Kersten Reich: Die Ordnung der Blicke. Band 1: Kapitel II.1.3

   

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1.3 Erkenntnistheoretische Kränkungen und impliziter Konstruktivismus

Die erkenntnistheoretischen Kränkungen haben in der Moderne bis hin zur Postmoderne  ständig zugenommen.1 Im Spiel von Eins und Auch als auch bei der Bestimmung von Ereignis und Handlung haben insbesondere sprachphilosophische Überlegungen dazu beigetragen, eine implizit konstruktivistische Weltsicht zu entfalten, die uns zwingt – bevor wir uns intensiver auf explizit konstruktivistische Bemühungen einlassen wollen – „gekränkte“ Denkvoraussetzungen in kulturellen Kontexten näher zu thematisieren. Sonst laufen wir Gefahr – und diese sehe ich insbesondere im „radikalen Konstruktivismus“ – uns alle neuere Erkenntnistheorie neu zu erfinden und schon vorhandene Sichtweisen vorschnell zu übergehen oder uns unnötige Feinde zu imaginieren. Der Konstruktivismus, von dem heute in vielen Schattierungen gesprochen wird, ist nicht voraussetzungslos auf die Bühne der Erkenntnis getreten. Und es erscheint mir notwendig, einige Grundlagen zu klären, die ich nachfolgend um die Begriffe Zeichen, Symbole und Realität konzentrieren will, um das konstruktivistische Sprachspiel aus der Sicht anderer erkenntnistheoretischer Kränkungsbewegungen heraus transparenter werden zu lassen.

 

1.3.1 Sprachphilosophischer Rückblick

Ist das Wechselspiel von Eins und Auch ohne Sprache überhaupt denkbar? In der griechischen Antike war durch die Herauslösung der gesellschaftlichen Entwicklung aus dem engen Geflecht sozialer Kohärenz und dem Aufkommen sozialer Differenz, der Geburt dessen, was wir einen Weg hin zu einem größeren Individualismus und der Entstehung von zunehmender Ich-Autonomie beschreiben können, eine Philosophie entstanden, die aber zunächst weniger ausschließlich am Mittel der Sprache, sondern vielmehr durch die Intention, den Begriff des Seins zu bestimmen, charakterisiert war. Gegenüber den verschiedenen, an Einzelheiten sich festmachenden letzten Gründen besonders der Vorsokratiker, die gefunden wurden, um eine Welt und deren Ursache zu behaupten, ein Weg der länger schon über den Mythos zum Logos führte (Nestle 1975), war es besonders Platon, der an die Stelle nicht zu definierender „Urstoffe“ ein ideelles, geistiges Prinzip stellte, eine Ideenlehre, die das Sein als Problem der Beobachtung entdeckte. „Er fragt nicht mehr schlechthin nach der Gliederung, nach der Verfassung und der Struktur des Seins, sondern nach seinem Begriff und nach der Bedeutung dieses Begriffs.“ (Cassirer 1985, I, 4) Gegenüber dieser Erklärung erscheinen die vorhergehenden Versuche als begriffslos, als mythisch, als zu wenig durchdrungen von Sinn, Bedeutung und einem Prinzip des Verstehens.2 Allerdings wird dieser Sinn – auch durchaus ungerecht gegen die Sophisten als erste Aufklärer3– mit einer Lehre erobert, die dem Gedanken des Seins auch die Sprache, die Begriffe und Zeichen, mit denen Ideen sich vermitteln, unterordnet. So werden die Ideen zu bestimmenden, nichtmateriellen, aber formenden Bestandteilen, die die Seele schon hat (Platon) und die sich ihr einprägen (Aristoteles). Bei Platons Sokrates wirkt z.B. die Idee der Gerechtigkeit, die sich als Idee dann in gerechten Staaten, Gesetzen und Menschen wieder findet. Aristoteles beschreibt in „De Interpretatione“, wie sich die gedachten Dinge in die Seele einprägen. Die Eindrücke in der Seele, die der Formung der Materie isomorph entsprechen, verabsolutieren die Form, die den Grund allen Seins in sogenannten Urbildern abgeben muss, die vorgängig die wahren Urbilder, wie Platon sich äußert, darstellen, von deren Ableitung der Philosoph dann von den Ideen wisse. Zwar bleibt so die Herkunft der Ideen fragwürdig, aber es gelingt Platon und Aristoteles entscheidend, ideenmäßige Bedingungen gedanklich und kategorial zu differenzieren, nach denen wir sprachlich die Welt beobachten und beschreiben.
Wie kommt es, dass die Menschen sich in ihrer und in fremden Sprachen verstehen? Die Behauptung geht dahin, dass in der Form etwas Universelles steckt, das die individuellen Eigenarten überwinden lässt.4 Zuerst sind hier die Formen der Dinge zu nennen, die sich in der Vielfältigkeit weiterer Formen, in Mannigfaltigkeit ausprägen, sofern sie nur als zuerst geschaute (gedachte) Formen erhalten bleiben. So ergibt sich ein Grund in den Formen der Dinge, diese prägen sich in die Seele ein und können – wenn auch oft unter Mühen – von dieser geschaut (empfunden) werden; die Seeleneindrücke wiederum lassen sich über Sprache äußern. Eine wesentliche Äußerungsform, die überdauert, ist die Schrift. Von heute aus lassen sich solche Konstruktionen als zeitbedingte Versuche deuten, eine Erklärung für das zu finden, was die Menschen damals als passend für ihre Welt und deren Verständnis interpretierten. Wenn nun aber diese inhaltliche und formende Sprache und hierbei die Schrift das ist, was das individuelle Leben überdauert? Wenn sich an ihr alles das festmacht, was nachkommenden Genera­tionen als begriffliches, als geistiges Sein überliefert wird, entsteht dann nicht ein Widerspruch, wenn ich die je eine, einmalige, historische Perspektive festhalten will, von der sich die Dinge, die Ordnungen und Wahrheiten, die Empfindungen der Seele jeweils konkret und anders, verändert herleiten? Oder bleiben sich die Universen alle gleich – zumindest in bestimmten Aspekten? Mit der ersten Unterscheidung ist bereits eine Perspektive konstruiert, die zur Dekonstruktion für eine zweite wird, weil sie als je behauptetes Eins ihre Auchs herausfordert. Darin dokumentiert sich bereits von frühen Anfängen an eine Kränkungsarbeit, die ihren vorläufigen Gipfel im 20. Jahrhundert erreichte, und die hier skizzenhaft zu betrachten ist.
Wir sind in ein philosophiegeschichtliches Wagnis eingetreten, das die konstruktive Arbeit in der Begründung, im Begreifen der menschlichen Ideen, auf unterschiedlichen Wegen immer wieder neu zu bestimmen versuchte, aber über solche Konstruktionen sich zugleich einer notwendigen Dekonstruktion ihrer eigen Ansprüche und Erwartungen immer sicherer wurde. Denn in der Suche nach dem Eins sind viele Stellvertreter gefunden worden, bis vermittelt durch die Aufklärung und deren Abarbeitung sich der Mensch selbst als Vertreter des eigenen Vertretens spüren und formulieren konnte. Dies hat zu einer Dynamisierung der Auchs geführt, die als Zerrüttung alter – monokausaler – Werte empfunden wird, die zu einer Unübersichtlichkeit führte, die auf jede Konstruktion schon den Widerstreit folgen lässt. In solchem notwendigen Widerstreit ist auch die sprachphilosophische Begründung und Suche selbst widersprüchlich. Diese Widersprüchlichkeit erscheint mir z.B. in folgenden Bewegungen:


a) Verobjektivierungsprozesse und unendliche Suche

Die Verobjektivierung der Sprache in ihrem Übergang von oraler Überlieferung in die Schrift sicherte einerseits den Ideen, die einmal als Ideenlehre und deren Differenzierung konzipiert waren, eine wirksame Tradition. Die geronnene, materialisierte Form trug nicht unerheblich zur Stabilisierung jener Ur-Bilder und Sehnsüchte nach festem ideenmäßigen Grund bei, der analog zur Konstruktion dämonischer Götterwelten einen jeweils projektiv rationalisierbaren Ausgangspunkt brauchte. Aber auch bereits auf der Zeichenebene wurde dies möglich. „Das Zeichen bildet gleichsam für das Bewusstsein das erste Stadium und den ersten Beleg der Objektivität, weil durch dasselbe zuerst dem ständigen Wandel der Bewusstseinsinhalte Halt geboten, weil in ihm ein Bleibendes bestimmt und herausgehoben wird.“ (Cassirer 1985, I, 22) Hier erscheint erneut jenes Eins, das Hegel dem Auch entgegensetzte, das aber als sprachliches Eins die notwendige, man ist geneigt zu sagen, absolute Basis der Sprache, des Sprechens und der Verständigung sich anerkennender Selbstbewusstseine bedeutet. Allerdings ist dieses Eins immer nur relativ absolut im Bezugskreis der sich Anerkennenden, gleichwohl absolut als Norm ihrer Verständigung. Die Vorstellungen des je individuellen Bewusstseins bleiben flüchtig, sie sind nur verstehbar durch Sprache, Gestik, Austauschformen. Die sprachlichen Zeichen dienen hier besonders ausgewiesen der Identitätsstiftung zwischen den Bewusstseinen. Sie sorgen für das Beharren der verschiedenen Selbstbewusstseine in einem Allgemeinen, das ihnen in ihrem interaktiven Tun konkret oder abstrakt bedeutsam oder nützlich ist. Aber als ein Allgemeines trägt es in sich die Repräsentanz einer verallgemeinerten Realität, in der es eine Mannigfaltigkeit von Begriffen gibt, aber je nur eine Besonderheit und Einmaligkeit von dem, was diese bezeichnen. Auf dieser Basis ließ sich die Kausalität der Logik, des Denkens differenzieren. Die Vergegenständlichung der Ideenlehre, ihre Akademisierung, wurde zur Voraussetzung eines tradierten Wissens, das als dasselbe eine Logik und Möglichkeiten des Denkens sich bestimmen lernte, mit denen nachfolgende Generationen sich auseinander zu setzen hatten. Dass solche Abarbeitung gerade der sehr frühen Reflexionen bis in die Neuzeit reicht, liegt an der Spezifik antiker Philosophie, die von ungeheurem Reichtum, großer Reichweite und begrifflicher Schärfe, aber eben auch jener Urbildsuche geprägt war, die sich dem Christentum ideologisch einverleiben ließ und selbst noch in sozialen Utopien bis hin zum Marxismus zumindest interpretierbar und aufhebbar blieb bzw. bleibt.5
Eine Beschäftigung mit der Philosophiegeschichte, wo solches zur Sprache kommt, zeigt ein unendliches Bemühen um einen Logos, um eine Verobjektivierung, mit der das Sein und unser Wissen um es eingefangen werden soll. Als Begegnung mit dieser Bewegung erreicht uns immer wieder die Suche nach dem Hinter-Grund, dem Ab-Bild, dessen Wider-Spiegelung Bedeutsamkeiten hervorrufen will, und es verstellt sich so oft der Weg hin zu einer Erkenntnis, die den Menschen selbst als Hervorheber seiner Konstruktionen radikalisiert. Gleichwohl war diese Bewegung offensichtlich notwendig, um zu einem relativierenden Pragmatismus und später Konstruktivismus zu gelangen, denn in ihr drückt sich Schritt um Schritt eine höhere Selbstbewusstwerdung in der Formulierung der Probleme von Subjekt und Objekt, von Bewusstsein und Sein aus. So sollte man als Konstruktivist nie gegen die alten Welt-Bilder bloß schimpfen oder in ihnen sich Feindbilder im Sinne einer alles in allem nur verfehlten Gedankenbewegung errichten, sondern zu erkennen lernen, inwieweit sie notwendig jene Schritte einer Selbstbewusstwerdung mit enthalten, die uns heute in unterschiedlichen Weisen überhaupt erst aus den Trümmern von Erkenntnistheorien und ihren gescheiterten Ansprüchen auferstehen lassen. Und für uns wird es zugleich wichtig, uns mit diesem Scheitern selbst zu befassen, um die bewusste Wahl für einen reflektierten Ansatz nicht aus den Launen eines modischen Bekenntnisses zu treffen. Lässt man sich darauf ein, dann wird man erstaunt sein, wie viel impliziter Pragmatismus und Konstruktivismus in der bisherigen Geistesgeschichte schon enthalten ist.6

 

b) Grenzen sprachlichen Bewusst-Seins

In der klassischen deutschen Philosophie, besonders bei Kant, Fichte und Hegel, hat sich das Problem des Seins in einer Zeit bürgerlicher Weltaneignung in großen Entwürfen formuliert, in denen das Subjekt kognitiv, mittels seiner Vernunft oder zumindest überwiegend seiner Vernunft, zu sich selbst gelangen konnte. Kant versuchte in transzendental-logischer Rekonstruktion jene Erfahrungsformen kritisch zu bestimmen, die wie Raum und Zeit grundsätzlich gegeben sind und wie die Verstandeskategorien vorgängig funktionierend das formen, was menschliche Vernunft ist. Fichte radikali­sierte die Subjektivität und mag als Basisautor einer konstruktivistischen Theorie gelten, die das Ich ein Nicht-Ich setzen lässt. Hegel sah in der Vermittlung von subjektiven und objektiven Seiten, die immer nur Unterscheidungen eines Bewusstseins, eines Selbstbewusstseins und Geistes bleiben, die Rekonstruktion für eine letzte, aufbäumende Versöhnung, die uns eine logische Gewissheit als absolutes Wissen bewahrt. Eine Entwicklung der Sprachtheorie musste hier, und in Seitenentwürfen – etwa Humboldts Bestimmungsversuchen –, nicht nur das Fehlen der Urbilder hinnehmen, sondern sich auch noch entdecken, dass sie nicht einmal Abbild sein kann, was auf eine komparative Sprachwissenschaft hin orientiert. Mit der Einsicht in die Künstlichkeit sprachlicher Zeichen konnte das Verständnis dafür wachsen, Bezeichnendes und Bezeichnetes als zwei Bereiche zu unterscheiden, die zwar miteinander vermittelt werden müssen, aber deren Vermittlung nicht unmittelbar durch höhere Kräfte oder naturwüchsige, innerlich gesetzmäßige Formungen geschieht. Insbesondere dienen immer wieder Abbildungs- oder Korrespondenztheorien der Wahrheit dazu, uns zu überzeugen, dass das, was ist, auch tatsächlich mit dem übereinstimmt, was wir von draußen empfangen oder im Draußen richtig sehen. Die Entwicklung kritischer Reflexionen jedoch verweigerte sich mehr und mehr diesen einfachen Lösungen. Dies ist der Kunst und ihrer Entwicklung vergleichbar: Kunst als bloße Mimesis der Praxis verkommt leicht zu sogenannten realen Abbildungen, im 20. Jahrhundert etwa zu einer Doktrin eines sozialistischen Realismus. Aber es kann keine Wahrheit der Kunst in einer realistischen Abbildung geben. Versuche, etwa die abstrakte Kunst als Entartung von einer notwendigen mime­tischen Widerspiegelung sozialer Praxis zu demaskieren, dogmatisieren ihrerseits die Suche nach einem heilen Ende von Welt, nach einem Ur-Bild.7 Dagegen ist es ein durchaus fortschrittlicher Befreiungsakt aus den Umklammerungen von Abbildungsvorstellungen, dass sich Kunst und Sprachtheorie aus der Funktionalisierung durch ontologisierende Weltbilder befreiten und ihre eigene Sprache entfalteten.8 Abstrakte Kunst ist eine solche Sprach- und Ausdruckssuche, die sinnbildend für ein neues Zeitalter wurde.
In dem Maße wie nun auch durch die Philosophie, besonders bei Hegel, eine Reflexion darüber bereitgestellt wurde, das reflektierende Selbstbewusstsein in seiner subjektiven Bescheidenheit von Erkenntnisfeststellung und seiner Suche nach objektivem Geist zu analysieren9, wurde die Idee des Seins, die Idee einer Form der Materie, die Urbildsuche überflüssig, da sie für die Suche nach Wahrheit nichts Konkretes aussagen kann.
Die klassischen deutschen Philosophen differenzieren vor allem die kognitive Sphäre der inneren Verarbeitung des Subjekts, sie lassen das Selbstbewusstsein – das als politisches Bewusstsein und Handeln, das scheinbar unumstößliche Verhältnisse verändern kann, bereits in der französischen Revolution erschienen war – hervortreten, was eine Voraussetzung der Anerkennung der Möglichkeit eines neuen (auch pragmatistischen und konstruktivistischen) Selbstverständnisses des Menschen ist. Sie sind für heutige Anschauungen damit immer wieder Ort notwendiger Studien und Erkenntnisse. Und dies gilt, obwohl gerade sie sich dem späteren pragmatistischen und konstruktivistischen Verständnis in einem groß angelegten Versuch widersetzen, um noch eine Einheit von Vernunft als Denknotwendigkeit zu strapazieren und eine Ontologie letzter Werte zu erzielen. Dieser große Versuch birgt jedoch mehr implizite Argumente gegen den Versuch selbst, als es einem ersten Blick erscheinen mag. Dies betrifft vor allem Hegel, dessen „Phänomenologie des Geistes“ als ein Muster für die Zerbrechlichkeit jeder Suche nach einem letzten, absoluten Wissen gelten mag, das alle Gründe dafür sammelt, diese Logik zu errichten und doch implizit Argumente entfaltet, die zum Stachel gegen die eigene Errichtung gezählt werden müssen. So lässt sich die Idee von Eins und Auch gegen Hegel wenden, wenn er sein Eins strapaziert. So lässt sich gerade sein Denken, das die Verflüssigung von Denkbewegungen in ihrem Wechsel des Blickwinkels sehr differenziert beschreibt, als ein Musterbeispiel für pragmatistisches und konstruktivistisches Beobachten umdeuten, wenn die Intention, auf der er aufbaut, selbst kritisch in Frage gestellt wird. Noch deutlicher wird dies für Nietzsche und Erweiterungen im 20. Jahrhundert etwa durch Husserl oder Heidegger, im Existenzialismus, Strukturalismus und in der Kritischen Theorie. Sie setzten, jede auf ihre Weise, den Kampf um die Selbst-Bewusst-Werdung fort, was der Subjekt-Objekt-Frage jeweils neue Blickwinkel und Dimensionen zufügte, die implizit einen Weg zu einem Denken freilegten, in dem heute deutlicher die Konstruktion von Wirklichkeit gesehen werden kann. Damit setzen sie die Bewegungen um Verobjektivierung in unendlichen Schleifen und Differenzierungen fort, deren geistesgeschichtliches Volumen stets eine Quelle für Rückbesinnungen bleibt. In ihrer Suche aber thematisieren sie kaum die Grenze dieser sich aufklärenden Vernunft gegen sich selbst, was zu einer Verkennung und Überschätzung des Bewusstseins führen kann. Dies wäre auch für denjenigen gefährlich, der sie konstruktivistisch umzudeuten versuchen würde, denn in seinem konstruktiven Bemühen schielt er immer nur auf jene Ordnung der Vernunft, aus der heraus wir uns selbst erfinden. Aber erfinden wir uns immer nur zirkulär in uns? Ist es unser zwangsläufiges Schicksal in der abendländischen Dominanz einer steten Suche nach einem Selbst (als Vorwort für alle möglichen, für alle uns wichtigen Begriffe wie Selbst-Behauptung, -Bestimmung, -Verantwortung, -Beherrschung) gefangen zu sein, aus diesem Gefängnis des Selbst nicht mehr heraustreten zu können? Nietzsche widmete diesem Problem ein gewaltiges Werk und erscheint mir als wesentlicher Bezugspunkt einer notwendigen Reflexion insbesondere für Konstruktivisten.
Sehr anschaulich wird dieses Problem auch in der Phänomenologie Husserls, auf die ich  kurz eingehen möchte, um das intentionale Problem von Konstruktionen zu umreißen.10 Husserl stellte sich das Problem der Unmittelbarkeit der Realität wie schon vorher etlichen Philosophen. Wie kommt es, dass die Dinge, die zwar unmittelbar gegeben scheinen, nicht unmittelbar in uns zu einem wahren Verständnis führen? Husserls Antwort zieht eine Grenze zur rein sprachlichen Abarbeitung, indem er in seiner Phänomenologie vor allem über die Intentionen des Bewusstseins spricht, die uns etwas über unser Sein lehren. Es gibt also gar nicht jenes isolierte menschliche Wesen, das bloß denkend die Welt durch seine gefundenen Wahrheiten erobert, sondern Menschen mit Bewusstsein, darin mit Intentionen, die in einer Lebens­welt befangen sind und hierin als Subjekte mit transzendenten Ideen agieren. Damit aber nun wird die sprachliche Bewusstwerdung zunächst komplizierter. Es reicht nicht mehr hin, die Gegenstände in ihren sprachlichen Zuschreibungen zu klären, sondern solche Analyse selbst setzt notwendig eine Analyse jener Intentionen voraus, die den Sinn von Gegenständen für den Menschen überhaupt konstituieren. Dies ist ein durch und durch konstruktivistischer Gedanke. Husserl setzt daher in seiner Analyse auf Implikationen von Potenzialität, die das je aktuelle Bewusstsein bietet.11 Auf Dinge kann sich das Bewusstsein so immer nur implizit beziehen, was der Begriff des Horizontes sehr schön ausdrückt. Die Dinge kommen in den Horizont, wobei dieser einen Beobachter voraussetzt, dessen Intentionen überhaupt erst so etwas wie einen Horizont der Betrachtung, Auslegung, Deutung, Interpretation herstellen. Damit ist die klassische Deutung der Philosophie, die auf das Objektive am Objekt drängt, um allgemein etwas über die einzelnen Subjekte hinaus sagen zu können, also zu verallgemeinern, verstört. Denn wenn die Intention implizit zu solchen Verallgemeinerungen dazugehört, dann sind Gegenstände nicht mehr Dinge, die ein Subjekt vollständig weiß, sondern in seine Horizonte, in seine Epoche, in seinen sozialen und kulturellen Kreis als Beobachter (Akteur, Teilnehmer) einbinden muss. Deshalb erscheint hier notwendig der Begriff der Situation. In seinen Intentionen situiert sich ein Subjekt in seiner Welt, die damit die Grenzen seines Bewusst-Seins thematisiert. Und diese Grenzen ernüchtern die Übererwartung einer sich aufklärenden Vernunft, die alles rational auf bestimmte Punkte bringen und in bestimmte Ab-Bildungen fixieren will. Das Vorprädikative, das Sinnliche, Ur-Ereignisse und Erlebnisse, Empfindungen des eigenen Leibes und seine Empfindnisse, wie Husserl sagt, treten in der Betonung der Spontaneität eines – so deute ich es um: konstruktiven – Subjekts hervor. Und dieses Subjekt kann nicht abstrakt bleiben, wenn es in seinen Intentionen hervortreten soll. Es erscheint in Phänomenen, in Ereignissen, die der Analyse zugänglich sind, weil sie sich als Phänomene eines Seins zeigen, was doppeldeutig ist: Das Phänomen verweist auf ein Sein, das Sein erscheint als Phänomen.
Und ist damit nicht notwendig die Heraufkunft eines Beobachters beschrieben, der sich in den Horizonten situiert? Levinas beschreibt dies treffend am Beispiel des Raums, in dem die Dinge von einer phänomenologischen Erkenntnis ausgehend aus ihrer stumpfen Festigkeit in die Lichtstrahlen wechselnder Perspektiven gesetzt werden: „Der Raum setzt den Raum voraus, der vorgestellte Raum setzt eine gewisse Verwurzelung im Raum voraus; die Verwurzelung ihrerseits ist nur möglich als Entwurf des Raumes.“ (Levinas 1992 a, 135) Solcher Entwurf aber ist ohne die Perspektive und konstruktive Tätigkeit eines Beobachters, die nicht mehr bloß formal kognitiv gedacht, sondern intentional problematisiert werden muss, schlechthin unmöglich. Ebenso unmöglich wäre es aber auch, den Beobachter aus seinen Horizonten, aus den Intentionen seines Bewusstseins, seiner handelnden Aktionen und Teilnahmen in einer Kultur herauslösen zu wollen, um ihn bloß noch subjektiv zu erhöhen.
Menschliches Verhalten, so folgert Levinas, ist nicht Ergebnis von Erfahrung, sondern ursprüngliches Erfahren selbst. Es gibt nicht jenes ausschließende Eins, das als Erfahrung uns auf ein Verhalten dem Ergebnis nach fixieren könnte, wenn das Erleben je aktuell das Erfahren selbst ist. Darin aber könnte die Sprache mit ihren scheinbar sicheren Konventionen uns zur Falle werden, wenn sie Ergebnisse in der Gestalt von Zeichen und der geronnenen Welt bestimmter Symbolik anbietet. Für Levinas erscheint hier die Dominanz einer Idee des Selben, mit der die abendländische Philosophie von Anfang an belastet war. Wenn in der Spitze dieser Reflexionsbewegung Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ das Sagen vom bloßen Meinen abgrenzt, dann erscheint hier eine Denkbemühung, die intendiert, ihre eigene Weisheit und Vernunft als Selbstbesitz, in dem nichts Fremdes eindringen darf, zu bewahren, die „die ruhmreiche Identifikation des Selben im Denken begrenzt“. (Ebd., 137) Solche Philosophie bemühte sich stets, alles Andere, ihr Fremde, in ein Selbes zu integrieren, sich einzuverleiben, zu kolonialisieren, um zu ihrem Eins zu kommen. Wenn Hegel dabei aber auch die Spannung von Eins und Auch entdeckt, so bleibt dies in seiner Philosophie – so folgerte ich schon weiter oben – ein kritischer Stachel, der sich gegen die Dominanz des Selben in seinem Versuch nach Versöhnung in einem absoluten Wissen richtet. Aufbauend auf der Analyse des intentionalen Bewusstseins ist dies für Levinas aber bei Hegel, den er heftig attackiert12, bloß ein Spiegel einer Parole, die immer nach mehr desselben verlangt, um den Anderen auszurotten, der uns im Er-Leben begegnet.13 Die Heraufkunft des Selbst, die hier problematisiert wird, scheint in der abendländischen Geschichte in der Tat einen Größen-Wahn zu bedingen, der Andere ausschließt. Für Nietzsche ist es daher nur Selbstmitleid, wenn wir uns in diesem Wahn nicht situieren, um Übermenschliches zu leisten. Dies wird aber in einer reflektierten Form nur wenigen gelingen können, wie die Philosophie zugleich versichert.
Solche Kritik ist schonungslos offen und zerrüttet das humanistische Weltbild einer Gleichheit, die durch Denken und Besinnung auf Bildung vollzogen werden soll. Das Bildungsverständnis des Bürgertums scheut solche Radikalität. Es sucht bis zurück in die Antike Prototypen einer Aufklärung über ein Wissen, das für die Spezialisierung der bürgerlichen Intellektuellen selbst maßgebend werden soll. Und scheint mit den Anfängen solcher Geschichte ein Prototyp wie Sokrates zunächst selbst ausgeschlossen in seiner Gesellschaft zu sein, so wird daraus nicht die Lehre einer Begegnung mit dem Anderen, sondern die fatale Konsequenz gezogen, den Anderen immer auf dasselbe zu reduzieren (vgl. Levinas 1987), Wissen anzuhäufen, Bildung zu spezialisieren und darin scheinbar eine sichere Ordnung zu finden, auf Bildung Hierarchisierung von Leistung, sozialen Status und Einkommensdifferenzierungen aufzubauen, dies alles ist mehr desselben, das jenen Anderen, jenes Fremde für uns entschwinden lässt, das Horizonte verschließt, statt sie zu öffnen. Daraus entspringt eine Idee der Selbstgenügsamkeit des Selbst, die noch bis in die Selbstzwänge heutiger Bildungsarbeit reicht, um einerseits die Heraufkunft des Subjekts als sich steigernde Herrschaft des Menschen zu feiern, obgleich dies andererseits eine Feier ist, die durch die damit gleichermaßen gesteigerte Herrschaft von Menschen über Menschen besiegelt wird. Für Levinas ist Auschwitz damit kein historischer Betriebsunfall, sondern entpuppt sich als Tragödie eines traditionellen Denkens, das der „Zivilisation des transzendentalen Idealismus“ selbst entsprungen ist.14 Es ist der Totalitätsanspruch dieses Denkens, das sich mit dem Sein identisch zu wissen versucht, um alles begreifen zu wollen, das jegliche Form von Andersheit beständig verfehlen muss. Es erscheint in Formen des Rassismus, des Ausländerhasses, der bis heute alle hoch entwickelten Industrie- und Wohlstandsgesellschaften wie ein Zufall heimzusuchen scheint, obwohl er gar kein Zufall sein kann: Denn er lauert in jener Erziehung zu mehr desselben, die alles Andere, das der eingeschworenen Bildung selbst fremd und anders entgegentritt, in sich zu integrieren oder auszustoßen sucht, ohne es noch mit Neugierde, Offenheit und Interesse für den Horizont eines Anderen in seiner Situation aufhellen zu wollen und Diversität umfassend anzuerkennen.
Für den Pragmatismus und Konstruktivismus ist diese Seite der Begrenzung einer Bewegung auf dasselbe, eine Kritik an einem Mangel an Bewusstheit für Diversität in jedem Erkennen, äußerst wesentlich.15 Es zeigt eine Verunsicherung in der Geistesgeschichte des Abendlandes an, die eine neue Einstellung in der Erkenntniskritik bedingt. Zwar wissen wir, dass die Konstruktion von Wirklichkeiten jeweils auch anders für einen Anderen sein kann, aber diese Erkenntnis allein schützt niemand vor Funktionalisierung von gesellschaftlichen Gruppen, die von einem mehr des Selben, von einem totalisierenden Denkens – und sei es auch in seinen primitivsten und rohesten Formen – fasziniert sind, um ihre Wünsche und Ängste zu bewältigen. Gegen diese neuen Dogmatiker, die jedes Zeitalter hervorzubringen scheint, werden wir streiten und kämpfen müssen – also Werte und eine Ethik zu konstruieren haben –, um so überhaupt noch die konstruktive Idee, dass Andere andere Konstruktionen von Wirklichkeit erfahren und errichten können, aufrecht zu erhalten und nicht selbst verboten zu werden.
Gehen wir aber auf das Anliegen der intentionalen Analyse des Bewusstseins von Husserl zurück, dann zeigt sich, dass dies Andere und Fremde ständig erscheint. Damit aber offenbart sich ein Widerspruch: Suchen wir nämlich in den Intentionen der verschiedenen Bewusst-Seine nach den Objektivationen und möglichst vollständigen Reflexionsakten, wie es Husserl noch unternimmt, dann werden wir doch wieder schnell in eine Gefangenschaft jenes abendländischen Selben gelangen, das uns über die selbst-verständlichen Dinge anatmet, das uns als Horizont bereits auf die Welt schauen lässt, bevor wir sie als Beziehung in Gesellschaft mit Anderen noch umfassend anders spüren könnten, als sie für uns bereits als Selbes geformt wurden. Fragen wir unter solch widersprüchlichen Perspektiven nach dem Selbst und seiner Wahrheit, dann erscheinen nunmehr nur noch widerstreitende Intentionen einem Beobachter, der kritisch auf verschiedene Menschen blickt. Um nicht ins Chaos der wechselseitigen Intentionen mit ihren jeweiligen Interessen zu zerfallen, erscheint es dann als maßgeblich, nach einer Ethik zu fragen, die die Spur der jeweils Anderen noch zu einer lebbaren Geltung kommen lässt.
Was aber sind Intentionen? Wie gelangen sie überhaupt ins Bewusstsein? Suche ich in ihnen selbst wieder nach objektiven Maßstäben, so bin ich verleitet, entweder nach einer inneren Quelle, einer Begierde oder einem Begehren zu fragen, oder als äußere Quelle jene Tatsachen ausmachen zu wollen, die den Positivismus seit jeher so faszinierten. Husserl ist hier viel unentschlossener, indem die Intentionen selbst der Hintergrund sind, ohne noch für die objektiv letztgültige Herleitung einer Quelle zu taugen. Damit wehrt er objektivierende Grenzen des Bewusstseins ab, indem er selbst eine setzt. Aber diese Sicht und Setzung erschüttert immerhin die Philosophien, die immer mehr desselben einer Aufklärung und eines letzten Wissens gefordert hatten, um hierin zu deduktiven Ableitungen auf das Leben zu gelangen. Demgegenüber ist die intentionale Analyse offen für das Leben. Sie ist auch offen für neue, unabgeschlossene Prozesse. Wie aber sollen deren Intentionen analysiert werden, wenn sie noch gar nicht bekannt sind?
Husserl hilft der Begriff der „Leerintention“, dies Dilemma zu bezeichnen. Eine Begegnung mit einem Gegenstand ist für das Bewusstsein nie frei von Intentionen, wobei das anschauende Denken einen Gegenstand so anschaut, wie es ihn von seinen Intentionen her nimmt, wie es auf ihn abzielt. Sollte die Beobachtung aber leer von Assoziationen sein, so wird das Denken doch nie ganz unvorbereitet mit der Wirklichkeit konfrontiert. Gleichwohl sind solche Intentionen nicht sogleich Entwürfe von Welt, sondern oft bloß Horizonte, die sich eröffnen.16 Gerade solchen Horizonten, die sich dabei durch die Phänomenologie der Kinästhesen und des Leibes ergeben, verschließt sich die reine Sprachanalyse. Sie fixiert sich auf das Eine der symbolischen Vermittlung in Zeichencodes, die gewiss spezifisch für Wissen und Wissenschaft sind, aber sie verfehlt damit die Bewegung der Körper, die Gestik, Mimik, die Empfindungen der Körperbewegungen – Kinästhesen – und den Leib als jenes Andere, das uns sprachlich wie ein Fremdes erscheint. Das Neue an der Phänomenologie Husserls ist dabei, dass sie das Ich in seinen Selbstgefangenschaften relativierte, indem sie die Ereignisse des Lebens selbst sehen lernte, ein „Gegenwärtigsein in der Welt, „in der Gasse und auf den Straßen“, eine Enthüllung, die durch keine tiefere, innerseelische Ursache erklärt werden konnte noch sollte“ (Levinas 1992 a, 155). Damit wird der Blick frei, anders zu sehen. Wenn der Zwang entfällt, das Sehen selbst immer wieder auf eine letzte Ursache zurückführen zu müssen, dann kann bedacht werden, dass die intentionale Gegenwart von Objekten eine Wahrnehmung ist, in der ein anderes Wahrnehmen bedeutet, Andere wahrzunehmen. Zwischen den Subjekten mag es hier durchaus zu Übereinstimmungen kommen, wenngleich diese von Abschattungen geprägt sind, denn je subjektiv unterschiedlich wird in die Tiefe jener Intentionen eingedrungen, die als Horizont und Epoche die Wahrnehmung von Dingen und schließlich Welt als höhere Abstraktion umgreifen.
Nun will ich hier nicht kritisch nachzeichnen, inwieweit bei Husserl nicht doch so etwas wie eine ideale Identität hergestellt wird, wenn intentionale Gegenstände letztlich tiefschürfend gedacht werden. Einerseits zeigt sich in dieser Suche nach einer identitätsbildenden Intentionalität der Versuch, eine Konstruktion zu wagen, die das Welt-Bild nicht in die bloße Vielfalt oder reine Subjektivität, nicht in das Chaos gegenseitiger und widerstreitender Interessen zerfallen lässt. Andererseits ist damit der eigene Anspruch in Frage gestellt, denn die Horizonte (als Pluralisierung gedacht), die von den Theoretikern des Selben so gerne vergessen werden, könnten durch die Suche nach dem Horizont all dieser Horizonte doch wieder eingeschränkt werden. „Die Husserlsche Phänomenologie forscht nach der Quelle allen Sinnes, indem sie die Fäden der intentionalen Verflechtung entwirrt.“ (Levinas 1992 a, 182) Darin aber steckt – konstruktivistisch gesehen – bereits eine Horizontleistung, die sich besondert hat, denn wer Quellen von Sinn – und was ist aller Sinn? – ausmachen will, der behauptet, weiter als Andere zu sehen, und wer die Perspektive auf die Intentionalität der Subjekte hierbei richtet, der hebt ein besonderes Sehen hervor.
So setzt sich letztlich das Spiel um die Verobjektivierung des Seins fort, indem sich die Verunsicherung steigert. Solche Verunsicherung ruft immer wieder Bewegungen hervor, doch noch eine eindeutige Situierung erlangen zu wollen, um den Zertrümmerungen der Eindeutigkeiten von Weltzuschreibungen zu entgehen. Mehr als die phänomenologische oder die von ihr angeregte existenzialistische Bewegung aber wühlte die Kritische Theorie in den Trümmerlandschaften der Moderne, die als Aufklärung immer noch mit einer Bildung lockte, die den Urquell allen Sinnes meinte speisen zu können. Hier erscheint, wenn man sich etwa den Schriften Horkheimers und Adornos zuwendet, ein Riss in der Moderne selbst, der nicht mehr symbolisch zu kitten ist. Wäre er symbolisch zu kitten, dann hätte ein großer Entwurf einer allumfassenden Theorie die Welt zu befrieden, um alles auf dies gefundene Selbe hinauslaufen zu lassen. Mit Husserl können wir in der Bedeutung der Intentionen bei dieser Suche selbst erkennen, dass die Verständigungen über Intentionen hindern, die Dinge selbst zu finden. Und selbst die Verständigung stößt an die Grenze des Anderen, die symbolisch, d.h. vor allem durch Sprache und rationale Argumentation nicht aufgefangen werden kann. Der Leib, das Fremde, der Andere, dies sind Grenzfälle eines Selben, das aus sich heraustreten muss, wenn es lebt. Dies weist uns auf eine andere Kränkungsbewegung hin, die wir als zweite von dieser ersten unterscheiden werden, wenn wir uns mit der Interaktion befassen. Für die erste Kränkungsbewegung aber wird deutlich, dass sie es bei dieser Spannung, die durch die Grenzen ihres Bewusst-Seins aufgewiesen ist, nicht wird bleiben lassen können. Es wird zu suchen sein. Aber wonach?
Das Symbolische oder das Symbolisieren bieten sich an.17 Die Sprache – ist sie denn genügend begriffen? Können wir nicht mehr subtile Zusammenhänge herausfinden, wenn wir uns auf das besinnen, was uns – in all der erscheinenden Vielfalt des Lebens – irgendwie doch zusammenhält?


