des Wissens und einer Umstellung auf ein kompetenzorientiertes Lernen hat. Die Lehrenden repräsentieren von ihrer Ausbildung her einen bestimmten Stand des (ehemaligen) Wissens, sofern sie nicht selbst an der Dynamik fachlicher Forschungen partizipieren. Dazu bleibt ihnen oft keine Zeit. Und sie neigen dazu, ihre Wissenslandschaften relativ getrennt von der Praxis zu entwickeln, da sie kaum über konkrete Bezüge zu solcher Praxis verfügen. Für den Psychologen David Ausubel besteht deshalb eine wesentliche Aufgabe der psychologischen Lehr- und Lern­forschung darin, die große Kluft zwischen Theorie und Praxis zu verringern und er entwickelt den Advance Organizer, um die Wirksamkeit des Unterrichts zu verbessern. Lehren und Lernen sieht er dabei als miteinander verbundene Prozesse, die wir erfolgreich und effizient gestalten und entwickeln müssen.
Ein wesentliches Gestaltungs­merkmal des Organizers ist die abstrahierende Reduktion und gleichzeitig die Konzentration auf einen Metaüberblick, der schon vorhandenes Wissen mit neuem Wissen integriert. Hierzu benötigen die Lerner Hilfen, die in einer offensichtlich stark visuell ausgerichteten Kultur von Ausubel deshalb ebenfalls stark visualisiert gestaltet werden. Er nennt sie Organizer, weil sie das kognitive Denken strukturieren und organisieren sollen, um dabei einen Fortschritt im Überblicken von Zusammenhängen zu ermöglichen. Dies ist immer mehr als nur eine bloße Visualisierung von Wissen: Es soll zugleich eine Handlungskompetenz entfalten, denn das Wissen, das bearbeitet und erlernt wird, soll konkret bearbeitet, gestaltet, gedeutet und auf Anwendungen bezogen werden.

