Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

4. Darstellung der Methode

>> 4.1 Supervisionssetting
>> 4.2 Vom Sondierungsgespräch zum Kontrakt
>> 4.3 Prozessmodelle von Supervision
>> 4.4 Supervision als Metaberatungssystem
>> 4.5 Didaktisches Handlungsmodell

Eine unabdingbare Grundlage für gelungene Supervision ist eine Anerkennung der konstruktivistischen Prämisse verschiedener Realitäten und Beobachterperspektiven. Ein Supervisor sollte sich stets bewusst sein, dass jeder Supervisand seine eigene Realität lebt und dies eben auch in seiner beruflichen Tätigkeit. Die verschiedenen Sichtweisen dürfen hierbei keineswegs als „falsch“ oder „unwahr“ beschrieben werden, denn eine einzige, allgemeingültige Wahrheit gibt es nicht. Unter diesem Aspekt geht es also vielmehr darum, Inhalte, Ereignisse, Personen, Beziehungen, Handlungsmuster, Rollen, Zuschreibungen usw. aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und für problematische Aspekte eine Umdeutung möglich zu machen oder verändernde Impulse zu geben.

Supervision kann nicht in einer allgemeingültigen Anleitung dargestellt werden, denn in ihr vereinen sich verschiedenste Verfahren, Methoden und Techniken, welche jeweils vom Supervisor, von den Supervisanden, vom Setting, vom Kontext und vom Ziel der Supervision abhängen und beeinflusst werden.

Ich werde der Übersichtlichkeit halber und zwecks Komplexitätsreduzierung in diesem Kapitel die verschiedenen Teilaspekte von Supervision wie folgt gliedern und aufschlüsseln:

  1. Zunächst werden Faktoren und Überlegungen aufgezeigt, die das Supervisions-Setting beeinflussen. Dann wird das Augenmerk auf verschiedene mögliche Supervisions-Settings gerichtet.
  2. Vor dem eigentlichen Kontrakt steht immer eine ausführliche Sondierung der Ziele und Rahmenbedingungen der Supervision. Diese wird unter dem Punkt „Sondierungsgespräch“ erläutert und es werden relevante Fragen aufgelistet.
  3. Als nächstes wird Supervision als Prozess anhand verschiedener Prozessmodelle dargestellt und danach als Metaberatungssystem mit verschiedenen Subsystemen definiert. Das didaktische Handlungsmodell für Supervision setzt sich mit verschiedenen Aspekten des Supervisionsprozesses auseinander. Darunter fallen die Zirkularität von Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion, von Beobachter-, Teilnehmer- und Akteursrolle. Die gegebenen, auftretenden und möglichen Lehr- und Lernbedingungen im Beratungsprozess, das Verhältnis und Zusammenspiel von Inhalten und Beziehungen und die Wahrnehmung des Supervisanden als Fremder bzw. anderer werden erläutert. (Reich unterscheidet (durch Klein- und Großschreibung) den anderen (das eigene Bild von einer anderen Person in der Begegnung mit ihm) und den Anderen (als Subjekt). Diese Unterscheidung werde ich in meiner Arbeit übernehmen. Vgl. hierzu genauer Reich 2002a: S.85-103.)
  4. Nach der kurzen Darstellung einiger Problemkreise und Gefahren in der Supervision werden dann abschließend Anforderungen an den Supervisor und Grundlagen von Supervision formuliert.

Geeignete, integrierbare Methoden werden hier noch nicht explizit dargestellt. Diese sind im Kapitel 6 (Reflexion der Methode) zu finden. Sie werden allerdings auch dort nicht erschöpfend beschrieben, da es hier hauptsachlich um die Darstellung von Supervision als übergeordnetem Struktur- und Handlungsmuster geht. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass in der angeführten Literatur und im Methodenpool der Konstruktivistischen Didaktik der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln unter http://methodenpool.uni-koeln.de genauere Informationen zu den erwähnten Methoden erhalten werden können.


4.1 Supervisionssetting

Als Supervisionssetting sehe ich die durch verschiedene Rahmenbedingungen gegebenen möglichen Formen von Supervisionssitzungen an. Damit ist der gestalterische Rahmen von Supervision gemeint, in welchem sich dann verschiedene Methoden anwenden lassen. Zunächst stelle ich die Faktoren dar, welche ein bestimmtes Setting schon vor dem eigentlichen Supervisionsbeginn nahe legen. Dann werden verschiedene, ausgewählte Settings erläutert.

 

4.1.1 Rahmenbedingungen

Die für das Supervisionssetting relevanten Rahmenbedingungen sind:

  • die Gründe für den Bedarf an Supervision
  • die Supervisandenstruktur
  • der Arbeitsbezug der Supervision.

Gründe für den Bedarf an Supervision
Der Anlass für die Inanspruchnahme von Supervision ist oft, dass eine Situation als unbestimmt oder verworren erscheint und Zweifel an der Richtigkeit und am Erfolg des eigenen Handelns auslöst. Diese Situation wird dann zum Gegenstand der Untersuchung, wenn ein Problem festgestellt wird und eine Lösung denkbar ist (vgl. Buer 1999: S.43). Wenn die Lösung nicht eigenständig erarbeitet werden kann, wird Hilfe von außen benötigt. Diese Hilfe kann dann die Supervision sein. Es können hierbei folgende Bedarfsgrundlagen vorliegen:

 

Abbildung 1: Gründe für den Bedarf an Supervision

 

Akute Probleme oder Konflikte
Hier kommt es meistens auf schnelle Hilfe an, da der Arbeitsprozess der Supervisanden untereinander oder mit den Klienten bereits erheblich gestört ist. Bei Anfragen dieser Art liegt oft schon eine fortgeschrittene Problemstruktur vor, welche den Arbeitsprozess spürbar behindert bzw. einschränkt. Die Supervisanden fühlen hierbei eine Unzufriedenheit mit der derzeitigen Situation, können das Problem aber noch nicht exakt definieren. Deshalb wird es die Aufgabe der Supervision sein, die Problemlage zu klären und mögliche Lösungskonzepte zu vermitteln, oder sogar kurzfristige Interventionsmaßnahmen einzuleiten, bevor der Prozess der Problemklärung stattfindet. Methoden wie die „Hausaufgabe“ aus der lösungsorientierten Kurzzeittherapie nach de Shazer (vgl. von Schlippe 2002: S.35-38) könnten dann hilfreich sein. Die eigentlichen Ursachen der Störungen liegen dabei im interaktionalen bzw. beziehungsmäßigen und/oder systemischen bzw. kontextuellen Bereich. Diese zu klären und zu bearbeiten wird dann im fortgeschrittenen Supervisionsprozess wichtig, da sonst nur eine momentane Verbesserung der Situation durch eher restriktive Maßnahmen, oder eine Stigmatisierung einer bestimmten Person, einer Beziehung oder eines Sachverhaltes gegeben ist. Die eigentliche Problemstruktur besteht jedoch weiter. So werden immer wieder neue Konflikte entstehen. Supervision sollte als Prozess „zur Qualitätsverbesserung des professionellen Handelns“ (Buer 1999: S.36) gesehen werden und nicht als Notfallmaßnahme für außer Kontrolle geratene Situationen. Dies führt uns zum nächsten Grund für den Bedarf an Supervision.

Vorbeugende Maßnahmen
Die reflexive Rekonstruktion von Team- und Gruppenprozessen, die Vermittlung verschiedener Methoden zur Inhaltsvermittlung und die Fallarbeit dienen in der Supervision zur erfolgreicheren Gestaltung der Arbeit. So können Probleme schon frühzeitig erkannt und Konflikte im Ansatz gelöst werden. Des weiteren wird die Selbstreflexion und der Wechsel von Beobachterperspektiven gefördert. Diese berufsbegleitende Supervision wird zum Teil durch organisationsinterne Supervisoren abgedeckt, insofern die Organisation bzw. Institution über solche verfügt. Aber auch für kleinere Einrichtungen oder Einzelpersonen, die in sozialen Berufen arbeiten, ist begleitende Supervision wünschenswert und sinnvoll. Hier können externe Supervisoren gute Dienste leisten. Vor allem Einzelpersonen, die nicht die Möglichkeit haben sich im Team oder mit Kollegen zu beraten und auszutauschen, können dann von Supervision profitieren. Berufsbegleitende Supervision kann erfolgreich Burn-out-Syndrome erkennen und die allgemeine Zufriedenheit am Arbeitsplatz steigern. Sich wandelnde Arbeitsplatzbedingungen können thematisiert werden und in reflektierter Weise so auch die neuen oder anderen Anforderungen, Kompetenzen und Möglichkeiten für die Supervisanden bearbeitet werden. Als ständiger Lernprozess werden neues Wissen und neue Handlungsmethoden entsprechend der jeweiligen Kontextbedingungen vermittelt, die die praktische Arbeit effektiver und zufriedenstellender gestalten können.

Ausbildung
Ausbildungsinstitute und –einrichtungen stellen ihren Auszubildenden oder Studenten Supervision zur Verfügung, um die praktische Arbeit besser erfassen und bewältigen zu können, um die Praxis mit der Theorie zu verknüpfen und umgekehrt, um sich bewusst mit dem Berufsfeld auseinanderzusetzen, um sich mit anderen Auszubildenden austauschen zu können und sich gegenseitig zu unterstützen, um aus Fehlern zu lernen und um berufsspezifisches Wissen und berufsspezifische Methoden zu erlernen. Der Supervisor ist ein erfahrener Professioneller im jeweiligen Arbeitsfeld und erfüllt neben der Lehr- und Beratungsfunktion auch eine Kontrollfunktion. Belardi (1998: S.169) führt aber an, dass eine Bewertung oder Benotung nicht in den Rahmen der Supervision gehört und der Supervisor dem Supervisanden hier nicht als Prüfer oder Gutachter begegnen darf. Er weist darauf hin, dass Supervision vielmehr die wichtige Verknüpfung von Theorie und Praxis fördern soll und an arbeitsfeldrelevante Methoden und Techniken heranführt und diese vermittelt. Fehler werden so zur Grundlage von Lerneffekten und Veränderung bestehender Deutungs- und Handlungsmuster, statt zum Grund für Resignation und Frustration. Die Motive der Ausbildung oder des Studiums können reflektiert werden. So wird die Zufriedenheit mit der Ausbildung bzw. dem Studium erhöht und die Motivation und die Fähigkeiten in der Praxis der Auszubildenden und Studenten verbessert (ebd.: S.165-167). In der Ausbildungssupervision wird also der spätere Einstieg in die Praxis vorbereitet und erleichtert. Dabei darf Supervision aber nicht zur Zwangsmaßnahme werden, sie muss freiwillig bleiben (vgl. ebd. S.168f). Deshalb sollten in der Ausbildung auch Alternativen hierzu ausgehandelt werden können.

Fort- und Weiterbildung
Der Bedarf dieser Art geht nach Belardi (1998: S.163) von Professionellen aus, die bereits eine Ausbildung abgeschlossen haben und praktisch tätig sind. Supervision wird dann von Einzelpersonen oder von Organisationen, bzw. einzelnen Teams oder Abteilungen in Anspruch genommen. Oft ist der Wandel des Arbeitsfeldes, die Umstrukturierung der Organisation oder der Arbeitsabläufe, die Einführung neuer Methoden und Techniken, die Umschulung von Mitarbeitern, oder die Integration neuen Personals hier grundlegend. Der lehrende Professionelle ist zugleich auch immer Lerner. Im Sinne der sich wandelnden Ansprüche, Kontexte, Klienten, Schwerpunkte, Nachfragestruktur, Finanzierung usw. werden Professionelle in sozialen Berufen nicht umhinkommen, für sich das Konzept des „lebenslangen Lernens“ zu akzeptieren. Externe sowie auch interne Supervision sind für diesen Bedarf vorstellbar.

Ausgehend von der Bedarfslage wird deutlich, dass Supervision von verschiedenen Adressaten in Anspruch genommen wird.

Supervisandenstruktur
Die Nachfrage nach Supervision kann von verschiedenen Supervisanden ausgehen. Dies ist ebenso wie die Erwartungen der Supervisanden an die Supervision schon vor der eigentlichen Supervision zu klären und auch bei der Supervisonsgestaltung zu berücksichtigen.

 

Abbildung 2: Kontaktaufnahme

 

Einzelperson
Fragt eine Einzelperson nach Supervision, so ist abzuklären, wie das Interaktionsfeld der Person in ihrem Beruf beschaffen ist. Arbeitet sie z.B. in einem Team, so wäre Einzelsupervision hier fehl am Platze. Für reine Fallarbeit kann Einzelsupervision bedingt geeignet sein, vorzuziehen ist jedoch die Gruppensupervision, da hier der Austausch mit anderen praktisch arbeitenden Professionellen stattfinden kann. Generell wird in der aktuellen Literatur die Supervision in der Gruppe bevorzugt und auch unter systemischer Perspektive ist dieses zu befürworten.

Team
Hier ist das Setting der Teamsupervision angemessen. Kritisch zu beleuchten ist vom Supervisor, ob das gesamte Team an der Supervision teilnimmt, ob dies von allen freiwillig geschieht, und ob die Entscheidung einstimmig, bzw. demokratisch stattgefunden hat. Ist dies nicht der Fall kann es in der Supervision zu Widerständen kommen, welche vom Supervisor wahrgenommen und thematisiert werden müssen. Teams haben oft den Wunsch über Unklarheiten oder Konflikte in Bezug auf Kommunikation, Regeln, Machtaspekte, Kompetenzen, Abgrenzungen, Entscheidungen und Informationsaustausch zu sprechen (vgl. Belardi 1998: S.119). Die Reflexion der eigenen Arbeit, die Fallarbeit, Projekte, Veränderungen im Arbeitsfeld und in der personalen Struktur des Teams oder in der Organisation können Thema der Supervision werden. Teams können z.B. Arbeits- oder Projektgruppen, aber auch gesamte Abteilungen einer Institution sein.

Organisation
Fragt eine Organisation oder die Leitung einer Organisation nach Supervision für ihre Mitarbeiter, ist es möglich, dass letztere die Supervision unfreiwillig wahrnehmen müssen. Dies wird den Supervisionsprozess erheblich beeinflussen. Die Frage, ob und im welchem Rahmen Vorgesetzte an den Supervisionssitzungen teilnehmen, ist abzuklären. Ebenso ist die Spannung zwischen Zielen der Organisation, der Vorgesetzten, des Trägers und den Wünschen und Zielen der Mitarbeiter als Supervisanden von Bedeutung. Denn jede Organisation stellt Regeln auf, um ihre Mitglieder planmäßig zu steuern, doch gleichermaßen ist eine Organisation ein menschliches Sozialsystem, welches eine Vielzahl von Beziehungen beinhaltet (vgl. Schreyögg 2000: S.152f.). Geheime Aufträge (dieser Terminus bezeichnet Aufträge, bei denen bedingt durch institutionelle Tabus bestimmte Bedingungen nicht hinterfragt werden dürfen (vgl. Belardi 1998: S.67f.) und Grenzen im Organisationssystem sind vom Supervisor anzusprechen und gemeinsam mit den Supervisanden zu beleuchten. Unklarheiten, Unstimmigkeiten und Widersprüche im Supervisandensystem sind hierbei meistens ein Hinweis auf Konflikte; Machtstrukturen, Allianzen, Ausgrenzungen oder Tabus, sind Zeichen von Beziehungs- oder Kommunikationsstörungen und deshalb Teil oder Symptom der vorhandenen Problemstruktur (vgl. Belardi 1998: S.68).