c) Sein und Zeit:

Bei solchen Fragen landet man oft entweder in sehr allgemeinen Antworten in einer Suche nach dem „wahren“ Sein oder in sehr speziellen Theorien, die sich die Präzision ihrer Aussagen mit hoher Rigidität einer Beschränkung auf abgegrenzte Fälle erkaufen. Immerhin bieten beide Richtungen Perspektiven, die wir nicht übersehen sollten, weil sie das beschriebene Dilemma noch steigern. Dies gilt zunächst in besonderem Maße für die Einbeziehung der Zeitdimension.18
Die Zeit wird in der Philosophie gerne in die Nähe zur Frage nach Wahrheit gestellt. Aristoteles differenzierte nicht nur die Zeit im Blick auf Aussagen der Gegenwart, einer aus der Gegenwart gesehenen Vergangenheit und Zukunft, sondern auch im Blick auf die Wahrheit für alle Zeit. An diese Zeitbedingungen knüpfen sich Wahrheitsbehauptungen. Eine Person X hat die und die Einstellung. Aber sie könnte sie als aktives Subjekt in diesem Moment, wo sie nicht hier anwesend ist, auch geändert haben. Wie sollen wir uns dann sicher das festhalten, was ihr Sein, d.h. was wirklich und wahr an unserer Wiedergabe ihrer Einstellung, die wir einst hörten, ist? Die Einstellung des fremden Subjekts ist nicht in uns, wir sind getrennt, obwohl wir uns doch einfühlen können. Also bleibt, wenn denn überhaupt Hoffnung auf Seelenverwandtschaft bestehen soll, die uns zu gültigen Aussagen kommen lässt, eine eigene Übersetzungsarbeit, die sich an den Ursprung erinnert. Gerade hier wird die Sehnsucht nach Urbildern am größten. So werden die Wahrheitsbedingungen doppeldeutig: Einerseits sind sie abhängig von dem Subjekt in seiner Zeit, sie gestehen diesem Subjekt auch Aktivitätsmöglichkeiten zu, andererseits bleibt der Grund letztlich immer in der nicht durchschauten (oder durchschaubaren) Form der Materie und ihren sprachlichen Abkömmlingen enthalten. Daraus aber entsteht ein Widerspruch, den ich beobachtend kaum noch eindeutig interpretieren kann: Die Zeichen, die Sprache, die Subjekte treten in ihren Aktionen in bestimmter Zeit hervor, weshalb nicht mehr klar behauptet werden kann, welche Konstrukteure wie weitreichend an solchen Aktionen beteiligt waren. Was bleibt, das sind Ergebnisse, die als symbolische Ideen erscheinen. Haben wir dies durchschaut, dann ist auch die Idee der Gerechtigkeit oder irgendeine andere fragwürdig als Prägung gerechter oder anderer Gesetze, des Staates oder von Menschen, weil vermittelt über die Kategorie der Zeit logisch wird, dass die Handlung der Subjekte jenes Eins prägte, das als Idee der Gerechtigkeit oder irgendeiner anderen wiederum in den Zirkel der Aktionen und Reaktionen der Subjekte eingeschlossen und verborgen wird. Ein Anfang aller Geschichte, ein erster Anstoß, den Aristoteles in seiner Universalisierungstendenz noch zwingend bestimmen musste, stellt sich aus dieser relativierten Zeitdimension, die immer Interaktion von Menschen ist, nun nicht mehr, weil wir für Ideen als menschliche Konstrukte keinen sinnvollen Anfang feststellen können. Gleiches gilt für die Sprache, die solche Ideen verkörpert oder für die Zeichen, aus denen solche Sprache aufgebaut ist.19


d) Übergang in die Sprachpragmatik

Die bisher skizzierten Probleme durchziehen die abendländische Geistesgeschichte in mannigfaltigen Formen. Dabei scheinen die All-Anwendungen großer Philosophie abgeschlossen, es mehren sich die Stimmen der präzisierenden Klein-Anwendung, die explizit oder implizit damit pragmatisch operieren.
In der Sprachphilosophie entwickelt sich dieser Prozess in eigener Weise, wobei die Beschäftigung mit einer Theorie der Zeichen, mit sprachphilosophischen und anderen Untersuchungen über Sprache, zu einer Differenzierung in der Betrachtung von Zeichen und Sprache beigetragen hat, die von hoher Bedeutsamkeit für alle Fächer geworden ist. Vor allem die Theorien von Peirce und Wittgenstein erscheinen für mich als zentrale Bezugspunkte, von denen aus Grundlagen dieser Differenzierung erschlossen und Ableitungen getroffen werden können.20 Bevor ich dies in Bezug auf Bedeutungen für den Pragmatismus und Konstruktivismus näher thematisieren will, möchte ich eine weitere Verunsicherung einführen, die durch den Übergang in die Sprachpragmatik gesehen werden sollte.
Im Rahmen der neueren Hermeneutikdiskussion hat Hans-Georg Gadamer die Frage nach dem Verstehen von Sinn auf die Frage nach einer Rekonstruktion allgemeiner und nicht hintergehbarer Voraussetzungen des Verstehens von Sinn konzentriert (vgl. Gadamer 1975). Wenn Sinn die verstehbare Bedeutung sowohl individueller als auch gruppenbezogener kultureller Lebensformen umfassen soll, die durch Äußerungen und Handlungen entstehen, die in verschiedenen Bezügen wie Konventionen, Institutionen, Gewohnheiten usw. erscheinen, dann fragt es sich, welche Konstruktion denn für alle unterschiedlichen Subjekte mit ihren Horizonten allgemein gleich und in der Geltung unverwechselbar sein soll. Vorrangiges Ziel der Hermeneutik Gadamers ist es, die in Texten zum Ausdruck gebrachte Inhaltsebene, die Sache, zur Sprache zu bringen, damit über sie Einverständnis erzielt werden kann. Einverständnis setzt zwar auch für Gadamer dialogische Kontexte voraus, weil nur in einer Verständigungsgemeinschaft das angestrebte Einverständnis in der Sache erreicht wird, aber schon die Betonung der Sache zeigt eigentlich einen Schritt zurück hinter die Horizontwelt des Erlebens, des Leibes, der Spontaneität, die wir eben noch als Grenze des Bewusst-Seins thema­tisierten. Gleichwohl führt Gadamer die Horizontidee weiter, wenn er von einer Horizont­verschmelzung spricht, die das Verständnis einer Sache herbeiführen kann. Nun könnte man hier an imaginäre Vorstellungen denken, an Visionen und Intentionen, die sich aktuell innerhalb von Verständigungsgemeinschaften verschmelzen, aber die Dominanz der Inhaltsebene schlägt bei Gadamer in die Bevorzugung der symbolischen Seite, d.h. die Bevorzugung der Sprache, um. Die sprachliche Gemeinsamkeit von Individuen, die sich verständigen, rückt in den Vordergrund einer Betrachtung, um als „Einheit dieses Einen und des Anderen“ (ebd., 283) zu erscheinen. Sinn wird damit auf einen Sinn desselben reduziert, weil der Andere in seiner umfassenden Andersartigkeit hier von vornherein eliminiert werden muss, wenn Verstehen in einem grundsätzlichen, allgemeinen und unausweichlichen Maßstab entwickelt werden soll.21
Die Transzendentalpragmatik, wie sie insbesondere von Karl-Otto Apel intendiert wird, versucht Gadamers Position zu radikalisieren, weil deutlich wurde, dass Sinnverstehen von Texten andere sprachpragmatische Verwendungen leicht unterschlägt. Vor allem aber wurde die Geltung von Sinn problematisiert. Nun musste man zugeben, dass die faktische Geltung von Sinn in der spezifischen Lebenswelt von den sprachphilosophisch behaupteten Setzungen einer sprachpragmatischen Setzung (von Geltung eines Apriori auf Anspruch von Geltungswürdigkeit bestimmter Voraussetzungen von Sinn) wohl zu unterscheiden bleiben. Mit anderen Worten: Verstandener Sinn ist nicht einfach mit geltungsgeprüftem Sinn gleichzusetzen. Hier nun erscheint eine neue Verunsicherung: Der Sprachtheoretiker gibt zu, dass Sinn jeweils sehr unterschiedliche und spezifische Geltung in Verständigungsgemeinschaften haben kann – das ist ja auch das, was wir täglich faktisch erleben –, aber, und dies hält ihm einen Rest an seiner Wahrheitssuche fest, er ist immerhin noch in der Lage, jene sprachlichen Bedingungen zu formulieren und allen Verständigungsgemeinschaften auf der Welt mitzuteilen, die gelten sollten, wenn Sinn überhaupt verhandelt wird.22
Die transzendental-pragmatische Hermeneutik kann auf dieser Basis durchaus den Erschütterungen der vormals heilen symbolischen Ordnungswelt folgen und treibt diese sogar voran. Lebensformen der Menschen sind, besonders wenn wir ihren Alltag betrachten, weder homogen noch konstant. Der Mensch verhält sich in ihnen wie in einem offenen Feld von Möglichkeiten, so dass die Geltung von Sinn widersprüchlich, gegensätzlich, in die zerfallenden Horizonte der Lebenswelt oder in deren Unübersichtlichkeit aufgehen kann. Und dennoch bleibt eine Hoffnung, weil die Möglichkeit der Verständigung über solches Leben eben bedingt, dass wir nicht naiv oder peinlich reduzierend positivistisch so verfahren, als könnten wir in dieser Welt nicht mehr denken, diese Welt nicht mehr transzendieren. Transzendenz aber in ihrer Pragmatik bedeutet nun nicht mehr, einen Sinn herzustellen, der schon vorgeformt wäre, dessen inhaltliche Struktur uns festlegen würde, der uns genau sagen könnte, wie wir zu leben hätten, sondern der nur noch mitteilt, nach welchen Regeln dies stattfinden muss, damit wir uns noch angemessen überhaupt verständigen können. „Natürlich herrscht dabei ein Vorurteil des Anderen vor. Ohne Vorurteil ist Verstehen nicht möglich. Aber zwischen dem Vorurteil und dem zu verstehenden Sinn entsteht ein Streit, der im Dialog ausgetragen werden muss. Erst durch Dialog und nicht durch Subsumieren von Daten unter feststehende Regeln leistet das Verstehen einen Beitrag zur Sinnerschließung fremden Sinns, in der das eigene und das fremde Regelsystem nicht nur bewusst werden, sondern sich die Regeln der eigenen Lebensform neu konstituieren.“ (Braun 1994, 27)23
Aber ganz so geöffnet, wie es hier konzeptuell klingt, ist dieses Projekt des dialogischen Verstehens meist doch nicht, weil es sich wie bereits bei Gadamer auf die Sprache konzentriert, weil es aus den imaginären Sphären der Möglichkeiten des Leibes, des Unbewussten, des Fühlens und der Affekte sich entfernt hat und die symbolische Welt der Sprache zum eigentlichen Feld des Verstehens auserkoren hat. Sprache ist die entscheidende Voraussetzung für jegliches Verständigen in diesem Sinne, sie ist sozusagen dasselbe, das alles Fremde und Andere eben ausschließt, weil sie a priori für alle gleich zu gelten scheint.
Diese Besinnung auf Gleichheit ist ein Rest einer Aufklärungsidee, die sich nun doch noch auf ihr Selbes besinnt. Und dort argumentiert sie prinzipiell: Es bedarf einer Verständigungsgegenseitigkeit, um sich überhaupt zu verstehen, es bedarf darin der Anerkennung einer Geltungsgegenseitigkeit, wenn der Diskurs im freien und offenen Dialog überhaupt geführt werden soll.24 Darin können wir zwar nicht hoffen, dass jedermann uns nun immer die Wahrheit sagen wird, aber er sollte doch zumindest nach seinem besten Gewissen wahrhaftig sprechen. Der Dialog scheint diese Wahrhaftigkeit prozedural zu bestimmen. Für Apel ist dies eine konstitutive Geltungsbedingung. Für mich eine Konstruktion und Hoffnung.25 Insofern können wir auf eine Vernunftkultur hoffen, in der sich jeder an die Regeln wie der Andere hält, damit die Chance auf gleiches Verstehen gegeben ist. Dies setzt mindestens voraus, dass man überhaupt will, dass Vernunft ein normatives Prinzip ist, das die Dialoge von Verständigungsgemeinschaften verallgemeinert und damit reglementiert. Man gehört solchen universalen Diskursgemeinschaften an, wenn man sich an die Spielregeln hält. Gleichzeitig unterstellt es aber auch eine Art machtfreien Raum, der die gleichberechtigte, gegenseitige Geltungsgemeinschaft – zumindest in Annäherung – gestattet. Der dialogisch-verstehende Teil bedingt also die Norm, dass man sich auf der Inhaltsebene überhaupt verstehen und damit einigen will, dass man also zumindest der Vernunft noch traut und auf sie irgendwie baut; der diskursiv-beurteilende Teil aber benötigt die Annahme, dass alle Beteiligten gleichermaßen beurteilen können wie dürfen.
Dies scheint mir ein letzter Versuch der Konstruktion eines bürgerlichen, modernen Vernunftideals von Aufklärung zu sein, das zugleich den Vorteil bietet, sich in der Präzisierung seines reduktiven Standorts so entblößt zu haben, dass die Verunsicherung zwischen Konstruktion dieser Idealsetzung und den Erlebenswelten von Beobachtern groß genug geworden sein mag, um sie deutlich in ihrer Problematik erkennen zu können und ihr damit zu widerstehen. Nicht, dass diese Antwort nicht verlockend wäre. Sie ist sogar in ihrem Medium – der Sprache – elegant formuliert worden. Aber sie leidet an der Konstruktion einer Nötigung, der jeder Beobachter aufsitzen muss, wenn er denn gültig beobachten will, d.h. wenn er zu dieser Verständigungsgemeinschaft von Transzendentalpragmatikern gehören will, die mit solcher Perspektive die Welt symbolisch ordnen. Was ihn dann verunsichern wird, das ist, dass dieser Ordnungssinn bisher weniger sich mit jenen Beobachtern auseinander setzte, die im Prozess der Moderne genau das Gegenteil der behaupteten zwei Grundregeln entdeckten: Verstehen ist eben nicht nur sprachlich vermittel, Dialoge laufen nicht nur oder überwiegend inhaltsorientiert ab, Macht durchquert alle Körper und Beziehungen. Deshalb wird hier ein Wunschdenken offenbar, das sich nicht hinreichend um eine Abgleichung mit den Horizonten der Lebenswelt schert. Nur diese Argumente werden für den Transzendentalpragmatiker zu Recht nicht taugen, denn sein Konstrukt von sprachlicher Wirklichkeit läuft immer auf dasselbe hinaus, es kann gar nicht den Anderen an dieser Stelle akzeptieren, der es nicht teilt. Paradox hieran aber ist, dass gerade die Transzendentalpragmatik ja eine Argumentation sichern will, in der jeder Andere zu seinem Recht kommen kann, weil es ihm zugestanden wird. Doch was nützen Zugeständnisse, wenn man sie nicht einhalten kann?
Immerhin sind Dialoge offener als Monologe. Die dialogisch-hermeneutische Kompetenz, die in der Apel-Schule angestrebt wird, anerkennt das unvermeidliche Vorurteil und will nicht den fremden Anderen objektivierend missbrauchen, sondern zu gegenseitigem Verstehen kommen lassen. Es erscheint die Vision einer unbegrenzten Verständigungsgemeinschaft, die es geben müsste, wollte man nach dem Maßstab von vernünftigen Prozeduren, die für alle gleichermaßen da sein sollen, Beurteilungen treffen. „Verstehen von fremdem Sinn im wesentlichen Sinne lässt sich also weder als Besitzergreifung noch als Ergebenheit des Verstehenden gegenüber der durch Horizontverschmelzung vermittelten Sinnpräsenz bestimmen.“ (Braun 1994, 30) Gleichberechtigung und Zukunftsoffenheit erscheinen hier als Prinzipien. Aber wird darin nicht die sprachphilosophische Festgelegtheit selbst mehr bemerkt? Die Gleichheit bezieht sich auf sprachliche Funktionen, die Offenheit auf Sachen, vielleicht noch Intentionen von Objekten, aber nicht mehr auf Gefühle, Empfindungen, auf das Begehren oder Bedürfnisse, sofern sie nicht sprachlich vermittelt sind. Es ist ein rationaler Anspruch, der hier erscheint, der vom letzten Mittel Besitz ergreifen will, das frei und gleich und offen für alle verfügbar erscheint: der Sprache.


e) Die pragmatistische Wende und die Rolle der Kritik

Dewey spricht davon, dass wir uns Sprachgewohnheiten ausgebildet haben, die sowohl Syntax wie Vokabular betreffen, und Weisen der Interpretation entwickelt haben, die immer erst aus Widerfahrnissen, aus Situationen und Ereignissen resultieren und damit einen Kontext bedingen, wie ich weiter oben bereits diskutiert habe. Dewey erweist sich in vielen Hinsichten als wesentlicher Vorläufer einer kulturellen konstruktivistischen Sicht. So schreibt er etwa: „I have used the word construction“ to denote „the creative mind, the mind that is genuinely productive in its operations. We are given to associating creative mind with persons regarded as rare and unique, like geniuses. But every individual is in his own way unique. Each one experiences life from a different angle than anybody else, and consequently has something distinctive to give others if he can turn his experiences into ideas and pass them on to others.“ (LW5:127) Er benutzt die Begriffe „construct“ or „construction“ in zahlreichen seiner Werke. Sie stehen dafür, dass wir Bedeutungen erklären, was immer eine konstruktive Handlung ist. Er spricht davon, dass man seine eigene Welt, seine Ideen und Theorien konstruiert. Solche Konstruktionen sind für ihn kreative Prozesse, in denen etwas Neues geschaffen wird. „We use our past experiences to construct new and better ones in the future.“ (MW12:134) Aber auch unsere Theorien selbst sind Konstrukte, wie Dewey erklärt: „When it is realized that in these fields as in the physical, we know what we intentionally construct, that everything depends upon determination of methods of operation and upon observation of the consequences which test them, the progress of knowledge in these affairs may also become secure and constant.“ (LW4:149) An dieser Stelle taucht aber auch das große Problem unserer Konstruktivität and Kreativität auf: Ein wie großes Maß an Subjektivität kann es geben und wie kann eine notwendige Objektivität gegen Willkür oder übertriebenen Relativismus geschützt werden? Dewey war sich sicher, dass wir im Fortschreiten einer notwendigen Aufklärung einen solchen Schutz brauchen.
In der Erfahrung, die wir machen, sind alle Konstruktionen nach Dewey zunächst immer an unsere Subjektivität gebunden, die jeder Mensch, auch der Forscher, in seinen Beobachtungen, Handlungen, Teilnahmen an Gemeinschaften einbringt. Solche Subjektivität ist wesentlich für alle Fortschritte in der Gesellschaft in allen Bereichen, denn wenn Menschen nur eine Kopie ihrer Umwelt wären, dann würde nichts Neues entstehen. Dewey erkennt, dass wir aus Handlungen heraus und in kulturellen Kontexten Ideen und Theorien entwickeln, die dann eine Realität werden, eine konstruierte Realität, die ebenso wie die Natur auf unsere weiteren Handlungen zurückwirkt. Aber nicht alle Konstruktionen taugen für alle Leute und Zwecke. Deshalb brauchen wir immer, um die konstruktive Seite unseres experience und unserer Forschungen nicht chaotisch oder bloß für die Interessen weniger sich entwickeln zu lassen, zugleich Kritik. Solche Kritik muss sich auf Werte beziehen, die die Kreativität und Konstruktivität auf das zurückbinden, was Menschen als wünschenswert erscheinen kann. Die Konstruktionen produzieren immer etwas. „Production that is not followed by criticism becomes a mere gush of impulse; criticism that is not a step to further creation deadens impulse and ends in sterility.“ (LW5:140) Hier orientiert Dewey sehr stark auf die Rekonstruktion, ein Begriff, der sich ebenfalls in zahlreichen seiner Werke findet. Wir müssen Ideen und Theorien wie auch Praktiken aus ihren Kontexten heraus rekonstruieren, um sie besser zu verstehen. Aber solche Rekonstruktionen sind keine Abbilder der Wirklichkeit. Erst aus unseren Handlungen im Rahmen unserer Kultur können wir etwas rekonstruieren. Rekonstruktion hat für Dewey immer auch eine aktive, erneuernde Seite, denn wir nehmen Dinge und Ereignisse aus der Vergangenheit ja nur dann auf, wenn sie für uns eine Bedeutung haben, wenn wir in ihnen Sinn erkennen können, wenn wir sie auf unsere Handlungen beziehen und sie damit aktualisieren.
Man wirft dem Pragmatismus ähnlich wie später dem Konstruktivismus oft eine Nützlichkeitstheorie vor, weil solche Rekonstruktionen bloß dem zu folgen scheinen, was es schon gibt, was bereits möglich ist. Dies ist in doppelter Weise ungerecht: Zum einen stärkt die Betonung der Subjektivität die Abweichung, die Verfremdung, den Bruch, die Einmaligkeit von Ideen und Theorien, damit auch das Entstehen des Neuen. Zum anderen ist ein jeder Teilnehmer in solchen Prozessen aber auch davor gewarnt, seine Subjektivität zu überschätzen und die Macht der Gemeinschaft und von konventionellen Verständigungen zu unterschätzen. Hier benötigen wir Kritik, ein grundsätzlich dekonstruktives Verständnis, um nicht naiv gegenüber den eigenen und fremden Konstruktionen zu werden. Auch wenn Dewey nicht den Begriff der Dekonstruktion benutzt, so ist ihm das Ziel solcher Kritik nicht fremd: „Creative activity is our great need; but criticism, self-criticism, is the road to its release.“ (LW5:143) Oder: „We cannot permanently divest ourselves of the intellectual habits we take on and wear when we assimilate the culture of our own time and place. But intelligent furthering of culture demands that we take some of them off, that we inspect them critically to see what they are made of and what wearing them does to us“ (LW1:40).
Was bedeutet solche Kritik? Kritik meint, die Konsistenz von Argumenten und Theorien zu überprüfen, ihre logische Schlüssigkeit als auch ihre Passung mit Daten und Aussagen über die Wirklichkeit. Dies ist das, was Konstruktivisten mit Viabilität bezeichnen. Mit solcher Kritik müssen wir die Hintergründe und Kontexte dieser Aussagen prüfen, und als ob Dewey schon Derrida gekannt hätte, sagte er: „Criticism, in a word, as understood by the French, is the ability to stand with and outside of an author at the same  time.“ (EW3:36) Kritik ist deshalb für ihn nicht nur das Finden von Fehlern, sondern es ist „judgment engaged in discriminating among values“ (LW5:133).  Deshalb ist Kritik ein notwendiger Begleiter von Konstruktion und Kreativität. „Creation and criticism cannot be separated because they are the rhythm of output and intake, of expiration and inspiration, in our mental breath and spirit.“ (LW5:139) Ich würde an dieser Stelle allerdings nicht ein solch naturalistisches Bild der Dekonstruktion bevorzugen, sondern ein kulturelles. Wir müssen uns immer wieder kulturell darauf verständigen, Kritik zu ermöglichen und zu schätzen. Sie stört insbesondere dort, wo Menschen nur Geschäfte machen wollen und der Profit in ihren Handlungen bereits eine hinreichende Legitimation für alles Handeln abgibt. Aber Dewey markiert schon, was die Dekonstruktivisten im Anschluss an Derrida immer wieder formulieren: „Thus we may say that the business of philosophy is criticism of belief; that is, of beliefs that are so widely current socially as to be dominant factors in culture. Methods of critical inquiry into beliefs mark him off as a philosopher, but the subject matter with which he deals is not his own. The beliefs themselves are social products, social facts and social forces.“ (LW5:164)
Kritik und die Suche nach Viabilität tragen jedoch ein doppeltes Gesicht. Wie viel Kritik ist möglich, wenn die Dinge und Handlungen ihren gewohnten Lauf nehmen sollen? Dewey als ein pragmatisch denkender Mensch warnt uns davor, eine Kritik zu betreiben, die alles nur noch dekonstruiert und darüber die konstruktiven und re­konstruktiven Aufgaben vergisst. Insbesondere dann, wenn die Kritiker beginnen, nur noch um ihrer Kritik willen gegen- und miteinander zu konkurrieren und das ursprüngliche Feld ihrer Auseinandersetzung zu verlassen – Kämpfe, wie sie oft typisch zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Richtungen sind –, dann wird der eigentliche Sinn von Kritik oft aus den Augen verloren. Jedoch ist es schwer, dies immer im Vornherein zu bestimmen. Deshalb sollte man die Dekonstruktivisten nicht unterschätzen und immer auch einen Teil unserer Theorien hieran orientieren: Es sind die selektiven Interessen und Auslassungen, die auch wissenschaftliche Arbeiten immer wieder bestimmen. Sie sind für alle diese Arbeiten nachweisbar und erzeugen die Risiken, die wir oft erst im Nachhinein erkennen. Deshalb gehört diese Art der Kritik zum unverzichtbaren Bestandteil wissenschaftlicher Analysen.

Damit habe ich fünf ausgewählte Aspekte (a-e) umrissen, die ich nachfolgend in ihrer Verunsicherung, in ihrer Bedeutung für die Unschärfe der Beobachtungswelt, die uns als wissenschaftliche Welt angeboten ist, in anderer Systematik aufnehmen und in ihrer Bedeutung für ein konstruktivistisch orientiertes Denken differenzieren will. Es bedurfte dieser Einführung, um schon zu Beginn einen Eindruck von Vielschichtigkeit und darin von Verunsicherung festzuhalten. Die hier nur skizzierten Bewegungen helfen mir – in sich die Spannung von Eins und Auch tragend –, Beobachtungen zu re/dekonstruieren. Sie sind implizit immer auch in Bemühungen um eine sprachlich orientierte Bestimmung von Zeichen, Symbolen und Realität – als auch deren wechselbezüglicher Zirkularität – enthalten, der ich nachfolgend weiter nachgehen möchte, um sprachtheoretische Aspekte einer Begründung konstruktivistisch orientierter Beobachtung zu erarbeiten.26 Dabei will ich entsprechend der fünf Überlegungen dieser Einleitung folgendes zeigen:

(a) Verobjektivierungsprozesse scheitern in einem universalen Anspruch immer wieder grundsätzlich, aber jegliches Wissen von Gegenständen oder Welt scheitert, wenn sich nicht doch Verständigungsgemeinschaften über ihr Konstrukt eines Wissens auf Zeit einigen;

(b) solche Einigung ist begrenzt, und es wird zunehmend wichtiger, diese Begrenzung oder Unschärfe selbst zu thematisieren – dies ist die grundsätzliche Intention meiner Darstellung der Kränkungsbewegungen;

(c) immer wieder greift die Kategorie Zeit als jenes Konstrukt in alle Beobachtungsprozesse ein, das die Wahrheit im Nacheinander des Prozesses von Beobachtungen selbst auflöst, verstört, aber auch bedingt fixiert;

(d) dabei sind die Leistungen der Sprachpragmatik wesentlich geworden, wenngleich sie nur einen Ausschnitt eines Teils von Kränkung aufnehmen, der durch ihre selbst gewählte Begrenzung als Konstrukt bedingt ist; wird diese Begrenzung übersehen, führt dies zu Überschätzungen und Übererwartungen, die die Enttäuschung der Postmoderne gegenüber der Wissenschaft bloß noch steigern;

(e) die zunehmende Pluralität und Diversität unserer Re/De/Konstruktionen kann leicht in die Willkür von Bestimmungen und Deutungen führen, weshalb eine ausgewiesene wissenschaftliche Kritik mit hohen ethischen Standards erforderlich ist, um wissenschaftliches Handeln immer wieder neu in seinen veränderten Kontexten zu reflektieren.


