Kersten Reich: Die Ordnung der Blicke. Band 2: Kapitel III.2.3

   

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2.3. Zirkuläre Beobachtungsmerkmale von Beziehungswirklichkeit

In Band 1 habe ich eine Beobachtungswirklichkeit im engeren Sinne beschrieben, die durch einen wissenschaftlichen Diskurs gekennzeichnet ist: Hier ergibt sich das eine aus dem anderen, es steht in kausaler, linearer Folge, um eindeutig zu sein; die Beobachter agieren mehr oder minder strikt als Verständigungsgemeinschaft, die von subjektiven Vorurteilen und persönlichen Vorlieben absehen will; Beziehungen scheinen als Fundament wissenschaftlicher Operationen geradezu verboten zu sein, weil sie die wissenschaftlichen Diskurse in ihrem objektivistischen Geltungsanspruch zu entwerten scheinen.1
Nun haben wir in den Kränkungsbewegungen gesehen, dass die Diskurse sich auch durch sich selbst entwerten. Gleichwohl scheinen die menschlichen Beziehungen, wie insbesondere die zweite und dritte Kränkungsbewegung zeigte, hier von besonderer Dramatik zu sein. Die Beziehungswirklichkeit folgt einer eigenen Logik, die einerseits in Beobachtungskategorien einer Beobachtungswirklichkeit im engeren Sinne beschrieben werden kann, andererseits über diese hinausreicht und so die engere Beobachtungswirklichkeit in einem neuen Licht erscheinen lässt. Dies will ich beispielhaft an zirkulären Beobachtungsmerkmalen der Beziehungswirklichkeit erläutern. Diese Merkmale sind weder vollständig noch hinreichend. Mehr noch als in der wissenschaftlich orientierten Beobachtungswelt im engeren Sinne schlagen sich hier Aspekte wie Emotionen, Intuitionen, Kreativität und andere nieder, die die Unschärfe dieses Beobachtungsraums bestimmen. Die begrifflichen Versuche, dies zu erfassen, sind symbolische Versuche, die sich im Beobachtungsprozess selbst immer wieder verflüssigen werden und in Frage stehen, in Frage gestellt werden müssen, denn jedes Schema ist nur eine Momentaufnahme, die durch andere Momente und den Fluss der Vorstellungen relativiert wird.
Suche ich nach Grundbegriffen von Beziehungen und versuche ich zugleich, diese nicht nach einzelnen Positionen statisch nach Subjekt und Subjekt oder Subjekt und Objekt zu bestimmen, dann tritt der interaktive Zusammenhang der Subjekte in den Vordergrund. Eine Beziehung besteht dann mindestens aus zwei Subjekten, die miteinander interagieren, wobei das Inter ihrer Beziehung voraussetzt, dass dies kein einliniger, mono-kausaler, bloß abbildender oder direktiv-instruktiver Vorgang ist. Um dies auszudrücken, hat man im Konstruktivismus den Begriff der Zirkularität gewählt. Zirkuläre Ereignisse in Beziehungen will ich daher darstellen, um hierbei Eigentümlichkeiten im Wechselspiel der Beobachtung zu fixieren. Die dabei entwickelten Konstrukte leiten unseren möglichen Beobachtungsfokus und unsere weitergehende Konstruktion, sind aber nur insoweit und so lange plausibel, wie wir diese in einer kulturellen Verständigungsgemeinschaft für brauchbar oder viabel – in welcher Weise auch immer – halten. Dies meint für mich keinen Utilitarismus und auch keine biologische Viabilität, sondern ein kulturelles Re/De/Konstrukt. Die von mir unter Einschluss zahlreicher vorliegender Theorien gemachte Interpretation versucht dabei ein System von Begriffen mit Ereignissen illustrativer Art zusammenzudenken und vorzulegen, das für die weitere Entwicklung konstruktivistischer Beziehungslogik eine Grundlage erneuter Differenzierung oder Kritik darstellen kann. Ich beginne mit der scheinbar elementarsten Einheit der Beziehungslogik: der Zirkularität. Aus der Argumentation heraus werden sich weitere Differenzierungen stellen.

 

2.3.1. Zirkularität als Beobachterkonstrukt

Zirkularität

Ich will in mehreren Schritten – und mittels thesenartiger Zusammenfassungen –eine Beobachtertheorie zur Zirkularität in Beziehungsprozessen entwickeln.
Eine zirkuläre Beziehung wird meist durch ein Kreismodell symbolisiert. Irgendwo auf dieser in sich geschlossenen Linie, die in sich einen Richtungspfeil aufweist und damit sowohl die Prozesshaftigkeit als auch einen damit verbundenen Zeitfaktor ausdrücken soll, mögen die Subjekte der Beziehung situiert sein. Wir können offen lassen, wie viele es sein mögen, aber es sind mindestens zwei. Zwar könnte es auch sein, dass nur ein Subjekt sich selbst zum Zirkel seiner Unternehmungen, seiner Sprache, seiner Unterhaltungen wird, aber dies setzt für die Beziehungswirklichkeit immer schon voraus, dass es in sich die Spaltung von mindestens zwei Aspekten als beobachtet erfahren hat: Körper – Seele, Haut – Ich, Ich – Es, Ich – Über-Ich, Selbst – Anderes, oder welche Form des Gegensatzes wir auch immer als Beobachtungsperspektive wählen. In Beziehungen kann die Zweiheit sowohl durch mehrere Subjekte als auch durch die Beziehung des Subjekts auf sich selbst unter dem Gesichtspunkt von Zweiheit beobachtet werden. Wir benötigen die Zweiheit zumindest, um uns als Beobachter plausibel zu machen, dass es überhaupt die Notwendigkeit gibt, einen Zirkel zu unterstellen. Irgendwo auf der Linie ist ein Subjekt situiert, das etwas tut, fühlt, denkt usw. und damit eine Wirkung in die Zeit, in einen Raum, in einen sozialen Prozess setzt, die einem anderen Subjekt oder diesem Subjekt selbst als Ursache erscheint, die eine Wirkung erzeugt. Besonders klar wird uns dies bei äußeren Handlungen sein, die wir über unsere Sinne wahrnehmen können. Aber auch innere Wahrnehmungen unterliegen dieser Zirkelhaftigkeit.
Ein erkenntniskritischer Exkurs soll zur Vertiefung des Problems der Zirkularität dienen. Wenn Autoren wie Josef Mitterer (1992) und im Anschluss an ihn Siegfried J. Schmidt (1994, 34 ff.) „wider das dualistische Erkenntnisprinzip“ streiten, scheint Zirkelhaftigkeit überhaupt verboten. Der Dualismus von Ich und Welt, Zeichen und Gegenständen usw. wird als problematisch angesehen, weil wir als Subjekt des Beschreibens zugleich die Prozedur der Beschreibung durchführen. Wie kann dann noch eine Beschreibung unabhängig vom Beschreibungsprozess gesehen werden? Was bedeutet dies für die Zirkularität in der Beziehungswirklichkeit?
Zunächst sind beobachtete und konstruierte Dualismen ein wesentlicher Ausdruck der Kulturgeschichte. Das Denken nach Eins und Auch vereinfacht sich auf ein Denken in Gegensätzen, wobei wir nach Hegel kritisch darauf achten sollten, solche Gegensätze dynamisch und fließend zu sehen (vgl. Band 1, Kap.II.1.1). Was sollte ihnen gegenüber eine erkenntniskritische Einheit darstellen können? Verlieren wir durch Vereinheitlichung nicht jegliche Spannung im Erkenntnisprozess?
Mitterer argumentiert entgegengesetzt. Wir sollen den Dualismus durch ein Einheitsprinzip, eine nicht-dualisierende Redeweise ersetzen. Unsere Reden taugen dann auf einer Zeitachse eingetragen nur noch so far die Beschreibung genutzt wird. Setzen wir konstruktiv eine Beschreibung so far und  from now on ein, dann verschwindet scheinbar der Dualismus in der Erkenntnis, weil das Objekt und die Beschreibung in eine Prozedur fallen. Damit gewinnen wir angeblich ein besseres Verständnis für die konstruktivistische Prozedur selbst: Denn wir erschaffen nicht nur die Reden über Objekte, sondern darüber vermittelt die Objekte selbst.
So schön diese Herleitung für den Konstruktivismus klingt, so problematisch sind die Konsequenzen. Die Frage bleibt nämlich, ob das Objekt der Beschreibung und die Beschreibung des Objekts jene Einheit bilden können, die Mitterer unterstellt. Schmidt folgert, dass dieser Vorschlag darauf hinausläuft, „das dualistische Denken und Reden über Relationen und Referenzen umzustellen auf Zeitverhältnisse und Diskursbedingungen (bzw. abstrakter formuliert, auf ‚Kultur‘).“ (Schmidt 1994, 35) Dies greift ein bekanntes Problem auf, das bereits umfassend bei John Dewey diskutiert wird. Auch er versucht den Dualismen der Erkenntnistheorie zu entkommen, weil und insofern im experience stets das Objekt selbst konstruiert und gleichzeitig erfahren wird, so dass wir begreifen müssen, dass alle Dualismen bloße menschliche Zugaben sind, die uns oft in die Irre leiten. Aber gleichzeitig steht gerade Deweys Kulturtheorie und eigene Erkenntniskritik dafür, dass sie mit Begriffen und Aussagen arbeitet, die durchaus neue Bestimmungen und dabei auch Dualismen zur Vereinfachung unserer Wirklichkeitskonstruktionen entfalten.
Was können wir daraus schließen? Es scheint philosophisch gesehen wenig durchdacht zu sein, Dualismen generell unter Verdacht zu stellen, denn gerade Zeit- und Diskursbedingungen unterstellen ja immer Relationen und Referenzen  zu Kontexten wie umgekehrt. Damit entstehen notwendig Konstruktionen und Zuschreibungen, die auch dualistisch oder in anderen Formen vereinfachend arbeiten. Mitterer schreibt deshalb viel zu vereinfachend bisherigen Diskursen zu, dass sie so naiv verfahren, „tatsächlich“ ein Objekt da draußen an und für sich zu unterstellen, dass dann in irgendeiner Weise abgebildet, widergespiegelt wird. Aber sprachphilosophisch ist seit der ersten Kränkungsbewegung, die ich exemplarisch in Band 1 beschrieb, bereits klar, dass wir die Bedingungen der (sprachlichen oder symbolischen) Möglichkeiten von Wahrheit immer schon in großen Teilen voraussetzen müssen, wenn wir über Wirklichkeiten verhandeln. Damit ist auch verdeutlicht, dass die Wahrheit als ein Konstrukt nun nicht etwa durch neue Abbildungstheorien – etwa Biologismus wie bei Maturana – mittels „Tatsachen“ einfach verifiziert werden kann. Dies betont auch Schmidt (1994, 37) deutlich. Doch der Folgeschluss, den auch Schmidt zieht (ebd., 37 f.), ist keineswegs logisch zwingend: „An die Stelle des ‚pursuit of truth‘ tritt der ‚persuit of change‘.“ (Mitterer 1992, 110) Mitterer meint damit, dass in der nicht-dualisierenden Redeweise der letzte Stand der Dinge immer nur so far reicht, wie die Beschreibungen gelungen sind. Die dualisierende Redeweise hingegen nimmt die Wahrheitstheorien als eine verschleierte Form des Faustrechts wahr (ebd.).
Diese Theoriebildung verfehlt, so denke ich, ihren Gegenstand dadurch, dass sie eine zu große Vereinfachung und Übergeneralisierung vornimmt. Denn jede Beschreibung so far steht in einem Nach- und Nebeneinander von unterschiedlichen Beobachtern, die als Akteure bei Mitterer in ihren Gegensätzen einfach unterschlagen werden. Auch bei Schmidt wird ein Kulturbegriff entwickelt, der unzureichend auf eine Verallgemeinerung von Kultur schlechthin setzt. Damit wird die nicht-dualisierende Redeweise zu einem neuen Abstraktum, zu einer hypothetischen Versöhnung, die die Konstruktivität als ein Element des Diskurses zwar betont, aber nicht mehr im Kontext von konkreten kulturellen Beobachtern, von Subjekten und Anderen, von Fragen unterschiedlicher sozialer Wirklichkeitsbeschreibungen im Gegensatz der Beobachter (hier gibt es kein klares so far und from now on) erfasst. Hier unterliegen die Akteure in kognitiver Bedeutungslosigkeit, weil die Ganzheit einer Beschreibung vor die Beobachterpositionen gesetzt wird. Dies aber wird weder das geltende Faustrecht beseitigen können noch die Wahrheitsprobleme vom Tisch fegen. Der „persuit of change“ erscheint nämlich in der Kulturgeschichte ausnahmslos auch als „persuit of truth“. Auch eine nicht-dualisierende Intention kann dies nicht verhindern, dies zeigt uns das bisher umfassendste Projekt in dieser Hinsicht, das John Dewey vorgelegt hat, und es bleibt ohnehin der Selbstwiderspruch, dass alle nicht-dualistischen Theorien sich immer wieder selbst mittels Bestimmungen – darunter auch dualistischen – re/de/konstruieren. Insbesondere die Arbeiten aus den Cultural Studies können verdeutlichen, weshalb wir zudem nie von einer Kultur sprechen sollten.
In der ersten Kränkungsbewegung habe ich diese Problematik bereits dargelegt. Sie hat große Folgen für meine Auffassung von Zirkularität. Die Unterscheidungen von Beobachtern sind immer Ausgangspunkt eines Wechselspiels auch von Wissen und Wahrheit. Verkompliziert wird dieses Spiel in den Beziehungen dadurch, dass die Beobachter zudem nicht autonome und willkürliche Subjekte sind, sondern in Beziehungsnetzen der Lebenswelt erscheinen und agieren. Die Eigentümlichkeit der Bedeutung der Beziehungswirklichkeit für das wissenschaftliche Denken ist hier, dass wir von vornherein beachten müssen, mehrere, unterschiedliche, auch ethnozentrische Beobachter anzuerkennen, die zirkulär miteinander verbunden und verwoben sind, und die jede Form von Ganzheit und Aufhebung von Dualismen oder anderen -ismen allein durch Anwesenheit ihrer multikulturellen Unterschiede – bei zugleich begrenzten kulturellen Gemeinsamkeiten – in Frage stellen. Die damit verbundenen Dialoge und Diskurse verbieten es, ihnen eine ganzheitliche Beschreibung zu unterstellen, die die (schon im Vergleich zu anderen Verständigungsgemeinschaften notwendig auftretende) Dualität (oder Mehrperspektivität) ihrer Beschreibungen selbst aufhebt. Dialoge und Diskurse – und dies ist die Pointe gegen Mitterer – sind kein Jenseits, in das eine dialogisierende Denkweise ihre Sicht stellt, sondern bereits in dem begrenzenden so far und from now  on jeder Beschreibung ausgedrückt. Weil der Kampf um Wechsel und Veränderung notwendig mit menschlichen Beziehungen verknüpft ist, bewahrt eine dualisierende, teilweise auch eine trennende, abwehrende, begrenzende, zerstörende Rede- und Denkweise die Möglichkeiten des Denkens selbst. Mit diesem immanenten Widerspruch des Denkens als Ausdruck von Beziehungsakteuren haben wir uns immer wieder auseinanderzusetzen.

These 1: Kommunikation ist auf einer Inhalts- und Beziehungsseite beobachtbar.

Entscheidend für die Beobachtungen von Kommunikation ist zunächst eine Differenzierung nach einer Inhalts- und Beziehungsebene. Die Information, die von einem Subjekt zu einem anderen wandert, kann eher inhaltlicher Art sein, aber sie wird immer auch die Beziehung zwischen diesen Subjekten betreffen. In den Wissenschaften soll die Beziehungsseite meist möglichst übersehen bleiben, da es scheinbar nur um Inhalte (Wissen und Wahrheit) geht. So werden die Texte, Aussagen, Beobachtungen oft ihrer lebensweltlichen Kontexte beraubt. Die Beziehungen aber sind notwendig auch den wissenschaftlichen Handlungen inhärent, und dies in doppelter Weise: Einerseits sofern Beziehungen einen Kontext von Beobachtungen und Erklärungen betreffen, andererseits weil Wissenschaftler in Verständigungsgemeinschaften immer auch als Beziehungsgemeinschaften operieren (vgl. Kapitel III.2.6.3).
Für die Selbst- und Fremdbeobachter kommt es daher immer darauf an, sich bei jeder zirkulären Wechselwirkung zu fragen, welche Seite – Inhalte oder Beziehungen – vorrangig betroffen scheint, um dann auch der anderen Seite Beachtung zu schenken. Dies versteht sich als zentrales Anliegen, wenn wir hier überhaupt sinnvoll von einer Beziehungswirklichkeit gegenüber der engeren inhaltsorientierten Beobachtungswelt der Wissenschaften sprechen wollen.
Wenn ich als beliebiges Subjekt im Zirkel stehe, dann fällt es allerdings oft schwer, den Zirkel selbst zu erschließen. Es handelt sich hier um einen Zirkelschluss, der nicht nur im Positivismus verpönt ist.
In einem kausalen oder linear gültigen Segment ist ein Zirkelschluss in der Tat verfänglich, weil er aus einer kausal klar eingegrenzten Ereignisfolge mit eindeutig erscheinender Gesetzmäßigkeit einen Prozess machen würde, der in einem unendlichen Regress im Blick auf seine Begründung enden müsste. Aus absoluten Punkten werden dann bloße Relationen, aus dem Eins entsteht ein vieldeutiges Auch. Besonders in einer verdinglichenden, technischen oder funktionalen Sicht sind solche Zirkelschlüsse problematisch, weil sie das, was sie zu begründen versuchen, aus ihren eigenen Bedingungen des Schließens ableiten. Unser erstes Gefangendilemma veranschaulicht dies deutlich: Wenn sich die Gefangenen hier nicht an die kausal gültigen logischen Regeln halten, dann wird der Wettstreit irregulär.
Andererseits haben wir jedoch in unserem Beispiel der zweiten Gefangenen festgestellt, dass genau dies die Logik von Beziehungen ausmacht: Sie produziert zirkelhaft die Gültigkeit ihrer Konstruktionen durch den Rückschluss auf das, was sie ist. Es gibt hierfür keine höhere kausale Rückführbarkeit, die wir einsehen könnten. Die Menschheit hat sehr lange gebraucht, um eine dieser Rückbezüglichkeit oder Zirkelhaftigkeit entsprechende demokratische Vorstellung von Beziehungen – zumindest in abstrakter Einsicht – entwickeln zu können. Diese symbolisiert mit anderen Worten ein Verständnis für die Zirkularität. Sie ist umgekehrt auch eine notwendige Begründung von grundsätzlicher Demokratisierung und Gleichheit von Menschen, die sich als wechselseitige, gleichberechtigte Möglichkeit von Beziehungen ausdrückt. Diese trägt damit notwendig die Konsequenz des Zirkels in sich: Welches Subjekt soll bloß Ursache und nicht auch zugleich Wirkung für ein anderes sein? Bleibt es bei einer kausalen oder finalen Bewirkung von Verhalten, dann wäre nichts Neues, nichts Kreatives möglich. Dann wäre alles durch Andere irgendwie vorherbestimmt. Ist Bestimmtheit aber ein Interaktionsprozess, dann bleibt wohl das Problem der stärkeren Macht und Kontrolle auf dieser oder jener Seite, zugleich aber immer auch die Möglichkeit, dass die Wechselseitigkeit der Macht und Kontrolle aus einem Muster in ein anderes umschlagen kann. Dies ist der Hintergrund der Behauptung von Watzlawick u.a., dass es nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren. Egal, was wir tun, in der Kommunikation, die immer Beziehung ist, sind wir im Zirkel – in dem wir stehen – gefangen. Der noch so mächtige Täter benötigt sein Opfer und ist zumindest den Reaktionen dieses Opfers ausgeliefert. Diese systemische Beziehung kann unmenschliche Formen annehmen, wenn es eine gewalttätige, perverse, menschenverachtende Täterschaft gibt (vgl. dazu Reich Werke Online). Beide nämlich sind im Raum ihres Zirkels gefangen, auch wenn diese Gefangenschaft nach Qualität sehr unterschiedlich empfunden sein mag und ein unterschiedlich ausdrückbares Gewicht symbolisiert. Es ist daher wichtig zu erkennen, dass Zirkularität und Macht zusammengehören (vgl. Kapitel IV.3.3.2). Als Grundsatz bleibt uns hier, dass wir, wenn wir die Beobachterperspektiven der Zirkularität annehmen, auf eine Demokratisierung des Beobachtens drängen müssen. Der Ausschluss einzelner Beobachtermöglichkeiten und -positionen führt zu Verzerrungen der Beobachtungs- und Konstruktionswelt, die einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen oft so sehr bedrohen, dass sie aus der gültigen Beziehungsordnung eliminiert werden. Solche Versuche sind in der Menschheitsgeschichte zahlreich: Sei es, dass man Sklaven als sprechbegabtes Vieh, Indianer als Tiere, Juden als Untermenschen klassifizierte; solche Klassifikationen stehen als Beispiele für die Verdinglichung von Menschen, so wie die Tierwelt wie auch die Gegenstandswelt von Menschen ohnehin für den jeweils nützlichen Gebrauch und Verzehr meist nur verdinglicht wird.
Nun habe ich die Zirkularität mit einem einfachen Kreismodell eingeführt, das bloß eine schematisierende Hilfe für die Beschreibung von Konstruktions- und Denkmöglichkeiten darstellt. Die Linie selbst symbolisiert die unterschiedlichen Handlungen, Vorstellungen usw., die nach unterschiedlichen Mustern gestaltet sein können. Es mögen sensomotorische, kognitive oder affektive Wahrnehmungen, Aneignungen oder Entäußerungen sein, die hier beobachtet werden können. Es hängt ganz von den Beobachtern im Beziehungszirkel selbst ab, was sie an sich und an a/Anderen beobachten. Es hängt ganz von den Beobachtungen eines Beobachters außerhalb des Zirkels ab, inwieweit er in den Zirkel selbst hineinreicht, in welchem Grad er einbezogen oder berührt ist, was ihn tangiert oder an ihm vorbeigeht, wen oder was er beobachtet.
In einem ersten Schritt will ich zunächst räumliche und zeitliche Aspekte des zirkulären Beobachtungsfeldes unterscheiden, um Anwendungsmöglichkeiten für unterschiedliche, konkrete Objekte oder Ereignisse zu diskutieren.

