Kersten Reich: Die Ordnung der Blicke. Band 1: Kapitel II.3.2

   

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3.2. Das Unbewusste bei Freud und Hegel

In Hegels „Phänomenologie des Geistes“ ist deutlich gemacht, dass das Bewusstsein des Menschen (und seine Bewusstheit diesem Bewusstsein gegenüber) nur sehr vielschichtig und dialektisch verstanden werden kann. Bewusstsein schließt eine Bewusstwerdung des Individuums in den Erfahrungen und Lernprozessen des eigenen Lebens ein, aber in diese Erfahrungen und in dies Lernen greift die Geschichte der Menschheit dadurch ein, dass sie eine bestimmte Entwicklung der Lebensverhältnisse immer schon als Voraussetzung des Bewusstseins bereithält und darüber vermittelt dieses auf Zeit und Raum fixiert. Für Hegel ist es wichtig, herauszuarbeiten, wie und in welchen Grenzen sich der Mensch bewusst werden kann. Über das, was wir bewusst erkennen, was wir begrifflich erfassen, wie wir die uns äußere Welt als Ich uns historisch logisch erschließen, eröffnen sich gezielte Möglichkeiten unseres vernünftigen Handelns in der Welt. So ist letztlich nichts rein „an sich“ und nichts rein „für sich“, sondern immer vermittelt durch die Aktivität unseres Bewusst-Werdens. Das Unbewusste scheint hier kein direktes Thema zu sein. Dennoch tritt es in zwei Bereichen auf:
Einerseits richten sich unsere Wahrnehmungen, Verstandes- und Vernunfttätigkeiten immer auf sinnliche Gewissheiten, auf ein Beschreiben, Empfinden und dergleichen mehr der Außenwelt. Wir sind auf der Suche nach der sinnlichen Gewissheit. Diese erscheint als der Ort der reichsten Erkenntnis, d.h. hier sind alle Raum- und Zeitbedingungen gegeben, die unser Leben auszumachen scheinen. Bei näherem Hinsehen jedoch zeigt sich, dass unsere Wahrnehmung diese vielschichtige sinnliche Welt schon im Prozess der Wahrnehmung konstruiert und auf unsere menschlichen Bedürfnisse hin funktionalisiert hat – ganz getreu dem Schema unserer biologischen Ausstattung und dem historisch-sozialen Kontext unserer Wahrnehmungsfähigkeiten. Wir treten als Bewusstsein der Welt also weder unbestimmt entgegen, noch haben wir das natürliche Vermögen überhaupt, die sinnliche Welt vollständig in uns aufzunehmen. So gesehen mag uns vieles aus dieser Welt unbewusst und dann auch ungewusst bleiben. Dies ist zunächst auch gar nicht wichtig, denn wir suchen unsere abstrakten Wahrheiten jenseits des kosmischen Reichtums, d.h. übersinnlich,1 und beschränken uns sinnlich auf den weltlich erreichbaren Lebensstandard unserer jeweiligen Epochen.
Andererseits stellt sich nach Hegel noch eine zweite unbewusste Ebene her. Im geschichtlichen Prozess wirken auf jeder Stufe unterschiedliche menschliche Eigenwillen, die sich durchaus gegensätzlich zueinander verhalten mögen. Dies ist besonders für die bürgerliche Gesellschaft kennzeichnend, in der der Tauschverkehr die Lebensformen überall durchdringt und die Menschen sich wie des Menschen Wolf behaupten, besonders wenn es um Geldgeschäfte geht. In all dem Chaos, Streit und Krieg, bei Verfolgung und Machtgewinn, Verlust von Macht und Wiedergewinn, stellt sich bei Betrachtung langer Zeitperioden so etwas wie eine „List der Vernunft“ heraus, die ein Fortschreiten der Menschheit in bestimmte Richtungen hin aufdeckt. Diese Bewusstheit ist den Akteuren in ihrer Zeit selbst unbewusst, sie zeigt sich erst dem (späteren) beobachtenden Analytiker, der sich mittels Kriterien über die wirr erscheinenden Ereignisse aufklärt. Seine konstruktive Theorie hilft ihm in seiner Zeit, Antworten auf Interessen der Bewältigung von historischen Ereignissen zu finden.
Die Freudsche Psychoanalyse scheint besonders diese List der Vernunft zu suchen, allerdings in negativer Gestalt: Für Freud ist das Verhalten des Neurotikers nur der Anlass, tiefer nach jenen Mechanismen zu fragen, die ursächlich für dieses Verhalten verantwortlich gemacht werden können, also durchaus ähnlich, wie Hegel die List der Vernunft sich zu entschlüsseln versuchte, nunmehr die List der Unvernunft, der Krankheit in Systemen der Vernunft, zu enträtseln.