1.3.2. Zeichen

Von Zeichen zu sprechen, ist schon eine Konstruktion, die keinen Anfang und kein Ende findet, die zirkulär im Prozess der Zeichen selbst bleibt, weil wir, indem wir über Zeichen sprechen, bereits Zeichen voraussetzen.27 Zeichen soll hier ein sehr allgemeiner Ausdruck sein, der weitere Ausformungen wie Worte, Begriffe, Aussagen usw. einschließt. Ein Zeichen, so könnte man in einfachster Weise erklären, ist etwas, was wir verstehen28, was die Beobachtung dieses Verstehens in uns und im Austausch mit anderen Menschen voraussetzt. Es reicht von Gesten bis hin zu sprachlichen Äußerungen. Wir haben es von Kindheit an gelernt, solche Beobachtungen durchzuführen und in diesen auf Zeichen zu reagieren. Zeige- und Handlungszeichen waren uns in Aktionen zunächst einprägsamer als jene abstrakten Zeichen, die sich zu Worten und Begriffen, zu logischen Aussagesystemen verdichteten, wie ich mit Piaget weiter unten noch genauer zeigen werde (Kapitel II.1.4). Jene Zeichen, die für uns praktisch wichtig sind, werden wir in der Bedeutung besonders erinnern oder nachfragen, viele andere rauschen an uns vorbei wie die zufälligen Geräusche der Umwelt. Hier ist es ganz vom Fokus und Beobachtungsbereich abhängig, in welcher Eindringlichkeit wir an die Schärfe von Zeichen gemahnt werden. Dabei ist die intersubjektive Abhängigkeit maßgeblich, die im Sprachspiel, im Konsens mit anderen Sprachteilnehmern entsteht und deren je möglicher Sinn so Geltung erreicht.
Begriffe präzisieren sich als Zeichen in aller Regel dadurch, dass in ihnen etwas verstanden wurde, wobei sie als gemeinsame Bedeutung innerhalb solcher Konsensbereiche bedeutsam sind. Sie sind damit spezifisch bedeutsame Zeichen. Sie sind mehr als Andeutung, sie sind definitiv bestimmte konsensuelle Deutung. Ein Kind z.B. hat dann etwas begriffen, wenn es aus der Phase des sensomotorischen Greifens in die sprachliche Bedeutsamkeit eindringt und diese verstehend austauschbar mit anderen Menschen wird. Es braucht immer einen Beobachter, der dieses Begreifen (an)erkennt. Dabei kann das Abstraktionsniveau, der Verallgemeinerungsgrad im Spannungsfeld von Eins und Auch, variieren. Es gibt Begriffe, die den Dingen (Gegenständen, Personen) nahe zu sein scheinen, allgemeinere Begriffe, die sich von ihnen bis zur Unschärfe großer Vieldeutigkeit entfernen. Gleichwohl kann solche Unschärfe durch die allgemeine Bedeutsamkeit, die ihr im konsensuellen Kontext von Menschen gegeben wird, verdinglichter erscheinen als konkrete Begriffe. So wird in der Religion mit unscharfen Beobachtungen umgegangen, als seien sie wie Wunder konkret. Der Projektion ist hierbei keine Grenze gesetzt. Ähnliches erfahren wir bei Begriffen wie Liebe, Vaterland, Menschlichkeit usw., deren explizite Seite immer auch Implikationen von Bedeutsamkeiten einschließt, die durch den konsensuellen Kontext bis ins alltägliche Ritual und konkrete Verhaltensweisen geregelt sein können. Allerdings können Begriffe auch ihrer Bedeutung verlustig gehen, sie gehen dann zurück auf einen Zeichenstatus, der zwar noch ihren ursprünglichen Bedeutungs-Wert erahnen lässt, diesen aber dadurch distanziert, dass das einst Begriffene für nunmehr unbegriffen oder unbegreiflich gehalten oder einfach vergessen wird.
Wenn Individuen Zeichen benutzen, so bleibt dies nie ohne individuelle Bedeutsamkeit, womit sich ein Widerspruch zu dem konsensuellen Bereich abzeichnen kann, den wir aus Verstehensgründen der allgemeinen Bedeutsamkeit unterstellen. Wie weit aber kann die Privatsprache von der öffentlichen Sprache abweichen? Für Wittgenstein – der selbst eine Wandlung vom Abbildparadigma zu einer konstruktivistischen Sicht vollzogen hatte29– ist es ein Problem, dass die wichtigsten Aspekte unseres Denkens oft in der Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen sind.30 Wenn wir uns den abstrakten Begriffen selbst zuwenden, wenn wir die Wissenschaft in ihren immer neuen Spezialisierungen befragen, wird eine Inszenierung hervorgerufen, die auf die Begriffe selbst und ihre bloß ergänzende, immer abstrakte und damit dunkle und unlösbare, ihre ausweglose Selbsterklärung verweist. Wir kreisen in solchen unmittelbaren Begriffserklärungen gleichsam um uns selbst. Wie aber könnten wir aus diesem Kreislauf ausbrechen?
In seinen „Philosophischen Untersuchungen“ schlägt Wittgenstein (1993) vor, sich von den „Dingen selbst“ zu distanzieren, den Kreislauf zu durchbrechen, indem wir nicht auf die Begriffe oder Dinge, die mit ihnen direkt und unmittelbar ausgedrückt zu sein scheinen, schauen, sondern auf ihre Verwendungsweise in der alltäglichen Lebensform sehen. Veranschaulichen wir dies mit Beispielen. Wenn wir z.B. wissen wollen, was eine Vorstellung an sich ist, was ein Erinnern im umfassenden Sinne bedeutet, was eindeutig den menschlichen Geist definiert usw., dann landen wir ausweglos in Grübeleien, die am Ende immer in Sackgassen enden werden. Drehen wir mit Wittgenstein die Frage um, dann müssten wir nach jenen Umständen fragen, die wir voraussetzen, wenn wir über jemanden sagen, dass er etwas vorstellt, etwas erinnert, wo er einen Geist bildet usw., dann müssten wir also jene Szenen in der Lebensform aufspüren, die eine Beziehung in ihrem Gebrauch durch Menschen mit dem gesuchten Begriff, mit Aussagen usw. herstellen. Dies scheint von der Sache selbst wegzuführen, obwohl es andererseits in den Kern der Sache geht: Gegen die Illusion einer Identität von Zeichen und Sachen selbst.
Aber wir sind auch mit dieser Wendung immer noch in einer Sprachfalle gefangen, in einem Sprachspiel, aus dem wir nicht entweichen können. Da wir nur mittels der Sprache über die Sprache uns aussagen können, stecken wir hier wie eine Fliege im Fliegenglas und schwirren umher. Für Wittgenstein ist diese Fliege der Solipsist, der flattert und flattert und an die Wände stößt. Wie aber ist er zur Ruhe zu bringen? Bleibt er Solipsist, der sich alles im Zirkel nur selbst herstellen kann und doch nur immer auf Wände stößt? Oder gibt es Übergänge, d.h. einen Ausweg aus dem Fliegenglas des sich ständig selbst konstruierenden Sprachspiels, in dem wir gefangen sitzen? Diese Fragen lassen sich besonders eindringlich auf das Problem einer Privatsprache beziehen.
Meine inneren Zustände, die ich in mir ganz allein empfinde, die für mich eine mir eigene Erfahrungswelt darstellen, sind ausschließlich meine Erfahrung. Wie aber kann ich diese Zustände dann auf Andere übertragen? Es bleibt mir nur der Analogieschluss, nach dem ich denke, dass andere Menschen ebensolche Erfahrungen machen wie ich. Aber dagegen gibt es viele skeptische Einwände, die verdeutlichen, dass solche Analogien immer brüchig bleiben. Denn wie soll ich „wirklich“ wissen, welche Erfahrungen Andere machen? Wo soll der Zweifel jetzt enden? Werden die Wände des Fliegenglases so nicht immer dicker? Als Resultat erscheint ein Solipsismus, der nur auf die inneren Zustände eines jeden privaten Wesens zu pochen vermag. Eine Sprache dieses Privaten wäre dann eine Privatsprache, wenn sie Wörter gebraucht, die nur der Sprechende selbst – aufgrund seiner eigenen Zustandserfahrungen – verstehen kann. Eine solche Sprache ist unübersetzbar, und dieser Fall ist daher deutlich von jenem zu unterscheiden, wo jemand in einer gewöhnlichen Sprache, die der Kommunikation mit Anderen dient, nur zu sich selbst oder mit sich selbst spricht.
Es ist selbst ein Sprachspiel, was hier betrieben wird, indem wir eine Sprache denken, die wir gewöhnlich gar nicht als Sprache verstehen können. Nun ist es in dieser Konstruktion aber so, dass immer dann, wenn gesprochen wird, eine Privatsprache im geforderten Sinn unmöglich ist. Dies liegt einfach an der Trennung zwischen Empfinden und Sprechen, die gar keine Trennung mehr im Moment des Sprechens sein kann, sondern Vermitteltheit voraussetzt. „Wenn wir vom Unaussprechbaren sprechen, sprechen wir eben, und wir müssen uns daher, wenn wir uns darüber klar werden wollen, was wir damit meinen, fragen, wie wir z.B. diesen sprachlichen Ausdruck ‚das Unaussprechbare‘ verwenden. Sie könnten antworten: aber wie ist es, wenn wir vom Unaussprechbaren nicht sprechen, sondern es einfach nur empfinden? Die Schwierigkeit ist eben, dass, wenn wir solche Fragen stellen, wir natürlich nicht umhin können, sie sprachlich zu stellen. Sofern wir über das Empfinden des Unaussprechbaren philosophieren, sind wir immer schon in der Sprache, und sonst können wir eben nur schweigen.“ (Tugendhat 1981, 97) Damit aber öffnet sich über das Sprechen ein Sprachspiel des Beschreibens von Empfindungen, wobei Wörter sich näher oder entfernter – durch mit ihnen verbundene Assoziationen oder Erinnerungen – auf Empfindungen beziehen. Wenn ich in mir Empfindungen habe und ihnen Worte zuordne, so dient mir dies dazu, sie zu erinnern, d.h. Zeichen zu bilden, mit deren Bedeutung ich im weiteren Sprachspiel operiere. Die Zuordnung von Zeichen und Bedeutung wird zur entscheidenden Voraussetzung einer richtigen Erinnerung. Aber wie soll diese Richtigkeit in einem privaten Bewusstsein gesichert werden, das in sich eine eigene Sprachbildung vollzieht, in der es auf Richtigkeit nicht ankommt? Wozu wäre Richtigkeit hier überhaupt nützlich, so könnte man auch sagen, wenn die Erinnerung selbst nur dem Austausch mit der je subjektiv für sich gesetzten Richtigkeit unterstellt wird? Richtigkeit wird so überflüssig. Sie wird aber dort wesentlich, wo im Sprachspiel einer gewöhnlichen Sprache, d.h. einer Sprache des Austauschs zwischen Menschen, Erinnerungen in der Zuordnung von Zeichen und Bedeutung so aufeinander abgestimmt werden müssen, dass man Bedeutungen erst dann wird erklären können, wenn man gelernt hat, wenn man weiß, um welche Zuordnungen es sich handelt. Das Argument gegen eine Privatsprache zielt gegen die naive Annahme, dass solche Zuordnung oder die Bedeutung einer Empfindung als Wort etwas schon je Gegebenes ist, das ausschließlich in einem Ich liegen könnte. „So kommen wir also zu dem Ergebnis, dass auch da, wo man meinen könnte, dass es eine streng private – anderen nicht kommunizierbare – Verwendung von Empfindungswörtern gibt, diese Verwendung, sofern sie einen Anspruch auf Bestimmtheit macht (und sonst kann man nicht von einer Bedeutung sprechen), in Wirklichkeit mit beobachtbaren Kriterien zusammenhängt“ (ebd., 112). Und diese Beobachtungsleistung schließt ein, dass man eine Bedeutung für sich selbst immer so findet, wie man sie einer zweiten und dritten Person erklären kann, weil es anders gar nicht denkbar ist, eine Bedeutung festzulegen.
Darin aber steckt bereits ein Konstruktivismus als Deutungshinweis, weil nun nicht mehr aus der Sinnlichkeit – den Empfindungen – eine sprachliche Welt sich abbilden lässt, sondern die Sprache selbst in ihren konstruierten Bedeutungen jenes Netz ist, mit dem Wirklichkeit eingefangen wird. Dies bedingt auch eine Veränderung der Auffassung von Erziehung, sofern man meinen sollte, dass sich den Kindern eine sinnliche Welt einprägt.31 Bei Sätzen über wahrnehmbare Gegenstände muss nämlich immer die Voraussetzung von Sätzen mit bedacht werden, die schon erlernt sind. Wenn ein Kind denken will, dass ein Gegenstand rot sei, dann muss es zuvor gelernt haben, was mit rot überhaupt gemeint ist, was wiederum nur durch einen Satz wie „dieser Gegenstand ist rot“ geschieht. Zwar ist in diesen Vorgängen zumindest implizit Sinnlichkeit vorhanden, aber das Sprachspiel selbst regelt in seiner Logik den Aufbau von Zeichen und Bedeutung. Hier wird uns später Piaget mit seinen konkreteren Forschungen erscheinen, in denen er diese allgemeinen Aussagen für uns konkreter nachvollziehbar werden lässt.
Die Beobachterperspektiven können sich diesen Sprachspielen gegenüber schärfer oder unschärfer einstellen. Wenn Tugendhat z.B., trotz seiner ansonsten hier folgerichtigen Argumentation, ein unmittelbares Wissen von einem direkten Wissen unterscheidet, um auf die Differenz aufmerksam zu machen, dass die Unmittelbarkeit jene Zuordnung von Zeichen und Bedeutung ausdrückt, die man je schon unmittelbar hat, die man einfach sicher weiß, wohingegen direktes Wissen auf die direkte Beobachtung im Gegensatz zu einer erst erschlossenen Gewissheit hinweist (Tugendhat 1981, 133 f.), dann vernachlässigt dies die Temporalität des Unmittelbaren. Zwar ist es durchaus verständlich, sich ein unmittelbares Wissen aufrecht zu erhalten, denn dieses scheint die Voraussetzung alles dessen zu sein, was man dann durch direkte Beobachtung entweder wieder findet oder durch eigenes Schließen abgeleitet schlussfolgern muss. Aber was ist solche Unmittelbarkeit näher? Ein unmittelbares Wissen ist nicht ohne Voraussetzungen in der Zeit, die als Beobachtungen längst in die Sicherheit eingegangen sind und sie bestimmen. Damit eröffnet sich die Subjektivität von Eigen-Zeit, die die je geschaute und gefühlte Unmittelbarkeit anders erfahren wird. Insoweit bleibt nichts anderes, als über sinnliche Unmittelbarkeit zu schweigen, wenn man sie lassen will, was immer sie „ist“.32
Für eine konstruktivistische Sicht ist es wesentlich, dass Zeichen nicht Objekte der Außenwelt in der einen oder anderen Form abbilden, sondern durch die Zeichenbildung selbst erzeugen. Es ist dies das Dilemma der Zeichenbildung, dass wir zwar immer wieder versuchen, den Dingen „da draußen“ auf die Spur zu kommen, indem wir sie bezeichnen, d.h. uns auf Bezeichnungen einigen, um gemeinsame Erfahrungen oder Erfahrungsmöglichkeiten untereinander bedeutsam werden zu lassen, aber dies darf nicht damit verwechselt werden, dass diese Bedeutung in den Zeichen identisch mit dem Bezeichneten sein könnte.
Was bleibt als Wahrheit im Blick auf diesen konstruktiven Gehalt der Zeichen? Wahrheit ist nicht mehr als eine konsensuelle Antwort von Menschen oder Menschengruppen in einer bestimmten Zeit darauf, was ihre Bedeutung ist.33 In solcher Wahrheit sind Lösungen enthalten, Zeichen-Wiederholungen als Regeln, Muster, Strukturen und wie auch immer wiederkehrende Verallgemeinerungen, deren Interpretation durch den Zweck des Konsenses kontextuell bestimmt und deren Referenz durch die Zeit des Konsenses aufgeschlossen werden. Eine Ursuche nach letzten Zeichen ist deshalb sinnlos.34 Sie ist problematisch in der philosophischen Angewohnheit, im Menschen selbst nach apriorischen Bedingungen solcher Zeichengestaltungen zu suchen, wie es insbesondere seit Kant in ungeheuer elaborierten Formen geschieht, weil in der Unterscheidung uns innewohnender Kategorien schon Zeichen gesetzt sind, die zu verstehen die Voraussetzung für eben diese Setzung ist. Insoweit könnte hier beliebig so lange weiter gesetzt und konstruiert werden, wie ich Menschen davon überzeugen kann, dass diese Konstruktion zweckmäßig ist. Aber mehr sagt die Setzung zunächst nicht aus.
Hier ist die Unterscheidung Kants zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen aufschlussreich, weil sie wie bei Wittgensteins Privatsprachenproblem uns vor ein ähnliches Dilemma stellt. Der Grundansatz besteht darin, auszusagen, dass Wahrnehmungsurteile so in der unmittelbaren Wahrnehmung gründen, dass man sich in ihnen nicht irren kann. Immer, wenn ich etwas fühle, direkt empfinde und darüber wahrnehme, also z.B., wenn die Dornen einer Rose mich schmerzen, liegt ein Wahrnehmungs­urteil vor. Hingegen ist die Aussage, dass die Dornen von Rosen Schmerz verursachen können, eine Verallgemeinerung und mithin ein Erfahrungsurteil. Welches dieser Urteile ist deutlicher? Für mich subjektiv mag das unmittelbare „Wahrnehmen“ immer deutlicher sein, aber es ist so noch nicht sprachlich vermittelt. Wenn wir das Privatsprachenargument von Wittgenstein wieder aufnehmen, dann erkennen wir hier nochmals die Differenz von Sinnlichkeit und Sprache. Die Deutlichkeit der Zeichen, die ich im Sprechen, im Austausch mit Anderen und gegebenenfalls im schriftlichen Festhalten dieses Austauschs – und sei es auch nur fiktiv auf einen solchen möglichen Austausch hin – produziere, steht in dem notwendigen Dilemma, dass nur Zeichen die Zeichen ersetzen. Mithin mögen einige Zeichen deutlicher als andere sein, dies weist nur die je individuelle Möglichkeit aus, sich auszudrücken und über Zeichen bei sich zu sein. Es wird immer dafür ein Beobachter benötigt, der dieses Bei-sich-Sein bespricht und damit diskursfähig macht, sei es als Beobachter mit einer inneren Stimme oder als Austausch mit Anderen.35 Hier erklärt sich, dass wir trotz der Unmittelbarkeit von sinnlichen „Wahrnehmungen“ durch die Errichtung von Zeichen bereits etwas konstruieren, was die Unmittelbarkeit selbst auflöst und uns in ein beobachtendes Verhältnis zu ihr setzt. So sind Zeichen gewiss nicht alles in der Welt, aber eine typisch menschlich ausgewiesene Form der Verarbeitung, des Umgangs mit Welt, d.h. eine für uns notwendige Form der Beobachtung von Wirklichkeit(en). Gemeinsame Zeichen sind ein Beobach­tungs­vorrat, der ein gemeinsamer mit anderen ist, dessen Gemeinsamkeit einen gleichen oder zumindest ähnlichen Sinn unterstellt, den nur ein konsensueller Prozess zwischen Menschen und eine damit verbundene Handlungskoordination herstellen kann. Daraus folgt die Zeitbedingtheit von Zeichen, die nicht die Dinge an sich abbilden, sondern vorrangig jene Dinge, mit denen Menschen in ihrer Zeit zu tun haben. Es ist der Arbeitsteilung und Spezialisierung der Menschen der Moderne verdankt, dass die Zeichen so vielgestaltig erscheinen und gebraucht werden – mitunter so spezialisiert, dass sie selbst in der eigenen Sprache wie Fremdsprachen erscheinen. Wittgenstein hatte den Gedanken entwickelt, dass der Gebrauch von Zeichen konstituierend für ihre Bedeutung ist.36 Das Sprachspiel, das an den Gebrauch von Bedeutungen geknüpft wird, bedingt Konventionalität – und nicht etwa ein rein wirkendes Ursachengesetz unabhängig von den Zirkeln der Konvention. Wenn Wittgenstein in Absetzung zu anderen Bedeutungstheorien „zu der These gelangt, die Bedeutung von Zeichen sei nur im Gebrauch zu sehen, dann treten die mannigfaltigen Möglichkeiten des Gebrauchs gleicher Zeichen in unterschiedlichen Sprachspielen hervor. Damit wird der Kontext des Gebrauchs, der ganze Mechanismus ineinander greifender Rädchen von Sprache und Handlungen zur notwendigen Voraussetzung von Bedeutung bzw. Sinn von Zeichen.“ (Fischer 1991 d, 30 f.) Handlungen werden hierbei zu einer Art Fundament im Sprachspiel, denn wo Handlungen und Sprache auseinander reißen, wird sich keine Regelmäßigkeit des Verstehens zwischen Handlung und Sprache mehr einstellen können. Die Menschen wären verwirrt, sprachlos oder handlungsunfähig. So wird die Handlungsweise, „die Wittgenstein im Terminus Sprachspiel systematisch mit Sprache verknüpft denkt“, zur „Bedingung und Grenze des Sprachspiels“ (ebd., 33). Die Handlungsweise können wir Lebensform nennen.37 Als Resultat ergibt sich sowohl eine konventionalistische als auch pragmatische Bestimmung: Konventionen sind in historisch kontingente Strukturen der Lebensformen eingebunden, sie erscheinen in einer Lernnotwendigkeit in der Vermittlung von Sprache, die einen gewissen Stand des Sprachspiels regelhaft vermitteln muss, damit Bedeutungen ausgetauscht werden können. Solche Bedeutungen werden gebraucht, sie leben in einem Gebrauch, dessen Pragmatik durch die Lebensform bestimmt, beeinflusst, gelebt wird, wobei hier keine abschließende Erklärung des nur einen gültigen Sprachspiels gegeben werden kann. Denn Sprache hat als Voraussetzung jene Lebensformen, die als gelebte Lebensform eine selbstreferente Sprache – eine je nach Konventionen regelhafte Sprache – benötigt (vgl. ebd., 33 ff.).
Kehren wir noch einmal zu der Differenz von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen zurück und fassen wir unser Ergebnis zusammen. Die Unmittelbarkeit der Sinnlichkeit wird zeichentheoretisch zu einem unmittelbaren Zeichenverstehen zusammengedacht, der Verstand mit seinen Erfahrungen und abstrahierten Abgleichungen jedoch zur diskursiven, zur vermittelten Zeicheninterpretation von Person zu Person. Wie aber sollen wir aus der Sicht des Zeichens beide Ebenen unterscheiden? Ist jene unmittelbare Sinnlichkeit mir bereits Zeichen? Wie aber kann sie unmittelbares Zeichen sein, wenn sie kein in mir selbst wohnendes Vermögen ist, das ich von Anfang an wie ein „Ding an sich“ in mir herumtrage? Wenn die Zeichen aber vermittelt mit anderen Personen sind – und das Erlernen der Sprache in der Kindheit lässt mir gar keine andere Auffassung, als von solcher Vermittlungsarbeit grundsätzlich auszugehen –, dann habe ich nur eine Differenz bezeichnet, statt eine Identität zu finden. Oder anders gesprochen: Identität erwächst nur auf der Basis solcher Differenz.
Erst aus einer solchen Sicht wird verständlich, was der Zusammenhang von Zeichen und Imaginationen als jenem Fluidum, in dem Zeichen kreisen und variieren können, bedeuten kann. Die Abtrennung vom sinnlichen Reiz, die Differenz, der Riss in uns produziert jene eigene Mächtigkeit, die Zeichen gegen die Sinne zu stellen wie auch sie möglichst gleichklingen zu lassen. Es ist ein Klang, der in der Folge des Ereignisses selbst steht, der erst produziert wird und eine Bezeichnungsform des Ereignisses ergibt. Daraus entstehen alle Chancen psychischer Verarbeitung von Sinnlichkeit, von Objektbesetzungen, die nicht nur äußere Gegenstände, sondern auch innere Gedanken betreffen. Sinn und Wahn-Sinn sind beide zeichenhafter Sinn38, denn sie folgen den zirkulären Diskursen in uns, den Abspaltungen zwischen dem, was Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteil hieß und fälschlicherweise oft zu sehr getrennt gedacht wird. Denn wenn das Wahrnehmungsurteil als ein solches auftreten soll, das sich nicht irren kann, dann ist mit der Annahme des Irrtums bereits die Wahrheitsfrage gestellt, die nur ein Konsens über Zeichen zu bezeichnen versteht. Dann aber geht es längst um Erfahrungsurteile.39 Der Positivismus, der einzig auf die Wahrnehmungsurteile vertrauen will, verabsolutiert die Wahrnehmung und vergöttlicht sie bis zur Unkenntlichkeit jenes zeichenhaften Prozesses, der als Erfahrung längst in alle Wahrnehmung eingedrungen ist. Alle Formen des Positivismus sind diesbezüglich naiv, weil sie in der Absicht der scharfen empirischen Argumentation sich auf eine Beobachtungsleistung verkürzen, die abgetrennt von der Lebenswelt entstehen muss, in der und mit der sie sich immer schon formuliert.40 Er tendiert dabei zu absoluten Aussagen, so als könne die Wahrnehmung ein Garant für alle Erfahrung sein. Wenn die Wahrnehmung dies aber wäre, dann wäre jedes Denken in Erfahrungen bereits überflüssig, weil Denken an der Interpretation von Wahrgenommenem ausgerichtet wäre. In der Psychologie bei Piaget gilt eine andere Annahme, wie ich noch zeigen werde (Kapitel II. 1.4.). Für ihn bedeutet Wahrnehmen, dass dies nicht eine einfache Subjekt-Objekt-Abbildung in der ein oder anderen Form darstellt, sondern dass Erfahrung ein stets subjektiv vermittelter Prozess ist, dessen Versprachlichung in Form von Zeichen und Symbolen sich nicht auf ein passives Hingeben gegenüber vorgängiger Wahrnehmung stützt, sondern durch und durch aktiv strukturiert ist. Insoweit ist die Analogie positivistischer Wahrnehmungs­urteile grundlegend falsch angelegt.41 Es gibt nicht eine Wahrnehmung außerhalb tätiger Beeinflussung, mit der das Subjekt je schon seine Eigenheit in den Prozess der Beobachtung einbringt. Es gibt aber auch keine solche Eigenheit ohne je spezifische menschliche Interessen, so dass ein wertfreies Ergebnis von Wahrnehmungskonstrukten niemals menschlich zu erwarten sein wird, sondern allenfalls die Illusion der Wiederherstellung eines verlorenen Wissens ist, die Suche nach Sicherheit eines vorgängigen göttlichen oder dämonischen Ursprungs oder Urbilds darstellt. Und es gibt keine Zeichen außerhalb bestimmter Inszenierungen von Wahrnehmungs- und Sprachspielen, in denen ein Hier und Jetzt errichtet wird, wie Hegel in seiner „Phänomenologie des Geistes“ sagt, in denen Verwendungsweisen eines solchen Hier und Jetzt definiert werden, wie Wittgenstein in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ folgert, in denen also die Lebens- und Beziehungswelt der Menschen in die vermeintlich reine Welt von Zeichen und deren übermenschliche Tradierung – z.B. durch die Überlieferung von Schrift und in ihnen inkarnierten Geboten – einbricht. Dabei sind die Zeichen immer im Übergang in Symbolwelten, denn diese scheinen besser gegen solche Einbrüche zu schützen.



