Kersten Reich: Die Ordnung der Blicke. Band 1: Kapitel II.2.1

   

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2. Zweite Kränkung: Selbst und Anderer

Die gekränkte absolute Wahrheit hat sich in Verständigungsgemeinschaften zurückgezogen. Seitdem geht die Rede davon, inwieweit solche Gemeinschaften nicht auch unhintergehbare normative oder lebensweltliche Regulative benötigen (oder selbst darstellen), um sich einen klaren wissenschaftlichen Blick und einen eindeutigen argumentativen Diskurs zu erhalten. Die Ernüchterung aber setzt sich zunächst in dem Problem der wechselseitigen Anerkennung der Subjekte fort, die sich erst durch solche Anerkennung als ihr Selbst oder Anderer erscheinen. Besonders eindringlich ist dieses Erscheinen von Hegel thematisiert worden, weshalb es einleitend am Beispiel von „Herr und Knecht“ von mir auf Möglichkeiten einer Beobachtertheorie und das Problem der Verständigung bezogen werden soll.
In einem zweiten Schritt wende ich mich Sartre und Levinas zu, um zunächst das Verhältnis von Ich und Anderem zu präzisieren: Was geschieht z.B., wenn Verständigung über das Erblicktwerden gedacht wird und was bleibt den Blicken hierbei verborgen? Dann erscheint mit Levinas ein grundsätzliches Dilemma: Nutzen wir unsere Erkenntnis immer nur, um letztlich alles Andere für uns auf ein Selbes hinauslaufen zu lassen, mit dem allein wir die Ordnung bestimmen, mit dem wir recht behalten und wissen, was wahr ist, oder können wir den Anderen neben uns (vielleicht auch in uns) zulassen, um offen genug für die Vielfalt des Lebens zu bleiben?
In einem dritten Schritt gehe ich dem symbolischen Interaktionismus, insbesondere Mead, nach, um nach den kritischen Einschränkungen des zweiten Schritts nun einen der möglichen – auf Symbolvermittlung abzielenden – Lösungswege in seinen Konsequenzen von Interaktion und Verständigungsgemeinschaften hervortreten zu lassen.
Dann wird viertens am Beispiel von Habermas gezeigt, wie sich die Unschärfe entfaltet, indem sie begrenzt werden soll.
In einer Kritik an Luhmann mache ich fünftens auf Probleme aufmerksam, die entstehen, wenn die Interaktivität von Verständigungsgemeinschaften entsubjektiviert wird.
Zum Abschluss beziehe ich diese Kränkungsbewegung, die auch hier nur exemplarisch entfaltet werden kann, auf die erste Kränkungsbewegung zurück, indem ich das Verhältnis von Realität, Zeichen und Symbolen aus der Sicht des interaktiven Beobachters zusammenfasse.

 

