Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

5. Beispiele

Im Folgenden möchten wir einige Beispiele aus verschiedenen Bereichen, in denen Systemaufstellungen durchgeführt werden, vorstellen.

5.1 Therapie/Pädagogische Beratung

Systemische Strukturaufstellungen werden sowohl im Bereich der Therapie als auch der pädagogischen Beratung zur Lösung von Problemen aus den verschiedensten Bereichen angewandt. Neben Konflikten in der Familie oder im weiteren sozialen Umfeld können auch Probleme mit der eigenen Person sowie körperliche oder psychische Störungen/ Pro­bleme aufgestellt werden.
Im folgenden Beispiel berichtet Insa Sparrer (vgl. Sparrer 2004, S. 277 ff) von einer Neunfelderaufstellung, welche im Rahmen eines ihrer Seminare durchgeführt wurde. Diese Form der Aufstellung gehört zu den Lösungsfokussierten Systemischen Strukturaufstellungen, bei denen Elemente der Lösungsfokussierten Kurztherapie räumlich dargestellt werden.
Die Klientin leidet unter Unsicherheitsgefühlen in Bezug auf ihre berufliche Zukunft. Ihr Ziel ist die Selbständigkeit, die sie aber nur unter Aufgabe der Sicherheit an ihrem jetzigen festen Arbeitsplatz erreichen kann. Die Klientin klagt über Ängste, die sie vor allem in Situationen befallen, in denen sie sich in Richtung ihres Ziels bewegt. Insa Sparrer erkundigt sich zunächst nach Lösungen in der Vergangenheit, das heißt nach Situationen, in denen die Klientin die Erfahrung gemacht hat auf ihr (damaliges) Ziel ohne Angst zugehen zu können.
Die Aufstellung beginnt mit der Auswahl der Repräsentanten. Die Klientin wählt eine Person aus der Seminargruppe für sich selbst aus und positioniert diese im Raum, im Anschluss folgen die ersten Anweisungen Insa Sparrers (Th. steht dabei für Therapeutin, S. für Seminarteilnehmerin):

Th.: Bleibe jetzt hinter deiner Repräsentantin stehen, berühre sie an den Schultern, und spüre nach, wo für dich die Zukunft ist.
Die Teilnehmerin weist in die Blickrichtung ihrer Repräsentantin.
Th.: Spüre jetzt nach, wo die Vergangenheit liegt.
Die Teilnehmerin zeigt in die entgegengesetzte Richtung.“ (Sparrer 2004, S. 277)

Kommentar: Die Auswahl und Positionierung der Repräsentanten obliegt allein dem Klienten, der Therapeut steht allenfalls unterstützend zur Seite, greift in diesen Prozess jedoch nicht ein. Nur der Klient besitzt das Wissen, die passende Person und die ihr zugehörige Position in der Aufstellung zu finden.

Im weiteren Verlauf erläutert Insa Sparrer der Klientin, dass die von ihr gestellte Repräsentantin in der Gegenwart auf einer imaginären Zeitlinie steht, mit Blick in die Zukunft, die Vergangenheit im Rücken. Zudem erfährt die Klientin, dass sich links neben der Repräsentantin der interne Kontext befindet, welcher beispielsweise Empfindungen, Gedanken und Vorstellungen enthält. Rechts neben dem Zeitstrahl liegt der externe Kontext mit weiteren Personen oder anderen externen Bereichen (zum Beispiel der Arbeit).

Kommentar: Dieses Feld stellt die Basis der Neunfelderaufstellung dar. Nun wählt die Klientin einen Repräsentanten für das von ihr angestrebte Ziel aus, welcher direkt von ihr aufgestellt wird:

Th. zum Fokus: Wie geht es dir?
Fokus: Ich sehe das Ziel, aber ich fühle mich nicht im Gleichgewicht.
Th.: Mache einen Schritt auf das Ziel zu. Was verändert sich für dich?
Fokus: Ich werde unsicher und spüre Angst. Ich weiß nicht, was danach kommt.
Th. zu S.: Passt das für dich?“
S.: Ja genau. Ich weiß nicht, was sich alles ändern wird, wenn ich dieses Ziel erreicht habe, und das macht mir Angst.
Th.: Angenommen, du hättest das Ziel bereits erreicht, woran würdest du das merken?
S.: Ich hätte das Gefühl: Endlich kann ich ganz alleine Entscheidungen treffen. Ich hätte dann genügend Kunden.
Th.: Und wenn einmal weniger Kunden da wären, dein Problem aber bereits gelöst ist, was würdest du dann machen?
S.: Ich würde wohl Anzeigen aufgeben, Prospekte verschicken, und dann müsste ich wohl abwarten, - und davor habe ich die Angst, dass dann nicht genügend Kunden kommen.
Th.: Und wenn nun dein Problem gelöst ist, wie würdest du damit umgehen?
S.: Ich weiß nicht.
Th.: Nickt und schweigt.
S. schüttelt den Kopf: Da fällt mir nichts ein, - keine Ahnung.
Th.: Nickt und schweigt.
S.: schüttelt weiterhin ihren Kopf.
Th.: Stell noch das auf, was danach deine neue Aufgabe ist.“ (Sparrer 2004, S. 278f)

Kommentar: Insa Sparrer wechselt die Perspektive, nachdem mit dem „Ziel“ ein neues Element in die Aufstellung aufgenommen wurde, um das Gefühl des Fokus mit dem der Klientin abzugleichen. Interessant sind die ähnlichen Gefühle, die das Bild bei beiden Personen auslöst. Dieses Phänomen erklärt Insa Sparrer mit der so genannten „repräsentierenden Wahrnehmung“, bei der der Repräsentant die Emotionen, die sich unterschwellig im System befinden, spürt, in sich aufnimmt und in der Folge für die von ihm repräsentierte Person empfinden kann.
Die Frage, woran die Klientin merken würde, dass sie ihr Ziel bereits erreicht hat, lässt sich auf die Wunderfrage der lösungsfokussierten Kurztherapie zurückführen, die „neue Aufgabe“ steht für das Wunder, dass sich in der fernen Zukunft noch hinter dem Ziel verbirgt.
Die Therapeutin unterstützt den Prozess ihrer Klientin durch lösungsfokussierte Fragen, ohne jedoch in den Verlauf einzugreifen, auch wenn die Klientin keine Antwort weiß oder Unsicherheit zeigt. Das weitere Vorgehen wird ausschließlich durch die Klientin bestimmt. An dieser Stelle kommt sehr deutlich Insa Sparrers Bild des Klienten zum Ausdruck, den sie als selbstbestimmten Menschen und Experten seiner Lebensgeschich­te sieht, der seine Situation ausschließlich klären kann, wenn er sie aus seiner Perspek­tive aufstellt. Dem Therapeuten kommt die Rolle des Unterstützers mit ausschließlich methodischem Wissen zu.

Der nächste Schritt besteht in der Wahl eines Repräsentanten für die „neue Aufgabe“ und seiner Positionierung in der Neunfelderaufstellung.

Th.: Was ändert sich für den Fokus?
Fokus: Es tut gut, wenn hinter dem Ziel noch etwa auftaucht, aber die neue Aufgabe macht mir auch Angst.
Th.: Geh, noch einen Schritt weiter auf dein Ziel zu. Was verändert sich?
Fokus: Die Angst wird stärker.
Th.: Wie geht es der neuen Aufgabe?
Aufgabe: Ich sehe den Fokus nur neblig.
Th. zu Fokus: Geh einige Schritte zurück in die Vergangenheit, und bleibe dort stehen, wo du bei der Situation angelangt bist, in der du auf die Zukunft zugehen konntest, auch wenn du nicht genau wusstest, wie sie aussah. (…)
Fokus: Vor hier aus kann ich leichter zum Ziel sehen und auf es zugehen. (…) Ich mache mir weniger Gedanken und sehe nur das Ziel, so als ob es für mich nichts anderes gibt.“ (Sparrer 2004, S. 279f)

An dieser Stelle befragt Insa Sparrer ihre Klientin nach ihren Gefühlen (im Vergleich zu denen des Fokus). Die Klientin berichtet von ihren Erfahrungen in der Vergangenheit, von einem Satz, den sie damals als Motto angesehen hat: „Das Ziel ist die Lösung“. Im Laufe der Zeit musste sie jedoch die Erfahrung machen, dass sich viele Probleme nach dem Erreichen des Ziels nicht auflösen, sondern neue Aufgaben für die Klientin bereithielten (vgl. Sparrer 2004, S. 280).