Als Theorie und Therapie von Neurosen bietet die Psychoanalyse dabei eine Strukturauffassung vom menschlichen psychischen Apparat. Aufbauend auf ihren Erkenntnissen greift sie in Analysen der Moral, der Religion, der Magie und der Entstehung des Bewusstseins, in die Psychologie der Massen, in die Mythologie und viele weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ein. Sie ist in dieser Hinsicht durchaus dem Marxismus vergleichbar, betrachtet allerdings die Mensch­heitsgeschichte unter einem gänzlich anderen Vorzeichen. Dennoch gibt es eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen Marxismus und Psychoanalyse, die Althusser hervorgehoben hat (Althusser 1964/65, 107):
Marx hat durch seine Theorie deutlich gemacht, dass das menschliche Subjekt und auch die menschliche Geschichte keinen einfachen Mittelpunkt hat, sich nicht auf einen Mittelpunkt hin ausrichten lässt. Nur die ideologische Verkennung der Geschichtsstrukturen treibt die Menschen aufgrund behaupteter Herrschaftsansprüche immer wieder in die Verallgemeinerung eines einheitlichen, absoluten Geistes, wie es noch für Hegel kennzeichnend ist. Das Bewusstsein als Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse kann jedoch den Widersprüchen nicht entgehen, sie selbst sind Triebkraft der Geschichte, deren Fortschritt dann aufhören würde, wenn die Widersprüche beseitigt wären. Solch ein in die Zukunft hineinprojiziertes Auflösen der Widersprüche kann immer nur das Prinzip Hoffnung einer Gegenwart sein, denn die Gesellschaftlichkeit der Menschen bedingt geradezu immer neue Widersprüche (wenn auch in unterschiedlicher Qualität). Das Ziel des Marxismus ist die Aufhebung der kapitalistischen Klassenwidersprüche; er kann sich nicht dazu äußern, welche neuen Widersprüche hinter der Erreichung dieses Zieles liegen.2 Marx diskutiert das menschliche Subjekt insgesamt aus der Perspektive einer Dialektik von Subjekt-Objekt-Beziehungen. So wie die Selbstbewusstwerdung des Menschen nach Hegel die Anerkennung eines Menschen durch einen anderen voraussetzt, wir finden es in der Geschichte als Dilemma von Herr und Knecht, so lässt sich nach Marx der Mensch eben nicht losgelöst von den entwickelten Anerkennungsbeziehungen begreifen. In diesen haben sich die politisch-ökonomischen für ihn als die letztlich bestimmenden, d.h. über lange Zeit immer wieder beherrschenden Strukturen der Regulierung der Anerkennungsbeziehungen erwiesen.
Freud setzt ganz anders als Marx beim Subjekt und bei bestimmten Verhaltensauffälligkeiten des Subjekts an, die er kausal zu interpretieren versucht. Gemeinsam mit der Kausalität von Marx ist zunächst, dass auch Freud den Gedanken des Mittelpunktes eines Subjekts aufgegeben hat. Für ihn differenziert sich das Subjekt in unterschiedliche Bereiche, die zwischen den Wahrnehmungen der Außenwelt, den Aufgaben der Ich-Kontrolle im Aufnehmen der Wahrnehmungen und im Handeln, den Triebkräften der menschlichen Natur, seiner sexuellen Begierden, seines Hanges zur Zerstörung und Selbstzerstörung, seiner Vorstellung von Gewissen, Normen, Schuldgefühlen usw. zu vermitteln haben. Diese Vermittlungsarbeit selbst unterliegt nicht nur einer hohen Dynamik und einer gewissen Ökonomie (im Sinne quantitativ konstatierbarer Energieprozesse), sondern auch einer Topik: Nicht alles ist dem Subjekt bewusst, es gibt vorbewusste Gedächtnisinhalte und gänzlich unbewusste Triebstrukturen. Wenn auch vorbewusste Inhalte aufgrund des Vergessens nicht immer leicht in das Bewusstsein gebracht werden können, so ist es mit den unbewussten (verdrängten) noch viel schwieriger: Es setzt meist lange und weitreichende Analysen voraus, um überhaupt Zugänge zum Unbewussten zu finden – besonders das Studium der Neurosen und der Träume bietet solche Zugänge. Der Sinn des Zugangs liegt in der Bewusstwerdung, die nach Freud ausschlaggebend für die Heilung psychischer Erkrankungen ist. Nur was der Kontrolle des Ichs im Bewusstsein deutlich ist, lässt sich bewusst so verarbeiten, dass psychische Störungen, die in unterschiedlichsten Mustern auftreten, beseitigt oder gemildert werden können. Allerdings erlöst uns keine Mittelpunktsuche aus seelischen Konflikten. Das Freudsche Modell der menschlichen Psyche zeigt vielmehr ähnlich wie das Marxsche Modell der Gesellschaft eine prinzipielle Konfliktstruktur auf, die dem Interpreten einen Einblick in die Dynamik (Verdrängung und Sublimierung, Besetzung und Gegenbesetzung), Topik (bewusst, vorbewusst, unbewusst) und Ökonomie (Triebrichtung, Triebhemmung) des Subjekts gibt.
Für Marxisten ist es unmöglich, das Wertgesetz, die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen direkt anzuschauen, sie direkt zu beobachten. Marx selbst sagt, dass jede Wissenschaft überflüssig wäre, wenn Wesen und Erscheinung von Ereignissen ineinanderfielen. Wir sind hier auf dem Übergang in eine Beobachterwirklichkeit, die sich in den erzeugenden menschlichen Tätigkeiten als Welt- und Produktionswirklichkeit einer Beobachtung im engeren Sinne entzieht. Ähnlich gilt für Freud, dass die Triebe nie direkt geschaut werden, sondern immer nur in den Vorstellungen des Bewusstseins, die sie re/präsentieren. Hier sind die Träume offenbar dem Unbewussten näher als das Bewusstsein selbst, das durch den psychischen Anteil des Ich zensiert wird. Der psychische Apparat gliedert sich in ein Ich, Es und Über-Ich. Das Ich entspricht dem Bewusstsein, es ist zuständig für die Kontakte mit der Außenwelt, es ist aber auch Ausgangspunkt für die Verdrängungen. Das Ich handelt mit geborgten Kräften des Es. Der Wille des Es wird in Handlung übersetzt, als wäre es der eigene. Das Es repräsentiert den Triebzusammenhang; in das Es, das einen fließenden Zusammenhang mit dem Ich bildet, gerät das Verdrängte, was den Widerstreit zwischen Trieb auf der einen und Handlungen des Ich gegenüber der Realität auf der anderen Seite fördert. Zwischen Ich und Es sitzen die Verdrängungswiderstände, die auch für die Traumzensur verantwortlich sind. Das Über-Ich entspringt dem ursprünglichen Ödipuskonflikt, den jeder Mensch durchmacht. Es repräsentiert das Gewissen und Schuldgefühl, es ist „Niederschlag von irgendwie miteinander vereinbarten Identifizierungen“, zugleich als Residuum erster Objektwahlen des Es und der Reaktionsbildungen dagegen. Im Ich-Ideal wird hier ein höherer, über die Eltern vermittelter, Anspruch an das eigene Ich gestellt, obwohl das Über-Ich andererseits Anwalt des Es ist, dessen archaische Erbschaft es bildet (vgl. insgesamt Freud 1989, III, insbes. 283 ff.).