2.1. Herr und Knecht (Hegel)

In der Bewegung von Eins und Auch haben wir bereits gesehen, dass dem Subjekt nur seine sinnliche Gewissheit blieb, um reichste Erkenntnis zu gewinnen, dass aber in der Bewegung zum Wissen und zur Wahrheit ein ärmeres Resultat mittels Ausschließungen der Wahrnehmung selbst und seiner Formulierung in einem vermittelten Wissen entsteht. Daraus formt sich ein Verstand und eine Vernunft, die bisher recht isoliert bzw. isolierend erscheinen. Wenn nun aber solche Vernunft Geltung erreichen will, dann ist sie nie autonom, sondern an Verständigung mit anderen Subjekten gebunden. Es erscheint also nur aus der Illusion einer Isolierung des Subjekts das Subjekt-Objekt-Problem, in dem sich allein Mensch und Dinge oder Sachen gegenüberstehen. Wird nach den Bedingungen der Möglichkeit dieses Gegenüberstehens gefragt, dann ist immer schon vorausgesetzt, dass eine Verständigung über die Geltung von Aussagen von Subjekten vorgeleistet wurde, um überhaupt Leistungen in der Bestimmung von Subjekt-Objekt-Relationen zu erbringen. Dies war ein klares Resultat der ersten Kränkungsbewegung.
Um sich selbst zu Bewusstsein zu kommen, scheint es in Erweiterung dieser Erkenntnis zunächst so, als müsse ein Subjekt, das zugleich Beobachter von Welt wie von sich ist, sich einerseits unmittelbar und sinnlich auf die von ihm erlebte Welt beziehen, andererseits aber in sich zu sich selbst als Wahrheit seines Wesens kommen. Die Robinsonade scheint hierfür ein entsprechendes Bild herzugeben, das zu betrachten lohnt.
Robinson, verschlagen auf seine einsame Insel, ist allein. Aber in seinen Gedanken, in seiner Begierde nach Leben, liegt als Geschichte bereits das eingeschlossen, was ihn verstehen lässt. Er ist von einer auf Selbstbeherrschung geprägten bürgerlichen Kultur schon gefangen gesetzt, bevor er überhaupt auf seiner Insel strandet. Seine Geschichte bringt zum Ausdruck, wie viel man als relativ freies, als handelndes, als bürgerliches Subjekt wagen kann, aber auch wie gefährlich solche Wagnisse sind. Doch bei all dem Glück, das man benötigt, um Wagnisse zu bestehen, so erscheint letztlich der Mut, mit dem man sich selbst bekämpft, als Lösung aus den Konflikten, wo uns die Natur unterwirft oder Gott prüft: Vertraue dir selbst, wirf dich zum Herrn über die Natur auf, indem du sie bearbeitest, diszipliniere dich, um durch Verzicht auf schnelle Lust und einfachen Gewinn, der in Faulheit und Trägheit mündet, dir dein Universum – und sei es auch nur eine kleine Insel – zu erobern. Diese Form der Kolonialisierung beginnt bei dir selbst. Schwinge dich zum Herrn über dich selbst auf, indem du deine Lust, deine Faulheit und Trägheit zu deinem Knecht machst, der für dich arbeiten muss. Damit verwandelt sich Robinson in einen Herrn, der sich selbst regiert, wenngleich er von Gott kontrolliert erscheint. Aber dieser Gott ist als eine Konstruktion (seiner Zeit und seiner Traditionen)  damit auch nur seine Ko-Konstruktion (seines Glaubenskreises) und bloß ein weiterer Ausdruck der ungeheuren Selbst-Beherrschung, die er sich auferlegt. In der Begegnung mit Freitag, der aus bloßer Fremdbeherrschung einer Gefangenschaft zu entspringen scheint, ist Robinson fraglos der Herr und Freitag ein Knecht.
Damit sind Herr-Knecht-Ver­hältnisse doppelseitig: Als Selbstbeherrschung erscheinen sie in einem intrapsychi­schen Spannungsverhältnis, in dem ich in mir eine imaginativ vermittelte symbolische Begrenzung durch ein (höheres) Anderes suche; als Fremdbeherrschung erscheinen sie als durch Macht, Herrschaft, Gewalt geprägtes interpsychisches Verhältnis zwischen ungleich der Vernunft und Aufklärung mächtigen Menschen.
Dabei gehörte es zum Übergang in die Moderne, wie im Kapitel I. dargelegt wurde, den Selbstzwang zu erhöhen und die Macht zu rationalisieren.
Robinson ist in diesem Rahmen ein Gedankenkonstrukt, eine der beliebten Fiktionen einer bürgerlich sich aufklärenden Welt. Er wird in andere Gedankenkonstrukte aufgenommen, etwa wenn Rousseau diese Fiktion als einzig lesenswerte Lektüre seinem „Emile“ bis zum 15-zehnten Lebensjahr überantwortet, um darzulegen, was eine „natürliche“ Erziehung ist. Es ist eine beflügelnde Imagination der Moderne, alles aus sich selbst heraus zu schaffen. Wer näher nachliest, der erkennt allerdings eine Herkunft, eine Umwelt und einen Gott, die allesamt als Ratgeber einer nicht näher dargelegten Verständigungsgemeinschaft fungieren, aber in dieser Funktion nur von einer außenstehenden Beobachterwarte aus erkennbar sind.
Was kann ein solcher, äußerer Beobachter an Robinson entdecken? Es scheint, dass Robinson in seinen Mono-Logen zwischen einem Außer-Sich und einem Für-Sich schwankt. Einmal beschreibt er sich als fremd, weil er die Normen seines Elternhauses ungenügend befolgt, weil er sich durch die Gewalten der Natur bestraft, durch Piraten versklavt sieht. Er wird seinen eigenen Begierden entfremdet, denn er kann im Wechselspiel seiner Wünsche und der Realität auch durch größte Anstrengung nicht das Äußere, das Andere vermeiden. Andererseits versucht er dieses Außen zu verstehen, und inte­griert es damit schon in sein Für-Sich-Sein, indem er es als Strafe für verletzte Normen deutet, als Schicksal der Natur oder auferlegte höhere Strafe Gottes erkennt, als menschliche Gemeinheit identifizieren kann usw.
Solcher Mono-Log erscheint uns als Beobachter dieses Beobachters Robinson als ein Spiel der Kräfte, wo das Tun des Einen in das Tun des Anderen umschlägt, wo sich aber zugleich in der Monologisierung eine Beobachtungsleistung hin zu einem Selbstbe­wusst­sein formuliert, das in der Betrachtung seiner Extrempositionen sich aufklärend über sich und die Welt erfährt.
Robinson gibt nicht auf. Solange Leben in ihm ist, fährt er fort in seinem Denken und Tun. Ihn treibt etwas an, was wir mit Hegel Begierde nennen können.1 In der Befriedigung seiner Begierde erlebt Robinson die Gewissheit seiner selbst, indem er die Naturmächte auf Zeit besiegt: Hunger, Durst, Schlafen, eine geborgene Existenz, die sich mittels Arbeit die Vorräte über den engeren Tag hinaus sichert. Aber gleichzeitig erfährt dieses sich reflektierende Bewusstsein über die Befriedigung seiner Begierde die Widerständigkeit, die Selbstständigkeit der Gegenstände, der Natur und Welt, die ihn umgibt und die er bearbeitet. Aus seiner Aktion gegenüber dieser widerständigen Natur entsteht ihm seine Wahrheit in vergegenständlichter Form. Robinson erlebt sich über seine Taten.
Uns als Beobachter erscheint sein Überlebensversuch als menschlich. Wir sehen, wie er die Natur stückweise durch Arbeit besiegt, wir sehen aber auch, wie er sich selbst dabei beherrschen lernen muss.
Aber als Beobachter bliebe für uns dies alles folgenlos, wenn er tatsächlich so isoliert wäre, wie er in der Reduktion auf seine Subjekt-Objekt-Verhältnisse erscheint. Der ihn konstruierende Autor kann ihn so nicht belassen, sondern eskaliert die monologische Existenz durch die Begegnung mit einem Wilden. Dieser wird dem Robinsonschen Monolog einverleibt, denn er hat als knechtisches Wesen scheinbar nichts Eigenes der Zivilisation entgegenzusetzen. Er muss die Wildheit, die unterentwickelte Stufe fraglos anerkennen, aus der er stammt. Erst sehr viel später werden ethnologische Beobachter ihn aus dieser Klammer solcher Beobachtung freisetzen können. Zunächst aber spricht in der Moderne Robinson als Herr und Freitag als Knecht hört zu. So bestimmt Robinson den Gang der Dinge und versklavt das dumme Wesen. Und diese Versklavung reicht so weit, dass selbst in der Stunde der Rettung dieser Freitag seinen Herrn nicht mehr willentlich verlassen kann, weil er ohne ihn in eine dumpfe Angst des Wilden zurückfallen müsste.