Kommentar: Insa Sparrer greift auf ihre Frage nach Lösungen in der Vergangenheit zurück, die sie bereits vor Beginn der Aufstellung formuliert hatte. Diese Lösungen stehen für Ressourcen, die bereits in der Klientin vorhanden sind und nun aktiviert werden können.

Im dritten Bild der Aufstellung wird dieser Satz positioniert und erneut der Fokus befragt. Dieser kann den Satz nicht klar wahrnehmen, woraufhin er von der Therapeutin aufgefordert wird den Satz direkt anzusprechen:

Th.: Sage zu dem Satz „Du hast mir viel Kraft gegeben. Mit dir habe ich Schritte auf mein Ziel machen können.“ (Sparrer 2004, S. 280)

Nach dieser Intervention kann der Fokus gestärkt zum Ziel blicken und auf es zugehen. Da sich die Angst aufgelöst hat, gerät auch die neue Aufgabe in das direkte Blickfeld des Fokus. An dieser Stelle tritt die Klientin an die Stelle ihrer Repräsentantin und fühlt sich in das Lösungsbild ein. Sie kann auf das Ziel zugehen, die neueAufgabe gibt ihr Kraft, während sie sich vom Satz auf ihrem Weg unterstützt fühlt. Die Klientin nimmt das Bild in sich auf und stellt eine Verbindung zwischen diesem und ihren Gefühlen her. Auf diese Weise kann sie ihre Angst vor der beruflichen Zukunft zumindest im Moment besiegen. Sie kann jedoch später auch, und dies ist wesentlich, diesen „Sieg“ erinnern.

Kommentar: Die Klientin nimmt die Position ihrer Repräsentantin ein und kann somit neben ihrer vorherigen Perspektive, dem Blick von außen, eine neue einnehmen: Durch das Eintreten in das Aufstellungsbild kann sie sich in die gelöste Situation einfühlen und dieses Bild in sich aufnehmen und später erinnern.


5.2 Familienstrukturaufstellung

Der Bereich der Familienstrukturaufstellung muss sowohl in der theoretischen Konzeption als auch in seiner praktischen Umsetzung vom Familienstellen nach Hellinger unterschieden werden. Zwar arbeiten Familienstrukturaufstellungen nach den systemischen Grundannahmen und Metaprinzipien nach Sparrer/Varga von Kibéd, aber diese erfüllen aus unserer Sicht nicht hinreichend eine Ablösung von Hellingers Ordnungs­annahmen, da auch sie noch zu eng auf ein bestimmtes und nicht näher begründetes Ordnungsmodell aufbauen (vgl. dazu den Abschnitt Darstellung der Methode).

Das folgende Beispiel entstammt der Internetseite der Autorin und Beraterin Renate Daimler:

„Herr B. erlebt sich in der eigenen Familie als Versager. Seine Tochter ist verhaltensauffällig, und er gibt sich die Schuld. Grundsätzlich glaubt er, dass er für alles, was in seiner Familie nicht gut läuft, die alleinige Verantwortung trägt. Noch dazu beschwert sich seine Frau, dass er so distanziert ist und seine Gefühle nicht zeigen kann.
In der Aufstellung zeigt sich, dass seine Mutter nicht der Lage ist, ihn anzusehen. "Eine Wand ist zwischen uns", sagt sie. "Ich spüre nichts."
Herr B. weiß auf die Frage, ob seine Mutter etwas Schweres erlebt hat, keine Antwort. Erst als ein Repräsentant für "das worum es hier geht" aufgestellt wird und die Mutter sehr bewegt reagiert, fällt es ihm ein. "Ich hatte einen schwer behinderten Bruder über den nie gesprochen wurde. Er war zwei Jahre älter als ich und starb, als er noch ein Kind war, in einem Heim. Herr B. erlebt die Idee, dass er unbewusst den Schmerz und die Schuldgefühle seiner Mutter übernommen hat als erleichternd und gibt ihr diese Last zurück. Die Repräsentantin seiner Mutter kann ihn jetzt zum ersten Mal ansehen und ist sehr gerührt. Auch seine Tochter reagiert intensiv auf den verstorbenen Onkel, der von nun an einbezogen wird. "Du gehörst zu uns", ist der Schlüsselsatz, der Frieden ins System bringt.“ (http://www.renatedaimler.com/syststruk/familien.html)