These 2: Zirkularität als ständiger Rückkopplungsprozess überfordert Beobachter häufig, so dass sie sowohl in räumlichen als auch in zeitlichen Perspektiven gerne auf vereinfachende Ursache-Wirkungs-Beschreibungen zurückfallen.

 Zirkularität - Kausalität

Räumlich: Sehen wir auf den Zirkel genauer und vergrößern wir einen Ausschnitt, dann wird das Segment von Subjekt 1 (S 1) auf Subjekt 2 (S 2) zu einer Geraden. S 2 nimmt in dieser Symbolisierung eine Aktion von S 1 als Ursache wahr. Sofern S 1 nun aber kein Ding, sondern eine interagierende Person ist, wird es die Wirkung von S 2 selbst wieder wahrnehmen, was ihm Ursache für weitere Reaktionen werden kann. Allerdings können sowohl S 1 als auch S 2 der Illusion unterliegen, dass es nur eine eindeutige Ursache und davon abgeleitete Folgewirkungen gibt, weil sie sich selbst im Zirkel in bereits besonderer Weise – vorgeformt – interpretieren. Sie bewerten dann beispielsweise bestimmte Handlungen als besonders eindringlich, so dass dieses spezielle Segment im Zirkel eine Bedeutung erhält, die alle weiteren Wechselwirkungen kausal interpretieren lässt. Dann gelingt es nur noch einem äußeren Beobachter, die Zirkelhaftigkeit zu sehen. Ihn unterstellen wir aus systemischer, konstruktivistischer Sicht stets, um überhaupt eine Zirkelhaftigkeit von Beziehungen auszumachen.
Hier ist ein wesentlicher Einschub nötig. Das Bild des Zirkels stellt eine Symbolisierung dar, die nur durch Beobachter hergestellt wird. Dabei haben wir zunächst einen Beobachter scheinbar außerhalb des Zirkels einer Beziehung, einen dritten Teilnehmer vor Augen, der die Zirkularität sich beobachtend konstruiert. Als solch ein Beobachter fungieren auch genau wir in diesem Moment, in dem wir eine Theorie über Zirkularität entwickeln. In jeder konkreten Beobachtung als Dritter oder Außenstehender eines beobachteten Zirkels übernehmen wir diese Perspektive.
Allerdings sind auch die beliebigen Positionen im Zirkel selbst stets beobachtende. So haben nach unserem Beispiel S 1 und S 2 die Möglichkeit der Fremdbeobachtung des jeweiligen Anderen und der Selbstbeobachtung eigener Wahrnehmungen und Vorstellungen bzw. Handlungen. Es ist diesen Beobachtern im Zirkel auch möglich, imaginär sich z.B. in die Position des außenstehenden Dritten zu versetzen, um sich in der Zirkularität aus einer scheinbar fremden Perspektive zu beobachten. Dies ist der zirkuläre Hintergrund eines Begriffes, den Watzlawick und andere als Metakommunikation bezeichnen). S 1 und S 2 können in der Position des (eingenommenen, gedachten, imaginierten) außenstehenden Beobachters über ihre Beziehung kommunizieren, während sie ansonsten in einer Beziehung kommunizieren.

Zeitlich: Die Zirkularität lässt sich unter verschiedenen zeitlichen Gesichtspunkten interpretieren. So, wie ich sie bisher vorgestellt habe, erscheint die Zirkularität als Kontinuum. Als Rückkopplungsvorgang, der allerdings für Beobachter etliche Unschärfen aufweist, bemerken wir eine kontinuierliche Schleife, in der Aktionen und Reaktionen, Fragen und Antworten, Reden und Gegen-Reden usw. im Gange sind. Doch der Aspekt der Kontinuität scheint überzeitlich zu sein. Er wurzelt in einem Hier und Jetzt, aber als Beobachter benutzen wir ihn so, als wäre er zeitlos. Nehmen wir uns hingegen Zirkularität gezielt als zeitliches Muster vor, dann sprechen wir von einem Ereignis, das einen bestimmten zeitlichen Platz in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft besetzt. Dabei sprechen wir schärfer betrachtet allerdings immer aus einer Gegenwart, die sich eine Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft deutet. Zirkularität aus dem Vergangenheitsmuster wird als Vollendung eines bestimmten Musters betrachtet, für die Zukunft eher als unausweichliche Notwendigkeit. Gerne legitimieren wir aus dem Rückblick, der sich der Vollendung zuwendet (Zirkularität bewiesen an abgelaufenen Beziehungsprozessen), die Notwendigkeit eines gegenwärtigen Kontinuums oder einer notwendigen Zukunft. Doch diese Positionen, so denke ich, bleiben eher prinzipiell und theoretisch. In der Beziehungspraxis treten zwei flexiblere Zeitmechanismen zutage:
(a) Zirkuläre Ereignisse werden unter dem Gesichtspunkt der Häufigkeit beschrieben: Da wir nicht ständig auf alle Rückkopplungsschleifen reflektieren können noch wollen, treten besonders jene vor Augen, die häufig vorkommen. Die Gewohnheiten und Wiederholungen von Verhaltensmustern werden hierbei in den Vordergrund gestellt. Dies erleichtert einen praktischen Zugang. Wir müssen nun nicht mehr prinzipiell die Zirkularität suchen, sondern spüren jene Routinen auf, in denen uns das wechselseitige Aufeinander-Beziehen offensichtlich wird oder wo es die größten Störungen verursacht. Dies erklärt auch, warum Menschen, die die Zirkularität für diese Situationen einsehen, in anderen auf monokausale Zuschreibungen zurückfallen. Wir sind einfach nicht geschult und vielleicht prinzipiell nicht durchgehend in der Lage, ständig in Rückkopplungen zu denken.
(b) Eine andere Zuschreibungsform ist die Punktualität. Zirkuläre Ereignisse sind besondere Geschehnisse, die gezielt nur bei einem punktuellen Ereignis (z.B. bei einem therapeutisch bearbeiteten Konflikt) wahrgenommen und kaum auf andere Lebensbereiche übertragen werden. Oft beurteilen wir unsere biografischen Entwicklungen nach einem solchen Muster. Wir sprechen dann von den bestimmten, ausschlaggebenden Zeitpunkten, wo etwas entschieden wurde, sich veränderte, eine Lösung fand. Solche Zeitpunkte unterliegen oft einer genaueren Durcharbeitung, was dann auch die Zirkularität offenbar werden lassen kann. Aber es fällt uns schwer, außerhalb solcher Zeitpunkte, die wir für wichtig halten, die Zirkularität zu sehen.
Die Vermeidung oder Abwehr, die Zirkularität zu sehen, entspricht am besten einer Verobjektivierungsstrategie, die sich auf ein gegenständliches Verhalten und Beobachten beruft. Dabei gibt es auch sehr subtile Verdinglichungsstrategien, wie sie die moderne Wissenschaft oft unbewusst intendiert: In einer Hierarchisierung von scheinbar unproblematischem Wissen wird eine als unwiderlegbar gedeutete Erklärungsmacht etabliert, deren Reichweite in der Regel aber nur eine kurze Generationenfolge umfasst. Einem wissenschaftskritischen Beobachter wird dabei deutlich, dass die propagierten Sicherheiten weniger ein direktes Aufsteigen von einer Erkenntnis zur anderen bedeuten, sondern vielmehr meist eine Umdeutung des bisher vermeintlich Erkannten sind. Wissenschaft strebt dabei in ihrer Tendenz nach Schärfe dazu, die Zirkularität zu negieren und kausale Analogiemodelle zu entwerfen, die aus den Sequenzen einzelner Segmente von S 1 zu S 2 zusammengesetzt sind, um daraus kurzschlüssig möglichst natürliche oder universelle Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Diese Kurzschlüssigkeit ist notwendig mit der Wissenschaft verbunden: Sie muss reduktiv eine Eindeutigkeit erzwingen, weil sie sonst in Unschärfe ertrinken würde. Aber sie muss zugleich solche Reduktionen wissenschaftlich reflektieren, um nicht dem eigenen Verfahren gegenüber naiv zu bleiben und alle Folgen auf andere abzuwälzen. Aber nur wenn es solche gesetzlichen Analogien gibt, dann bleibt Wissenschaft sicher. Sie kann sich auf ein Äußeres berufen, das sich in den Sequenzen des Zirkels als Kontinuität erweist und damit auch eine Standardisierung des Beobachtens erzwingt. Gegenstand der Beobachtung und Modus der Beobachtung bedingen sich dann gegenseitig. Aber genau dieses Konzept scheitert in der Welt der Beziehungen an den Kränkungen, die ich hervorgehoben habe. Es kann sich hier nur im reduktiven Modus einer eingeschränkten technischen Weltsicht oder in praktisch nicht umsetzbaren Handlungsempfehlungen an Weltsicht, wie sie für große Teile des Positivismus erkennbar sind, umsetzen und führt damit entweder zu Machbarkeit ohne Rücksicht auf Folgen – also in ökologische und andere Krisen der Moderne – oder zu Machbarkeitsfantasien im Sinne reiner und wahrhaftiger Wissenschaft ohne Wissenschaftspraxis (vgl. hierzu auch die Diskussion zwischen Pragmatismus und Konstruktivismus in Hickman/Neubert/Reich 2004 und 2009).2
Wenn wir die Linie des Zirkels wie bei S 1 auf S 2 herauslösen, dann sehen wir nur noch einzelne Striche, die in sich kausale Wirkungsketten sind, deren isolierte Existenz darauf zu deuten scheint, dass jeweils partielle Handlungen partielle Wirkungen erzeugen. Insoweit ist ein Beobachter, der ein Ganzes im Sinne des Erfassens der Rückkopplungen sehen will, unverzichtbar, wenn wir eine zirkuläre Argumentation entfalten.
Welches sind die Bedingungen dieses Beobachters? Inwieweit kann ich, wenn ich selbst im Zirkel gefangen bin, überhaupt ein „außenstehender“ Beobachter werden, um mich als Gefangenen zu erblicken?
Unser oben beschriebenes Gefangenendilemma verweist darauf, dass ich mich prinzipiell im Zirkel der Beobachtung sehen kann, mir selbst äußerer Beobachter werden kann, auch wenn ich zirkulär gefangen bin. Allerdings setzt dies voraus, dass ich zumindest intuitiv die Logik von Beziehungen durchschaue, also psychologisiere. Fremd- und Selbstbeobachtungen greifen in diesen Zirkel des Beobachtens ein. Ich will die hier skizzierten Merkmale nun noch differenzierter darstellen. Zunächst will ich Merkmale der Zirkularität beschreiben (2.3.2). Ergänzt wird dies durch die Fragestellung nach einer Metakommunikation in Beziehungen (2.3.3).

 

2.3.2. Merkmale der Zirkularität


(1) Zirkuläre Grundmodelle

These 3: Es gibt keine Beziehungen ohne Zirkularität (Rückkopplung im Prozess der Kommunikation). Zirkularität bedingt eine zeitliche Gliederung (als Interpunktion) von Selbst- und Fremdbeobachtern.

Rekonstruktionen verwandeln sich schnell in Repräsentationen, wenn unsere Konstrukte aus der Beziehungssicht herausgesetzt und in eine inhaltliche Sicht eingesetzt werden. Sie scheinen dann das wiederzugeben, was wir aus dem bisherigen Prozess heraus für die Zukunft erwarten müssen oder aus der Vergangenheit uns als gültige Voraussetzung unseres Daseins ablesen können. Dabei wird dann mit Wahrnehmungen gespielt: „Ich habe diese oder jene Beziehung als diese oder jene Wahrheit erfahren, als richtig, als gut, als enttäuschend“ usw. Dies gilt auch gegenüber den Beziehungen, die wir zur eigenen Entwicklung unterhalten: „Damals war ich ein so geformter Mensch, dass mir nur dies und das möglich war, heute sehe ich weiter.“ Solche Konstruktionen bedeuten bereits eine bestimmte Interpunktion des Zirkels, indem sie bestimmte Sequenzen verabsolutieren. Es fällt hingegen sehr schwer, die Beziehungen als eine ständige Rückkopplung in der Zirkularität selbst zu erkennen:

  • Der Einschluss in den Zirkel der Beziehung mahnt uns daran, dass die Erinnerung an die Vergangenheit wie auch die Konstruktion einer möglichen Zukunft immer in Beziehungsweisen der Gegenwart, im zirkulären Prozess des Konstruierens selbst, wurzelt und diesen daher beobachtend reflektieren sollte. Anders gesprochen: Wir situieren uns in Zirkeln der Vergangenheits- oder Zukunftsorientierung, obwohl wir in solcher Situierung stets ereignisbezogen in einem Hier und Jetzt stehen. Wir stehen in einem singulären Ereignis, in einer möglichen Beobachtervielfalt, die wir aus Gründen der Vereinfachung nun in den Zirkel „so war es früher“ oder „so wird es sein“ setzen.
  • Rückkopplung in der Zirkularität scheint dabei offen und eher unklar zu sein:
    •  Verhalten: Wenn wir uns auf etwas beziehen, so beziehen wir uns auf etwas, was irgendwie stets schon bezogen ist. So lernen wir z.B. einen neuen sprachlichen Ausdruck, aber dieser hat bereits seine Voraussetzung in der Sprache, die wir beherrschen. So erscheint uns eine ungewöhnliche Geste. Aber sie ist nur ungewöhnlich, weil wir an etwas anderes gewöhnt waren. So ändern wir unser Verhalten. Aber ändern können wir nur etwas, was sich schon verhalten hat usw. In der Wissenschaft hat man für solche Zirkularitäten unterschiedliche Namen erfunden. Für die Sprache z.B. den hermeneutischen Zirkel. Für das Verhalten die Sozialisation als kulturelle Übernahme und Neuschaffung.
    • Selbstverhalten: Wenn wir uns allein auf uns zurückbeziehen, dann erscheint dies als eine besondere, selbstbezügliche Variante des Verhaltens. Man spricht gerne von Personen, die in sich selber kreisen, um auf die Problematik einer solchen Rückbezüglichkeit hinzuweisen, wenngleich diese Problematik in bestimmten Grenzen für alle Menschen gilt. Als beobachtende Konstrukteure unserer Wirklichkeiten entkommen wir der Selbstbezüglichkeit nie, aber wir lernen sie zu begrenzen und an die äußere Welt anzugleichen. Die biografische Perspektive auch in den Wissenschaften soll uns immerhin die Relevanz dieser Rückkopplung in uns selbst sichern; und die (auto-)biografischen Darstellungen oder Erinnerungen halten fest, was aus dem, was wir waren, etwas wurde, um zu sein, was wir „sind“. So deuten wir, was wir waren, um aus den unendlichen Kreisen von Assoziationen um uns selbst das herauszustellen, was Anderen vermittelbar erscheint. Dabei sind Andere längst Voraussetzung dessen, woher wir kommen.
    • Beziehungsverhalten: Das Selbstverhalten ist immer in ein Beziehungsverhalten eingebettet, denn aufgrund der nicht hintergehbaren interaktiven Situation menschlichen Zusammenlebens sind in alle Beobachtungszirkel die Anderen immer schon eingewoben. Sie erscheinen als andere, die ich mir aus meinem Selbstverhalten heraus imaginiere, aber auch als Andere, die mir real begegnen und die jede meiner Imaginationen auf die Probe stellen.
  • Hinzu kommt, dass die jeweilige Beobachterperspektive von Selbst- und Fremdbeobachtern die Deutung zirkulärer Modelle erschwert, weil eine hohe Komplexität und Unschärfe der Deutungen entsteht. Hier erscheint es daher meist einfacher, Beziehungskonstellationen in ihre vermeintlich eindeutigen Bestandteile und Segmente zu zerlegen. Im Nacheinander sind dann beispielsweise folgende Ketten einleuchtend:

Kausalität und Ketten

Fall 1              Fall 2                         Fall 3

 

Der Fall 1 dokumentiert eine einfache kausale Kette. Wir unterstellen eine ausgemachte Ursache und eine vorhandene Wirkung. Meist benutzen wir Beispiele aus der dinglichen Welt, um diese Logik auch für Beziehungen von Menschen untereinander als Notwendigkeit heranzuziehen. Dort, wo es um komplexeres Verhalten geht, hat man insbesondere im Behaviorismus auch versucht, Tiere als Vorbilder menschlicher Handlungen heranzuziehen. In all diesen Versuchen steckt eine Vereinfachung, die den Zirkel der Kommunikation von Menschen auf einen Ausschnitt verkürzt und diesen dann auf allgemeine Gesetze hin projiziert, die als Analogie zu menschlichem Verhalten (anders als in der Technik) meist in Trivialität enden.
Der Fall 2 zeigt, dass mehrere solcher Ketten als nebeneinander – oder, wenn wir sie wie in Fall 3 anordnen – auch nacheinander liegend dargestellt werden können. Hiermit will ich ausdrücken, dass verschiedenen Wirkungen unterschiedliche Ursachen zugeschrieben werden. Aber die Zuschreibung bleibt vereinfachend, weil sie sich nur ein Zuschreibungsmoment von klarer temporaler Dauer und ohne Rückkopplung aneignet.
Der Fall 1 monologisiert die Lösungsmöglichkeiten hin auf eine klare Ursache-Wirkungs-Kette. Hierbei wird ein ausschließendes Verfahren dominant.
Der Fall 2 radikalisiert diese Ausschließungen durch Konkurrenz, in der mehrere Auswahlmöglichkeiten nebeneinander stehen und vom Beobachter eine Wahl, eine Entscheidung verlangen.
Der Fall 3 symbolisiert zeitliche und räumliche Sprünge, die die Konkurrenzsituation erheblich verschärfen. Der Beobachter muss entscheiden, in welchen Zeit- und Raumsprung er sich deutend begibt.
Der Fall 4 zeigt sich als eine beliebige Vielzahl von Bruchstücken. Am Ende entsteht so eine Bruchstückstechnologie, die ähnlich wie der moderne Warenmarkt von einer unendlichen Zahl miteinander konkurrierender Ursache-Wirkungs-Ketten geprägt ist und die Partikularität des Erkennens schlechthin darstellt.