Als Herr ist Robinson damit voraussetzend im Mono-Log, und Freitag lauscht aus seiner Position die wesentlichen Erkenntnisse über die Dinge und das Bewusstsein sich ab. Aber damit ist Robinson doch nicht der solitäre, der einsame und im Monolog seiner Existenz verharrende Herr. Wir als Beobachter dieser Fiktion wissen längst, dass wir benötigt werden, um dem Autor und uns Sinn über dieses Bild zu geben: Seine Anerkennung findet Robinson nur über uns, die wir anerkennend ihn anerkennen. „Das Selbstbewusstsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewusstsein“, so formuliert Hegel diese Einsicht (Hegel 1970, 144). Robinson benötigt uns, um als Person anerkannt zu sein. Wir benötigen Robinson, um uns über das Bild, das wir uns von ihm machen, in dem, was wir tun und uns einbilden, anerkennen zu können.
An dieser Stelle sind wir konstruierend tätig, indem wir die Wirklichkeiten erschaffen, die uns bedeutsam sind. Wir sind hier in einer Gedankenbewegung. Da kommt es nicht darauf an, ob es diesen Robinson jemals gegeben hat. Die Gedanken verflüssigen die Welt und das Leben, sie imaginieren Personen, die als ein Als-ob unsere Anerkennungen ebenso und mitunter stärker beflügeln mögen als jene erlebten Anerkennungen, in denen wir uns selbst als Herren oder Knechte zeigen. Aber beliebig ist dieses Verhältnis nie, denn es setzt immer schon an der erlebten oder gedachten Interaktion an, in der wir uns sehen und gesehen werden.
Was bleibt nach dieser ersten Einführung? Die Gewissheit eines Anderen erscheint notwendig zur Bestimmung der eigenen Gewissheit. Ein Bild meines Ichs gewinne ich nicht ausschließlich über mich, sondern nur in der Anerkennung einer Vermittlung mit Anderen. Und sollte ein Ich so autonom erscheinen wie Robinson auf seiner einsamen Insel, dann sollten wir sofort jenen Beobachter uns beobachten, der hieraus anerkennend seinen Gewinn zieht.
Auf dieser Basis erkennen wir an den Bildern, die wir uns über menschliche Verständigungsgemeinschaften, die immer auch Beobachtergemeinschaften sind, machen, dass es aber auch keine Gleichheit in der Verständigung und für die Beobachter gibt. Eine Chance auf Gleichheit, der die bürgerliche Moderne von Anbeginn an faszinierte, scheint nur zu bestehen, wenn wir die Anerkennung selbst egalisieren, d.h. wenn wir Anerkennungsbedingungen finden könnten, die alle Menschen gleich und ohne erzwungene Macht teilen könnten. Aber ist dies möglich? Wäre es vorstellbar, dass wir alle Robinson werden? Wie aber verhalten wir uns dann gegenüber dem Herrn (Gott), der auf uns blickt und uns nach seiner Willkür Anerkennung gibt? Oder sollten wir alle Freitag werden? Wie aber verhalten wir uns dann gegenüber jenen Besserwissern von Welt, die wie Robinson mit ihrer Warenproduktion und ihren Tauschgeschäften die Welt schon erobert haben? Je mehr wir über Egalität nachdenken, desto mehr mögen uns lebensweltliche Unterschiede nach arm und reich, hässlich und schön, krank und gesund, normal und anormal usw. erscheinen, die unser Ideal nach gleichen Beobachterpositionen und damit nach einer gemeinsamen (universalen) Basis von Verständigung hinterfragen lassen. So hat die Moderne mit dem Wunsch nach Gleichheit zugleich den Zweifel an ihrer Möglichkeit gesät.
Hegel hat die Folgen der Anerkennung der Begierde des einen Selbstbewusstseins durch ein anderes klar angegeben. Die Anerkennung selbst ist eine Bewegung (ebd., 145 f.). Das jeweilige Selbst-Bewusstsein bildet sich nur im Prozess einer Anerkennung, wobei es sich nur als Anerkanntes anerkennen kann. Es ist aus der Isolation herausgetreten, die sich als bloße Fiktion erwiesen hat:2
Erstens bin ich Selbstbewusstsein nur dann, wenn ich mein Selbst verliere, denn ich finde mich über die Anerkennung durch einen Anderen als fremdes Wesen. Zwar mag ich hierin alles tun, wieder allein zu mir zurückzukehren, aber ohne die Anerkennung eines Anderen, die ich dann in mich zurücknehme, kann ich dies nicht. Es gehört zur Kunst meines Lebens, diese Anerkennung des Anderen in mir zu vermitteln und sie als mein eigenes Anerkennen in mir aufzuheben. So gelingt es mir, mich im Anderen zu sehen. Aus dieser Bewegung heraus findet sich das Subjekt als ein anderes Wesen, es ist nicht mehr das, was es sich vorher über sich einbildete; und es sieht den Anderen nicht als Wesen, das ihm alles über sich oder den Menschen schlechthin aussagen könnte, sondern sich selbst im Anderen, was immer etwas über die Anerkennung selbst aussagt. Um dies zu konkretisieren, sei darauf verwiesen, dass insbesondere Kinder sich ihr Selbst laufend neu bilden, indem sie Inhalte und Formen der Welt- und Selbstinterpretation aufrichten, die an der Welt und hier an den Anerkennungsbedingungen durch ihre Bezugspersonen gelingen oder scheitern. Solches Gelingen oder Scheitern führt zu Veränderungen, zu Entwicklungen, aus denen sich das erwachsene Selbst aufbaut. Aber auch das erwachsene Selbst findet keine letzte Ruhe, denn in den unterschiedlichen Lebensabschnitten muss es sich je nach der Dynamik der Lebensperspektive immer wieder anerkennend und anerkannt verändern. Auf dieser Basis entwickelt sich ein kompliziertes System gesellschaftlicher Anerkennungszwänge. Die Zunahme von Selbstzwängen in der Moderne im Blick auf Langsicht, Interdependenzketten, Status-, Prestige- und Hierarchisierungsbedürfnisse gibt dem Subjekt Beobachtungsmöglichkeiten, mit denen es sich im Anerkennungskampf situieren kann (vgl. Kapitel I. 5.).
Zweitens ist aus dieser ersten Bewegung heraus das Subjekt immer ein anderes. Es strebt danach, den Doppelsinn der ersten Bewegung (sein Selbst als anderes und sich selbst im Anderen) aufzuheben, indem es einerseits das andere, selbstständige Wesen aufhebt, um dadurch seiner als eines Wesens gewiss zu werden, andererseits hebt es damit zugleich aber auch sich selbst auf, denn es ist eben auch dieser Andere. Diese Bewegung symbolisiert den Kampf der Subjekte gegeneinander, ihr ständiges Ringen, indem sie sich gegeneinander als machtvolle Figuren aufschwingen, um die Aufhebung der Selbstständigkeit des Anderen in Herrschaftssymbolik real werden zu lassen oder zumindest imaginativ zu bewältigen. Es gibt unendliche Möglichkeiten der Begrenzung und Unterscheidung, um seiner Selbst insbesondere über Machtpraktiken gegen den Anderen bewusst zu werden.3 Es gehört zur Ironie in diesem Kampf, dass das eine Subjekt gegen das andere streitet, als wäre es nicht ebenso wie dies andere ein Mensch, der von gleichen oder zumindest ähnlichen Begierden getrieben wird. Solches Vergessen lässt den Kampf vereinseitigen bis hin zur Verzerrung menschlicher Perspektiven.4