>> 3.1. theoretische Begründung
>> 3.2. prakttische Begründung


3.1. Theoretische Begründung

Die theoretische Begründung von Advance Organizers ergibt sich im Wesentlichen aus Beobachtungen der Unterrichtspraxis, in der sich zeigt, das Lernen bei einem großen Teil der Lerner dann erfolgreicher zu verlaufen scheint, wenn sie sich gezielt bewusst machen können, in welchem Kontext sie etwas warum und mit welcher begründbaren Reichweite lernen. Mittels Organizern werden strukturierte Visualisierungen geboten, die das kognitive Feld der Lerner organisieren und in bestimmte Richtungen lenken sollen. Lernen wird dabei als ein intentional organisierter Prozess gesehen, der auf Kenntniserwerb und dessen Anwendung abgestellt ist. Für Ausubel beschreibt das Prinzip des Organizers eine Art Einführungsmaterial, das auf einer „höheren Ebene der Abstraktion, Allgemeinheit und Reichweite“ (Thol 1984, 28) angeordnet ist und bewusst sowohl auf kognitive Strukturen der Kinder eingeht als auch auf bestimmte Konzepte des Materials, das für den Lernprozess verwendet wird, bezogen ist. Die Grundthese besagt, dass es für die Lernenden einfacher ist, neues Wissen aufzunehmen und zu festigen, wenn bereits über Wissen verfügt wird, das abstrakter und umfassender den Kontext für das neue Wissen bildet. Wenn bekannte Sachverhalte ins Gedächtnis gerufen werden, dann sind auch neue Aspekte leichter zu verstehen. Durch strukturierte Unterrichtselemente kann der Lernende sein bereits vorhandenes Wissen feststellen und es mit dem Neuen verbinden. Außerdem kann festgestellt werden, welche Bedeutung vorhandenes Wissen auf neu Erlerntes hat. Wichtig ist es hierbei, dass die Einführung von einer solchen Organisationshilfe allgemeines und umfassendes Wissen einschließt, um detaillierte neue Sachverhalte mit den allgemeinen Wissensbeständen, die im Gedächtnis geblieben sind, in Verbindung zu bringen. Auch die Schwierigkeit, relevantes, bekanntes Wissen von neuem zu unterscheiden,  wird minimiert, indem Unterschiede ausdrücklich hervorgehoben werden. Die „Ebene der Abstraktion, Allgemein­gültigkeit und Reichweite“, in der die Organisationshilfe angeboten wird, ist dabei konkret in Bezug auf das Thema festzulegen. Die visuell organisierten Darstellungselemente sind jeweils an das Alter, die Vorkenntnisse und Fähigkeiten der Lerner als auch an das Lernmaterial gebunden. Dabei muss beachtet werden, dass die Darstellung nicht zu abstrakt wird, da auf diese Art und Weise nicht hinreichende Zusammenhänge zwischen den kognitiven Strukturen und dem Lernmaterial entstehen können ( vgl. Thol 1984, 35). Nach dem Ansatz von Thol/Wahl sollen im selbst­organisierten Lernen (SOL-Modell) zu Beginn von Unterrichtseinheiten so genannte Lernlandkarten präsentiert werden, die nicht linear und eindimensional aufgebaut sind, sondern mittels Grafiken, Bildern, Texten usw. kognitive Ankerpunkte setzen, an die altes und neues Wissen gleichermaßen angedockt werden können. Deshalb grenzen sich Organizer beispielsweise von Zusammenfassungen oder Über­sichten ab. Diese finden nicht auf einer höheren Ebene der Metareflexion (= des Aufzeigens der kognitiv relevanten Kontexte) statt. Hier werden oft nur wesentliche Punkte des neuen Sachverhalts erwähnt und aufgegriffen, wobei zwar eine Ver­einfachung erzielt werden kann, die jedoch nicht hinreichend abstrahierend vorgeht. Entscheidend für das abstrahierende Vorgehen ist eine Art Modell- oder Konzeptdenken, in die die Sachverhalte oder Themen jeweils eingebettet sind.
Dies ist allerdings zugleich die größte Schwierigkeit der Advance Organizer. Die Art der Darstellung als Visualisierung oder Lernlandkarte steuert sehr stark die Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung der Lerner. Wenn sie vom Lehrenden präsentiert wird, dann stellt sie sein kognitives Konstrukt über einen Sachverhalt oder ein Thema dar und manipuliert damit notwendig Betonungen und Auslassungen. Hier kommt es ganz entscheidend darauf an, dass die angebotenen Abstraktionen nicht zugleich so vereinfachend sind, dass sie jegliche Problemlagen im Thema entfernen und nur bestimmte Modelle kritiklos propagieren. Diese Gefahr ist wesentlich und sie gilt auch für vermeintlich exakte Fächer wie die Naturwissenschaften, denn Modelle dienen auch in diesen Fächern der Sicherung bestimmter Wege und Ansichten und verkürzen oft – zumindest auf höheren Stufen des Lernens – Möglichkeiten forschenden Lernens.
Im Sinne der konstruktivistischen Didaktik erscheint es deshalb als besonders wichtig, bei der Erstellung der Advance Organizer nicht nur auf die Lehrenden zu setzen, sondern auch die Lerner aktiv in die Gestaltung und Erfindung solcher Organizer einzubeziehen. Dann wird auch die Schwierigkeit leichter überwunden, dass sehr viele vermeintlich gut gemeinte Organizer doch nur über die Köpfe der Lerner hinweg produziert werden, was ihnen jeglichen positiven Lerneffekt nehmen kann.
Organizer sind als Einstiegshilfen in den Unterricht immer für einen Durchschnitt der Lerner bestimmt, was dazu zwingt, sich am durchschnittlichen Wissensstand der Lerngruppe zu orientieren. Dabei sollen die Organizer nicht alles Wissen eines Themas erfassen, sondern der Fokus liegt auf der Verbindung einer Verankerung und Vernetzung des neuartigen mit dem schon bekanntem Wissen.
Methoden für das Aufnehmen von Wissen sind beim Einsatz wichtig, da vielen Lernern oft nicht bewusst ist, welches Wissen sie für eine anstehende Aufgabe benötigen. Oft muss das vorhandene Wissen in irgendeiner Art verändert werden, um es für den Lernprozess bedeutsam zu gestalten, indem vor einer jeweiligen Lernphase das Vorwissen geordnet und in gewisse Strukturen gebracht wird. Dafür sind die Organizer besonders gut geeignet, auch wenn sie eine Tendenz zur Schematisierung durch den begrenzten Raum der Darstellung und die beschränkte Komplexität wegen der notwendigen abstrahierenden Reduktion immer mit sich bringen.
Eine weitere Schwierigkeit kann darin liegen, dass vorhandenes Wissen nicht oder nur sehr schwer von neuem Wissen unterschieden werden kann. Organizer können helfen, diesen Schwierigkeiten vorzubeugen. Etwaige fehlende Voraussetzungen werden behoben, indem „Prinzipien der progressiven Differenzierung und integrativen Vereinigung“ (Thol 1984, 29) verdeutlicht werden. Die Aufgabe des Organizers liegt hierbei darin, hinreichend differenziert ein Thema zu strukturieren und in seinen Elementen zu beschreiben und zugleich die Übersicht zu wahren, indem modellhaft eine Entwicklungs- oder Deutungslinie aufgezeigt wird.