Chaos

Fall 4

Dieser Fall symbolisiert, dass ein solches Nach- und Nebeneinander ins Chaos geraten kann. Dies entspricht der Situation gegenwärtiger Erkenntnistheorien im Vergleich, auch wenn dies von einzelnen dieser Theorien gerne auf die Fälle 1 bis 3 reduziert wird. Der Fall 4 ist schwer zu handhaben, weil er zu einer unerträglichen Unübersichtlichkeit führt. Diese mag zwar immer wieder ein Rettungspunkt sein, wenn die Ordnung misslingt, aber die Vielzahl der Einzelketten im Nebeneinander wie Nacheinander verlangt geradezu nach einer symbolischen Ordnung, indem wir das Chaos der Einzelketten auf ein Kettenmuster hin verallgemeinern, das uns letztlich aus den vielen Auchs auf das sichere Eins, aus dem Chaos der Ketten in ein stilles Reich von Gesetzen führt, die als ein ruhiges Abbild der Wirklichkeit gelten können und deren logisch geklärte (z.B. kausale, funktionale, finale) Form alle Beliebigkeit im Neben- und Nacheinander tilgt.
Aus dem Zirkel einer Ursache, die Wirkung ist und als Wirkung selbst Ursache wird, entsteht in Versuchen, die der Unübersichtlichkeit entgehen wollen, eine eindeutige Linie mit eingegrenztem Bezug. Wesentlich und unwesentlich, eindeutig und unscharf, klar umrissen und nebulös, Hauptwiderspruch und Nebenwidersprüche, Grundlinien und Ränder oder wie auch immer wir analoge Gegensatzpaare bilden wollen, sichern dann diese Konstruktion ab. Der Erfolg solcher Reduktion ist eindeutig: Chronometer erfassen die konstruierte Zeit eindeutiger und exakter als Tag- und Nachtwandlungen im menschlichen Gefühl; Maschinen konstruieren Komponenten eines Produktionsprozesses sicherer und stabiler als menschliche Launen usw. Gleichwohl erkennt ein Beobachter, der auf den Zirkel insgesamt sieht, der beobachtet, wie die Chronometer und Maschinen und andere reduktive Instrumentarien auf den Urheber selbst zurückwirken, dass sie diesen verändert haben und immer weiter verändern. Diese Veränderung aber bleibt im reduktiven Ausschluss selbst unbeobachtbar.
Fragt man nach Gründen hierfür, so mag als besonders plausibel ein psychischer Abwehrmechanismus erscheinen, der sich darin ausdrückt, Folgen im weiteren Sinne nicht sehen zu wollen, weil diese sonst die Produktivität der begehrten und gesellschaftlich anerkannten reduktiven Arbeit und des materiellen Fortschritts selbst in Frage stellen könnten. Insoweit ist es folgerichtig, dass der Mensch seinen Planeten ohne Rücksicht auf künftige Generationen ausbeutet und ruiniert, da wir als kurzsichtige Menschen nur in der Reduktion auf einfache Kausalketten zu überschauen vermögen, wie wir auf einfachste Weise siegen können. Wir fühlen uns als Helden, wenn wir denken, was wir alles können. Erst der Zirkel menschlichen Handelns in einer Mehrgenerationenperspektive aber zeigt die Folgen solchen Tuns. Dieser Zirkel ist nur sehr unscharf, spekulativ beschreibbar, worauf ich im Blick auf die Welt- und Produktionswirklichkeit weiter unten noch zurückkommen werde. Er ist ja bereits in der Beziehungswirklichkeit von nur zwei Menschen von Uneindeutigkeiten, Nichtreduzierbarkeit auf einfache Verhaltensmerkmale, von Intuitionen und Emotionen geprägt, die den Anspruch an eine Kausalkette immer als Funktionalisierung der Person, als Entsubjektivierung des persönlich-intimen oder dialogischen Verhältnisses erleben lassen.


These 4: In Beziehungen sind Zirkelschlüsse unvermeidlich.

Beziehungen lassen sich nicht sinnvoll aus alleinigen kausalen Perspektiven führen. Es lassen sich Bedingungen dafür angeben, warum es erforderlich ist, Beziehungen zirkulär zu begreifen:

  • Wenn Verhalten nur als äußeres, linear ablaufendes Muster gesehen wird, wenn weder das Selbstverhalten noch das Beziehungsverhalten hinreichend thematisiert werden, dann besteht die Gefahr, die Zirkularität von Deutungsprozessen, damit auch die Re/De/Konstruktionen von Wirklichkeiten, zu stark zu vereinfachen und meist auch technisch-funktional zu überformen. Dies fördert ein Denken in Beziehungshierarchien, ein Denken, das seine Maßstäbe nicht kritisch auf sich selbst richten kann, das die weitere Umwelt weder temporal noch räumlich hinreichend beachten wird (insbesondere führt es zu einem ökologisch ignoranten Denken). Wenn hingegen das Selbstverhalten und das Beziehungsverhalten zirkulär gedeutet werden, dann wird die Selbstbeschreibung der eigenen Verwickeltheit in eine Deutungsrückkopplung zur Aufgabe, den Rückkopplungsprozess selbst zu thematisieren und kritisch zu beobachten.
  • Hierbei ist dann eine Forderung wiederkehrend: Wenn Selbstverhalten und Beziehungen in ihrer Zirkularität thematisiert werden sollen, dann scheint eine symmetrische Beziehung gegenüber einer komplementären im Vorzug. In einer komplementären Beziehung sind die Rollen der Beziehungspartner recht starr verteilt. Sie sind hierarchisiert, nach Rollenmustern geordnet, nach erwarteten Kausalketten bereits vorstrukturiert. Handlungen in diesem Feld sind meist auf Erhalt des erreichten Status oder Habitus gerichtet. Typisch sind solche Komplementärverhältnisse für alle Herrschaftssysteme, die sich durch das Ritual eines ständig wiederkehrenden Musters der Einschwörung auf zugelassene Voraussetzungen selbst legitimieren und rekonstruieren. Zeremonien, wie z.B. beim Militär üblich, signalisieren hier denn auch deutlich den Verzicht aufs Denken. Soldaten sollen in der Regel gehorchen; und wenn sie schon denken, dann müssen sie dieses stets hierarchisch einzuordnen wissen. Dies liegt offensichtlich am Grundmuster linearen Denkens, das beim Militär durch eine funktionale Auftragssetzung vorgegeben ist. Was wäre es auch für eine neue Form des Militärs, wenn sich die Soldaten weltweit in zirkulären Reflexionen über die Bedingungen der Möglichkeit ihres jeweiligen Denkens verständigten? Aus jedem Krieg müsste ein Diskurs unter dem Anspruch von Gleichberechtigung der Diskutierenden werden. Allein dieses Bild zeigt, jenseits des Wünschenswerten, die reale Unwahrscheinlichkeit eines Nachdenkens für jene an, die gesellschaftlich funktionale Aufgaben der Macht- und Interessensicherung erfüllen sollen. Je mehr jedoch die Beziehungspartner gleichberechtigt erscheinen, desto mehr entsteht die Möglichkeit, die Einwirkungen jeder Seite zu erkennen. Dies gilt bereits für Hegel, der prototypisch in seinem Beispiel von Herr und Knecht aufdeckt, das selbst bei ausgeprägter Herrschaft die Herren von ihren Knechten in gewisser Weise abhängig sind. Hegel konnte diese Erkenntnis aber historisch erst formulieren, als sich das aufstrebende Bürgertum der eigenen Stärke von Knechtsideologien bewusst geworden war. Wenn komplementäre Verhältnisse in symmetrische umschlagen – und sei es auch zunächst nur als Imagination einer zukünftigen Symmetrie –, dann wird der Weg für zirkuläres Denken frei. Damit gelten die von mir mit Elias herausgestellten Bedingungen der Zunahme von Selbstzwängen in der Moderne als wesentliche Voraussetzung eines Denkens in Zirkeln. Die Fremdzwänge hingegen, die wir nach wie vor institutionell und in allen möglichen Formen der Disziplin(ierung) pflegen, sind Gegner eines zirkulären Denkens.
  • Wir müssen allerdings bedenken, dass es unterschiedliche Grade und Vermitteltheiten von Komplementarität und Symmetrie gibt. Elias hat deshalb darauf aufmerksam gemacht, dass ein komplementäres Herrschaftsverhältnis wie z.B. eine gewisse Monopolstellung von Herrschern durchaus mit symmetrischen Beziehungen auf anderen Ebenen im Herrschaftsapparat einhergehen kann. Analog wissen wir von menschlichen Alltagsbeziehungen, in denen z.B. ein symmetrisches Verhältnis im Rollenverständnis eines Paares nur in bestimmten Bereichen gilt, in anderen aber als  Komplementarität gelebt wird. Hier gelten komplizierte Muster aus symmetrischen und komplementären Anteilen, die zudem einem ständigen Wandel unterliegen (Paardynamik). Deshalb sind die Begriffe Komplementarität und Symmetrie immer nur Beobachterkategorien, die einen Beziehungsprozess vereinfachend in einem seiner erscheinenden Bereiche beschreiben, um hieraus Schlussfolgerungen für Selbst- und Fremderleben zu ziehen. Übergeneralisierungen ist mit Vorsicht zu begegnen.
  • Die Auflösung statischer Denksysteme durch Prozessmodelle, der Substanzen oder letzten Bausteine und Elemente des Wissens durch die Verflüssigung dieser Elemente selbst, und die Anerkennung ihrer Konstruktivität für einen bestimmten Gebrauch, dies alles erschüttert ein Denken, das sich einen letzten Punkt der Herkunft, der Abstammung, der letzten Ursache imaginieren will und an dieser Forderung selbst immer wieder scheitert. Wenn das Weltall mit einem Urknall begonnen haben soll, so bleibt die Frage, was vor diesem Knall war. Wenn Gott die Menschen geschaffen hat, so können wir Gott selbst als immer schon erschaffen denken und damit die eigene Logik verurteilen usw. Dies ist schon aus der ersten Kränkungsbewegung ersichtlich geworden. Wenn wir in einer Beziehung in einem Streit nach dem letztendlichen Urheber des Streits suchen, so wird durch den vermeintlichen Sieg des einen nur der Boden eines neuen Streits vorbereitet, weil in komplexen Wechselwirkungen einer Beziehung weder Anfang noch Ende eindeutig erscheinen können. Hier ist der Prozess zu beobachten, während es technisch sinnvoll erscheinen mag, sich auf die ineinandergreifenden Zahnräder in einem Ausschnitt von Welt zu konzentrieren und weitere Wirkungen bzw. Wirklichkeiten auszuklammern. So konnte es z.B. geschehen, dass die Produktion von Autos erst im Nachhinein beobachtbar werden ließ, dass Autos auch Folgen für die Umwelt über ihr eigenes Fahren hinaus in sich tragen und mit produzieren. Kein Techniker wird diese bei der Konstruktion von Autos beobachten, weil sie für seinen Gebrauch nicht von Interesse sind. Damit aber ist immer ein Verhältnis ausgedrückt: Substanzen oder Elemente und Prozesse stehen sich auf mannigfachen Ebenen gegenüber. Es ist immer von der Beobachtungsperspektive abhängig, welche dieser Ebenen beobachtet und reflektiert werden. So mag der Autohersteller den Motor eines Autos als Prozess technisch beschreiben, ein anderer Beobachter wird diesen Motor bloß als eine statistische Größe für den Prozess von Verkehrsstaus, wieder ein anderer für Probleme der Umweltzerstörung sehen wollen.
  • Die Anerkennung der Widersprüchlichkeit innerer menschlicher Vorstellungen, der Kampf der Kräfte im Menschen, die Abgrenzungen von künstlicher Intelligenz, zeigen sehr eindringlich die Grenzen von Beobachtungswirklichkeit (im engeren Sinne) und Beziehungswirklichkeit. Im Gegensatz zur Technik wird der Mensch auf einmal zu einer Fehlerquelle, zu einer Verursachung des Irrtums, wo sich Maschinen nicht irren. Alle digitalisierten Abläufe erscheinen maschinell sicherer als Handlungen von Menschen. Solche Technikkritik am Menschen dokumentiert die Notwendigkeit der Unschärfe menschlicher Verhaltenseindeutigkeit, die zutiefst eine Notwendigkeit menschlicher Beziehungen (zu sich selbst und zu Anderen) ist. Umgekehrt ist die Technik allerdings die Illusion einer notwendigen Welt, die besser als Menschen Aufgaben zu verrichten versteht, die den Menschen in ihren Beziehungen nützen sollen. Die Menschen begreifen erst nach und nach, dass sie sich einen orthodoxen Richter ihres menschlichen Verhaltens geschaffen haben, der sich auch gegen sie kehren kann.
  • Die modernen Verkehrsformen, die Lebensformen des 20. Jahrhunderts, die in unendliche Handlungsketten zerfallen und diese nur als ein Netz von Handlungen, als ein System des Zusammenwirkens in niemals exakt aufzuklärender Weise beschreiben lassen, verdeutlichen, dass auch eine nach Eindeutigkeit suchende Wissenschaft solcher Komplexität nicht mehr Herr werden kann. Die verallgemeinerten Modelle, die solche Wissenschaft hervorbringt, sind – selbst bei konstruktivistischer und systemischer Grundorientierung, wie es Luhmann zeigt – entsubjektivierend. Sie lösen damit Beziehungen wiederum in funktionale oder technische Segmente auf, was nur eine Funktion von Wirklichkeit zum Maßstab einer Konstruktion schlechthin nimmt.

Doch reichen diese Aspekte aus, die Zirkularität anzuerkennen? Schließlich scheint es wissenschaftlich gesehen überhaupt ein Fehler zu sein, zirkulär zu denken. Drehen wir uns damit nicht im eigenen Kreis? Begründen wir nicht logisch unsauber etwas aus einem Kontext, in dem Ursache und Wirkung sich unzumutbar verwischen? Warum sollen wir die Errungenschaften aufgeben, die die Wissenschaften dazu gebracht haben, gerade Zirkelschlüsse zu vermeiden? Die Zirkelschlüsse des zweiten Gefangenendilemmas zeigten uns an, warum wir die Beobachterebene der disziplinierten Wissenschaft mit ihrem Zirkelverbot verlassen haben. Auch wenn wir als wissenschaftliche Beobachter mittels Ausschlussbedingungen uns die Welt so konstruieren, dass der direkte Zirkelschluss vermieden werden kann, so kehrt der Zirkel unserer Selbst- und Beziehungsbezüglichkeit auf einer anderen Beobachterebene wieder ein: in die Beziehungswirklichkeit.
Der Beziehungswirklichkeit aber steht die Welt der Objektivationen oft entgegen. Heute gehört es zum Überlebenskampf auch der Wissenschaften, auf ihren Erfolg zu drängen. Dieser wird dort am sichtbarsten, wo sie eindeutig, technisch, materiell erfolgreich bleiben können. Hier dominieren Gründe, die die Zirkularität als Denkansatz immer wieder zu beseitigen versuchen:

  • Der technische Fortschritt selbst hat sich als hoher materieller Vorteil erwiesen, für den die Menschen auch Beziehungswirklichkeiten zu opfern bereit sind. Dies steht in Zusammenhang mit Lagen der Bedürfnisbefriedigung des Menschen. Genauer müssten wir sagen, dass Menschen bereit sind, ihre Beziehungen an den Machbarkeiten solcher Technik auszurichten, sich ihr anzugleichen. Die Möglichkeiten von Lebensformen werden so standardisiert: Das individuelle Glück gipfelt scheinbar in einem Lebensstandard.
  • Die kapitalistische Warenproduktion scheint eine Grundgleichheit von Beziehungen auszudrücken, die durch das Tauschmittel Geld alle in gerechter Form einbezieht. Zwar gibt es anerkannte Unterschiede des Besitzes, aber es gehört zu den Imaginationen des gesellschaftlichen Prozesses, dass das Geld wie eine unumstößliche Technik Anerkennung für Austausch ist, d.h. diese technische Seinsweise wird weniger bezweifelt als alles andere. Sie reproduziert sich ja auch ununterbrochen durch Gebrauch und schematisiert damit das Verhalten der Menschen. In ihr steckt zudem eine primitive Kausalität des Nehmens und Gebens, die alltäglich erfahren und rekonstruiert wird.
  • Die Verdinglichung von Wirklichkeiten, die für die moderne Erziehung prototypisch ist, geht mit dem konstruktivistischen Aufbau von Erkenntnis einher, wie ich bereits mit Piaget anführte (Band 1, Kapitel II.1.4). Sie findet sich in der Lebenswelt wieder, die nach scheinbar sicheren sittlichen und moralischen Instanzen aufgebaut ist: Seien es Rechts- und Verwaltungssysteme, die den Stand der erreichten Sittlichkeit in Form von Gesetzen und Rechtsprechung dokumentieren, seien es moralische Instanzen, die als Gefühle im Gewissen und einer Gewissensschuld verankert werden, sie alle führen zu einem Eigenleben imaginärer gesellschaftlicher Institutionen, das als Bedingung für alle Menschen kausal attribuiert wird. Damit scheint eine nicht mehr hinterfragbare Wirklichkeit aufgerichtet, nach der Beziehungen ablaufen. Es wird so leicht übersehen, dass Beziehungen in ihnen ablaufen, was bedeutet, dass die Konstruktion von Beziehungen selbst solche Abläufe erst erzeugt. So stehen sich eine überwiegend deterministische Welt, in der alles schon geregelt erscheint, und eine konstruktivistische, in der alles immer neu geregelt werden könnte, gegenüber. Angesichts der begrenzten individuellen Macht neigen Beobachter eher dem Determinismus zu.

Diese Gründe, die sich weiter differenzieren ließen, drücken aus, dass die Beziehungswirklichkeit oft unter der ausschließlichen Perspektive einer Beobachtungswirklichkeit im engeren Sinne konstruiert wird. So wird der Zirkel segmentiert und kausal konstruiert, Wechselwirkung reduziert. Gleichwohl kann dies Erfolg bringen, materiellen Fortschritt ausdrücken, denn der homo faber sieht auf das, was er tut, indem er das Wie seines Tuns organisiert. Er muss nicht wissen, was er tut, denn dieses Was müsste alle möglichen Folgen seines Tuns reflektieren, eine Anstrengung, die wenig zu lohnen scheint. So bleibt sie oft in Ansätzen stecken.
Damit haben wir zwei Denkwelten, zwei Konstruktionsaufgaben, die sich ergänzend und widersprüchlich zur Seite stehen: Eine Welt mit Wissen und Wahrheit (Inhalte) und eine Beziehungs-Welt.4 Oft versuchen Menschen ihre Beziehungswirklichkeit im Alltag nach der Logik ihres Büros oder des technisch-maschinellen Labors, der sogenannten eindeutigen Welten, zu regeln, was die Beziehungsseite rationalisiert. Oder sie halten beide Seiten strikt auseinander. Hier zeigt sich, dass die Beziehungswelt selbst einer beobachtenden und denkenden Spaltung unterliegt: Einem Schwanken zwischen kausalen und zirkulären Bildern, die die Vor- und Einstellungen der Menschen bestimmen. So kommt es oft dazu, dass Menschen an Spannungspunkten ihres Alltags versuchen, eine Lösung im Sinne der deterministischen Logik zu unternehmen und dass sie dabei blind gegenüber ihrem Tun in seiner systemischen (zirkulären) Wirkung in einer Beziehung bleiben. Sie erleben ein kausales Konstrukt von Zuschreibung dann wie eine technische Wirklichkeit und sind erschrocken, dass der Beziehungspartner nicht kausal reagiert, sondern ein Eigenleben hat und produziert. Sie haben dann auch das Gefühl für zirkuläre Deutungen verloren.

 

(2) Imaginäre Beziehungsprozeduren

Beide Seiten wirken heute im Lebensprozess des Menschen. Aus beiden Wirkungsweisen sind Mischformen der Beobachtung entstanden, die in einer intuitiven Unterscheidung vieler Menschen wurzeln. Sie unterscheiden deutlich für sich die Bedingungen notwendig zirkulärer Betrachtung von den reduktiv erfolgreichen Strategien, die man beherrschen muss, um in einer Warengesellschaft, einer leistungsorientierten Arbeitswelt und bürokratisierten Kultur zu überleben. Dabei sind zwei Richtungen der Variation der zirkulären Grundmodelle sehr auffällig:


(2.1) Die Begrenzung der Zirkularität durch Verdichtung

Wenn Fremdbeobachter ein verliebtes Paar betrachten, dann bemerken sie oft, dass das Paar nur um sich kreist. Der Zirkel erscheint hier in direkter Form: Jede Geste ist Spiegelung, jedes Wort Anerkennung, jeder Blick Rückkopplung. Solche Intensität einer zirkulären Dynamik kann aber kaum über eine lange Zeit aufrechterhalten werden. Gleichwohl benötigen wir gerade in Beziehungen und den in ihnen wesentlichen Gefühlslagen Praktiken und Routinen, die uns eine Geborgenheit und Selbstverständlichkeit sichern, auch wenn die intensive zirkuläre Beziehungspflege der Zeit eines ersten Verliebtseins nachlässt. Eine wesentliche Möglichkeit solcher Pflege ist die Verdichtung. Das Paar gewinnt eine gemeinsame Basis bestimmter Gewohnheiten, Einstellungen, Werte usw., die das repräsentieren, worauf es in dieser Beziehung ankommt. Dies können sehr unterschiedliche Muster und Gegebenheiten sein. Es können auch tabuisierte, unbewusste Prozesse sein, die eine solche Basis darstellen.