Kommentar: Interpretieren wir dieses Beispiel nach der Grundannahme der Reihenfolge, dann könnten wir es folgendermaßen rekonstruieren: In der Aufstellung nimmt die Repräsentantin die Empfindungen der Mutter wahr und verbalisiert sie für Herrn B. Signifikant für diese repräsentierende Wahrnehmung ist das körperliche Empfinden der stellvertretenden Person, die für die Beziehungen innerhalb des Systems außerordentlich empfindsam ist. Repräsentanten können sowohl für real existierende Personen als auch für Abstrakta wie Fragen, Gefühle oder Situationen aufgestellt werden, in diesem Fall handelt es sich um „das, worum es hier geht“ – um einen Konflikt aus der Vergangenheit.
Die erste Grundannahme handelt von der Reihenfolge, die in Systemen vorherrscht. In diesem Fall hat das neue System Vorrang vor dem alten, das heißt Herr B. gibt die Schuld an seine Mutter/seine Herkunftsfamilie zurück und kann sich dadurch seiner eigenen Familie öffnen. Das Beispiel zeigt zwar, dass die Annahme einer Reihenfolge ein Aspekt sein kann, aber es können auch andere Aspekte zur Erklärung herangezogen werden. Für Herrn B. ist die Grundannahme aus unserer Sicht wenig relevant, denn in seinem konkreten Fall muss er lernen, nicht die Schmerzen und Schuldgefühle seiner Mutter zu übernehmen. Uns erscheint es als günstig, dies jeweils nur am konkreten Fall mit darin liegenden und geäußerten Annahmen (ohne universale Grundannahmen) zu interpretieren.

 

5.3 Politische Aufstellungen

Systemaufstellungen können im politischen Bereich zur Klärung von offenen Problemen eingesetzt werden. Das folgende Beispiel wurde von Doris Landauer auf deren Internetseite veröffentlicht. Die Psychologin arbeitet als Coach und Trainerin und absolvierte eine Ausbildung im Bereich der Systemischen Strukturaufstellungen am Institut für systemische Ausbildung, Fortbildung und Forschung in München
(vgl.
(http://www.aufstellungen.at/uebermich.htm).

„Im Rahmen eines Workshops auf der Gmundner Aufstellungstagung "Das weite Land der Aufstellungsarbeit" im Oktober 2001 wurden auf Grund der Aktualität die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA als Thema gewählt. Im ersten Schritt ging es darum, in der Gruppe der Anwesenden ein gemeinsames Anliegen herauszuarbeiten. Der Satz, der letztendlich mit einer sprachlichen Oberflächenstrukturaufstellung aufgestellt wurde, lautete:

„Gibt es etwas, das jenseits von Macht und Ohnmacht wirkt, das es uns ermöglicht, angemessen und lösend auf die derzeitige Situation zu reagieren?“
Zentrale Botschaft der Aufstellung war, dass die „Ohnmacht“, die sich überaus mächtig fühlte, ein inniges Verhältnis zur „Macht“ hatte. Die Macht ihrerseits fühlte eine sehr tiefe Beziehung zur Ohnmacht. Als Ziel wurden „Ermöglicht“ und „Reagieren“ heraus­gearbeitet, Lösend“ und „Angemessen“ waren unterstützende Ressourcen. Die „der­zeitige Situation“ gesellte sich bald zum Fokus „Uns“ und wurde praktisch Teil davon. Die starke Phalanx aus „Etwas“, „Es gibt“ und „Wirkt“ wurde diesem Duo Fokus und „derzeitige Situation“ in den Rücken gestellt. Übersetzt könnte man sagen, der tiefere Glaube, „dass es etwas gibt, das wirkt“ sollte zur Unterstützung und Rückendeckung für die „Ermöglichung des Reagierens“ werden. Die Qualitäten, die es zu berücksichtigen galt, waren „lösend und angemessen“.
Die Aufstellung folgte der Grammatik einer Tetralemmaaufstellung mit eingebetteter Problemaufstellung. Macht und Ohnmacht bildeten das „Eine“ und das „Andere“. Das Fragezeichen bildete gemeinsam mit dem „Und“ und dem Beistrich das „Beides“ und das „Jenseits“ repräsentierte die vierte Position.“ (http://www.aufstellungen.at/politische-aufstellungen.de.php)