Als therapeutischer Grundsatz nun gilt, dass, wo das Es regiert, Ich werden soll. Aber dies ist kein einfacher Vorgang. Das Subjekt selbst ist nicht mehr auf einen Aspekt zu zentrieren, es verliert sich in seine Strukturen. Eine psychisch stabile Persönlichkeit erfordert ein Balanceverhalten, das immer heikel ist, da es im Widerstreit von Lust- und Realitätsprinzip ständigen Konflikten unterworfen wird. Nach Kopernikus und Darwin bringt die Psychoanalyse dem menschlichen Narzissmus, wie Freud sagt, die dritte große Kränkung bei, indem sie zeigt, dass „das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“ (Freud 1968, XII, 11).
Die Auflösung des Ichs in verschiedene Strukturaspekte ist eine Seite der dif­ferenzierenden Betrachtung Freuds. Eine andere Seite betrifft den wesentlichen Unterschied zwischen bewusst und unbewusst, der mit den drei Strukturaspekten verschmolzen ist.
Der Begriff bewusst ist für Freud zunächst ein deskriptiver Terminus, „der sich auf die unmittelbarste und sicherste Wahrnehmung beruft“ (Freud 1989, III, 283). In dieses bewusste Sein will die Psychoanalyse jedoch nicht das Wesen des Psychischen verlegen, sie will sich im Gegenteil davon emanzipieren (ebd., 126 f.), denn das Ich des Menschen, das die Wahrnehmungen der Außenwelt bewusst verarbeitet und die Handlungskontrolle ausübt, erweist sich bei näherer Analyse als ein durch den Wahrnehmungsanteil modifizierter Anteil des Es, das durch Triebe und Leidenschaften in der Region des Unbewussten bestimmt wird. Aber was wissen wir bewusst über das Unbewusste?
Wir kennen es „natürlich“, wie Freud sagt (ebd., 125), nur als Bewusstes, als ins Bewusstsein Übersetztes. Denn im eigentlichen Sinne können wir gar nicht wissen, was das Unbewusste ist, da dies selbst frei von den Vorstellungen ist, die wir uns angesichts von Neurosen- und Traumanalysen über es gebildet haben. Die Beweise für das Unbewusste sind (bei Kranken wie bei Gesunden vorkommende) Fehlhandlungen und Träume, alles, was man als psychische Symptome und Zwangs­handlungen bezeichnet, persönliche Erfahrungen, die wir machen, wenn wir Einfällen aus unserem Ich begegnen, deren Herkunft wir nicht kennen. Besonders in der Hypnose scheint sich dieser unbewusste Bereich bestätigen zu lassen, denn ich kann dem Hypnotisierten Erinnerungen entlocken, die er im Zustand des vollen Bewusstseins nicht wahrhaben will oder kann.
Wir schließen also bewusst auf das Unbewusste. Es handelt sich um einen Analogieschluss aufgrund von Ähnlichkeiten: Wir vermuten für jede Handlung eine Kausalursache. Dort, wo uns diese Ursache zunächst selbst verborgen scheint, errichten wir uns einen Bereich, den wir als unbewusst bezeichnen. Wir gehen also logisch betrachtet vom kausalen Charakter unseres Bewusstseins aus und unterstellen a priori, dass dieses Bewusstsein ebenso kausal bestimmt sein muss, wie es sich selbst gegenüber der äußeren und inneren Welt als bestimmend erweist. Das Unbewusste ist damit unser Gegenspieler, aber von vornherein steht es als Gegenspieler in dem kausalen Zwang, Verursachung auch von Bewusstem zu sein.
Freud fordert, dass wir die eigenen Bewusstseinsvorgänge so betrachten, als wären sie von einer anderen Person, d.h. wir sollen uns gegen unsere eigenen Widerstände, die uns den Zugang zum eigenen Unbewussten verwehren, bewusst aufklärerisch verhalten und auch hier den Ähnlichkeitsschluss ziehen.
Betrachten wir also ganz bewusst, was wir uns unbewusst zu verbergen suchen. Wir entdecken nunmehr laufend Verborgenes, denn indem wir über uns nachdenken, über Ursachen und Wahrnehmungen und Handlungen reflektieren, gebrauchen wir unser Gedächtnis, das voller Erinnerungsreste und Denkstrukturen ist. Freud nennt dieses Latente, aber Bewusstseinsfähige, das Vorbewusste. Unser bewusstes Ich ist selbst in der Lage hier aufzuspüren, was es sucht, sofern sich keine Widerstände des Vergessens oder des Verdrängens eingemischt haben. Neurotiker verdrängen bestimmte Erlebnisse nun aber so weit ins Unbewusste, dass sie ohne Fremdanalyse gar nicht mehr gefunden werden können, obwohl der damit verbundene Konflikt andererseits so stimulierend auf das Ich wirkt, dass dieses Krankheitssymptome ausbildet. Insoweit sagt die Psychoanalyse, dass das Unbewusste „wie eine Außenwelt“ auf das Bewusstsein einwirkt, aber an und für sich eben unbewusst ist.