Die hier zu beschreibende Begrenzung der Zirkularität ist sehr aufschlussreich, wenn wir Mechanismen unseres Zusammenlebens untersuchen. Ich werde dies in drei Schritten tun:
(1) in diesem Kapitel beschreibe ich die Begrenzung als Verdichtung und Verschiebung, d.h. als einen sehr eng im interaktiven psychischen Geschehen liegenden Vorgang, wobei vor allem das Spannungsverhältnis zwischen imaginärer und symbolischer Seite analysiert wird;
(2) in Kapitel IV gehe ich dann direkt auf soziale Praktiken, Routinen und Institutionen ein, die solche Begrenzung als soziales Leben organisieren;
(3) in der konstruktivistischen Diskurstheorie schließlich wird am Beispiel des Diskurses der Beziehungswirklichkeit deutlich werden, welche Deutungsmuster solchen Begrenzungsversuchen symbolisch zugrunde liegen können.

imaginäre Verdichtung

Abbildung: Imaginäre Verdichtung


Zuerst will ich – auch in Abgrenzung zu Freud (vgl. Band 1, Kapitel II.3.1) – beschreiben, was mit Verdichtung hier gemeint ist.
Abstrakt gesprochen symbolisiert die Verdichtung eine Zentrierung auf einen imaginären Mittelpunkt des zirkulären Prozesses. Das subjektive Begehren führt dazu, eine Zentrierung auf ein Eins herbeizuführen, auf das die Interaktion der Beziehung sich konzentriert. Ein Beobachter der Szene wird in dieser Kraft einen Druck von außen auf die Zirkularität sehen, eine zentripetale Kraft, die reale oder imaginäre Wirkungen ausdrückt und zu einer symbolischen Verdichtung führt. Der imaginäre Mittelpunkt steht dann als Symbol für eine symbiotische Beziehung, in der alles miteinander verschmilzt, in der er für hohe Bindung, ein Urbild oder einen mythischen Ursprung sorgt, in  dem sich alles vereint. Solcherlei Verdichtung findet in diesem Eins einen Mittelpunkt, der in seiner Maximierung besonders intensiv auf den Beziehungszirkel zurückstrahlt, indem er dem ganzen Zirkel oder einzelnen seiner Segmente einen Ursprung anbietet, dessen kausale Wirkung alle anderen erreicht. Zwischen diesem Maximum an Erzeugung einer alles erklärenden Ursache und dem Minimum einer kleinen Mythe oder Lebenslüge, die im privaten Zirkel bleibt, sind alle Abstufungen denkbar.
Die Abbildung zeigt einerseits den Zirkel der Beziehung und andererseits die Kraft, die auf ihn wirkt. Als Illusion sehen wir, wie der Zirkel nach innen getrieben wird – dies geschieht imaginativ –, um bei einem scheinbaren Mittelpunkt anzugelangen.
Übersetzen wir am Beispiel der Abbildung diese abstrakte Definition auf mögliche Handlungen eines Liebespaares. Zunächst kreist dieses Paar – der Fremdbeobachter erkennt hier das Muster der Wiederholung, des Kreises – ständig um sich selbst. Es verliert Kontakt zur Außenwelt, setzt eine gewisse Zeit Prioritäten für  eigene Unternehmungen, wofür die Flitterwochen z.B. ein institutionalisierter Ausdruck sind. Die Symbolik der Liebe wird durch den Kreis des Eheringes ebenso ausgedrückt wie durch andere Eindeutigkeiten, die definieren, dass dies ein Paar ist, das Andere nicht zu stören haben. Ein Dritter findet in dieser Ausschließlichkeit keinen Platz, weder in den Selbstbeobachtungen des Paares noch in den Fremdbeobachtungen eines möglicherweise neidischen Voyeurs. Sehr oft berichten Fremdbeobachter über die Unerträglichkeit von Liebespaaren, weil sie deren Harmonie in Versuchung führt, die eigene Beziehung nochmals kritisch nach Verlusten zu mustern. Doch der Kreis, die ständige zirkuläre Rückkopplung, das weiß der Fremdbeobachter bereits in gehässigen Bemerkungen vorauszusagen, wird begrenzt werden: „Hast du den Abwasch schon gemacht? Aufgeräumt? Dies oder das erledigt?“ Wird es dann immer noch die feurigen Blicke, die selbstverständliche Anerkennung, die euphorische Stimmung geben?
Hier nun erscheint die Verdichtung als eine illusionäre Chance. Der Pfeil auf eine imaginäre Mitte des Kreises, der diesen spiralförmig nach innen zentriert, verweist auf eine illusionäre, paradoxe Bewegung: Das Paar wird in seiner Kommunikation stets auf der Inhalts- und Beziehungsseite rückgekoppelt, zirkulär miteinander umgehen. Um aber Selbstverständlichkeiten, Automatismen, Geborgenheit und die Liebe als Gepflogenheit zu etablieren, wird es sich eine Wirklichkeit erdichten, mittels Schlüsselszenarien und Gefühlslagen, mittels imaginärer Bindungen und symbolischer Verlässlichkeiten konstruieren. Und hierbei entsteht ein Feld, eine Praxis von Beziehung, das die in Gesprächen ausgehandelten Muster wechselseitiger Erwartungen auch als Verdichtung beansprucht. Fragen wir also dieses Liebespaar nach einiger Zeit, was Liebe für sie ist, Treue, Sexualität, Zärtlichkeit, Geborgenheit usw., dann erwarten wir in der Regel eine entweder imaginär selbstverständlich gelebte und/oder symbolisch ausgehandelte Beziehung. Je mehr ausgehandelt werden muss, je größer die abverlangten Kompromisse sind, desto mehr mag die Imagination leiden. Die Imagination ist gleichsam die Flüchtigkeit und Leichtigkeit als Ausdruck eines unausgesprochenen und unaussprechbaren Einverständnisses.
Wir erleben in unseren Beziehungen einen ständigen Verdichtungsdruck. Nehmen wir nur die Kosenamen als ein Beispiel. In ihnen verdichtet sich als Maus, Hase, Häschen oder in intelligenteren Sprachschöpfungen eine situative Bearbeitung von Stimmungslagen, die dann symbolisch zu Routinen werden. In einer schönen Stimmung entstehen z.B. solche Wortschöpfungen, um dann auf weitere Situationen übertragen zu werden. Illusionär ist es, wenn wir glauben, damit die ganze Stimmung für alle Zukunft übertragen zu können. Aber als symbolische Handlung leistet die imaginäre Verdichtung, die hier sprachlich übersetzt wird, immerhin eine Gewohnheitsbildung, die Vertrauen erweckt und nach außen ein Vertrautsein dokumentiert.
Genauer gesagt, müssen wir nach unserem imaginären Modell sogar annehmen, dass diese Verdichtungen mit ihrer illusionären Komponente zwangsläufig auftreten. Im Begehren des anderen spiegeln wir immer uns selbst. In einer zirkulären Kommunikation, in einer realen Beziehung wird dies zu einem Spiegelungsspiel, das unter hohem Erwartungsdruck steht: Wir ärgern uns über den anderen schon dann, wenn er unserer Imagination nicht entspricht, obwohl er vielleicht sich gar nicht verändert hat und ein gleiches Verhalten wie zu Beginn unserer Beziehung an den Tag legt. Wir aber schauen auf einmal anders, weil wir nach einer anfänglichen Euphorie jetzt stärker bei unserer Imagination verweilen. Das Bild klein a (unser imaginäres Begehren) spiegelt sich in den realen Aktionen des Anderen, in groß A. Die notwendig auftretende Differenz wird dann zur Enttäuschung. Und getäuscht fühlen wir uns, wenn unser Begehren nicht aufgeht. Das tolle sexuelle Abenteuer, das wir imaginierten, erwies sich z.B. als langfristiger Flop. Zunächst dachten wir noch, dass wir das hinkriegen. Das Realitätsprinzip lehrt uns nun, dass wir auch über uns enttäuscht sein mussten. Dies wehren wir am besten so ab, dass wir nur uns als getäuscht hinstellen.
Die Verdichtung einer Liebe auf ein ausschließendes Eins wird wohl am deutlichsten im Kinderwunsch. Im glücklichsten Fall steht dieses Kind für die gemeinsame Liebe, im unglücklicheren soll es dazu herhalten, diese Liebe erst zu erzeugen oder zu erzwingen. Ein imaginiertes Kind hat mitunter sogar größere verdichtende Kraft für die Beziehung als ein geborenes Kind, das die Beziehung real belastet.
Nach diesen einführenden Beispielen erkennen wir, dass unser Schaubild eine illusionäre Bewegung veranschaulicht. Die Verdichtung ist frei, sich beliebige Gegenstände, Sachverhalte, Menschen oder erdichtete Wesen zu suchen, sofern sie nur dazu herhalten kann, uns vor zu großer Unschärfe in zirkulären Beziehungen zu schützen. Dies entspricht meiner zweiten These, in der ich von der Überforderung durch zirkuläres Schauen gesprochen habe. Wir können und wollen nicht immer alles im Fluss sehen. Wir wollen es auf den Punkt bringen. Wenigstens hier und jetzt. Am besten für immer. Und schon erdichten wir uns unsere Wirklichkeit, verdichten unser Begehren auf bestimmte Mittelpunkte.
Sieht das Paar die Welt aus einer verdichtenden Perspektive, dann bindet es sich imaginär an seinen Lebensentwurf. Dies ist wie eine Dichtung, die sich sprachlich, wie ein Bild, das sich imaginär, wie ein Kunstwerk, das sich gegenständlich eine Wirklichkeit erfindet – auch unser  Liebespaar konstruiert sich seine Liebeswelt. Je mehr es in den Illusionen einer imaginären Verdichtung schwelgt, um so stärker allerdings mag der Boden, mag die Realität aus dem Bewusstsein verdrängt werden. Denn es ist das Wesen der imaginären Verdichtung, der Mittelpunktsuche, uns das Leben zu erleichtern, indem wir es vereinfachen. Ich will nicht, so mag die Liebende sagen, immer wieder neu die Anstrengungen der zirkulären Rückmeldungen üben, ich halte diese Euphorik auf Dauer gar nicht aus. Die weiteren Lebensansprüche lassen dies ohnehin nicht zu. Der Alltag erwischt die Liebenden und zwingt sie zu Begrenzungen. Und gerade jetzt suchen einige die Flucht in Verdichtungen, die sie übertreiben: Rückzug aufs Paar, Ausschließung äußerer Einflüsse, damit Stagnation der individuellen Entwicklung, um sich die Illusion der ersten Harmonie als stilles Abbild zu erhalten. Doch die Schnappschüsse der Liebenden, das Hochzeitsfoto, die Erinnerungen verblassen, wenn sie nicht in der realen Beziehung in mühsamer Kleinarbeit täglich gepflegt werden. Dagegen stehen die großen durch imaginäre Verdichtungen angetriebenen symbolischen Lösungen, die uns mit strengen Begriffen mahnen und auf Normalität hin disziplinieren: Treue, Anständigkeit, Zuverlässigkeit, Respekt, Achtung usw.
Nicht nur Liebende begehen Zirkelschlüsse, sie sind typisch für alle Beziehungswirklichkeiten. In der Bildung z.B. erscheinen bei handelnden Personen immer wieder Verdichtungen auf ein Eins, von dem aus alle Probleme gelöst werden sollen. In Deutschland ist dies vorrangig bis heute das Fachliche und das Wissen, das ein symbolischer Garant für die Sinnhaftigkeit des Tuns sein soll, obwohl es immer nur ein Teil aus einem größeren Ganzen ist. Dafür verleugnet man dann schon die Untersuchung der Wirksamkeit dieses Tuns, also der hohen Vergessensraten nach Schulabschluss, der Effektivität für die Lerner und ihr späteres Leben, also die Verwendbarkeit in Beruf und Leben, nur um die Sicherheit zu bewahren. Als System ausgeweitet wird dies zu einer Bildungspolitik, die Deutschland weltweit vom Rest der Welt immer mehr isoliert: Möglichst frühe Selektion der Lerner, um angeblich ihren Fähigkeiten zu entsprechen, auch wenn sich bei 10-jährigen dafür gar kein hinreichender Nachweis finden lässt (außer einem familiär vererbten Bildungsprivileg), Ausschluss Behinderter aus den Regelschulen (wird mit besonderer Förderung begründet und führt in der Regel zu besonderem Ausschluss von der Teilhabe an gesellschaftlicher Normalität), Mangel an Förderung und Erziehung, weil man dies als Voraussetzung der Teilnahme und nicht als Chance in der Teilnahme interpretiert. Zudem eine zu starke Fixierung auf ein Fachwissen, das jedoch viel schneller veraltet, als man je zu denken wagt. Man könnte solche Verdichtungen nur überwinden, wenn man sich anders zu schauen traute, wenn man bestehende Muster dekonstruieren würde, aber damit auch den Verlust der scheinbar gültigen Wahrheit erst einmal hinzunehmen hätte. Dabei geht dies dann ganz leicht, wenn die Lehrenden einmal länger im Ausland weilen und konkret sehen, wie es anders ginge. Sie kommen dann als Fremde und Verstörte zurück.

These 5: Die imaginäre Verdichtung treibt Menschen an, Vereinheitlichungen auf ein Eins durchzuführen. Diese Prozedur verhindert für Selbst- und Fremdbeobachter, die Zirkularität (Rückkopplung im Prozess der Kommunikation) stets umfassend zu analysieren.