Der Arbeitsbezug von Supervision
Rappe-Giesecke (2003: S.8-11) unterscheidet drei verschiedene Ausrichtungen von berufsbegleitender Supervision:

 

Abbildung 3: Arbeitsbezüge berufsbegleitender Supervision

 

Klientenbezug
Hier geht es darum, den Umgang der Supervisanden mit ihren Klienten zu verbessern. Dies geschieht durch das Erlernen von Selbst- und Fremdwahrnehmung, also durch die Aneignung von beziehungsdiagnotisch relevanten Fähigkeiten. Ebenso wird die Wahrnehmung der eigenen Handlungsgrundlagen, -regeln und –motivationen geschärft. Der Supervisand wird in der Selbstkontrolle und Reflexion seiner Interaktionen mit seinen Klienten geschult. Hierzu kommen verschiedene Methoden in Frage.

Kooperationsbezug
Hier richtet Supervision den Fokus auf die Kooperation zwischen Kollegen, Leitung und Mitarbeitern. Sie kann helfen, Kommunikationsstörungen zu beseitigen und das Arbeitsklima zu verbessern. Der Schwerpunkt wird hier auf Interaktion und Beziehungsarbeit liegen. Ziel ist es dabei, die Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu erhöhen und eine Atmosphäre gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung zu schaffen. Die Arbeitseffektivität im Team soll durch die Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls und der bewussten Wahrnehmung von Normen und Leitbildern des Teams im Rahmen ihres professionellen Handelns erhöht werden.

Rollenbezug
Die Intention liegt darin, den Supervisanden in seiner Rolle oder seinen Rollen im Arbeitsfeld wahrzunehmen. Dabei soll sich der Supervisand den Erwartungen an sich selbst, an andere und den Erwartungen der anderen an ihn bewusst werden und diese reflektieren. Dies gilt sowohl in der Beziehung der Supervisionsteilnehmer untereinander als auch in Beziehungen der Supervisanden in ihrem Praxisfeld. Ähnlichkeiten und Ungleichheiten in Beziehungen und die damit verbundenen Rollenzuschreibungen und -erwartungen kommen zur Sprache. Relevante Aspekte in den Beziehungen der Supervisanden zu ihren Kollegen können hier z.B. die Zugehörigkeit zu verschiedenen Professionen, formelle Statusunterschiede, unterschiedliche Grade an Qualifizierung, Weiterbildung und Berufserfahrung, Institutionszugehörigkeiten, private Kontakte zwischen Teilnehmern, Zugehörigkeit zu einem im Arbeitsfeld unterrepräsentierten Geschlecht und unterschiedliche Einstufung und Bezahlung sein (vgl. Rappe-Giesecke 2003: S.81). Im Verhältnis von Supervisanden zu ihren Klienten wären ebenfalls die verschiedenen gegenseitigen Rollenzuschreibungen und –erwartungen, also die festgefahrenen Muster zu beleuchten, um diese gegebenenfalls aufzubrechen und zu verändern.

 

4.1.2 Das Supervisions-Setting

Man unterscheidet interne und externe Supervision. Der interne Supervisor ist umfassend mit den gegebenen Abläufen, Ressourcen und institutionellen Voraussetzungen vertraut und kann auf seine organisationsinterne Arbeitserfahrung zurückgreifen. Er läuft jedoch Gefahr, zu sehr in die organisationsspezifischen Rollen, Muster und Beziehungskonstellationen verstrickt zu sein und eher konform mit den vorhandenen Realitäten zu laufen. Blinde Flecken können hier den Supervisionsprozess negativ beeinflussen. Auch Akzeptanzprobleme bei den Supervisanden sind ein Kritikpunkt organisationsinterner Supervision. Eine gewisse Kompensation dieses Faktors kann eine hierarchisch gleichgestellte Position des Supervisors („Supervisor in Stabsfunktion“, vgl. Belardi 1998: S.37) anstatt einer Supervision durch Vorgesetzte bewirken. Interne Supervision macht wegen der gegebenen Feldkompetenz der Supervisoren vor allem für die Ausbildungssupervision Sinn.
Der Supervisor als externer Berater hat den Vorteil, außerhalb des beruflichen Interaktionssystems des/der Supervisanden zu stehen und deshalb aus einer anderen Beobachterperspektive eine methodisch strukturierte Reflexion des Supervisandensystems zu ermöglichen und nicht Teil der Organisationskultur zu sein und diese verinnerlicht zu haben. Er kann im Verlauf des Supervisionsprozesses leichter eine demokratisch gleichberechtigte Position zu den Supervisanden einnehmen. Jedoch hat natürlich auch er „blinde Flecken“.
Sowohl bei interner als auch bei externer Supervision kann es dann ausgehend von verschiedenen Bedingungen zu unterschiedlichen Settings kommen.

 

Abbildung 4: Bedingungen für die Gestaltung des Supervisionssettings

Verschiedene Supervisions-Settings sind abhängig vom Grund, Thema und den Zielen der Supervision und von der Supervisandenstruktur und deren Kontexten denkbar. Die Arbeitsform des Supervisors, also seine Kompetenzen und methodischen Vorlieben, werden ebenso eine Rolle für die von ihm angebotenen Supervisionsformen spielen (vgl. Abb. 4.). Oft ergibt sich das Setting automatisch durch die Wünsche oder die Beziehungen der Supervisanden. Während des Supervisionsprozesses ist es durchaus möglich, dass die Settings manchmal variieren. Eine Person, die um Bloßstellung vor den Kollegen fürchtet und deshalb in der Teamsupervision große Widerstände aufbaut, kann eventuell besser mit einem Einzelpersonen-Setting umgehen. Ebenso kann es sein, dass zu einem Supervisions-Setting mit einem festen Arbeits-Team in einigen Sitzungen auch Vorgesetzte, Träger oder Klienten hinzugezogen werden müssen, damit der systemische Kontext reflektiert werden kann, oder es können außenstehende Experten mit der jeweiligen Feld- oder Methodenkompetenz hinzugezogen werden. Es gibt viele spezielle Settings für Supervision, wie z.B. Regelsupervision, Kompaktsupervision, Leitungssupervision, Projektsupervision, Konzeptsupervision, Krisensupervision, kollegiale Supervision, Live-Supervision, Coaching, Rotationssupervision oder Rollenberatung. Diese alle gesondert darzustellen würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb, und weil die meisten dieser Arten der Supervision den unten genannten zugeordnet werden können, beschränke ich mich auf die Darlegung der folgenden Settings, die durch die teilnehmenden Supervisanden determiniert sind:

  • Einzelpersonen-Setting (dyadisches Setting)
  • Mehrpersonen–Settings:
      • Gruppen-Setting (Supervisionsgruppe)
      • Team-Setting (Teamsupervision)

Sie alle müssen durch Vereinbarungen über Zeit, Dauer, Ort und Frequenz der Sitzungen strukturiert werden. Die Stimmigkeit dieses Rahmens sollte während des Verlaufes der Supervision in Abständen immer wieder überprüft werden.

Das Einzelpersonen-Setting
Ritscher (1998: S.30) stellt heraus, dass der dyadische Aufbau dieses Settings dem Supervisanden ein großes Maß an Sicherheit vermittelt. Themen in diesem Setting sind meist die eigene Person und die eigenen Handlungsstrukturen bzw. die Probleme in diesem Bereich. Außerdem können blinde Flecken in der Interaktion mit den Klienten aufgedeckt werden. Klärung und Unterstützung kann nach Belardi (1998: S.100-103) auch für Mobbing-Opfer oder Personen mit Burn-Out geboten werden. Häufig wünschen sich Personen mit beruflicher Leitfunktion diese Supervision, um sich mit ihrer Rolle als Leiter auseinanderzusetzen. Für Ausbildungssupervision, Lehrsupervision und Weiterbildungssupervision ebenso wie für die Fallarbeit kann dieses Setting hilfreich sein. Besonders wichtig bei der dyadischen Supervision ist die Grenzziehung zwischen Supervision und Psychotherapie (vgl. Belardi 1998: S.102f.; Buer 1999: S.30). Die Beratung muss stets den Fokus auf das Arbeits- und Berufsfeld des Supervisanden richten. Eine weitere Gefahr, der sich der Supervisor hier besonders bewusst sein muss, ist die Schwierigkeit dem Supervisanden gegenüber neutral zu bleiben und der Parteilichkeit mit dem Supervisanden zu widerstehen, welche durch die einseitige Darstellung von diesem gefördert werden kann.
Der systemische Kontext, wie z.B. Teamprozesse, Gruppendynamik und institutionelle Faktoren können in diesem Setting jedoch nur aus der Perspektive des Supervisanden bearbeitet werden, was zu einer starken Einschränkung des Wechsels der Beobachterpositionen führt (vgl. Ritscher 1998: S.30). Auch die Beziehung zwischen Supervisor und Supervisand kann im Supervisionsprozess nicht aus einer exzentrischen Position kritisch mitreflektiert werden, da weitere Dialogpartner fehlen. Dies wäre durch ein Team von Supervisoren zu lösen. Das Arbeitsfeld der Supervisanden wird in systemischer Sichtweise als System mit einzelnen Subsystemen gesehen, in dem zumeist die Interaktion und hierbei besonders die Beziehungsseite eine große Rolle spielt. Deshalb wäre im Falle von kollegialer Arbeit sicherlich immer das Team-Setting zu bevorzugen, da so mehr interaktionale Systemkomponenten erfasst werden können. Auch im Falle eines alleine arbeitenden Professionellen wäre ein Gruppen-Setting zu bevorzugen, denn dieses ermöglicht durch seine Struktur wesentlich mehr Beobachtervarianz und somit einen größeren Pool verschiedener Handlungs- und Deutungsmuster als das Einzelpersonen-Setting (vgl. Kapitel 4.1.1.2.).

Mehrpersonen-Settings
Der Vorteil von Mehrpersonen-Settings besteht in der gegenseitigen Bereicherung der Teilnehmer. Es finden sich wesentlich mehr verschiedene Perspektiven, Lösungs-, Deutungs- und Handlungsvorschläge, da die soziale Vielfalt von Beobachtungen, Erfahrungen, Wissen und Fähigkeiten größer und breiter gefächert ist. Interaktion, Kooperation und kollektives Handeln sind im sozialen Bereich von großem Interesse, also auch in der Supervision wichtig. Feed-Backs können hier besser angewendet und Übertragungen effektiver besprochen werden. Außerdem ist eine Gruppe für die Anwendung wichtiger, integrierbarer Methoden (wie z.B. Rollenspiel, Psychodrama, Skulpturarbeit usw.) in der Supervision von Vorteil. Der Wechsel zwischen Selbstbeobachterperspektive, welche den Beobachter selbst auf sich und seine Bedürfnisse schauen lässt, und Fremdbeobachterperspektive, welche den Versuch darstellt, sich in die Beobachtungen anderer hineinzuversetzen (vgl. Reich 2002b: S.172), kann in Settings mit mehreren Teilnehmern wesentlich effektiver trainiert werden. Wünschenswert ist, wenn auch die in der Supervision nicht anwesenden Mitglieder des Problemsystems (z.B. die Klienten der Supervisanden) erfasst werden können, indem die Teilnehmer der Supervision diese bei verschiedenen Methoden imaginativ vertreten. Systemisches Arbeiten ist in einem solchen Rahmen gut möglich. Andernfalls können diese jedoch auch symbolisch durch die Methode des „Leeren Stuhls“ (vgl. Ritscher 1998: S.154-168) vertreten werden. Eine zu große Anzahl von Teilnehmern würde effektivem Arbeiten entgegenwirken.

Gruppen-Setting (stranger group)
Die Beziehungen der Supervisanden sind zu Beginn dieser Art von Supervision nicht formal vorgeregelt (vgl. Schreyögg 2000: S.421). Belardi (1998: S.106-108) umschreibt dies so, dass hier Professionelle zusammenkommen, die nicht in direktem Arbeitszusammenhang zueinander stehen, also kein Team bilden (stranger group). Dies lässt den Gruppenmitgliedern mehr Freiheit in ihren Äußerungen und Gedanken, da der kollegiale Druck und die eventuellen Konsequenzen am Arbeitsplatz als Störfaktoren ausbleiben. Es herrscht ein gewisser Grad an Anonymität. So können Fallbesprechungen offener bearbeitet und konstruktiver kritisiert werden als in den anderen Settings. Wenn die Supervisanden aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern oder sogar aus verschiedenen Berufen zusammenkommen, ergibt sich eine große Vielfalt an Beobachtungsleistungen und Handlungsstrategien. Beruflich und persönlich voneinander unabhängige Supervisanden, die dem gleichen Arbeitsfeld entspringen, bieten dagegen mehr Erfahrung, Fachkompetenz und Feldkompetenz in ihrem speziellen Praxisfeld (vgl. Ritscher 1998: S.30f.). Welche Art von Gruppensupervision geeigneter ist, hängt von den Wünschen und Zielen der Supervisanden ab. Bei akuten Problemen in bestimmten Situationen der beruflichen Praxis wäre eventuell eine berufsmäßig homogenere Supervisionsgruppe geeigneter, da diese aus ihren Erfahrungswerten schneller zunächst notwendige Interventionstechniken und Methoden bereitstellen kann. Ein Vorteil von Gruppensupervision für Berufstätige ist, dass sie normalerweise freiwillig besucht wird und deshalb von einer größeren Kooperationsbereitschaft der Teilnehmer auszugehen ist. Der Supervisor steht im Vorfeld in keinerlei Beziehung zu den Teilnehmern, da er sonst in seiner Neutralität und exzentrischen Sichtweise behindert wäre.

Exkurs: Balint-Gruppe
Eine spezielle Form der Gruppensupervision stellt die Balint-Gruppe dar. Die Supervisanden arbeiten alle im selben Beruf, sind aber beruflich und privat von einander unabhängig. Freie Fallschilderung und freie Assoziationen sowie Spiegelphänomene, Übertragungen und Resonanzphänomene sind wichtige Aspekte in dieser Form der tiefenpsychologisch fundierten Beziehungsdiagnostik. Übertragungen und Regression der Supervisanden werden jedoch nicht verstärkt, weil persönliche Probleme der Teilnehmer vom Balint-Gruppen-Leiter ausgegrenzt werden (vgl. Belardi 1998: S.114). Diese abstinente Haltung des Leiters sieht Schreyögg (2000: S.437) als problematisch an, da sie implizit die Regressionsbereitschaft fördert, diese aber dann doch nicht zulässt. In ihrem Ursprung als berufsbezogene Selbsterfahrung auf der Basis von psychoanalytischen Konzepten, die hauptsächlich an dyadischen oder triadischen Strukturen entwickelt wurden, mangelt es dem Balint-Gruppen-Ansatz auch an gruppendynamischen und organisationswissenschaftlichen Beobachtungsleistungen. Systemphänomene können so kaum erfasst werden (ebd.: S.436). Deshalb ist dieser Ansatz für die systemisch-konstruktivistische Didaktik in seiner Ursprungsform kaum relevant.