3.2. Praktische Begründung

In der Praxis machen Advance Organizer mehr Schwierigkeiten als oft gedacht wird. Dies liegt grundsätzlich praktisch darin, dass die Konstruktion von abstrahierenden Übersichten jenen Lehrenden oder Lernenden am leichtesten fällt, die über eine sehr hohe Fachkompetenz und nicht nur ein Spezialwissen, sondern auch über ein forschendes Wissen verfügen. Vor allem gilt es die Gefahr zu bekämpfen, dass die Visualisierungen irgend ein „reales“ Abbild der Wirklichkeit sein könnten oder so verstanden werden müssten. Insbesondere im deutschen Sprachraum, in dem die sozial kognitiven psychologischen Theorien und eine pragmatistische oder konstruktivistische Haltung weniger durchgehend im Bewusstsein der Lehrenden verankert ist als international gesehen, kann es durch die Organizer zu Missverständnissen kommen. Wenn z.B. jemand den Organizer aus einer engen bildungstheoretischen Sicht als eine gleichsam universell gültig scheinende Abbildung menschlicher Vernunft setzt (entsprechend den überhöhten Erfordernissen im Ideal kategorialer Bildung), dann könnte das Missverständnis produziert werden, dass solche Organizer gleichsam wahres Wissen abbilden können. Das Missverständnis liegt dann darin, dass die Darstellung einer inhaltlichen Präsentation von Zusammenhängen als bloße Abbildung in einem didaktischen Zusammenhang mit der Begründung einer Wahrheit selbst gebracht und dadurch die didaktische Geltung mit der wissenschaftlichen Begründung verwechselt wird. Es muss dem Didaktiker und dem Lerner immer bewusst bleiben, dass die didaktische Präsentation nur eine Kommunikation über verschiedene Möglichkeiten der didaktisierten Konstruktion von Wirklichkeiten ist, aber keineswegs diese Wirklichkeit selbst darstellen kann. Zwar sollen die Organizer Sachverhalte richtig wiedergeben, aber diese Richtigkeit in den Darstellungen ist eine abstrahierende Vereinfachung, denn sonst würde sie ihr didaktisches Ziel kaum erfüllen. Sie muss jedoch auch als solche Vereinfachung benannt sein und von den Lernern als solche durchschaut werden können. Dabei hat sich in der Praxis gezeigt, dass dies am besten dann gelingt, wenn die Lerner ihre eigenen Organizer erstellen und kritisch hinterfragen. Wenn Lehrende Organizer präsentieren, dann sollten diese auch offene Stellen und Fragen enthalten können, damit nicht der Eindruck eines geschlossenen Wissens erscheint.