1.3.3. Symbole

In der Wortgeschichte des Begriffs Symbol sind verschiedene Bestimmungen wie „aus zwei Teilen zusammenfügen“, zusammenwerfen, zusammenbringen, dinglicher Ausweis, Erkennungs- oder Legitimationszeichen, Abmachung, Vertrag nachvollziehbar. Seit dem 18. Jahrhundert wurde – insbesondere in der deutschen Philosophie – der Begriff auf jene abstrakt-begrifflichen Zusammenhänge bezogen, die Übersinnliches oder Überirdisches ausdrücken. Darin spiegelt sich eine Entwicklung, in der die ästhetische, religiöse und philosophische Welterfahrung einen Grenzbegriff sucht, mit dem sich eine Bedeutung hinter den Bezeichnungen finden lässt, die als bloße Worte und Begriffe etwas verbergen, was die kritische Vernunft entbergen und erfahrbar machen kann. Damit wurde eine Erweiterung des Begriffes von Dingen weg auf komplexe Zusammenhänge wie die menschliche Geschichte, die symbolhaft „für etwas“ steht, möglich.
Es ist schwierig, die unterschiedlichen Theorien über die sprachliche Symbolbildung überhaupt zu erfassen, unmöglich dabei unumstrittene Gemeinsamkeiten herauszustellen.42 Für Ferdinand de Saussure unterscheiden sich z.B. sprachliches Zeichen und Symbol dadurch, dass Zeichen unmotiviert, arbiträr, seien, wohingegen Symbole eine Ähnlichkeitsbeziehung mit dem Gemeinten haben müssen. Dies aber können nur lautmalerische Worte sein, in denen unmittelbar eine solche Ähnlichkeit hergestellt wird. Demgegenüber gehen Peirce und nach ihm Morris davon aus, dass sich die Zeichen nach drei Seiten hin unterscheiden lassen: Als indexikalische Zeichen (indices) weisen sie auf etwas hin, zeigen sie etwas im Hier und Jetzt und verweisen es auf eine Stelle in der Zeit, bestimmen seinen Ort und den Bezug auf Personen. Ikonische Zeichen sind demgegenüber eine für den Index vorgängige Welt, die Ähnlichkeiten nach Tönen, Farben, Aussehen und Gestalt erzeugen. Zu ihnen gehören dann auch die lautmalerischen Symbole nach Saussure. Symbolische Zeichen hingegen sind nach Peirce solche Zeichen, die auf Verabredung beruhen und zwischen den Menschen als Ding- und Begriffswörter gebraucht werden. Auf diese Begründung komme ich unter dem dritten Stichwort Realität noch einmal ausführlich zurück. Hier mag es genügen, darauf hinzuweisen, dass für Peirce insbesondere die symbolische Ebene notwendig ist, um sprachlich interpretieren zu können, dass wir also immer auch eine Bedeutungstheorie menschlicher Erfahrung benötigen, wenn wir uns diesem Kontext reflektierend stellen. Karl Bühler (1982) hatte andererseits die Zeichentheorie nach Zeichengeber, Zeichenempfänger und Sachverhalte oder Welt der Sachen differenziert. Bühlers Unterschei­dungen sind bis heute anregend geblieben. So unterscheidet er Symptome, Signale und Symbole. Symptome gelten für den Zeichengeber und Zeichenempfänger und stehen für die Beziehungsseite, sie drücken die expressive Seite zwischen beiden aus. Signale richten sich an den Empfänger und weisen eine Appellfunktion auf. Symbole hingegen beziehen sich auf Dinge und Sachverhalte. Sie beschränken sich allerdings auf den begrifflichen Teil der Sprache und benötigen ein Symbolfeld, von dem aus sie verständlich werden können. Damit ist eine Bedeutsamkeit angedeutet, die sich nur über den sozialen Kontext der Sprachgemeinschaft wird begreifen lassen, eine Position, die wir von Wittgenstein schon kennen.
Für jene Sprachforscher, die sich mit semantischen Bedeutungsanalysen, insbesondere im Vergleich unterschiedlicher Kulturen, beschäftigt haben (vgl. einführend z.B. Whorf 1963), rückt im Rahmen von Übersetzungsproblemen (so insbesondere bei Quine) die Rekonstruktion symbolischer Systeme immer stärker in den Vordergrund. Dies führt tendenziell dazu, dass die sprachphilosophischen Interpretationsansätze in einen kon­struktionistischen Sog geraten (so dargestellt bei Lenk 1993).43 Dieser Konstruktionismus mündet stets in die Problemstellung, inwieweit unsere Erkenntnis noch „realistisch“ bleibt oder schon rein subjektivistisch und solipsistisch ausgelegt ist. Für Hilary Putnam z.B., der sich als „interner Realist“ bezeichnet (aber im weiteren Sinne dem Pragmatismus zugerechnet werden kann), korrespondieren die Zeichen nicht von sich aus mit äußeren Gegenständen. „Doch ein Zeichen, das von einer bestimmten Gemeinschaft von Zeichenbenutzern auf bestimmte Weise verwendet wird, kann innerhalb des Begriffsschemas dieser Zeichenbenutzer bestimmten Gegenständen entsprechen. Unabhängig vom Begriffsschema existieren keine ‚Gegenstände‘.“ (Putnam 1982, 78) Die konstruktive Leistung der Zeichenbenutzer besteht daher in der Aufspaltung der Welt in Gegenstände und Zeichen, die beide gleichermaßen interne Elemente des Beschreibungsschemas sind. Gleichwohl entsteht aus dieser Annahme für Putnam kein bloßer Relativismus, der alle Konstruktionen nun subjektiv erlaubt. Sein Programm ist vielmehr ein rigider Rationalismus, der Wahrheit und Rationalität zusammenfallen lässt, wobei die „rationale Akzeptierbarkeit das einzige Kriterium dafür ist, was eine Tatsache ist.“ (Ebd., 10) Rationale Akzeptierbarkeit ist allerdings auf historische, kulturelle und soziale Bezüge orientiert, so dass sich die Sicht auf Tatsachen verändert. Insoweit gibt es keine „wertfreien“ Gegebenheiten. Aber alle unsere Auffassungen „sind nun mal unsere Auffassungen, und zwar Auffassungen von etwas Realem. Sie beschreiben eine Art von Objektivität – etwas, das für uns Objektivität ist –, auch wenn es nicht die Objektivität des Gottesgesichtspunktes ist. Was wir haben sind Objektivität und Rationalität nach Menschenmaß; sie sind besser als nichts.“ (Ebd., 82) Über die Rationalität jedoch lassen sich alle Werte wieder einführen, die für Zeichenbenutzer gelten sollen: Kein Relativist der Erkenntnis kann alles für relativ erklären. Wir benötigen Maßstäbe, Sinn, Beschreibungsschemata, die uns z.B. von einem „rationalen Nazi“ absetzen, denn schließlich konnten auch die Nazis auf Beschreibungsschemata verweisen, die ihre Art der Rationalität sicherten. Beziehe ich seine Überzeugungen und Argumente hingegen auf der Basis unseres gegenwärtigen Verständnisses ein – und dies ist ein Beschreibungsschema, das Putnam aus einer demokratischen Kultur ableitet, ohne deren Widersprüche zu betonen44– dann erscheint der Widersinn und das Problematische am Nazisein. Sehr vereinfacht heißt es dann: „Was am Nazisein schlecht ist, sind die Taten, zu denen es führt. Der Nazi ist böse und überdies hat er eine irrationale Weltauffassung.“ (Ebd., 281) Hier ist man an sehr vereinfachende und moralisierende Geschichten erinnert, aber weniger an eine differenzierende wissenschaftliche Untersuchung. Wie sollte dies auch gehen, wenn wir eine vereinfachende Sicht auf interne Begriffsschemata bevorzugen? Auch der Nazi hat solche Schemata. Nur die Verständigungsgemeinschaften von Zeichenbenutzern haben jeweils unterschiedliche. Also ergeben sich Gegensätze. So einfach scheint aus sprachlicher Sicht die Aufteilung von Symbolvorräten. Aber so einfach – das zeigen differenzierte kulturtheoretische Studien gerade über Nazis (z.B. Adorno 1973) – sollte man auch mit den Nazis nicht umgehen, denn sie sind ja gerade Ausdruck des 20. Jahrhunderts und darin kultureller und geistiger Strömungen, die für unser gegenwärtiges Verständnis immer noch in dem Sinne maßgebend sind, dass sie als Erinnerungsspur verfügbar, abgewehrt, aber teilweise auch von unverbesserlichen Verehrern idealisiert werden.
Mit den internen Begriffsschemata wird ein konstruktivistischer Gedanke angesprochen, den ich als Unterscheidung von systemimmanenter und systemtranszendenter Eindeutigkeit später noch für explizit konstruktivistische Ansätze diskutieren werde (vgl. Kapitel II.1.5.2). Der Bezug zur Realität, den Putnam durch eine Fixierung auf gegenwärtige Rationalität sicherstellen will, ist jedoch heikel geworden. Wo sind jene Kriterien zu gewinnen, die uns unsere gegenwärtige interne Beschreibung als Konstitution unserer Realität sichern? Je mehr wir uns auf die Beschreibungsschemata in kulturellen Vergleichen einlassen und deren Unterschiedlichkeit thematisieren, um so mehr müssen wir die Gegenstandskonstitution mit Zeichenerzeugern oder symbolischen Ordnungen kritisch sehen. Die Kritik richtet sich auf die Schwächen der Konstruktion, die in einer jeweils spezifischen Verständigungsgemeinschaft wurzelt, die Beschreibungsschemata intern realisiert, und so zur Möglichkeit der Dekonstruktion durch andere auffordert. Dennoch glauben viele, dass sie nun gerade deshalb an der Gegenstandskonstitution festhalten müssen. Radikalisieren sie das konstruktivistische Moment solcher Herleitung, so besteht darin auch kein erkenntnistheoretisches Problem: Das Wissen um symbolische Differenzen bedeutet ja keineswegs, dass wir nun zu einer neuen Harmonie einer Metatheorie finden müssten (= alles ist bloß eine Konstruktion von Wirklichkeit), sondern uns erlauben können, im Streit um Wirklichkeiten unsere bevorzugten gegen Andere einzusetzen. Dann allerdings greifen nicht mehr allgemeine Postulate von universeller Verständigung, idealer Kommunikationsgemeinschaft oder über die Kulturen hinweg vereinbarer Rationalität. Dann treten wir in das Reich von Verständigung ein, so wie es sich auch in den historisch-sozialen Prozessen des 20. Jahrhunderts in aller Dramatik zeigt: In Kontexten von widersprüchlicher Macht und unterschiedlichen Interessen.
In der Sprachphilosophie hat man zunehmend mehr erkannt, dass die Konstitution der gegenständlichen Welt uns hin auf Konstruktivität und Probleme einer Verständigungsgemeinschaft drängt. Dies nimmt dem symbolischen Denken jenen Hinter-Grund, der Wurzeln in externen Größen wie Gott, Strukturgesetzen der Natur, angeborenen Mechanismen sucht. In welche Schwierigkeiten geraten solche Positionen?
Sperber (1975) gibt für eine solche externe Position ein gutes Beispiel. Ich will in einem Exkurs zeigen, in welche Schwierigkeiten man auch mit einer versachlichten Externalisierung geraten kann.
Sperber diskutiert Schwierigkeiten eines strukturalistisch orientierten Symbolverständnisses. Für ihn ist es eine zentrale Frage, inwieweit der Symbolapparat überhaupt durch Erfahrungen induziert wird, oder ob er nicht „im Gegenteil zur angeborenen geistigen Ausrüstung“ (ebd., 9 f.) gehört.45 Sperber sieht sich vor dem Problem, dass eine Erklärung von Symbolen über die Vielfalt von Bedeutungsmöglichkeiten die Unschärfe von Aussagen ins Unerträgliche steigern könnte. Für ihn bleibt eine hintergründige Wahrheitssuche notwendig, die allerdings weder sogenannte kryptologische noch psychoanalytische Untersuchungen bisher erreicht haben, weil sie immer nur einzelne Seiten beleuchteten. Dagegen steht eine strukturale Untersuchung, die sich alles vornimmt: „Kurz, wenn man ein konkretes symbolisches System in seiner Gesamtheit untersucht, statt sich damit zu begnügen, hier und dort isolierte Begriffe aufzulesen, die der These, die man zu verfechten gedenkt, entsprechen, dann tritt deutlich zutage, dass die symbolischen Assoziationen vielfältig sind; dass sie kulturell explizit oder implizit, individuell bewusst oder unbewusst, innerhalb oder außerhalb des von Freud ... vorgesehenen Bereichs der Interpretation liegen können, ohne dass diese drei Unterscheidungen einander decken.“ (Ebd., 71)46 Damit allerdings wird die notwendige Unschärfe durch die Suche nach einer Gesamtheit überfordert, die letztlich doch immer wieder eine Konstruktion einer praktischen Interaktionsgemeinschaft sein wird, die symbolisch vermittelt ist oder aus dem Kontext anderer Symbolvermittlungen betrachtet wird – beispielsweise durch Ethnologen. Sperber benennt so gesehen nur ein Dilemma solcher Konstruktivität, ohne sich selbst in diesem reflektieren zu können: Gründe müssen gesucht werden, um die Auswahl sich und anderen plausibel zu machen, denn die Vorgängigkeit einer Gesamtheit bleibt genauso obskur wie die Konstruktion einer angeborenen Sphäre eines Symbolapparats, dem dann alles zugeschoben werden kann, was in der eigenen Konstruktion im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Denkens unklar blieb. Wenn aber solche Gründe gesucht werden, dann muss auch Sperber zugestehen, dass  man nie geschlossene Gesamtheiten erhält.
Sperber unterscheidet einen Begriffsapparat, der immer dann fungiert, wenn wir mit Zeichen operieren, von einem Symbolapparat, der dann einsetzt, wenn sich der Begriffsapparat als ohnmächtig erwiesen hat. Wie aber soll ein Beobachter an Anderen oder sich diesen Übergang allgemein feststellen können? Im individuellen Fall kann des einen Beobachters Begriff für den anderen bereits ein Symbolverhältnis ausdrücken. Sperber wendet dies gegen die Symbolauffassung. Der Symbolapparat erscheint ihm im Sinne von Lévi-Strauss als ein Bastler des Geistes, der den „Abfall der Begriffsindustrie“ aufbewahrt. „Doch der Symbolapparat versucht nicht, die Informationen, die er behandelt, zu entziffern. Gerade weil diese Informationen zum Teil dem begrifflichen Code entgehen, dem mächtigsten aller Codes, über den die Menschen verfügen, wurden sie ihm letztlich unterworfen. Es geht also nicht darum, die Bedeutung der symbo­lischen Vorstellungen zu entdecken, sondern im Gegenteil, ihnen im Gedächtnis eine Relevanz und einen Platz zu erfinden, obwohl die begrifflichen Kategorien der Bedeutung in dieser Hinsicht gescheitert sind. Eine Vorstellung ist genau in dem Maße symbolisch, in dem sie nicht vollständig erklärbar, d.h. bezeichnungsfähig ist.“ (Ebd., 161)
Für dieses Verständnis gibt er drei Beispiele: Gerüche, die reale Erinnerungen evozieren, stehen als ein Teil für ein Ganzes. Sie sind symbolisch, weil sie etwas anderes als bloß sich selbst – im Sinne einer Reiz-Reaktions-Kombination – ausdrücken. Sie zeigen, dass der symbolische Apparat nicht nur verbal ist. In ihnen drücken sich zudem zwei Merkmale symbolischer Handlungen aus: Sie evozieren Erinnerungen, d.h. sie bedingen eine Suche im Gedächtnis; zugleich erfordern sie einen Fokus, den das Individuum setzt, d.h. sie verlangen eine bestimmte Aufmerksamkeit dieses Subjekts, die entsteht, wenn der Symbolapparat tätig wird. Ironische Aussagen als zweites Beispiel stehen für eine imaginäre Komplizenschaft, die zwischen Gesprächspartnern evoziert wird und der Aufmerksamkeit von den Gesprächspartnern zugesprochen werden muss, damit die Ironie wirksam wird. Auch dies ist ein symbolischer Vorgang, der in besonderer Weise auf den Umstand hindeutet, dass ein je geteiltes Wissen in Zeichenform auf der symbolischen Ebene einen neuen Rahmen erhalten kann, der dann die Ironie hervorruft. Als drittes Beispiel nennt er Glaubenssätze, die ein Bild von Wirklichkeit evozieren, das, je enger die Regeln der Symbolik werden, die Evozierungen selbst leitet und organisiert. Allerdings sind die Evozierungen freier als die Regeln solcher Symbolik, was immer wieder zu Brechungen, zu Widersprüchen, zum Erscheinen von Freiheit gegenüber symbolischen Gefangenschaften führen kann. Solche Glaubenssätze evozieren so zwar einerseits ein Bild von Welt, aber ein Beobachter, der mehrere Welten in ihrer Konstruktion betrachtet, wird erkennen können, dass diese Welt selbst nur in Anführungszeichen steht, sie steht für etwas, was sich selbst symbolisch begrenzt hat. Sperber meint, dass in allen drei Beispielen eine Struktur erscheint: „das In-Anführungszeichen-Setzen einer mangelhaften begrifflichen Vorstellung; Fokalisierung auf die für diesen Mangel verantwortliche Bedingung; Evozierung in einem durch die Fokalisierung begrenzten Feld.“ (Ebd., 195)
Der Begriffsapparat wird hier zu einem einfachen Input-System, das Wahrnehmungen aufnimmt oder im Gedächtnis liegende Informationen abruft, das aus semantischen Kategorien besteht, die in einem aktiven Gedächtnis fungieren und das von enzyklopädischen Eingaben der Außenwelt bestimmt wird (ebd.,196). Alle begrifflichen Vorstellungen, die nun nicht regelmäßig konstruiert und bewertet werden können, werden zum Input für den Symbolapparat. Dieser modifiziert erstens den Fokus, indem er von Beschreibungssätzen auf die nicht erfüllten oder erfüllbaren Bedingungen lenkt, die zu der Störung im begrifflichen System führten. Zweitens durchforscht er das Gedächtnis, er evoziert jene Assoziationen, die Antwort geben könnten. Der Begriffsapparat beobachtet das Resultat dieser symbolischen Aktion und legt es begrifflich fest. Der Output des Symbolapparats wird zum Input des Begriffsapparats. Hier erscheint ein Rückkopplungsprozess, der für alle Symbolbildungen wesentlich zu sein scheint.
Aus dieser Sicht kann uns Sperber drei Möglichkeiten der Interpretation von Symbolen anbieten: Zunächst könnten wir von der Wahrnehmung des Begriffsapparats ausgehen, sozusagen vom ersten Input, und von diesem aus das Symbolische klassifizieren. Dies wären dann alle Informationen, die wir in Anführungszeichen setzen müssten, also alle Arten nonverbaler und verbaler Wahrnehmung, die durch die Wahrnehmung selbst z.B. als Geste oder Laut und Bedeutung klar zu sein scheinen. Zweitens wäre es möglich, Formen der Symbolik nach den Mängeln des Begriffsapparates zu bestimmen. Hierzu könnten fehlende Kategorien, zufällige subjektive Unfähigkeiten, zeitweilige Schwächen usw. gehören. Wenn jemand etwas nicht versteht, dann verweist er es an den Symbolapparat, um eine Erklärung zu erhalten. Drittens – und dies ist für Sperber der interessanteste Typus – lassen sich Formen der Symbolik nach dem Evozierungstypus klassifizieren, den sie hervorbringen. Die Suche nach der Evozierung ist die Suche nach einer Information im eigenen Gedächtnis, um ursprünglich nicht erfüllte begriffliche Bedingungen auf anderer Ebene zu befriedigen. So scheint das Ich in der Lage zu sein, zwischen seiner begrifflichen und seiner symbolischen Welt in variationsreicher Form sich austauschen zu können. Es erscheint ein zirkulärer Vorgang, denn eine stabile Interpretation der Wechselbeziehung zwischen Begriffs- und Symbolapparat kann in einer kulturellen Symbolik nicht gegeben werden.
Aus konstruktivistischer Sicht erscheint die Deutung Sperbers als nicht haltbar. Er vernachlässigt den konstruktiven Charakter der Begriffswelt ebenso wie der Symbolwelt, wenn er von einer Vorgängigkeit eines solchen Apparates spricht, die er als reine Form oder Funktion unterstellen muss. Dies soll ihm so etwas wie ein Realitätsprinzip sichern, das ebenso überflüssig wie das Inputmodell ist. Denn was soll ein Wahr­nehmungsinput erbringen, wenn er nicht die Dinge so abbilden kann, wie sie sind? Die Kategorie des Inputs täuscht eine direkte Übernahme vor, damit eine Unmittelbarkeit des wahren Wissens in Begriffen, die sich uns schon weiter oben als Illusion ergeben hat. Sperber unterschätzt offensichtlich die aktive Seite menschlicher Konstruktion. Und er überschätzt die Suche nach Gesamtheit der Betrachtung als ein neues Eins der Interpretation.
Damit jedoch macht er uns auf eine Problematik aufmerksam, die wir im Übergang von den Zeichen zu den Symbolen zu diskutieren haben. Ist es denn in unseren Kon­struktionen so, dass wir Zeichen und Symbole eindeutig auseinander halten können, um sie wie Sperber zwei Apparaturen zuzuweisen? Wer sollte dies überhaupt erkennen können? Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang, dass Sperber als Ethnologe dies beispielhaft als externer Beobachter einer Kultur versucht hat. Gleichwohl fehlt ihm eine Theorie des Beobachters. Nur diese aber lässt zwangsläufig die Frage stellen, was einem begrifflichen bzw. symbolischen System eher zuzuordnen scheint, denn der in dem System gefangene Mensch wird gegebenenfalls Begriffe symbolisch aufladen, die für ihn unhinterfragt gültige Dinge darstellen. Nur ein Beobachter kann jedoch den Fluss zwischen Zeichen (Begriffen) und Symbolen herstellen. Dies gilt übrigens auch für die je individuelle Selbstbeobachtung im eigenen Denken. Eine solche Bestimmung  erinnert an Piaget, der für die Entwicklung der Kindheit herausgearbeitet hat, dass die Erarbeitung eines permanenten Objekts erst die Möglichkeit symbolischer Verarbeitung gestattet (vgl. Kapitel II. 1.4.). Hier mag es im Einzelfall – besonders für Semiotiker – interessant sein, solche Verarbeitung weiter zu operationalisieren und begrifflich zu unterscheiden, aber dies sollte nicht in den Glauben führen, damit eindeutige Wirklichkeitsbereiche verallgemeinern zu können. Es ist das Dilemma von Symbolik, Zeichen und mehr als Zeichen sein zu können, weil es immer einen Beobachter erfordert, der die Vermitteltheit von unbefragtem Verstehen und begrifflich nicht vollständig einholbarer Hintergründigkeit des Verstandenen für die Konstruktion seiner Wirklichkeit bearbeitet. Im Diskurs mit anderen Beobachtern wird er darüber Verständigung oder Grenzen des Verständnisses erzielen können.
Gleichwohl bleibt das Problem, das Sperber uns durch die drei Arten der Möglichkeit von Symbolen eröffnet hat. Was übersteigt das Symbolische oder liegt ihm zugrunde, und was führt dazu, dass es sich von bloßen Worten, einfachen Begriffen usw. unterscheidet – wobei wir oft nur intuitiv bemerken, dass hier ein Unterschied besteht? Die nächsten Kränkungsbewegungen werden mir helfen, dieses Problem weiter zu differenzieren. Auf dieser Stufe aber erscheint hier insbesondere eine Unschärfe, der ich über Sperber hinaus noch nachgehen will.
Zeichen unterliegen, so habe ich mehrfach gedeutet, der Zeit. „Verstehen bleibt Anstrengung, es mündet nie definitiv in eine Einheit des Bildes, in dem alles in seiner Bewandtnis von allem übereinstimmte. – Ein satter Löwe, vor dem sich die Antilope nicht fürchtet, wird hungrig. – Die Natur ist nur als Idee der stabile Zweckverband, als den Aristoteles sie dachte. Alle Bewandtnis verliert sich von selbst. Verstehen verändert sich, ist an ihm selbst Andersverstehen, weil es zum Zeichen als Zeichen gehört, dass es nur für eine gewisse Zeit eine bestimmte Bedeutung hat und dass auch das Verlieren dieser Bedeutung als ‚bestimmte Negation‘ selbst schon wieder ‚von Bedeutung‘ ist.“ (Simon 1989, 152) Auch die Symbolhaftigkeit von Zeichen, die immer dann erscheint, wenn Zeichen verdichtet, verschoben, bearbeitet werden, ist nicht frei von dieser Zeit, obwohl das Symbolische gerade in Entgegensetzung zum Fluss der Zeit und Strom des Vergessens ansetzen soll, etwas möglichst dauerhaft festzuhalten. Bewusst habe ich mit den Begriffen der Verdichtung, Verschiebung und (sekundären) Bearbeitung Begriffe aufgenommen, die Freud in seiner Traumanalyse wählte, um die Symbolik des Träumens verständlicher werden zu lassen.47 Verdichtung umschreibt nicht nur die Dichte, die ein Symbol gegenüber den Zeichenmöglichkeiten auszeichnet, sondern auch die sprachliche Dichtung, die sich in bildlicher Form, in Metaphern als kreativem Ausdruck solcher Dichte entfaltet. Was heißt dies genauer?
Ernst Cassirer hat in seiner „Philosophie der symbolischen Formen“ (1985) vorgeschlagen, den Menschen als symbolfähiges Wesen aufzufassen, um damit hervorzuheben, dass der symbolische Aspekt – das Symbolische und das Symbolisieren – unsere Kultur, Wissenschaften, Religionen usw. ausmachen. Die symbolischen Formen stehen für ihn im Plural, es gibt nicht nur die eine erkenntnismäßig gültige Erfassung von Welt, sondern ein ganzes Bündel von Weltauslegungen in Mythos, Religion, Sprache, Kunst, Wissenschaft usw. Sie haben jeweils ihre eigene Symbolik, obwohl ihre diachrone Herkunft aus dem Mythos offensichtlich ist. Cassirer entwickelt immer wieder, dass in der Sprache der Wissenschaft nicht einfach Wörter für Sachen stehen. Die Wörter, Begriffe, Aussagen bilden eine eigene Welt, in der als Modell Symbole die Funktion haben, eine Wirklichkeit zu bezeichnen, die wir unmittelbar gar nicht schauen können. Insbesondere die moderne Physik wie die Naturwissenschaften insgesamt zeigen für ihn, dass das Verhältnis von Sprache der Wissenschaft und wissenschaftlichem Objektbereich symbolisch vermittelt ist. Dennoch will Cassirer eine gewisse Einheit retten. Symbole sind für ihn Zeichen, denen der menschliche Geist Bedeutung zuspricht. Neben der geistigen Existenz erscheint eine Realexistenz der Zeichen, der Mensch be-deutet nur, zugleich wohnen ihm – hier bricht der Kantsche Anspruch durch – Strukturen inne, die die Bedeutung im Symbolisieren apriorisch formen. Aus der bisherigen Erörterung wissen wir, dass ich aus konstruktivistischer Sicht diese Spaltung ablehne, weil sie Bedeutungen in eine Vorgängigkeit zwängt, die nur durch den Kontext der die Bedeutung herstellenden Menschen gewährt wird, und somit bestreite ich das Postulat dieser apriorischen Gültigkeiten. Zugleich jedoch ist Cassirer dort sehr aktuell, wo er einen sehr breiten Symbolbegriff präsentiert, der auf Entmythologisierung angelegt ist und alle sprachlichen Leistungen umfasst: Worte, mythische Sprache, rationales Denken erscheinen als symbolische Formen.48 Wo aber liegt dann noch der Unterschied zu dem, was ich weiter oben als Zeichen herausgearbeitet habe? Wie sollen wir überhaupt eine Unterscheidung zwischen Zeichen und Symbolen treffen?
Zunächst könnten wir uns darauf einigen, dass der Begriff Zeichen auch die Symbole mit umfasst. Symbole sind in der einen oder anderen Weise Zeichen. Aber sie sind als Zeichen immer besonders ausgewiesene Zeichen: Symbole. Ausgewiesenheit meint in diesem Sinne, dass es für Symbole ein konsensuelles Feld der Übereinstimmung von Menschen gibt, die bestimmten Zeichen eine besondere Relevanz, eine, wenn man so will, überhöhte oder zumindest im Moment des Diskurses erhöhte oder zumindest gewisse Bedeutung zugestehen wollen. Nun hängt es ganz und gar von der Art der Bedeutungstheorie ab, was geschickter den Zeichen oder Symbolen zugeordnet wird. Wir könnten auch die Perspektive wechseln und von Worten, Begriffen oder Sätzen bzw. Aussagen oder Texten sprechen. Diese sind Zeichen, sie sind symbolisch vermittelt, wenn wir dies als Bedeutsamkeit herstellen wollen. Diesen Gesichtspunkt hat insbesondere Mead beachtet. Nach ihm und der Theorie des symbolischen Interaktionismus49 sind Wörter nur Symbole für Dinge und Sachverhalte, die in der menschlichen Interaktion vielschichtig auftreten. Sprechen in solchen interaktiven Zusammenhängen ist ein soziales Ereignis, das von einem Symbolfeld und den Zeit- und Raumumständen in praktischer Intersubjektivität abhängig ist. Der Symbolgebrauch ist damit eine Weise des Umgangs der Menschen miteinander, ein Ausdruck kommunikativen Handelns, in dem sich sprachliche Zeichen eindeutig gegenüber nichtsprachlichen bewährt haben. Inwieweit die dabei auftretenden Interaktionsprozesse selbst sinnstiftend in die Symbolgebungen eingreifen, werden wir noch zu diskutieren haben. Dass jedoch die Sprachgemeinschaft allgemein die notwendige Basis für den Symbolgebrauch darstellt, danach bleibt nach Mead kein Zweifel.
Für Piaget, so werde ich noch zeigen (Kapitel II.1.4), beginnt das Symbol in der kognitiven Entwicklung, mit der Entstehung permanenter Objekte sich hervorzuheben. Ein Kind ist dann in der Lage, unabhängig von direkter Aktion, Gegenstände oder Personen sich als Wort, Begriff, Aussage erinnerbar und damit verfügbar zu halten, wobei diese innere Verfügung symbolisches Ausmaß annimmt. Ein symbolisches Ausmaß ist zum Beispiel eine Als-ob-Situation, auch eine Form der Analogie, die besonders gegenüber äußeren, aber im Laufe der kindlichen Entwicklung zusehends auch gegenüber inneren Zuständen angenommen werden kann. Symbole sind beobachtbar und intendieren insbesondere den Austausch mit anderen Menschen, weil ihre verdichtende Leistung gerade in der Herstellung eines bestimmten Sinns liegt. Das Wort Stuhl kann als bloßes Wort im Satz betrachtet werden, es kann als Begriff, als ein Wort, das vom Kind begriffen wurde, angesehen werden, wenn das Kind verständlich mit ihm umgeht, es kann aber auch als verdichtete Form einer ganzen Sitzkultur aufgefasst sein, wenn an die Verfügbarkeit des Begriffes mitsamt damit zusammenhängender Assoziationen an die Lebenswelt, in der er gebraucht wird oder wo sich sein Gebrauch verändert hat, gedacht ist. Aber es ist schwer, hier eindeutige Begrenzungen einzuführen, denn was für den gebildeten Menschen als trivial erscheint – der Stuhl als Kulturprodukt mit vielfältigen kritischen Perspektiven –, das ist für ein Kind noch nicht erfasst, obgleich es durch einfache Analogie bereits einen begrenzten kulturellen Inhalt aufzuspüren vermag. In der Beobachtung dessen, was wir hier Stuhl nennen, sind für den gebildeten Beobachter jeweils schon unterschiedliche Symbolzusammenhänge eingeschlossen, die das eigentliche Zeichen Stuhl so nicht herzugeben vermag. Piaget hat die symbolische Funktion vor allem auf repräsentierte figurative und kognitive Pläne (Schemata) bezogen, weniger auf unmittelbare Ereignisse. Dies ist eine entscheidende Erkenntnis. Gegenüber der einfachen Dingkonstitution – also dem Wort und allenfalls Begriff Stuhl – meint die symbolische Funktion eben auch zu erkennen, dass Symbole – wie sie in Gesten, Bildern und der Sprache erscheinen – in bestimmte Kontexte der aktiven Bearbeitung von Lebenswelt eingebettet sind. Hier hat neben der Verdichtung, die durch Interessen der Menschen in der Lebenswelt selbst dynamisiert wird, besonders die Verschiebung in der symbolischen Funktion ihre Bedeutung. Der Akzent der Bewegung von Objekten hin auf das Subjekt verschiebt sich durch den Einsatz des imaginativen Systems hin zum Subjekt, das mit Objekten oder Ereignissen symbolisch verfährt. Diese Verfahrensweise kann sich auf einen Begriff hin symbolisch verdichten: So wird für einen Dreijährigen, der mit einem Holzstück das Autofahren simuliert, der Begriff Auto zu einem Symbol für eine Tätigkeit, für bestimmte Erfahrungen und eine Nachahmung oder anderes mehr. Aber solche Symbolik erschöpft sich nicht in der Erinnerung an ein Wort oder etwas Begriffenes: Die verschiebende Wirkung des symbolischen Spiels besteht für den Dreijährigen darin, einen ganzen Bereich von Lebenswelt, nämlich seine Imaginationen des Autofahrens, in konzentrierter Form nacherleben zu können. Diese Erlebniswelt ist, eben weil sie symbolisch ist, frei für imaginative Bearbeitungen, für unendliche Variationen des Spiels mit den Zeichen selbst, solange nur die gewisse Symbolik, die als bleibend oder passungsfähig gedacht wird, eingehalten bleibt. Zudem können alle Verdichtungen und Verschiebungen dann auch vom Ich sekundär bearbeitet werden, indem sowohl die Erfassung des Symbolischen selbst nach ihrer Intensität variiert wird oder das Symbolische selbst sich aufzulösen beginnt.50
In Symboltheorien gibt es mannigfache Versuche, Symbole als besondere Klasse von Zeichen zu beschreiben.51 Gegenüber Anzeichen, die auf etwas verweisen, durch das sie erzeugt sind, und Repräsentationszeichen, die aus einer bestimmten Zuordnung von Laut- oder Schriftzeichen zu einem bestimmten Bedeutungsinhalt sich darstellen, scheinen Symbole einen weiteren Bedeutungsinhalt hinzuzufügen: Sie laden die anderen Zeichen mit einer Symbolik auf, die immanente oder transzendente Gesichtspunkte hinzufügt. „Symbole der Immanenz können rein individuelle Symbole sein, die vielleicht – wir wollen es offen lassen – dennoch in archetypischen Prägungen gründen. Eine Röhre kann zum Symbol des Gebärkanals oder des Halses werden, ein Turm zu einem Phallus-Symbol, eine Schwalbe zum Symbol des Frühlings usf. All diese Zeichen sind dann nicht dingliche Repräsentationszeichen.“ (Saner 1989, 14) In gesellschaftlicher Verbindung werden solche Symbole zu sozialen: „Die Krone und das Zepter sind Insignien der Macht, die Tiara ist das Kennzeichen des Papstes, Fahnen und Siglen sind die Embleme der Nationen usf. Eigentlich sind das nur noch ikonische Repräsentationszeichen. Ihr rudimentärer Symbol-Charakter wird allerdings, nun gezielt von den Inhabern der Macht und Würde, aufgeladen mit einer Wertepalette, so dass ihre Bedeutungsinhalte das Banale der reinen Repräsentanz übersteigen. Embleme werden dann zu Hoheitszeichen, Insignien zu Würdezeichen.“ (Ebd., 15) Die Banalität jedoch, die jedes Zeichen erreichen kann, steht immer im Kontext mit der Zeit, in der sie gelten. Damit aber sind sie in einem Übergang in die Transzendenz, in eine Symbolik nach Saner, die auf etwas Totales, Unendliches, Absolutes hinweisen soll.
Auch diese Unterscheidungen bleiben schwierig. So interessant einzelne Aspekte dieser Bestimmungen sein mögen, so sehr leiden sie doch unter einer jeweils schlüssigen Vorannahme der universellen Unterscheidbarkeit. Wer aber soll solche Unterscheidungsleistungen treffen, wenn Symbole selbst als Konstrukte in einem konstruktiven Symbolgebrauch betrachtet werden? Immanenz und Transzendenz von Symbolen werden immer nur durch bestimmte Deutungsgemeinschaften hergestellt. Insofern ist es schon eine Illusion, von rein individuellen Symbolen zu sprechen, weil wir hier wieder in die Logik einer Privatsprache zurückfallen müssten, die als Sprache so nicht funktioniert. Damit verschiebt sich der Blick hin auf die Notwendigkeit einer jeweiligen Beobachtertheorie, die angibt, was für wen in welchem bedeutsamen Kontext einer Raum-Zeit-Stelle eher den Charakter von Zeichen oder bereits den des Symbolischen trägt. Dies ist ein wesentlicher Hinweis auf die Pluralität von Zeichen und Symbolen. Es deutet zugleich auf die unendliche Arbeit an der Rekonstruktion des Symbolischen hin, so wie sie analog durch die unendliche Abarbeitung des Mythischen bezeichnet ist.52
Dabei ist es sinnvoll, von einer Symbolik in unterschiedlicher Ordnung zu sprechen. Sehr oft wird die symbolische Funktion so bestimmt, dass sie für einen Zusammenhang des Denkens gilt, das Übertragungsleistungen vollbringt. Ein symbolisches Erfassen von Wirklichkeit wäre demnach aus konstruktivistischer Sicht eine Beobachterperspektive, die sowohl Bezeichnetes als auch Bezeichnendes in ihrer verallgemeinernden Entfaltung der verschiedenen Übertragungen von Als-ob-Situationen versteht. Diese Beobachtungsperspektive aber setzt ihrerseits ein vorhandenes Repertoire an Symbolik voraus. Es ist eine Argumentation, die bereits viele Auchs bestimmt hat, um sich daraus ein symbolisches Eins zu erschließen.
Eine andere Ordnungsbestimmung ergibt sich, wenn wir die Konstitution des Eins als Symbol gegenüber konkurrierenden Auchs beobachten. Kinder beharren sehr oft auf einem gerade erworbenen Begriff, den sie gegen die Variationen dessen, was er noch bezeichnen könnte, abzugrenzen versuchen. Auch dies ist eine symbolische Funktion: Aus dem Eins heraus die Auchs abzuwehren, die sich der verdichteten Symbolik entgegenstellen.
Symbolische Welten sind oft lieb gewordene Gefangenschaften, und nicht selten treten ihnen Rituale an die Seite, um ihre Konstanz zu sichern. So gibt es nationale, patriotische, religiöse, umweltbezogene usw. Symbole in großen Mengen, deren Verinnerlichung je nach Bedeutsamkeit für die gebrauchende Menschengruppe gar nicht mehr reflektiert werden muss. Ein Automatismus der Aneignung und Entäußerung wird hier zum Ausdruck der symbolischen Funktion selbst. Dies ist gewiss eine sehr elementare Form symbolischen Gebrauchs. Im stärksten Extrem dagegen stehen symbolische Äußerungen, die neuartiger, kreativer Natur sind und sich erst um Versicherung ihres Gebrauchs bemühen müssen, d.h. Inhalte und Formen neuen, anderen, fremden Denkens. Sie stoßen oft auf Widerstand, weil der Abgleich mit bekannten symbolischen Bedeutungen zunächst immer hindert, Neues sehen oder hören oder greifen zu wollen, weil ein erlerntes, permanentes Objekt oder eine verdinglichte Auffassung von verstandenen Ereignissen sich als Fassade eines vorgängigen Verstehens bereits errichtet hat.
Symbolik ist nur in konkreten Zusammenhängen beobachtbar und unterschiedlich unscharf, wenn es um die Eindeutigkeit des zu Beobachtenden geht. Es bezeichnet uns die Verflüssigung des Denkens, die einsetzt, wenn wir Zeichen verwenden und mit anderen Menschen austauschen wollen.
Kommen wir noch einmal auf die Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile zurück. Einen Stuhl wahrzunehmen oder zu denken, das macht gewiss einen Unterschied aus. Aber wie sollen wir diesen Unterschied benennen? Indem ich über das Wort Stuhl verfüge und dieses mit anderen in mir abgleiche, als Eins und Auch in ein Verhältnis setze, denke ich bereits. So kann ich denn jetzt und hier vor diesem Stuhl stehen und ihn wahrnehmen und muss ihn zugleich auch denken. Wenn Magritte ein Bild malt, auf dem er eine Pfeife abbildet und sagt, dass dies keine Pfeife sei, so wird mir genau diese Differenz zwischen Wahrnehmen und Denken aufgebrochen. Das Wahrnehmen ist gar kein Wahrnehmen im Sinne einer unmittelbaren Wahrheit, wenn das Wahrgenommene bereits ein Gedachtes voraussetzt, das mich sagen lässt: Dies ist ein Stuhl und nichts anderes. Nun ist der Stuhl selbst oder sein Abbild mir wahrnehmbarer als ein abstrakt gedachter „Stuhl“, aber im Blick auf das Denken selbst ist auch das Bild dieses Stuhls eben nicht der Stuhl, wie er unmittelbar ist, weil er als Zeichen für mich nur mittelbar sein kann. Die Dichte und Verschiebung dieser Mittelbarkeit auf mein Wahrnehmen hin, auf mein Bedürfnis und Interesse in diesem Prozess, ist die symbolische Vermittlung. Aus dieser heraus bin ich auch in der Lage, neue Gegenstände und Wahrnehmungen in mir oder für Andere festzuhalten.
Gleichwohl sind Wahrnehmung und Denken immer auch gegensätzlich, weil sie nur vermittelt sind, aber nicht ineinander aufgehen. So kann sich mein Denken auch ganz weg von jeder Wahrnehmung hin orientieren und als innerer Vorgang eigener Art organisieren. Ein äußerer Beobachter könnte nun sagen: Seht, er hat jedes Bewusstsein für wahrnehmbare Wirklichkeit verloren. Ich aber könnte entgegnen: In meinen Wahrnehmungen erfahre ich mich ganz anders, weil ich erst hier meine innerste Wirklichkeit gefunden habe.
Verdichtung und Verschiebung schließen aus dieser Perspektive große Gefahren für Gesellschaften ein. In der Menschheitsgeschichte ist deshalb eine entscheidende Ten­denz darin zu beobachten, die Aneignung der kulturell gültigen Symbolvorräte sicherzustellen. Je größer die Vorräte, desto langwieriger werden die Versuche, die nachkommende Generation hierauf einzustellen und deren Anerkennung konventionell zu erzwingen und Abweichungen zu bestrafen. Für Foucault erscheint deshalb die Macht als zentrale Kategorie, mit der man das Beobachtungssystem symbolischer Aneignung bezeichnen könnte.53 Erziehungssysteme zielen auf die Notwendigkeit bestimmter Symbolvorräte. Aber aus der Erkenntnis der symbolischen Funktion wissen wir zugleich, dass kein Gedachtes ein letztes oder ewig gültiges Prinzip sein kann und wird. Hier erscheint die Freiheit des Denkens. Jedoch ist sie ein bereits sehr hoher – und auch erworbener – symbolischer Ausdruck eines langen symbolischen Lernens. Erst wer viele Symbolwelten zu überschauen gelernt hat, wird den Mut fassen, sich bei Anerkennung ihrer Bedeutsamkeit begründet gegen bestehende zu wehren und verständlich – in der Sprache solcher Welten – gegen andere zu argumentieren. Durch diese Arbeit muss ein jeder Beobachter hindurch, wenn er sich selbst als Beobachter in kultureller Auseinandersetzung reflektieren will. Dies erscheint als Bildungsideal.
Der Symbolvorrat der Welt ist allerdings unendlich. Ein einzelner Mensch kann sich nicht so bilden, dass er alles wüsste, was Menschen als Symbolik hinterlassen haben. Zudem sind die Symbolvorräte nie abgeschlossen oder ihre Antworten definitiv erledigt. Jeder Mensch hingegen ist froh, dass Denken immer Ein-Bildung ist. Dies kann ihn darüber trösten, seine Symbolik nur begrenzt erfahren zu können. Gleichwohl ist dies nicht Trost für alle. Einige suchten und suchen daher in Meditationstechniken Zuflucht, die die Differenz überbrücken und eben mittels der Einbildungskraft auf ein neues symbolisches Niveau führen, dessen Dichtung das Problem auf idealisierende Lösung hin verschiebt. Alle Formen des Glaubens sind Lösungen dieses Verlustes. Diejenigen aber, die den Verlust bewusst hinnehmen wollen, ohne die unendliche Geschichte der Interpretationen und damit verbundener Sprachspiele anzuhalten, können durchaus mit gutem Gewissen eigene Symbolwelten konstruieren: Gerade weil sie wissen, dass diese nicht ewig halten werden.
Symbole sprechen nicht über die Wirklichkeit, sie sind ein Teil von Wirklichkeit. Zwar wäre es sinnlos, den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Denken zu verwischen, aber ebenso sinnlos wäre es, beide voneinander trennen zu wollen. Der Begriff Unterschied meint hier, dass ein Beobachter einmal mehr in diese und dann in die andere Richtung blicken mag, dass er auch das Gefühl haben mag, in beide zugleich schauen zu können und große Intuition hierbei zu erleben, aber er kann nie nur „da draußen“ oder „hier drinnen“ sehen. Symbole sprechen immer über Beobachter.
Zeit und Raum strukturieren für die Beobachter die Beobachtungen und damit auch die Symbolik. Symbo­lische Funktionen entstehen im Nacheinander und leben im Nebeneinander. Sie werden uns bewusst. In dieser Hinsicht stimmen heute die meisten Verständigungsgemeinschaften überein. Aber sie haben auch eine unbewusste Seite, wie Freud herausstellt.54 Bereits die bewusste Seite macht uns Schwierigkeiten genug: Wir können nicht alles nebeneinander denken, sondern strukturieren unser Denken durch ein Vorne und Hinten, Links und Rechts, Zentrum und Rand, Kinesis und Mimesis und anderes mehr.55 Dualismen sind hierfür typisch, Dreischritte – wie bei Hegel – meist schon sehr kompliziert. Dies dient der Vermittelbarkeit unserer Interpretationen, weil die Unmittelbarkeit für unseren Diskurs mit Anderen nur eine Fiktion ist, die wir meist gerade symbolisch zu erreichen versuchen. Eine Suche nach der letzten Unmittelbarkeit zeigt dann, dass wir diesen Prozess noch wenig verstanden haben, denn die reine Unmittelbarkeit wäre ja gerade in der Sprachlosigkeit einer sinnlichen Gewissheit und nicht in endlosen Reden über diese zu suchen. Wie wäre es, wenn wir versuchen, sexuelle Schwierigkeiten vor allem im Reden über diese zu lösen, statt sie möglichst sinnlich zu überwinden? Wir könnten schnell in reines Reden abgleiten und schließlich unser ursprüngliches Anliegen vergessen. Dies ist sowohl eine Gefahr der symbolischen Welt als auch ihre Chance.