Die bisher angegebene Topik von bewusst, vorbewusst und unbewusst wird dadurch kompliziert, dass sie in eine dynamisch-ökonomische Theorie einbezogen werden muss: Es gibt unterschiedliche Zustände des Unbewussten, einerseits bloß zeitweilige, latente Akte, die sich aber sonst nicht von bewussten unterscheiden, andererseits verdrängte Vorgänge, die aufgrund innerer Widerstände nicht mehr bewusst werden dürfen. Das Unbewusste ist im Körper (Gehirn) nicht lokalisierbar; es wäre theoretisch auch scheinbar einfacher, bloß von Trieben und Triebzielen zu sprechen, aber dies geht aus psychologisch-therapeutischen Gründen nicht. Die Psychoanalyse beansprucht in der Behandlung ihrer Patienten nämlich, seelische Konflikte kausal aufzuklären und vom Ich des Patienten bewusst verarbeiten zu lassen. Die Aufklärung des Verdrängten ist hierfür entscheidend. Verdrängt wird jedoch vom Bewussten ins Unbewusste, denn wäre es nur in das Vorbewusste vergessen, dann könnte der Patient durch eigene Anstrengungen auf die Ursache seiner Konflikte kommen. Gerade dies erwies sich in der Neurosenbehandlung jedoch als unzutreffend, so dass die Annahme des Unbewussten die einfachste Hypothese war.
Die Psychoanalyse hat also dem Ziele nach keine neue philosophische Bewusstseinstheorie gesetzt, sondern eine Theorie des Unbewussten aus praktischen Therapiegründen gebildet. Naheliegend ist deshalb folgender Schluss: „Da der wesentliche Bereich der theoretischen Philosophie die Erforschung der Vorstellung von Gegenständen ist, so ist der Begriff Bewusstsein der zentrale Begriff der theoretischen Philosophie. Daher ist der Begriff des Unbewussten, wie er in der Erforschung der Psyche konzipiert wurde, nicht der Gegenbegriff zum hier erörterten Bewusstseinsbegriff: die Ergebnisse der Erforschung der Psyche werden zur Heilung psychisch kranker Personen, die unfähig werden zu leben, angewandt. Deren Unfähigkeit ist nicht in erster Linie eine der Theorie, sondern der Lebenspraxis. Der Begriff des Unbewussten entspringt also einer Reflexion der Praxis und hat, wenn er philosophisch reflektiert wird, seinen Ort in der praktischen Philosophie.“ (Jacobs 1973, 234)
Doch diese Art des naheliegenden Schlusses ist unzureichend und irreführend. Die Psychoanalyse mit ihrem Begriff des Unbewussten ist keine bloße Technik zur Therapierung von Kranken, sondern sie stellt ein Modell und eine Theorie zur Interpretation des menschlichen psychischen Apparates und übergreifend sogar eine weltanschaulich-politische Theorie dar, die nicht in irgendeinen Bereich praktischer Philosophie abgeschoben werden kann – zumal die Unterscheidung von Theorie und Praxis in dem damit unterstellten Sinne ohnehin einem sehr undialektischen Verständnis von Bewusstseinsprozessen entspricht. Bewusstseinstheorien, die die Theoriebildung ob der Theoriebildung betreiben, verstricken sich zumindest meist in ein Mittelpunktdenken vom Menschen aus, das gerade Freud und Marx, wie ich eingangs hervorgehoben habe, hinter sich lassen wollten. Dass die Psychoanalyse andererseits philosophisch ernst genommen werden kann, das haben z.B. neben vielen anderen Marcuse (1984) und Habermas (1975, 1991 b, 170 ff.) entwickelt. Die Psychoanalyse schließt nämlich in ihrer Methode an die Versuche der Selbstreflexion von Wissenschaft an und problematisiert diese gegenüber traditionellen philosophischen Versuchen in völlig neuer Weise. Wie stellt sich dies aus konstruktivistischer Sicht dar?
Zunächst ist es völlig legitim, wenn eine Theorie aus funktionalen Erwägungen heraus ein Modell bildet, das einen Bereich enthält, der eigentlich nicht erklärt werden kann, d.h. der nur mittels Induktionsschluss zu begründen ist. Der Begriff des Unbewussten birgt jedoch einige Tücken, die in der Psychoanalyse nicht immer deutlich genug besprochen werden.
Als erstes möchte ich den Punkt aufnehmen, den Freud selbst kurz erwähnt, der jedoch in der prinzipiellen theoretischen Bestimmung des Unbewussten und in der Gesamtkonzeption der Psychoanalyse aus funktionalen Gründen dann kaum eine Rolle spielt: Gemeint sind jene unbewussten Vorgänge, die nur zeitweise latent sind, also möglicherweise bloß vorbewusst oder aber unbewusst sind, ohne durch Verdrängung verursacht zu sein. Dieses Unbewusste, aber nicht auf Verdrängung Beruhende, wird von Freud vernachlässigt. Dies ergibt sich letztlich daraus, dass er den Begriff des Unbewussten aus der Lehre von der Verdrängung entwickelt: Das Verdrängte ist Vorbild des Unbewussten (Freud 1989, III, 107 ff.).