Kommentar: Das Beispiel zeigt sehr deutlich die Rolle der Sprache bei der Durchführung von Systemischen Strukturaufstellungen. Die Tetralemmaaufstellung eignet sich besonders für politische Themen, da sie eine weitere Perspektive auf das Problem beinhaltet, die über „das eine“, „das andere“, „beides“ oder „keins von beiden“ hinausgeht. Als Problem zeigt sich allerdings auch, dass solche Aufstellungen keinesfalls die komplexe Reflexionsarbeit ersetzen können, die bei politischen Interpretationen auftreten. So fällt es von außen betrachtet schwer, die reflexiven Bemühungen in dieser Aufstellung nachzuvollziehen. Als ein reflexiver Beitrag zur politischen Analyse bleibt das Bild zu dürftig, als ein möglicher Einstieg mit zahlreichen Interaktionen und dabei als Anlass für eine vertiefende Reflexion ist es hingegen als sinnvoll vorstellbar. Allerdings entsteht die Frage, inwieweit die Ausgangsfrage nach dem Etwas jenseits von Macht und Ohnmacht das Thema nicht schon in eine Richtung gelenkt hat, die für eine umfassende politische Reflexion als zu abwegig erscheint, denn neuere politische Theorien gehen begründet davon aus, dass es keinen machtfreien Raum auf keiner Seite gibt, wohl aber Unterschiede in der Hegemonie der Macht. Besser hätte uns eine Frage nach der Situierung der Teilnehmer in diesen Machträumen gefallen. Eine Vereinfachung oder geringe Anschlussfähigkeit an kompetente Ressourcen ist eine Gefahr bei allen Aufstellungen: Die Ausgangspunkte können uns etwas als offen stellen lassen oder durch die gewählte Richtungsgebung auch erweiternde kritische Perspek­tiven verstellen.

 

5.4 Organisationsberatung

Die Systemischen Strukturaufstellungen haben sich zu einer beliebten Methode im Bereich der Organisationsberatung entwickelt, da sie zum einen auf die systemischen Gegebenheiten eingehen, andererseits die kreative und emotionale Seite der Klienten ansprechen. Insa Sparrer gibt in ihrem Buch „Wunder, Lösung und System“ ein Beispiel für die Durchführung einer Organisations-Strukturaufstellung in Form eines lösungsgeometrischen Interviews zur Lösung von Problemen bei der Zusammenarbeit mit den Kollegen (vgl. Sparrer 2004, S. 354 ff).
Die Klientin erschien ohne ihre Kollegen zum Seminar, in dessen Rahmen die Aufstellung letztendlich durchgeführt wurde. Aufgrund der Abwesenheit der anderen Betroffenen entschied sich Insa Sparrer für das lösungsgeometrische Interview, bei dem sie die Repräsentanten der Kollegen zu deren Empfinden befragen kann.
Zunächst wählt und stellt die Klientin ihren eigenen Repräsentanten und die für ihre Kollegen (in der Reihenfolge, in der sie in die Abteilung kamen) auf. Die Klientin positioniert sich hinter ihrer Repräsentantin und berührt diese mit den Händen an den Schultern, um Kontakt zu ihr herzustellen. Anschließend erhalten alle einen Stuhl, um sich zum Interview setzen zu können, an dem auch die Beraterin teilnimmt. (Vgl. Sparrer 2004, S. 354 f)

Th.: Wie geht es dem Fokus?
Fokus: Ich habe zu allen Kontakt, mein Platz hier ist gut.
Th.: Wie geht es Frau W.?
Frau W.: Ich spüre eine Missstimmung zwischen Frau N. und Herrn L. Mir selber geht an diesem Platz ganz gut.
Th.: Wie geht es Frau N.?
Frau N.: Ich bin froh, dass ich nicht neben Herrn L. sitze. Es ist, als ob er mir meinen Platz streitig macht. Ich spüre ein leichtes Ziehen im linken Fuß, ansonsten geht es mir gut.
Th.: Wie geht es Herrn L.?
Herr L.: Auch ich spüre eine Ablehnung gegenüber Frau N., irgendwie fühle ich mich unwohl, so als ob Frau N. mit mir konkurriert.
Th. zu Frau B.: Ist Ihnen etwas davon bekannt? Passt das Bild?
Frau B.: Ja, sehr passend. Frau N. und Herr L. sind seit längerer Zeit in Konkurrenz miteinander und vermeiden sich. Ansonsten verstehen wir uns gut in der Abteilung; trotzdem klappt es nicht mit der Zusammenarbeit.
Th.: Als erstes möchte ich Herrn L. und Frau N. bitten, miteinander den Platz zu tauschen, sodass die Abteilungsmitglieder in der Reihenfolge ihres Eintritts in die Abteilung sitzen.“ (Sparrer 2004, S. 355)