Symbole vollziehen damit verschiedene Funktionen, die ein Beobachter sich festhalten kann:

(1) zunächst ist der Mensch in der Lage, permanente Objekte56 aufzubauen und diese symbolisch zu verarbeiten. Diese Verarbeitung geht in zwei Richtungen: Einerseits Aufbau einer konstruierten Symbolwelt und andererseits Rekonstruktion vorhandener Symbolwelten. Beide Richtungen sind voneinander abhängig, erschöpfen sich aber nicht ineinander, da es sowohl möglich ist, individuell neue Symbole zu schaffen als auch vorhandene Symbole nicht erschließen zu können. Insoweit ist die symbolische Vermitteltheit ausschlaggebend für die Konstruktion und Rekonstruktion von Symbolen. Dies werde ich in der zweiten Kränkungsbewegung ausführlich diskutieren, denn symbolische Vermitteltheit ist immer zwischen einem Selbst und einem Anderen vermittelt, was besonders die Theorie des symbolischen Interaktionismus hervorzuheben versucht. Zunächst aber scheint es auf dieser Kränkungsstufe so zu sein, dass Symbole den „Dingen da draußen“ Bedeutung hinzufügen, sie überhaupt in eine Bedeutung verwandeln, die über das Ding hinausweist, die dieses Ding in der Imagination und besonders der Reflexion durch seinen Zusammenhang auf ein schon gedeutetes Allgemeines verweist. Dies ist die Dialektik von Eins und Auch, die im Symbolischen greift. Sie schafft sich im Symbol eine neue Einheit, in der die Spannung der Dinge zwischen Eins und Auch in einer höheren Verallgemeinerung gefangen wird. So schaffen wir Übersicht. Erst wenn wir eine Beobachterposition gegenüber diesem Vorgang einnehmen können, uns also aus mythischen und symbolischen Gefangenschaften lösen, sehen wir den Begriff des Symbols und die Funktionen des symbolischen Denkens als unser Konstrukt von Wirklichkeitsbewältigung. Wissenschaftliche Re­flexion ist gegenüber solcher Symbolsetzung eine Konstruktion eines Beobachters, der zumindest zu sehen meint, in welcher Funktion die Symbolsetzung im Blick auf die (aber je welche, mit welchen Interessen?) menschliche Gemeinschaft etwas erzeugt, was die Unabhängigkeit oder Universalität seiner Konstruktion selbst hinterfragbar werden lässt. Dazu aber benötigt er eigene symbolische Zusammenhänge, die er vom Dogma einer Allanwendung freihalten muss.

(2) In die symbolische Re/Konstruktion greift immer die Zeit ein, dieses Konstrukt teile ich mit den meisten Verständigungsgemeinschaften. Mag ein Individuum neben rationaler Rekonstruktion auch intuitiv Symbole deuten können, so wird diese Deutungsarbeit neben der Interaktion mit Anderen, die ich später noch ausführlich zu thematisieren habe, nur in einer Zeit möglich. Diese Zeit aber ist nicht bloße Gegenwart, sondern eine Gegenwart, die die Vergangenheit auf eine mögliche Zukunft hin denkt. In solcher Zeitweise liegt ein konstruktiver und kontextueller Faktor vor, der jeweils deutungsgebend in die Symbolvorräte selbst eingelagert ist und mit diesen verwoben wird. Eine Universalisierung bestimmter Symbole kann daher nur eine Tradierung über einen längeren Zeitintervall bedeuten, nicht jedoch ewige Gültigkeit.

(3) Symbole als Konstruktionen sind, wenn sie rekonstruierbar werden sollen, Produkte der menschlichen Einbildungskraft, die von sehr flüchtigen Lautgestalten bis hin zu schriftlich oder materiell fixierten Formen reichen. Nicht nur menschliche Gebärden, Handlungen, Sprachspiele sind symbolischer Natur, sondern auch die geronnenen Produkte menschlicher Architektur, Industrialisierung, materiell umgesetzte Verkehrs- und Lebensformen, die als künstlich geschaffene Welt symbolisch für bestimmte Lebensansichten des Menschen stehen. Die Kunst ist hierbei oft Inbegriff des Symbolischen geworden, obwohl sie nur die Spitze des Eisberges menschlich alltäglicher Symbolformen dokumentiert. Hierin steckt auch eine Tendenz zum Praktischen, zum Gebrauch, der nicht nur der Bildung der Zeichen insgesamt innewohnt, sondern vor allem für den symbolischen Gebrauch Voraussetzung ist.

(4) Die bisher skizzierten drei Voraussetzungen gipfeln in der Fähigkeit des Menschen, nicht nur Symbole zu konstruieren, sondern selbst Symbol zu sein. Dies setzt allerdings immer einen Beobachter voraus, der über Kriterien verfügt, das Symbolische als Konstrukt zu erkennen und rekonstruierend zu benennen. Ein solcher Beobachter sieht eine Doppeldeutigkeit im menschlichen Umgang mit der Welt: Einerseits die menschliche Freiheit, sich symbolische Welten zu konstruieren und mit diesen sehr unterschiedlich zu verfahren; andererseits die Vorgängigkeit einer je schon symbolisch von Menschen geschaffenen Welt, die diese Freiheit in einen Rahmen der Rekonstruktion stellt. Die Freiheit des Menschen wurzelt in dieser Spannung darin, es nach beiden Seiten hin übertreiben zu können: Auf der einen Seite als Held, als Erneuerer und Erfinder einer anderen Welt – bzw. eines neuen Stückwerks von Welt –, auf der anderen Seite als Sachwalter der Tradition, des Überkommenen, als Anpasser und Entdecker des je schon Vorgängigen, um zu beharren und zu bewahren, was von Anderen geschaffen wurde. Zwischen diesen Extremen pendelt nicht nur die Menschheit hin und her, sondern auch der einzelne Mensch in seinem Leben, der in dieser Spannung seine besondere Biografie als symbolischen Gang der Dinge sucht.

Um diese vier Seiten kurz zu illustrieren, will ich als eines der beliebig vielen, möglichen Beispiele auf die Astrologie verweisen. Nach (1) ist der in sie befangene Beobachter nicht in der Lage, die Astrologie selbst als eine symbolische Konstruktion von hoher Unschärfe zu erkennen, wenn er sich ihrer symbolischen Welt verschrieben hat. Der wissenschaftlich reflektierende Beobachter wird die Astronomie als schärfere Form der Beobachtung von Himmelskörperbewegungen auffassen, die vom Astrologen in die spekulative Sicht einer Ableitung von psychischen Vorgängen aus solchen Bewegungen symbolisiert wird. In der Diskursgemeinschaft möglichst exakt beobachtender Naturwissenschaftler wird solche Spekulation zu unscharf und daher aus dem eigenen Diskurs ausgeschlossen. Dies eröffnet die wissenschaftliche Kritik an den nunmehr unhaltbar erscheinenden Spekulationen der Astrologie. Gleichwohl war dies nicht immer so. In einer zurückliegenden Zeit – wie auch in Restbeständen bis in die Gegenwart – wurden die politischen Geschicke vieler Staaten direkt von der astrologischen Magie beeinflusst. So zeigt sich nach (2) das Eingreifen eines gewissen lebenszeitlichen Gesamtverständnisses von Erkenntnis, Wissenschaft und Gültigkeit als Regulierung der Unschärfe symbolischer Welten. Die Astrologie ihrerseits ist jedoch nach (3) eine geronnene Konstruktionswelt, deren Tradierung und Aktualisierung danach drängt, als symbolische Welt sich neben den anderen Welten der Moderne zu behaupten. Als Bestandteil magischen Denkens hat dieser Symbolvorrat eine Eigenständigkeit bewahrt, die im Diskurs des Aberglaubens die Unschärfe gegen die Schärfe vermeintlich eindeutiger Wissenschaft wendet. Als konstruktivistisch orientierter Beobachter erkennen wir hier, dass dabei die Astrologie sich selbst mittels ihrer Symbolik aber als exakte Beobachtertheorie psychischer Vordeterminiertheit von Ereignissen versteht, also die eigene spekulative Unschärfe negiert, um den Kampf bestehen zu wollen. Dies unterscheidet sie von einer konstruktivistischen Sicht, die mittels einer Beobachtertheorie unscharfes Beobachten nie wird ausschließen dürfen, die aber sich der Unschärfe wohl bewusst sein sollte und sie kritisch gegen sich selbst zu wenden hat, um nicht in Glaubenspostulaten zu enden. Wenn Symbole fraglos werden, wenn sie Unendlichkeit atmen, wenn alles mit ihnen erklärt werden kann oder soll, dann büßen wir in der Doppeldeutigkeit von Symbolen die Seite der Freiheit ein, die einen ihrer Ursprünge ausmacht. Nach (4) zeigt die Astrologie in den Sternzeichen, wie der Mensch sich selbst zum geschlossenen Symbol werden kann und wie dieses Symbol zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung – mithin zur Vorgängigkeit eines unterstellten symbolischen Verhaltens – wird. Es ist eine Gefangenschaft, die dann aushaltbar sein wird, wenn sie nicht für eine vollständige Erklärung genommen wird.57 Wird sie es hingegen, so wird eine Rück-Flucht in die magische Welt einer Vergangenheit gesucht, die zugleich ritualisiert von allem ablenken muss, was die ehernen Symbole aufbricht und der Entwicklung hin auf menschliche Autonomie nachgibt. Solche Rück-Flucht führt zur Verdummung gegenüber der eigenen Konstruktivität, die so verstellt, verdeckt, verborgen wird.
Lassen sich Symbolwelten abschaffen? Könnten wir uns auf Zeichenwelten zurückziehen, um Eindeutigkeit und Schärfe von Beobachtungen zu erreichen? Die Antwort ernüchtert als Rückfrage sofort den Fragesteller: Was bliebe dann von menschlicher Intuition, die in einem Gefühl ein Ganzes schauen möchte, von Utopien, Träumen, kleinen Mythen des Alltags und großen der Menschheit, was bliebe von jener Freiheit der Imagination, die mehr schaut, als jemand in Begrenzung auf ein Ding und nichts als dieses Ding sieht, was von der Kunst, dem Schönen, aber auch dem Hässlichen? Hier liegt der Spalt zur Maschine, die Zeichen ohne Sinnaufladung verarbeitet, die damit aber auch nicht denkt und fühlt, was sie tut. Symbolisches Denken ist die Möglichkeit, diesen Spalt auseinander reißen zu lassen, die Unschärfe aus dem reduktionistisch-wissenschaftlichen Anspruch heraus unerträglich groß werden zu lassen, und dennoch menschlich argumentieren zu können. Als Grenze bleibt in der Zeit und dem besonderen Raum der Lebensform hier nur der Diskurs mit Anderen, also eine Verständigungsgemeinschaft, die in unzählige Untergruppen von Verständigung und Verständnislosigkeit zerfallen kann, in der das Symbolische jeweils konstruierend und rekonstruierend Anerkennung, Wirkung, Handlung gewinnt – und damit letztlich Spannung des Lebens und eine scharfe Gestalt des Denkens und Erkennens werden kann. Ein äußerer Beobachter kann Unschärfe sehen, wo ein beteiligter Beobachter symbolisch um die Dinge eindeutig in seinem Sinne weiß.



1.3.4 Realität im Zirkel von Zeichen und Symbolik

Nachdem ich Zeichen und Symbole als Ausdrücke über Realität diskutiert habe, bleibt die wichtige Frage, was im Blick auf diese sprachlichen Prozesse Realität überhaupt ist. Ich frage damit nach der Verbindung von jenen Phänomenen, die wir als Wirklichkeit bezeichnen, und dem Bezeichnen selbst. Ich will in drei Schritten hierzu Stellungnahmen sammeln und konstruktivistisch deuten.
In einem Exkurs zu Peirce will ich wesentlichen Bestimmungsproblemen zunächst aus der Sicht einer pragmatisch orientierten Sprachphilosophie nachgehen.58 Dann soll zweitens mit Foucault untersucht werden, was uns von der „Ordnung der Dinge“ bleibt, wenn wir sie in sprachlicher Archäologie zu rekonstruieren versuchen. Schließlich soll drittens mit Derrida diskutiert werden, inwieweit die sprachliche Rekonstruktion in ihre eigene Dekonstruktion zurückfällt. Das Absolutum der Realität, wie sie tatsächlich „ist“, relativiert sich so aus verschiedenen Blickwinkeln, ohne jedoch als symbolisch Absolutes ganz zum Verschwinden gebracht werden zu können. Wenn sich der Konstruktivismus diese Paradoxie nicht aneignet, wird er sprachphilosophisch naiv bleiben.



1.3.4.1. Zur Sprachpragmatik bei Peirce

Nach Rorty steckt Peirce noch in einem Dilemma zwischen einer idealistischen und physikalischen Lösung der Wahrheitsfrage. Er bleibt auf halber Strecke der Lösung des Erkenntnisproblems stecken, was an folgender Logik liegt:
„Dem Idealismus und dem Physikalismus ist die Hoffnung gemeinsam, dass
(A) „Es gibt Felsen“ ist wahr
dann und nur dann wahr ist, wenn gilt:
(B) Nach dem idealen Abschluss der Forschung sind wir berechtigt zu behaupten, dass es Felsen gibt.
Dieser Vorschlag nötigt sie jedoch zu der Aussage, dass
(C) Es gibt Felsen
sowohl von (B) als auch von (A) impliziert wird. Das erscheint paradox, denn sie wollen ja ebenfalls behaupten:
(D) „Es gibt Felsen“ ist durch eine Beziehung der Entsprechung – der genauen Repräsentation – mit der Beschaffenheit der Welt verbunden.
Und wie es scheint, gibt es keinen ersichtlichen Grund, weshalb der Weitergang des Sprachspiels, das wir spielen, irgend etwas Spezifisches mit der Beschaffenheit der übrigen Welt zu tun haben soll.
Idealismus und Physikalismus sind Versuche, einen solchen Grund zu liefern. Die Idealisten meinen:
(E) Die Welt besteht aus Repräsentationen oder Vorstellungen, die durch ein ideal kohärentes System geordnet sind.
Dies wiederum erlaubt ihnen, (C) so zu analysieren, dass folgendes gilt:
(F) „Es gibt Felsen“ gehört zu dem ideal kohärenten System von Vorstellungen oder Repräsentationen.“ (Rorty 1990, 60 f.)
Der Idealismus setzt auf die Position (E), um (D) zu retten und zugleich nicht bloß dem Skeptizismus zugerechnet zu werden. Die Position (F) erhält immerhin eine klare und eindeutig überprüfbare rationale Aussage.
Die Physikalisten dagegen wollen (A) aus der Sicht von (D) analysieren. Dies läuft letztlich auf eine Entsprechungs- oder Korrespondenztheorie hinaus, die sich vor allem gegen die Idealisten abgrenzt, indem sie deren mangelnde Kohärenz mit ‚wirklichen‘ Entwicklungen nachweist.
Dieser Streit, was und wie ‚Felsen‘ als Konstrukte von Wirklichkeit sind, wird durch die Thesen (A) und (B) aber schon merkwürdig eingeleitet. Zunächst steckt in (A) ja bereits eine Art Naturalisierung der Erkenntnis, denn von dem Konstrukt Felsen ist nur aus der Position der Wahrheit die Rede, nicht aber von den Beobachtern, die dieses Konstrukt im Blick auf spezifische Leistungen (z.B. sinnliche Wahrnehmung oder Sprache) gebrauchen. Hier wird bereits ein Realismus (intern oder extern) vorausgesetzt, der eigentlich erst später zum begründenden Thema wird. Noch schwieriger gestaltet sich (B). Welche Beobachter definieren wann einen Abschluss der Forschung? Nur die jeweils erfolgreich operierende Verständigungsgemeinschaft kann sich ihrer Konstrukte sicher sein. Dies mag bei Felsen noch die Sicherheit vieler Menschen so lange garantieren, wie der Abschluss durch sprachliche Normierung ungefährdet erscheint (z.B. „steht im Duden“, „ist eindeutig Handlungen in der Welt zuordenbar“). Aber dies wird stets dann heikel, wenn der Abschluss zur wissenschaftlichen Norm und mithin zu einem System symbolischen Denkens wird, das uns auf eine Denkrichtung hin festlegt. Solche Abschlüsse erweisen sich in menschlichen Handlungen stets als Dogmatisierungen und auf lange Sicht als Stillstand des Denkens überhaupt.
Peirce nun steht eigentümlich in der Spannung zwischen Idealismus und Physikalismus, wie Rorty zutreffend herausarbeitet. Er will die Position (D) im Sinne von (B) retten. Dabei betont er, dass die „Wirklichkeit“ das ist, was wir nach Abschluss unserer Forschungen herausgefunden haben. Die Kohärenz wird damit auf eine Korrespondenz mit der Wirklichkeit, wie sie denn durch die Fundierung mittels empirischer For­schungen erscheint, zurückgeführt. Gleichwohl ist dies keine naive Entsprechung, denn Peirce muss die Bedeutung von Kohärenzen zugeben. Seine eigene Forschung führt ihn dazu, umfassende Instrumentarien zu entwickeln, solche Kohärenzen möglichst effektiv zu beschreiben. Dieses Unterfangen ist aber von vornherein sprachphilosophisch belastet, es ist durch und durch problematisch, denn es erweist sich als ein Weg, der im Laufe des Forschens stets misslingen wird: Gerade der Abschluss der Forschung erscheint als unlösbares Ideal einer Forschung, die sich als Forschung jedem Abschluss verweigern muss.
Gleichwohl gewinnen wir durch Peirce ein vertiefendes Verständnis des Zusammenhangs von Zeichen und Wirklichkeit, denn sein Ansatz spezifiziert die Setzungen eines kohärenten Systems, mit dem wir überhaupt so etwas wie einen Abschluss scheinen erreichen zu können. Die Momente des Gelingens und des Scheiterns dieses Anspruches hilft, den Zusammenhang von Zeichen-/Symbolbildungen und Weltkonstitution zu dekonstruieren.
Ein wesentliches Grundgerüst des sprachlichen Aufbaus ist für Peirce die Unterteilung der Zeichen in Ikon, Index und Symbol (vgl. z.B. Peirce 1983, 64 ff.). Ein Ikon stellt eine Erstheit dar, was bedeutet, dass es nicht notwendig in einer existenziellen Beziehung zu seinem Objekt, das es bezeichnen soll, stehen muss. Ein reines Ikon, das kann beispielsweise ausschließlich in der Fantasie existieren. Nehmen wir als Beispiel ein Dreieck, das in unserem Geist ein Bild darstellt. Dieses Dreieck erscheint als Repräsentation von allem, was ihm ähnlich sein mag, weil und insofern es die Qualität der Dreieckigkeit besitzt. Ikons erscheinen als Bilder. Es gibt aber auch Ikons, die eine Legende oder ein Namensschild tragen, wie Peirce sagt. Ein Index steht in einer Zweitheit, weil seine zeichenkonstitutive Beschaffenheit immer eine Relation zu einem Objekt bedingt. Es ist hier notwendig, dass das indizierte Objekt tatsächlich vorhanden ist. Alle sprachlichen Ausdrücke, aber auch Gesten, die etwas bezeichnen, was als Objekt durch die Bezeichnung markiert wird, verweisen auf ein Index. Ein Symbol hingegen gewinnt seine zeichenkonstitutive Bedeutung aus dem Umstand, dass es in einer Drittheit steht. Dies bedeutet, dass es interpretiert werden kann. Dies kann kein Zeichen mehr sein, das als rein individuelles oder singuläres Vorstellen gilt (Erstheit) oder bloß eine Bezeichnung in einem Moment feststellt (Zweitheit), sondern bedingt, dass die Konditionen selbst, die das Sprechen und Bezeichnen von Zeichen und Objekten erforderlich machen, festgelegt werden. Hier muss wiederholbar und für jedermann, der an einer sprachlichen Verständigung teilnimmt, eine Verallgemeinerung zur Grundlage der Verständigung über Zeichen werden. Symbole sind solch allgemeine Zeichen, die gesetzmäßigen Charakter für Peirce tragen. „Ein Wort kann mit dem Urteil eines Gerichts verglichen werden. Es ist nicht selbst der rechte Arm des Sheriffs, doch ist es fähig, sich einen Sheriff zu schaffen und seinem Arm den Mut und die Energie zu verleihen, die ihn wirksam werden lässt. Ist dies nicht für das Urteil des Gerichts im strikten Sinne wahr, ohne jede Metaphorik? Dies zu leugnen würde bedeuten, eine der prinzipiellen Wahrheiten des Lebens zu ignorieren. Aber das Urteil des Gerichtes ist nichts anderes als ein Symbol, und es besitzt keine andere Art von Wirkung als jene, welche zu einem gewissen Grade jedem genuinen Symbol gehört.“ (Ebd., 66 f.)
Für Peirce kann also auf dreierlei Weise ein Unterschied im Bezug eines Zeichens zu Objekten entstehen und zu einer zeichenkonstitutiven Bedeutung werden. Aber hierin bleibt immer ein Riss, eine Spaltung zwischen dem unmittelbaren Objekt, das als Idee oder Vorstellung vom Objekt sich zeichenintern ausdrücken lässt, und dem „realen“ und dynamischen Objekt, das für die Zeichen extern ist und unabhängig von ihnen kausal auf sie einwirkt.59
Hier nun greift ein erster Einwand: Bei Peirce ist keine Beobachtertheorie vorhanden, die die Verbindung zwischen beiden herstellt. Er versuchte, Erkenntnisse der Phäno­menologie für die Konstruktion der Semiotik zu nutzen. Dabei bediente er sich selbst eines konstruktiven Verfahrens, das sowohl in der triadischen Struktur von Ikon, Index und Symbolen eine Einordnung erlaubt, als auch eine Art phänomenologische Abstraktion durchführen lässt, die nicht nur auf äußere Wahrnehmungen schließt, sondern auch innere Erfahrungen wie Träume, Halluzinationen bzw. Imaginationen zu ihrem Gegenstandsfeld erheben kann. Wie geht er methodologisch vor? Peirce setzt Unterschiede auf einer symbolischen Ebene der Beobachtung, indem er sprachliche Funktionen als logische Kategorien behauptet. So entsteht die Unterscheidung von Ikon, Index und Symbol. Sie ist ein Konstrukt, das sich in den pragmatischen Anwendungen einer Verständigungsgemeinschaft vor allem von Sprachforschern bewährt oder zu bewähren hat. Ein Beispiel soll dies erläutern.
Wie können wir unsere sprachlichen Äußerungen in ihrer Logik präzisieren? Wir können dies, wenn wir pragmatisch nach Funktions- und Verwendungsweisen suchen. So kommt Peirce zu folgenden Unterscheidungen: Dissoziation, Präzisierung und Diskriminierung dienen zur logischen Herleitung möglicher Funktionsweisen von Ausdrücken. Die Dissoziation stellt die Vorstellbarkeit eines Begriffes dar, wenn er ohne einen anderen vorstellbar erscheint. Die Präzisierung drückt aus, dass ein Begriff dann gegenüber einem anderen präzisierbar ist, wenn er ohne den anderen logisch möglich ist. Die Diskriminierung verweist darauf, dass ein Begriff ohne einen anderen dargestellt werden kann. Peirce hatte den gemeinten Sachverhalt mit folgendem Diagramm verdeutlicht (vgl. Pape 1989, 470):

 

 Blau
 ohne
 Rot

 Raum
 ohne
 Farbe

 Farbe
 ohne
 Raum

 Rot
 ohne
 Farbe

  Diskriminierung

  0

  0

  0

  X

  Präzisierung

  0

  0

  X

  X

  Dissoziation

  0

  X

  X

  X

 
 0 = ist vorstellbar und logisch möglich ohne Verweis auf
 X = ist ohne Verweis auf logisch unmöglich vorstellbar

Dissoziativ kann ich blau ohne rot vorstellen, aber keinen Raum ohne Farbe, keine Farbe ohne Raum, kein blau (oder eine andere beliebige Farbe) ohne Farbe. Der Beobachter ist also in dieser sprachlichen Logik nicht frei in seinen Dissoziationen, sondern in einem symbolischen Sprachnetz gefangen. Es ist allerdings ein konstruiertes Sprachnetz, das Peirce uns ausgeworfen hat. Die Präzisierung lässt dem Beobachter eine Freiheit mehr, denn es ist logisch möglich, blau ohne rot und Raum ohne Farbe auszudrücken, aber logisch unmöglich, Farbe ohne Raum und Farbe ohne Farbe zu definieren. Schließlich bleibt für die Diskriminierung die Farbe als Farbe notwendig. Der Beobachter erhält hier ein logisches Unterscheidungskonstrukt, mit dem er sprachpragmatische Analysen betreiben kann.
Die Einteilung von Peirce scheint logisch. Aber die Konstruktion dieser Logik ist nur insoweit folgerichtig, wie man die Prämissen, die von ihm gewählt werden, selbst zugrunde legt. Insbesondere kann durch diese Methode die Universalisierung von Kategorien, eine Vorgängigkeit von logischer Festgelegtheit von Zusammenhängen nicht begründet werden. Hier gibt es auch zu Peirce widerstreitende Verfahrensvorschläge. Andererseits kann solch ein Verfahren durchaus von Vorteil sein, wenn Objektbezüge kategorial erschlossen werden sollen. Aber aus einer anderen Beobachterperspektive benötigen wir andere Unterscheidungen. Es hängt ganz und gar von der jeweiligen Verständigungsgemeinschaft ab, welche Unterscheidungen für welche Zwecke gelten sollen. Die Suche nach der gerechtfertigten Behauptbarkeit, die John Dewey für wissenschaftliche Handlungen fordert, ist also notwendig mit den jeweiligen Kontexten zu verbinden, in denen sie handelnd geschieht.
Dann bleibt uns noch die weitere Festlegung, dass das vorgeschlagene Verfahren für möglichst viele Vorgänge von Nutzen sein soll. Aber bei etlichen Interpretationen greifen die Unterscheidungen, die uns Peirce vorschlägt, nicht mehr in der Eindeutigkeit, wie wir sie z.B. für das Verhältnis von Farbe und Raum vornehmen können. Die Unterscheidungen sind bloß ein logisches Spiel, ein Sprachspiel, mit einer bevorzugt symbolischen Sichtweise. Sie sind vom Subjekt gereinigt, das die Zeichen durch Begehren vereinnahmt und ihnen imaginäre Erlebnisse und Ereignisse zuweist, die hier nicht in den Blick genommen werden. Mit der bloß symbolischen Sicht einer Kategorien- und sprachlichen Schubladenlehre wird eine imaginäre Verknüpfung nach ihren und in ihren widersprüchlichen Sichtweisen verunmöglicht. Auch eine diskriminierte Darstellung wird so nur für den Beobachter möglich, der diese symbolische Setzung teilt, der sich eine kategoriale Trennung vorstellen kann.60 Damit aber unterliegen die Verfahren der Abstraktion einer kategorial kausalen Zuschreibung, die als Konstruktion auf semiotische Eindeutigkeit dringt. Solches Drängen ist für die Sprachphilosophie, die Aufrichtung der Semiotik, sicherlich notwendig, und dies kann auch wichtig für eine Beobachtertheorie werden, die versuchen will, kategoriale Schärfe in vermeintlich unscharfe Zusammenhänge zu bringen. Bewusst bleiben muss man sich jedoch des Umstandes, dass solche Phänomenologie, wie sie Peirce uns vorschlägt, keinen Anspruch auf Repräsentation einer Wahrheit, die außerhalb der Imagination und des Diskurses der hier bevorzugten Verständigungsgemeinschaft liegt, erbringen kann. „Die sogenannte phänomenologische Begründung der Kategorien kann keine Begründung, sondern nur ein Verfahren für das Aufweisen von Exemplifizierungen der Kategorien liefern.“ (Pape 1989, 472) Für eine Beobachtertheorie bedeutet dies, dass ein solches Verfahren eine Art Handlungsanweisung für die Konstruktion eigener Erfahrungen darstellt, eine Art inhaltlicher Meta-Kommunikation61, die im übrigen beliebig erweitert oder auch verändert werden könnte. Die Notwendigkeit der Konstruktionen von Peirce kann sich auch nur in ihrem Erfolg für die Analyse bestimmter Zusammenhänge erweisen. So suchen wir durch Unterscheidungen die Realität und finden doch zunächst nur unsere Konstruktionen. Aber auch der Umkehrschluss gilt: Solche eindeutigen Konstruktionen benötigen wir, um überhaupt Verständigung und Erfolge zu erzielen.
Für Peirce ist die Evidenz der Beobachtung der Ursprung aller seiner kategorialen Unterscheidungen. Aus ihnen hat er die Begriffe Erstheit, Zweitheit und Drittheit gewonnen, die helfen sollen, Bereiche unserer Beobachtung zu klassifizieren. Die Erstheit stellt jene monadischen Begriffe von etwas dar, die von allen anderen Ganzheiten unabhängig sind. Die Zweitheiten sind dyadische Begriffe, die das Verhältnis zweier Ganzheiten umschreiben, die von einer dritten unabhängig sind. Die Drittheit repräsentiert eine triadische Ganzheit, die die Verhältnisse zwischen zwei Ganzheiten erzeugt.
Das Schema von Erstheit, Zweitheit und Drittheit bei Peirce schließt eine aufsteigende Ordnung von Seinsweisen ein, die hierarchisch geordnet erscheinen (Pape 1989, 76):

    Kategorie

Seinsweise

konstitutive Relation

(1.)  Erstheit ist enthalten in:

(2.)  Zweitheit ist enthalten in:

(3.)  Drittheit

Reale Möglichkeit

Existenz

Realität

Relationen der Inhärenz

Genuin dyadische Relationen

Universal kontinuierliche Relationen

Wenn wir dieses Schema von unten nach oben lesen, so erkennen wir, dass alles, was real ist, auch existiert, dass alles, was existiert, eine reale Möglichkeit beinhaltet. Die konstitutiven Relationen geben an, dass die Erstheit als monadische eine Relation der Inhärenz einschließt, die Zweitheit eine genuin dyadische Relation darstellt und die Drittheit universal kontinuierliche Relationen umfasst. Solche Universalisierungen in der Drittheit geben an, dass wir hier Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis haben, die wir immer dann, wenn wir sie als Realität bezeichnen, auch universal erfahren müssen. Damit aber ist ein Postulat für eine sich wechselseitig anerkennende Verständigungsgemeinschaft erhoben, die solche Universalisierung auch erlaubt.
Nehmen wir einfache Beispiele, um diese Kategorienlehre zu illustrieren. Wenn ein beliebiges Individuum in einer Art Privatsprache einem bestimmten Objekt einen bestimmten rein subjektiv gewählten Namen gibt, der keinerlei Relevanz für andere beinhaltet, weil niemand Anderes ihn kennt, dann haben wir die reale Möglichkeit eines Zeichens, das zugleich ohne Bedeutung für Andere bleibt, also inhärent in dieser einen Aktion der Zuschreibung verwurzelt ist. Von seiner Existenz erfährt ein Anderer erst dadurch, dass es mitgeteilt wird, was immer eine dyadische Struktur im Blick auf Beziehungen voraussetzen würde. Damit ist eine universale Realität aber noch nicht erreicht, denn erst wenn wir Drittheit erreichen, d.h. über die dyadische Struktur hinaus auch Anderen Mitteilung erlaubt wird und dieser Mitteilungscharakter verallgemeinert werden kann, erst dann wird von einer Wirklichkeit im Sinne von Verallgemeinerung die Rede sein können.
Das Problem der Drittheit liegt allerdings darin, dass wir doch nie ganz ausmachen können, wie viele Beziehungen erforderlich sind, um dieses Maß an symbolisch vermittelter Realität universal zu erreichen. Hier habe ich einen Perspektivwechsel gewählt, um auf ein Problem dieser Drei-Welten-Theorie aufmerksam zu machen: Ich habe bewusst die menschlichen Beziehungen, die interpersonellen und interaktiven Vorgänge in den Vordergrund gerückt, sie vor den Zeichenprozess gestellt. Der Mensch ist für Peirce selbst Zeichen und sein Handeln ist Zeichen. Aber dies ist eine sehr allgemeine Positionierung. In dieser bezieht Peirce die Kategorien Erstheit, Zweitheit und Drittheit auf das Zeichen selbst. In diesem liegt eine Entität beschlossen, die sprachlich dazu führt, dass im Gebrauch der Dinge Erstheit, Zweitheit und Drittheit erzeugt wird. Nun ist es aber nicht möglich eine solche Bestimmung unabhängig von den einge­gangenen Beziehungen, die zwar sprachlich, aber eben auch vielfältig anders, vermittelt sind, zu erörtern. Insoweit wir aber die Beziehungswirklichkeit einschließen, sehen wir, dass sprachliche Prozesse sehr komplexer Natur sind.62 So werden Kindern in ihrem Lernprozess die Erst­heiten über Zweitheiten über Deutungen von Drittheit vermittelt, d.h. das Kind erlernt aus der Existenz von Zeichen, die ihm in seiner Sozialisation vermittelt werden, auf Realität zu schließen. Wir könnten dann auch sagen, dass das, was existiert, bereits für dieses Kind Realität ist, dieses jedoch, um Peirce und seiner Intention zu entsprechen, im Sinne eines stark an die (soziale) Aktion des Erlernens gebundenen Wissens. So fern liegt dieser Gedanke gar nicht vom Konstruktivismus Piagets, mit dem ich noch zu erörtern habe, wie sich Begriffe herausbilden.
Für eine Verständigungsgemeinschaft ist es notwendig, den Maßstab der Realität in der Drittheit zu erreichen, indem sie sprachliche Grundgesetzmäßigkeiten an alle Mitglieder der Verständigungsgemeinschaft vermittelt und voraussetzt. Insoweit benötigt eine Verständigungsgemeinschaft die Universalität kontinuierlicher Relationen, die aber zugleich durch die widersprüchlichen Interessengruppen, Ethnien und (Sub-)Kulturen, Bildungsschichten und Spezialisierungsmöglichkeiten in einer solchen Gesellschaft in Frage gestellt sind. Drittheit ist im Sinne von Fachsprachen, von speziellen Sprachregelungen und Verständigungsdiskursen ein Konstrukt der Unübersichtlichkeit geworden, so dass der universalistische Anspruch in ein Stückwerk von Sprachspielen und in einen gemeinsamen Kontext von Bedeutungsvarianten zerfällt.63
Mit diesen kategorialen Unterscheidungen, deren logische Schlüssigkeit ich hier nicht weiter untersuchen will, hat Peirce eine Theorie konstruiert, die sprachliche Beobachtungen auf ihre Grundelemente zurückzuführen versucht. Die monadische Existenz der Erstheit verweist uns auf das schon erörterte Problem des Eins, jenes absoluten Beginns, der unabhängig von anderen zu gelten scheint. Gleichwohl verflüssigt sich diese Unabhängigkeit durch die vielen Auchs, die, insbesondere in den Wechselspielen zwischen Zweitheit und Drittheit, die allem symbolischen Denken, ja Denken schlechthin zukommt, ausgedrückt wird.
Das Denken umschließt Bedeutungen von Worten und Begriffen, es kann sich auf reale äußere Dinge beziehen wie auch auf imaginäre Vorstellungen, gleichzeitig jedoch ist das Denken – so Peirce – nicht in einem Augenblick gegenwärtig, sondern etwas, dem das jeweilige Bewusstsein sich anzupassen verstehen muss, eine Art Verhaltensweise, von der aus reguliert und konstruiert wird, was dem Bewusstsein als Existenz erscheint. Insoweit findet man bei Peirce eine Ausdifferenzierung des von mir angedeuteten Zusammenhangs zwischen Eins und Auch, der bei ihm kategorial differenziert und beispielhaft belegt wird. Wenn das Denken durch die Drittheit gekennzeichnet ist, so berücksichtigt er zugleich, dass diese Drittheit durch die Zweitheit präzisiert wird, dass die Zweitheit durch die Erstheit präzisiert wird. Peirce konstruiert damit eine Ordnung der Zeichen, die deutlich macht, dass das Absolutum der Erstheit, wie immer es auch konstruktiv in das Denken des Menschen gelangte, eine notwendige Basis für Prä­zisierungen von Konstruktionen bereitstellt. Ohne solche monadischen Ausgangspunkte wäre es kaum möglich, Unterscheidungen zu treffen, die zu einer Verflüssigung des Denkens, zu einem Denken in triadischen Schritten, führt. Auch der Umkehrschluss gilt. Habe ich eine Erstheit, so kann ich hieraus keine Zweitheit gewinnen, habe ich eine Zweitheit, so kann ich hieraus keine Drittheit ableiten. Die sprachliche Welt erzeugt sich nicht aus ihren Monaden, sie erzeugt sich weder aus ihren Erstheiten noch Zweitheiten, sondern ist für das „Bewusstsein“ ein schon in Drittheit je existierender Zusammenhang. Es wäre unmöglich, kausal zu beschreiben, wie die Erst- und Zweit­heiten zustande gekommen sind. Es ist aber möglich, aus vorhandener Drittheit, aus Zusammenhängen von miteinander verbundenen Zeichen und Begriffen, Erst- und Zweitheit zu präzisieren. In sprachlicher Hinsicht ist eine solche Präzisierung immer eine Rekonstruktion von Zusammenhängen. Als Rekonstruktion ist sie zugleich Kon­struktion einer Kategorienlehre, die versucht, auf grundlegende Elemente der Reprä­sentation von Objekten äußerer oder innerer Natur zurückzuschließen. Solch ein Rückschluss ist allerdings stark durch die Regeln der Beobachtung des beobachtenden Systems selbst definiert. Sie ist damit eine Konstruktion eines Beobachters, der sich Regeln erfindet, um Drittheit zu erfassen, Zweitheit zu erschließen und Erstheit zu formulieren. Dies ist nicht weit von Hegels Dreischritt entfernt, der These und Antithese gegenüberstellt, um daraus eine Synthese abzuleiten. Im Umkehrschluss kann aus jeder Synthese die ihr zugrunde liegende These und Antithese rekonstruiert werden. Es ist dies ein dialektisches Analyseverfahren, das immer dann besonders erfolgreich ist, wenn Entwicklungsprozesse nachkonstruiert werden sollen. Nicht zu vergessen aber ist bei dieser Nachkonstruktion der konstruktive Anteil des Beobachters, der immer auch eine Neukonstruktion von Wirklichkeit erzeugt. Hier ist es entscheidend zu erkennen, dass nicht Wirklichkeiten an sich abgebildet werden, sondern dass die Konstruktivität von Beobachtung immer nur Konstruktion für ein beobachtendes System sein kann, das sich nach seinen Vorannahmen seine Wirklichkeit bildet bzw. erfindet. Die äußeren Anlasspunkte für solche Wirklichkeit, die Erfahrung, in die solche Konstruktionen eingebettet sind, verbleibt als interpersonelle Basis einer Verständigungsgemeinschaft, die an diese Realität glaubt und ihr einen empirischen Wahrheitsgehalt zumisst. Nehmen wir solche Verständigungsgemeinschaften in the long run als Versuche der Integration in ein umfassend reflektiertes System, so scheint alles in der Tat auf einen möglichen Abschluss der Forschung hinauszulaufen. Aber die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (Thomas S. Kuhn) zeigt immer wieder das Gegenteil an: Verwerfungen, Brüche, Vergessen und Verdrängungen sind im Nach- und Nebeneinander wissenschaftlicher Strömungen ebenso vorkommend wie die immer neu einsetzenden Versuche, alles noch einmal durch die Brille einer weiteren Theorieschule neu zu sehen. Davon übrigens ist der Konstruktivismus gar nicht ausgenommen.
Für Peirce sind die Kategorien phänomenologisch nur eindeutig bestimmbar, wenn sie Gegenstände menschlicher Erfahrung sind. Dabei möchte er diese Erfahrung selbst zum Ausgangspunkt einer universellen Bestimmung solcher Kategorien machen. Für eine konstruktivistische Beobachtertheorie stellen sich hier zwei Fragen – zunächst: In­wie­weit können die Kategorien überhaupt Gegenstände der Erfahrung sein? Für Peirce können sie Gegenstände solcher Erfahrungen sein, weil sie ihm als unzerlegbare Elemente dessen erscheinen, was aller menschlichen Erfahrung gemeinsam zugrunde liegt. Nur so kann Peirce auch die Logik einer geordneten Welt nach Erstheit, Zweitheit und Drittheit ableiten, in der für die fortschreitende Komplexität jeweils die weniger komplexe Kategorie vorausgesetzt ist. Dieses elementarisierende Denken setzt jedoch einen Gültigkeitsraum voraus, der in einer Beobachtungswirklichkeit im engeren Sinne bleibt und die Beziehungswirklichkeit, jegliche Form von Psychologisierung, ausschließt. Peirce muss ganz im Sachverhalt der Sprache verbleiben, um diese Lösung zu finden. Daraus entsteht die zweite Frage: Inwieweit kann diese Lösung damit aber einen universellen Anspruch erfüllen? Sie kann es nur, wenn sie aus dem widersprüchlichen Raum Sprache eine Vereinheitlichung sich als Beobachtung gewinnt, die die sprachlichen Komponenten weniger aus ihrem widersprüchlichen und interessebezogenen menschlichen Gebrauch her definiert, sondern vielmehr aus der Logik einer Beobachtung im engeren Sinne, die eine Eindeutigkeit der beschriebenen Begriffe und Texte gewinnt. Dann aber bleibt der Zweifel, inwieweit ein phänomenologisches Herangehen, wie es Peirce praktiziert, überhaupt universelle kategoriale Ansprüche entwickeln kann, da seine Phänomenologie selbst nur subjektive Geltung von begrenzten Verständigungsgemeinschaften mit ihrer begrenzenden Methode erreicht. Die Forderung, dass die Phänomenologie „die richtige kategoriale Struktur unserer Erfahrung dann und nur dann entdeckt, wenn aus den Kategorien und der Weise ihrer Ordnung eine universale Theorie der Darstellung abgeleitet werden kann“ (Pape 1989, 406), kann nicht erfüllt werden. Sie kann ihre Erfüllung ja nur für den Bereich der Semiotik gewinnen, wenn eine semiotische Verständigungsgemeinschaft solche Universalität in den Grenzen ihrer konstruktiven Aufgaben für eine gewisse Zeit anerkennen will, aber sie wird vom phänomenologischen Begründungsansatz her ad absurdum geführt, wenn sie diese Zeit ihres Gebrauchs selbst zur Universalie erklären müsste.64 Peirce hatte in seinen anthropologischen Studien erkannt, dass die Erlebnisse z.B. von Kindern, die beobachten, dass ihre eigenen Vermutungen an der Realität scheitern können, d.h. insbesondere an den Aussagen anderer Personen, der Eltern, der Erwachsenen scheitern, Veranlassung dafür sind, ein Selbst und ein Ich in der inneren Psyche zu unterscheiden, wobei dem Ich die Rolle zugeschrieben werden kann, Quelle des Irrtums zu sein. Dieser Gedanke, der insbesondere von Mead weitergeführt wurde, was ich weiter unten noch diskutieren werde, wird von Peirce in seiner Bedeutung für die indexikalische Seite von Sprache betont (vgl. Pape 1989, 51 ff.). Als Bestimmung einer solchen Theorie erscheint folgende These: „Die Bezeichnung der Existenz eines Subjekts ist nur dadurch möglich, dass ein Subjekt sich durch die Verwendung von „ich“ und anderer indexikalischer Zeichen in Bezug auf die Gehalte seiner Erfahrung selbst lokalisiert.“ (Ebd., 57) Damit ist eine Grundbedingung des Bezugs auf sich selbst und alle anderen Objektivationen, die durch Zeichen indexikalisch bezeichnet sind, geleistet worden. Wie aber kommen solche indexikalischen Listen zustande? Peirce erkennt hier, dass es keine voraussetzungsfreie Theorie geben kann, die eine solche Zeichenliste konstituiert. Hier wird die Gefahr eines bloßen Subjektivismus, einer direkten Gleichsetzung von Lebenswelt und ihren kommunikativen Inhalten mit dem Index dessen, was ein Ich zum Vergleich heranziehen kann, gesehen. Die darin wurzelnde Beliebigkeit von Tatsachen, Einsichten und Verhaltensweisen ließe sich nur dann korrigieren, wenn in ihnen eine Konstruktion allgemein gültiger Erfahrung gegenüber der beliebigen, zufälligen, individuellen Erfahrung feststellbar wäre. Aber eine solche Theorie lässt sich nicht aus sprachphilosophischen Gesichtspunkten gewinnen. Zwar verleitet die Sprache dazu, in ihr selbst eine Allgemeingültigkeit zu vermuten, die wie bei Peirce kategorial eingefangen werden soll, aber der sprachliche Gebrauch in den Beziehungsgeflechten von Menschen, in unterschiedlichsten Kulturen, führte alle Annahmen von Universalisierungen immer auch an ihre Grenzen. Diese Grenzen bedeuten nicht, dass es nicht möglich wäre, Konstruktionen von hoher allgemeiner Gültigkeit einzusetzen. Aber solche Gültigkeit ist immer durch die Verständigungsgemeinschaft und ihren Gebrauch selbst definiert, die diese Gültigkeit für sich anzuerkennen geneigt ist. Gleichwohl benötigt jede Verständigungsgemeinschaft jenen absoluten sprachlichen Ausgangspunkt, der in einem Eins wurzelt, sich auf eine Monade zurückzieht, um damit überhaupt erst Zweitheit und Drittheit sich unterscheiden, um damit denkerische Plausibilität und Verständigung überhaupt gewinnen zu können. Dennoch ist die Vereinbarung eines solchen Eins, die Rekonstruktion einer solchen Monade, die Gültigkeit eines letzten Wissens immer ein Produkt und Konstrukt dieser Verständigungsgemeinschaft selbst und bleibt deren konventionellen Regeln unterworfen. Insoweit greifen im Prozess der Zeichenbildung konstruktive und rekonstruktive Aufgaben ineinander, und ein äußerer Beobachter kann diesen gegenüber ständige Veränderungsprozesse feststellen. Wie anders wäre es sonst erklärlich, dass sich das sprachliche Verhalten im Blick auf das Eins, im Blick auf die Monaden und Erstheiten ständig in Veränderung befindet, dass es einen Wandel von Begriffen und ihren konventionellen Konnotationen gibt, dass Sprache selbst eine Lebendigkeit darstellt, die mit dem Leben der Menschen verbunden ist?65 Mit Peirce ist besonders bewusst geworden, dass das Zeichensystem sich selbst entwickelt. Es kann dies eine eigene Dynamik entfalten, die insbesondere durch kategoriale Analysen erschließbar wird. Insoweit sind die Kategorien von Peirce sehr brauchbar, wenn es darum geht, die Schichten überlagernder Lernprozesse zu rekonstruieren, um sie durch Vergleich beobachtbar und beschreibbar werden zu lassen. Dadurch hat Peirce Vorannahmen geliefert, die für eine Beobachtertheorie wesentlich sind. Wann immer wir beobachten, dann müssen wir unterstellen, dass wir eine Beobachtungstheorie mit gewissen Grundregeln voraussetzen, von der aus wir rekonstruktiv Sachverhalte und Ereignisse aufzuklären versuchen. Wenn es z.B. bei Feyerabend und Kuhn heißt, dass man zueinander konkurrierende Theorien nicht miteinander vergleichen kann, dann muss bewusst bleiben, dass diese Unvergleichbarkeit immer nur aus einer Beobachtungstheorie, die die Kontrahenten dennoch in ihrer Unvergleichbarkeit miteinander in Beziehung setzt, zu beobachten ist.66 Für eine solche Beobachtungsperspektive wird die Abduktion wichtig. Abduktion nennt Peirce den Entwurf erklärender Hypothesen, die die persönlichen Erfahrungen des Individuums innovativ verallgemeinern. Welche Identität gewinnt das Subjekt gegenüber einer solchen Beobachtungstheorie? „Die Einführung einer indexikalischen, doch intersubjektiven Sprache für unsere Erfahrungen verleiht dem semiotischen Subjekt das Mittel, um einen Zusammenhang zwischen Allgemeinen – der Form des Zeichens – und Konkreten – der Existenz der einzelnen Zeichenvorkommnisse – herzustellen, der für die Bildung seiner Identität und seines Selbstbewusstseins konstitutiv ist. Abduktion und Verallgemeinerung (Abstraktion) werden so zu Mitteln, mit denen das semiotische Subjekt seine Identität entwirft.“ (Pape 1989, 63) Die Abduktion tritt so zu den Möglichkeiten der Verallgemeinerung, die durch Induktion oder Deduktion erreichbar erscheinen, hinzu. Alle drei Möglichkeiten aber setzen eine Beobachungstheorie voraus, für die implizite Bedingungen bei Peirce genannt sind.
Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass dabei der Anspruch auf Universalität bloß ein Anspruch nach Konstruktivität in einer möglichst lange anhaltenden Diskurs- oder Verständigungsgemeinschaft darstellt. Im Nachhinein aber sieht man erst, wie lange dies dauerte. Insoweit reicht es nicht aus zu beschreiben, dass die indexikalische Zeichenfunktion, die nach Peirce auf die Erfahrung der empirischen Subjekte abhebt, die Erfahrung des Subjekts voraussetzt, Formen und Verwendungszusammenhänge von Zeichen möglich zu machen. Diese Übertragbarkeit auf die subjektiven Verhaltensweisen und ihre Erfahrungen ist zwar ein wesentlicher Gesichtspunkt, der aber hinsichtlich der Erfahrungsmöglichkeiten dieses Subjekts in seiner sprachlichen Reduktion auch zu speziell bleiben wird. Sprache wird hier wie ein Objekt der Beobachtung in einem engeren Sinne aufgefasst, aber Sprache ist auch, wie ich noch ausführlich diskutieren werde, in Modelle des Selbst und des Anderen, des Bewussten und Unbewussten eingebettet, um darin Formen und Verwendungsweisen von Zeichen zu konstruieren, zu entwickeln, zu verändern.
Für Peirce gibt es eine Sprache mit einer bestimmten Ordnung von Zeichenfunktionen. Dies bedeutet aber nicht die Existenz einer solchen Ordnung unabhängig vom Menschen. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die Individualität von Zeichen begrenzt sein muss. „Denn dies Zeichen muss in der Lage sein, wieder und wieder aufzutreten. Diese Wiederholungen existieren, da das Symbol selbst ihre Existenz beherrscht. Ein Wort kann unbegrenzt oft wiederholt werden. Jedes seiner Vorkommnisse kann man als eine Replika dieses Wortes bezeichnen. Das Sein des Wortes selbst besteht in der Gewissheit (die sich der Konvention verdankt), dass eine Replika, die aus einer Folge von Lauten eines gegebenen Typus zusammengesetzt ist, im Geist eine äquivalente Replika hervorruft. Ein Symbol ist also ein allgemeines Zeichen, und als solche hat es die Seinsweise einer Gesetzmäßigkeit (im wissenschaftlichen Sinne).“ (Peirce 1983, 66; vgl. auch Pape 1989, 92).
Das Symbol erscheint also für Peirce als eine konventionelle Form von konstruierter Wirklichkeit, die gleichwohl Gesetzmäßigkeit erreicht. Solche Gesetzmäßigkeit wird durch die Konvention selbst herstellbar sein müssen, so dass die Universalität von Symbolen, die eine allgemeine Gültigkeit voraussetzt, für jene Menschen gilt, die sich darüber – bewusst oder unbewusst – verständigt haben.67
Auch Peirce stellt sich das Problem der Erfahrung eines unmittelbaren Objekts im Zeichenprozess. Alle körperlichen Symptome z.B. scheinen auf die Bildung eines solchen unmittelbaren Objekts des Zeichens hinzudeuten, so dass sich daraus ein genuiner Index zu ergeben scheint. Das aber deutet in der indexikalischen Struktur schon wieder auf Beweis und Auffindungsregeln von Zeichen, Ereignissen und ihre Interpretation hin, die in ein Verhältnis zu der unmittelbar erscheinenden Sinnlichkeit des Ereignisses selbst oder des Objektes gesetzt werden. Peirce unterscheidet das unmittelbare Objekt von einem realen Objekt, wobei das unmittelbare Objekt eine Vorstellung oder Idee ausdrückt, auf der ein Zeichen aufbaut, das reale Objekt, wenn es einen realen Umstand gibt, auf dem die Idee wie auf einem Fundament aufruht. Eine solche Unterscheidung wird auch im Alltagsbewusstsein intuitiv vorgenommen. So wissen wir immer wieder deutlich zwischen den Ideen der unmittelbaren Objekte, die imaginativ verankert sind, und den realen Verhältnissen und Objekten zu unterscheiden, die wir direkt sinnlich vorfinden und anfassen können. Gleichwohl ist der Gedanke des Aufruhens nicht unproblematisch, denn die Kräfte der Imagination können wie eine Wirklichkeit erscheinen, die tatsächlich und real wirkt, Imaginationen können sich auch materialisieren und dann als reale Umstände mit Beweiskraft auf das Individuum zurückwirken. So mag Gott nur ein unmittelbares Objekt sein, wenn ich mich ihm zuwende, aber er wird zu einem realen Ding, wenn er sich in der Kirche und ihren Bauwerken manifestiert und durch Personen oder projektiv erfahrene Wunder repräsentiert wird. Insoweit aber sind unmittelbare Objekte und reale Dinge oder Umstände durch die konstruktiven Beobachtungen miteinander vermittelt und werden in den Konventionen einer Verständigungsgemeinschaft entschieden. Es bleibt in jedem Einzelfall immer eine Frage der Beobachtungstheorie, des Beobachters selbst, inwieweit diese Unterscheidung Relevanz gewinnt und für die empirische Geltung von Aussagen schlüssig herangezogen werden kann. Insoweit führt die Regelung, die Peirce vorschlägt, dass das unmittelbare Objekt auf den realen Dingen basieren soll, in die Irre, denn sie muss Elemente der Realität selbst unterstellen, die eine Unabhängigkeit von den Konstruk­tionen eines Beobachters bedingen. Eine solche Unabhängigkeit aber ist aus konstruktivistischer Sicht nicht hinreichend begründbar. Dennoch werde ich diese Unterscheidung benutzen müssen, um innerhalb der empirischen Regeln der Verständigungsgemeinschaft Gültigkeiten zu begründen oder abzuwehren. Wir benötigen immer wieder Zuflucht beim Eins gegen die vielen Auchs. Aber es ist notwendig, dies als einen Konstruktionsvorgang zu begreifen, um sich aus dem Dilemma der Begründung einer letzten Wahrheit herauszulösen. Damit aber entsteht ein neues Dilemma, das durch das Studium von Peirce nachhaltig belegt werden kann: Es bleibt auch in den Regeln einer solchen Verständigungsgemeinschaft jenes relative Absolutum erhalten, dem wir eine Erstheit zubilligen, aus dem wir eine Zweitheit der sprachlichen Gegenüberstellung ableiten, mit dem wir in Drittheit uns symbolisch vermitteln und überhaupt aussagen können. Die Begriffe stehen für etwas, sie bezeichnen, sie verallgemeinern, sie vereinfachen, sie scheinen für die Wirklichkeit selbst zu stehen, weil wir anders über Wirklichkeit uns nicht verständigen können. Wenn wir das Konstrukt von Wirklichkeit anerkennen, wenn wir bereit sind zu sehen, dass eine Konstruktion von Wirklichkeit immer auch etwas über den Konstrukteur aussagt, dann lösen wir damit aber noch nicht das Problem, dass diese Konstruktionen in der Verständigungsgemeinschaft nach Regeln der Verständigung ausgetauscht werden müssen, was den Maßstab eines Absoluten, eines Vergleichspunktes, eindeutiger Bezeichnungsregeln voraussetzt. Solche Erstheit kommt aber nie von außen, sie ist von Menschgen konstruiert, dann jedoch als Konstrukt benutzt und erscheint so als Erstheit. An solchen Eins differenzieren wir die Auchs. Insoweit konnte uns die kurze Analyse des Ansatzes von Peirce helfen, dass die Suche nach Realität immer die Abarbeitung eigener Konstruktivität einschließt. In solcher Konstruktivität aber liegt die Gefahr der Verabsolutierung einer Wirklichkeit, die zeichenhaft durchaus erfahren werden kann. So benötigen wir einen Beobachter, der sich selbst in den Zirkel zwischen Zeichen, Symbolen und Realität einschließt, um hierin Andere und sich selbst als Beobachter zu sehen und zu unterscheiden.



1.3.4.2 Foucaults „Ordnung der Dinge“ (‚les mots et les choses‘)

Michel Foucault hat aus ganz anderer Sicht die Ebene der Realität im sprachlichen Prozess differenziert. In „Die Ordnung der Dinge“ (1993 a) zeichnet er eine Archäologie der Humanwissenschaften nach, die er vor allem an den Diskursen über die Natur, das Geld (den Wert) und die Sprache belegt. Als Konsequenz, die bereits im ersten Kapitel von mir skizziert wurde, bleibt ein Beobachtungsstandpunkt, der durch Endlichkeit, Diskontinuität, Singularität gekennzeichnet ist, wenn er sich der Realität nähert. Diese Realität ist eine Ordnung der Dinge, die sich der Mensch konstruiert und die für ihn immer schon vorkonstruiert ist. Das Denken verdoppelt sich hier: Es ist Riss, Trennung von Chronologie und Geschichte, wenn es sich in seinen Ereignissen selbst singulär erfährt, zugleich aber auch Aufbau einer Chronologie und Geschichte von Subjekten, die in der Imagination eines Zusammenhangs stehen. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts haben wir nach Foucault zwei Möglichkeiten, uns unseres Ursprunges und mit diesem der Einbindung in Realität bewusst zu werden:
(1) Das moderne Denken gestattete positivistische Bemühungen, „die Chronologie des Menschen in die Dinge einzureihen, so dass die Einheit der Zeit wiederhergestellt und der Ursprung des Menschen nichts als ein Datum, nichts als eine Falte in der seriellen Abfolge der Wesen ist“ (Foucault 1993 a, 401). Hier wird der Mensch den Sachgewalten der Dinge, den Konstruktionen von Disziplinarmächten unterworfen, die als Theorieschulen Wirklichkeit verkünden und in ihren Verständigungsgemeinschaften kontrollieren und abprüfen.
(2) Das moderne Denken erlaubte aber auch umgekehrt die komplementäre Bemühung, „gemäß der Chronologie des Menschen die Erfahrung, die er mit den Dingen hat, die Kenntnisse, die er von ihnen hat, die Wissenschaften, die er so hat bilden können, in eine Linie zu bringen“ (ebd.).
Entweder wird der Ursprung des Menschen den Dingen oder die Dinge werden dem Menschen untergeordnet. Darin zeigt sich eine grundlegende Asymmetrie, die dem Denken der Moderne innewohnt. Und es zeigt sich ein Ursprungsdenken, das an eine Wurzel von Realität greifen will, die sich immer dann entzieht, wenn die Versuche universell werden. Es keimen immer neue, abgegrenzte Verständigungsgemeinschaften, die sich ihre Realität formulieren, und die beiden formulierten Grundmöglichkeiten der Zuschreibung zerfallen in unendliche Variationen bis hin zur Unstimmigkeit. Allein sind wir anmaßend, im Vergleich müssen wir bescheiden werden. Die Zeit der Realität scheint für alle gleich zu sein, aber dies ist ein Schein, denn sie wird unterschiedlich erfahren. Die Endlichkeit des je subjektiven Seins erreicht das, was eben noch Realität für alle sein sollte, um sich als Erfahrung des modernen Denkens zu begreifen.
Foucault, der die Krise dieses Denkens vor allem am Ende des 18. Jahrhunderts, am Ende des klassischen Denkens, beschrieben hat, sieht vier Perspektiven bis in die Moderne erscheinen68:

  • Die Verbindung der Positivitäten mit der Endlichkeit, wobei kein Wissen und keine Wahrheitssuche sich ewig gleich in der Zeit und der Veränderung der Erkenntnisinteressen bleiben wird;
  • die Reduplizierung des Empirischen im Transzendentalen, da es kein Sammeln von positiven Fakten außerhalb von Sinn und Konstituierung von Sinn durch transzendentale Verallgemeinerung gibt (wie immer man dies auch begrifflich denken mag69);
  • eine ständige Beziehung des „Ich denke“ zum Ungedachten, da die Vollständigkeit des Denkens in keiner Weise mehr sicher ist;
  • schließlich den Rückzug und die Wiederkehr des Ursprungs, da wir einerseits uns nicht mehr aus einem ersten, ableitbaren Ursprung her erfahren können (Auflösung des Anfangs von Geschichte), aber doch immer wieder in uns ein Ursprüngliches erfahren müssen (Sozialisation).

Diese Auflistung kann selbst nicht vollständig sein, ebenso wenig wie die Perspektiven, die uns Foucault für die Wissensumschreibungen der Humanwissenschaften liefert. Nach diesen ist die „Realität“ Mensch eine recht junge Erfindung. Er erscheint erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts – ebenso wie das Leben, die Arbeit und die Sprache – als eine Gestalt, die durch eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche herausgefordert wurde. Die Folgen der französischen Revolution, der Industriegesellschaft, wirkten hier hinein, aber vollzogen wurde die neue Realität in der Ordnung des Wissens: „Und dieses Ereignis hat sich in einer allgemeinen Neuverteilung der episteme vollzogen: als die Lebewesen den Raum der Repräsentation verließen und sich in der spezifischen Tiefe des Lebens, die Reichtümer im fortschreitenden Druck der Produktionsformen, die Wörter im Werden der Sprache ansiedelten. Unter diesen Bedingungen war es nötig, dass die Kenntnis vom Menschen in seiner wissenschaftlichen Betrachtung als mit der Biologie, der Ökonomie und der Philologie gleichzeitig und mit gleichem Ursprung auftauchte, so dass man in ihr ganz natürlich einen der entscheidendsten, in der Geschichte der europäischen Kultur durch die empirische Rationalität vollzogenen Fortschritte gesehen hat. Da aber gleichzeitig die allgemeine Theorie der Repräsentation verschwand und sich dagegen die Notwendigkeit der Frage nach dem Sein des Menschen als Begründung aller Positivitäten aufdrängte, musste notwendig ein Ungleichgewicht entstehen: der Mensch wurde das, von wo aus jede Erkenntnis in ihrer unmittelbaren und nicht problematisierten Evidenz gebildet werden konnte. Er wurde aus viel stärkerem Grunde das, was die Infragestellung jeder Erkenntnis des Menschen gestattet. Daher jene doppelte und unvermeidliche Kontestation: die unaufhörliche Auseinandersetzung zwischen den Wissenschaften vom Menschen und den Wissenschaften schlechthin, wobei die ersten die unüberwindliche Prätention besitzen, die zweiten zu begründen, die unaufhörlich zur Suche nach ihrer eigenen Grundlage, der Rechtferti­gung ihrer Methode oder der Reinigung ihrer Geschichte, gegen den ‚Psychologismus‘, gegen den ‚Soziologismus‘, gegen den ‚Historizismus‘ gezwungen sind; und die ständige Auseinandersetzung zwischen der Philosophie, die den Humanwissenschaften die Naivität vorhält, mit der sie sich selbst zu begründen versuchen, und jenen Humanwissenschaften, die als den ihr eigenen Gegenstand das beanspruchen, was einst das Gebiet der Philosophie gebildet habe.“ (Foucault 1993 a, 414 f.)
Was bleibt hier als Realität? Die Wirklichkeit vervielfältigt sich zu Wirklichkeiten. Die je spezifischen Blickwinkel provozieren ständig neu den Streit der Wissenschaften untereinander, der für diejenigen, die sich ihnen erstmalig zuwenden, zu einem Schock nicht nur der Unübersichtlichkeit, sondern sogar des wechselseitigen Unverständnisses gerät. Darin aber steckt doch, so folgert Foucault, noch ein System, eine Logik. Wenn das epistemologische Feld in alle Richtungen zerspringt, dann kann nicht einmal mehr der Zauber der Formalisierungen, wie ihn die Mathematik bietet, dann können auch nicht die Beschwörungen des Positivismus Einhalt gebieten, um sich an formaler Reinheit den Wunsch nach realen Abbildungen zu sättigen. Die moderne episteme scheint sich vielmehr als voluminöser und nach drei Seiten hin offener Raum zu entfalten: In einer Dimension stehen die mathematischen Wissenschaften und die Naturwissenschaften, „für die die Folge stets eine deduktive und lineare Verkettung evidenter oder verifizierbarer Aussagen ist“ (ebd., 416); in einer anderen Dimension erscheinen Wissenschaften, die sich mit dem Leben, der Produktion und Distribution von Reichtümern, der Sprache beschäftigen, und „die diskontinuierliche, aber analoge Elemente in Beziehung setzen, so dass sie untereinander kausale Relationen und Strukturkonstanten errichten können“ (ebd.), wobei wir hinzusetzen können, dass diese selbst strittig, widersprüchlich bleiben und aufgrund mangelnder Formalisierbarkeit viel größere Unschärfe aufweisen als die reduktiven Perspektiven der ersten Dimension; zwischen beide aber schiebt sich eine dritte Dimension, die als philosophische Reflexion sich als „Denken des Gleichen“ entwickelt (ebd.). Sie wendet sich dem Leben, der Ökonomie und der Sprache zu, um zugleich die Formalisierung des Denkens voranzutreiben. Sie steht im Dazwischen, was leicht dazu führen mag, von keiner der beiden anderen Dimensionen mehr anerkannt zu werden.
Wo aber bleiben in diesen Perspektiven die Humanwissenschaften? Wo erscheint der Mensch, wenn er denn so oder so maßgeblich geworden sein soll?
Die Humanwissenschaften befinden sich in keiner der konstruierten Dimensionen von Foucault, sie scheinen in dem Zwischenraum dieser verschiedenen Wissensgebiete und Dimensionen ihren Platz zu finden. Foucault will damit auf einen besonderen Status aufmerksam machen, der darin wurzelt, dass die Humanwissenschaften sowohl den konstanten Plan aufweisen, sich eine mathematische Formalisierung zu geben, sowohl mit Modellen und Begriffen operieren, die für die Biologie, die Ökonomie oder die Sprache wesentlich wurden, als auch sich der philosophisch konstruierten Seinsweise des Menschen zuwenden. Daraus entsteht, so folgert Foucault weiter, ihre Gefährlichkeit und Gefährdung.
Ihre Gefährlichkeit erscheint, wenn man an Stichwörter wie Psychologismus, Soziologismus, Anthropologismus denkt, die über die Humanwissenschaften die vermeintlich sicheren Gebäude der Wissenschaften, die in ihren Dimensionen befangen sind, zum Einsturz bringen können. Solche Gefährlichkeit rührt ja gerade daher, dass es die Realität in einem ausgewiesenen Sinne nicht mehr gibt, so dass über die Humanwissenschaften – als dem Ort der bewussten Reflexion menschlich-praktischer Erfahrungen – gerade die Fragwürdigkeit von abgehobenen Formalisierungen oder zu speziell gewordenen Modellierungen deutlich erscheinen kann. An dieser Stelle will ich die Argumentation Foucaults verlängern: Die Gefährlichkeit der Humanwissenschaften ent­stammt zugleich einem Empfinden, das dem Beobachter von Wissenschaften überhaupt entgegentritt. Es ist die Frage nach der Realitätsnähe. In den Humanwissenschaften wird oft, da der Mensch betroffen ist, eine höhere Nähe und damit Dichte von Aussagen vermutet, die die Realität selbst berührt. Zumindest ist es ja die Betroffenheit, das Betroffensein, die Alltäglichkeit von Ereignissen, die hierin erscheinen mag. Die darin liegende Komplexität ist allerdings nicht Dichte und Stringenz einer Argumentation, sondern Unschärfe, die durch den Fokus selbst bedingt ist: Hier wird nicht mehr wie in den abgegrenzten Dimensionen engerer Wissenschaftsbilder ein Fokus scharf auf ein Feld gerichtet, um damit zu möglichst eindeutigen, präzisen und kausal determinierten Aussagen zu kommen, sondern hier wird in die Ränder des Sichtbaren gewandert, wobei die Blicke unstet umherschweifen und von singulären Ereignissen überschwemmt sind. Hier wird die Souveränität und Selbstherrlichkeit des Menschen selbst bezweifelbar, so dass die Wissenschaften in ihren engeren Dimen­sionierungen selbst in Frage stehen, was eben die Gefährlichkeit der Humanwissenschaften ausmacht. Wir könnten auch von den Humanwissenschaften weg und hin zum Alltagsverständnis des Menschen denken, um zu einer ähnlichen Aussage zu gelangen. Die Menschen, die außerhalb der Wissenschaft stehen, die in dem voluminösen Spiel der Wissenschaften auf keiner der Dimensionen sich situieren können, mögen die größte Gefahr für die Wissenschaft darstellen, wenn man ihre Unschärfe von Beobachtungen in den Raum des Wissenschaftlichen eintreten ließe. Umgekehrt zeigt sich hier auch, warum die Wissenschaften deshalb so gerne den Eintritt in ihre Räume verwehren.
Gleichwohl sind die Humanwissenschaften – und deutlich gilt dies für die nicht eindeutig empirisch begründbaren wissenschaftlichen Blicke in ihnen – gefährdet, weil Komplexität selbst und ein unscharfer Blick ja noch nicht Garantie für das Erreichen praktischer Freiheit oder andere Wünsche des Menschen sind. So könnten sich übertriebene Hoffnungen auf ein Gebiet richten, das, indem es z.B. Repressionen in Gesellschaften kritisch und reflexiv nachweist, so wie es Foucault getan hat, ja noch nicht gleichzeitig damit eine Gesellschaft herstellen kann, die repressionsfrei wäre.70 Werden aber übertriebene Hoffnungen gesetzt, dann wird oft der Zerstörer von Hoffnungen und nicht der Urheber schadhaft gemacht und durch Kritik oder Abwehr vernichtet. Längst hat sich solcherlei Vernichtungsdenken in den Lebensalltag des 20. Jahrhunderts eingeschlichen, in dem die Naturwissenschaften ungleich höherwertig in ihren anwendbaren Aussagen und ihrem Status gedacht erscheinen als die Humanwissenschaften.
Wie sollen die Humanwissenschaften zwischen Gefährlichkeit und Gefährdung die Realität des Menschen beschreiben? „Auf allgemeinere Weise ist der Mensch für die Humanwissenschaften nicht jenes Lebendige, das eine besondere Form hat (eine ziemlich spezielle Physiologie und eine fast einzigartige Autonomie). Dieses Lebendige bildet aus dem Inneren des Lebens, zu dem es durch und durch gehört und von dem es in seinem ganzen Sein durchdrungen ist, Repräsentationen, dank derer es lebt und von denen ausgehend es jene seltsame Fähigkeit hat, sich eben das Leben vorzustellen.“ (Ebd., 422) Auch die Ökonomie oder die Sprachtheorie kann nicht die Realität des Menschen aussagen. So wird der Mensch in den Humanwissenschaften als lebendiges, arbeitendes und sprechendes Wesen eher in einem Zwischenraum, in einer unscharfen Entfernung von den speziellen Modellen analysiert und beschrieben, was je nach Ansatz die Gefährlichkeit oder Gefährdung dokumentiert.
In dieser sehr idealtypischen Weise umgeht Foucault allerdings das spezifische Problem einer Beobachtertheorie, die sich fragen müsste, wie sich die Realitätsbeschreibungen durch die Situierung des Beobachters selbst verschieben. Es ist ja gerade für die Humanwissenschaften seit dem 19. Jahrhundert bezeichnend gewesen, dass sie immer wieder versuchten, in eine der begrenzten Dimensionen zu flüchten. Sie wollten hierin ihre besondere Sicherheit finden, indem sie entweder einer Formalisierung des Denkens bis hin zum Ausschalten alles alltäglichen Lebens einübten; oder sich in marxistischer Perspektive vollständig auf eine Tausch- und Werttheorie gründeten, aus der alles andere abgeleitet werden sollte, so dass die Subjektivität von der Realität abgezogen wurde; oder in den Sprachtheorien, in denen alle anderen tätigen und produktiven Seinsweisen des Menschen ausgeblendet wurden, um ihn nur über Sprache zu definieren. Solche Ausschließungen sind im Grunde typisch für die Ansätze der Humanwissenschaften geworden. Gleichwohl konnten sie im Vergleich der humanwissenschaftlichen Theorien untereinander nicht befriedigen, und erst wenn wir uns auf eine Ebene einer Metabeobachtung begeben, wenn wir uns also als externer Beobachter der Humanwissenschaften selbst verstehen, wird erkennbar, was Foucault meint.
„Man hat eine der Natur eigene Historizität entdeckt. Man hat sogar für jeden großen Typ des Lebendigen Formen der Anpassungen an das Milieu konzipiert, die in der Folge die Definition seines Evolutionsprofils gestatteten. Man hat sogar zeigen können, dass so merkwürdige menschliche Beschäftigungen wie die Arbeit oder das Sprechen in sich eine Historizität enthielten, die ihren Platz nicht in der großen gemeinsamen Erzählung der Dinge und der Menschen finden konnte: die Produktion hat Entwicklungsweisen, das Kapital Akkumulationsweisen, die Preise Gesetze, nach denen sie schwanken und sich ändern, die nicht auf die Naturgesetze und nicht auf den allgemeinen Gang der Menschheit sich reduzieren lassen. Ebenso ändert sich die Sprache nicht so sehr mit den Völkerwanderungen, dem Handel und den Kriegen nach dem Belieben dessen, was den Menschen widerfährt, oder nach der Fantasie dessen, was er erfinden kann, sondern unter Bedingungen, die den phonetischen oder grammatischen Formen, aus denen die Sprache besteht, eigen sind.“ (Ebd., 440)
Wie lässt sich dieser Wandel der Betrachtung deuten? Oberflächlich gesehen scheint es so, als habe die Menschheit ihrem eigenen Fortschritt, dem Sieg ihrer Institutionen und der darin sich gründenden Mächtigkeit bloß eine Beschreibung geben wollen. „Die Untersuchung der Ökonomie, die Geschichte der Literaturen und der Grammatiken, schließlich die Entwicklung des Lebendigen wären demnach nichts anderes als die Wirkung einer Ausbreitung einer zunächst im Menschen entdeckten Historizität auf immer fernere Erkenntnisflächen. In Wirklichkeit hat sich genau das Gegenteil vollzogen. Die Dinge haben zunächst eine eigene Historizität erhalten, die sie von jenem kontinuierlichen Raum befreit hat, der ihnen die gleiche Chronologie wie den Menschen auferlegte. Infolgedessen fand sich der Mensch praktisch dessen enteignet, was die offenbarsten Inhalte seiner Geschichte bildete: die Natur spricht ihm nicht mehr von Schöpfung oder vom Ende der Welt, von seiner Abhängigkeit oder von seinem baldigen Urteil; sie spricht nur noch von einer natürlichen Zeit. Ihre Reichtümer zeigen ihm nicht das Alter und die baldige Rückkehr eines goldenen Zeitalters an. Sie sprechen nicht mehr von den Produktionsbedingungen, die sich in der Geschichte verändern. Die Sprache trägt nicht länger die Merkzeichen aus der Zeit vor Babel oder die der ersten Schreie, die im Wald haben widerhallen können. Sie trägt das Zeichen ihrer eigenen Filiation. Der Mensch hat keine Geschichte mehr oder vielmehr: Da er spricht, arbeitet und lebt, findet er sich in seinem eigentlichen Sein völlig mit Geschichten verflochten, die ihm weder völlig homogen noch untergeordnet sind. Durch die Zerstückelung des Raums, in dem sich kontinuierlich das klassische Wissen ausdehnte, durch das Zusammenrollen eines jeden so frei gemachten Gebiets mit seinem Werden ist der Mensch, der am Anfang des 19. Jahrhunderts erscheint, ‚enthistorisiert‘.“ (Ebd., 441 f.)
Damit ist der Mensch aus den Mächten seiner historischen Beschränkung als eigene Mächtigkeit auferstanden, die in ihrer bedingten und begrenzten Historizität – der Relativierung des Blicks auf das eigene Leben durch Vergleich mit anderen – ihre Konstruktivität entdecken konnte. In der „Ordnung des Diskurses“ hat Foucault die Verhältnisse der Macht zur Sprache und zum Diskurs noch als negative Mechanismen von Verknappung dargestellt. Später hat er diese Ansicht korrigiert, indem er darauf verweist, dass er in seinen frühen Arbeiten die Macht als einen im wesentlichen juridischen Mechanismus betrachtet hatte, was sich spätestens seit „Überwachen und Strafen“ änderte (vgl. Foucault 1978, 104 f.). In „Wahnsinn und Gesellschaft“ war die Macht ausschließend gegen den Wahnsinn vorgegangen, so dass Foucault hier eine rein negative Konzeption der Macht beschrieben hatte. Seine eigenen Erfahrungen anlässlich der Gefängnisrevolten in Frankreich 1971/72 haben ihn überzeugt, „dass es nicht so sehr um Rechtsformen, sondern um Technologieformen, um solche von Taktik und Strategie, geht“ (ebd., 105). Die Ersetzung eines juridischen und negativen Rasters durch ein technisches und strategisches hat er dann in „Überwachen und Strafen“ zu bewerkstelligen versucht, später auch in „Sexualität und Wahrheit“. Aus dieser Perspek­tive denkt Foucault die Machttechnologien, die seit dem 19. Jahrhundert eingetreten sind, neu: „Die Verzahnung zweier großer Machttechnologien: jener, die die Sexualität antreibt, und jener, die den Wahnsinn abtrennt. Aus der gegenüber dem Wahnsinn negativen Technologie ist eine positive Technologie geworden, aus einer binären ist eine komplexe und vielförmige geworden. Es kommt also eine große Technologie der Psyche zur Welt, die einer der Grundzüge unseres 19. und 20. Jahrhunderts ist: sie macht aus dem Sex gleichzeitig die verborgene Wahrheit des vernünftigen Bewusstseins und den entzifferbaren Sinn des Wahnsinns: ihren Gemeinsinn und somit das, was den Zugriff auf beide freigibt.“ (Ebd., 106 f.)71