Mit dieser These mache ich deutlich, dass Verdichtungen als unhinterfragte Selbstverständlichkeiten unsere Beobachtungen auch so leiten und lenken, dass wir systemische (zirkuläre) Beobachterpositionen gar nicht mehr einnehmen können. In einfache Ursache-Wirkungs-Ketten ziehen wir uns dann auf das zurück, was wir als Wahrheit ansehen.
Einige Beispiele über das Liebespaar hinaus sollen eine solche Verdichtung illustrieren helfen. Ein stark verdichtetes Symbol für Beziehungszirkel von Menschen – genauer große Menschengruppen – ist als Maximalbindung Gott. Bei der Gottesbildung handelt es sich um einen historisch verdichteten, imaginär angetriebenen und symbolisch fixierten Prozess, dessen Resultat die Mittelpunktstellung Gottes selbst ist. Er ist zusammengesetzt aus einer Vielheit von Göttern, eine Verdichtung auf ein zugelassenes Imaginat, dessen symbolische Stellung nach seiner Konstruktion auf alle Beziehungsprozesse zurückwirkt. Er ist dabei vor allem eine imaginäre Lösung für Lebenskonflikte von Menschen, die die verdichtende Projektion benötigen, wie insbesondere Freud argumentierte, um den Sinn des Lebens zu erhellen. Seine symbolische Verankerung führt zu einer Institutionalisierung des Imaginären, die sich über die Zeitalter immer stärker materialisiert und hierarchisiert. So entsteht die Verdichtung aus dem Spiel der Vorstellungskraft, führt über Aktionen zu Konstruktionen, führt über Konstruktionen zu Rekonstruktionen, was einen Zirkel von Beziehungen und Verdinglichungen dieser Beziehungen über geronnene Symbole herbeiführt. Ist er solchermaßen verdichtet, dann hat sich Gott als Entwurf verselbstständigt und scheint ganz aus der Außenwelt zu kommen, aus der er zu den Menschen spricht. Da niemand seiner „ursprünglichen“ Konstruktion beiwohnte, da sie in den komplexen Zirkularitäten menschlicher Beziehungen in der Geschichte verborgen ist, erscheint er nun als Exekutor, als Betreiber der eigentlichen Wirklichkeit, und es fällt der Vorstellungskraft schwer, ihn seiner Kausalität zu berauben und Menschen selbst an seine Stelle zu setzen.
Ähnlich geht es uns mit anderen gesellschaftlichen Institutionen wie dem Recht, der Moral oder allen gelebten gesellschaftlichen Lebensformen. Sie symbolisieren stets auch einen historisch verdichteten (imaginären) Prozess, der sich verselbstständigt hat. Die je wirkende zentripetale Kraft hat die Funktion, die Bindung der Gesellschaft, der Beziehungen, zu erhöhen. Es ist eine Kraft, die besonders in der Kindheit als imaginäre Konstruktion von Lebensformen wirkt und über die die Menschen kaum nachdenken. Hier wirken die Spiegelungen und Schlüsselszenarien. Sitte, Recht, Kultur, Gesetz und wie auch immer die Begriffe lauten, die das Fremd- und Selbstbeherrschungsmodell einer Lebensform ausdrücken, sie alle dienen dem Nachvollzug eines verdichteten Eins, von dem aus jeder Heranwachsende seine Gesellschaft als gültig denken und richtig symbolisieren soll. Psychoanalytiker haben vielfach die frühe Bindung in Familien als Ausdruck einer solchen zentripetalen Kraft interpretiert. Vor allem in der Mutter-Kind-Dyade entdecken sie einen Mechanismus von emotionaler Weltkonstruktion, die die Bindung als Muster für alle Zukunft darstellen soll. Familien delegieren die in ihnen Heranwachsenden in besonderer Weise durch die imaginäre Bindung an Erwartungen von Verhalten, an Familienvermächtnisse und Familienmissionen, die das Kind zu erfüllen hat, wie Helm Stierlin (1982) herauszuarbeiten versuchte. Der äußere Druck, der sich hier auf die Kinder auswirkt, entspricht den imaginativen Fantasien der Eltern, für die die Kinder bestimmte eigene, leider aber oft misslingende, Lebenshandlungen erreichen sollen. Sie misslingen aus Überforderung, denn die Kinder können den Eltern z.B. nie ganz den verstorbenen Partner, die unerreichte Position, das erfüllte Leben ersetzen. Auch wenn sich Eltern und Kinder in einem Beziehungszirkel befinden, so wirkt gerade auf die bestimmend erscheinenden Eltern ein imaginativer Druck von außen, der sich durch die Mehrgenerationenperspektive und in ihr wurzelnde Delegationen ergibt. Weiter oben habe ich für die kognitive und emotionale Perspektive bereits genauer angegeben, welche Mechanismen der Vereinheitlichung imaginärer und symbolischer Leistungen dienen. Hier nun ist jedoch eine Präzisierung hinzuzufügen:
Verdichtungen sind immer imaginär geleitete Vorgänge. Bei ihnen sind Emotionen stets im Spiel. Aus dem imaginären Begehren heraus werden bewusst oder unbewusst Vereinheitlichungen, Ausschließungen, Bevorzugungen usw. gebildet. Dabei leitet das Begehren unbewusst oder bewusst Bevorzugungen an, es motiviert z.B. rationale Ausschließungen, eindeutige Argumentationen, kognitive Auswahlen eines Eins.
Auch die Wissenschaft unterliegt notwendig immer wieder der Suche nach Vereinheitlichung. Durch den Pfeil in meinem Modell wird die zentripetale Kraft symbolisiert, die in Prozessen der Verdichtung wirkt. Sie ist für den Selbstbeobachter meistens unsichtbar, da dieser zwar ein Drängen hin auf bestimmte Intentionen, ein bestimmtes Verlangen, Wünsche, Ziele usw. verspüren mag, aber sich dieses nicht erklären muss. Es ist ein Bild, das eher aus der Beobachterperspektive eines interpretierenden äußeren Beobachters gewonnen wird, der sicher zu sehen meint, dass eine solche Kraft am Wirken ist. Er sieht diese Kraft in psychischen Mustern ausgedrückt. Um den Prozess der Verdichtung zu verstehen, ist eine Interpretation der imaginären Kommunikation unerlässlich. In dem imaginären Kommunikationsmodell (vgl. Band 1, Kapitel 3.5) habe ich betont, dass im Verhältnis eines Subjekts zu einem Anderen eine innere Beziehung zwischen a und a' vorliegt.
Klein a entspricht der inneren, imaginären Vorstellung eines Subjekts, in der dieses eine äußere Welt vermittelt über sein Begehren sieht. Diese Position ist der Subjektivität, eigenen emotionalen Setzungen und Wünschen, am nächsten. Aber dies ist eine besonders unscharfe Position, weil wir kognitiv nicht hinreichend über sie verfügen. Wir können sie zwar immer nachträglich kognitiv bearbeiten, indem wir über unsere Vorstellungen, unsere Tagträume, unsere Motivationen usw. reflektieren, aber diese Reflexion hindert nicht ein gewisses Eigenleben dieser Positionen. Denken wir nur an die Liebe, um uns dies zu verdeutlichen. Wir können nicht kognitiv planen, wen wir zu lieben haben. Unser Begehren führt an dieser Stelle ein Eigenleben gegenüber unseren rationalen Konstruktionen.
Klein a' ist immer noch eine innerliche Position, die jedoch bereits durch Spiegelungen des äußeren Anderen rückgekoppelt ist. Von der Position klein a mögen wir noch unsere Liebe gänzlich von uns aus – trügerisch illusionär – führen, von a' ist sie bereits durch Bilder spezifiziert, die sich im Wechselspiel zwischen imaginärem Begehren und realen Erfahrungen ergeben haben. Die Position a' ist dann dominant in unseren Imaginationen, wenn wir eher kontrolliert über die zirkulären Spiegelungen mit anderen, über äußere Objektbesetzungen und Fixierungen an rückgekoppelte Muster in Routinen begehren. Dies mögen noch gänzlich unbewusste Routinen, nicht reflektierte Gewohnheiten sein, die unsere Handlungen motivieren. In symbolischen Verständigungen neigen wir allemal stärker zu einer Reflexion der Handlungsereignisse, aber weniger zu einer Interpretation der meist verborgenen Motivationen für unser Handeln.
Kehren wir noch einmal zu unserem Liebespaar als Beispiel zurück. Sofern beide auf der imaginären Achse harmonieren, scheinen sie in ihrer Liebe über allen Welten zu schweben. Klein a lässt uns schweben, wenn sein Allgefühl uns euphorisch eine Harmonie von uns aus auf die Welt vermittelt. Dies erzeugt eine entsprechende Hormonlage und physiologische Voraussetzungen für Glücksgefühle. Die Position  a' wirkt  gegen reinen Solipsismus. Wir können nicht abgekapselt von dieser Position lieben, weil die Spiegelung eines anderen ja nun gerade die Voraussetzung für realitätsbezogenen liebenden Genuss ist. Aber unter dem Einfluss von a sieht a' bei frisch Verliebten fast identisch aus. Wir harmonisieren dabei aus unserem rein subjektiven Begehren gerne alle Abweichungen, indem wir den anderen idealisieren. Allerdings kann gerade diese Idealisierung dann zum Verhängnis werden, wenn der Andere in der Realität der Beziehung von dem Ideal abweicht, das wir imaginär konstruiert haben.
Entscheidend für den Umgang mit dem Imaginären wird auch für unser Liebespaar die Übersetzung dieser Liebe ins Symbolische sein. Das Imaginäre selbst ist zu flüchtig, zu selbstbezüglich, zu unscharf. Es drängt nach einer Vereinnahmung des realen Anderen, um das Begehren nicht nur halluzinativ zu stillen, sondern real zu sättigen. Viele Liebende trauern gegen diesen Prozess, der bereits von einem Ende der ersten Liebe, der Liebe auf den ersten Blick kündet. Aber diese Kunde ist unvermeidlich. Sie gehört zu den Anerkennungsbedingungen in Beziehungen schlechthin. Und mit der symbolischen Arbeit beginnt dann auch die Beziehungsarbeit über die Liebe.
Wo ist nun die Verdichtung angesiedelt? Sie ist vom Imaginären angetrieben. Aber sie erscheint vielfach für den Beobachter erst in jenen sichtbaren, oft symbolischen Verdeutlichungen, die sich als Mittelpunkte, als idealisierende Setzungen, als Bevorzugungen, als Muster erkennen lassen. Diese Vereinheitlichungen, Ausschließungen usw. selbst sind schon symbolischer Natur. Aber ihre Herkunft im Blick auf jene Motivationen, auf jenes Begehren, das oft unsichtbar in sie eingegangen ist, unterliegt dem Prozess der imaginären Verdichtung. Wir können es auch in folgendem, hypothetischem Bild ausdrücken: Kognitiv werden die vereinheitlichenden Setzungen symbolisch organisiert, aber die dahinterliegende Motivation, die dahintersteckende Leidenschaft, die Gefühle in der Prozedur, verweisen auf einen imaginären Anteil in dieser Organisation. Wenn wir in symbolischer Klarheit also z.B. von den Sinnfragen des Lebens sprechen, von der Frage nach einem Leben nach dem Tod, von einer Frage, was unsere Existenz sei, was unsere Lust und unser Leiden, um nur einige solcher Allgemeinplätze symbolischer Selbstvergewisserung herauszugreifen, dann wird neben der symbolischen Deutung auch die Frage nach der imaginären Verdichtung wichtig: Welche inneren, begehrenden Motive haben uns möglicherweise angetrieben, diese symbolischen Lösungen anzustreben?
Dabei ist nun jedoch das Imaginäre aufgrund seiner Unschärfe kein dankbarer Reflexionsgrund für klare Aussagen. Schon die hier vorgelegte Analyse erscheint als zu schematisch, um das Imaginäre hinreichend zu erfassen. Es ist ja gerade die Grenze zum Unfassbaren, Unwägbaren, Unbewussten, die hier aufscheint. Und leicht verwechseln wir die imaginäre Verdichtung mit der symbolischen Vereinheitlichung, die durch sie motiviert wird, weil das Symbolische als das Sichtbare und Ausgesprochene unsere Wahrnehmungen bedrängt und schnell dominiert. Denn einmal verdichtet, vermag der beliebig imaginär verdichtete Punkt von Vorstellungskraft, der sich eine Struktur als Symbol, als Idee oder bestimmte Vorstellung sucht, sein Eigenleben als Beziehung zu einem Ich, zu uns zu entfalten, und uns darin wie eine Wirklichkeit, die schon immer gegeben ist, erscheinen.
Für mich scheint die Frage sehr produktiv, inwieweit wir Objekte in der symbolischen Bildung unserer Beobachtung von Wirklichkeit bestimmen können, die sich in ihrer Verdichtung unterscheiden. Dahinter steht die Frage, bei welchen Sachverhalten wir die imaginäre Verdichtung besonders einsetzen.
Denken wir an Piagets Forschungen zurück, so hatte ich gefolgert, dass permanente Objekte als Bild oder sprachlich dann aufgerichtet werden, wenn mit ihnen symbolisch verfahren werden kann. Zugleich hatte ich für den Symbolbegriff diskutiert, dass einige Objekte gegenüber anderen Besonderheiten der Zuwendung ausdrücken. So mag ein Kind Begriffe für Alltagsgegenstände und Alltagsverrichtungen symbolisch erlernen; bestimmte dieser Begriffe werden jeweils unterschiedlich emotional besetzt und verankert. Hier kehren die Schlüsselszenarien in die Verdichtung ein. Dies war die konstruktive Stelle, die Piaget unterschätzte (vgl. Band 1, Kapitel 3.4), weil er für die Motive des Antriebs symbolischer Setzungen keine Erklärung lieferte. Im Gegensatz zu ihm hat die Psychoanalyse dies im Blick auf bestimmte Aspekte des Begehrens versucht. Die Reinlichkeitserziehung ist hierfür ein besonders instruktives Beispiel. Das Kind soll zum selbstgesteuerten Anhalten und Abgeben von Urin und Stuhl erzogen werden. Die Ausscheidungsfunktionen stehen dabei in einem kulturellen Kontext, der sie oft mit hoch besetzten emotionalen Ausdrücken wie „igitt“, „bah“, „päh“ usw. und in der Familie wechselseitig entäußerten Ekel- und Abscheugefühlen konnotiert. Hier wirkt ein Ideal von Reinlichkeit und Sauberkeit, das nicht nur Ausdruck von Selbstbeherrschungsleistungen ist, sondern zugleich Verhaltenstugenden der modernen Welt symbolisiert. Für einen Psychoanalytiker wird in seiner Analyse dieses Prozesses sowohl der symbolische Ausdruck als auch das imaginäre Prinzip hinter solcher Symbolik wichtig. In dem analen Konflikt von körperlicher Abgabe an die Welt und dem Wunsch nach eigener Zurückhaltung dramatisiert sich für ihn hier ein Gegensatz von symbolischer Erwartung und imaginärer Bedeutungssetzung. Scheitert dieses Drama, dann führt es zu einer Fixierung, die als Symbolsetzung das weitere Leben begleitet und aus psychoanalytischer Sicht oft erst durch Therapie aufgelöst werden kann. Mag man auch im Einzelfall über die Interpretationen der Psychoanalyse in diesen Beobachtungen streiten, so wird andererseits deutlich, dass der Psychoanalytiker immerhin weitreichend zu schauen bemüht ist: Was motiviert unsere symbolischen Kulturleistungen? – dies ist die Hintergrundfrage, die wir stellen sollten. In Beziehungen, so setze ich hinzu, ist dies für mich die Frage nach den imaginären Verdichtungen, die als Motiv unsere Handlungen antreiben.
Damit mag das Verständnis für die Entstehung besonders imaginär verdichteter Punkte oder Perspektiven geweckt sein. Es lässt sich allerdings nie generell sagen, welche Objekte für welche Menschen dieser Verdichtung besonders unterliegen, denn hier machen sich die Unterschiede unterschiedlicher Lebenswege geltend. Es kann aber wohl bei näherer Beobachtung versucht werden, die besonders affektiv verankerten Mittelpunkte zu finden, mit denen Individuen eine Beziehung aufbauen, die wie ein imaginäres Drittes den Kreis der Beziehung selbst beeinflussen. Allerdings will ich davor warnen, diese Bestimmung einseitig von außen zu versuchen. Ein äußerer Beobachter wird gegebenenfalls zu ganz anderen Schlussfolgerungen als derjenige kommen, der diese Mittelpunkte in sich beobachtet.
Wohl nur dialogisch können sich Menschen auf ein solches imaginär Drittes in symbolischer Verständigung einigen. Mitunter ergibt sich hierbei auch ein paralleler Gleichklang: Symbiotische Beziehungen, wie wir sie bei Liebespaaren finden, suchen in ihrer alleinigen Liebe die Weltabgeschlossenheit gegenüber anderen Zirkeln, sie suchen die Unendlichkeit des eigenen Zirkels durch Ringe oder symbolische Handlungen auszudrücken. Ein anderes Beispiel: Frauen, die als Nonnen ins Kloster gehen, tragen einen symbolischen Ehering, um sich Jesus hinzugeben. Es bedarf einer hohen imaginären Verdichtung, um sich so aus den Beobachterperspektiven des Lebensalltags zu verrücken, „Verrücktheit“ anzunehmen, so wie bei den sogenannten Verrückten selbst, die oft Opfer ihrer imaginären Verdichtung und eines damit verbundenen Realitätsverlustes werden. Das, was als gesellschaftlich anerkannte Realität imaginär vermittelt und verdichtet wird, ist letztlich auch ein Konstrukt, dessen Schärfe, Gültigkeit und Anerkennung durch gesellschaftlichen Konsens verursacht und symbolisch festgeschrieben wird. Dies bildet den Hinter-Grund für die sogenannte „Normalität“, der wir die Nonnen dann doch zurechnen.
Der Vorschlag, die imaginäre Verdichtung auch in Beziehungen zu beachten, bedeutet nun aber nicht, in das interaktionistische (systemische) Denken durch die Hintertür wieder die Schuldfrage einzuführen. Es bedeutet ganz im Gegenteil eine Entlastung vom Zuschreibungsprozess der Schuld, weil das Imaginäre selbst nicht den kognitiven Kontroll- und Disziplinierungsstrategien unterliegt, mit denen wir Zurechnungsfähigkeit diskursiv vereinbaren und normativ regeln. Das Imaginäre ist vielmehr ein möglicher Erklärungsgrund für jene Ambivalenzen, die wir auf der symbolischen Ebene  nur schwer aushalten. Seine Ausschaltung oder Verbannung in eine black box in unserem Inneren, über die wir nichts aussagen sollen, hilft meist wenig weiter. Damit unterschätzen wir nur das Imaginäre und verlernen so, seine Kraft konstruktiv für uns zu nutzen.
Der gesellschaftliche Konsens wird in der Regel in ein symbolisches System überführt, das auch wissenschaftlicher Deutung umfassend zugänglich ist. Anders sieht es mit dem Imaginären aus, das sich je nach Lage bloß subjektiv individuell und noch nicht symbolisch formuliert (konstruiert) hat oder das gesellschaftlich unbewusst bleibt. Jedes Subjekt hat eine Vielzahl kleiner oder großer Mittelpunkte, die ein Eigenleben in den Imaginationen des Individuums im Beziehungszirkel führen. Es sind für es imaginative Punkte, die es in die Beziehung einbringen wird. Es können Fiktionen einer idealen Beziehung selbst sein. Es wird zwar meist versuchen, dies imaginär Dritte mit seinem Beziehungspartner symbolisch auszutauschen, aber inwieweit dies gelingt, das bleibt offen. Hier täuscht uns unser schematisiertes Bild auch, denn da es sich um ein Imaginäres handelt, da es Kräfte in den Vorstellungen und die Vorstellungen selbst sind, können wir sie kaum durch eine einfache Zeichnung einfangen. Wir illustrieren nur die Perspektive eines äußeren Beobachters, der sich die Richtung eines Prozesses verdeutlichen will, der aber dieses Bild sofort konkretisieren muss, wenn er bestimmte Verdichtungen im Fluss beobachtet und interpretiert. Wir haben das Problem, dass wir diese Verflüssigung selbst nicht zeichnen können, dass wir mithin das Schema unserer Zeichnung selbst zu verflüssigen haben, wenn wir die Vorstellungen in ihrem Medium gleiten lassen. Es wäre so, als müsste man Eschers Bilder mit ihren umrissenen Sachverhalten fließend und lebendig zeichnen (ein Paradox), um das zu veranschaulichen, was hier ausgedrückt werden soll.
Was hilft uns die Beachtung der imaginären Verdichtung in unserer Lebenspraxis von Beziehungen? Gehen wir nochmals zu unserem Liebespaar zurück. Sie fragt ihre Freundin: „Liebe ich ihn nun wirklich so sehr oder was geschieht mit mir? Mir ist so, als wäre ich verhext worden.“ Die Freundin fragt: „Was hat dich verunsichert?“ Die Liebende denkt nach (symbolisch): Was entspricht in unserem realen Leben dieser Liebe? Was geht und was bleibt aus? Was geschieht tatsächlich? Doch reichen diese symbolischen Fragen hin? Wohl kaum. Und deshalb gibt die Freundin ihr folgenden klugen Rat: „Schau nach deinem Gefühl, schau nach dem, was dich jetzt glücklich macht, und suche dir diese Vorstellung zu verdeutlichen. Dann hast du auch eine Chance, sie ihm mitzuteilen, damit ihr sie leben könnt.“
Die kluge Freundin fragt nach der imaginären Verdichtung. Auch wenn die Antwort des Selbstbeobachters unscharf ausfallen mag, auch wenn dieser schon leidend anerkennen muss, dass allein durch die Frage die imaginäre Harmonie gestört wird, so ist die Suche nach Antworten im Wechselspiel von a zu a' hier die einzige Möglichkeit, den inneren Wunschvorstellungen im Blick auf den anderen nah zu sein. Allerdings kommt dann der schwere Schritt einer Umsetzung in die Realität des Anderen, die sich als Auseinandersetzung mit dem Anderen als Anderem (und nicht als bloß imaginiertem anderen) zeigt. Dieser Schritt bedeutet, ihn tatsächlich in seiner Andersartigkeit anzuerkennen.
Es scheint mir in allen Beziehungen klug zu sein, immer wieder nach unseren imaginären Verdichtungen zu fragen und hierbei die gewählten Strategien bloßzulegen. Diese Strategien haben eine innerpsychische wie eine beziehungsmäßige Komponente. Innerpsychisch erleben wir die Spannung von a zu a', in Beziehungen zwischen subjektiven Einstellungen und kulturellen Kontexten. Unsere Beobachtungen können hier sehr vielschichtig werden.
Kompliziert wird es z.B.  bei Beobachtungen eines religiös verwobenen Systems von Menschen, die alle um einen imaginären Mittelpunkt herumzirkeln, oder von Nationen, die eine massenorientierte Beziehungsdynamik entfalten. Der Beobachter kennt keine Grenze der Anwendung seines zirkulären Denkens, denn alle Beziehungen können im kleinsten wie größten Maßstab aus seiner Perspektive beschrieben werden. Auch die Dynamik der Zirkularität selbst kann beliebig begrenzt oder erweitert erscheinen. So kann eine Ursache als eine Wirkung und diese als Ursache von S 1 zu S 2 usw. erscheinen. Es können aber auch unendliche Mengen von Personen ebenso eingeschaltet sein wie darin unendliche Ursache-Wirkungs-Ursache-Ketten, die sich jeweils von Person zu Person oder über eine Menge entwickeln. Die imaginäre Verdichtung drückt diesen gegenüber dann aus, dass es bestimmte Gemeinsamkeiten gibt, die aus der direkten Aktion herausfallen und ein gemeinsames Drittes oder Vielfaches symbolisieren, das in der Zirkularität die Sicherheit einer Übersicht, eines Ausgangs- oder Mittelpunktes, eines gemeinsamen – unhinterfragten – Bezugs darstellen.
Der oben aufgestellten These 5 liegt eine Paradoxie zugrunde. Das, was uns begrenzt, uns auf ein zirkuläres Sehen und Denken einzulassen, ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit von Beobachtern, überhaupt die Zirkularität von Beziehungen zu erkennen. Warum ist dies so?

These 6: Die Zirkularität überfordert uns, wenn wir sie weitsichtig beobachten wollen. Deshalb erfassen wir sie als Muster: Ohne Begrenzungen kann eine Zirkularität in Beziehungen nicht beobachtet werden.

Als Beobachtern erscheint uns eine zirkuläre Kreisläufigkeit in Beziehungen dann, wenn wir wiederkehrende Muster im Verhalten, den Einstellungen usw. bemerken und bezeichnen. Wir sehen hier, wie sich ein Subjekt auf ein anderes zurückbezieht. Wir sehen die Rückkopplungen und können dies für die Sprache oder Körpersprache ausdrücken. In dieser Lage sind wir als Selbstbeobachter in Beziehungen oder als Fremdbeobachter von Beziehungen. Der Beobachter konstruiert ein Muster, das überhaupt erst Beziehungen beschreiben hilft: hier ist dies Eine, das im Verhalten wiederkehrt; dort das Ausgeschlossene, was ausgelassen bleibt; immer aber ein Eins, das einen Unterschied (z.B. zeitlich, räumlich, sozial) setzt. Ohne solche Setzungen schwimmt der Beobachter in unendlichen sinnlichen Gewissheiten; mit der Setzung tritt er in die Beobachtung ein.
Die Konzentration auf etwas in der Beobachtung nenne ich Setzung. Wir können dies auch wie Hegel verstehen: Die sinnliche Gewissheit ist im Blick auf die Wahrheit ein unendlicher Reichtum von Eindrücken; durch die Wahrnehmung nehmen wir eine erste Setzung vor, die uns ins Symbolische rückt, sofern wir ein Eins von vielen Auchs abgrenzen. Eine Setzung entsteht durch bestimmte Beobachterperspektiven, die sich symbolisch eine Zirkularität konstruieren. Allerdings müssen wir kognitiv verarbeitete, symbolische Setzungen von imaginären Verdichtungen deutlich unterscheiden. Die imaginäre Verdichtung ist ein strikt subjektiver Spiegelungs-Vorgang, den sich das Subjekt selbst meist nicht vergegenwärtigt. Das Imaginäre ist zunächst vorsymbolischer Art, es ist ein Vorstellen, das sich über ein Begehren vermittelt.  Dennoch ist das Ereignis solch imaginärer Verdichtung nur symbolisch beschreibbar. Wenn ein Beobachter eines Beobachters solche Beschreibungen vornimmt, dann wird er in der Regel kulturelle (objektiv-materielle, wissenschaftliche, religiöse, künstlerische, verhaltensbezogene usw.) Leistungen suchen, die symbolisch verobjektiviert sind. Solche Leistungen symbolisieren Kultur als Erscheinung. Eine Suche nach einem Begehren für Imaginationen und Verdichtungen hingegen erscheint für diesen Beobachter nicht notwendig als zwingend. Dies liegt an der Unschärfe, mit der wir es hier zu tun bekommen. Aber gerade diese Unschärfe verwandelt sich in der Beziehungswirklichkeit in den großen Reiz des Unabgeschlossenen, des Offenen, Kreativen, Lebendigen, der uns Überraschungen und Hoffnungen, Träume und Wünsche lässt.
Das Symbolische jedoch begrenzt das Imaginäre. Dies ist einerseits eine Zurücknahme unseres Begehrens, eine oft leidvolle Begrenzung, andererseits aber kulturell gesehen ein unerlässlicher Vorgang. Er steht z.B. unter den drei Perspektiven, die ich weiter oben hervorgehoben habe:

(1) Als experience erscheint ein Wechselspiel von unmittelbaren Erlebnissen und mittelbaren Deutungen. Der Ursprung der Imaginationen wurzelt scheinbar in einem imaginativen Druck, in zentripetalen Kräften, die Triebwünsche des Subjekts artikulieren und auf Beziehungen und Personen sowie Objekte hin drängen. Aber dies ist eine Beobachterposition, die sich Erscheinungen des Imaginären bewusst erklären will. Wir ertragen seinen Schein nicht, sondern wollen im Übergang vom Unmittelbaren zum Mittelbaren wissen. So stellen wir Symbolisierungen auf, wir bringen – vor allem sprachlich – Ordnung in die imaginären Unwägbarkeiten und konzentrieren den Beobachter auf etwas. Was ist dieses Etwas? Ein Zeichen, ein Begriff, ein Verständnis?
Was dem einen ein bloßer Begriff sein mag, stellt sich einem anderen als ein affektiv hochgradig besetztes Symbol, ein Mythos, ein geschlossenes Weltbild dar. Anders gesprochen: Das Subjekt in der Position des Beobachters S 1 erwartet von einer Zuschreibung an ein projiziertes Drittes eine Lösung oder Lösungshilfe seines Dilemmas, denn weder subjektiv noch objektiv lässt sich der Gegensatz zwischen Ich und Welt vollständig als  experience auflösen. Es gibt zwar grundlegende Auflösungsversuche: Die Produktion, indem der Mensch durch Arbeit seine Lebensbedürfnisse stillt, also Arbeit; die Reproduktion, indem er sich vermehrt; das Denken, indem er erklärend, verstehend und planend in alles eingreift. Aber dieses Eingreifen löst die Spannungen nicht auf. Sie erscheinen vor allem im nächsten Aspekt.