Team-Setting
Ein Team kann als arbeitsteiliges System angesehen werden, welches in einem institutionellen Rahmen mehr oder weniger eng zusammenarbeitet. Ziel der Teamsupervision ist die Leistungsverbesserung der Arbeit im Sinne der Organisation. Hierzu gehört die Besprechung und Bearbeitung von Fallarbeit mit Klienten, von Interaktion mit Klienten und im Team selber und die Analyse der Institution bzw. Organisation, welche den Rahmen für die berufliche Teamarbeit bildet. Bei der Beziehungsarbeit müssen sowohl die informellen als auch die formellen Strukturen berücksichtigt werden. Demokratie, Kooperation, gegenseitige Wertschätzung und Kommunikation sollten gefördert werden. Bereichsabgrenzungen, Zuständigkeiten, Regeln der Zusammenarbeit, Kontakt- und Rückzugsmöglichkeiten, Koalitionen, Ausgrenzungen und Machtverteilung sind ebenfalls zu explizieren und thematisieren (vgl. Ritscher 1998: S.31). Auch die Ordnung eines Teams kann für den Beratungsprozess eine Rolle spielen.
Nach Kersting/Krapohl ergibt sich durch das Team-Setting die Notwendigkeit der Reflexion bestimmter Merkmale von Teams. Dies will ich hier zusammengefasst darstellen (vgl. Belardi 1998: S.117-119):

Der zuletzt erwähnte Gesichtspunkt weist wiederum darauf hin, dass es durchaus nötig sein oder werden kann, die Teamsupervisions-Gruppe durch Beteiligte des Gesamtsystems zu erweitern. So können z.B. Vorgesetzte, Träger, oder aber in Einzelfällen auch Klienten um Teilnahme gebeten werden.



4.2 Vom Sondierungsgespräch zum Kontrakt

Vor der eigentlichen Supervision nimmt eine Einzelperson, eine Gruppe oder ein Team Kontakt mit dem Supervisor auf. Die Supervisanden haben zu diesem Zeitpunkt immer schon bestimmte Erwartungen an die Supervision. Es gilt dann in einem Erst- oder Sondierungsgespräch diese Erwartungen zu diskutieren, Einigungen über die Rahmenbedingungen der Supervision zu erzielen und einen Supervisionskontrakt festzulegen. Das Erstgespräch dient auch dazu, dass sich der Supervisor durch gezieltes Nachfragen ein umfassendes Bild von den Supervisanden, deren Problemen, Interaktionen, Kontexten und Wünschen machen kann. Das Prinzip der Kundenorientierung kann hier unnötige Arbeit und Mühe und den Verschleiß von Zeit, Geld und Energie vermeiden und eine möglichst genaue Erfüllung der Kundenwünsche gewährleisten (vgl. von Schlippe 2002: 125-127).
Wichtige Fragen sind im Sondierungsgespräch also (vgl. Pühl 1990; Rappe-Giesecke 1994: S.22ff. nach: Belardi 1998: S.64):

Als nächstes soll eine gemeinsame Einigung über die Rahmenbedingungen erreicht werden. Wenn diese in der ersten Sitzung nicht ganz abschließend zu klären sind, weil es z.B. verschiedene Vorstellungen einzelner Teammitglieder über Ziele, Sinn und Zweck oder Methoden der Supervision gibt, so kann eine weitere Sitzung im Verlauf der Supervision für eine Überprüfung der Rahmenbedingungen angesetzt werden, um den Supervisionsprozess dann wieder in die richtige Richtung zu steuern. Vor dem Kontrakt ist jedoch ein gemeinsames Hauptziel der Beteiligten festzulegen und auch die Akzeptanz verschiedener Methoden zu klären, da die eigentliche Supervision sonst für eben diese Aushandlungen benutzt wird. Für die Klärung der Rahmenbedingungen schlägt Kallabris (1992: S.20ff. nach: Belardi 1998: S.65) einige Fragen vor, die ich hier gekürzt darstelle:

Zur genauen Klärung des gewünschten Settings und der genauen Art der Supervision müssen weitere Punkte besprochen werden (vgl. Ritscher 1998: S.34):

Textfeld: a)	Soll Fallarbeit, Teamberatung, Konzeptdiskussion, Organisationsanalyse  oder eine andere Form von Supervision stattfinden? Sind Kombinationen erwünscht bzw. notwendig?  b)	Gibt es den Wunsch nach einer bestimmten methodischen Orientierung? Werden bestimmte Methoden abgelehnt?  c)	Wird die Supervision als langfristige begleitende Maßnahme oder als kurzfristig begrenzt eingeplant?   d)	Wenn die Supervision eine kurzfristige Maßnahme sein soll, handelt es sich um eine Krisenintervention oder eine Weiterbildungssupervision für bestimmte Methoden und Konzepte?

Die frühzeitige Abklärung all dieser Aspekte ist für die Supervision von erheblicher Wichtigkeit. So können Fehlkurse, Auslassungen und störende Unklarheiten vermieden werden. Sowohl der Supervisor als auch die Supervisanden wissen dann relativ genau worum es geht und woran sie sind und können entscheiden, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll ist. Ein großer Teil der Arbeit findet also schon vor der Supervision statt. Hierbei spielen alle Beteiligten des Supervisionssystems eine Rolle, ebenso wie die Kompetenzen und Grenzen des Supervisors und die institutionellen Bedingungen in der die Supervision stattfinden soll. Beim Setting der Teamsupervision sollte der Supervisor speziell darauf achten, keinen Kontrakt einzugehen, solange die Zielvorstellungen und Rahmenbedingungen der Supervision zwischen Leitung und Team des Supervisandensystems nicht wenigstens in den Hauptpunkten geklärt sind, da die Leitung sonst Mittel für eine Supervision zur Verfügung stellt, bei der nicht klar ist, welche Inhalte mit dem Team bearbeitet werden sollen (vgl. von Schlippe 2002: S.229).
Das Sondierungsgespräch kann auch als eine Art Probesupervision gesehen werden, in der sich die Beteiligten ein Bild vom Gegenüber machen. Der Supervisor stellt sich schon hier in seiner Supervisionstätigkeit dar. Fragen, die sich der Supervisor vor dem Supervisionskontrakt stellen sollte, sind unter anderem (vgl. Ritscher 1998: S.36):

Natürlich werden auch die Supervisanden sich Fragen bezüglich der anstehenden Supervision stellen. Oft stehen mehrere potentielle Supervisoren zur Auswahl. Die Entscheidung für einen Supervisor sollte gemeinsam getroffen werden. Deshalb ist es sinnvoll zusammen zu diskutieren (vgl. Rappe-Giesecke 1994: S.23f. nach: Belardi 1998: S.72f.):

Wird nun ein Konsens über die aufgeführten Punkte deutlich, so steht der Supervision nichts mehr im Wege. Nun sollte auf dieser Basis ein schriftlicher Kontrakt erstellt werden. Ein Supervisionskontrakt als Dienstvertrag (Formular der DGSv, Mai 1998) findet sich zum Beispiel in Buer (1999: S.95-97). Er umfasst Informationen über Auftraggeber, Auftragnehmer, die vereinbarte Tätigkeit, die Vergütung, die Vertragsdauer, den Anschlussvertrag und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Rechtliche Hinweise zum Dienstvertrag zwischen Supervisor und Supervisand gibt Belardi (1998: S.158f.). Einen Kontrakt über eine Teamsupervision und einen Kontrakt über eine Gruppensupervision ist in Rappe-Giesecke (2003: S.122f.) abgebildet.

 

4. 3 Prozessmodelle von Supervision

In der Literatur zu Supervision finden sich verschiedene Prozessmodelle. Einige möchte ich im Folgenden darstellen:


4.3.1 Prozessmodell Integrativer Supervision (Schreyögg)

Schreyögg (2002: S.448-455; S.496-501) beschreibt das Prozessmodell Integrativer Supervision auf Basis der Prozessmodelle der erlebnisorientierten Psychotherapie, des Psychodramas und der „Integrativen Therapie“ nach Petzold (1977: „Die Medien in der Integrativen Pädagogik“. In: Petzold, H./Brown, G. I. (Hg.): Gestaltpädagogik, Konzepte der integrativen Erziehung. München). Da das Ziel der Supervision die geplante kreative Veränderung von Menschen bzw. deren Deutungs- und Handlungsmustern ist, können diese Phasenmodelle als Handlungskonzept für Supervision dienen. Das folgende Prozessmodell soll die supervisorische Arbeit nicht auf ein Schema festlegen, sondern eher eine mögliche Orientierung für den Supervisor sein. Die Phasen sind hierbei oft nicht konkret zu trennen und teilweise auszudehnen oder zu wiederholen. Die vier Phasen des Integrativen Supervisions-Modells sind:

Die Initialphase
Zunächst muss eine gemeinsame persönliche und fachliche Verständigungsbasis aller Beteiligten gefunden werden, auf deren Basis dann ein Suchprozess eingeleitet wird, der das Thema und Ziel der Supervisionsarbeit grob umrahmt und ordnet. Der Supervisor nimmt die Darlegungen des/der Supervisanden wahr und strukturiert sie in sich. So kann er fehlende Daten bemerken und erfragen. Dabei kann ihm seine Neugierde von großem Nutzen sein, welche er auch bei den Supervisanden wecken können sollte. Bei Gruppen- und Teamsupervision muss im Dialog, Gruppengespräch oder Diskurs demokratisch über die gemeinsamen und eventuell konkurrierenden Themenwünsche verhandelt werden und Prioritäten sind festzulegen. Hiernach kann der Supervisor einschätzen, ob Sachthemen oder Beziehungsarbeit im Vordergrund stehen, ob die Arbeit mit Klienten oder der Arbeitskontext vorrangig sind und welche Theorien, Perspektiven und Methoden eventuell in Frage kommen (vgl. Schreyögg 2000: S.451; S.499f.).

Die Aktionsphase
Im Dialog bzw. gruppalen Gespräch wird zusammen eine angemessene Rekonstruktionsform vereinbart. Diese kann vom Supervisor vorgeschlagen werden oder aber aus der Gruppe bzw. dem Team selbst kommen. Hier werden reflexive oder erlebnisaktivierende Arbeitsformen eingesetzt. Besonders letztere sollen regressive Prozesse beim Supervisanden in angemessenem Ausmaß fördern und ihm somit eine nicht durch die Filter bestehender prägender Deutungs- und Handlungsmuster veränderte, sondern eher unbewusste Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen. Hier ist auch die szenische Rekonstruktionsarbeit anzusiedeln. Ebenso können reflexive Techniken angewendet werden. Dazu wird der Supervisor durch entsprechende Methoden und Techniken das Potential der Supervisanden zu divergentem Denken nutzen. Ziel der Phase ist das Erkennen und Formulieren des eigentlichen Problems durch den Supervisanden (vgl. Schreyögg 2000: S.452f.; S.500f.).

Die Integrationsphase
Die Erkenntnis über das Problem soll hier vom Supervisanden verarbeitet werden. Bei diesem zirkulären Spiel von Konstruktion, Re- und Dekonstruktion unterstützt ihn der Supervisor, da es zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen beim Supervisanden, wie z.B. auch Weinen, Lachen und Staunen kommen kann. Diese emotionalen Reaktionen sind oft ein Zeichen dafür, dass der Supervisand einen Kontrast von Bekanntem und Unbekanntem wahrnimmt, Unvollständigkeiten erkennt oder das etwas Unvorhergesehenes geschieht (vgl. Reich 2002b: S.170f.). Hier ist es oft nötig sich zunächst mit der emotionalen Betroffenheit der Supervisanden zu beschäftigen, um darauf aufbauend zu einer rationalen Analyse des Themas zu gelangen. Die neuen Sichtweisen und die damit verbundenen Konsequenzen sollen in dieser Phase vom Supervisanden in seine Deutungsmuster integriert werden.
In Gruppen sind stets alle Gruppenmitglieder Teilnehmer und Beobachter des Prozesses, auch wenn die Akteursrolle hauptsächlich bei einer oder mehreren Personen liegt. Auch deshalb kann es in dieser Phase zu vielen emotionalen Reaktionen kommen und die Beziehungen zwischen allen Beteiligten können deutliche Veränderungen erfahren. Feed-Backs und Gruppengespräche sind hier wichtig. Der Supervisor stellt hierzu einige Regeln auf und übernimmt ansonsten hauptsächlich moderierende Aufgaben.
Auch innerhalb von Teams finden Veränderungen statt. Spezifische Normen, Beziehungsstrukturen und Rollen können sich „verflüssigen“ und verändern. Diese müssen in die Gesamtheit der Team-Kultur behutsam integriert werden (vgl. Schreyögg 2000: S.453f.; S.501).

Die Neuorientierungsphase
Die neuen Beobachtungsperspektiven und Deutungsmuster müssen nun in der Praxis überprüft werden, d.h. es tritt ebenfalls eine Veränderung der Handlungsmuster ein. Die angeleitete Überprüfung der gefundenen Lösungen geschieht zunächst im sicheren Rahmen der Supervision. Hierzu gibt es verschiedene Techniken von rekonstruktiver, szenischer Arbeit, durch die Visionen zukünftiger Arbeit erstellt und thematisiert werden können. Erst dann werden die kreativen Lösungen auch in der Arbeitswelt verifiziert. Wenn die neuen Deutungs- und Handlungsmuster sich in der Praxis bewähren, ist das spezifische Problem gelöst. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der Supervisionsprozess weiter fortgesetzt (vgl. Schreyögg S.454; S.501).

