Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

6. Reflexion der Methode


>> 6.1 Methodenkompetenz
>> 6.2 Methodenvielfalt
>> 6.3 Methodeninterdependenz
>> 6.4 Begriffliche Klärung und Einordnung von Werkstattunterricht


6.1 Methodenkompetenz

Im Werkstattunterricht steht dem Lernenden eine vorbereitete Lernumgebung zur Verfügung in der sie ihren Bedürfnissen entsprechend selbstständigem, eigenverantwortlichem und in individuellem Tempo eigene Lernwege gehen können. Sie planen, organisieren und kontrollieren ihren Lernprozess weitgehend selbst und spielen somit eine aktive Rolle sowohl bei der Gestaltung als auch der Verantwortung ihres Lernens.
Diese Form von Unterricht entspricht weitgehend den Grundsätzen der konstruktivistischen Didaktik: Sie bietet Raum für verschiedene Wirklichkeiten, Sichtweisen, Lösungswege und Bedürfnisse der Schüler. Der Erziehung zu Selbstständigkeit, Eigeninitiative und Selbstverantwortung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Dies ist insbesondere beachtenswert, da durch die aktuellen gesellschaftlichen und arbeitsweltlichen Bedingungen und Veränderungen zunehmend die gezielte Förderung von so genannten „Schlüssel­qualifikationen“ wie Leistungsbereitschaft, Selbstständigkeit, Teamfähigkeit und Verant­wortungs­übernahme gefordert wird. Dadurch ist das Konzept gerade in der heutigen Zeit geeignet, um die verschiedenen Entwicklungen aufzufangen bzw. darauf zu reagieren.
Eine weitere Chance liefert das Konzept durch seine Offenheit: Es stellt einen Kompromiss zwischen geschlossenen und offenen Konzepten dar und kann in vielfältiger Weise variiert werden. Daher ermöglicht es eine schrittweise Öffnung des Unterrichts und eignet sich besonders für Anfänger des offenen Unterrichts.


6.2 Methodenvielfalt

Reichen stellt heraus, dass Werkstattunterricht nicht als einzig zweckmäßige Unterrichtsform anzusehen ist, sondern vielmehr einen bedeutenden Platz neben anderen Formen einnehmen sollte. Des weiteren bietet das Konzept vielfältige Variationen und Anwendungs­möglichkeiten. Reichen (1991, S.64) selbst stellt die Spannbreite deutlich in folgender Aufzählung dar:

„Inhalt:

  • thematisch gebunden (alle Lernangebote gehören zum gleichen Thema)
  • thematisch ungebunden (die einzelnen Lernangebote haben thematisch nichts miteinander zu tun)

 

Form:

  • reiner Werkstattunterricht
  • Werkstattunterricht vermischt mit anderen Unterrichtsformen (Einschübe mit gemeinsamen Aktivitäten der Klasse und Phasen von Instruktionsunterricht)
  • programmierter Werkstattunterricht (mit Lernangeboten zur Bearbeitung in einer bestimmten Reihenfolge)
  • begleitender Werkstattunterricht, d.h. als freiwilliges Ergänzungs-Lernangebot („Mini“-Werkstatt während Phasen mit Klassenunterricht)

Zeitdauer:

  • täglich eine Stunde
  • pro Woche ein Tag
  • hintereinander 1-2 Tage
  • durchgehend 1-2 Wochen

 

Selbständigkeitsgrad:

  • Angebotsunterricht zur Auswahl
  • freie Schülerarbeit.“

Dieses Spektrum der Variationsmöglichkeiten von Werkstattunterricht wird unter „Praxiserfahrungen“ bei den verschiedenen Anwendungen des Konzeptes besonders deutlich. Als ein Vorteil dabei stellt sich heraus, dass das Konzept nicht starr und festgelegt ist, sondern individuell angewandt werden kann. Jeder Lehrer kann dadurch seine individuelle Konzeptvariante entwickeln und seinen eigenen Weg finden.