(2) Mittels Projektionen versuchen wir die Spannung zwischen imaginären Wünschen und realitätsbezogenen Lösungen zu vermitteln. Die Projektion dramatisiert je nach Gegebenheit beide Seiten: entweder, indem sie unsere Imaginationen steigert und in einem unerschöpflichen Fluss zeigt, oder indem sie sich auf symbolische Lösungen richtet, die als Befriedigung für unsere imaginären Bedürfnisse rekonstruktiv angeboten werden. Den Begriff und das Bild Gottes habe ich als einen solchen Ausdruck einer längeren Geschichte verdichtender Projektionsarbeit hervorgehoben. Er entspringt imaginären Wünschen und entspricht Gefühlslagen, bezieht sich auf die äußere und die innere Welt, indem er als Personifikation menschlicher Allmachtsfantasien in die Welt der symbolischen Objektivität gerückt wird, um so komplementäre Erwartungen zu erfüllen: als Herr über Leben und Tod versöhnt er die Fantasie mit der Erklärung des Lebens und darin enthaltener Triebbeherrschungen; er versöhnt die subjektive Kränkung des Todes mit einer Neugeburt, einem Leben nach dem Tod; er versöhnt alle subjektiven Entartungen mit einem gütigen väterlichen Willen, sofern man nur an die projizierte Erwartung glaubt und sie als äußere Wirklichkeit symbolisch anerkennt.
Gott ist ein großes Symbol, vielleicht die größte komplementäre Erwartung, die Menschen je hervorbringen können. Aber er ist bei weitem nicht die einzige. Alle bildlichen und/oder begrifflichen Vorstellungswelten können dem Prinzip nach  projektiv benutzt werden und damit unsere imaginativen Kräfte ansprechen, anregen, in bestimmte Richtungen lenken. Solche Prozesse geschehen sehr oft unbewusst. Ort und Zeit, Reichweite und Abnutzbarkeit, Vollkommenheit und Brüchigkeit wechseln dabei nicht nur mit den Zeitaltern, sondern auch innerhalb gesellschaftlicher Gruppen. So unerschöpflich wie die besetzende Energie, die Kraft der Imagination ist, so unerschöpflich sind die Besetzungsmöglichkeiten. So gibt es viele kleine, sehr subjektive Mythen oder Argumentationspunkte, die die Stelle verdichteter Perspektiven einnehmen können. Das Subjekt selbst setzt sie als komplementäres Drittes, dem es sich willentlich unterwirft, weil dies seiner Beobachtung von Wirklichkeit dient, indem es diese nach Sinn und Herleitung strukturiert.
Menschen haben seit einer zunehmenden Individualisierung ihres Lebens bemerkt, dass die Vorstellungskräfte in ihren Beziehungen Gefahren heraufbeschwören können. Eine Gefahr ist die scheinbare Beliebigkeit, die in der Möglichkeit von imaginären Konstruktionen durch Individuen liegt. Die Imagination kann die wundersamsten Wege gehen, so dass die gesellschaftlich zentripetalen Kräfte die Feststellung des Eins symbolisieren, die durch Rituale und Mythen, heute vor allem durch Wissenssysteme und Institutionen begleitet wird, um eine soziale Kohärenz menschlicher Gemeinschaft zu bewahren. Eine vernetzte Struktur von Gesellschaftsmitgliedern drückt sich dann durch Ritualformen aus, in denen eine gewisse Gleichschaltung der imaginativen Kräfte erreicht wird.
Je weiter menschliche Gesellschaften sich aus sozial kohärenten oder starren Hierarchien lösen und eine zunehmende Anerkennung individueller Autonomie erreichen, je stärker demokratische Prozesse erkämpft werden, desto klarer wird die Projektion auch in anderer Hinsicht beschreibbar. Dieser Demokratisierungsprozess entdichtet die Wirklichkeit, in die sich der Mensch selbst gefangen gesetzt hat; sie öffnet die Türen, die dem Beobachter den Vorgang der Konstruktion und die Macht der Projektion verschlossen haben. Die Freiheit und Autonomie des Selbstanspruchs bedingen aber auch eine Zunahme der Unschärfe der Beobachtung, weil so viele Beobachter auf einmal zugelassen sind. Zudem ist die Welt voller Beobachtungsvorräte, die das symbolische Denken verschiedenster Menschenalter beinhalten. Es bedarf eines großen Selbst-Bewusstseins, um der Angst vor der Allmacht dieser Re/De/Konstruktionen zu entgehen und sich selbst als einen Schlussstein in dem Puzzle von Konstruktivität zu sehen, ohne voraussagen zu können, wie dieses Puzzle weitergeführt werden wird. Aus der dabei möglicherweise erzeugten Angst, die immer auch Angst vor der eigenen Endlichkeit ist, die sich der Unendlichkeit imaginärer Vorstellungen konfrontiert sieht, entsteht immer neu der Wunsch nach imaginärer Verdichtung, die symbolisch Vereinfachungen motiviert, in der Selbst und Anderes in einer Symbiose zusammenfallen, in der die imaginäre Kraft als Schema einer einheitlichen Lösung wirkt. Selbst derjenige, der dies als Illusion durchschaut, gibt sich ihr mitunter ergeben hin, weil in ihr zugleich eine Weite von Verständigung atmet, die die Verschmelzung mit Anderen symbolisch ausdrückt.

(3) In der Virtualität werden sowohl imaginäre Verdichtungswünsche als auch symbolische Lösungen – meist in vereinfachender Art – angesprochen. Vielleicht erliegen wir oft deshalb den Bilderwelten in Filmen, weil sie unseren imaginären Verdichtungswünschen so nahe kommen: Komprimierung langer Zeitfolgen in einem schnellen, eindrucksstarken Ablauf; Betonung des Bildlichen unter Dramatisierung der Realität auf höchst emotional erlebte Szenen; Hervorhebung von elementaren Bedürfnissen und Ängsten; Vereinfachung der Geschehnisse und Charaktere, so dass wir etwas klar zu sehen, zu erkennen und zu bewerten meinen. Dies sind die Vorbedingungen für Massenerfolge, und sie spiegeln zugleich unsere Anfälligkeit auf der imaginären und symbolischen Seite. Die imaginäre Verdichtung motiviert uns ständig selbst zu solchen Vereinfachungen, die wir dann symbolisch als Wirklichkeitskonstruktionen erleben, die uns mit scheinbar sicheren Urteilen durch die Welt gehen lassen. Die Filmindustrie verwirklicht konsequent unsere Schwächen, so dass wir zirkulär mit dem eigenen Schwach-Sinn uns in ein virtuelles Erleben steigern, das uns unterhält, ablenkt und befriedigt. Mit Reflexion können wir uns gegen „schwachsinniges“ Genießen wehren, aber darin steckt bereits ein neuer, einseitiger Genuss, der das Symbolische strikt bevorzugt. Und ist schwacher Sinn nicht oft eine Vorbedingung für den Genuss? Ist dies nicht die Falle, in der wir sitzen? Je mehr wir genießen wollen, um so mehr müssen wir den Sinn schwach machen; um so angreifbarer werden wir so allerdings auch für virtuellen Schwachsinn. Ein höherer Genuss erscheint einer elitären Schicht kulturell nur dann, wenn der reflektierende Sinn den Schwachsinn auf eine andere Ebene bringt: Als Kunst, als Dichtung, als Wissenschaft, als Religion scheint er dann höhere Genüsse eines höheren Schwachsinns zu bieten. Wer immer die neue Macht und Wirklichkeit von Virtualität moralisch und kulturell beklagt, der sollte bedenken, dass nach meiner These die Überforderung des Sinnhaften gerade in Beziehungen uns keine vollständige Lösung durch reflektierten Sinn ermöglicht. Was uns bleibt ist allenfalls eine Begrenzung des schwachen Sinns, ohne die menschliche Schwäche gänzlich dem Altar des Symbolischen zu opfern. Dann wäre der Sinn zwar stark, aber der Genuss zu schwach.

Alle bisher gemachten Aussagen realisieren sich nicht nur für ein Subjekt, sondern finden in der Zirkularität von Subjekten statt. Das ist der Boden aller Erlebnisse, die sich als Spiegelungen erst dramatisieren und das Leben spannend machen. Die inneren Spannungen korrespondieren stets mit äußeren, weil die äußeren als Spiegelungen auch schon dem Imaginären eingewoben sind.
Suchen wir als Beobachter genauer nach den bevorzugten imaginären Kräften, dann stellen wir fest, dass sie nicht in kausalen Ketten zu entdecken sind, die wir einfach ausmachen können. Diese Kräfte sind vielfältig systemisch mit allen Beziehungen verwoben; sie vereinigen sich mit den subjektiven Vorstellungswelten, sind sowohl in faktischen Bezügen der Lebenswelt verankert als auch in den Visionen einer erdichteten Zukunft, die z.B. auf die Poesie einer „Dichtung“ vereinigt sein kann, die lyrisch oder prosaisch spricht. Die Verdichtung stellt eine Vorbedingung für alle Zeichen, Bilder, Gefühle dar, was für viele Menschen ohne große Erklärungen intuitiv auch verständlich ist. Es ist dies die Macht und der Zauber einer Sehnsucht, die in der Offenheit der Zirkularität offensichtlich selbst wurzelt: Unabgeschlossenheit, Offenheit, Fraglichkeit von Entwicklung sucht nach ihrem Ursprung, nach einer Kraft, die ich die zentripetale Kraft der imaginären Verdichtung nenne.
Auch die Wissenschaft kann sich nicht aus diesem Kraftraum befreien. Ihre Paradigmen selbst sind Ausdruck einer motivierten Suche; ihre unterschiedlichen Theorieschulen drücken den Anspruch nach abgegrenzter Erkenntnis und Abweisung von Anderen aus. In theoretischen Kernen und deren Ergänzungen sucht sich solche Begrenzung mehr oder minder komplexe Strukturen, die aber immer an neuen Theorien scheitert, weil sie durch diese relativiert wird. Ein Ende ist nicht abzusehen. Eine Empfehlung aber ist zumindest auszusprechen: Wissenschaftler sollten klarer ausdrücken, welche Motive sie antreiben, sie sollten mindestens den zentripetalen Kräften, die sie hier leiten, nachspüren, um nicht gegenüber einer notwendigen kritischen Selbstbeobachtung naiv zu verfahren. Sie werden sich zudem mit der Grenzerfahrung abzufinden haben, dass ihr projiziertes Drittes als Konstrukt für einen anderen Beobachter nur Ausdruck einer Begrenzung des Beobachtungsvorrats und Bevorzugung bestimmter Beobachtung sein kann. Trotz aller methodologischen Reflexion auf sich selbst hat die Wissenschaft nicht zu einer Welt an sich kommen können. Die Entwicklung der Wissenschaft hat uns im Gegenteil gerade durch die Erkenntnis der Konstruktivität des Erkennens den Weg zu einer Bescheidenheit gewiesen, den der Wissenschaftler im wechselseitigen Karrierekampf allerdings nicht immer gerne einnehmen möchte oder darf – wenn er seinen vermeintlichen Erfolg erringen will.
Damit sind einige Konsequenzen aus der sechsten These zu ziehen. Sie betreffen reflexive Anforderungen im Symbolischen zur Begrenzung des Imaginären. Sie betreffen aber auch die Frage, inwieweit das Imaginäre als begehrende Kraft erhalten bleibt:

  •  Reflexiv-symbolisch: Für den Konstruktivismus ist Offenheit gegenüber unterschiedlichen Beobachterpositionen wesentlich. In Beziehungen ist es erforderlich, dass alle Beteiligten in Beziehungen ein gleiches Äußerungsrecht besitzen. Dieses wird immer ein Kampfplatz in der Beachtung von Beziehungsregeln sein, denn es kann nie von vornherein als eine gültige Setzung in Beziehungen angesehen werden. Beziehungen als Rückkopplungen verweisen ja gerade auf unterschiedliche Machträume, die im lebendigen Wechselspiel entstehen.

Imaginär: Das Begehren kann sich öffnen oder verschließen; seine Perspektiven sind unberechenbar. Mitunter subvertieren sie strikt die Offenheit, die wir reflexiv fordern. Eine reflexive Bearbeitung kann das Imaginäre verändern, aber nie vollständig kontrollieren. Dies liegt an der Begrenzung, die das Kognitive, Reflexive, Symbolische durch das Imaginäre erfährt.

  •  Reflexiv-symbolisch: Um Offenheit zu erreichen, ist Beobachtervielfalt von Selbst- und Fremdbeobachtern erforderlich, die einen wechselseitigen Diskurs eingehen. Erst aus diskursiver Verständigung heraus wird die Bereitschaft anwachsen, die eigene Richtigkeit von Beziehungsdefinitionen zu hinterfragen und andere Konstruktionsmöglichkeiten zu erkennen oder zuzulassen. Deshalb ist eine konstruktivistische Diskurstheorie auszuarbeiten, die eine hinreichende Beobachterweite und -vielfalt gewährleistet (vgl. Kapitel IV. 4.).

Imaginär: Das Imaginäre begrenzt nicht nur das Symbolische, indem es seine Grenze spürbar werden lässt; es eröffnet, wenn wir ihm Raum lassen, wenn wir die anerkennende Spiegelung als Selbstwert und Wunsch nach wechselseitigem Austausch realisieren können, auch eine emotionale Basis, eine Vielfalt von Beobachtern zu ertragen. Aber dies ist bereits eine reflexive Deutung einer erwünschten Leistung des Imaginären. Es selbst mag diesen Wunsch immer wieder subvertieren, wenn es sich auf Einfalt fixiert.

  •  Reflexiv-symbolisch: Jede Konstruktion von Wirklichkeit ist ein Ausschluss, die Konzentration auf ein Eins und die Auslassung von Auchs. Diese Voraussetzung müssen alle Beobachter wissen, um nicht in die Fallen einer Verabsolutierung ihrer Wahrnehmungen und Deutungen zu geraten.

Imaginär: Als ozeanisches Gefühl scheint das Imaginäre die gesamte Welt zu empfinden. Der Hinter-Grund solcher Weite schlägt oft in die Vordergründigkeit subjektiver Enge um. Nur ich begehre und erlebe mich in diesem Begehren als weit.

  •  Reflexiv-symbolisch: Das Eins ist ein wesentlicher Platz in Beziehungen. Es setzt Grenzen und begrenzt damit auch Möglichkeiten einer Beziehung. Es schützt vor Unendlichkeit und vor Beliebigkeit. Dieser Schutz hat eine symbolische Seite, mit der wir rational in die Begrenzung der Welt eingreifen.

Imaginär: Er trägt aber auch eine imaginäre Seite, die in der Verdichtung angesprochen wird: Welches sind ursprüngliche Motive, Antriebe, die mich dazu bringen, so und nicht anders zu verfahren, dies und nicht jenes zu bevorzugen, hierbei Lust und dort Unlust zu empfinden usw. Das Imaginäre ist stets schon in Beziehungen. Es spiegelt diese Beziehungen vom Gefühl her, intuitiv, oft unbewusst. Es stützt und motiviert das Eins, auf das es sich fixiert, um in undisziplinierten Momenten gerade dieses Eins durch andere Vorstellungen zu hintergehen.

  •  Reflexiv-symbolisch: Der Schutz wird dann zum Gefängnis einer Beziehung, wenn die Verständigungen über die Wandelbarkeit des Einen ausgeschlossen werden. Das bedeutet ein Verbot der Zirkularität: Die Beziehung darf an einer bestimmten Stelle nicht mehr nachgefragt, rückgekoppelt werden. Sie selbst wird zum Ausschließungspunkt, zum Gefängnis aller Wahrnehmungen, die dies Eins betreffen. Sofern nicht alle in der Beziehung diesen Anspruch teilen, erzwingt die Geschlossenheit eine Einseitigkeit, ein Dogma, einen Rückzug aus den Möglichkeiten des Beziehungslebens selbst. Eine Reflexion auf die imaginären Verdichtungen mag zwar in der Gefahr stehen, uns doch nur wieder symbolisch zu befriedigen, uns ein Besserwissen und eine höhere Selbsteinschätzung zu bescheren, aber es ist zugleich die einzige Chance, auf die Unschärfen unserer Antriebe selbst abzuheben. Diese Chance bedeutet auf dem Hintergrund der Anerkennung möglichst gleicher Beobachtungsoffenheiten aller Beobachtungsteilnehmer zwar nicht, dass Macht entschwindet und die Imaginationen auf eine höhere oder bessere Vernunft hin gleichgeschaltet werden können oder sollten, sondern sie bedeutet nur und vornehmlich, dass wir uns als begrenzt und schwach dort erfahren können, wo wir meist besonders stark zu sein meinen. Erst wenn wir aufhören können, immer siegen zu wollen, zeigt sich diese Chance, die uns zugeben lässt, wann und wo wir etwas verdichten, um alles andere zu vergessen. Das Vergessen entlastet uns; es ist ein hoher Genuss (oft mit schwachem Sinn), denn es ist uns nicht möglich, alle Beziehungen zu führen, die diese Welt anbietet. Als experience begrenzen wir uns auf wenige. Als Projektion meinen wir aus diesem Wenigen oft alles erklären zu können. Virtuell kehren diese Allerklärungen als Klischee und Vereinfachungen zu uns zurück. Uns bleibt nur, uns auf das Wenige stärker zu konzentrieren, wenn wir keine schwachsinnigen Beziehungen führen wollen.

Imaginär: Begrenzungen des Imaginären durch das Symbolische, Disziplinierungen seiner Kraft und Reichweite, seiner intuitiven Macht usw. regulieren Energien zum Antrieb der Motivationen, der Wünsche, des Kreativen, des Euphorischen usw.

Welche Balance findet das Subjekt in diesem Spannungsfeld? Eine imaginäre Krise deutet sich an, wenn die Imaginationen gleichgeschaltet werden, um jenen den größten Genuss zu bringen, die die Gleichschaltung als Mächtige kontrollieren. Nietzsche hat das Wechselspiel zwischen Imaginärem und Symbolischem als solche Mächtigkeit klassisch beschrieben: Der Übermensch realisiert seine Imaginationen eines besseren Menschseins (ohne Schuldgefühle) nur als Realisation seines Entwurfs von Welt: Vision und symbolische Konstruktion fallen in dieser Tat zusammen. In Nietzsches „Zarathustra“ wird dies besonders eindringlich als Text wie als hinter dem Text liegende imaginäre Kraft im Spannungsfeld der Reflexion und eindringlicher Bilder spürbar: Die Reflexion kommt durch die Bilder, die sie verführen, an ihre Grenzen.