Freud selbst erwähnt, dass es Psychologen gibt, die seine Konzeption des Unbewussten ablehnen. Sie meinen, dass das Bewusstsein eine Reihe von Abstufungen kenne, so dass nicht jeder Wahrnehmungsinhalt mit gleicher Klarheit und Deutlichkeit, mit gleicher Motivation und Assoziation vom jeweiligen Individuum versehen wird, so dass das von einem Individuum nur schwach Wahrgenommene oder gar nicht mehr sinngebend Wahrgenommene eben das Unbewusste der Psychoanalyse sei. Diese Forscher wollen dem Dilemma der Behauptung einer Kategorie entgehen, über die sich nichts sagen lässt, die wir im Gegenteil nur als Hilfskonstruktion einer Theorie des Bewussten brauchen und aus dem Bewussten heraus definieren, weil wir dies Bewusste selbst nicht genügend in seinem Verhalten verstehen. Freuds Einwand gegen diese Sicht begründet sich wiederum aus seiner thera­peutischen Praxis heraus: Patienten, die durch die Psychoanalyse bewusst mit Teilen ihres Verdrängten, ihres Unbewussten, konfrontiert wurden, stehen oft fremd vor ihrem eigenen Unbewussten, können nur schwer und mitunter gar nicht erkennen, dass diese aus Verdrängungen herrührende Fremdheit zu ihren eigenen Konfliktlösungsversuchen gehört. Insoweit kann sich das Unbewusste nicht durch eine bloße Abstufung vom Bewussten unterscheiden.
Nun fragt es sich jedoch, ob Freud hier – neben einer richtigen Zurückweisung – nicht auch vorschnell einen wichtigen Einwand seiner Kritiker beiseite räumt, der für die Problematisierung des Unbewussten wesentlich ist. Aus der Sicht der Philosophie hat sich insbesondere Hegel mit den Abstufungen des Bewusstseins beschäftigt, so dass sich hier ein kurzer Exkurs in die „Phänomenologie des Geistes“ anbietet, um das Problem zu bearbeiten.
Betrachtet man die subjektive Bewusstheit eines beliebigen Subjekts in seiner Ontogenese, so lässt sich in phänomenologischer Interpretation eine aufsteigende Dialektik ausmachen, mit der der Interpret die Formen und Funktionen des Be­wusstseins zu klassifizieren trachtet. Diese Klassifizierung setzt bereits umfassende Einsichten in den Zusammenhang einer Wechselwirkung zwischen Subjekt (Bewusstsein) und Objekt (Realität, Außenwelt, Natur) voraus. Besonders in der bürgerlichen Neuzeit kreisen philosophische Bestimmungen des Menschen immer wieder um diesen Aspekt, und sie finden z.B. in den Theorien von Kant, Fichte und Hegel einen Höhepunkt der Argumentation. Die Hegelsche Auffassung, die sich an den Problemeinsichten ihrer Vorgänger schulte, dynamisiert die Bestimmung des Bewusstseins sowohl in ontogenetischer als auch in phylogenetischer Hinsicht. Das Leben selbst erscheint als fließend, das Bewusstsein verändert sich in der Auseinandersetzung mit den Objekten, mit denen es verkehrt. Dieser Prozess trägt jedoch zwei Seiten: Zum einen verkehrt das Subjekt mit anderen Subjekten, zum anderen vergegenständlicht sich das Subjekt in der Natur, d.h. es vermittelt sich anhand von Dingen, die es zwischen sich und die ursprüngliche Natur schiebt (Arbeit). Sprache und Arbeit fallen dabei für Hegel nicht auseinander, denn die Selbstbewusstwerdung eines jeden Subjekts vollzieht sich auch in der je neu zu praktizierenden Ontogenese immer im Rahmen der Anerkennung durch ein anderes Subjekt, und erst aus dem Kampfe dieser Anerkennung heraus kann sich überhaupt eine Verdinglichung durch Arbeit – und damit auch eine Teilung nach Herr und Knecht – ergeben. Über die lange Zeit der menschlichen Kultur prägen sich Anerkennungsbedingungen und zugleich Vergegenständlichungen aus, die sich als objektiv geronnener Geist der Menschheit erweisen, d.h. als Formulierung eines Wir der menschlichen Gattung. Dies mag den Subjekten jeweils unbewusst bleiben, ist aber doch ein Aspekt des Bewussten insoweit, als es einem Teil der Menschheit zu Bewusstsein überhaupt kommen muss, um als Unbewusstheit bei einem anderen Teile der Menschheit aufgefasst werden zu können.