Die erste Bewegung konzentriert sich auf das Außer-sich-Sein. Die zweite Bewegung konzentriert sich auf das In-sich-selbst-Sein. Wird in der ersten Bewegung um Anerkennung gerungen, so erscheint in der zweiten ein schon ausgetragener Anerkennungskampf über den Anderen, der zu sich selbst als Wahn der Selbstständigkeit – siehe Robinson – zurückgekehrt ist. Gleichwohl verleiht solcher Wahn Sinn, denn nur die Grenze des Ichs zählt in einer Welt, die sich nach Namen und Leistungen von atomisierten, partikularisierten Individuen vorstellt und in dieser isolierenden Vorstellung Befriedigung findet. Soziale Differenzierungen tragen solchem Sinn Rechnung, indem sie ihn funktionalisieren und normativ vorschreiben. Konventionen von Verständigungsgemeinschaften regulieren die Möglichkeiten und Grenzbedingungen solchen Kampfes, ohne jedoch je auf Dauer eine Gewähr dafür gefunden zu haben, ihn rational begrenzen zu können.
Drittens können wir zusammenfassend aus den ersten beiden Bewegungen beobachten, dass das doppelte Aufheben des Andersseins in eine doppelte Rückkehr in sich selbst resultiert, wobei als Ergebnis einerseits das Selbstbewusstsein sich selbst zurückerhält, weil und indem es sich begrenzt und unterscheiden lernt, andererseits aber damit auch das andere Selbstbewusstsein sich selbst zurückgegeben wird. Auf dieser dritten Stufe scheint alles normalisiert: Ich bin ich und du bist du. Wir sind klar begrenzt und unterschieden. Die wechselseitigen Ausschließungen sind vollendet, und der Erwachsene weiß sich einigermaßen sicher in sich – oder den Perspektiven über sich, die konventionell geregelt sind – etabliert. Allerdings zeigen Beobachtungen über längere Zeit, dass dieses scheinbar sichere Verweilen nur die Abstraktion eines Verweilens ist, die im Strom der Zeit in Bilder der Veränderung, der Verwerfung, in einen Wechsel der Perspektiven gerät, um so in den Zirkel der Bewegungen selbst immer wieder neu einzutreten: Anerkennung ist Bewegung im Zirkel der ohnehin von uns als Beobachter nur konstruierten drei Positionen.
Für viele Menschen wird die Rückkehr in die erste Bewegung zum Albtraum eines Verlustes einer erreichten Position, einer Regression in die Ohnmacht einer Kindheit, über deren Abwehr sie die alltägliche Ankunft dieser Bewegung in subtileren Formen vergessen. Denn könnte das Außer-sich-Sein je aufhören, wenn sich Menschen begegnen? Es bedürfte schon hochgradig rationalisierter Begegnungen, um wechselseitiges Mitfühlen, Spiegelungen in den Blicken des Anderen, Begehren nach Anerkennung ausgeschlossen zu sehen, wo doch ständig die dritte Position der relativen Ruhe eines umgrenzten Ich ohne Andere gefährdet ist.
Ebenso mag die zweite Position als unerwünscht erscheinen, weil sie soziale Unruhe ausdrückt. Die Bemächtigungsversuche sind allemal konfliktreich. Das Vertrauen auf übergeordnete Konstrukte rationalisierter Konfliktbewältigung – wie z.B. durch Maßnahmen der Gewaltenteilung und Absicherung demokratischer Prozesse – drückt hier bereits eine Vorgängigkeit aus, deren Hinterfragung als revolutionäre Unruhe erscheint, die den Kampf neu aufnehmen will. Dies verkennt gern, dass bereits und ständig gekämpft wird, denn in dieser Position wird um Grenzen der Aufhebung der Selbst­ständigkeit des Anderen auch dann noch gerungen, wenn ich vernunftgeleitete Regeln seiner Unterwerfung, die für alle gelten sollen, bereithalte.
Die dritte Position aber drückt, wenn die Subjekte sich in ihr reflektieren, aus, dass sie sich als gegenseitig sich anerkennend anerkennen müssen, dass sie in ihrem Bewusstsein ein Spiel der Kräfte erleben, eine Gedankenbewegung mit Spannungen zwischen den Extremen eines reinen In-sich-Seins oder Außer-sich-Seins, wo jeder dem Anderen zur Vermittlungsposition mit sich selbst wird. Idealtypisch ließe sich hier fragen, inwieweit aus solcher Vermittlungsposition heraus Regeln der Verständigung abgeleitet werden könnten, die ein gerechtes, ein demokratisches, ein „wahres“ Verständigen mitein-ander ermöglichen.
Mit Hegel habe ich damit ein Beobachtungskonstrukt entworfen, das Positionen markiert, die zirkulär ineinander verwoben sind. Im Gegensatz zu Hegel sehe ich keine Versöhnungsmöglichkeit im Durchschreiten solcher Anerkennungsbewegungen bis hin zu einem versöhnten Wissen über diese, sondern nur die Wiederkehr ewig gleich erscheinender Figurationen in menschlicher Anerkennung. Es geht mir für eine Beobachtertheorie näher um die Positionen, von denen aus wir solche Figuren – die Beobachterkonstrukte sind, in die aber bereits sehr viel reflexive Erfahrung über die Zeitalter hinweg eingegangen ist (was ihre Beliebigkeit einschränkt) – noch besser rekonstruieren können. Diese Positionen aber bedingen immer schon Interaktion bei jeder Konstruktion, die mit der Behauptung eines Selbstbewusstseins, eines Ichs, einer Unterscheidung von Selbst und Anderen, oder wie immer wir dies begrifflich nach den Vorlieben vorausgesetzter Theorien formulieren wollen, zu beachten ist.
Solche Anerkennung benötigt zunächst nicht einmal die Sprache, sondern nur die biologische Person und ihr sinnliches Vermögen, um sich im Rahmen ihrer Lebenswelt zu situieren. Wahrnehmungen über Blicke des Anderen sind auch im Tierreich nicht ausgeschlossen, sondern häufig. Für den Menschen aber, der weniger instinktgebunden als Tiere die Vermittlung seiner Anerkennungen zu leisten hat, werden die Positionen der Selbstbewusstwerdung entscheidend zur Ichfindung, für ihn wird die Sprache dabei dann hochgradig bedeutsam, obgleich sie nicht für seine sinnliche Gewissheit, für Gefühle und Erleben vollständig herhalten kann, aber weil sie in der Formulierung darüber herhalten muss. Die Sprache als zeichenhafte und symbolische Ordnung verhilft den Subjekten, sich in den Positionen eigen-artig einzunisten, teilweise auch so als sei die zirkuläre Bewegung selbst zu verleugnen. Die Sprachspiele ermöglichen eine ungeheure Variation dieser Positionen bis hin zu dem Punkt, wo sich die Positionen selbst verstellen. Es ist der Eintritt in die symbolische Konstruktion über Sprache, die diese Positionen ermöglichte, die sie aber auch in Grenzen setzt. Und sofort sind wir wieder in den Positionen verstrickt, die wir als Konstrukte aufklären und die uns dabei paradoxerweise schon umschließen: Als Verständigungsgemeinschaft nur können wir sie anerkennend anerkennen oder vergessen.
Hegels Unterscheidung dieser Anerkennungsbewegung enthält eine Beobachtungslogik, die unterschiedlich in interaktionistischen Theorien aufgenommen wurde. Ich kann die Akzente eher auf das legen, was außerhalb des Subjekts liegt, auf das, was in es zurückgenommen wurde und dann besonders zur Abgrenzung dient, auf jenes, was die abgegrenzte Verständigung als wechselseitige Selbstständigkeit selbst anerkennt. Aber all diese Akzentsetzungen, die sich gewiss am Beispiel von Theorien beschreiben ließen5, müssen doch immer wieder zirkulär zusammengedacht werden. Gleichwohl überfordert uns diese Zirkularität, weil wir erneut in einem Boot auf dem Fluss sitzen, dieses aber als Beobachter uns erst selbst aus Bruchstücken im Wasser zusammenkonstruieren, denn wir sind immer schon in dem Boot, das wir uns ständig neu erbauen, um die Landschaften unserer Welt mit-ein-ander zu beschauen. Im Schauen merken wir, dass wir aber auch selbst Teil dieser Landschaft sind, die wir mit unserem Verkehr, unserer Industrie und unseren übrigen Vergegenständlichungen geschaffen haben, so dass auf einmal immer mehr Wahrnehmungsfelder auf unserem Planeten selbst zu jenem Boot werden, das wir uns zusammenkonstruieren.