 

4.3.2 Prozessmodell der Veränderung (Lewin)

Ähnlich stellt sich das Prozessmodell der Veränderung nach Lewin dar (vgl. Buer 1999: S.148). Zu Beginn der Supervision befinden sich die Supervisanden in einem Dilemma. Dieses ist oft von einem Konflikt begleitet, welcher Kämpfe, Symptome, Spiele oder Flucht mit sich bringt. Diesen eingefahrenen, verfestigten Zustand nennt man „Frozen“. Die Aufgabe des Supervisors besteht darin, diesen Zustand mit den Supervisanden gemeinsam zu analysieren. Wird im Folgenden das Problem erkannt und thematisiert, so stellt sich der Wunsch nach Veränderung ein. Diese Phase wird als „Unfreezing“ bezeichnet. Bei der nun folgenden Phase des „Changing“ geht es darum, neue Deutungs- und Handlungsstrategien zu finden, zu diskutieren und praktisch auszuprobieren. Hier kann es erneut zu Konflikten kommen. Wenn die vorgeschlagenen, erarbeiteten neuen Lösungen keine Verbesserung bringen und negatives Feedback erzeugen, so springt der Veränderungsprozess wieder zur Phase des „Unfreezing“, um die neuen und alten Probleme wiederum zu beleuchten und zu benennen. Stellen sich die gefundenen Lösungen jedoch als erfolgreich heraus, so sollen sie in der Phase des „Refreezing“ in den Deutungs- und Handlungsmuster der Supervisanden verankert und somit generalisiert werden. Auch diese können abhängig von ihrer zeitlichen Gültigkeit und veränderten Arbeitsbedingungen wieder problematisch werden und sind dann wiederum in der Phase „Frozen“ einzuordnen.

 

4.3.3 Prozessmodell für systemische Supervision für Lehrerinnen und Lehrer (Huschke-Rhein)

Huschke-Rhein (1998: S.187-191) beschreibt ein Strukturmodell für systemische Supervision für Lehrerinnen und Lehrer, welches mir allerdings eher als Prozessmodell von systemischer Fallarbeit in der Supervison erscheint und deshalb auch auf andere Supervisanden übertragbar sein kann. Ich stelle dieses Modell nun zusammengefasst dar:

Phase 0:

  • Formale Regelungen werden besprochen (Ort, Rollenverteilung, Zeitplan, usw.).
  • Thema, Prioritäten, vortragende Person werden gemeinsam festgelegt.
  • Es findet eine Nachbereitung des letzten Treffens statt.

1. Phase: Falldarstellung

  • Der Supervisand trägt den Fall so genau wie möglich vor, versucht den Kern des Problems zu finden und stellt die beteiligten Systeme dar.
  • Die Gruppe hört zu ohne zu unterbrechen und achtet auch auf nonverbale Äußerungen.

2. Phase: Interview

  • Die Gruppe kann Fragen zur weiteren Klärung des Falles stellen. Dabei kann folgende Systematik als Hilfe dienen:
    • Was wurde vom Supervisanden wahrgenommen?
    • Wie wurde das von ihm interpretiert?
    • Welche Gefühle/Körpergefühle traten bei ihm auf?
    • Wie war die Reaktion vom Supervisanden?
  • Der Fall wird strukturiert.
  • Ergänzende Fragen werden gestellt: Gefühle in der erlebten Situation – Gefühle jetzt.
  • Es dürfen keine Bewertungen, keine Diskussion und keine Lösungsvorschläge erfolgen.
3. Phase: Gruppenfeedback
  • Die Gruppe berichtet der Reihe nach kurz über ihre Gefühle, Wahrnehmungen, Assoziationen und Phantasien während der Falldarstellung und des Interviews.
  • Auch hier finden keine Bewertungen oder Urteile statt. Es wird keine Kritik geübt.
  • Der Supervisand hört nur zu, und äußert sich nicht!
4. Phase: Perspektivenwechsel (Spielphase)
  • Der Fall wird von der Gruppe gespielt.
  • Der Supervisand wechselt hierbei zwischen den Rollen des Zuschauers, des Konfliktpartners und sich selbst.
  • Wer nicht mitspielt erhält eine Beobachterrolle.
  • Es stellt sich dabei heraus, ob die Teilnehmer und der Supervisand noch weitere Informationen benötigen.
  • Es erfolgt ein kurzes Rollenfeedback: Wie wurde der Konflikt jetzt von den Spielern erlebt? Welche Beziehungen, Muster, Konflikte wurden sichtbar?
  • Hiernach empfiehlt sich i.a. eine kurze Pause

(Die Spielphase kann mit verschiedenen Methoden wie z.B. Psychodrama oder Gestalttherapie aufgebaut werden.)

5. Phase: Hypothesen (er-)finden

  • Die Gruppe sucht und erfindet Hypothesen und Erklärungsansätze für die konflikthaften Beziehungsstrukturen, Verhaltensmuster, Systemdynamiken usw.
  • Reframing (z.B.: Welche Vorteile bringen die Konflikte für wen? Welche Bedeutung hat der Konflikt, wenn man ihn positiv sieht?)
  • Alle Hypothesen sind gleichermaßen richtig/möglich. Der Moderator achtet darauf, dass keine Rechthabereien entstehen.
  • Der Supervisand hört wieder nur zu!

6. Phase: Lösungsideen

  • Die Gruppe produziert einige Lösungsvorschläge in hypothetischer Form.
  • Auch hier darf keine Bewertung oder Kritik erfolgen.
  • Hier kann die Methode des Reflecting Team eingesetzt werden.

7. Phase: Lösungsfeedback

  • Der Supervisand gibt Feedback zu den Hypothesen und Lösungen, die in Phase 5 und 6 produziert wurden.

8. Phase: Strukturierung/Systemisierung

  • Moderator, Ko-Moderatoren und die ganze Gruppe bringen die Ideen, Vorschläge und Hypothesen in eine stukturierte, systematische Form (z.B. Tafel, Metaplan o.ä.).
  • Ein Schema hierfür geht von den Systembeziehungen der Betroffenen aus und fragt nach den erwünschten Veränderungen auf der persönlichen Ebene, der Beziehungs- und der Kontextebene.
  • Geordnet wird nach Zugehörigkeiten zu diesen Ebenen, nach Zusammenhängen, nach leichteren und schweren Lösungsschritten und nach Hindernissen.
  • Dann erfolgt ein Feedback des Supervisanden. Dieser wird von der Gruppe nicht in seinen Überlegungen und Vorschlägen bewertet oder kritisiert.

9. Phase: Planung der Schritte

  • Der Supervisand entscheidet sich für einen Lösungsweg. Dabei beachtet er die vier Bedingungen für erreichbare Ziele (nach de Shazer). Das Ziel muss
    • konkret sein,
    • positiv formuliert sein,
    • mit kleinen Schritten beginnen,
    • im Kompetenz- und Handlungsbereich der Supervisanden liegen.
  • Die einzelnen Schritte werden konkret geplant. Fragen nach Hindernissen, Risiken, und Möglichkeiten der Verschlimmerung der Situation werden berücksichtigt.
  • Ein zukunftsorientiertes Rollenspiel kann hier nützlich sein

10. Phase: Weiterarbeit

  • Die Gruppe vereinbart den weiteren Verlauf (Zeitrahmen, Kollegenhospitation).

 

4.3.4 Phasen des Supervisionsprozesses (Rappe-Giesecke)

Rappe-Giesecke (2003: S.117) stellt den Supervisionsprozess wie folgt dar:

Phase 1: Erstkontakt (Ausstieg/Beendigung möglich)

Phase 2: Sondierungsgespräch mit Team und Leitung (Ausstieg/Beendigung möglich)

[Phase 2b:] Vorphase der Problemdiagnose (Ausstieg/Beendigung möglich)]

Phase 3: Kontrakt

Phase 4: Supervisionsprozess (mögliche Themen sind Fallarbeit, Institutionsanalyse, Programmkombination, Selbstthematisierung)

Phase 5: Auswertungs- und Rückkopplungssitzungen mit Leitung

Danach: Ausstieg/Beendigung oder Kontrakt verlängern/verändern und Fortführen von Phase 4

Die ausführliche Beschreibung dieses Modells würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Eine detaillierte und umfassende Beschreibung der einzelnen Phasen und des gesamten Supervisionsprozesses findet sich in Rappe-Giesecke (2003: 113-175).


Weitere Prozessmodelle sind denkbar. Sie sind mit verschiedenen Methoden kombinierbar und dienen als strukturgebendes Gerüst für den Supervisionsprozess, sollten jedoch den Veränderungen, welche dort auftreten, flexibel gegenüberstehen. Welches Modell in welcher Form letztendlich zur Anwendung kommt, hängt vom Supervisor, den Supervisanden, dem Supervisions-Setting und den Kontextfaktoren ab.

 

4.4 Supervision als Metaberatungssystem

 Sieht man den Supervisanden in seiner Arbeit mit den Klienten als Beratungssystem an, was für soziale Berufe meistens zutreffend scheint, so stellt Supervision die nächste Ebene der Beratung dar. Sie kann von außen exzentrisch auf das Beratungssystem schauen und es in seinen Lernprozessen begleiten. Supervision als Metaberatungssystem analysiert, fördert und kritisiert das Beratungssystem und seine Teil- bzw. Subsysteme (vgl. Reich 2002b: S.310). Die verschiedenen Systemebenen der Supervision sind nach Ritscher (1998: S.16-30) das Klientensystem, das Beratersystem (Supervisandensystem), das Beratungssystem (Beziehung und Kontext von Klienten und Beratersystem), das Supervisorensystem und das Supervisionssystem; außerdem füge ich die Perspektiven des Problemsystems und des Lösungssystems hinzu (vgl. von Schlippe 2002: S.35-38 und S.102-115.):

Das Klientensystem
Das Klientensystem umfasst den Klienten als Person in seiner operational geschlossenen, aber energetisch offenen Abgrenzung gegenüber der äußeren sozialen Umwelt, welche somit auch ein Teil des Klientensystems ist. Gerät die Systemdynamik aus der Balance, so ist dies oft der Anlass eine Beratung aufzusuchen (z.B. Störung des Gleichgewichtes in der Familiendynamik). Das Klientensystem zeichnet sich durch seine kognitiv-affektiv-somatischen Kontexte, also Ideologien, innere Bilder, Einstellungen und die damit affektiv verknüpften Werte aus. Ein weiterer Bereich des Klientensystems ist das Handeln der Klienten in ihrer Lebenswelt. In der systemischen Beratung werden diese beiden Merkmale als vernetzt betrachtet (vgl. Ritscher 1998: S.16f.).

Das Beratersystem
Der Professionelle in seinem Beruf bzw. ein kooperierendes Team von Professionellen stellen das Beratersystem dar. Dieses enthält nicht nur die berufliche Rolle und das berufliche Selbstverständnis der Berater, sondern auch deren Lebenswelt außerhalb des beruflichen Kontextes, die Einfluss auf die berufliche Beratungstätigkeit nehmen kann, da hier ebenso Beobachtungsleistungen, Teilnahmen und Aktionen stattfinden, die in Deutungs- und Handlungsmuster integriert werden. So kann z.B. auch die Herkunftsfamilie des Beraters Übertragungen hervorrufen, welche zum Verlust von Neutralität gegenüber den Klienten führen (vgl. Ritscher 1998: S.17-19).

Das Beratungssystem
Dies ist die Gesamtheit von Klienten- und Beratersystem, deren Dynamik und Interaktionen und der organisatorisch-administrative Rahmen des Beratungssystems. Problemfelder in diesem Beratungssystem, die eine Supervision notwendig machen, sind oft durch den Kontext der sozialen Organisation strukturell verfestigte Patienten-„Karrieren“, Schuldzuschreibungen, die Überbewertung der Sichtweise des Professionellen als maßgebende „Wahrheit“ und „unendliche Therapien“ (vgl. Ritscher 1998: S.20). Hierzu tragen die Entzeitlichung von Beziehungsereignissen (Zuschreibung eines dauerhaften Status, z.B. „der schizophrene Patient“) und die Verwechslung von Teil und Ganzem bei (z.B. wird ein Streit zum Anlass für eine Generalisierung: „die streitsüchtige Familie“). Auch die Problem- statt Ressourcenorientierung im Umgang mit den Klienten kann problematisch sein, da diesen somit Defizite zugeschrieben werden und somit eher der Leidensdruck anstatt die Neugier auf Veränderung und die eigenen Möglichkeiten verstärkt wird. Der Klient als System reguliert sich im zirkulären Prozess von Veränderung, Nichtveränderung (Homöostase) und der Neigung diese beiden Tendenzen auszubalancieren. Ein zu starker Veränderungsdruck in der Beratung kann nun im Sinne der Balance genau das Gegenteil bewirken, nämlich die Beharrungstendenz des Klienten verstärken (vgl. Ritscher 1998: S.22f.; Watzlawick 2000: 131-134). Auch der Versuch von der Beraterseite, die Probleme für den Klienten zu lösen, statt ihn bei der eigenen Lösung zu unterstützen und seine Ideen, Kompetenzen und Ressourcen zu nutzen, führt zu Problemen im Beratungssystem. Ebenso ist zu beachten, dass das Beratungssystem mehr ist als die Summe seiner Teile, es ist „übersummativ“ (Watzlawick 2000, S.129f). Das heißt, der Erfolg der Beratung ist nicht nur von Klient und Berater abhängig, sondern von vielen weiteren Systemkonstellationen, und somit sind zu hohe Erwartungshaltungen ebenso wie Schuldzuschreibungen bei Misserfolg nicht angebracht. Alle oben genannten Faktoren sind auch Thema von systemisch ausgerichteter Supervision und beeinflussen das Supervisionssystem.

Das Supervisorensystem
Der Supervisor ist normalerweise ein erfahrener Berater, der entweder sowohl Beratungs- als auch Supervisionstätigkeitenausführt oder sich ganz auf Supervision spezialisiert hat. Verschiedene Supervisoren arbeiten in verschiedenen Settings und mit verschiedenen Methoden. Ihre Berufserfahrung und ihre Zusatzausbildungen variieren. Ein systemisch versierter Supervisor hat den Vorteil, in der Wahrnehmung von Kontexten, im Wechsel von Beobachterperspektiven und in systemischen Methoden und Techniken geübt zu sein (vgl. Ritscher 1998: S.24f.). Die Offenheit im Bereich der Supervision (eine gewisse Struktur geben hier die Richtlinien der DGSV für ihre eingetragenen Mitglieder) macht eine vorherige Klärung dieser Merkmale des Supervisorensystems für die Supervisanden notwendig. Hier zeigt sich wiederum die Bedeutsamkeit der Sondierungsgespräche vor dem eigentlichen Supervisionsprozess. Ebenso kann nach einer gewissen Zahl von Sitzungen eine Bilanzsitzung für den Fall stattfinden, dass Supervisoren- und Supervisandensystem nicht zusammenarbeiten können. Dies kann auch trotz der reflektierten, neutralen Haltung des Supervisors vorkommen und sollte erkannt und geregelt werden.