Hier soll die spezifische Hegelsche Lösung nicht näher interessieren. Entscheidend an seiner Auffassung ist für unsere Zwecke nur, dass er eine dynamische Beschreibung des subjektiven Bewusstseins entwickelt. Dabei entwirft er nicht eine Topik, die auf dem Mechanismus der Verdrängung – als in tiefere Schichten unseres Nicht-Bewusstseins – aufbaut, wohl aber eine Stufung, die die bewussten Formen des Bewusstseins mittels phänomenologischer Annäherung aufweist. Dies unterscheidet sich vom Vorgehen Freuds dadurch, dass Hegel keine konkreten empirischen Daten aus Krankheitsgeschichten sinnvoll in einer Deutungstheorie assimilieren kann, sondern umgekehrt in der Philosophie kontrovers gebrauchte Begriffe der Erkenntnis neu (dynamisch) auszulegen versucht. Besonders fruchtbar ist dabei die Herangehensweise, die wir an uns selbst als Ordnungsstruktur beobachten können: Einmal nehmen wir die Dinge der Außenwelt an sich wahr, wir sprechen ihnen die direkteste Wahrheit zu, obwohl wir dann ein anderes Mal genau umgekehrt vorgehen, indem wir darauf beharren müssen, dass die Wahrheit als begriffliche Fixierung einer außerhalb unseres Bewusstseins liegenden Wirklichkeit immer nur die Wahrheit unseres eigenen Für-Sich sein kann. So mag die sinnliche Gewissheit unsere reichste Erkenntnis sein, aber sie ist zugleich abstrakteste und ärmste Wahrheit. Wenn wir auf die Sinne vertrauen, dann nehmen wir immer schon wahr. Aber die Wahrnehmung springt zwischen der Fixierung des Einen, das wir uns durch sie festhalten wollen, und des Vielen, des Auch, das wir festhalten könnten, angesichts der unendlichen Möglichkeiten des subjektiv Wahrzunehmenden hin und her (vgl. Kapitel II.1.1). Der Verstand sucht dies zu ordnen, indem er sich auf bestimmte Gesetzmäßigkeiten fixiert, aber die Freiheit erweist sich als starker Gegner jeder „an sich“ richtig erscheinenden Fixierung, indem sie den Verstand auch als Möglichkeit zeigt, über der Beständigkeit des ruhigen Reiches von Gesetzen, das sich der Verstand von den unsteten Erscheinungen bildet, die Unbeständigkeit zu entwickeln, die Verkehrung der Ruhe in die Unruhe, d.h. Wechsel und Veränderung als sich selbst zugehörig zu begreifen. Die übersinnlichen Welten zerfallen für Hegel damit in eine ruhige erste und eine unstete zweite, womit er dem dynamischen Aspekt jener Symbolwelten in uns, die für angeblich feste Wirklichkeit stehen sollen, Rechnung trägt.
Für die subjektive Basis von Sinnlichkeit, Wahrnehmung und Verstand ist die Bewusstheit damit insoweit erforderlich, dass der einzelne Mensch nur das als Wahrheit formulieren kann, was begrifflich für ihn formulierbar geworden ist. In diesem Werden mag es subjektive Unterschiede geben, die Möglichkeiten des Auch der Wahrnehmung scheinen schier unerschöpflich, die Sicherheiten der bloß gesetzmäßigen Fixierung des Verstandes als gefährlich, aber alles, was unbewusst bleibt, kann als unbewusst nur dann identifiziert werden, wenn es als solches begrifflich formulierbar ist.
Damit ist ein Teil des Unbewussten bei Hegel dadurch auf den Begriff gebracht, dass er den Reichtum der Sinnlichkeit mit der Armut abstrakter Wahrheit kontrastiert, von der alles bewusste Sein des Menschen hingegen ausgehen muss. Hier wäre es müßig, über beispielsweise angeborenes Instinktverhalten, das sich a priori immer durchsetzt, zu lamentieren, wenn es sich unbewusst durchsetzt. Die Frage nach dem Bewusstsein ist etwas ganz anderes: Sie stellt das Subjekt sofort vor das Problem eines Begreifens des eigenen Werdens und damit vor die Notwendigkeit einer Freiheit, die aus der Dialektik von Eins und Auch, von erster und zweiter übersinnlicher Welt entsteht: Bereits die Wahrnehmung – und gezielter noch unser Verstand – suchen nach einer Regulierung der stärker objektiv (an sich) und subjektiv (für sich) geprägten Seiten der Erfahrung. Indem dies bewusst gesucht wird, ist schon im Bewussten ein Eingriff auf das zu sehen, was die Wahrheit und Wirklichkeit dieses Vorgehens selbst betrifft.
In diesem Spiel der Kräfte wird das Bewusstsein zum Selbstbewusstsein, sofern es in seiner Begierde nach Lebensvermittlung sich von einem anderen Subjekt zu unterscheiden lernt. Das Selbst ist nur möglich durch ein Anderes. Dabei wirkt eine doppelte Bewegung: Äußerlich kann das Selbst durch das Fremde unterdrückt werden, indem der eine Teil sich aufgrund seiner Furchtlosigkeit einem Todeskampf gegenüber als Herr über den anderen aufschwingt (Herr und Knecht), innerlich, indem diese unhintergehbare subjektive Anerkennungserfahrung vom Subjekt auch auf sich selbst bezogen wird (vgl. weiterführend Band 2, Kapitel IV.4.3).
Vergleicht man diesen Gesichtspunkt mit der Freudschen Theorie, dann ist festzustellen, dass sich Freud vor allem auf diesen inneren Aspekt bezogen hat und diesen Kampf von Ich und Es noch durch den Aspekt des Über-Ich differenzierte. Auch Hegel anerkennt die Begierde des Selbstbewusstseins. Aber ihn treibt es stärker zur Vermittlung von außen und innen, was sich durch den Begriff des Geistes ermöglicht: Das Bewusstsein erfährt sich nicht nur sinnlich-wahrnehmend, sondern eben auch als Geist, der die Einheit der verschiedenen selbstständigen Selbstbewusstseine darstellt. Um die Offenlegung dieser Einheit geht es  Hegel, d.h. um den Versuch, das Bewusstsein in seiner höchsten bewussten Form zu fassen und am Ende eines Entwicklungsganges festzuhalten. Die Dynamik des Vorganges bewusstseinsmäßiger Erfahrungen wird von ihm als Bestimmung des Objektiven im Bewusstsein benötigt, um die Zufälligkeiten unbewusst erscheinender Vorgänge auffangen zu können, einzuordnen als List einer Vernunft, die sich hinter dem Rücken der Menschheit herstellt, wobei der aufgeklärte Philosoph gerade diese erklären soll. Freud hingegen benötigt aufgrund seines Verharrens auf der inneren Seite dieser Dialektik das Unbewusste in ganz anderer Hinsicht: Für ihn ist es das, was prinzipiell gar nicht aufgeklärt werden kann, es ist das, was es für uns bewusst gar nicht gibt, mithin also etwas, auf das wir nur bewusst schließen, um uns die Unzulänglichkeit dieses Schließens zu ermöglichen.