Organizer lassen sich in der Praxis sehr leicht einsetzen, denn die Bereitschaft der meisten Lerner, sich in Übersichten zu orientieren, ist sehr groß. Wird die Übersicht vorgegeben, dann geht das Verfahren schnell, wird sie selbst gefertigt, dann dauert es ggf. sehr lange, bis alle Lerner auf den gleichen Stand kommen. Nehmen wir als Beispiel ein Mind Map. Wenn der Lehrende zu einem Thema ein Mind Map vorgibt, dann ist dies seine Deutung eines Themas, das die Lerner nachvollziehen sollen. Erstellen die Lerner ein eigenes Mind Map als Einstieg in ein Thema, dann werden sie sehr viel umfassendere Verankerungen für sich finden. Lehrende müssen also nicht nur die Zeit abschätzen, die sie mit dem Organizer benötigen, sondern auch den Grad an Tiefe definieren, der für die Unterrichtseinheit gleich zu Beginn als erforderlich erscheint. Hinzu kommt das Problem, dass der Organizer auch nicht gleich zu Beginn des Unterrichts alle Einzelprobleme einer folgenden Unterrichtseinheit schon im voraus klären soll, so dass der Grad der Vereinfachung bewusst zu planen ist.
Grundsätzlich ist es bei diesen Vereinfachungen wichtig, dass man für bestimmte Themenkomplexe die richtigen Hilfsmittel zur Verfügung hat sowie um deren Anwendung weiß (The Project Organizer 1996). Weitere methodische Forderungen beziehen sich auf die verschiedenen Möglichkeiten, einen Organizer zu entwickeln. Es gibt nie nur eine Möglichkeit; viel wichtiger ist es, dass Vorwissen und Lernmaterial aufeinander kreativ abzustimmen und möglichst unterschiedliche Perspektiven und Zugänge einzubauen. Im Sinne der konstruktivistischen Didaktik sollten gute Organizer nach drei Richtungen gefertigt sein:

  • multiperspektivisch: verschiedene Sichtweisen ermöglichen und Beobachtungen aus unterschiedlichen Sichtweisen umfassen;
  • multimodal: unterschiedliche Zugänge bieten;
  • multiproduktiv: unterschiedliche und vielschichtige Ergebnisse herstellen helfen.

Diese drei Richtungen beugen vor allem einer immer wieder in der Praxis beobachtbaren Schematisierung des Einsatzes entgegen. Dabei ist allerdings die größte Schwierigkeit, dass der Organizer selbst die Modalität, d.h. die Vielschichtigkeit der Zugänge dadurch einschränkt, dass er auf der visuellen und sprachlichen Ebene einsetzt und damit bestimmte Lernertypen gegenüber anderen bevorzugt. Hier gilt gleicher­maßen wie für die Kritik des Frontalunterrichts (siehe unter Darstellung die multiplen Intelligenzen; vgl. dazu auch Reich: Konstruktivistische Didaktik) aus konstruktivisti­scher Sicht, dass die Organizer hin zu anderen Zugängen des Lernens noch besser geöffnet werden sollten bzw. im Einsatz nur begrenzt eingesetzt werden.
Um kognitive Strukturen feststellen zu können, bieten sich gemeinsam mit den Lernenden Vortests, Interviews oder Befragungen, z.B. „cognitive mapping“ an (vgl. Thol 1984). Die Lernenden fertigen zu einem bestimmten Thema hier eine Karte an, in der sie ihr Vorwissen kundtun. Dies wird je nach den Fächern und ihren Kontexten sehr unterschiedlich ausfallen. Wichtig ist jedoch bei aller Unterschiedlichkeit, dass ein Organizer mit solchen Ideen präsentiert wird, mit denen die Mehrheit der Gruppe vertraut ist. Es geht immer darum, dass die gesamte Lerngruppe effektiv mit der Organisationshilfe arbeiten kann. Ist sie zu abstrakt, funktioniert das nur bei stärkeren Lernern. Zudem muss der Organizer alle in ihm angesprochenen Ideen mit dem Lernmaterial in Beziehung bringen. Deshalb ist praktisch zu beachten, dass der Organizer nur relativ grobe Informationen über einen bestimmten Sachverhalt als Einstieg in ein Thema aussagen kann. Würde er Detailwissen angeben, wäre er von einer Zusammenfassung des gesamten Unterrichts kaum zu unterscheiden.