Auch dies alles sind Beobachterpositionen, die sich ihren binären oder komplexen Code, also ihre Sprachen auf der Basis einer Ordnung der Worte und Dinge erfinden. Eine der Beobachtungspositionen wendet sich gegen die Ausschließungen, gegen die Repressionen, gegen das Privileg einer souveränen Macht, um eine andere Geltung in den Blick zu nehmen. Aber Foucault wehrt sich entschieden dagegen, aus der Repressionshypothese ein direktes Abbildungsverhältnis zu machen: „Zwischen jedem Punkt eines gesellschaftlichen Körpers, zwischen einem Mann und einer Frau, in einer Familie, zwischen einem Lehrer und seinem Schüler, zwischen dem, der weiß, und dem, der nicht weiß, verlaufen Machtbeziehungen, die nicht die schlichte und einfache Projektion der großen souveränen Macht auf die Individuen sind; sie sind eher der bewegliche und konkrete Boden, in dem die Macht sich verankert hat, die Bedingungen der Möglichkeit, damit sie funktionieren kann.“ (Ebd., 110) Deshalb ist die Familie nicht ein simpler Reflex auf die Staatsmacht, deshalb ist der Mann nicht der Prototyp der Macht für die Frau, deshalb sind die Eltern nicht die Prototypen der Macht für die Kinder, sondern Macht zirkuliert. „Damit der Staat funktioniert, wie er funktioniert, muss es vom Mann zur Frau oder vom Erwachsenen zum Kind sehr spezifische Herrschaftsverhältnisse geben, die ihre eigene Konfiguration und ihre relative Autonomie haben.“ (Ebd.) Hier hängt es immer von unserer Beobachterposition ab, inwieweit wir solche Konfigurationen und relativen Autonomien schärfer in den Blick bekommen. In jedem Fall müssen wir uns nach Foucault davor hüten, eine Repräsentation der Macht in einer Art schematischen Idee der Weitergabe oder Abbildung zu vermuten. Bestimmte Personen oder Klassen repräsentieren leichthin Macht, was weder der Komplexität der Mechanismen noch ihrer Spezifität gerecht werden kann. Von hier aus erschließt sich Foucault ein durchaus zirkuläres Verständnis der Macht: Erst durch das Beobachten von Machtpraktiken, von Wirkungen und Gegenwirkungen werden wir ein Verständnis von den komplexen Verhältnissen der Macht gewinnen, wobei unsere eigene Beobachterposition gewiss nicht frei von Machtaspekten ist. Deshalb spricht Foucault auch von Dispositiven der Macht. Dispositive handeln von einem entschieden heterogenen Ensemble, „das Diskurse, Institutionen, architektorale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philosophische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst“ (ebd., 119 f.). Hierbei handelt es sich um Elemente des Dispositivs der Macht. Zwischen diesen Elementen aber gibt es Positionswechsel und Funktionsveränderungen, die in sehr unterschiedlicher Weise diesen oder jenen Diskurs entweder als Programm oder als Institution entwickeln helfen, in dem Praktiken der Macht deutlich werden. Ein Dispositiv beinhaltet also auch Verbindungslinien, die, so möchte ich hinzusetzen, von einem Beobachter imaginär oder symbolisch festgestellt werden. Im Ordnen der Elemente und ihrer Verbindungen erscheinen dann jene Kräftelinien, nach denen die Praktiken der Macht gemessen werden. Andererseits hat ein Dispositiv für Foucault immer auch eine strategische Funktion, es stellt einen bestimmten Typ von Genese dar, um auf bestimmte Zustände – Notstände – eines Zeitalters zu antworten. Der Begriff des Dispositives oder der Disziplinen ersetzt den früher bei Foucault gebräuchlichen Begriff der episteme, des Wissens oder der diskursiven Formationen. Hieraus sollte man aber nicht umgekehrt ableiten, dass die alten Begriffe damit hinfällig oder überflüssig wären. Foucaults Theorien zeichnen sich gerade durch Wechsel der Beobachterstandpunkte aus, die es ihm erlauben, neu, d.h. je auf andere Weise in ein Beobachtungsfeld einzudringen. Da das Dispositiv immer in ein Spiel der Macht eingeschrieben ist, wie Foucault sagt, ist es auch an die Grenzen des Wissens gebunden, mit denen es verbunden ist. „Eben das ist das Dispositiv: Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden.“ (Ebd., 123) Die Sackgasse, in die Foucault in „Die Ordnung der Dinge“ geraten war, begründete sich darin, dass sich eine allgemeine episteme oder Ordnung der Dinge eben nicht mehr herstellen lässt. Dadurch erscheint eine größere Unschärfe: In der Idee der episteme versuchte Foucault noch, Grundlinien bestimmter Erkenntnisse und Wissensperspektiven festzuhalten, die in der Idee der Dispositive in die heterogenen Elemente unterschiedlichster Möglichkeiten zerfallen. Darin artikuliert sich ein Zerfall des erkenntnismäßigen Bemühens um die Ordnung der Dinge überhaupt, die uns einen Zugang zu einem konstruktivistischen Verständnis von (Human-)Wissenschaften eröffnet.

 

1.3.4.3 Derrida und der Mechanismus der Dekonstruktion

Auch Jacques Derrida gehört wie Foucault, Deleuze oder auch Lyotard zu jenen französischen Denkern, die eine „Philosophie der Differenz“ vertreten. Die Differenz im Sinne dieser Autoren zu denken, bedeutet, eine Reduzierung des Anderen, des Verschiedenen, des Fremden auf das stets Selbe, das eindeutig Identifizierbare, zu vermeiden. Aus diesem Anspruch erwächst nun zugleich das Paradox, dass aufgrund der Differenz diese Autoren kaum auf ein Selbes, d.h. auf einen eindeutig identifizierbaren umfassenden gleichen symbolischen Gehalt ihrer Werke, fixiert werden können.72 Dies ist besonders für Derrida offensichtlich und auch von ihm und Bennington (1994) ausdrücklich dokumentiert worden. Selbst unter dem Versuch einer Zusammenfassung der Ideen Derridas entsteht bereits eine Dekonstruktion dessen, was er intendierte. Denn es ist die Pointe seines Werkes, die Differenz auf die Spitze zu treiben.73
Um das symbolisch-konstruktive Sprachspiel der Wissenschaften zu retten, könnte man annehmen, dass es irgendwie ursprüngliche Bedeutungen geben müsse, von denen andere abgeleitet werden könnten. Solche Sprachspiele sind in der Wissenschaft üblich und durch die Forschungsgemeinschaften kontrolliert. Und diese Kontrolle beruft sich gern auf die Zeichen selbst, mit denen der Sinn festgehalten und verobjektiviert werden kann. Solche Konstruktionen locken sehr, denn sie sind Versuche, sich Meisteraussagen und panoptisch kontrollierbare Disziplinarsysteme zu erzeugen, die als Bildung tradiert, als Leistung geprüft, als Sozialisation lerntheoretisch festgeschrieben werden können. Derrida jedoch verstört solche Sprachspiele, indem er ihnen jeglichen Ernst und alle vermeintliche Ehre raubt, eben weil er sie zeichenhaft aufs Genaueste studiert. In diesem Studium, das er Texten von Hegel, Heidegger, Husserl, Rousseau und anderen widmet, dekonstruiert er nämlich die Perspektiven, die in den Texten selbst lauern, dadurch, dass er die Zeichen, die gesetzt sind, oft nur minimal verschiebt. Dieses Sprach­spiel gilt dem französischen Begriff différence selbst, das bei Derrida als différance mit einem „a“ erscheint, das man nicht hört, sondern das nur geschrieben sein Eigenleben entfaltet. Es ist ein Eigenleben, das markiert, was man nicht hört, und es markiert darin in symbolischer Weise, dass Bedeutungen selbst veränderlich sind, ohne im Spiel der Differenzen auf Ursprünge zurückgeführt werden zu können, weil wir in aller Suche in verschiedensten Texten doch immer nur eines sicher finden: Die Verschiebung der Differenz – oder eben différance –, wobei dieses von Derrida gewählte Symbol über die Unterschiede aber zugleich schon wieder trügerisch ist, wenn man es für eine Ursprungsgröße hält. Die Ursprünge sind tot, es leben die Unterschiede. Aber in­dem ich die Unterschiede an Texten studiere, falle ich in die Ursprünge jener Autoren zurück, die mir ihre Zeichen hinterlassen haben, damit ich mein dekonstruktives Spiel beginnen kann.
Dieses Spiel konzentriert Derrida eigentümlich auf Texte, auf die Schrift, die er gegen den Phonozentrismus des Abendlandes hervorheben will.74 Dabei versteht er Texte allerdings sehr weiträumig, denn es gibt für ihn keine schriftlosen Kulturen in der Menschheitsgeschichte. Von schriftlosen Völkern statt von primitiven zu sprechen, wie es sich in der Ethnologie eingebürgert hat, ist für Derrida bloß ein neuer Ethnozentrismus, denn alle Kulturen kennen die Form von Zeichen, die – in welcher Art und auf welchem Material auch immer – angebracht, gefertigt, skizziert, schließlich auch gedeutet werden. Solche Formen tauchen in Ritualen, Mythen, Tabus zahlreich auf – sie sind ein Spiel mit Unterschieden. Wenn z.B. in einem Stamm ein Eigenname nicht benannt werden darf, weil er tabuisiert ist, dann wird ein Name durchgestrichen, was nur ein anderer Ausdruck für Schrift ist. Damit aber verkehrt Derrida das, was man gewöhnlich wissenschaftlich unter Schrift versteht. Denn traditionell geht man davon aus, dass die Schrift von bildhaften Zeichen sich allmählich bis hin in abstrakte Systeme wie die alphabetische Schrift übersetzt hat, um darin, wie Rousseau es darlegte, einen Übergang von der Wildheit über die Barbarei bis hin zur Moderne zu charakterisieren. Die Schrift, das ist der Hintergrund bei aller subtiler Brüchigkeit solcher Sprachanalyse, repräsentiert die Sachen der Welt, sie steht für etwas, was an sich von der Schrift zwar abgerückt ist, aber im Zeichen selbst stets aufgehoben und verstanden bleiben muss. Derrida hingegen sieht in der Schrift bloß eine Spur, die nichts repräsentieren kann, weil es kein statisches Präsens einer Verweisung gibt, sondern immer nur Verweisungen auf Verweisungen, die ein ganzes Gefüge von Verweisungen ergeben, in dem wir als Beobachter, so möchte ich hinzusetzen, zirkulieren. In solcher Zirkulation aber erfassen wir nicht eine Ein-Fach-Heit von Dekonstruktion, sondern erleben Dekonstruktionen allenfalls als Potenzen, als Möglichkeiten von Blickwinkeln, die verschieden ausfallen, wenn wir uns den KonTexten nähern. Wenn es damit auch schwierig ist, Derridas Ergebnisse dekonstruktiv zu beschreiben, so lässt sich gleichwohl die Verschiebung, die er erkenntnistheoretisch in Bezug auf die Methode vornimmt, zumindest ansatzweise skizzieren. Für seine Methode gilt vor allem:

Ein ständiger Perspektivwechsel:
Es gibt nicht die eine Perspektive, aus der sich irgend etwas beschreiben ließe. Wenden wir uns Kon-Texten zu, dann ist bereits unsere Zuwendung eine Ergänzung zu dem, was da ist, eine Dekonstruktion dessen, was bei jeder Veränderung der Gegenstände, um die es uns geht, stattfindet. Und darin ist der mögliche Beobachter selbst eingeschlossen, der nicht gleichsam von außen seine De-Konstruktionen im Griff behält und symbolisch eindeutig reinigen kann. Der Beobachter ist vielmehr stets unterwegs, stets in einem Wechsel, der sich zwar an Gegenständen – für Derrida Texten – situieren kann, aber in derartigen Kommentierungen keinen Anfang und kein Ende mehr findet. So bleibt nur der Wechsel als das Eine, das wir methodisch festhalten können, obgleich es im Festhalten bereits wieder der Dekonstruktion durch ein anderes unterliegen wird. Was aber nützt es, Perspektiven zu bezeichnen, wenn deren Unterschiedlichkeit und ihr steter Wechsel jeden Meta-Beobachter verbietet, der über dieses Spiel noch symbolisch gebieten könnte? Dekonstruktionen erreichen über den Perspektivwechsel einen Raum der Unendlichkeit, ohne darin als neue Ontologie uns trösten zu können. Dieser Widerspruch richtet sich nun gegen Derridas eigene Bemühungen.

Den blinden Fleck des Autors aufspüren:
Denn Derrida will durchaus den „blinden Fleck“ im Auge des Autors aufspüren, indem er sich als Beobachter hinter oder neben oder abseits vom Autor setzt, um so jenen Punkt zu finden, von dem aus der Autor sieht, aber im Moment seines Sehens nicht sehen kann, oder auch um jenen Punkt zu erkennen, der vom Autor eben in seiner Blindheit übersehen wird. Damit aber geraten wir in die Gefangenschaft eines Sprachspiels, das je zu sehen beansprucht, obwohl die Wechsel der Perspektiven schon dieses Sehen wieder der Dekonstruktion opfern müssen. Solche Dekonstruktion übt Derrida an seinen Sprachspielen mit Zeichen.
Was sind Zeichen? Zunächst scheinen sie, so wie ich es weiter oben herausgearbeitet habe, einerseits Aufgaben der Repräsentation zu erfüllen, indem sie auf Dinge, Sachen usw. verweisen, hierin aber sind sie andererseits schon widersprüchlich, weil sie dies nur über die Verständigungsleistung mit Anderen vermittelt können. Auch Derrida geht dieser Ambivalenz der Zeichen nach, um dabei dann allerdings das schon eng kon­struierte Band der Sprachphilosophie zu verstören: Zeichen sind zwar einerseits unverzichtbare und stets relevante Mittel einer Beweisführung, wie sie etwa von der Metaphysik angestrebt wird, sie sind dabei die einzigen Mittel, die Quellen der Mittel, die Mittel an der Quelle (Derrida 1974, 459 ff.), derer wir uns nicht berauben können, obwohl sie andererseits in dieser Beweisführung zumeist vereinseitigt erscheinen. Diese Vereinseitigung liegt in der metaphysischen Denkweise selbst: „Der metaphysische Zeichenbegriff trifft die Unterscheidung Signifikant/Signifikat auf der Grundlage der Unterscheidung sinnlich/intelligibel, aber er drängt auf die Reduktion dieser Unterscheidung zugunsten des Intelligiblen.“ (Bennington/Derrida 1994, 47) Darin aber wird das Zeichen metaphysisch gedacht zu etwas Sekundärem, es wird getilgt und vernichtet, denn das Zeichen soll etwas re-präsentieren, wofür es gar keinen Präsens gibt. Denn der Ursprung, der Ort, die Sache, der Anfang usw., die vorhanden sein müssten, um diese ursprüngliche Fundierung des Zeichens zu bezeichnen und für uns verstehend zu erklären, sind bloße Fiktionen, die im Kampf des Intelligiblen gegen das Sinnliche schon eingeführt sind, bevor mittels Zeichen das Intelligible sich noch verzweifelt zu versinnbildlichen sucht. Denn was ist ein Zeichen anderes, als die Möglichkeit einer Wiederholung (Iterabilität), die notwendig vorausgesetzt werden muss, wenn wir dem Zeichen, damit es Zeichen sein kann, eine Bedeutung zumessen? Das Zeichen ist im Medium seiner Reproduktion, es ist ein Zeichen, weil es den Unterschied zwischen dem Präsens des ersten Mals und der Repräsentation einer Wiederholung – der unzähligen Male – auszulöschen hat (Derrida 1979, 103 ff.), was aber nur anzeigt, dass es nichts als seine je eigene Repräsentation ist, deren Fundierung selbst Auslöschung ist. Nun mag es immer Beobachter geben, die diese Auslöschung bezweifeln, weil sie sich untereinander auf eine Konvention – eine Metaphysik – einigen, die die mögliche Dekonstruktion durch andere Beobachter aufhalten soll. Sie können sich vor allem darauf berufen, dass in den Zeichen selbst die Wiederholung, die den Sinn, den Zeichen in einer Verständigungsgemeinschaft ausmachen, bewahren können, so dass diese Bewahrung über den individuellen Tod eines jeden Mitglieds dieser Verständigungsgemeinschaft eine Weltordnung sicherstellt. Dies ist in der Tat die Funktion der Schrift, in der die Zeichen eigenartig tanzen. Da Derrida nun den Fokus seiner Untersuchungen auf die Funktion der Zeichen ohne Beobachter und ohne Verständigungsgemeinschaften in ihrem eigentümlichen Wechsel konzentriert, entdeckt er notwendig ein Paradox: Einerseits überleben die Zeichen das individuelle Leben, dem sie gleichgültig entgegentreten können und dessen Wahrheit sie organisieren sollen, um damit andererseits als Fiktion dieser Wahrheit selbst zu erscheinen, weil sie nichts außer sich selbst repräsentieren und eines jeden Ursprungs in bestimmten individuellen Konstruktionen, die sich dauerhaft gebärden, entbehren. Selbst die Wiederholung sichert damit nur das Spiel, aber nicht die Ewigkeit, die als Wahrheit hinter diesem Spiel zu lauern scheint, denn solche Wahrheit dekonstruiert sich stets im Spiel selbst.
Die Dekonstruktion wird mit Instrumenten erarbeitet, die Derrida in der Regel den von ihm gelesenen Texten entnimmt. Er schneidet aus diesen Begriffe heraus, die er dann in die Texte wieder eintreten lässt, indem er Meta-Positionen errichtet, die sich jedoch auf keinen höheren Wert oder besseren Ursprung zurückziehen, um so als Ergänzung, als Supplement zu fungieren. Dupuy/Varela (1991) beschreiben dies wie folgt: Immer dann, „wenn in einem theoretischen Text ein Terminus auftaucht, der einen Logos, einen Begriff als sich selbst genügend zitiert, setzt ein circulus vitiosus ein, der von innen heraus den Anspruch auf Autonomie untergräbt.“ (Ebd., 249) Dies geschieht folgendermaßen. Wenn ein Ursprung, ein Logos, ein vollständiger Begriff behauptet wird, dann braucht es eine Ableitung und Manifestation dieser Behauptung, d.h. weitere Begriffe erscheinen. Setze ich z.B. den Begriff König, dann erscheint als Gegenpart z.B. der Untertan. Nun ist es aber eigentümlich so, dass kein Begriff ohne solche Ergänzungen auskommen kann, d.h. kein Begriff verfügt über die absolute Souveränität, die ihn ohne andere – seine Ergänzungen, die ihn erst möglich machen – auskommen lässt. Der Grundgedanke, der hier erscheint, ist sehr dem verwandt, was Hegel als das Spiel von Eins und Auch oder erster und zweiter übersinnlicher Welt in der „Phänomenologie des Geistes“ beschreibt. Es ermöglicht ein Sprachspiel, das die jeweilige Begrenzung durch andere Situierungen des Problems – durch das Spiel der Ergänzungen – in unendlichen Variationen entwickeln lässt.
Die Frage bleibt, ob dieses Sprachspiel von Ergänzung und Verweisung ausreichen kann, um die Metaphysik wie auch die moderne Sprachpragmatik zu bekämpfen. Folgender Vorwurf ist gegen Derrida häufig zu hören: In der Konzentration auf Texte und hierin noch auf Zeichen verschärft sich ein Fehler, der schon für Saussure festzuhalten ist. Indem nämlich die Ergänzung und Verweisung von Zeichen hervorgehoben wird, wird in all den Verweisungen und Verschiebungen nunmehr hauptsächlich auf die Zeichen selbst gesehen, die Schrift überbewertet und von der einzig konkreten Realität der Zeichen – ihrer Verwendung in konkreten Dialogen nämlich – abgesehen. „Schwer­wiegender ist aber, dass eine derartige Theorie es uns verwehrt, jemals zu wahren Aussagen über die Welt zu gelangen. Folgt man nämlich der Lehre Saussures, so ist jede Aussage in eine Unendlichkeit von Verweisungen auf andere Aussagen verflochten, die ihrerseits wieder nur auf andere Aussagen verweisen.“ (Bennington/Derrida 1994, 109) In dieser Verweisung aber entschwindet die Stringenz von Bedeutungen und Referenzen, die den Sinn von Lebenswelt erschließen könnten, weil sich nun alles in Sprachspiele, in eine Ununterscheidbarkeit von Wissenschaft und Literatur auflöst, die als unerträglich erscheint. Und hieraus kann sich sogleich ein zweiter Einwand ableiten: „Gesetzt, dass es keinen möglichen Zugriff auf die Welt gibt – wie steht es dann um die Möglichkeit einer an Wahrheit ausgerichteten Politik? Politische Entwürfe müssen in einer Beschreibung der Welt wurzeln, die Anspruch auf Wahrheit erhebt, und das Kommen einer gerechteren Welt vorhersagen oder normativ bestimmen, in der man gleichwohl noch in der Lage sein muss, über die Wahrheit der Aussage zu urteilen, die sie für gerechter als die alte erklärt.“ (Ebd., 109 f.)
Diese Kritiken lassen sich nicht so leicht widerlegen, wie es Bennington versucht (ebd., 112). Sie sind auch differenzierter zu betrachten, als es die schnelle Zusammenfassung von eben suggeriert.
Zunächst hat Derrida eine Methode etabliert, die man auf der Basis ihres Zeichenbegriffs kaum noch angreifen kann. Die mögliche Liste der Ergänzungen ist unendlich. In solchen Listen kann jeder Begriff, der sich aus Zeichen zusammensetzt, die anderen beherrschen, er kann benennen und bezeugen, um schließlich doch immer unvermeidlich in sie wieder einzutreten. Hier erscheint eine „Quasi-Transzendentalität“ (ebd., 104), die ihren Ursprung, ihr transzendentales Gefüge stets dekonstruiert sieht. So bleiben die Verweisungen selbst, die wie eine Transzendentalität erscheinen, aber doch nur quasi für jene Augen-Blicke stehen können, in denen ein Anfang, ein Zeichen, ein Wort usw. gefunden werden, die eine Wiederholung, eine Kontinuität voraussetzen, obwohl sie in dieser stets verflüssigt und verwiesen sind.
Derrida behauptet einen Vorrang des Phonozentrismus im Abendland, der zu einer Unterschätzung der Schrift geführt hat. Er scheint geradezu besessen von der Idee, dass die Stimme in ihrer Bevorrechtigung gegenüber der Schrift und die gesprochene Sprache gegenüber den Texten, wie es seit Platons „Dialogen“ oder Rousseaus Essay „Über den Ursprung der Sprachen“ von 1763 immer wieder tradiert wird, einen Logozentrismus und Ethnozentrismus produzieren, der sich durch Rückbesinnung auf die Schrift unterminieren lässt. Indem sich Derrida den Zeichen und der Schrift als grafischen Signifikanten dieser Zeichen zuwendet, kritisiert er die Metaphysik, die die Zeichen selbst als sekundär, als bloße Hilfsmittel denunziert und entwertet hatte. Hier ist es interessant, dass Derrida den Beobachter gerade durch die Betonung der Bedeutung der Schrift aus seinen Überlegungen zurücknehmen muss, ihn geradezu im Spiel der Dekonstruktion vernachlässigt, weil er bloß eine Variante des Phonozentrismus darzustellen scheint. In jeder mündlichen Kommunikation kompliziert sich die inhaltliche Seite des Gesprochenen durch die Beziehungen, die die Sprechenden miteinander eingehen. Demgegenüber ist die Schrift reduktiv. Und sie ist überdauernder, weil sie den Moment überlebt, die Kommunikation zumindest soweit übersteigt, dass auf sie wieder zurückgegriffen werden kann, was eine Wiederaufnahme kommunikativer Momente bedeutet. Doch diese Wiederaufnahme entbehrt der Singularität der persönlichen Beziehung einer Kommunikation, denn die Schrift ist fälschbar, sie kann entstellt, verwirrt, dekonstruiert werden. Zwar ist auch die Rede nie ideal das, was in einer Situation von mir als wahre Vielfalt meiner Sinnlichkeit ausgedrückt werden mag, aber die Schrift ist deutlich distanzierter, und ihre Sinnlichkeit heftet sich an Abstraktionen. Deshalb gibt es in der Philosophie selbst auch so viele Vorbehalte gegen die Schrift, die Derrida durchaus zur Kenntnis nimmt. Gleichwohl insistiert er auf jenem Teil der Schrift, der die Wiederholung erinnert und die Grenze zum Tod markiert, die auch jene Philosophen nicht unberührt lässt, die wir bloß über die Schrift kennen. Interessant wird diese Aussage allerdings erst in der gesteigerten Form, die Derrida ihr gibt: Für ihn ist die Philosophie ihrem Wesen nach geschrieben. Wer nun aber hierfür einen Nachweis erwartet, der eindeutig ist, der muss zugleich enttäuscht werden. Derrida gelingt zwar ein Nachweis, aber nur aus der begrenzten Perspektive seiner Beschäftigung mit Texten. Er setzt sich ausschließlich mit Texten von bekannten Autoren der Vergangenheit auseinander, was jedem Nachweis ein besonderes Gewicht verleiht, der in den Zeichen, die dort behandelt sind, schon verwurzelt ist. Das ist gewiss willkürlich und kann als Willkür auch gar nicht bestritten werden (Bennington/Derrida 1994, 56 f.). Diese Willkür ist von dem Interesse geleitet, zu betonen, dass auch die Rede jene Iterabilität der Zeichen benötigt, die so klar in der Schrift erscheint. In der Schrift oder einer Ur-Schrift, von der er auch spricht, erscheint für ihn eine Wurzel, die mit dem Wesen der Schrift selbst zusammenhängt. Diese überdauert den Tod, sie ist damit für die Lebenden eine Vorgängigkeit, die immer schon das umfasst, was diese als lebende Beobachter dann verrichten, indem sie mit jenen Zeichen operieren, die als Schrift ihnen überliefert und zur De-Konstruktion freigegeben sind. Dies ist aber nicht nur die Aufgabe einer Verschiebung im Signifikanten, wenn etwa in der „différence“ ein Zeichenwechsel zur „différance“ vorgenommen wird, sondern wohnt unteilbar ebenso den Signifikaten inne. Deshalb besteht Derrida darauf, die transzendentalen Fragestellungen der Philosophie immer wieder zu durchqueren, um an ihrem Sinn konstruktive Bedeutungen abzulesen, die den Sinn aber bereits wie die Verschiebung von e zu a verändern, die sie als das De- in der Konstruktion ausmachen. Derrida ist dabei als ein Beobachter solcher Texte zugleich Leser und Autor, so wie er uns auffordert, Leser und Autor seiner Texte zu sein. Denn die Verschiebung selbst ist eine symbolische Sprachspielfigur, die uns die Möglichkeiten der Unterscheidungen selbst thematisiert, indem sie sie an Texten inszeniert und dramatisiert. So verbreitet Derrida Schrecken mit dieser Verschiebung unter allen Wörtern, Begriffen und symbolischen Wahrheiten, weil er ihnen nur noch erlaubt, zu sein, was sie sind. Aber was sind sie? Indem wir ihnen Sinn zuschreiben, landen wir in der Paradoxie, dass die Be-Deutung dieses Sinns schon Verschiebung ist, die den Sinn auslöscht, weil dieser bedeutet und damit ergänzt und verschoben wird. Jede Verschiebung schafft eine Ergänzung, ein Supplement, und die unendlichen Texte sind von Spuren durchzogen, die als Re-Markierungen jene Ur-Sprünge enthaupten, die ihnen selbst zu einem Sprung auf die Basis dieser Texte verholfen haben. Und hier erscheint ein impliziter Beobachter, der für sich festhält, dass es letztlich nichts als Spuren in diesem Spiel der Zeichen gibt, nichts als Verweisungen von Verweisungen. Und deshalb gibt es auch kein „was ist“, das alles noch einmal festhalten könnte, sondern bloß Spuren, deren Gebinde von Verweisungen wir uns in Hilfskon­struk­tionen festhalten: Schrift, Literatur, Frau, Propriation, Aufhebung, Zeichen, Datum, Kunst (Bennington/Derrida 1994, 85) sind Formen, mit denen sich Derrida insbesondere auseinander gesetzt hat.
Es ist deutlich: Derridas Methode setzt an den Zeichen, an der Sprache selbst an, die ihm jene Verweisungen zeigt, die er dekonstruiert. Er verbleibt in dieser Ebene und übersteigt sie nicht durch eine Meta-Position, z.B. die Betonung eines Beobachters, weil er eng am Text seinen Kon-Text und Ko-Text findet. Ein Beobachter, so könnte man aus seiner Sicht sagen, ist ja auch schon in aller Beobachtung in diesem Kon-Text gefangen (eingeschrieben), bevor er mit freiem Blick auf jenen Augen-Blick schielt, der seine Freiheit postuliert.
Was aber geschieht, wenn wir doch auf jene andere Ebene des Beobachters wechseln und ihn aus seinem Kon-Text befreiten? Da nun aber die Texte die Unterschiede markieren, die den Beobachter selbst vervielfältigen, da sie alles in Frage stellen – und deshalb ist eben alles Text, weil dieser die größte Infragestellung aller möglichen Deutungen überhaupt symbolisiert –, stellen sie auch die Texte selbst in Frage, indem sie als Kon-Texte alles sein können: „Wirkliche“, nichtdiskursive, politische, soziale, historische Kontexte überhaupt (ebd., 93). Aber Texte können sich auch den Kontexten entreißen, indem sie kontextunabhängig zitieren, um hierüber in ein weiteres kontextgebundenes Spiel von Verweisungen zurückzufallen. Auch hier erscheint eine Paradoxie. Aber sie erscheint nur dem, der sich in das Sprachspiel selbst einmauert und einem Beobachter dieses Spiels selbst keine subjektive Freiheit mehr zugesteht. Gewiss ist auch ein solcher Beobachter nie frei von Verweisungen und Ergänzungen, wenn er in seinem Welt-Spiel wie in einem Text zu lesen scheint. Und doch, das wird Derrida entgegenzuhalten sein, geht die Welt nicht in dem Spiel der Verweisungen auf, die im oder als Text erscheinen. Der Beobachter mag sich sprachlich vermittelt in seinen Konstruk­tionen frei fühlen, er wird immer dekonstruierbar in seinem Beobachten bleiben. Dies wird man mit Derrida teilen können. Aber diese Einsicht, so wichtig sie die Relativität der Erkenntnis selbst hervorhebt, bleibt recht ein-fach. Sie ist auch nichts als eine neue Meister-Verweisung und die Errichtung eines Meistersignifikanten wie dem Begriff der „différance“, der dieses Spiel ironisiert. Die Meistersignifikanten sind tot, indem wir sie erleben. Aber dieses Leben, das die Dekonstruktion herausfordert, ist mehr als Text. Es dekonstruiert aus der Sicht von Beobachtern die Texte ebenso wie solche Beobachter aus der Sicht von Texten dekonstruiert sein mögen. Aber es gibt keine Texte ohne Beobachter. Diese Subjektivierung der Schrift aber nun dekonstruiert zugleich die Priorität der Schrift, die Derrida gegenüber dem Phonozentrismus eingeklagt hatte.
Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist die „Derridabase“, in der Bennington (Derrida/ Bennington 1994) Derridas Werk zusammenzufassen versucht, um seinerseits eines blinden Flecks durch den Paralleltext Derridas überführt zu werden. Der Leser dieser Arbeit der Unterschiede kann nun beide Texte gegeneinander lesen, um darüber die Dekonstruktion zu erfahren, die als Sprachspiel sich nur noch selbst ad absurdum führen kann. Aber es ist dieser absurde Raum der Sprache und darin vor allem für Derrida der Texte, in dem wir unsere Perspektiven oft situieren. So benutzen wir Sprache und Zeichen, aber wir können für die Sprache keine ursprünglichen Zeichen, die sie festbinden und auf bestimmte normative Geltungsansprüche festschreiben, mehr ausmachen. Der Beobachter gewinnt einen Vorrang vor den Zeichen, so will ich Derrida uminterpretieren, denn es gibt eine unendliche Derivation der Zeichen, sie irren umher, sie wechseln die Schauplätze und selbst die Beobachter, obwohl sie doch immer Beobachter benötigen, die sie herstellen und situieren, aufnehmen und re-markieren, re-konstruieren und de-konstruieren. Dies ist durch die Pluralisierung der Beobachter der Verlust einer ursprünglichen Bedeutung, von der alles andere abgeleitet werden könnte. Gleichwohl sind sie nie nur Beobachter, sondern auch Teilnehmer und als solche sind viele Kontexte bereits in sie eingeschrieben, was Derrida durchaus richtig sieht. Als Akteure mögen sie dies leben, aber sie können sich auch auflehnen und die Perspektiven wechseln, bis sie sich als Texte neu in die Beobachtungen eingeschrieben haben.