Genau da liegt eine entscheidende Differenz: Auch Hegel gesteht unbewusstes Wirken zu, aber sofern wir eine bewusste Theorie darüber bilden, bedarf es des Nachweises von dem, was da wirkt. Nur so kann sich der menschliche Geist überhaupt entwickeln, wenn er nicht in die ärmsten Wahrheiten bloßer Sinnlichkeiten (was im naturgegebenen Instinktfall durchaus sinnvoll sein mag) zurückfallen will. Freud hingegen beharrt zwar auf strenger Kausalität, aber weil er sich die Dynamik des Bewusstseins nicht aus dem Bewusstsein selber heraus erklären kann, konstruiert er eine „black box“ des Unbewussten, der die – naturwissenschaftlich nicht eindeutig absicherbaren – Energien zukommen, die das Ich aus sich heraus entscheidend zu determinieren scheinen. Damit scheint der Kampfplatz der Hervorbringung von Bewusstsein und Geist, den Hegel nach den sich vermittelnden Seiten von subjektiv und objektiv unterscheidet, in das Subjekt selbst zurückverlegt. Nach Freud soll das Ich die Kontrolle über das Es zurückgewinnen, sofern dies überhaupt machbar ist. Allerdings erkauft Freud dies keineswegs mit Abzug aus der Lebenswelt, sondern führt deren Dynamik über die Rolle mit Lust besetzter Objekte, über das Realitätsprinzip und die Ich-Notwendigkeit einer Realitätsprüfung wieder ein. Nach Hegel geht es zunächst um die Vermitteltheit mit dem Außen, auch wenn er in seiner Philosophie dabei eben gerade die Dialektik des Inneren breit entfaltet. Dies aber hängt damit zusammen, dass auch der menschliche Geist als Objektivation wirkt, also für die je subjektive Ontogenese den Charakter des Objektiven trägt. Die subjektive Vernunft differenziert sich in beobachtenden, sozialen und produzierenden Tätigkeiten, wobei im Laufe der menschlichen Geschichte das als Objektivation den nachfolgenden Generationen überantwortet wird, was nicht dem Vergessen anheimfällt. Der Drang in die Produktion, die künstliche Welten herstellt, lässt das Vergessen immer schwerer werden.
Demgegenüber mutet die Fragestellung Freuds bescheidener an, ist im Grunde aber radikaler. Sein Vergessensproblem erscheint als ein bloß individuelles, er benötigt nicht die Reflexion auf die eigene Selbstbewusstwerdung seiner Fragestellung. Für Freud ist es damit kein Thema, warum die Psychoanalyse gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts sich entfaltet, welches die objektiven Gründe einer Hinwendung zu innerpsychischen Vorgängen gerade im Aufbrechen enger Sexualnormen bedeutet, was seine eigene Geschichts- und Gesellschaftsbezogenheit etwa in der Bestimmung der Rolle der Frau als minderwertig beobachtetes Wesen ausmacht. Freud sucht einerseits nur die Kausalität und übersieht damit doch den Rahmen seiner eigenen geistigen Verwandtschaften. Dieses Vorgehen ist von einer Methode geprägt, die sich eng naturwissenschaftlich ausrichtet. Nachdem sich die Nervenbahnen nicht ausmachen ließen, die für die Kanali­sierung von Fehlleistungen, Träumen und besonders neurotischen Symptomen verantwortlich sind, bedarf es aber andererseits der Charakterisierung des Unbewussten als Ort des Unbekannten. Damit ist das Tor in eine neue Unschärfe aufgestoßen, ein radikaler Wandel im Blick auf die Bestimmung menschlicher Selbstbewusstwerdung bezeichnet.
Entscheidend in diesem sehr knappen Exkurs auf Hegel soll für mich hier nur sein, inwieweit ich Freuds Bezeichnung des Unbewussten konstruktiv erweitern kann, um sie für die Etablierung einer umfassenderen Beobachtertheorie nutzbar zu machen und gleichzeitig die dabei entstehende Unschärfe zu reflektieren:

  • Subjektivität des Bewussten setzt immer die Notwendigkeit des Unbewussten dadurch voraus, dass ein einzelner Mensch nicht alle Bewusstheiten des menschlichen Geistes vollständig ausschöpfen kann, dass also ihm mit Notwendigkeit etliches unbewusst aus dem Kreis des möglichen Bewussten bleibt. Dies gilt fernerhin nicht nur für das symbolgebundene Bewusstsein, sondern auch für die Entstehungsbedingung eines Bewusstseins in der Sinnlichkeit bzw. Wahrnehmung. Insoweit ist Unbewusstheit zunächst kein Spezifikum bezogen auf Verdrängung und zu verkleidende (nicht zugestandene) Triebenergien, sondern bereits notwendig mit dem Begriff des Bewussten überhaupt gesetzt. Dies ist der allgemeinste Begriff des Unbewussten, eines (noch) Nicht-Bewussten, eines Ungewussten, den wir als Beobachter beachten müssen.