6.3 Methodeninterdependenz

Reichen sieht die Methode Werkstattunterricht als Teil eines größeren Unterrichtsmodells an, das daneben auf Instruktions- und Projektunterricht aufbauen könnte. Eine vorstellbare Gewichtung könnte dann z.B. sein: Es dominiert der Werkstattunterricht, der den erforderlichen Instruktionsunterricht mit einschließt und durch einzelne Projekte ergänzt wird (vgl. Reichen 1991, S. 56).
Wie unter „3.1.2 Werkstattunterricht als Teil eines besonderen Unterrichtsmodells“ bereits erläutert, weist Reichen auf die besondere Verflechtung und Kombination dieser drei Unterrichtsformen hin. Demnach kommen diese im Schulalltag kaum in reiner Form vor, sondern gehen entweder ineinander über oder lösen sich phasenweise ab. Gerade der Sachunterricht wird oft mit Instruktionsunterricht begonnen, um dann in Projekt- oder Werkstattunterricht überzugehen. Auf diese Weise erhalten die Schüler zunächst im Instruktionsunterricht einen Überblick und eine Grundlage, haben dann aber die Möglichkeit, darauf aufbauend selbständig weiterzuarbeiten und dabei individuelle Schwerpunkte zu setzen (vgl. Reichen 1991, S. 59). Darüber hinaus kann Werkstattunterricht einen Rahmen bieten, der diverse Methoden mit einschließt: So können die Angebote einer Werkstatt ganz unterschiedliche Methoden implizieren.

 


6.4 Begriffliche Klärung und Einordnung von „Werkstattunterricht“


6.4.1 Begriffsdiskussion

6.4.1.1 Der Begriff und seine Metaphorik

„Werkstattunterricht“ bezeichnet nach Reichen eine Form offenen Unterrichts. Der Begriff "Werkstatt" soll dabei nicht etwa an Hammer und Hobel erinnern, sondern an die Art der Arbeit in einer Werkstatt: hier wird gearbeitet und zwar gleichzeitig an verschiedenen Aufträgen, zum Teil alleine, zum Teil in Gruppen und meistens ohne den Meister (vgl. Reichen 1991, S.61).
In dieser Hinsicht scheint die Formulierung „Werkstattunterricht“ gut gewählt zu sein, denn sie beinhaltet so die wichtigsten Aspekte dieser Unterrichtskonzeption. Dennoch erscheint die Wahl des Begriffes auch als problematisch, da dieser Hintergrund ohne Erläuterungen nur selten auf Anhieb erkannt wird. Stattdessen werden mit „Werkstattunterricht“ meistens verschiedene Vorstellungen und Assoziationen zu dem Begriff „Werkstatt“ verbunden. Auf diese Weise werden hinter dieser Formulierung in der Regel eben doch handwerkliche Arbeiten in der Schule vermutet: Die meisten „Laien“, die den Begriff zum ersten Mal hören, stellen sich darunter einen Unterricht vor, der tatsächlich in einer Werkstatt stattfindet und bei dem es hauptsächlich um das praktische Arbeiten mit Werkzeugen und Materialien geht, mit denen verschiedene Produkte hergestellt werden.