Auch dieses Bild ist schon wieder eine illusorische Metapher. Wir tun gerade so, als hätten wir uns über dieses Bild, über unser Welt-Bild schon verständigt. Dieses aber setzte ein gleiches, wechselseitiges sich Anerkennen voraus, das wir erst zu definieren hätten.
Dieses Bild hat nach der bisherigen Argumentation aber schon eine wichtige Voraussetzung gemacht, die ich hier noch einmal herausstellen will. Interaktion bezieht sich auf den Einen und den Anderen, ein Selbst und ein Anderes, auf Alter und Ego, auf ein face to face, auf den Dialog einer Verständigung. Interaktion wendet sich damit gegen die Isolation und Reduktion auf den einzelnen, das autonome Subjekt, erweitert also die Perspektive. Ich beobachte einen Anderen, der mich beobachtet. Dies scheint das Grundgerüst der Argumentation jeglicher Interaktion zu sein. Allenfalls könnte ich zwischen diese erste und zweite Person noch eine dritte setzen, die sie beide beobachtet. Die Interaktion face to face aber scheint elementarer zu sein und alles enthalten zu können, was eine dritte Person beobachtend herausfinden mag.
Betrachten wir allerdings mit Hegel ungleiches Anerkennen näher, dann stellt sich heraus, dass die Interaktion neben den zwei Subjekten, die notwendig zu ihr gehören, immer auch auf weitere Bezugsgrößen verweist. Hegel fragt nicht, wann die Menschen ungleich wurden, sondern stellt ein Denkspiel über die Ungleichheit selbst an. Es ist eine tückische Ungleichheit, die sich scheinbar einfach in der Entgegensetzung von Herr und Knecht entfaltet. An dieser Stelle wird Foucault, wie noch ausführlicher zu diskutieren sein wird (und wie es in Kapitel I bereits angedeutet wurde), ansetzen, um uns zu verdeutlichen, dass die Macht ein steter Gast aller Interaktionen ist. Wir müssen befürchten, dass es weitere Gäste gibt, die nicht immer eingeladen scheinen.
Bisher habe ich von Anderen wie von einer Person gesprochen. Dies schien legitim, denn es geht in menschlicher Interaktion immer um Begegnung mit anderen Menschen. Aber ein Anderes kann auch ein Inhalt des Lebens, ein Gegenstand, eine Imagination, eine Symbolik sein. So ist z.B. der Tod das große Andere am Ende unseres Lebens, dessen Fremdheit nach Re-Integration schreit: Einverleibung als Überwindung des Todes z.B. durch religiöse Glaubenspostulate nach einem Leben nach dem Tod usw. Verbleiben wir in einer Subjekt-Objekt-Betrachtung, dann können Andere sowohl Subjekte als auch Gegenstände beliebiger Art sein. Allerdings stellt der Mensch in seinem Leben fest, dass die lebendigen Personen, die anderen Subjekte, in einen Kampf ums Leben verstrickt sind. Es scheint zu den elementaren Erfahrungen des Menschen zu gehören, dass er sich vor allem der Logik dieses Kampfes stellen muss. So gehört es schon zu den Erfahrungen der Kindheit, dass das eigene Selbst-Bewusstsein nicht autonom ist, sondern zunächst immer auch von Anderen abhängt. Solche Abhängigkeiten sind über alle historischen Zeiten hinweg erkennbar. Sie lassen sich in ihren extremen Positionen dann auch als Herr und Knecht beobachtend beschreiben.
Der Herr erscheint als jemand, der ein Bewusstsein von sich selbst hat, das sein Für-sich-Sein betont. Aber er benötigt doch den Anderen, um dies sein zu können, wobei er erstens nur Herr wird, wenn dieser Andere von ihm als Ding, als Gegenstand seiner Begierde gesehen werden kann, was aber zweitens voraussetzt, dass dieser Andere in seinem Bewusstsein solche Dingheit auch anerkennt – denn sonst würde der Andere sich wohl auch zum Herrn erklären müssen. Der Herr kann also nur in der Interaktion sein, ohne Knecht wäre er nicht. Aber dies ist nicht nur ein Verhältnis von Mensch zu Mensch, denn indem der Herr etwas vom Knecht will (in der Regel seine Arbeit für ihn), führt er die Beziehung in eine Verdinglichung: Der Herr erweist sich gegenüber den Dingen als selbstständig (er verrichtet keine einfachen Arbeiten mehr), er beherrscht den Knecht, den er zwischen sich und die Dinge, die zu bearbeiten sind, schiebt.
Die Verständigung von Herr und Knecht ist ungleich. Es ist auch keine Kommunikation von nur zwei Positionen aus, sondern eine Verständigung über etwas – von Hegel als Ding bezeichnet –, auf das sich eine Begierde richtet. In dieser Interaktion aber findet sich zugleich trotz aller Macht- und Herrschergebärden des Herrn auch seine Abhängigkeit: Er wird nur anerkannt durch das Bewusstsein des Knechts. Dieser aber hat seine Selbstständigkeit in seinem freien Handeln eingebüßt, obwohl er nun andererseits, wenn er für den Herrn arbeitet, eine Selbstständigkeit gegenüber den Dingen gewinnt. Alle Herr-Knecht-Verhältnisse unterliegen der Gefahr, dass sich die Knechte hierüber schlau machen und die Überflüssigkeit von Herren erkennen. Der Herr jedoch setzt seine Furchtlosigkeit und seinen Kampf dagegen. Er unterdrückt, notfalls mit Gewalt, weil er keine Angst vor dem Tode zeigt, weil er sich in seinem Willen, für sich zu sein, sicher ist, weil er seiner Wahrheit des Herrschens gewiss ist. Heute mag dies milder geschehen, wenn er unternehmerische Risiken eingeht, in denen er die Arbeit des Knechtes gleichwohl aneignet, aber die Risiken zu großen Teilen auf begrenzte Körperschaften wie GmbHs abwälzt. Gleichwohl ist die Basis seiner Wahrheit immer das knechtische Bewusstsein, das sich zirkulär mit ihm verwoben hat und über alle kleinen Veränderungen in der Balance von Macht, Dingheit und Selbstständigkeit sich entwickelt.
Der Knecht wird zum Knecht nur durch einen Herrn, aber er muss dies in sich selbst mittels seines Bewusstseins werden. Sofern wir auf Herr-Knecht-Verhältnisse sehen, ist zum erreichten Punkt von Herrschaft dieses Problem auf Zeit gelöst: Die Anerkennung des Herrn als Herrn und die Bestimmung des eigenen Bewusstseins als Knecht.
Nun führt Hegel elegant einen letzten Maßstab der Fremd- und Selbstbeobachtung ein, um diese Entscheidung zu dramatisieren: Der Knecht hat die Furcht des Todes erfahren, wenn er den unerschrockenen Herrn kämpfen sieht, er hat Herren an ihren Risiken scheitern sehen, und er hat in dieser Empfindung sich unterworfen. Der Herr hingegen muss aus dieser Perspektive furchtlos sein, um sich als Macht und seine Begierde in ungebremster Form behaupten zu können. Der Herr genießt die Arbeit des Knechts, der sich nun mit den Dingen vermittelt und Reichtum erschafft. Auch Herren mögen Furcht verspüren, die sie hin zur Weisheit führen6, aber für Hegel entsteht erst durch die Arbeit der Knechte jene aufgeschobene Begierde, die als Langsicht und Selbstbeherrschung zur Bildung führt.
Ich will an dieser Stelle nicht auf die Rolle dieses Herr-Knecht-Schemas für die Entwicklungsstufen eines menschlichen Geistes eingehen, sondern diese Grundfiguration nur für interaktive Verhältnisse selbst herausstellen. Für diese ergibt sich im ungleichen Anerkennen, dass

