KONSTRUKTIVISMUS :: Texte
 

 

Kurzes Wörterbuch zur konstruktivistischen Didaktik

 

  Frageverhalten
 

Der Beobachter erweitert seine Perspektiven, indem er sehr unterschiedliche Fragen stellt. Dabei ist es günstig in verschiedene Richtungen zu fragen, In der systemischen Beratung z.B. hat man sehr gute Erfahrungen mit einer offenen Frageweise gemacht, die den Beobachter nicht allein mit seinen Wahrnehmungen lässt, sondern die ein durchgehender Anlass für einen Dialog zwischen allen Beteiligten in einer kommunikativen Situation sind. Dazu gehören z.B. die folgenden Fragebereiche:

  • Klassifikationsfragen ermöglichen es, Reaktionen auf bestimmtes Verhalten oder bestimmte Interaktionen in eine Rangfolge zu bringen. Man kann damit die differenzierten Reaktionen (Freude, Zorn, Verdacht usw.) oder Überzeugungen (Optimismus/Pessimismus, Zweifel usw.) gegenüber einer Veränderung, einem Problem oder einer versuchten Lösung herausfinden und so den Rahmen der Untersuchung erweitern.
  • Übereinstimmungsfragen: Die Frage nach der Zustimmung zu einer vorher gemachten Aussage einer anderen Person soll deutlich werden lassen, wer mit wem eine Koalition bildet oder in Opposition zueinander steht. Zudem kann sie der Person, über die zuvor gesprochen wurde, eine Stellungnahme ermöglichen. Fragen zu Verhaltenssequenzen untersuchen die Wechselwirkungen eines Verhaltens unter bestimmten Umständen (nicht anhand von Gefühlen oder Interpretationen).
  • Diachronische Fragen untersuchen Veränderungen in einem Verhalten, das auf Veränderung in Beziehungen oder auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte hinweist, z.B. vor oder nach einem bestimmten Ereignis.
  • Handlungsfragen untersuchen Unterschiede, die sich eher durch Verhalten als durch Beschreibungen individueller Merkmale andeuten. Statt Beschreibungen wie "Sie tut überhaupt nichts" oder "Er verhält sich einfach unmöglich" hinzunehmen, erkunden sie das dahinterhinter stehende Verhalten.

Die Technik der zirkulären Fragen wurde in der Mailänder Schule der systemischen Therapie (Selvini Palazzoli u.a.) entwickelt und kann wesentlich dazu beitragen, neue Perspektiven oder Informationen in einen Beziehungskontext einzuführen.

Zirkuläre Fragen vermeiden direkte Antworten und stellen statt dessen darauf ab, die Verwobenheit des Gefragten in ein Verhältnis mit dem Fragenden oder mit Dritten stärker zu erfassen. Eine solche Frage lautete deshalb z.B. nicht: Warum reagierst du so heftig und wirst so aggressiv?, sondern etwa: Was meinst du, hat deine heftige Reaktion und Aggression bei mir ausgelöst? Oder aus Sicht eines Dritten: Was meinst du, Franz, wird deine Reaktion und Aggression [gegen mich] für Eva bedeuten? Die Fragen versuchen den Beobachterstandort so zu verschieben, dass ein Kontext mit zu bedenken ist, so dass aus der kontextbezogenen Antwort neue Informationen und daraus neue Beobachterperspektiven entstehen können. Lösungen für Probleme sollen vorrangig dadurch gefunden werden, dass über die Sprachspiele festgefahrene Beobachterpositionen aufgeweicht werden. Zirkuläre Fragen setzen eine systemische Grundhaltung voraus, die sich auf der Seite der Beziehungskommunikation und nicht auf der Seite, etwas über ausschließliche Inhaltshervorhebung lösen zu wollen, situiert. Vgl. dazu auch den systemischen Methodenpool: Zirkuläre Fragen.