Handwerkliche Arbeit

Diese Art von Unterricht gibt es natürlich auch; sie wird mit dem sehr ähnlichen Begriff „Werkunterricht“ bezeichnet. Dadurch können leicht Verwechslungen auftreten. Im Werkunterricht geht es tatsächlich um das praktische Arbeiten in einer „echten“ Werkstatt, um handwerkliche Fähigkeiten und das Herstellen von Produkten. Dieser Unterricht findet heute meist als ein separates Fach statt oder auch innerhalb des Faches Technik.
Begründet wurde diese Art von Unterricht ebenfalls in der reformpädagogischen Bewegung:
Hauptsächlich wird handwerkliches Arbeiten in der Schule mit der Arbeitsschulbewegung und insbesondere Georg Kerschensteiner (1854- 1932) verbunden. Kerschensteiner richtete die ersten Schulwerkstätten ein. Durch die handwerkliche Arbeit als Ergänzung des geistigen Unterrichts wollte er mehr Möglichkeiten für Aktivität und Selbsttätigkeit in den Schulen schaffen, sowie die Vorbereitung auf den späteren Beruf verbessern.
Er wurde angeregt durch den amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey (1859- 1952). Dieser kritisierte die damalige Schule, die vom verbalen Lernen bestimmt war und forderte als eine wichtige Reform „die bewusste Pflege und Übung der Handfertigkeit durch Einführung eines Handfertigkeitsunterrichtes“ (Scheibe 1977, S. 197).
Dewey sah dies als einen Kompensationsauftrag der Schule an, da Möglichkeiten für handwerkliche Betätigungen durch den sozialen und wirtschaftlichen Strukturwandel kaum noch vorhanden waren. Er sah in der Arbeitsschule deshalb auch eine große Bedeutung für den sozialen Fortschritt (vgl. Scheibe 1977, S. 197).
Die Landerziehungsheime stimmten in diesem Zusammenhang mit der Arbeitsschulbewegung überein: auch hier war Unterricht in verschiedener handwerklicher Arbeit für jeden Schüler verbindlich und nahm im Tagesplan einen beträchtlichen Abschnitt ein (vgl. Scheibe 1977, S. 132). Die Forderung nach mehr Aktivität und Selbsttätigkeit spielen auch beim Werkstattunterricht nach Jürgen Reichen eine bedeutende Rolle. Hierbei handelt es sich jedoch nicht primär um handwerkliche Tätigkeiten.


Die Lernwerkstatt

Laut Reichen bedeutet Lernen im Werkstattunterricht, in einer Lernwerkstatt zu lernen und zu arbeiten. Dieser Begriff wird jedoch für Einrichtungen verschiedener Ursprünge in unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht. Jürgen Reichen (1991) bezeichnet mit Lernwerkstätten „strukturierte Lernangebote für den Werkstattunterricht“ (S. 56). Eine Lernwerkstatt ist damit in der Regel ein speziell vorbereitetes und zusammengestelltes Angebot verschiedener Aufgaben, die von den Schülern in der nachfolgend beschriebenen Methode bearbeitet werden.
Ebenso wird, wenn in der Literatur von Werkstattunterricht die Rede ist, dieser häufig mit „Arbeiten in Lernwerkstätten“ bezeichnet (vgl. Unruh 1992). Der Begriff „Lernwerkstatt“ wurde jedoch ursprünglich von einer Bewegung geprägt, die sich bereits einige Zeit früher entwickelte. Die Lernwerkstattbewegung in Deutschland begann in den frühen 80er Jahren, angeführt von der TU Berlin, der GhK Kassel und der PH Reutlingen. Durch die Öffnung des Unterrichts trat die Forderung nach neuen Ansätzen zur Lehrerbildung auf. Die Lernwerk­statt­bewegung hat es sich zum Ziel gemacht, innere Schul-, Hochschul- und Ausbildungsreformen zu unterstützen. Lernwerkstätten werden zum Teil auch „Didaktische Werkstätten“ oder „Pädagogische Zentren“ genannt. Sie stellen materialreiche modellhafte Lernumgebungen dar, in denen Lehrkräfte etwas erarbeiten, indem sie probierend tätig werden, aus dem vorhandenen Material etwas entwickeln und auf diese Weise offenen Unterricht selbst erfahren können (vgl. Kasper 1992, S. 8 f.).
In den Lernwerkstätten ist der aktiv-reflexive Besucher gefordert, nicht der konsumierende (vgl. Kasper 1994, S. 43). Zunehmend wird dieses offene Konzept auch in Schulklassen verwendet.
Auch wenn diese Lernwerkstätten in einem ganz anderen Zusammenhang stehen und mit anderen Zielen entwickelt wurden als eine Lernwerkstatt im Werkstattunterricht, so finden sich hier dennoch zahlreiche Gemeinsamkeiten:

  • Den Lernenden steht eine Lernumgebung zur Verfügung, d.h. ein Angebot an Materialien oder Aufgaben, aus denen sie frei wählen können.
  • Die Lernenden haben die Möglichkeit, eigenen Interessen nachzugehen,
  • nach ihrem eigenen Rhythmus zu arbeiten und
  • durch den handelnden Umgang mit den Dingen dazu zu lernen.

So lässt sich die Verwendung des Begriffes „Lernwerkstatt“ auch im Zusammenhang mit dem Konzept des Werkstattunterrichts rechtfertigen.

 

Die Lernstatt

Der Begriff „Lernwerkstatt“ lässt jedoch eine weitere Verwechslungsmöglichkeit zu, nämlich die Verwechslung mit dem Begriff „Lernstatt“. Klingen diese beiden Begriffe auch sehr ähnlich, so stehen dahinter doch zwei völlig unterschiedliche Konzepte. Der Begriff „Lernstatt“ stammt aus der Erwachsenenbildung der freien Wirtschaft. Es handelt sich dabei um eine betriebliche Einrichtung, die das Lernen am Arbeitsplatz fördern und so eine Verbindung schaffen will zwischen der Arbeit im Betrieb und dem Bedürfnis der Arbeit­nehmer nach Weiterbildung.
Die Arbeitnehmer treffen sich dabei in Gruppen an einem bestimmten Lernort und bearbeiten gemeinsam anstehende Probleme oder Fragen, und zwar nach einer ganz bestimmten, festgelegten Methode (nähere Informationen siehe Müller 1996). Lernstätten existieren seit 15 Jahren in diversen Betrieben. Die Idee entstand in den 70er Jahren im Zusammenhang mit der Integration ausländischer Arbeiter. Die spezielle Vorgehensweise der Lernstatt kann teilweise auch in der Schule angewendet werden, sie hat aber mit Reichens Werkstattunterricht kaum Gemeinsamkeiten.

 

Die Suche nach einer Alternative

Die Wahl des Begriffes „Werkstattunterricht“ erscheint fraglich und problematisch, da die Wahrscheinlichkeit doch recht hoch ist, dass dieser Begriff immer wieder Unklarheiten und Verwechslungen mit anderen Begriffen verursacht. Es stellt sich dann jedoch auch die Frage nach einer Alternative. Laut Reichen (1991, S. 56) ist Werkstattunterricht „eine Unter­richtsform, die auch „offener Unterricht“, „freie Schülerarbeit“ u.ä. genannt wird: ein offenes Arrangement von Lernsituationen und Materialien, bei dem die Schüler aus einem Lern­angebot auswählen und teilweise auch eigene Ideen verwirklichen können“. Das Konzept des Werkstattunterrichts beinhaltet jedoch eine Menge sehr konkreter und praxisnaher Hinweise, die es viel enger umgrenzen, als die doch sehr weiten Begriffe „offener Unterricht“ oder „Freie Arbeit“; deshalb ist die Verwendung eines spezifischeren Begriffes sinnvoll.
Die Begründung des Begriffes „Werkstattunterricht“ mag zwar in gewisser Hinsicht gut gewählt sein, bringt jedoch auch den Nachteil mit sich, dass sie, selbst wenn sie richtig verstanden wird, in der heutigen Gesellschaft etwas romantisierend wirkt. Es stellt sich deshalb auch die Frage, ob die beabsichtigte Herleitung des Begriffs heute noch aktuell ist.
Dennoch hat der Begriff „Werkstattunterricht“ zweifellos den Vorteil, dass er, richtig verstanden, alle wichtigen Komponenten des Konzepts enthält. Es ist nicht einfach, einen Begriff zu finden, der dies ebenso bewerkstelligt.
Vielleicht wäre beispielsweise der Begriff „Angebotsunterricht“ günstiger gewesen. Zum einen entfällt dadurch die irreführende Metaphorik der „Werkstatt“. Zum andern bildet ja die Bereitstellung eines bestimmten Angebots von Materialien und Arbeitsaufträgen, aus denen die Schüler auswählen können, das Kernstück des Konzepts.