  • ein Machtverhältnis etabliert wird, das in der Verständigung über Etwas die Entscheidung für die Vermittlung mit diesem Etwas (bei Hegel mit dem Ding über Arbeit) auf einer Seite situiert, die wir Herr nennen (und die wir durch analoge – machtbezogene – Begriffe ersetzen könnten);
  • solche Machtverhältnisse aber zugleich Anerkennungsverhältnisse sein müssen, die nicht bloß einseitig durch den Mächtigen entschieden werden; dies setzt die Anerkennung des Herrn durch den Knecht und des Knechts durch den Herrn voraus;
  • damit für den Beobachter ein Blick auf die Zirkularität ihres Verhältnisses notwendig wird; um dies zu erkennen habe ich einen Dritten als Beobachter in den Schein des Dualismus von Herr und Knecht eingeführt;
  • solche Verhältnisse in ihrem Interaktionsmuster aber auch bereits Sprengkraft für ihre Veränderung beinhalten, da es hier sehr auf das Wechselspiel des bloßen Genusses des Herrn und der Bildung über das Ding durch den Knecht ankommt, d.h. wie sich ihr Verhältnis über längere Zeit gestaltet; man schließt z.B. aus his­tori­schen Erfahrungen, dass die gewaltsame Unterdrückung bei gleichzeitiger Beschränkung auf roheste Entwicklung der Knechte dauerhaftere Herrschaft erbringen kann, als eine zunehmende Bildung der Knechte in ihrer dinglichen Arbeit, die damit eine Selbstständigkeit ihres Bewusstseins gegen Herren entwickeln;
  • solche Verhältnisse zugleich auch auf weitere menschliche Eigenschaften, insbe­son­dere auf Begierden, Angst und Furcht, auf Emotionen verweisen, die in sie über die Anerkennung und Verständigung als Motive des Handelns (einer Herren- und Knechtsmentalität) eindringen.