(2.2) Die Veränderung der Zirkularität durch Verschiebung
Beziehungen stehen immer in einer Zirkularität, aber die zirkulären Beziehungen können gewechselt werden. Ein Liebespaar, dessen Liebe sich erschöpft hat, wird die Beziehung lösen und, sofern möglich, eine andere eingehen. Dies macht ohnehin die Unsicherheit jeder Beziehung aus: Sie kann sich bis hin zur Auflösung scheinbar fester Bande verändern.

These 7: Beziehungen bilden ein zirkuläres Beobachtermodell (frame), das in ein anderes übersetzt, transformiert, abgewandelt oder verschoben werden kann (reframing).

Hierbei spielt das Imaginäre wieder eine antreibende Rolle. Imaginäre Verschiebungen können scheinbar nach sehr unterschiedlichen Mustern vollzogen werden:

Verschiebung 1

Fall 1                        

 

Verschiebung 2

Fall 2

Der Fall 1 soll den Wechsel von einer Beziehung in eine andere symbolisieren. Das Bild suggeriert, dass das linke Muster sich imaginär auf einen Mittelpunkt verdichtet hat. Nun aber treibt genau diese Verdichtung aus sich heraus. Es wird eine zentrifugale Kraft sichtbar, die das zirkuläre Muster verändert und sich auf ein anderes, außerhalb stehendes wirft. Der rechte Zirkel ist noch offen, die imaginären Verdichtungen oder symbolisierende Vereinheitlichungen sind zunächst noch nicht eingetragen. Was könnte in einem solchen Fall geschehen sein?
Unserem Liebespaar ist die Liebe abhanden gekommen. Welche Deutung bietet sich an? Zunächst haben sie sich imaginär gespiegelt und auf ihre Gemeinsamkeiten hin verdichtet. Sie sind sich sehr nah gekommen (wo und wie wir die imaginäre Verdichtung in das linke Bild eintragen, bleibt ganz der beobachtenden Interpretation überlassen; es reicht von sehr inniger Mittelpunktsuche bis hin zu peripheren Formen). Solche Nähe ist voller Erwartungen, die an der Realität geprüft werden: Hält die Imagination, was in ihr begehrt wird? Ist das symbolische Band hinreichend auf die Bedürfnisse der Beziehungspartner und ihren Lebenskontext abgestimmt? Treten reale Ereignisse, die nicht vorhersehbar waren, hinzu? Über kurz oder lang wird jedes Liebespaar gezwungen, sich in den Positionen ihres Ursprungs zu verändern. Es hat die Möglichkeit (a) ihre Liebe als ihre neue, veränderte Liebe zu konstruieren; (b) eine andere Liebe zu suchen und einzugehen.
Es gibt stets Gründe, die die zentrifugale Kraft antreiben. Eine Beziehung ist in ihren imaginären Erwartungen vielleicht enttäuscht. Sie hat nicht das gehalten, was sich zumindest einer der Beziehungspartner versprochen hat. Entweder ist die Imagination nicht erfüllt oder das symbolische System nicht hinreichend für die Bedürfnisse entwickelt worden. Vielleicht waren auch äußere Umstände ungünstig. Eine Veränderung steht an. Sie wird durch eine Kraft motiviert, die je nach der Bindungsenergie des bisherigen Zirkels unterschiedlich ausfallen wird. Oft fragen wir uns erst nach Veränderungen von Beziehungen, was sich ereignet hat. Welche Kraft führte zu den Veränderungen? Es ist eine Kraft aus dem Inneren der Beziehung selbst, aus ihrer Zirkulation und den dabei erzeugten Vorstellungen, eine Flieh-Kraft, die zentrifugal den Zirkel selbst mit Druck von innen versieht und zur Sprengung bringen kann. In der Auflösung der Moderne hin zur Postmoderne oder besser, wie Bauman (2000) sagt, zur Liquid Modernity werden gerade die Beziehungen verflüssigt: Wir haben kaum noch feste Partner und Freunde auf Dauer, sondern wechseln sie in unseren Lebensabschnitten mit den ihnen eigenen Lebensaufgaben. Unsere Fliehkraft benötigt symbolische und reale Ereignisse zur Erinnerung und Imaginationen zur Ausmalung der Gefühle, Bilder und Reden. Eine imaginäre Verschiebung wird durch diese Ausgangskraft und diesen Antrieb auch symbolischer Umformungen, Erwartungen, Haltungen, bewirkt; die Verschiebung selbst kann zu Beziehungs-Veränderungen, im Maximum Trennung, Ab- oder Auflösung und Neubeginn führen. Wenn die versprochene oder imaginierte Welt nicht mit der erfahrenen symbolischen Realität (als Re/De/Konstrukt) Schritt hält, dann kommt es zu Spannungen, die sowohl zentrifugale als auch zentripetale Neigungen verstärken können.
Ein solches Reframing erlaubt ein neues Bild von Beziehung, steht für Veränderung in der Beziehung, für einen Sprung, ein neues Verhältnis, das sich aus alten Mustern löst, für Lösungen nicht nach der Devise mehr desselben, sondern etwas Neues zu versuchen. Zwischen minimaler und maximaler Veränderung gibt es unendliche Abstufungen. Ein Maximum ist Ausdruck der Beendigung des alten Zirkels, Aufbau eines neuen. Aber hierin können, insbesondere wenn nicht reflektiert wurde, was geschah, alte Muster schnell wieder in neue, andere Beziehungen gelangen. Die Lösungen reichen von minimalen Veränderungen des Zirkels bis hin zu einem vollständigen Beziehungswechsel, zur imaginären oder symbolischen (schließlich als real erfahrenen) Zerstörung von Beziehungen. Dabei wirken für die Verschiebungen die Aspekte des experience, der Projektivität und Virtualität ebenso wie bei den Verdichtungen.
Ein besonderes Problem bilden die imaginären Zerstörungen, die nicht den Weg in eine symbolische Realität finden und die Beziehung auf Dauer belasten, zur Tragödie für Leib und Seele werden lassen. Je stärker die Imaginationen drängen, desto machtvoller werden wohl oft die zentrifugalen Kräfte, die, wenn sie aufgrund äußerer oder innerer Umstände eine Verschiebung nicht zuzulassen scheinen, die Unmöglichkeit der Verrückung zur Verrücktheit steigern können.
Der Fall 1 stellt immer eine Illusion dar. Der rechte zirkuläre Kreis verheißt uns ein offenes Beziehungsmuster, was der Realität kaum standhalten wird. Schon in den ersten Momenten einer veränderten oder neuen Beziehung geraten wir unter die Motivation, eine imaginäre Verdichtung durchzuführen und sie uns symbolisch als wechselseitiges Anerkennen zu erklären. Wir bestätigen einander, besprechen, wie toll wir uns finden, um über diese Vorbedingung das zu beginnen, was wir eine gewünschte und ersehnte Beziehung nennen. Auf solcher imaginär vermittelten Unterlage bauen sich unsere symbolischen Ordnungsversuche von Beziehungen auf. Allerdings gibt es in unserer Lebenswelt auch viele erzwungene Beziehungen. Ungünstig ist es für uns, wenn wir z.B. durch berufliche Rollen oder Nachbarschaften in Beziehungen gezwungen werden. Dann müssen wir Praktiken und Routinen finden, die das Maß an notwendiger Verabredung und Koordinierung definieren, das in der Verständigungsgemeinschaft für notwendig und hinreichend gehalten wird. Hier beginnen die Gepflogenheiten des kulturellen Taktes und der Umgangsformen.
In diesem Kapitel schaue ich vorrangig aus der Perspektive der subjektiv erlebten Beziehung. Hier scheint ein großer Konstruktionsfreiraum gegeben zu sein. In Kapitel IV werde ich aus Perspektiven  einer sozialen Lebenswelt heraus die Vorgängigkeit bestimmter Praktiken, Routinen und Institutionen gegenüber den subjektiven Handlungsmöglichkeiten diskutieren. Beide Perspektiven sind für eine konstruktivistische Beobachtertheorie unverzichtbar: Die eine, um Möglichkeiten subjektiver Handlungsfreiheit zu betonen; die andere, um diese Freiheit in ihren strukturellen Begrenzungen zu zeigen. Das Zusammenwirken beider Perspektiven zeigt ein beziehungs- und lebensweltliches Spannungsfeld, das in der Postmoderne nicht nach einer Seite eindeutig und vollständig entschieden ist. Es ist überhaupt ein Zeitalter der Spannungen und Ambivalenz, wie es Bauman in populärer Weise charakterisiert hat (vgl. z.B. Bauman 1993 a,b; 1996; 1997, 2004).
Der Fall 2 zeigt eine imaginäre Verschiebung, die in eine Verdichtung mündet. Wir sind imaginär angetrieben, aus der einen Mittelpunktzentrierung, die enttäuscht wurde, schnell in eine neue, andere, Erfolg versprechendere zu fliehen. So müssen wir zumindest unser Begehren nicht enttäuschen. Wir irren uns nicht in unseren Gefühlen; allenfalls die äußeren Umstände, der spezielle Partner oder die eingegangene Beziehung waren falsch. Die postmoderne Kultur treibt uns vielfältig an, die imaginären Verschiebungen nicht nur zu dulden, sondern möglichst aktiv zu betreiben. Die imaginäre Verschiebung hilft uns, symbolische Ablösungen, Trennungen, Krisenbewältigungen durchzuführen. So gehört es zum Lebenskonzept der Neuzeit, dass sich die Kinder von der Familie ablösen, um als Arbeitskräfte frei verfügbar zu sein. Im Beruf wird Flexibilität, Disponibilität und Mobilität erwartet, was immer eine Veränderung der Beziehungszirkel bedeuten kann. Hier treten durchaus zu dem vereinfachten Bild unseres inneren Drucks von Beziehung äußere Kräfte hinzu, die aber oft erst als innerer Druck empfunden werden müssen, um in Handlungen übersetzt zu werden. In der Beziehungswirklichkeit gelten vorrangig Normierungen: „man macht das so“, „es gehört sich, dass“, „es ist üblich, dass“ usw. lauten die Forderungen an die Konvention von Beziehungen. Allerweltsweisheiten wie „Freunde findet man überall“oder „man ist zuhause, wo man sich wohlfühlt“ sollen über  die Trauerarbeit und Reflexion von Veränderungen täuschen und uns imaginär anspornen, es immer wieder motiviert neu zu versuchen. Dieser gesellschaftliche Motivationsdruck erzeugt eine stete Zunahme des inneren Drucks auf Beziehungen, die viele Widersprüchlichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung in sich enthalten (ewige Jugend, stete Dynamik, ständige Lebens- und Arbeitsfreude) und damit überfordert sind.
Was sind wesentliche Gründe für mögliche imaginäre Verschiebungen? Zunächst scheint es so, dass Verschiebungen besonders dann einsetzen, wenn Verdichtungen versagen. Die Verdichtung ist eine Lösung, die die Vereinheitlichung im Beziehungszirkel motiviert; die Verschiebung eine Lösung, die dann einsetzt, wenn solche Motivierung nicht mehr möglich oder sinnvoll erscheint. Eine Beziehung hat sich in ihrem Zirkeln um imaginäre Mittelpunkte erschöpft; ihre dynamischen Kräfte sind erlahmt; ihre Umwelt verunmöglicht ein weiteres Kreisen um sich selbst. Eine Symbiose und Verdichtung auf die eigene Imagination ist gestört. Die Beziehungspartner verfangen sich in den Widersprüchen, die sie sich selbst aufgebaut haben. Eine dumpfe Leere mag in den Handlungen empfunden werden, die zur Veranlassung des Wechsels die Vorstellungen und schließlich Handlungen inspiriert. Dann wird die imaginäre Verschiebungskraft freigesetzt, um die symbolischen Vorkehrungen anzutreiben.
Auch hier benötigen wir immer einen inneren oder äußeren Beobachter, der die imaginativen Vorstellungskräfte in ihren Äußerungen beschreibt und seine Schlussfolgerungen distanzierend zieht. Der innere, beteiligte Beobachter allerdings ist diesen Kräften eher ausgesetzt; er kann sie nur dann distanzieren, wenn er in die äußere Beobachterperspektive virtuell wechselt, um sich selbst in seinen Wechselspielen imaginativer Kräfte und symbolischer Konstrukte zu sehen. Durch den Wechsel von Beobachterperspektiven ist er diesem Spiel der Vorstellungskräfte dann auch nicht mehr willenlos ausgesetzt, sondern verfügt zumindest über Perspektiven, die Kräfte für sich zu beobachten und begrenzt zu lenken. Es ist dieser Riss durch unsere Persönlichkeit, diese Ich-Verarbeitung, die mittels unterschiedlicher Ich-Positionen der Beobachtung und dadurch veranlasster Selbstkontrolle erreicht wird, die sowohl die Imaginationen als ständiges Medium unserer Wünsche, Triebbedürfnisse und Einstellungen im Fließen hält, andererseits aber Beobachterpunkte erfordert, die diesen Fluss distanziert beobachten. Solche Kontrolle ist das Denken, die Reflexion, die durch imaginäre Verdichtung besonders motiviert wird. Sie ist allen Übergängen von der Rationalität bis zur Irrationalität, von hoher Affektdistanz bis zu hoher Affektintensität gegenüber offen.
Solche Offenheit hat jedoch ihre kulturellen Grenzen. Die in der Kindheit angeeigneten Beobachtungsvorräte und die Beobachtungsmodi, die das Ich in diesen Anstrengungen erlernt, sind ihrerseits bereits gesellschaftlich anerkannte Imaginationen, die sich als symbolisierte Institutionen niedergeschlagen haben. Die symbolischen Institutionen sind dabei immer auch imaginär vorgestellt (vgl. Kapitel IV.3.3.1.2). Sie führen ihr imaginatives Eigenleben in allen Re-Konstruktionen der sozialkulturellen Seinsweise von Menschen, sie kontrollieren wie ein größerer Bruder oder eine ältere Schwester die Kontrollvorschriften der beobachtenden Ich-Instanzen in der Fremd- oder Selbstbeobachtung. Solcherlei Gleichschaltung der Beobachtungsvorräte und der Beobachtungsmodi sichert den gesellschaftlich anerkannten Stand, der auch eine Anerkennung noch erlaubter oder zu sanktionierender Abweichungen enthält. Insoweit sind imaginäre – darin auch illusionäre – Verdichtungen und Verschiebungen von Beziehungen zwar prinzipiell immer möglich, aber gleichwohl in ihrer sozialen Geltung, in ihrer Anerkennung und Rechtmäßigkeit sozial begrenzt und normativ beschränkt.
Hieraus entspringt insbesondere für durch imaginäre Verschiebungen veranlasste Veränderungen das Dilemma einer Pseudofreiheit. Zwar lässt sich eine Beziehung durch eine andere ersetzen, aber sie unterliegt als Muster einer Gleichförmigkeit. So flieht man aus einer Paarbeziehung in das gleiche Muster einer neuen Paarbeziehung, so wie man statt einer Ware eine andere kauft. Radikale Alternativen von Beziehungshaftigkeit hingegen sind beschränkt, weil sie weder als Beobachtungsvorrat massenhaft zur Verfügung stehen noch als innere Beobachtungskontrolle anerkannt sind.
Beziehen wir die imaginären Verdichtungen und Verschiebungen auf die Geschichte der Menschen, dann sehen wir immer wieder ihr Wechselspiel mit symbolischen Lösungen. Die Zeitalter der großen Verdichtungen waren die Zeiten der Etablierung religiöser Systeme bis zur Aufrichtung der Weltreligionen. Weitere Verdichtungsversuche sind im Rahmen der Säkularisierung dann vor allem im Aufrichten von Wissenschaft als Glaubensersatz zu sehen; ein Prozess, der dann erfolgreich schien, wenn Wissenschaft hinreichend imaginär motiviert war, symbolisch eindeutige Wahrheit zu propagieren und sich mit technischen Fortschritten zu verbinden. Diese Wahrheit ist allerdings am Ende des 20. Jahrhunderts spürbar zerbrochen, und der Riss in der Verdichtung lässt heute zusehends Varianten der Verschiebungen blühen.
Es gehört zum Wesen des Kapitalismus, der den Planeten als Wirtschafts- und Denkweise erobert hat, dass jede beliebige Ware für eine andere stehen kann, dass das Geld als allgemeines Äquivalent eine abstrakte Vereinheitlichung darstellt, mit der alle Veränderungen auf den Warenmärkten realisiert werden können. Was treibt uns imaginär an, das Geld mit hoher Lust, Motivation, als Äquivalent für jedes Wünschen und Begehren schlechthin zu besetzen?
Gerade in diesem Beobachtungsfeld treiben Verdichtungen und Verschiebungen ein eigenartiges Spiel. Die imaginäre Verdichtung erscheint als Äquivalent für alles Glück, das die Warenversprechungen des Kapitalismus antreibt, und motiviert die symbolische Lösung als die scheinbar einfachste und wirksamste: das Geld wird zum Symbol für eine Mittelpunktstellung, die alle Beobachtungsvorräte und Beobachtungsmodi in der Perspektive auf Zufriedenheit und Lebenswohlstand als Voraussetzung jeglichen Glücks dominiert. Als Abbild des Wünschens kehrt es symbolisch zum Erfinder zurück und verbindet sich zirkulär mit den Imaginationen, die auf es hin entworfen wurden. So steigern sich in symmetrischer Eskalation die Beobachter in eine Ekstase des Geldes. Man sagt, dass man Liebe nicht kaufen kann; aber längst gibt es käufliche „Liebe“; man sagt, dass wirkliche Liebesbeziehungen frei vom äußeren Reichtum eingegangen werden; aber längst sind in die Bevorzugungen der Liebenden die Erwartungen eines bestimmten Wohlstands und einer bestimmten Schicht eingegangen (vgl. Kapitel IV.3.3).
Die imaginären Verschiebungen motivieren uns zu ständigen Veränderungen. Die Imagination kann sich an so vieles heften; die Warenwelt stellt ein ungeheures Beobachterspektrum mit Bevorzugungsmöglichkeiten nach vielen Seiten dar. Hier wird oft an unsere unbewussten Wünsche appelliert und ein Begehren durch Werbung und Zuredung geschickt erzeugt. Erfolgreich ist solches Werben erst dann, wenn es nicht nur symbolisch ausgesprochen und dokumentiert wird, sondern sich in die Imaginationen selbst einnistet. Ohne nachzudenken soll der Konsument jene Waren kaufen,  auf deren Versprechungen er sich eingelassen hat. Dazu wird eine Maschinerie der Ablenkung, der Differenzierung des Abgelenkten, des ständig neu Verschobenen betrieben, um neue Lust und neue Bedürfnisse zu erzeugen, Grundbedürfnisse in alle Richtungen zu modifizieren und als dynamisches Beziehungsleben zu etablieren. Die moderne Warenästhetik, die Werbepsychologie, die halluzinogene Droge Fernsehen mit ihren zum Klischee verdichteten Illusionen und ständigen Verschiebungen durch Aneinanderreihung von unterschiedlichsten Zirkeln der Beobachtung; diese und andere Prozesse führen zu einer Anhäufung ablenkender Beobachtungsvorräte. Bei allen Kehr- und Gegenbewegungen in der Moderne hat sich so die kapitalistische Massenkultur als ein zirkuläres System entwickelt, das um seine eigenen imaginären Verschiebungen und die dadurch motivierten Veränderungen kreist und zu einer Entwertung traditioneller Werte oder Verhaltensrollen immer mehr beiträgt. Solche Dominanz der Veränderung beschwört die Sehnsucht nach neuen Verdichtungen dann herauf, wenn die Menschen in den Ablenkungen selbst eine Leere erblicken. Sie sind dann frei für Wagnisse, die Nietzsche mit seinem Bild des Über- oder Herrenmenschen beschrieb, dessen Macht und Gewalt sich bereits in den Drohgebärden jener ablesen lässt, denen die Ablenkungsstrategien der Moderne nicht mehr als Lebenssinn ausreichen.
Welcher Beobachter kann hier noch nach einem besten System suchen? Weder Verdichtungen noch Verschiebungen können wir als Ausdruck des Imaginären nach gut oder böse klassifizieren, auch wenn die spürbaren Lebensfolgen für einzelne Menschen so beurteilt werden mögen. Aber von der Stellung des Beobachters her haben wir gar keine Freiheit bezüglich der uns eigenen symbolischen, imaginativen und realen, der zentripetalen oder zentrifugalen Kräfte, die wie ein wiederkehrendes Spiel den Menschen und seine Geschichte in wechselhafter Dominanz leiten. So ist ja auch der Kapitalismus kein Spiel der Natur mit dem Menschen, sondern Produkt menschlicher Einbildungskraft und tätiger Vergegenständlichungen, Produkt einer zirkulären Wirksamkeit von verdichtet inspirierter Macht auf ein Medium, dessen wesentlicher Zweck darin liegt, als Äquivalent für alle verschiebbar zu sein. Die Liquid Modernity scheint der gegenwärtige Inbegriff, wenn auch noch nicht einmal der vorstellbare Endpunkt dieser Bewegung zu sein.
Für den Beziehungszirkel, in dem Menschen immer in der einen oder anderen Weise untereinander stehen, hat die Ablenkung in der Post/Moderne eine zunehmende Größe gewonnen. Post/Moderne ist ein unglücklicher Begriff, weil er suggeriert, die Moderne wäre überwunden und etwas Neues hätte begonnen. Dabei ist es nur ein Begriff, wie Lyotard oder auch Bauman betonen, der die Illusionen der Moderne kritisieren lässt, der zeigt, dass die Metaerzählung der Moderne mit ihren hohen Erwartungen auf Gleichheit oder Gerechtigkeit, auf Brüderlichkeit und Freiheit uns belogen und betrogen hat, weil die Solidarität und Realität fehlt, diese Moderne als wirklich oder verwirklichbar zu zeigen. Es gibt keine Universalität, keine Vollständigkeit oder auch nur halbwegs Vollendetheit einer Moderne und ihrer Ideale, sondern eine Verflüssigung der Lebensverhältnisse. Dies nennen wir Postmoderne, indem wir meinen, es hat eine Korrektur, eine Kritik gegeben, die uns die Moderne in ihrer gegenwärtigen Form nicht als überwunden und nicht als gelungen, sondern als widersprüchlich, paradox und ambivalent erscheinen lässt. Auch verfügt die Moderne in ihren Vertretern über keine hinreichend kritische Sicht auf ihre eigenen Veränderungen.
Zwar ist es immer noch das verdichtende Ideal der modernen Vorstellungen, sich in feste Beziehungen einzulassen und diese durch institutionelle Glaubhaftmachung (z.B. Ehe) und Symbole unterschiedlichster Art zu bestätigen; gleichwohl führt die hohe Rate des Scheiterns solcher Beziehungen in immer neue Motivationen von flüssigen Veränderungen hinein, die am Ende dennoch ein ähnliches Muster zu leben versuchen, aber im Nach- und Nebeneinander zugleich dessen Unmöglichkeit zeigen. Die Fluchtlinien aus alten Mustern sind in einem kultursprengenden Sinne begrenzt, innerhalb der zugelassenen Kultur aber unendlich groß. Und diese Weite umschließt Möglichkeiten individuellen Glücks oder Leids, denn je nach den Beobachtungsvorräten und den Modi der Beobachtung öffnen sich unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten. Je weniger ein Mensch sich von den möglicherweise festgefahrenen Beobachterpositionen lösen kann, die sich vielleicht einmal bewährt haben, die aber auf Dauer nicht ausreichen, sich selbst im Zirkel angemessen zu situieren und gegebenenfalls eigene Positionen zu verändern, je starrer, hierarchisierter, damit unbeweglicher und ausgelieferter solche Positionen sind, desto mehr Leid mag sich in einem Unverständnis sammeln, das erst durch den Wechsel der eigenen Beobachterposition erkennbar und damit veränderbar wird. Die Vorstellungskräfte können hier zu einem reißenden Fluss werden, in dem man mitgerissen wird, weil es nicht rechtzeitig gelang, aus der sicheren Distanz einer höheren Plattform auf ihr Treiben zu schauen: Entweder sich in den Fluss zu begeben, um etwas zu riskieren oder aus ihm herauszukommen, wenn es zu gefährlich wird.
Der Abenteuerlust der Moderne, die mit den großen Entdeckungen unbekannter Welten einsetzte, steht ein Feld imaginärer Verdichtung und Verschiebung zur Seite. Projektionen auf Unbekanntes setzen Beobachterpositionen voraus, die selbst bereit sind, aus vertrauten Beziehungszirkeln zu weichen. Hier mag es vorkommen, dass der distanzierte Beobachter sich selbst im Wege steht, weil er sich nicht dem reißenden Fluss seiner Vorstellungen hingibt, um Unmögliches zu schaffen. Wir sind hier an der Stelle des Kreativen, das immer auch Imaginatives ist. Es gibt keine Regel für den Beobachter, keine auszumachende Position, die hier für alle Fälle die beste ist. Wüsste man die Bedingungen einer solchen Position, so wäre die Kreativität selbst zu ihrem Ende gekommen.