 

6.4.2 Begriffsklärung und Einordnung

Auch der Begriff „Werkstattunterricht“ selbst ist nicht eindeutig definiert; dahinter stehen ganz verschiedene Anwendungen und Konzepte. Deshalb ist es nötig, zu Beginn der Aus­führungen über den Werkstattunterricht nach Jürgen Reichen zu klären, welches Konzept dahinter steht, inwiefern es sich von anderen Werkstattunterrichtskonzepten unterscheidet und wo es einzuordnen ist.
Claussen (1996, S.40) stellt fest: „Der Begriff Werkstattunterricht wird in letzter Zeit vielfältig mit Inhalt gefüllt... es gibt ganz offensichtlich noch kein eindeutiges gemeinsames Verständnis von Werkstattunterricht in der Grundschule“. Er weist jedoch auch darauf hin, dass sich die zahlreichen Beschreibungen von Werkstattunterricht ähnlich sind, da sie in vielen Merkmalen identisch sind.
Zu diesen Übereinstimmungen zählt vor allem die Verbindung von Werkstattunterricht mit einer schul- oder klasseneigenen Lernwerkstatt, d.h. einer sorgfältig vorüberlegten und vorbereiteten schulischen Umgebung, in der den Kindern ein breites Spektrum von Lernangeboten zur Verfügung steht. Dieses Lernangebot soll den Schülern aktives, intensives, handlungsorientiertes und zunehmend selbständiges Lernen ermöglichen. Weitere wesentliche Merkmale von Werkstattunterricht sind nach Claussen:

  • die Freiheit der Kinder, selbst über Reihenfolge, Sozialform und Dauer ihrer Aktivitäten
  • zu entscheiden,
  • die veränderte Unterrichtsweise und Rolle des Lehrers, sowie
  • die Aufteilung des Klassenzimmers in verschiedene Arbeitsbereiche (vgl. Claussen 1996, S. 40).