Auf der Grundlage dieser Aussagen und über sie hinaus will ich in fünf Schritten möglichen Differenzierungen solcher Interaktion im Blick auf die Unschärfe nachgehen.7
Zunächst will ich am Beispiel von Sartre herausarbeiten, inwieweit die Begegnung eines Subjekts mit dem Anderen über Blicke vermittelt ist. Denn scheinbar blicken wir frei auf einen Anderen, um uns zu entscheiden, was dieser für uns ist und wie wir hier in einer Beziehung gefangen sind. Doch für Sartre wird sich dies als komplizierter erweisen, weil er im Erblicktwerden bereits eine Begrenzung des vermeintlich freien Blicks entdeckt. Ich werde dieses Argument weiterentwickeln und den Blickpunkt des Dritten, der sich hier einmischt, hervorheben. Dabei helfen Begriffe wie symbolisch und imaginär. Die drei Positionen Hegels erfahren so eine Relativierung und notwendige Erweiterung.
Dann will ich am Beispiel von Levinas näher untersuchen, inwieweit das Ding, das sich zwischen Herr und Knecht geschoben hat, bereits grundsätzlich zwischen Selbst und Anderen lauert. Ist es hintergehbar? Gibt es Möglichkeiten einer Kommunikation, die den Anderen nicht durch Dinge verstellen muss und kann? Hier wird sich die zuvor eingeführte Unterscheidung von Symbolischem und Imaginärem verschärfen und eine Grenze anzeigen, die das Verhältnis von Selbst und Anderem stets relativiert. Der Andere wird sich als großer Problemfall einer Erkenntnis zeigen, die immer nur zu sich selbst kommen will.
Dann will ich in einem größeren Untersuchungsschritt mit Mead und der Theorie des symbolischen Interaktionismus der Ausdifferenzierung des interaktiven Verständnisses selbst nachgehen. Gibt es Verständigung nur als ungleiches Anerkennen? Wie ist wissenschaftliche Erkenntnis hier situiert? Bedarf sie nicht einer Verständigungsgemeinschaft, für die gleiches Anerkennen gewährleistet sein muss, um ihre Urteile begründet genug zu halten? Es wird sich in dieser Betrachtung erweisen, dass Interaktion immer auch mit der Pragmatik der Verständigungsgemeinschaft selbst zusammenhängt, was deutlich hervorhebt, dass unterschiedliche Verständigungsgemeinschaften mit ihren symbolvermittelten Diskursen unterschiedliche Wahrheiten erzeugen.8
In einem dann folgenden Schritt wird nach dem Aufweis von Schwierigkeiten einer Verständigung über und durch Gleichheit mit Habermas zu fragen sein, ob aber nicht zumindest ein Rest von Gleichheit als regulative Idee, als Vorstellung über eine Form in der Verständigung bleibt, die die Anerkennung von uns als gleichen ermöglicht. Oder führt solche Ermöglichung zurück auf nicht gelöste Probleme des metaphysischen Denken?
Im letzten Schritt wird in Auseinandersetzung mit Luhmann gefragt, ob es eine Beobachtertheorie geben sollte, die die Verständigung entsubjektiviert, um so die Gleichheit von Beobachtern, die normativ kaum an die singuläre Psyche von Menschen in unterschiedlichsten Lebenskontexten gebunden werden kann, doch noch wissenschaftlich in einer Kommunikationstheorie zu sichern.
Bei Habermas und Luhmann finden wir radikalisierte Formen symbolvermittelter interaktionistischer Theorien vor, die bereits auf Paradoxien von Verständigung reagieren. Bei Sartre, Levinas und Mead finden wir hingegen eher Konstruktionen, die als Kon­struk­te das Problemfeld im Aufriss bezeichnen.
Sollte sich in all diesen Schritten insgesamt erweisen, dass – warum und inwieweit? – Verständigungsgemeinschaften auf der Basis von Gleichheit nicht gelingen, dann wäre eine Eskalation der Kränkung wissenschaftlich erstrebter Schärfe gezeigt.