Das Supervisionssystem
Dieses System besteht aus einem oder mehreren Beratungssystemen, dem Supervisorensystem und den Interaktionen in und zwischen den Systemen. Das Supervisionssystem kann strukturell unterschiedlich aufgebaut sein, je nachdem welches Supervisions-Setting unter welchen Voraussetzungen stattfindet (vgl. Ritscher 1998: S.25). Es ist hier wichtig die Komplexität der systemischen Beziehungen wahrzunehmen und Störungen auf allen Ebenen zu thematisieren. Diese finden zwischen Supervisand und Klient, zwischen mehreren Supervisanden eines Teams oder einer Gruppe, zwischen Supervisand und Leitung, Organisation bzw. Institution und zwischen Supervisand und Supervisor statt.
Das Supervisionssystem ist der Rahmen für die Bearbeitung des Problemsystems der Supervisanden in ihrer beruflichen Praxis. Das Problemsystem stellt sich hierbei oft anders dar als das von den Supervisanden geschilderte Problem. Systemische Beratung kann dann Lösungen auf verschiedenen Wegen anbieten. Es können neue Sichtweisen und Prozesse konstruiert werden, die bestehenden Muster können positiv umgedeutet werden, oder die Unveränderbarkeit der Gegebenheiten kann akzeptiert werden und ein möglichst gutes „Zurechtkommen“ mit dem Bestehenden erarbeitet werden (vgl. von Schlippe 2002: S.104).

Das Problemsystem
„Ein Problem ist etwas, das von jemandem einerseits als unerwünschter und veränderungsbedürftiger Zustand angesehen wird, andererseits aber auch als prinzipiell veränderbar“ (von Schlippe 2002: S.103). Das Problemsystem besteht aus diesem Problem, aber auch aus den Personen und der Kommunikation, die damit in Verbindung stehen. Der jeweilige Supervisand, der das Problem „hat“ oder „entdeckt“, ist dann auch ein Teil des Problemsystems und wird von diesem schon immer beeinflusst, was zu Verengungen der Sichtweite innerhalb dieses Systems führen kann. Das impliziert auch, dass es möglich ist, dass er selbst an der Entstehung oder Erhaltung des Problems mitwirkt. Oft verengt sich unter Stress und Druck bei den Professionellen die Beobachtungsweite, das heißt, es entstehen Beobachtungspolaritäten. Die Arbeitssituation wird extrem und einseitig wahrgenommen und somit tritt ein zirkulärer Verstärkungsprozess der Situation ein. Das Supervisonssystem kann dann durch exzentrische Beobachterperspektiven diese Polaritäten thematisieren und beziehungsrelevante Interpunktionsmuster aufdecken (vgl. Belardi 1998: S.85).

Das Lösungssystem
Das Lösungssystem muss nicht mit dem Problemsystem übereinstimmen. Es müssen z.B. nicht alle Personen in der Supervision anwesend sein, die Teil des Problemsystems sind, um Lösungen zu finden. Einige Beteiligte werden kaum etwas zur Lösung beisteuern können, obwohl sie Teil des Systems sind. Sinnvoll ist es diejenigen einzuladen, die für die Lösung wichtige Beiträge beisteuern können. Aber auch ohne die persönliche Gegenwart dieser Personen kann am Problem und der Lösung gearbeitet werden, indem sie imaginär oder durch andere Supervisionsteilnehmer repräsentiert werden (vgl. von Schlippe 2002: S.209 und S.216f). Oft findet sich die Lösung auch ohne das Problem bis ins kleinste Detail zu analysieren. Die „Türschlossmetapher“ nach de Shazer besagt (vgl. von Schlippe 2002: S.35):

Um eine Tür zu öffnen, bedarf es nicht der Detailanalyse des Schlosses (des Problems), sondern eines passenden Schlüssels (der Lösung). Dies kann vor allem für Interventionsmaßnahmen bei akuten Problemen wichtig sein.

 

4.5 Didaktisches Handlungsmodell

Rekonstruktion, Dekonstruktion, Konstruktion
Ich möchte nun an dieser Stelle ein Modell zum didaktischen Handeln im Supervisionsprozess vorschlagen, welches ich in Anlehnung an die Reflexionstafel zur didaktischen Handlungsorientierung von Reich (2002b: S.144-154) entwickelt habe. Dieses Modell ist als zirkulärer Prozess zu verstehen, welcher sich nicht chronologisch in Phasen einteilen lässt, sondern sich in einer ständigen Vermittlung zwischen den einzelnen Stationen befindet:

Abbildung 5: Didaktisches Handeln im Supervisionsprozess

 

Rekonstruktion

Die Rekonstruktion von beruflicher Praxis, von Organisationsstrukturen, von Handlungsabläufen und Gesprächen, von Emotionen und Gedankengängen beim Umgang mit Klienten sind Grundlage für die Supervisionsarbeit. Dabei leitet der Supervisor den oder die Supervisanden an. Rekonstruktion bleibt in konstruktivistischer Sichtweise aber nicht bloß das „wieder Aufrufen“ von Fakten oder Wissen, sondern ist eher das neugierige Entdecken der eigenen Wirklichkeit. Hierbei kommt es vor allem auch darauf an Situationen aus unterschiedlichen Beobachterperspektiven zu rekonstruieren und somit zu erfahren, wie andere Sichtweisen neue Erkenntnisse und Ideen bereithalten können. Genau diese Seite der Rekonstruktion ist eben auch für die Supervision von größter Bedeutung, da so neue, eigene Lösungswege in Verbindung zu bereits bestehenden, oft routinemäßig benutzten Handlungs- und Deutungsmustern gebracht werden können und so eine kritische Haltung in der beruflichen Praxis gefördert wird. Verallgemeinerungen und Gewohnheiten aus der Praxis sollten hier reflektiert und auf ihre tatsächliche praktische Güte hin überprüft werden (vgl. Reich 2002b: S.144-146).


Dekonstruktion
 

Durch die Rekonstruktionsvorgänge in der Supervision werden beim Supervisanden Zweifel an den bisherigen Denk- und Handlungsschemata ausgelöst. Oft bestehen diese Zweifel auch schon vor der Supervision oder sind eben gerade der Grund für den Wunsch nach dieser. Ziel ist es nun diese Zweifel zu explizieren und somit dem Problem auf den Grund zu gehen. Dazu kann der Supervisor, welcher immer „eine bestimmte kritische Haltung gegenüber jeglicher bestehenden Beschreibung“ der relevanten Themen einnimmt (von Schlippe 2002: S.85), dem Supervisanden beim Enttarnen der eigenen beruflichen Wirklichkeit helfen und ihn erkennen lassen, dass viele Wege möglich sind und es nicht nur eine einzige wahre Lösung gibt. Um aus der Perspektive Derridas zu sprechen, entwirft der Supervisor in dieser Funktion „kein neues System des Wissens, sondern er will vielmehr Zweifel an den bestehenden Gegebenheiten und Diskursen wecken.“ (zitiert nach von Schlippe 2002: S.84). Dies kann z.B. durch die Suche nach Ausnahmen geschehen, durch eine alternative Geschichtsschreibung des Menschen oder durch die Exotisierung der typischen und gültigen Muster (vgl. ebd.: S.171). So können blinde Flecken sichtbar gemacht, eingefahrene Verhaltensweisen verändert, pathologische Beziehungs- und Kommunikationsstrukturen durchbrochen und graue Theorie mit neuen bunten Ideen bereichert werden. Es ist damit aber keineswegs die Anleitung zu uferloser Kritik an allem Bestehenden gemeint. Vielmehr soll die Selbsttätigkeit des Supervisanden gefördert und eine unreflektierte Übernahme von Bestehendem verhindert werden (vgl. Reich 2002b: S.146f.). Ein verantwortungsvoller, reflexiver Umgang mit Kritik ist das Ziel dieser Seite der Supervision. Dies gilt sowohl für die eigene oder fremde Selbstkritik wie auch für die Kritik an anderen.

 

Konstruktion

Die problematischen Deutungs- und Handlungsmuster der professionellen Praxis zu verändern, also neue, kreative Muster zu konstruieren oder diese Konstruktionen zu fördern, ist die Aufgabe von Supervision. Dieser Aspekt beleuchtet besonders die innovativen Lösungen, welche gänzlich neu erfunden oder durch die Veränderung von Bestehendem erreicht werden können. Auch die Anpassung an Bestehendes ist möglich, indem die Situation konstruktiv umgedeutet bzw. ein konstruktiver Umgang mit der Situation erlernt wird. Dabei ist die Überprüfung der Viabilität dieser Lösungen in der Praxis ein wichtiger Punkt (vgl. Reich 2002b: S.148). Der Supervisand darf seine Klienten aber keinesfalls als Versuchskaninchen für neue willkürliche Strategien oder Handlungen missbrauchen. Eine Begründung des Handelns ist für Professionelle in ihrem Beruf unabdingbar, denn Neues entsteht durch die Zirkularität von Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion, also niemals „aus dem Nichts“. Es knüpft immer schon an vorhandene Theorien, Modelle oder Methoden an (vgl. Reich 2002a: S.167).
Das Erfinden neuer Deutungs- und Handlungsmuster erfordert Kreativität, Risikobereitschaft, Eigeninitiative und Engagement (vgl. Reich 2002b: S.144). Risiken können in der Supervision durch das Ausprobieren der neuen Ideen im geschützten Rahmen des Supervisions-Settings vermindert werden. Die Selbsttätigkeit des Supervisanden ist ein fester Bestandteil jeder Supervision. Ebenso sollte der Supervisor die Entfaltung der Selbstbestimmungsrechte der Supervisanden im Auge haben und es hinnehmen können, dass andere sich selbst bestimmen. Dies ist für konstruktives, kreatives Arbeiten unerlässlich (vgl ebd.: S.147-149). Diese selbstbestimmten Regeln sollten aber trotzdem gemeinsam thematisiert werden, da sie das Beziehungsgefüge aller Beteiligten beeinflussen.

 

Beobachter, Teilnehmer, Akteur

Alle Beteiligten des Supervisionssystems lassen sich in den Rollen des Beobachters, Teilnehmers und Akteurs beschreiben (vgl. hierzu Reich 2002b: S.90-110):

 

Abbildung 6: Beobachter, Teilnehmer und Akteure der Supervision

 

Beobachter

„Nah sieht, wer von Ferne sieht, so verkündet eine alte Weisheit“ (Reich 2002b: S.238). Supervision kann als Überblick oder Übersicht („super“) über verschiedene Sichtweisen („Visionen“) (vgl. Reich 2002a: S.254), also als Metaperspektive über die verschiedenen gegebenen Beobachterperspektiven bezeichnet werden. Sie selbst stellt aber auch immer nur eine unter vielen Sichtweisen dar und kann deshalb nicht einen allgemeinen Gültigkeitsanspruch stellen, sondern höchstens eine zeitlich begrenzte Gültigkeit in der jeweiligen Verständigungsgemeinschaft besitzt. Die Metaperspektive in Bezug auf verschiedene Beobachterpositionen soll von allen Beteiligten des Supervisionsprozesses eingenommen werden, da es für alle Teilnehmer von Interesse ist, die Situation möglichst genau wahrzunehmen und ihre Komplexität unter Einbezug der relevanten Kontexte zu beschreiben (vgl. Reich 2002b: S.310). Methoden, um dies zu erreichen, gehören zum praktischen Handwerkszeug des Supervisors. Beobachtungsgegenstände, die thematisiert werden können, sind die Inhalte, Methoden, Fälle, Handlungen, Klienten, Beziehungen, Probleme und Kontexte der praktischen Arbeit der Supervisanden sowie persönliche Faktoren. Festgefahrene Beobachterperspektiven können durch die Supervision aufgebrochen und neu beleuchtet und bewertet werden. Dabei muss der Supervisor sich aber stets auch der Gefahr der eigenen Routine bewusst sein und stets kritisch die praktische Viabilität der eigenen Beobachtungs- und Handlungsmodelle im Auge behalten, denn gerade er wird sich oft mit der Rolle des „letzten Beobachters“ konfrontiert sehen, welche mit großen Machtressourcen behaftet ist. Ein verantwortungsvoller Supervisor ist sich aber der eigenen Grenzen bewusst und weiß auch um die zeitlich begrenzte Viabilität und Haltbarkeit von Theorien, Modellen, Methoden und Wissen. Er wird auch nicht aus Machtstreben oder finanziellen Interessen Aufträge annehmen, die Ansprüche an seine Beobachtungsleistungen und supervisorischen Fähigkeiten stellen, denen er nicht gewachsen ist.
Sowohl Supervisor und Supervisanden haben also als Beobachter die Aufgabe verschiedene Blickwinkel zuzulassen, zu reflektieren, zu hinterfragen, zu kritisieren und im Bewusstsein um Fremdbeobachtungsleistungen auch zu antizipieren. Dabei weiß der Supervisor, dass alle Beobachtungen im Kontext der Kultur und deren Beobachtungsvorschriften stehen (vgl. ebd.: S.90). Diese Vorschriften erzeugen Auslassungen, welche aufzudecken sind. Seine Qualifizierung im Bereich der Selbsterfahrung und Selbstreflexion in Theorie und Praxis befähigen den Supervisor dies durch konstruktive Kritik und durch sein Auftreten als „Ironiker“ oder „Provokateur“ zu leisten. In diesen Positionen stört er festgefahrene Muster und ermöglicht den Supervisanden dadurch das Heraustreten aus diesen Schemata. Denn nur wenn man am Kaleidoskop der menschlichen Weltsicht dreht und rüttelt ergeben sich neue Muster, Verbindungen und Kombinationen und die bunte Vielfalt der Perspektiven, die sich daraus ergibt, wird schnell die Neugier auf weitere Sichtweisen wecken.
Auch die Klienten der Supervisanden müssen in ihren Beobachtungsleistungen berücksichtigt werden. Sie bestimmen durch ihre eigenen Sichtweisen und Wirklichkeitskonstruktionen die Interaktionen und Beziehungen ganz erheblich, da sie ebenso Teil des Gesamtsystems sind. Reflektionen über die Perspektiven der Klienten sind darum notwendiger Bestandteil von Supervision, und das gilt ebenso für die Perspektiven von Kollegen oder Vorgesetzten der Supervisanden und deren Rolle als Beobachter im Beruf. Die Arbeit der Supervisanden und somit auch die des Supervisors steht immer unter der Beobachtung der Klienten, der Auftraggeber, des Trägers und der Gesellschaft und wird durch diese in ihrem Erfolg und in ihrer Nützlichkeit begutachtet.