Astrid Kaiser (1997, S. 235) definiert „Werkstattunterricht“ als ein „Unterrichtsverfahren, in dem Kindern eine Werkstatt zur Verfügung gestellt wird, damit sie dort an selbst geplanten Projekten arbeiten können“. Sie weist überdies darauf hin, dass dieses Verfahren bereits in der Freinet-Pädagogik angewandt wurde: Dort arbeiten die Kinder in verschiedenen ein­gerichteten Ateliers nach der „natürlichen Methode“ (vgl. I. Dietrich 1995).
Werkstattunterricht nach Reichen hingegen grenzt sie zum Teil von dieser Unterrichtsform ab: „Reichen engt Werkstattunterricht auf schulspezifischere stärker von der Lehrperson vorgeplante handlungsorientierte und fächerübergreifende Aufgaben ein, die in verschiedenen Werkstätten (Arbeitsplätzen) zur Verfügung gestellt werden“ (Kaiser 1997, S. 235). Als weiteres Merkmal von Reichens Konzept des Werkstattunterrichts fügt sie die Durchführung des Chefsystems* hinzu.
Diese Definition von Werkstattunterricht nach Jürgen Reichen ist sehr verbreitet (vgl. Maaser 1995, S.41) und beinhaltet wesentliche Merkmale von seiner Interpretation des Werk­stattunterrichts.
Herbert Hagstedt hat verschiedene offene Unterrichtsformen untersucht, die er unter dem Oberbegriff „Lerngarten-Modelle“ zusammenfasst (vgl. Hagstedt 1992, S. 367 ff.). Er nennt verschiedene Merkmale des Lerngarten-Konzepts: Zum einen gibt es hier anstelle eines einheitlichen, über den Lehrer vermittelten Arbeitsauftrags an alle Lernenden immer gleichzeitig mehrere Erfahrungs- und Handlungsalternativen, unter denen ausgewählt werden kann. Des Weiteren ist der „Lerngarten“ in verschiedene Arbeitsplätze bzw. Bereiche aufgeteilt. Die Kinder wechseln im Unterricht von Zeit zu Zeit ihren Arbeitsplatz, wobei sie über Aufgabenfolge und Arbeitsrhythmus weitgehend mitbestimmen (vgl. Hagstedt 1992, S. 370). Diese Merkmale stimmen ausnahmslos überein mit wesentlichen Kennzeichen des Werkstattunterrichts nach Reichen. Demnach zählt Reichens Konzept zweifellos zu den Lerngarten-Modellen nach Hagstedt.
Nach dem Grad ihrer Institutionalisierung bzw. nach dem Grad der Selbstorganisation unterscheidet Hagstedt vier verschiedene Lerngartentypen: das Stationen-Modell, das Büffet-Modell, das Arbeitsplan-Modell und das Werkstatt-Modell (vgl. Hagstedt 1992, S. 370 ff.).
Werkstattunterricht nach Reichen ist jedoch keineswegs dem Werkstatt-Modell zuzuordnen. Das Werkstatt-Modell nach Hagstedt stellt laut Astrid Kaiser (1997, S. 126) eine ganz offene Lernsituation durch die unverbindliche Bereitstellung von selbst gesteuert nutzbaren Materialien dar, wobei Lehrervorgaben und Lehrziele zurücktreten. „Es gibt weder feste Arbeitsplätze noch gezielte Themenvorgaben oder Arbeitsaufträge. Stattdessen wird vom Lernenden verlangt, dass er sein persönliches Lernmotiv findet, ein eigenes Arbeitsprogramm entwickelt, auch ein originales Produktziel für sich definiert und selbstverantwortlich seinen gesamten Lernprozess organisiert“ (Hagstedt 1992, S. 373).
Das didaktische Konzept nach Reichen unterscheidet sich davon jedoch in mehrfacher Hinsicht: Im Werkstattunterricht gibt es sehr wohl bestimmte Arbeitsplätze, und in der Regel auch gezielte Themenvorgaben, Arbeitsaufträge und verschiedene Hilfen zur Organisation des Lernprozesses (vgl. 4. Darstellung der Methode).
Auch Kaiser weist ausdrücklich darauf hin, dass das Werkstatt-Modell „nicht zu verwechseln [ist] mit Werkstattunterricht (nach Reichen) mit möglichen Themen- und Angebotsvorgaben“ (Kaiser 1997, S.126).
Wenn man nun aber versucht, Werkstattunterricht nach Reichen einem der anderen „Lerngartentypen“ zuzuordnen, stößt man auf ein Problem: Reichen nennt in seinen Ausführungen über Werkstattunterricht eine ganze Reihe verschiedener Formen, Variationen und Ausprägungen von Werkstattunterricht (Reichen 1991, S. 64). Diese erhalten zwar einerseits die Offenheit des Konzeptes und ermöglichen eine individuelle Anpassung dieser Unterrichtsform durch den Lehrer an die jeweils gegebenen Bedingungen. Andererseits erschweren sie jedoch eine Abgrenzung des Modells von anderen ähnlichen Konzeptionen, sowie eine genaue Definition und Einordnung erheblich. So nennt Reichen beispielsweise unter den möglichen Variationen im Bezug auf den Selbständigkeitsgrad des Werkstattunterrichts die Möglichkeiten

  • „- Angebotsunterricht zur Auswahl [und]
  • freie Schülerarbeit“ (Reichen 1991, S. 64).