  • In ihren beobachtenden, sozialen und produktiven Tätigkeiten verändert die bewusste Vernunft die Realität, wobei aufgrund der Nichtidentität von Handlungen und Intentionen das langfristige Resultat nicht mehr abschätzbar sein mag. Zwischen den Imaginationen des Menschen und seinem tatsächlichen Tun klafft immer ein notwendiger Riss, der seinerseits zur Quelle von Reflexion und zum Antrieb für neue Taten wird. Erst nachfolgenden Generationen mag die List der Vernunft erscheinen, postmodern könnte man wohl auch vom Erscheinen einer List der Unvernunft sprechen. Für die Bestimmung des Unbewussten ist damit allemal die Inanspruchnahme einer bewussten Reflexion auf den eigenen geschichtlichen Ort jeglicher Formulierung von Bewusstheit erforderlich. Dies betont ein dynamisch Unbewusstes, das die Unschärfe der Beobachtungen erhöht. Denn als Konstruktion ist die je erreichte Bewusstheit von Nicht-Bewusstem immer zirkulär in die Nicht-Konstruktion jener eingebunden, die diese Konstruktion nicht wissen. In der wechselseitigen Dynamik wird dies zu einer Mischung von bewusst und unbewusst. Gerade diese Mischung ist typisch für moderne Lebensformen, die sich in einer Mehrgenerationenperspektive und multikulturell bewegen. Dieser zirkuläre Prozess muss unbedingt tiefer von einer Beobachtertheorie erfasst werden, wenn Unbewusstheit nicht nur zu einem spezifischen Ort der Verdrängung – dabei allein zum Einsatz psychoanalytischer Verfahren - werden soll.
  • Der Mensch ist ein Wesen mit einer Triebstruktur, die im Sinne Freuds eine Spannung zwischen Lust- und Realitätsprinzip symbolisiert. Freuds Kategorien der Analyse des psychischen Apparats sind hierbei Konstruktionen, die uns helfen können, sowohl die Topik als auch die Dynamik und Ökonomie der psychischen Vorgänge zu umschreiben. Eine Beobachtertheorie, die sich mit dem Menschen beschäftigt, wird neben dem oben ange­spro­chenen äußeren Fokus immer diesen Fokus nach innen zu beachten haben, auch wenn sie in ihren Konstruktionen hierüber die Beschreibungsversuche selbst in Bewegung wird halten müssen.3 Dieses Unbewusste im engeren Sinne ist spezifisch gegenüber dem allgemeinen Unbewussten, das eben genannt wurde, weil es als Grund die besondere Spannung zwischen Triebstruktur und Wirklichkeit(en) zum Anlass einer Konstruktion nimmt, die eine Beobachtungstheorie für unsere (uns oft unbekannten) Motive liefert.4

Damit habe ich für eine Beobachtertheorie, die sich unbewussten Aspekten öffnen will, wesentliche Erweiterungen und eine auf Freud basierende, hier aber konstruktivistisch umgedeutete Grundlegung definiert.
In einem ersten Schritt will ich diese mit dem Strukturalismus und seinem Verhältnis zum Unbewussten konfrontieren, um Schwierigkeiten solcher Grundlegung zu verdeutlichen. In einem weiteren Schritt soll über die Auseinandersetzung Piagets mit Freud konkretisiert werden, inwieweit uns die Unschärfe von Behauptungen in diesem Bereich zum Verhängnis werden könnte; umgekehrt wird aber auch gefragt, ob wir nicht gerade diese Unschärfe brauchen, wenn wir subjektwissenschaftlich hinreichend reflektiert sprechen wollen. Hier werden uns Abschnitte über Lacan und die Kritik von Habermas an Freud helfen, Positionen der Unschärfe deutlicher zu begründen. Im abschließenden Teil werden diese dann auf eine Kritik an Freuds teilweise mythischen Begründungen zurückbezogen, um in der Übertragung zusammenfassend die konstruktivistische Seite der Psychoanalyse zu diskutieren.


Fußnoten

1 Die Bestimmung der ersten und zweiten übersinnlichen Welt ist bei Hegel die eines Verstandes in festen, geordneten, gesetzmäßigen Kategorien (erste Welt) und deren Umsturz durch ihr Gegenteil (zweite Welt). Mit anderen Worten: Auch in unserem Verstand sind wir bei aller Sicherheit der Konstitution (Konstruktion) von Begriffen und Gesetzen nie sicher, diese für immer festzuhalten, da sie bereits in sich ihre Negation einschließen. Ich habe dies weiter oben nach der Seite von Eins und Auch bereits in anderer Weise für die Wahrnehmung thematisiert.

2 In dieser Behauptung, die in der marxistischen Bewegung meist ignoriert wurde, liegt ein kritischer Schlüssel gegen die dogmatische Argumentation vieler ihrer Anhänger.

3 Freuds Größe zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er immer wieder sein Beobachtungsmodell modifizierte und so den Ansprüchen dessen gerecht werden wollte, was er in Auseinandersetzung mit seiner konstruktiven Praxis erfuhr. Insoweit sind Freuds kausal orientierte Versuche, wenn man sie aus dem Blickwinkel des Verfahrens konstruktivistischer Orientierung beschreibt, ihrerseits Variationen, die, wenn sie den Stempel des objektiv gültigen Kausalnexus verlieren, lehrreiche Beispiele für die Entfaltung einer Beobachtertheorie sind, die die eigene Unschärfe ernst nimmt.

4 Mit Lacan werde ich daraus notwendige Folgen in Kapitel II.3.5 näher ziehen können.

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