Teilnehmer

Supervisanden und deren Klienten, Kollegen und Vorgesetzte lassen sich zusammen mit dem Supervisor als Teilnehmer der Supervision bezeichnen, welche alle durch die Vorverständigungen und Regeln der Supervisionsgruppe gebunden sind. Hier entsteht im Idealfall eine konstruktive Deutungsgemeinschaft, die auf Basis einer gemeinsam etablierten Verständigungs- und Interaktionsstruktur zusammen nach Lösungen sucht und sich durch Ergänzungen und Widersprüchlichkeiten gegenseitig bereichert. In der Rolle des Teilnehmers von Supervision zieht man die Konsequenzen aus den gemachten Beobachtungen und will seine Teilnahmebedingungen in der Supervision und im eigenen Beruf verbessern (vgl. Reich 2002b: S.310). Die Teilnahme endet nicht an der Grenze der Supervisionsgruppe. Der Supervisor ist Teilnehmer an der Gruppe der Supervisoren und Berater; die Supervisanden nehmen an ihrer Arbeitswelt, dem institutionellen Arbeitsrahmen, der Firmenkultur, dem Team und der Fallarbeit mit Klienten teil. Supervisor, Supervisand und Klient nehmen wiederum an Kultur, gesellschaftlichen Normen, Werten, Sinnbildungen, Verständigungsgemeinschaften und Beziehungen teil, welche alle die Identität, die Interaktionen und die verschiedenen Rollen von Menschen mitbestimmen. In der Supervision wird das Augenmerk zunächst auf der Teilnehmerrolle in der beruflichen Praxis der Supervisanden liegen. Doch auch außerberufliche Teilnehmerrollen und Bindungen (z.B. politische oder moralische Überzeugungen, Verhaltensstandards, Kommunikationsgewohnheiten) können Überzeugungen, Deutungen und Handlungen in gewissem Maße einengen oder festlegen und müssen beachtet werden (vgl. ebd.: S.90). Ebenso lassen sich die Klienten, Kollegen, Vorgesetzten und die Träger des institutionellen Arbeitsrahmens als Teilnehmer der praktischen Arbeit des Supervisanden ausmachen und sind Thema von Supervision. In der Supervision selbst ist die teilnehmende Rolle des Supervisors oft die des qualifizierten Moderators.


Akteure

In der praktischen Arbeit der Supervisanden zeigt sich in manchen Situationen ein Übergewicht der Rolle des Akteurs. In sozialer Arbeit gleichen sich die einzelnen Situationen nie vollkommen, es gibt höchstens Ähnlichkeiten. Aufbauend auf diesen Ähnlichkeiten kann der Professionelle dann bestehende, ihm bekannte Theorien, Methoden oder Techniken zur Anwendung bringen, wobei das Ergebnis aber nie sicher und exakt voraussagbar sein kann. Arbeit in sozialen Bereichen und Arbeit mit Menschen erfordert oft spontanes Handeln und spontane Anpassungen der bekannten Möglichkeiten und Muster. Hier ergibt es sich natürlicherweise, dass agiert wird ohne scheinbar vorher bewusst beobachtet zu haben (vgl. Reich 2002b: S.91). Die Aktionen sind zwar durch Beobachtungen und Teilnahmen gefärbt, aber dennoch sind solche spontanen Aktionen nicht immer das Ergebnis einer bewussten und reflektierten Planung. Supervision kann unter Beachtung der zirkulären Verbindung der Beobachter-, Teilnehmer-, und Akteursrolle also nicht nur ein Hilfsmittel zur gelungenen Planung von anstehenden Aktionen sein, sondern auch eine nachträgliche Evaluation von spontan verlaufenen Handlungen anbieten, welche einen bewussteren, reflektierteren Umgang mit ähnlichen Situationen im weiteren Verlauf der Arbeit fördert.
In den Supervisionssitzungen selbst wird der Supervisor zunehmend als Akteur zurücktreten und den Supervisanden diese Rolle aus Gründen der Selbsttätigkeit überlassen; er wird jedoch immer reflektierte Handlungsalternativen bereithalten und vorschlagen können. Es ergibt sich oft, dass ein bestimmter Supervisand, der vom momentanen Thema der Supervision besonders betroffen ist, als Hauptakteur fungiert. Doch besonders in Mehrpersonen-Settings sind auch die anderen Teilnehmer als Akteure gefragt, und dies kann der Supervisor durch geschickte Moderation gewährleisten. Die Supervisionsteilnehmer geben Feed-Back und sind Mitakteure und Mitgestalter bei Methoden und Techniken der Rekonstruktion und Reflexion. Sie sind Ideengeber, Kritiker und Visionäre. Der Wechsel und die Zirkularität zwischen den verschiedenen Momenten von Beobachtung, Teilnahme und Aktion kann so besser wahrgenommen und thematisiert werden (vgl ebd.: S.105). Die Kenntnis der drei verschiedenen didaktischen Rollen unterstützt auch die Forderung nach praktischer Übung und Selbsttätigkeit in der Supervision. Denn Beobachtungen, welche in den Sitzungen gemacht werden, regen Veränderungen in der Wahrnehmung der Teilnehmerrollen der Supervisanden an, ebenso wie sie eventuell den Wunsch nach Veränderung der Handlungen auslösen. Die veränderte Teilnehmerperspektive wiederum lässt neue Beobachtungen zu. Agiert der Supervisand nun anders in der Praxis, so ändert sich vielleicht seine Rolle als Teilnehmer und seine Beobachtungsleistungen, sowie auch die Beobachtungen, Aktionen und Teilnahmen seiner Klienten oder Kollegen im Arbeitsfeld systemisch von ihm beeinflusst werden. Hier sieht man die systemischen, zirkulären Verbindungen und Abhängigkeiten der einzelnen Subsysteme im Gesamtsystem des Berufes, die ein Ausprobieren neuer Lösungen im geschützten Rahmen der Supervision und einen reflexiven Umgang mit sozialer Arbeit unbedingt erforderlich machen.

 

Lehr- und Lernbedingungen in der Supervision

Supervision vermittelt neues Wissen, neue Sichtweisen und neue Verhaltens- und Handlungsstrategien. Dieser Lernprozess muss angemessen gestaltet werden, um dem Supervisanden eine erfolgreiche Integration des Gelernten in seine Deutungs- und Handlungsmuster und somit in seine berufliche Praxis zu gewährleisten. Der Supervisor muss sich klar sein, dass er nicht der Inhaber der allgemeingültigen „Wahrheiten“ ist, sondern ebenso ein Lerner, welcher von den Ressourcen, Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der Supervisanden profitieren kann. Er wird deshalb nach dem didaktischen Modell von Reich (2002b: S.154) nicht als Besserwisser, sondern vielmehr als Mehrwisser auftreten, und ist sich bewusst, dass die Supervisanden in ihrer beruflichen Praxis die Experten sind, also mehr über die spezifische Arbeitssituation wissen. Der Supervisor sollte soweit als möglich den Supervisanden die Chance bieten Erkenntnisse selbsttätig zu erarbeiten (learning by doing). Das heißt, er versteht sich als moderierender Visionär und zeigt den Supervisanden Wege zum selbstorganisiertem Lernen auf, um ihnen ebenfalls visionäre Konstruktionen aus sich selbst heraus zu ermöglichen. Der Supervisionsprozess sollte demokratisch gestaltet werden, auch wenn zu Beginn der Supervision der Supervisor oft eine hierarchisch höhere Machtrolle zugeschrieben bekommt. Denn nur durch gemeinsames, demokratisches Festlegen der Ziele, der Regeln und der Methoden, und die einsichtige Übernahme und Anwendung sowohl dieser als auch anderer Lerninhalte wird Supervision mit gelungenen Beziehungsstrukturen und positiver Wertschätzung des Gegenübers zum geeigneten Mittel, die berufliche Praxis wirkungsvoll positiv zu beeinflussen und verändern. Dies soll aber nicht heißen, dass in den Sitzungen immer alles harmonisch und einstimmig abläuft. Kritik, Widerstände, Ablehnung und Machtkämpfe sind wichtige Faktoren, welche die berufliche Tätigkeit und die Interaktion im Arbeitsfeld erheblich beeinflussen. Sie werden zunächst zugelassen und im Folgenden thematisiert und reflektiert.

Auch als Lerner zirkulieren der Supervisor und die Supervisanden in den Rollen des Beobachters, Teilnehmers und Akteurs und in den Prozessen der Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion. Dies tun sie auch, wenn sie, um mit van Kessel (nach Buer 1999: S.114) zu sprechen, drei verschiedene „Wege des Lernens während der Supervision“ beschreiten. Diese drei Wege lassen sich auf die zirkulären Rollen und Lernprozesse beziehen. Dies verdeutliche ich in Abbildung 7 auf der folgenden Seite.

Eine gesunde Balance zwischen den verschiedenen Wegen des Lernens trägt zu einer gelungenen Supervision bei. In jedem Fall sollte der Lernprozess so gestaltet werden, dass er zwischen den Positionen des Beobachters, Teilnehmers und Akteurs sowie zwischen den Positionen von Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion zirkuliert und nicht in einer Position verharrt. Die konstruktive Seite ist hierbei besonders wichtig, damit der Lerner selbsttätig und möglichst selbstbestimmt lernen kann. Dies verweist im Bereich der Supervision auf die Berater- und Moderatorenrolle des Supervisors. Er tritt nicht als „Lehrmeister“ und „Besserwisser“ auf. Vielmehr hilft er den Supervisanden durch neue Erfahrungen und Erlebnisse ihre menschlichen Verhaltens- und Sichtweisen zu verändern und unterstützt diese dabei durch seine fachspezifischen Ressourcen und seine Feld- und Beratungskompetenz. Dies sollte auch für die spezielle Form der Ausbildungs- und Weiterbildungssupervision gelten.

Jeder Professionelle in einem sozialen Beruf sollte nach Reich (2002a: S.197-202) neben den unmittelbaren Beobachtungen („primary experience“) auch reflexive Beobachtungsleistungen vollbringen („reflective experience“). Doch oft reicht diese Fähigkeit zur Problemlösung nicht aus, da der Professionelle in seiner Möglichkeit selbständig Lösungen zu suchen und zu finden durch die Grenzen der verfügbaren Rekonstruktionen eingeschränkt wird. Hier setzt dann die Supervision an, welche die Grenzen der Rekonstruktionen und Beobachtungsleistungen erweitern soll. Sie hat dabei die Aufgabe eine Anschlussfähigkeit für neue Lerninhalte und Erfahrungen sicherzustellen. Das heißt, die neuen Lösungen können nur erfolgreich vermittelt werden, wenn sie an den Ausgangspunkten und Ausgangsbedingungen der Supervisanden anknüpfen, so dass diese eben selbsttätig Lösungen erarbeiten und erfahren.

 

 

Beobachter:

Der Weg der Erkenntnis

Teilnehmer:

Der Weg der Wahl und Entscheidung

Akteur:

Der Weg des Handelns

Konstruieren

Innovative Ideen, Geistesblitze, Generalisieren, Komplexität steigern, Bedeutung geben, Erfinden, Kreativität

Wahl erwünschter und neuer Methoden und Möglichkeiten, Variation und Kombination

Neue berufliche Erfahrungen machen, Risikobereitschaft, Experimentieren, Ausprobieren, Durchführen von Aktionen

Rekonstruieren

Berufliche Erfahrung, Reflexion, Explizieren, Einsicht, Verstehen, Komplexität reduzieren, Bedeutung benennen, Anpassen, Transfer

Wahl bekannter Methoden und Möglichkeiten, Muster und Modelle

Praktisches Anwenden und Überprüfen bekannter Methoden, Planung der Aktionen

Dekonstruieren

Kritisieren, Problematisieren, Ironisieren, Bedeutung hinterfragen

Ablehnung von Methoden und Möglichkeiten, Auslassung, Ergänzung

Alte Muster durchbrechen, Provozieren, Extremisieren, Stören, Unvollständiges analysieren

Abbildung 7: Übersicht der Wege des Lernens im Supervisionsprozess

Oft sind jedoch sogar die Ausgangsbedingungen diffus, und das eigentliche Problem kann zuerst nicht klar benannt werden. Wenn Supervisanden von der Situation überfordert oder verwirrt sind, wenn sie „schon alles Mögliche ausprobiert haben“, aber „alles nichts half“, dann kann Supervision dazu dienen die unübersichtliche (Über-)Komplexität der Situation zu reduzieren. Dies kann durch Strukturierung und Selektion der zu bearbeitenden Themen und im Folgenden durch Methoden zur Explizierung des eigentlichen Problems geschehen. So können Ausgangspunkte für neue Erfahrungen geschaffen werden, und ein zirkulärer Lernprozess ist gewährleistet, welcher vom Erkennen des Problems, von Reflexion und von neuen Lernergebnissen gekennzeichnet ist. Diese können auf andere Handlungssituationen transferiert werden. Didaktisch geschieht dies z.B. durch Symbole, Metaphern, die Rückführung auf Basales oder durch die Veranschaulichung von komplexeren Inhalten der Supervisionssitzungen durch ein Exempel. Diese repräsentieren dann die (über-) komplexen Lerninhalte, ermöglichen ein leichteres Verständnis und lassen sich für seinen Inhaltsbereich dann in ihrer Aussage verallgemeinern, was nichts anderes heißt, als dass neue Inhalte und Zusammenhänge gelernt werden und sich neues Wissen, neue Fähigkeiten und neue Perspektiven für den Lerner ergeben, die die Komplexitätswahrnehmung seiner Berufswelt steigern. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte kann es auch sinnvoll sein, Interaktionsprozesse durch die Zerlegung von kleinen Ausschnitten in kausale Teilbeziehungen temporär zu vereinfachen (vgl. von Schlippe 2002: S.92f.).

Bei sehr akuten und stark problematischen Situationen, bei denen es hauptsächlich auf schnelle Intervention ankommt, könnte eventuell der Ansatz der lösungsorientierten Kurztherapie nach de Shazer, welche die Lösung eines Problems als unabhängig vom Problem definiert, Verwendung finden (vgl. von Schlippe 2002: S.35-38). Viele weitere Methoden sind denkbar. Durch diese temporären Komplexitätsreduzierungen oder notwendigen Interventionen wird also als Endergebnis im Prozess der Supervision die Komplexität in einem angemessenen Maß gesteigert. Das Ziel von Supervision ist ja Komplexitätssteigerung, da viele Professionelle durch ihre Ausbildung und Berufserfahrung „Dinge unter einer begrenzten Perspektive wahrnehmen, um die alltägliche Komplexität reduzieren zu können“ (Rappe-Giesecke 2003: S.9). So entstehen Lücken in der Wahrnehmung, also „blinde Flecken“, die den Arbeitsprozess stören und einschränken. Auch für Supervisoren gilt also die Maxime nach von Foerster (zitiert nach von Schlippe 2002: S.116): „Handle stets so, dass du die Anzahl der Möglichkeiten vergrößerst!“, auch wenn dies temporär didaktisch zunächst eine Komplexitätsreduzierung bedeuten kann.

 

Inhalte und Beziehungen in der Supervision

Im Verlauf des Supervisionsprozesses wandeln sich die aktuell wichtigen Inhalte und auch die Form der Beziehung zwischen Supervisor und Supervisanden. Die verschiedenen Rollen in diesen Beziehungen sind nach Buer (1999: S.99-105) z.B. die des Dienstleisters und des Kunden auf geschäftlicher Ebene und die des Beraters und des Ratsuchenden im Supervisionsprozess selbst. Bei der eigentlichen Beratung wandeln sich die Rollen ebenfalls. So wird dem Supervisor in Gesprächen und Diskussionen die Rolle des Moderators und den Supervisanden die Rolle der Diskutanten zu Teil. Bei der Diskussion liegt der Schwerpunkt auf der dialektischen Erkenntnis durch Diskurs, also auf dem Dialog über verschiedene Möglichkeiten und Vorgehensweisen. Die praktische Viabilität dieser auf Theorien basierenden Erkenntnisse für den jeweiligen speziellen Fall kann dann im Experiment überprüft werden, wobei der Supervisor die Rolle des Regisseurs für die Supervisanden übernimmt, die hier als Spieler agieren. Diese Experimente führen oft zu der Selbsterkenntnis, dass spezielle Situationen nicht mit bestehenden Handlungsmustern zu bewältigen sind. Im dialogischen, zirkulären Prozess zwischen Theoriebildung und Hypothesen, Experiment und Reflexion über das Experiment können dann neue Inhalte erlernt werden.