Wenn aber auch die freie Schülerarbeit unter Reichens Konzept des Werkstattunterrichts fällt, so ist der Begriff sehr weit gefasst. In Bezug auf Hagstedts Lerngarten-Modelle ließe sich Werkstattunterricht demnach je nach Form und angewandter Variante entweder dem Stationen- oder dem Büffet- Modell zuordnen: In der engeren Form von Werkstattunterricht umfasst dieser ein gezielt vorgeplantes Arrangement verschiedener Aufgaben mit meist festen Arbeitsaufträgen und -materialien, was dem „Stationen-Modell“ entspricht (vgl. Kaiser 1997, S.126). Eine offenere Variante von Werkstattunterricht dagegen ginge über diese Definition hinaus. Werkstattunterricht könnte dann eher dem „Büffet-Modell“ zugeordnet werden, bei dem die Lehrerin ein aufeinander abgestimmtes, aber auch in gewisser Weise abgegrenztes Materialarrangement zusammenstellt, wobei die Materialplanung und -auswahl durch die Kinder erfolgt (vgl. Hagstedt 1992, S. 371).
Reichen selbst legt jedoch dar, dass die unterschiedlichen Formen in der Praxis kaum in reiner Form vorkommen, sondern meist ein Mischtyp vorherrscht: „Angebotsunterricht zur Aus­wahl, bei dem die Lehrerin [...] aber auch die Möglichkeit einräumt, dass Schüler etwas bearbeiten, was nicht von der Lehrerin vorgeschlagen wurde (= freie Schülerarbeit)“ (Reichen 1998b, S. 21). In dieser Weise wird das Konzept des Werkstattunterrichts auch bei den weiteren Ausführungen verstanden und ausgelegt, so dass es ebenso der Definition Astrid Kaisers sowie den Ausführungen Claussens entspricht. Diese Definitionen entsprechen zudem der Form des Werkstattunterrichts, die Reichen selbst in der Praxis anwendet. So praktiziert er eine eher engere Form des Werkstattunterrichts: Eine Werkstatt umfasst bei ihm stets eben­soviel Angebote, wie Kinder in der Klasse sind. Jedes Kind ist Chef eines Angebots. Es muss dieses als erstes erledigen und die Lösung vom Lehrer kontrollieren lassen. Alle Kinder sollten möglichst alle Angebote bearbeiten; hierfür steht ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung. Ein Thema, das meist aus dem Sachunterricht stammt, bildet den Ausgangspunkt der Werkstatt; zu diesem Thema werden fächerverbindend verschiedene Angebote aus allen Bereichen gestellt (vgl. Kahl 1992a).
Die Tatsache, dass Reichen diese Form von Werkstattunterricht praktiziert, soll jedoch nicht darauf schließen lassen, dass dies die geeignetste Variante des Konzepts ist. Reichen selbst fordert jeden Lehrer auf, nicht starr am Konzept zu kleben, sondern seine eigenen Erfahrungen zu sammeln, um so seinen eigenen Weg zu finden (vgl. Reichen 1988b, S. 22). Reichens Ausführungen sollen dabei helfen, dieses offene Unterrichtskonzept Schritt für Schritt in der Praxis zu verwirklichen. Das Konzept bietet Lehrern, die danach arbeiten wollen, eine Orientierung; es ist gut durchdacht, und enthält viele hilfreiche Hinweise für die Praxis. Reichen gibt zu, dass die Ideen, auf denen das Konzept beruht, nicht ganz neu sind. Darauf kommt es ihm auch nicht an. Er begründet die Bedeutung und den Sinn seines Unterrichtkonzepts vielmehr in anderer Weise: „Eine Didaktik muss nicht neu sein, sondern stimmig, so dass ein Unterricht, der an ihr ausgerichtet ist, erzieht und bildet“ (Reichen 1991, S.5).