Absolut und relativ:
Wenn nun aber Derrida mit dem Begriff der „différance“ selbst ein absolutes Symbol dafür gesetzt hat, das zugleich anzeigen soll, dass die Errichtung solcher Symbole relativ im Blick auf die Auslöschung des Absoluten ist, so wird die Paradoxie selbst sichtbar, die der Beziehung von absolut und relativ angehört. Wann immer wir Zeichen gebrauchen, die sich in ihrer Wiederholung als Zeichen erweisen, benutzen wir schon ein zumindest begrenzt Absolutes, das wir zwar wie die traditionelle Metaphysik verdammen und kritisieren mögen, aber dessen Durchquerung wir nicht hindern können, um zu unserem relativierenden Ziel eines relativierten Urteils zu gelangen.

Der Andere als Anderer:
Deshalb erscheint auch der Andere als jemand, der uns relativiert, nur, wenn er absolut im Sinne seiner Andersartigkeit bleibt. Aber hier hilft uns Derrida nur begrenzt weiter, weil er über diesen Grundbezug hinaus sich kaum mit der Beziehungsseite der Kommunikation beschäftigt, in der die Vereinnahmungen des Anderen in interaktiven Modellen erscheinen (vgl. dazu Kapitel II.2). Genau dies aber führt dazu, dass sein Sprachspiel relativ steril und alltagsabgewandt bleibt. Es mündet deshalb auch in eine Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, die bloßes Vor-Spiel bleibt, weil sich Derrida zwar kritisch gegen Freud oder Lacan wenden kann, wenn er deren Verweisungs-Tätigkeit dekonstruiert, wenn er zutreffend metaphysische Aspekte hierin aufdeckt, aber doch zugleich die anderen, vom Beobachter in der Kränkung des Un-Bewussten eröffneten De-Konstruktionen übergeht (vgl. dazu weiter unten die dritte Kränkungsbewegung). Ja, sein Sprachspiel verbleibt im Grunde in einem sehr einfachen Muster der Bejahung, einer fast schon positivistisch erscheinenden Struktur, die ein elementares Grundverständnis artikuliert: Wann immer wir über Zeichen Begriffe und mit diesen Einheiten von bestimmter Idealität und darin Iterabilität bilden, konstruieren wir ein Selbes, ein Eins, eine Einheitlichkeit, die sich einer Kraft verdankt, die solche Einheit bindet („bande“), und die darin in einer Gegenbindung („contrebande“) existiert. So tritt ein Begriff mit einem Ja in eine Verständigungsgemeinschaft ein, mit einem durch ein Ja markierten Vertrag, den der Andere anerkennt, um als Code jenes Minimum an Verständigung zu ermöglichen, das jedoch niemals eine Ursprünglichkeit darstellen kann, sondern als Fiktion gilt, als Illusion einer Bejahung auf ungewisse Dauer, als Pseudogegenwart, die in sich Dissens trägt. Und dieser Dissens ist auch die Zerstörung des Positivismus, denn nichts kann als Verweis auf Dauer jener positive Bezug sein, an den wir uns binden könnten. Wir können zwar einen Konsens in einer Verständigungsgemeinschaft finden, aber nur um den Preis eines grundsätzlichen Dissenses, der jedem Konsens schon zugrunde liegt. Und würden wir eine Politik betreiben, die endlich zu einer gerechten Gesellschaft kommt, dann wäre die Verwirklichung dieser Gesellschaft mit Sicherheit die größte Ungerechtigkeit, weil sie allen Dissens ausschließen müsste, weil sie totalitär werden müsste, die Zeit und die Subjekte auslöschen müsste, da sie alle Texte auslöschen müsste, die schon Verweisungen sind. Hier wäre keine Unterscheidung mehr duldbar. „Die einzige Chance, eine Gerechtigkeit zu denken, die diesem konstativen Modell nicht länger gehorcht, liegt in der Anerkennung der (notwendigen) Möglichkeit einer Ungerechtigkeit, die dem Gesetz selbst eingeschrieben ist: Nicht als Antizipation seiner eigenen Übertretung, sondern als eine Ungesetzlichkeit, die ihm als solchem inhärent ist.“ (Bennington/Derrida 1994, 247)

Der implizite Beobachter:
In seinen Sprachspielen geht Derrida von Beziehungen aus, die sich in Ergänzungen, Verschiebungen der Zeichengefüge und Verweisungen in ihnen ereignen. Dabei unterstellt er ein Spannungsverhältnis von mindestens zwei Kräften, die miteinander in Beziehung treten, ohne sie als Akteure selbst namhaft machen zu müssen, weil Texte und Kon-Texte schließlich immer mit Menschen in unterschiedlichsten Formen und Lebens­weisen verbunden sind. Es erscheinen damit implizite Beobachter, die aber nicht als explizite eingeführt werden. Hier ist Derrida Opfer jener sehr abstrakten Texte, die er kommentiert und dekonstruiert, weil schon sie den Beobachter verbergen, um sich als Texte von hoher Allgemeinheit zu behaupten. Je allgemeiner und abstrakter die Textart wird, und dies gilt für Derridas eigene Texte im besonderen Maße, desto mehr entschwindet das beobachtende Subjekt. Auf die Spitze wird dies in Benningtons Darstellung von Derridas Werken getrieben, denn dieser einführende Text in Derrida errichtet eine Denkfigur von großer Dichte und statischer Brillanz. Sie findet ihre Entgegnung in einem Dialog, den Derrida als autobiografische Notizen diesem abstrakten Monstrum entgegensetzt und die nun einen expliziten Beobachter darstellt, der im Spannungsfeld von Beschreibungen des Todes der Mutter und den Kastrationsängsten einer eigenen Beschneidung situiert ist und sich Assoziationen hingibt.
Doch dieser Text, der gleichsam Derrida selbst dekonstruiert, indem er seine Schriften und deren Extrakt mit Aspekten seines Lebens kontrastiert, die das verschieben und ergänzen, was eben noch sichere Theorie schien, sind nicht typisch für sein Werk. Dieses schließt vielmehr den Beobachter eher aus, weil es in jeder neuen Theorie einen weiteren Text sieht, der auf Texte verweist, die Spuren von Texten in sich tragen. Er favorisiert den Teilnehmer, der immer schon eingeschrieben festgelegt ist. Dies führt zu Vermengungen von Beobachterperspektiven in der gewollten Vereinseitigung in Richtung der Teilnahme. Wenn Derrida z.B. eine psychoanalytische Interpretation Rousseaus dadurch relativiert, dass er sie in dasselbe Netz eingeschrieben sieht, dem Rousseau als auch wir angehören, so mag dies zeichentheoretisch betrachtet ein zwar sinnvolles Sprachspiel begründen, das aber eben auch bloß ein Sprachspiel mit begrenzter Reichweite bleibt. So wird jeder Kontext eines möglichen Beobachters unter die Perspektive des Textes gepresst, was gerade der Psychoanalyse nicht gerecht werden kann, wie ich in der dritten Kränkungsbewegung noch ausführlicher zeigen werde.75

Symbolisches, Imaginäres und das Begehren der Dekonstruktion:
In der Auseinandersetzung mit Freud spielt die Schrift „Jenseits des Lustprinzips“ eine wesentliche Rolle.76 Der Triebbezug des Menschen führt ihn zu einem Streben nach Lust, nach Abfuhr der Triebenergien, die als Primärvorgänge bis hin zur Selbstzerstörung des Systems reichen können, wenn ihre Kräfte nicht durch Sekundärvorgänge gebunden werden. Freud argumentiert in einem Spannungsverhältnis, das den Trieb auf der einen Seite und seine Bindungsmöglichkeiten auf der anderen beschreibt, um daraus das konfliktäre Leben des Menschen zu bezeichnen: Ein zu Viel an Lust reicht bis an den Tod des Systems ebenso wie der Stillstand einer zu geringen Lust, die ebenfalls den Stillstand und Tod signalisiert. Hier zieht Derrida Konsequenzen für das symbolische System, wenn er aufzeigt, dass die Schrift und die Supplementarität in dieser ebenso einen Schutz darstellen, dass sie Sinneffekte bieten, die, wie die Begrenzung der Lust, einen Schutz vor sich selbst mit sich führen (Bennington/Derrida 1994, 147). Hier scheint sich die „différance“ selbst dem psychoanalytischen Diskurs einzuschreiben, denn die Verweisung aus dem Geflecht des Verwiesenen scheint erst die Verdrängung hervorzubringen, die im Spannungsverhältnis zwischen Lust- und Realitätsprinzip erscheint. Doch wer sollte den Streit zwischen Freud und Derrida entscheiden, ob die Verdrängung nun Texte produziere oder die Texte mit ihren Unterschieden erst Verdrängungen entstehen lassen? Es ist das Paradoxe an Derrida, dass mit seiner Theorie ja gerade dieser letzte Beweis ausbleiben muss, so dass der Beweis brüchig wird. Deshalb irrt Bennington, wenn er meint, dass erst die „différance“ jene Struktur des Selben ermöglicht, die man braucht, um Lust und Unlust zu situieren. Dies setzt ein Sprachspiel in den Vordergrund, das sich selbst bereits so weit dekonstruiert hat, dass es nicht einmal mehr diese Bevorrechtigung wird behaupten können, wenn es nicht Opfer der eigenen Dekonstruktion werden will. Denn selbst wenn wir als letzte Möglichkeit die Bedingung der Möglichkeit von Verweisungen als „différance“ behaupten, so zerstört doch eben diese Behauptung die Behauptung selbst, weil sie ja bloß zeigt, dass nichts als Verweisung bleibt. Damit aber könnte ein Triebtheoretiker wie Freud sein Verweisungsspiel beginnen und Derrida dekonstruieren, indem er ihm seine Texte als verwiesen z.B. durch seine Beschneidung nachweist, was angesichts seines autobiografischen Textes nicht schwer fallen dürfte.
Mit Derridas Dekonstruktivismus haben wir einen gewissen Höhepunkt der Zerstörung traditioneller Vernunftgebäude erreicht. Vernunft tritt in eine neue Form ein, sie ist durch Pluralität charakterisiert (vgl. Welsch 1995; vgl. auch später insbes. Band 2, Kapitel IV.3.3.2.3). Es gibt viele Wege, dies wissenschaftlich zu entwickeln. Der konstruktivistische ist einer davon.


Fußnoten


1 Die Literatur zur Kränkung der Vernunft ist unüberschaubar geworden. Einführend eignen sich m.E. besonders Habermas (1992 a) für das nachmetaphysische Denken; Welsch (1995) zusammenfassend für eine einführende Diskussion über die Postmoderne; Fischer (1992, 1995) für den Konstruktivismus.

2 Vgl. besonders Platon „Sophistes“ 243 C ff.

3 Vgl. dazu z.B. Emsbach (1980).

4 Vgl. hierzu z.B. Simon (1989, 9 ff. und 20 ff.).

5 Es ist plausibel, wenn Foucault die Techniken des Selbst daher aus der Antike herleitet. Vgl. Foucault (1992 b, 1989 a b).

6 In Kapitel II.1.3.4 werde ich z.B. mit Peirce, Foucault und Derrida drei solchen Implikationen noch näher exemplarisch nachgehen.

7 Dies kann besonders an einer Schrift von Friedrich Tomberg kritisiert werden (vgl. Tomberg 1968), der eine Herleitung des „sozialistischen Realismus“ gibt. Tombergs These gipfelt darin, die Kunst an die Parteilichkeit für gesellschaftlichen Fortschritt zu binden, ohne die Parteifunktionäre, die solche Parteilichkeit kontrollieren, als ausschließende, disziplinierende, machtvolle Beobachter zu fürchten. So entsteht aus einer abstrakten Beobachterutopie, wenn sie in die Praxis übersetzt werden würde, eine konkret-dogmatische Begrenzung der Kunst. Die Geschichte der DDR zeigte dies z.B. sehr deutlich.

8 Simon schreibt: „Mit der Autonomie der Kunst, des Signifikanten gegenüber dem Signifikat, wurde dies in der Neuzeit deutlich. Es wurde damit zugleich deutlich, dass der Wert einer Erkenntnis, d.h. einer Ersetzung von Zeichen durch andere, die als besser, als deutlicher erscheinen, nicht in ihrer Übereinstimmung mit Urbildern liegen kann, schon allein deshalb nicht, weil man keine letzten Urbilder zum Vergleich heranziehen kann. Auch die reale 'Landschaft' ist interpretiert, subjektiv erlebt. Könnte man sie 'an sich' erfahren, so wäre das Abbild eo ipso schlechter und im Vergleich nichts wert. Die Frage, 'was' ein Kunstwerk bedeute, geht an seinem Sinn vorbei. Es hätte keinen Sinn, wäre es nicht letztes Zeichen, für das kein anderes stehen kann.“ (Simon 1989, 22)

9 Der spezifische Versöhnungsversuch Hegels im absoluten Wissen wird hier bewusst ausgeklammert.

10 Zu Nietzsche oder Heidegger, die in diesem Kontext auch zu nennen sind, vgl. meine einführenden Überlegungen in Reich (1988). Siehe online unter http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_werke/

11 Vgl. dazu insbesondere seine Cartesianischen Meditationen, Husserl (1950, I, 83 f.).

12 Vgl. dazu insbesondere Levinas (1987).

13 Vgl. dazu weiter unten Kapitel II. 2.2.

14 Vgl. dazu auch Braun (1994, 14 ff.).

15 Vgl. dazu auch meinen Text „…dass nie wieder Auschwitz sei!“ in Reich url: http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/aufsatze/index.html Aufsatz 19a.

16 Vgl. dazu einführend z.B. Levinas (1992 a, 140 ff.).

17 Beides wird umfassend besonders von Cassirer (1985) reflektiert.

18 Grundlegend zu diesem Aspekt ist Heidegger (1986), der das Thema als eine wesentliche Problemstelle neuzeitlicher Philosophie markierte und mittels einer zentralen Einführung reflektierte. Die Zeitdimension spielte auch für Husserl eine große Rolle. Vgl. z.B. Husserl (1966). Aus der Sicht des interaktionistischen Konstruktivismus vgl. zu diesem Thema auch weiterführend Hasenfratz (2003).

19 Simon (1989) beschreibt in seiner „Philosophie des Zeichens“ ausführlich diesen Übergang, und die Kategorie Zeit wird bei ihm wesentlich, um das Dilemma zu bezeichnen, das zerstörend auf die ontologische Suche wirkt.

20 Andererseits bilden diese Autoren auch nur Ausgangs- oder Eckpunkte der Argumentation. Vgl. etwa zur weiterführenden Einführung in sprachanalytische Richtungen Tugendhat (1976, 1981), Frank (1994), Apel (1967). Eine implizit konstruktivistische Deutung gibt Abel (1999, 2004).

21 Zur Einordnung ins sprachreflexive Denken vgl. z.B. weiterführend Apel u.a. (1971).

22Vgl. zu dem damit intendierten Paradigmenwechsel einführend z.B. Apel (1973), Böhler (1985), Böhler u.a. (1986), Kuhlmann (1985), Kuhlmann/Böhler (1982).

23 Vgl. dazu vor allem Apel (1970, 1973). Zum Verantwortungsproblem Apel (1990), Apel/Kettner (1992, 1994).

24 Die genaueren Regeln stelle ich weiter unten bei Habermas dar, der die Geltungsregeln mit Apel teilt.

25 Vgl. weiterführend zu meiner Auseinandersetzung mit der Transzendentalpragmatik das von Holger Burckhart und mir verfasste Buch „Begründung von Moral“, online jetzt unter http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt

26 Es soll hier erwähnt werden, dass Dewey über die sprachtheoretische Dimension hinaus geht und ein allgemein anthropologisches Modell entwirft, das noch zusätzliche Aspekte erarbeiten lässt.

27 Simon betont, dass es deshalb in einer Philosophie des Zeichens auch keine geschlossene Methode geben kann, da man sich damit vor die Aufgabe gestellt sehen müsste, etwas zu einem Abschluss zu bringen, was nur in konstruktiver Bewährung, in praktischer Ausführung je gelingen kann (1989, 33 ff.; vgl. auch ebd., 314).

28 So definiert es Simon (1989, 39). Er setzt hinzu, dass wir, wenn wir ein Zeichen verstehen, nicht mehr fragen müssen, was es bedeutet. Verstehen wir die Bedeutung des Zeichens nicht, so fragen wir nach der Bedeutung und erhalten eine Antwort, was wir als Interpretation auf die Frage nach der Bedeutung verstehen. Oder: Der Begriff des Zeichens wird bedeutend „als Begriff für das, was wir jeweils entweder von uns aus ohne weiteres oder doch dadurch verstehen, dass wir versuchen, es uns und anderen ‚interpretierend‘ verständlich zu machen, indem wir es in andere Zeichen ‚übersetzen‘ oder es durch andere ‚umschreiben‘, die in den jeweiligen Kontexten als ‚besser‘ verständlich erscheinen. Der Zeichenbegriff hat sich damit von seinem traditionell metaphysischen Verständnis als ‚Stehen für‘ Seiendes gelöst und ist nun wesentlich dem Begriff der Interpretation verbunden.“ (Simon 1994, 11)

29 Vgl. hierzu Fischer (1991 d). Wo im Tractatus in einem Abbildgedanken die logische Syntax bzw. logische Grammatik „der Idealsprache noch als Widerspiegelung ontologischer Strukturen betrachtet“ wird, da „stellt der spätere Wittgenstein diese Relation auf den Kopf: die Grammatik (als ‚Form der Darstellung‘) konstituiert erst Ontologie, die Struktur der Welt ist somit die Reflexion des grammatischen Netzes, das wir mit der Sprache über die Wirklichkeit legen.“ (Ebd., 16)

30 Vgl. auch Tugendhat (1981, 91 ff.), dessen Argumentationsgang ich im folgenden Text nachzeichne.

31 Vgl. hierzu näher Tugendhat (1981, 118 ff.).

32 In dem „Ist“ reflektiert sich bereits unsere Unmöglichkeit, dieses Unmittelbare anders als vermittelt auszudrücken. Hegels Begriff der Vermittlung in der „Phänomenologie des Geistes“ erläutert dies nachdrücklich.

33 Bei Simon heißt es: „Die ausgezeichnete und wahre Definition von ‚Wahrheit‘ ist die, die zu einer bestimmten Zeit eine Antwort auf die Frage nach der Bedeutung von ‚Wahrheit‘ sein kann, und welche das ist, hängt auch davon ab, wie ‚Wahrheit‘ immer schon, wenn auch jetzt nicht mehr zureichend, verstanden war.“ (1989, 54) Aus vielen neueren sprachphilosophischen Überlegungen können wir lernen, dass Bedeutungen und damit Wahrheitsbestimmungen sich dabei empirisch am Sprachverhalten von Verständigungsgemeinschaften ausrichten. Vgl. z.B. Davidson (1990); über Davidson z.B. Rorty (1990) und Picardi/Schulte (1990).

34 Simon schreibt: „Die Philosophie wird an ihrem Anfang an einen vorphilosophischen Prozess der Zeichenvariation angeknüpft und sich daraus entwickelt haben. Eine abstrakte Trennung zwischen Theorien und Metatheorien, zwischen ‚lebensweltlichen‘ Sprachspielen und philosophischen kann es nicht geben. Wittgenstein kritisiert die Philosophie ja auch eigentlich nur insofern, als sie sich nicht als auch ein Sprachspiel, sondern als definitiver Schritt zu letzten Worten ‚über‘ andere Sprachspiele versteht.“ (1989, 63)

35 Wir werden später mit Lacan sehen, dass das „oder“ keine realistische Perspektive sein kann, weil der Blick des Subjekts immer schon über den anderen vermittelt ist. Vgl. Kapitel II. 3.5.

36 Vgl. hierzu und zum Aspekt der dabei auftretenden Lebensform insbesondere Fischer (1991 d).

37 Unter Lebensform versteht Wittgenstein keinesfalls eine psychologisch-charakterkundliche Typisierung, wie sie durch andere Veröffentlichungen belegt werden kann, sondern ein außersprachliches, historisch-kontingentes Fundament von Sprache, gleichsam eine soziale Voraussetzung von Sprache selbst. Vgl. hierzu ausführlich Fischer (1991 d, 38 ff.).

38 Foucaults Schrift „Wahnsinn und Gesellschaft“ (1973) konnte dies eindringlich beschreiben.

39 Bei Wahrnehmungsurteilen „handelt es sich immer um die Interpretation (das Bewusstsein) einer Empfindung. Die Empfindung von etwas, z.B. von einem Druck, ist interpretierte Empfindung. Eine uninterpretierte könnte in kein Urteil eingehen. Denn alles, was thematisch wird, wird als etwas thematisch, als etwas mit fraglicher Bedeutung.“ (Simon 1989, 77)

40 In dieser abgetrennten, künstlichen Welt des Labors und der reduzierenden Experimente findet solcher Positivismus dann durchaus zu seinen Ergebnissen, ohne deren lebensweltliche Rekonstruktion leisten zu können.

41 Eine eingehende Kritik findet sich bei Devereux (1967).

42 Vgl. als einführende Übersicht z.B. Nöth (1985), Löffler in Benedetti/Rauchfleisch (1989). 

43 Keinesfalls ist hier ein klar konstruktivistischer Ansatz auszumachen. Lenk z.B. versteht sich als pragmatischer Realist, der Kant mit anderen methodischen Mitteln fortführen will und auch zum transzendentalen Interpretationismus Verbindungen sieht. Es handelt sich mithin um eine konstruktionistische Gemengelage, die weniger von theoretischer Strenge, als vielmehr durch Einsicht in die bindende Kraft einer Selbsterkenntnis entsteht: Konstruktionen – gleich in welcher Auslegung wir sie interpretieren – werden als Verknüpfungspunkt unterschiedlichster Theorierichtungen erkennbar.

44 Solche Verfahren enden immer in ausschließenden Begrenzungen: Aus der Sicht unserer Kultur erscheinen letztlich alle anderen als weniger rational. Worauf Putnam immerhin aufmerksam macht, das ist die grundsätzliche Bezogenheit auf solche internen Beschreibungen, die wir hierbei notwendig einsetzen. Was er ausblendet, das ist eine kritische Einstellung gegenüber den Begriffsschemata unserer gegenwärtigen Kultur, denn diese dienen ihm bloß zur Abgrenzung.

45 Nach seiner Sicht besitzen Individuen einen allgemeinen Symbolapparat und eine Lernstrategie, mit der sie diesen inhaltlich füllen. Vgl. Sperber (1975, 190)

46 Die Problematik der unbewussten Seite solcher strukturalistischen Auffassungen werde ich ausführlicher in Kapitel II. 3.3. besprechen.

47 Vgl. dazu ausführlich Kapitel II. 3.1.

48 Vgl. zur Aktualität von Cassirer z.B. Braun u.a. (1988).

49 Diese Theorie wird für mich in der zweiten Kränkungsbewegung unter den Stichworten des Selbst und des Anderen in Kapitel II.2.3 wichtig werden. Daher wird auf Mead hier zunächst nur sehr kurz hingewiesen.

50 Vgl. weiterführend hierzu Band 2, Kapitel III. 2.3.2.2.

51 Vgl. z.B. einführend die recht breit angelegte Sammlung von Benedetti/Rauchfleisch (1989).

52 Ein Versuch solch unendlicher Arbeit am Mythos findet sich bei Blumenberg (1981) dargestellt. Vgl. ferner z.B. Kerény (1967).

53 Vgl. dazu die Analyse dieser Machttheorie in Band 2, Kapitel IV.3.3.2.1.

54 Dieser Aspekt bleibt hier zunächst ebenso unbearbeitet wie das interaktive Moment der symbolischen Funktion. Beides wird in der Charakterisierung der beiden nächsten Kränkungsbewegungen ausführlich behandelt.

55 Tyler fasst solche Strukturierungen als Schematisierungen besonders im Spannungsfeld von Kinesis und Mimesis zusammen. Darin erscheinen symbolische Denkbilder, die doch immer nur hilflose Versuche im Übergang eines Erklärens auf Zeit bleiben. Vgl. Tyler (1991).

56 Diese können geistiger oder materieller Art sein. Geistig erscheinen sie im Denken, materiell in vergegenständlichten Konstrukten. Sehr deutliche Beispiele hierzu bietet das religiöse Denken: geistig als symbolisches Denk- und Ausdeutungswerk, materiell z.B. als „heilige Schrift“, ritualisierte Handlung mit Kultgegenständen und „Kirchenbau“.

57 In diesem Sinne ist es für viele Intellektuelle gegenwärtig z.B. zu einem Spiel geworden, sich mit abergläubischen Vorhersagen zu beschäftigen. Das Spiel bleibt im engen Rahmen des Spiels dann aber noch offen für andere Weltdeutungen.

58 Eine andere mögliche Herangehensweise wäre es, dies aus der Sicht einer strukturalistischen Sprachauffassung zu tun. Da ich jedoch meine, mit Peirce schärfer das Verhältnis von Wirklichkeit und Verständigungsgemeinschaft erfassen zu können, mit dem Strukturalismus hingegen das Verhältnis von Unbewusstheit und Sprache zu illustrieren, komme ich auf strukturalistische Argumente erst in Kapitel II. 3.3. zurück.

59  Zu den Werken vgl. Peirce (1967, 1983, 1986, 1990, 1991). Einführend vgl. z.B. Pape (1989, 1994) und Apel (1967).

60 Es gehört zu den Spielen des Witzes, der Dichtung usw., dass sie gerade mit den Erwartungen unserer kategorial gesetzten Urteile und durch Verblüffungen ihrer imaginären Angebote mit uns spielen.

61 Nur auf der Ebene der Intersubjektivität ist der pragmatische Sinn der Kommunikation inhaltlich für Peirce festzulegen. Vgl. dazu etwa Apel (1967; 1970, 105 ff.), Habermas (1971, 106; 1975, 116 ff.).

62 Dies wird uns in Band 2, Kapitel III. und IV. ausführlich beschäftigen.

63 Zur Differenzierung des Peirceschen Lösungsvorschlages vgl. Pape (1989).

64 Dieses Problem wird mich in Auseinandersetzung besonders mit Apel und Habermas immer wieder beschäftigen. Vgl. dazu Kapitel II. 2.4. und insbesondere Band 2, S. 152 ff., 178 ff., 254 ff.

65 Vgl. dazu weiterführend insbesondere Ricœur (1986).

66 Vgl. dazu Pape (1989, 62).

67 Inwieweit das Verfahren von Peirce besser als z.B. das von Morris ist, der in recht einfacher Weise das Zeichen als Mittelbar-Notiz-Nehmen-Von definiert, soll hier nicht weiter beurteilt werden. Vgl. dazu weiterführend Pape (1989), ferner auch Habermas (1988 , 1991 a – Ch. S. Peirce über Kommunikation; 1992 a).

68 Ich gebe sie hier in meiner Deutung wieder; vgl. Foucault (1993 a, 404).

69 Selbst eine Ablehnung einer bewussten transzendentalen Perspektive führt doch zumindest auf das Problem zurück, den vor aller Empirie unterstellten Sinn und Bedeutungskonventionen sich irgendwie – z.B. als Konstruktivismus – festzuhalten.

70 Dabei ist es, was die Geschichte betrifft, offensichtlich, dass nicht eine Repressionsfreiheit am Ende des Erkennens von Repressionsprozessen steht, sondern nur eine ständig neue Rekonstruktion der verschiedenen und unterschiedlichen Praktiken und Arten von Macht und Unterdrückung, die sich die Menschheit in ihrer Geschichte erfunden hat.

71 Vgl. hierzu weiterführend auch Lemke (1997, 2000, 2001) und Dahlmanns (2008).

72 Diesem Gedanken widmet Welsch (1995) eine umfassende einführende Darstellung, in die er auch noch andere Denker einschließt. Inwieweit sich aus diesen Untersuchungen eine „transversale Vernunft“ ableiten lässt, soll hier noch nicht diskutiert werden. Vgl. dazu später Kapitel IV. 3.3.2.3.

73 Vgl. zur Einführung insbesondere Bennington/Derrida (1994), Derrida (1986); Kimmerle (1992), Welsch (1995, 245 ff.).

74 Auf seine Kritik am Phonozentrismus, die Präsenztheorie und die Vorrangigkeit der Schrift gehe ich nicht intensiver ein. Vgl. dazu z.B. einführend Welsch (1995, 249 ff.).

75 Bei Derrida tauchen übrigens immer wieder Ideen des Psychoanalytikers Lacan auf, ohne dass ihre Herkunft bedacht erscheint. Liest man Derrida nach einer Lacan-Analyse, dann erscheint seine Vermeidung der Anerkennung dieses Autors bei gleichzeitigem Gebrauch von dessen zentralen Grundbegriffen als besondere Abwehrleistung. Derrida kritisiert zwar zutreffend Lacans Phallozentrismus, gibt sich aber selbst zu wenig Rechenschaft über zentrale Denkfiguren, die er Lacan entlehnt hat. Zu Freud und Lacan vgl. etwa Derrida (1982, 1986, 1987).

76 Derridas Argumente sind hier teilweise oft auf dem Übergang in die dritte Kränkungsbewegung. Dennoch, so meine ich, hat er seinen primären Platz in der Kränkung der „traditionellen“ Vernunft.

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