Erfolgreiche Inhaltsvermittlung steht immer im Einklang mit gelungener Interaktion, also mit gesunden Beziehungen (vgl. Reich 2002b: S.52). Dies gilt sowohl für die Arbeit der Supervisanden mit ihren Klienten als auch für die Supervision selbst. Beziehungen sollten neben den Inhalten nicht nur zur Sprache kommen, wenn bereits Störungen vorliegen. Denn gelungene Inhaltsvermittlung hängt stark von den geleisteten kommunikativen Kompetenzen ab (vgl. ebd.). Diese aktiv zu entwickeln, zu erlernen, zu trainieren und zu fördern muss also ebenfalls Aufgabe von Supervision sein. Hier werden ja auch die kommunikativen Störungen im Verhältnis von Supervisanden untereinander oder mit Klienten, Kollegen und der Leitung bearbeitet. Dies findet im Rahmen von expliziter Metakommunikation zwischen den Beteiligten statt, also durch „Kommunikation über Kommunikation, durch eine Auseinandersetzung über die Art, wie wir miteinander umgehen, und über die Art, wie wir die gesendeten Nachrichten gemeint und die empfangenen Nachrichten entschlüsselt und darauf reagiert haben“ (Schulz von Thun 2002: S.31). Doch gerade weil Metakommunikation eben auch über die Mittel der Kommunikation (Sprache, Gesten, Mimik, Körperhaltung, usw.) vonstatten geht, ist auch sie nicht vor Störungen, Missverständnissen und Fehlern geschützt. Das bedeutet einerseits, dass der Supervisand zwar kompetent und professionell in seinen kommunikativen Kompetenzen im Umgang mit den Klienten sein kann, aber trotzdem Störungen auftreten können, da Missverständnisse ein natürlicher Bestandteil von Kommunikation sind. Andererseits besteht auch zwischen den Teilnehmern von „klärender“ Supervision diese Möglichkeit, denn auch auf der Meta-Ebene können Fehler gemacht werden (ebd.: S.93). Wenn nun Supervision die Metakommunikationsebene für die berufliche Tätigkeit der Supervisanden ist, so benötigt Supervision, bzw. der Supervisor ebenfalls solch eine Metaebene der Reflexion. Supervisoren sollten also ebenfalls supervidiert werden. Denn das Prinzip der „quadratischen Nachrichten“ nach Schulz von Thun (ebd.: S.13-79), also der vier Seiten einer Nachricht (Sachinhalt, Appell, Beziehung, Selbstoffenbarung), zeigt, dass es beim Senden und Empfangen von Nachrichten in jeder Kommunikation, also auch in der Metakommunikation, zu Fehlinterpretationen kommen kann. Außerdem hat Supervision für einen Supervisor alle Vorteile, die sie auch für die anderen sozialen Berufe aufweist. Supervision ist ja nichts anderes als berufsbezogene Beratung. Dies hilft dem Supervisor auch, nicht dem Fehler der Selbstüberschätzung seiner professionellen Kompetenzen zu erliegen. Diese wird nämlich zum Teil durch den illusionären Glauben der Supervisanden an die Allmacht des Supervisors als Experte in seinem Fach forciert. Sicherlich ist der Supervisor ein Experte, die eigentlichen Experten in ihrem Berufsfeld sind aber immer die Supervisanden selbst. Die mögliche Selbstüberschätzung wird von Belardi (1998: S.78f.) als „Expertenfalle“ bezeichnet. Ein Supervisor, der sich zu dieser Prestige- und Machtposition verführen lässt, läuft Gefahr die konstruktiven Ressourcen der Supervisanden zu unterschätzen und einen hierarchischen, belehrenden, defizitorientierten und rein instruktiven Arbeitsstil zu verfolgen. Instruktionen und strukturierende oder klärende Maßnahmen sind zwar manchmal nötig, aber Selbsttätigkeit, Wertschätzung, Selbstwert und Selbsterkenntnis haben in der Supervision, wie in allen Lernprozessen, Priorität. Es geht hier um ein Miteinander von Lehrenden und Lernenden, also um mit Reich (2002a: S.233) im Sinne interaktionistisch-kontruktivistischer Didaktik zu sprechen, um Demokratie im Kleinen, um Dialog und Kommunikation, um Reflexion von Inhalten und Beziehungen und um Metakommunikation. Letztere kann als das Einnehmen einer neuen Beobachtungsebene verstanden werden, von welcher aus eine reflektierende Sicht auf Inhalte und Beziehung in der Kommunikation möglich ist. Bei inhaltlicher Metakommunikation steht nach Reich (ebd.: S.60) die Thematisierung unterschiedlicher Abstraktionsgrade im Vordergrund. Hier können z.B. Inhalte genauer erklärt werden (mit Metaphern, Bildern, Vergleichen, Skulpturen, Rollenspielen, usw.), wenn aufgrund bestehender verschiedener symbolischer Ordnungsmuster eine Kluft zwischen den Interaktionspartnern entsteht. Durch Perspektivwechsel und kreative Erklärungen, aber auch durch Kritik ist so eine gelungene inhaltliche Metakommunikation möglich. Auf der Beziehungsseite sind gegenseitige Wertschätzung und Kritikfähigkeit nötig. So können Handlungsabläufe interpunktiert und strukturiert werden, scheinbare Sachinhalte in Beziehungsthemen „übersetzt“, Meinungsverschiedenheiten geklärt und Gemeinsamkeiten festgestellt werden.

Mit DEWEY kann man Metakommunikation mit dem Begriff der „reflective experience“ verknüpfen (vgl. Reich 2002a: S.197f.). Die unmittelbare („primary experience“) und mittelbare („secondary experience“) Erfahrung sind fester Bestandteil von Beziehungen (vgl. Reich 1998b: S.44-46). In unseren unmittelbaren Erfahrungen von Beziehung liegt für uns eine sinnliche Gewissheit, welche uns jedoch täuschen kann, da wir diese unmittelbaren Gewissheiten im Rahmen unserer rekonstruktiven Grenzen erleben. Mittelbare Erfahrungen, also fest verankerte Gewissheiten in unseren Deutungsmustern bzw. Vorurteile, verleiten uns dazu, den anderen „wirklicher“ und „wahrer“ einschätzen zu können als er selbst. Wir schreiben ihm ein bestimmtes, von unseren eigenen Wirklichkeitskonstrukten geprägtes Bild zu. „Experience“ ist also das Wechselspiel von unmittelbaren Erlebnissen und mittelbaren Deutungen. Wir stellen in diesem Prozess Symbolisierungen des anderen auf. Die hierbei auftretenden Unschärfen in der Beobachtung des anderen in einer Beziehung kann im Sinne des „reflective experience“ oder der Metakommunikation zum Thema von Supervision gemacht werden. Es ist allerdings festzuhalten, dass auch in der Supervision diese Beziehungen und die gegenseitige Wahrnehmung immer schon durch rekonstruktive Vorgänge und Muster des einzelnen „gefärbt“ bzw. beeinflusst sind. Das Gegenüber als Subjekt ist für uns nie direkt erreichbar, seine Wahrnehmung erfolgt immer auch über die imaginäre Achse, denn wir können kein „Datenkabel“ an den Menschen anschließen, in ihn eindringen und direkt mit ihm kommunizieren, sondern nur mit dem imaginär anderen, mit unserem Bild, unserer imaginären Spiegelung von ihm (vgl. Reich 1998b: S.87).

 

Der Supervisand als Fremder / anderer

Nach Reich (2002c: S.173) schafft sich der Handelnde seine Realität in konstruktiven Akten. Dies gilt also auch für den Professionellen in seinem beruflichen Handeln. Um sein Handeln und damit seine Realität zu begründen, bezieht er sich auf wissenschaftliche Methoden, welche im Rahmen seines Berufes, seines Umfeldes und der Gesellschaft, also in bestimmten Verständigungsgemeinschaften, Zustimmung finden.

Das methodische Handeln ist dann Teil der Deutungs- und Handlungsmuster der Praxis des jeweiligen Berufs- bzw. Arbeitsfeldes. Ein konstruktivistisch ausgerichteter Supervisor wird die Realitäten der Supervisanden anerkennen, also ihren Konstruktionen von Wirklichkeit als Fremdbeobachter aufgeschlossen und tolerant gegenüberstehen (vgl. Reich 2002b: S.149). Er wird aber zugleich die Beharrung auf universalistischen Konzepten und Patentlösungen kritisieren und eingefahrene Muster offener gestalten wollen. Bezüglich der beruflichen Praxis der Supervisanden können verschiedene Methoden im Rahmen der Supervision angeboten, ausprobiert und reflektiert werden. Ob der Supervisor hier jedoch allem neuen wirklich offen gegenübersteht ist fraglich, da er selbst ja auch Teil von Verständigungsgemeinschaften und deren Geltungsansprüchen ist.

Ein konstruktivistischer Supervisor weiß, dass der andere ihm als imaginäre Spiegelung begegnet. Dieses Bild ist zwar in Begegnung und Interaktion mit dem anderen veränderbar, kann aber trotzdem nie den Anderen als Subjekt erfassen. Deshalb sollte der Supervisor Stereotypen vermeiden. Er sollte die Handungs- und Deutungsmuster des anderen akzeptieren und diese nicht nach eigenen Vorstellungen kontrollieren wollen, denn Unterschiedlichkeit und Andersartigkeit sind Basis für Spannung, Lebendigkeit und Kreativität (vgl. Reich 2002b: S.62). Der Supervisor ist sich auch der Unterschiedlichkeit der eigenen und anderer bzw. fremder Realitäten bewusst. Diese Unterschiede und Gegensätze schrecken ihn jedoch nicht ab, sondern er sieht sie als Chancen der Begründung von unterschiedlichen und widersprüchlichen Realitäten durch Kommunikation und Metakommunikation. Hier sind dann sowohl Konsens als auch ein Konsens über Dissens sinnvolle Lösungen (vgl. ebd.: S.57). Dies ist wichtig, um dem Supervisanden als Experte in seinem Berufsfeld anerkennend und wertschätzend gegenüberzutreten. Verschiedenheit wird zur Quelle unterschiedlicher Ressourcen, wenn der Fokus auf die jeweiligen Stärken der Menschen fällt. So kann eine Basis für kreative Lösungsprozesse entstehen, statt auf vorgegebenen, zum Teil eng begrenzten und als „Patentlösung“ deklarierten Pfaden zu wandern. Dies bedeutet aber nicht die Gleichgültigkeit gegenüber Inhalten und Menschen. Man sollte die bekannten Pfade immer im Blick behalten, um sich nicht in den Wirren des kreativen Dschungels rundherum zu verstricken. Diese Offenheit gegenüber dem anderen bedeutet auch, nicht vorschnell zu werten und zu beurteilen, sondern zunächst zuzuhören und sich intensiv mit der anderen Realität auseinanderzusetzen (vgl. ebd.: S.93f.). Denn der Supervisor ist ebenso Lehrender und Lernender im Supervisionsprozess wie es der Supervisand ist. Auch Supervisoren können durchBeschäftigung, Umgang und Erforschung von anderen Wirklichkeiten ihren Horizont und ihre Beobachtungsleistungen erweitern und bereichern.

Konstruktivistisch gesehen wird also im Sinne von Reich (2002b: S.62) vom Supervisor in seinen Interaktionen folgendes verlangt: Er soll Ungewohntes, Neues, Unvollständiges, Differentes, Fremdes und Unterschiedliches, welches er nur teilweise erfassen kann ebenso wie seine Ahnungen und Intuitionen akzeptieren. Diese soll er in ihrem Auftreten im Symbolischen reflektieren, um Offenheit und Toleranz gegenüber anderen, die diese Eindrücke ja umgekehrt auch von ihm selbst erfahren, zu entwickeln. Er weiß, dass der andere anders ist als er selbst, und vermeidet deshalb Gleichmacherei und Universalismen. Die Freiheit des Gegenübers würdigt er, aber ebenso vertritt er die Grenzen der eigenen Freiheit, wenn er selbst anders denkt. Dies kann wiederum zu nützlichen, konstruktiven Diskursen führen.

Die Akzeptanz der anderen als „anders“ impliziert also, dass der Supervisor sein Gegenüber nie ganz erfasst und versteht. Kommunikation verläuft immer über die imaginäre Achse, also vermittelt durch imaginäre Spiegelbilder. Um diese Bilder des anderen entsprechend immer wieder verändern und neu gestalten zu können, bedarf es gelungener Kommunikation. In der Supervision werden deshalb neben Dialogen und Diskursen auch Methoden eingesetzt, die die Imaginationen der Beteiligten stärker einbeziehen und ansprechen, um diese dann gemeinsam im Symbolischen zu reflektieren (z.B. durch Methoden wie Psychodrama, Skulptur, Rollenspiele). So ist es möglich den anderen in seinen Anliegen, Bedürfnissen, Gedanken, Einstellungen, Ansichten, Handlungen und Sichtweisen besser zu verstehen.

 

Problemkreise von Supervision

Belardi (1998: S.77-86) betont die Wichtigkeit, dass alle für die jeweilige Situation relevanten Probleme auch thematisiert werden, da Supervision sich sonst in Vermutungen und Spekulationen verstricken würde. Erst durch die Kommunikation der Probleme kann an ihnen gearbeitet werden. Etwaige Tabuthemen des jeweiligen Berufsfeldes sind deshalb in die Supervision miteinzubeziehen. Bei der Kommunikation von Problemen ist jedoch zu beachten, dass Widerstände und Ambivalenzen auch eine Schutzfunktion haben. Sie steigen natürlicherweise in neuen Situationen, wie hier der Supervision, an. Deshalb ist es wichtig eine Atmosphäre des Vertrauens und der Wertschätzung zu schaffen, um konstruktiv arbeiten zu können. Hierzu kann der Supervisor vertrauensbildende und gruppendynamische Maßnahmen verwenden. Eine weitere Schwierigkeit von Supervision, auf die Belardi (1998: S.31-33) aufmerksam macht, ist, dass Professionelle in sozialen Berufen sich möglicherweise gar nicht gern helfen lassen, da sie sich selbst schon als Helfer sehen und eine Hilfe von außen als Einschränkung ihrer Autonomie oder als Eingeständnis eigener Unfähigkeit wahrnehmen. Doch gerade Tätige in sozialen Berufen sind schneller psychisch verwundbar, weil sie ihreEmotionen, Erfahrungen, Werte und Überzeugungen bei der Ausübung ihrer beruflichen Praxis nicht ausgegrenzen können. Supervision ist dann eine Methode Burn-out-Syndrome zu erkennen und zu bearbeiten. In diesen Bereich fällt z.B. der richtige Umgang mit Nähe und Distanz zu den Klienten. Gerade Fälle, in denen der Supervisand große Nähe zum Klienten hat und sich für ihn engagiert, können durch das Auftreten vieler unlösbarer Probleme zu einer wachsenden inneren Ablehnung gegenüber diesem Klienten führen, und dies wiederum widerspricht dem Eigenbild des Supervisanden in seiner Rolle als Helfer und Berater und löst Schuldgefühle aus. Ein zirkulärer Prozess von vermehrter Anstrengung, Enttäuschung, Hilflosigkeit und Erschöpfung stellt sich ein und kann zum Verwischen von beruflichen und privaten Grenzen führen (vgl. ebd.: S.33). Diese Grenzen zu beleuchten, ein gesundes Verhältnis von Nähe und Distanz zu schaffen und angstfreie Kommunikation über die Anforderungen, Probleme und Beziehungen in der beruflichen Praxis zu fördern und somit dem Burn-out vorzubeugen ist hier das Ziel von Supervision.