Kommentar: Insa Sparrer beginnt das Interview mit der Befragung der Repräsentanten. Diese fühlen sich in die jeweiligen Personen ein und antworten aus deren Perspektive. Anschließend kommentiert die Klientin das entstandene Bild und die Äußerungen der Repräsentanten im Hinblick auf Übereinstimungen zu ihren Kollegen. Das Umstellen der Repräsentanten geht auf die erste Grundannahme der Systemischen Strukturaufstellungen zurück, welche besagt, dass die Reihenfolge des Eintritts in das System berücksichtigt werden muss, da der im System Ältere Vorrang vor dem Jüngeren hat.

Im Anschluss an diese Umstellung befragt Insa Sparrer die Repräsentanten erneut nach ihren Empfindungen. Alle stimmen darin überein, dass das neue Bild besser passt und sie sich wohler fühlen. Der nächste Schritt besteht im Stellen der Wunderfrage.

Kommentar: Die Wunderfrage stammt ursprünglich aus der Lösungsfokussierten Kurztherapie. Der Klient kann an seiner Antwort erkennen, dass es eine Lösung für das Problem gibt, die nur noch darauf wartet angegangen zu werden.

Nach einer kleinen Einleitung fragt die Beraterin die Repräsentanten: „Angenommen, – in dieser, also der nächsten Nacht – passiert ein Wunder, – und das Wunder wäre, dass alle Probleme, weswegen Sie hierher gekommen sind, – auf einen Schlag gelöst sind, – einfach so, – und keiner sagt Ihnen, dass dieses Wunder eingetreten ist. – Woran würden Sie morgen früh merken, dass dieses Wunder eingetreten ist? – Was wäre für Sie anders? – Was wäre an Ihrem Arbeitsplatz anders? – Bemerkt das Wunder außer Ihnen noch jemand? – Wie wären die Reaktionen auf ihr verändertes Verhalten? – Wer möchte beginnen?“ (Sparrer 2004, S. 356)
Die Repräsentanten berichten nun der Reihe nach von ihren Gedanken und Vorstellungen, wie die Arbeit in der Abteilung nach dem Eintritt des Wunders aussehen könnte. Frau W. stellt sich vor, dass sie wieder viel fröhlicher sein würde und sich mehr einbringen könnte. Auch die Arbeit würde weniger werden, da Absprachen mit den Kollegen besser funktionieren würden. Wenn doch einmal viele Aufträge herein­kommen, würden sich alle mehr miteinander absprechen und die Arbeit so zusammen erledigen können.
Herr L. berichtet von weniger Stress und Druck sowie von gemeinsamem Austausch mit den Kollegen. Zudem hat er bereits Ideen für eine effektivere Zusammenarbeit entwickelt. Für den Fall, dass wiederum ein großer Druck entstehen könnte, glaubt Herr L., dass das Team damit besser umgehen könnte, da es von innen gestärkt ist.
Der Fokus erwähnt, dass vor allem der Druck von außen geringer sein würde und die Beziehungen zu den Kollegen sich verbessern können.
Im Gegensatz zu den anderen erwägt Frau N. die Möglichkeit das Team zu verlassen, da sie durch das eingetretene Wunder den Mut dazu finden würde. Der äußere Druck würde sich aus ihrer Sicht jedoch nicht verringern.
Nach diesem Austausch stellt Frau B. überrascht fest, dass sich die Äußerungen der Repräsentanten im Wesentlichen mit dem Verhalten ihrer Kollegen decken. (Vgl. Sparrer 2004, S. 357 f)
Insa Sparrer greift die Aussagen der Repräsentanten auf: „Th.: (…) Ich sehe, dass bei Ihnen sehr viel Druck von außen da ist und sie andererseits Ideen haben, wie es besser für Sie laufen könnte. Sie haben eine Vorstellung davon, es ist nur unklar, wie Sie diese umsetzen können. Sie sind sich einig darüber, dass es gut wäre, mehr miteinander abzusprechen, mehr auszutauschen. Angenommen, das Wunder wäre bereits geschehen, wann und wie oft in der nächsten Woche würden Sie sich dann zusammensetzen?
Fokus: Also, wir müssten uns mindestens zweimal die Woche treffen (die anderen nicken).
Th.: An welchen Tagen machen Sie das?
Fokus: Ich glaube, am Dienstag- und Freitagvormittag wäre günstig.
Herr L.: Und wir sollten uns eine halbe Stunde Zeit nehmen.“ (Sparrer 2004, S. 358)

Kommentar: Die Repräsentanten können aus ihrem Erleben eine konkrete Lösung ableiten und Vorschläge zu deren Umsetzung machen.