 

Fußnoten

1 Später wird in der dritten Kränkungsbewegung sich dieser Begriff über psychoanalytische Reflexionen in den Begriff Begehren verschieben. Begierde - im Sinne einer sichtbaren Kraft der Lebendigkeit von Akteuren - wird dann als Ausdruck solchen Begehrens erscheinen. Mit Lacan wird sich zeigen, dass Hegels Begriff der Begierde sehr aktuell ist, weil er das interaktive Verständnis betont.

2 Ich nehme Hegels Argumentation auf, erweitere diese aber in eigener Interpretation.

3 Die dritte Kränkungsbewegung zeigt solche Vorgänge dann auch noch als bewusst und unbewusst.

4 Die Judenvernichtung wie jede Vernichtung von Menschengruppen sollte daher nicht nur die Selbstständigkeit von Anderen beseitigen und die Macht von Herrschenden verkörpern, sondern sie musste zugleich auch vergessen machen, dass Juden Menschen wie andere sind. Jeglicher Rassismus ist gezwungen, dies Menschliche als Spiegelung im Anderen zu vergessen, obwohl es sich nur über dieses als Vergewisserung seines - solchermaßen abgegrenzten - Selbst beweisen kann.

5 So könnte man der Position 1 etwa Sartre (1989) zuordnen, der den Blick des Anderen als Blick eigener Fremdheit beschreibt, oder den späten Heidegger oder Levinas; Position 2 ist paradigmatisch durch Nietzsche besetzt, aber hier könnte man auch pragmatistische Ansätze von James, Dewey und Mead einordnen, weil sie die Aktion, das Handeln und Verhalten im Kampf betonen und doch zugleich noch allgemein menschliche Normen hierfür festhalten wollen; Position 3 schließlich ist immer noch transzendentalphilosophische Suche, mag aber auch als Suche nach Theorien über abgegrenzte Verstän­digungsgemeinschaften erscheinen, die die letzten Regeln einer sinnvollen Verständigung als Pragmatik uns festhalten (Apel, Habermas). Doch diese Zuordnung erscheint mir als zu schematisch, so dass ich sie nicht näher verfolgen will, zumal man damit nicht der Bewegung selbst gerecht wird, die Hegel mit dem Prozess des Anerkennens meinte.

6 So dargestellt für Odysseus in der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer/Adorno (1971).

7 Dies will ich aber nicht mehr mit Hegel beschreiben, weil dies erneut eine Abarbeitung des Scheiterns des metaphysischen Denkens bedingte, sondern sogleich an Versuchen einer Abarbeitung der Probleme nachmetaphysischen Denkens ausprobieren.

8 Diese Analyse verbleibt hier theoretisch abgrenzend. Im Blick auf die Beziehungswirklichkeit wird in Kapitel III. später in Band 2 untersucht, inwieweit Verständigungsgemeinschaften immer auch Beziehungen darstellen. Dann werde ich die Besonderheiten einer interaktiven Beziehungswirklichkeit aus konstruktivistischer Sicht thematisieren.

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