 

Anforderungen an den Supervisor und Grundlagen der Supervision

Supervisoren müssen sich bewusst sein, dass sie zwar die Verantwortung für den Beratungsprozess tragen, aber nicht die Verantwortung für die Probleme der Supervisanden, deren Ziele und Lösungen im Supervisionsprozess. Der Supervisor kann Probleme auch nicht für die Supervisanden lösen, sondern sie nur unterstützen diese eigenständig zu bearbeiten, also Hilfe zur Selbsthilfe leisten, indem er Techniken und Methoden zur Selbstanalyse der Interaktionen und Beziehungen in der beruflichen Praxis vermittelt und verschiedene Lehr- und Lernmethoden bereithält. Was die Supervisanden aus der Supervision in ihre Berufspraxis integrieren, liegt bei ihnen selbst. Auch die in der Supervision vorkommenden Inhalte und Ziele werden von den Supervisanden erarbeitet und verantwortet (vgl. Belardi 1998: S.79f.). Was der Supervisor dabei an Theorien, Methoden und Techniken bereithält, hängt von seinen Berufserfahrungen, Vorlieben und Einstellungen ab. In der Postmoderne lernen viele Berater ihren Beruf und verschiedene Komponenten, die diesen bereichern und ergänzen, von vielen verschiedenen Lehrmeistern. Dieses „Learning from many masters“ nutzen eben auch viele Supervisoren zur Entwicklung eines eigenen Stils (vgl. ebd.: S.82). Der Supervisor wird dann seinem Stil gemäß arbeiten und den Supervisanden Vorschläge machen, doch er ist sich immer bewusst, dass es im Supervisionsprozess darauf ankommt, selbstveranwortlich und selbsttätig zu handeln. Als Akteur hat hierbei jeder Teilnehmer der Supervision gewisse Handlungspräferenzen (vgl. Reich 2002b: S.100). Gerade für den Supervisor ist es deshalb bedeutend, die Supervisanden selbst tätig werden und sie auch die Verantwortung für ihr Tun übernehmen zu lassen.

Der Supervisor ist in seinem beraterischen Handeln immer schon mit den anderen in Interaktion, er unterliegt mit Reich (2002a: S.62-70) gesprochen dem Prinzip des „Karussells des Selbst und des Anderen“. Er hat seine eigenen Methoden, Werte, Vorlieben, Einstellungen, Ansichten usw. und wird seine Tätigkeit selbstbestimmt und mit gewissen Appellen an die Supervisanden ausüben und in seinem beruflichen Handeln etwas von sich selbst kundgeben. Ebenso muss er aber auch die Supervisanden sich selbst bestimmen lassen und gerade für deren Appelle und Selbstkundgaben sensibel sein, da diese ihm wichtige Informationen über die Supervisanden geben können. Er muss neben der Erhaltung seines Selbstwertgefühls auch auf die Gefühle anderer achten.

Die Selbsttätigkeit der Supervisanden hat Vorrang. Der Supervisor steht dann als Moderator, Regisseur, Strukturgeber, Visionär, Mutmacher, Ermunterer, Beobachter und Kritiker, vor allem bei aktiven, experimentellen, handlungsorientierten Phasen, eher etwas im Hintergrund des Geschehens. Denn selbsttätig können die Supervisanden nur wirklich werden, wenn sie möglichst umfassend konstruktiv an dem jeweiligen Problem arbeiten, wenn sie möglichst viele für sie in Frage kommende Möglichkeiten ausprobieren und viele verschiedene Beobachterperspektiven einnehmen, also nicht durch vorgefertigte, eng ausgewählte Angebote in ihren Ressourcen beschnitten werden. Darum muss der Supervisor die Selbstbestimmung der Supervisanden über die für sie relevanten, passenden und erfolgversprechenden Methoden und Wege in der Supervision berücksichtigen, anregen und fördern. Er kann als Mehrwisser hier konkrete Vorschläge einbringen, sollte aber immer offen für die Wünsche und Anregungen der Supervisanden sein. Es ist also eine Neutralität des Supervisors gefragt, was aber nicht heißt, keine eigene Meinung zu haben. Diese darf er nur nicht doktrinär und unter dem Anspruch einer algemeingültigen Wahrheit kommunizieren (vgl. von Schlippe 2002: S.119). Er bewahrt eine respektvolle Neugierhaltung, also eine Position, die die eigene Ungewissheit als Ressource systemischer Neugier für die Eigendynamik anderer Systeme nutzt und diese Systeme wertfrei erkunden und beschreiben möchte (vgl. ebd.: S.121f.). Um die Selbstbestimmung jedes einzelnen zu respektieren, bedarf es dann vor allem in Gruppen der Thematisierung von Redeanteilen in der Gruppe, von Tabus, geheimen Regeln, Entscheidungsvorgaben und unbefragt übernommenen Vorgaben in der Supervision (vgl. ebd.: S.65). Dies dient der notwendigen demokratischen Struktur, welche alle Teilnehmer als gleichberechtigt nebeneinander und miteinander kommunizierende und agierende Mitglieder verbindet.

Die Trennung von Inhalts- und Beziehungskommunikation ist im Supervisionsprozess wichtig. Inhalte können nur vermittelt werden, wenn der Lernprozess nicht durch Störungen auf der Beziehungsebene beeinflusst wird. Deshalb sollte der Supervisor solche beziehungsmäßigen Störungen stets thematisieren. Er sollte auch darauf achten, dass viele Beziehungsprobleme auf augenscheinlich inhaltlicher Ebene ausgetragen bzw. mitgeteilt werden (vgl. Schulz von Thun 2002: S.199f.). An diesem Punkt die Supervisanden zur Metakommunikation anzuleiten, also zur Kommunikation über eben diese inhalts- und beziehungsmäßig verstrickten Kommunikationsprozesse, ist dann Aufgabe des Supervisors. Bei allen Beziehungsfragen sollte er sich der Fülle, der Veränderbarkeit, der Vielfalt, der Lebendigkeit und der Dynamik von Beziehungen bewusst sein. Das genaue Ergebnis des Supervisionsprozesses und die Auswirkungen auf die Person und berufliche Praxis der Supervisanden sind nie vorhersagbar. Auch der Supervisor kann seinen eigenen Erfolg nicht voraussehen. Selbstprophezeiungen und Zuschreibungen auf andere sind deshalb in der Supervision fehl am Platze, da sie zu Selbst- und Fremdzwängen sowie zu Schuldgefühlen und Schuldzuschreibungen führen (vgl. Reich 2002a, S.67-70). Den anderen nicht mit Zwängen zu belegen, ihn nicht vorzuverurteilen, ihn nicht als Objekt im Rahmen der eigenen Wirklichkeit zu behandeln, sondern ihn zu schätzen und zu unterstützen, seine eigenen Ressourcen zu entdecken und wahrzunehmen, an ihn zu glauben und ihn zu unterstützen, ihn eben auch als subjektiv Anderen anzuerkennen und als anderen in seiner Realität leben zu lassen, ist für eine systemisch-konstruktivistische Supervision unerlässlich. Der Supervisionsrahmen stellt hierbei eine Verständigungsgemeinschaft dar, in der jeder vom anderen und dessen „Andersartigkeit“ profitieren und lernen kann. Eine wertschätzende, gesunde Lernumgebung kann der Supervisor nach Ritter (2002: S.40) schaffen, indem er wert auf Offenheit, Toleranz, Interesse, Präsenz, Zuhören, Anerkennung, Echtheit, Ernstnehmen, Empathie, Neutralität, Neugier, Körperhaltung, Gestik, Mimik, Verständlichkeit, Bedürfnisorientierung, Ressourcenorientierung und das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz legt. Um die Supervisanden zur Entdeckung und Erfindung neuer Erkenntnisse und Perspektiven anzuregen, kann der Supervisor Methoden und Techniken einsetzen, die Perspektiv- und Ebenenwechsel fördern, die verschiedene Sinne ansprechen, Körpererfahrungen ermöglichen, Rollenwechsel zulassen und die nicht zuletzt Spaß machen (ebd. S.41). Der Supervisor muss jedoch auch Spannungen aushalten können und aufrechterhalten. Denn eben aus diesen entspringen die Ideen und die Kreativität für neue Lösungen. Spannungen vorschnell zu Gunsten eines angenehmeren Arbeitsklimas zu reduzieren, kann zur Wahl scheinbar einfacherer Lösungen führen (vgl. Rappe-Giesecke, 2003: S.77), welche dann jedoch zu einer komplexitätsreduzierten Auseinandersetzung mit dem Problem führen und dieses nicht umfassend behandeln. Wichtig ist aber eben die Probleme so komplex wie möglich zu erfassen, um viable Lösungen zu (er-)finden. Der Supervisor kann Spannungen zwischen ihm und seinen Supervisanden und den Auftraggebern konstruktiv nutzen. Denn er hat auch die Rolle des Kritikers, Störers, Ironikers und Provokateurs zu erfüllen. So kann er auf bestehende problematische Muster aufmerksam machen und diese aufbrechen. Deshalb wäre es falsch unter dem Druck der Vertragsverlängerung den „netten Supervisor“ zu spielen (vgl. Belardi 1998: S.80f).

Generell gilt, dass jeder Teilnehmer der Supervision offen alles sagen und alles fragen darf, was ihm wichtig erscheint. Allerdings muss der Supervisor jedem das Recht einräumen Fragen nicht zu beantworten, ohne dabei sozialen Druck auszuüben. Der Supervisor sollte „innere Bilder“, Imaginationen und Hypothesen, die ihm im Supervisionsprozess kommen, offen darlegen, denn sie können aus wahrgenommenen Informationen und Emotionen entstehen (vgl. ebd.: S.87f). Er hat dann eventuell etwas erkannt, was vorher im Bewusstsein der Teilnehmer noch gar nicht vorhanden war und auch nicht sprachlich kommuniziert wurde. Der Bereich des „logischen Verstehens“ ist durch den Bereich des „szenischen Verstehens“ erweitert worden und so konnte etwas erkannt werden, das noch nicht konkret ist, aber trotzdem von Bedeutung sein kann. Eine weitere Funktion des Supervisors ist die des Übersetzers (vgl. ebd.: S.88). Er muss Übersetzungsleistungen zwischen verbaler und nonverbaler Ebene, Inhalts- und Beziehungsebene, Kommunikations- und Metakommunikationsebene, verschiedenen Interpunktionen von Ereignisfolgen, analoger und digitaler Kommunikation, verschiedenen Beobachterperspektiven und verschiedenen Theorieansätzen leisten. Im Umgang mit den Supervisanden sollte der Supervisor auch deren nonverbale Kommunikation beachten, da der Körper schlechter lügen kann als Worte. Auffälligkeiten sollten dann vom Supervisor zu gegebener Zeit in angemessener Weise thematisiert werden, so dass es nicht zu noch größeren Widerständen seitens des Betroffenen kommt (vgl. ebd.: S.87). Wie schon erwähnt haben Widerstände auch dieser Art oft eine Schutzfunktion und diese ist zu berücksichtigen. Bei Kritik ist auf die Wertschätzung der Supervisanden als Person zu achten. Trotzdem können einzelne Verhaltensweisen konkret abgelehnt werden. Auch dieses gehört zu einem konstruktiven, auf eine bestimmte Verhaltensweise bezogenen Feed-Back, welches der Supervisor seinen Supervisanden geben sollte. Generalisierungen sind bei Feed-Back, Kritik und ganz allgemein bei Aussagen über andere strikt zu vermeiden, da die Zielperson hier entweder unkritisch idealisiert oder stigmatisiert wird (vgl. ebd.: S.90).

Ein Supervisor muss neben den Supervisanden auch immer sich selbst wahrnehmen und über seine Beobachtungen, Teilnahmen, Aktionen, Maßnahmen, Sichtweisen, Kritiken und sein Verhalten bewusst reflektieren. Er wechselt hierzu zwischen Selbst- und Fremdbeobachtungsperspektiven und evaluiert die Supervisionssitzungen. Supervision ist für ihn ebenso notwendig wie für seine Supervisanden (vgl. Belardi 1998: S.96). Ziel für den Supervisor ist es nicht, die Supervisanden in Abhängigkeit zu bringen. Vielmehr arbeitet er darauf hin, dass diese sich selbst helfen können. Er könnte z.B. für die Zeit nach der Supervision eine nachfolgende kollegiale Supervision einleiten (vgl. ebd.: S.112). Systemisch gesehen ist es zwischen den einzelnen Sitzungen oft nötig eine gewisse Zeit vergehen zu lassen, damit das System Zeit hat die neuen Impulse zu verarbeiten und sich zu verändern. von Schlippe (2002: S.205-207) schlägt hier einen Abstand von mindestens 3-4 Wochen vor, denn der entscheidende Veränderungsprozess findet in der beruflichen Praxis statt. Die Supervision setzt die Impulse hierfür. Ebenso ist es oft vorteilhaft, eine Maximalzahl von Supervisionssitzungen festzulegen und die Termine in variablen Abständen zu gestalten. Aus-, Weiter- und Fortbildungssupervision implizieren hingegen normalerweise eine begleitende, zeitnahe, kontinuierliche Beratung. Bei Team- und Organisationssupervision wäre ein längerer Zeitraum der Zusammenarbeit festzulegen, ohne eine Gesamtzahl der Sitzungen zu vereinbaren. Es sollten jedoch feste Termine für Zwischenbilanzen festgelegt werden. Supervision ganz ohne zeitliche Begrenzung läuft Gefahr, selbst zum verfestigten Muster und Schema zu werden und so genau entgegen ihrer Intention zum Teil des Problemsystems zu werden (vgl. ebd.: S.213f.).