Insa Sparrer befragt nun die Repräsentanten, ob dies eine für sie realistische Lösung ist. Nach deren Zustimmung wird die Klientin selbst befragt.
Th. zu Frau B.: Was halten Sie davon?
Frau B.: Ich denke, dass ist eine Idee, die wir ausprobieren könnten. Ich glaube, irgendwie hatten wir alle aufgegeben und dadurch dem Druck nichts mehr entgegenzusetzen gehabt. Ich habe mehr Hoffnung; wir sollten es versuchen.
Th.: Wo würden Sie sich im Moment auf einer Skala von 0 bis 10 einschätzen, wenn 0 für den Zeitpunkt steht, als Sie sich entschlossen, diese Aufstellung zu machen, und 10 für das Wunder steht?
Frau B.: - Bei 6.
Th.: Was hat Ihnen geholfen, von 0 auf 6 zu kommen?
Frau B.: Es war ermutigend, zu sehen, dass wir eigentlich alle das Gleiche wollen. Mir ist auch klarer geworden, dass es der Druck von außen ist, der uns so zusetzt, und nicht die Arbeit, die wir machen. Eigentlich mag ich meine Arbeit gerne. Die Hektik hat mir alles verdorben. Das ist mir jetzt klarer geworden. Ich bin nicht mehr so verwirrt, – und ich sehe jetzt einen Weg.“ (Sparrer 2004, S. 358 f)

Kommentar: Die Einschätzung der Lösung auf der Skala kann einerseits dazu dienen, herauszufinden, wie realistisch die Lösung für den Klienten ist. Andererseits gibt sie auch Aufschluss über den Weg des Klienten und wie hilfreich die Aufstellung für ihn im Hinblick auf die Lösung seiner Probleme war.

Das Beispiel lässt uns insgesamt nochmals auf die Kritik zurückkommen, die wir bereits bei der Darstellung des Ansatzes geübt haben. Immer dann, wenn von den normativen Grundannahmen ausgegangen wird, verfällt dieser Ansatz in Mutmaßungen und eine manipulative Tendenz, die dem System bestimmte Richtungen als sinnvoll oder notwendig unterstellt. Der Eintritt in ein System kann zwar in der Reihenfolge ein oft unberücksichtigter und übersehener Aspekt sein, aber er kann nicht qualifizierend als notwendiger Aspekt für alle Systeme generalisiert werden. Gehen wir von solchen universalen Annahmen aus, dann überreden wir Systeme zu neuen Sichtweisen, die allenfalls Momentaufnahmen sind und deren relevante Aufnahme bei den Klienten auf einer vordergründigen Übernahme oder Übertragung basieren. Hier sollte bei Aufstellungen mehr Vorsicht geübt werden und das System, so wie es Virginia Satir intendiert hatte, konsequent zu seinen eigenen Interpretationen kommen. Die Therapeutin/der Berater sollten allenfalls Impulse geben, aber nicht von starken Grundannahmen ausgehen. Dass dies möglich ist, zeigt der eben beschriebene zweite, der offenere Teil der Beratungssituation.

Weitere Beispiele aus dem Bereich der Organisationsberatung finden sich im Buch „Wunder, Lösung und System“ von Insa Sparrer sowie im Internet. Zum Bereich der Organisationsaufstellungen gehören zudem die Teamstrukturaufstel­lun­gen oder Projektaufstellungen, welche ebenfalls in Organisationen durchgeführt werden. Renate Daimler gibt in ihrem Buch „Das unsichtbare Netz“, welches zusammen mit Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd verfasst wurde, sowie auf ihrer Homepage unter http://www.renatedaimler.com/syststruk/index.html einige Bei­spiele zu diesen Aufstellungsformen.