(2.3) Die Vereinfachung von Beziehungen auf Idealtypen

Bisher habe ich zur Vereinfachung unterstellt, dass es einen Zirkel von Beziehung gibt, der sich verdichtet und unter Umständen auf einen neuen Zirkel hin verschiebt. Mit dieser Sicht sind alle Beziehungen, wenn ich sie als Beobachter isoliere, beschreibbar. Es können Paarbeziehungen ebenso sein wie Beziehungen vieler Menschen, wenn sie nur diesem bestimmten, rekonstruierten Muster entsprechen. Andererseits ist eine solche Beobachtung sehr allgemein. Wir wissen, dass es sehr unterschiedliche Beziehungen gibt und dass auch die generellen Muster von Beziehungszirkeln bei näherer Beobachtung in unterschiedlichste Variationen zerfallen. Das stellt den Beobachter nun jedoch vor das große Problem, wie er die Unendlichkeit von Beziehungen, die Möglichkeiten der Auchs, sich noch übersichtlich und kommunizierbar halten soll.
Systemisch orientierte Familientherapeuten versuchen, das Netz von Beziehungszirkeln möglichst konkret zu beschreiben. Hier wird meist von einem Netzwerk, einem Beziehungsfeld usw. gesprochen. Die Zahl der Beobachter für Familiensysteme wird durch Supervisoren und reflektierende Teams ergänzt, um möglichst unterschiedliche Beobachtungen von Konstellationen zu gewinnen, die sinnvoll in den therapeutischen Prozess eingebracht werden können. Gleichwohl stellen Therapeuten immer dann relativ elementare Bilder von Beziehungen auf, wenn sie konkret werden wollen, wenn die konkrete Konstruktion helfen soll, bestimmte Verhaltenstypen zu beschreiben, diesen bestimmte Lebens- und Denkweisen zuzuschreiben, um hieraus eine therapeutische Übersicht und gegebenenfalls Handlungsempfehlungen zu gewinnen. Darin nun haben wir ein Schwanken von einer Beobachterposition von außen vorliegen, die sich einerseits der konkreten zirkulären Beobachtung hingibt, die sich andererseits aber auch imaginär auf Beobachtungskategorien verdichtet, die als allgemein anerkannt oder pragmatisch nützlich usw. erscheinen können. Eine solche Typisierung im Blick auf die Genese von menschlichen Verhaltensweisen und Einstellungen habe ich bereits bei den Schlüsselszenarien problematisiert. Eine solche Problematisierung stellt sich auch bei den lösungsorientierten Ad-hoc-Typisierungen, die wir nun betrachten wollen.

These 8: Zirkuläre Beziehungsdynamik ist komplex und schwer darstellbar. Daher konstruieren Beobachter idealtypische Vereinfachungen.

Sehr populär ist in der systemischen Therapie z.B. die Typisierung von Virginia Satir (1988) geworden. Schulz von Thun (1989) hat diese Typisierung im deutschen Sprachraum zusätzlich popularisiert. Ich will die Typologie, die dazu dient, bestimmte, häufig auftretende Menschentypen in ihrem Verhalten zu beobachten und vereinfacht zu interpretieren, kurz einführen:

Beschwichtiger

(1) Der versöhnliche, besänftigende Typ (Beschwichtiger):
Seine Worte erscheinen als zustimmend, entschuldigend, wohlwollend, nie fordernd, er benutzt häufig Einschränkungen (wenn, dann, nur, gerade) und den Konjunktiv (könnte, würde, wäre). Seine Stimme ist eher leise, vorsichtig, gedrückt, mitunter weinerlich. Sein Auftreten erscheint als vorsichtig, leise, zaghaft, rücksichtsvoll; seine Körperhaltung wird beschrieben als Schultern nach vorn gebeugt, seine Handhaltung eher kraftlos und zurückgezogen, mitunter übertrieben zugewandt.
Diesen Fremdbeobachtungen steht das Selbsterleben dieses Typs gegenüber. Seine versöhnliche Art scheint ein Selbstschutz zu sein, der oft als Gefühl der Hilflosigkeit, mitunter der Wertlosigkeit erlebt wird. Man will sich nützlich fühlen, indem man für andere etwas tut, was gleichzeitig zum Gefühl des Beladen- und Ausgeliefertseins führt. Er fühlt sich ohne andere als Nichts, fürchtet aber zugleich, anderen lästig zu sein. Er sucht meistens eine Schuld bei sich, hat Angst vor starken Emotionen.
Satir versucht, die systemischen Wirkungen, die zirkuläre Beziehung im Netz von Zirkeln dieses Typs zu beschreiben. Sehr wahrscheinlich sind drei Wirkungsformen auf den Kommunikationspartner im Beziehungszirkel. Form 1: Die Anpassungsstrategie – die auch Symptombildungen aufweisen kann – erzeugt beim Empfänger eine gewisse Mitschuld, sie weckt Mitleid, lässt den Wunsch aufkommen, dem Beschwichtiger zu helfen und ihn zu schützen. Form 2: Das Weinerliche und unentschlossene Verhalten kann aber auch ärgerlich machen und dazu führen, dass man als Gegenwehr stärker Forderungen stellt. Form 3: Als Steigerung der Form 2 kann Verachtung gegenüber dem Beschwichtiger entstehen.

Ankläger

(2) Der anklagende, fordernde, schimpfende Typ (Ankläger):
SeineWorte erscheinen als ablehnend, fordernd, diktatorisch, überlegen, beschuldigend, unterbrechend, er benutzt oft Verallgemeinerungen (jeder, alle, nie, immer) und gibt Situationen nach seiner Einschätzung wieder, neigt zu negativen Fragen (Warum tun Sie es nicht?) und Entwertungen (Können oder wollen Sie nicht?). Seine Stimme ist meist laut, hart, fest, oft schrill; in seinem Auftreten zeigt er gerne mit dem Finger auf Andere, beugt sich gerne nach vorne, trommelt ungeduldig, steht mitunter mit einer Hand an der Hüfte, verschränkt öfter die Arme. Seine Körperhaltung ist dabei übertrieben fordernd, der Kopf wird meist hoch aufrecht und oft nach vorne gerichtet gehalten, seine Hände sind sehr aktiv, er hat einen bestimmenden Gang.
Gegenüber den Fremdbeobachtungen scheint das Selbsterleben folgendes auszudrücken: Dieser Mensch strebt nach Anerkennung um jeden Preis, er ist ungeduldig, und will diesen Wunsch erfüllt bekommen. Je mehr Ärger, desto größer wird sein Verlangen. Er wartet ständig darauf, angegriffen zu werden und zu unterliegen, dabei fühlt er sich sehr oft nicht gehört, unverstanden, ungerecht behandelt. Auch wenn er die Karriereleiter sehr hoch geklettert ist, so fühlt er sich öfter wertlos, erfolglos, einsam, erlebt tiefen Schmerz. Solches Erleben stärkt sein Misstrauen, er fürchtet, in seiner Schwäche erkannt und ausgenutzt zu werden. Angriff ist seine beste Verteidigung.
Auch hier beschreibt Satir systemische Wirkungen in der Kommunikation. Ich will erneut drei Formen hervorheben: Form 1: Er erzeugt Angst und Furcht, man fühlt sich kontrolliert, Rückzugswege werden gesucht, man versucht, ihm mit Schuldgefühlen und Bitten entgegenzuwirken. Form 2: Ärger und Wut entstehen, die zunächst verdeckt und dann irgendwann – meist zum unpassenden Zeitpunkt – offen ausgetragen werden; man unterstellt, dass er genau weiß, was er Böses anrichtet. Form 3: Er wirkt distanziert; Kälte, sachliche Härte und Abweisung treten an die Stelle der anderen Formen.

Rationalisierer

(3) Der rationalisierende, intellektualisierende, rechtfertigende Typ (Rationalisierer):
Seine Worte erscheinen als erklärend, begründend, rechtfertigend; er sucht nach richtig und falsch, vernünftelnd; er spricht oft in Verallgemeinerungen (es kann gesehen werden statt: ich sehe); er fasst verschiedene Ereignisse gerne zusammen (man hat, es gibt, Leute wollen), neigt zu Allgemeinwörtern mit Wissenschaftsklang: Stress, Frustration, Bürokratie, Behördenstruktur, „Menschen sind…“. Seine Stimme ist oft monoton. In seinem Auftreten ist öfter eine gespannte Haltung zu beobachten; er hebt sich durch Distanz hervor; seine Körperhaltung ist eher steif; er zeigt gerne eine geschlossene Haltung im Arm- und Beinbereich; seine Gestik und Mimik wirkt gezielt.
Als Selbsterleben erscheint hier eine Angst vor Ausgeliefertsein und vor einem Verlust seiner Kontrolle; er will keine ihm übertrieben erscheinende Gefühle erregen; er sucht die Situation immer über den Kopf im Griff zu behalten.
Seine Wirkung auf den Empfänger kann – je nach der eigenen Position – sehr unterschiedlich sein. Drei mögliche Formen sind: Form 1: Man fühlt sich gegenüber seinen Argumenten dumm und klein, man anerkennt, bewundert und verehrt ihn. Form 2: Sein vieles Reden führt dazu, dass man sich nicht beachtet fühlt, woraus ein Vorwurf entsteht. Hier kann auch Langeweile einsetzen. Form 3: Er geht den Mitmenschen auf den Geist. Entweder fangen sie selbst nun mit Vorträgen an oder lenken ab, um Unruhe zu stiften oder flüchten.

Ablenker

(4) Der ablenkende, ausweichende, wechselhafte Typ (Ablenker):
Seine Worte erscheinen als ausweichend; er bevorzugt häufigen Themenwechsel, oft Clownerien, vermeidet konkrete Abmachungen; im Extrem ist er chaotisch, in der Sprache sehr sprunghaft. Seine Stimme erscheint als sehr variantenreich, zum Teil überdreht und schrill; er hat oft eine Tendenz zum Hysterischen. Sein Auftreten ist sehr oft extravagant, leicht überdreht; er beansprucht Aufmerksamkeit. Seine Körpersprache ist durch eine übertriebene Gestik und Mimik ausgezeichnet; er erscheint als wechselhaft, farbig, auffällig und hat meist eine interessante Aufmachung.
Sein Selbsterleben drückt scheinbar eine Sehnsucht nach Kontakt und gleichzeitig Angst davor aus. Sein Ziel ist die Ablenkung, um das Erleben von Einsamkeit und Sinnlosigkeit zu verkleinern. Die Angst vor Gefühlen scheint bei ihm groß, die Orientierungslosigkeit als ein Mittel, die Angst nicht bewusst werden zu lassen.
Seine Wirkung in der Kommunikation lässt ebenfalls verschiedene Reaktionen offen: Form 1: Man ist durch die Erscheinung irritiert, konfus, befremdet. Form 2: Man wird verängstigt, weil die „Normalität“ erschüttert scheint. Hinzu kommt, dass man selbst leer ausgeht, das Gefühl hat, unverstanden zu sein. Eine beginnende Isolation wird zum Problem. Form 3: Ablehnung, Wut, Enttäuschung. Besonders wenn diese Signale nicht ankommen, steigert sich das ohnmächtige Empfinden.

Diese vereinfachende Darstellung mag genügen, ein wesentliches Problem von Beobachtungen von Beziehungszirkeln deutlich werden zu lassen. Obwohl das Anliegen systemischer Natur ist, die Herkunft dieser Ideenwelt konstruktivistisch, denn Satir weiß, wie andere systemische Therapeuten auch, dass sie mit den Typen nicht Wirklichkeit abbildet, sondern bloß Gesprächskonstruktionen erzeugt, mit denen wir konstruktiv operieren können, so bleibt gleichwohl eine Beschreibung übrig, die stark vereinfachend, entindividualisierend, stereotypisierend verfährt, um sich leichter verständlich zu machen. Es ist damit ein Grundproblem von Psychologien ausgedrückt, die das Netz der Zirkularität durch eine einführende, lehrbare und veranschaulichende Konkretheit von Beobachtungen beschreiben, was scheinbar nur dann geht, wenn wir Typen, Funktionen, Verhaltensmuster einfangen und ordnen. Solche vereinfachenden Ordnungen unterscheiden sich allenfalls in der Bildhaftigkeit ihrer Angebote, der Differenziertheit des Ordnungsmusters, aber weniger in der stark übertriebenen Vereinfachung einer Individualität im konkreten Hier und Jetzt. Gewiss kennen wir in der einen oder anderen Weise solche Typen auch im Lebensalltag, aber bei näherer Beobachtung werden wir erkennen, dass wir uns über das Eins unserer Kategorien täuschen. Unsere vorgegebene Konstruktion ist eine der Brauchbarkeit für unsere schnell hingeworfenen Weltentwürfe, die wir wie ein imaginatives Netz über die Wirklichkeit werfen, damit sie sich – zumindest in der Vereinfachung – und bei sonst durchaus sinnvollen Absichten, wie bei Satir, so abbildet, wie wir sie gerne hätten. Dies mag uns sogar Handlungsempfehlungen geben, die der Selbstreflexion nützen, aber wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, diese Konstruktion für die Wirklichkeit von Beziehungen selbst zu nehmen.

These 9: Beziehungen sind strikt ereignisbezogen. Selbstbeobachter stecken oft so in den Ereignissen, dass sie in ihrer Übersicht gehindert sind, weil alles als zu komplex erscheint. Fremdbeobachter hingegen neigen zu Vereinfachungen, indem sie ideale Typisierungen erstellen und schnelle Lösungen suchen.

Es gehört zur Entzauberung der Psychologie, dass wir den zuschreibenden Mustern in der Beziehungswirklichkeit nur spielerisch vertrauen, dass wir sie im Gespräch mit Anderen erproben, aber auch als Spiel verwerfen können, denn sie sind nie in der Lage, hinreichend genug Individualität zu erfassen. Sie genügen hingegen gesellschaftlichen Zuschreibungsmustern, deren Brauchbarkeit ohnehin auf eine gewisse Oberflächlichkeit von Begegnung abgestellt wird. So ist es kein Zufall, dass diese Typologisierungen besonders bei der Schulung von Managern auftauchen, um ein typenadäquates Handeln eintrainieren zu helfen. Auch im therapeutischen Kontext mag es mitunter hilfreich sein, einen Typ übertrieben darzustellen, um Wirkungen auf den Empfänger im Beziehungszirkel zu verdeutlichen. Psychologische Zeitschriften leben von der Bildhaftigkeit solcher Zuschreibungsmuster, von dem Wiedererkennen und damit verbundenen Aha-Erlebnissen ebenso wie die „Meisterlehrer“ in der Therapie. Insoweit drücken solche Typisierungen den Versuch aus, Verallgemeinerungen herzustellen, mit denen man zunächst entlastender umgehen kann als mit tiefen, ambivalenten, persönlichen Gefühlen. Mittels eines vereinfachenden Einstiegs kann über diese unter Umständen dann auch leichter gesprochen werden, was bei Satir nicht ausgeschlossen, sondern intendiert ist. Vielleicht wird es möglich, ein Netzwerk von Beziehungszirkeln zu betreten, ohne sich darin kreisend aufzulösen. Vielleicht wird es auch möglich, mit seinem eigenen Verhaltenstypus spielerisch umzugehen. Der westliche Zivilisationsstandard zwingt uns immerhin, Sprachspiele einzuüben, in denen wir a/Andere und uns selbst distanzieren und typisieren, was einschließt, dass Andere wie auch wir selbst die Freiheit haben, die von uns imaginierten Typen auch zu wechseln oder uns neue zu erfinden. Hier mag uns der Konstruktivismus deshalb besonders sympathisch sein, weil er uns als Theorie entlastet, da er solche Art konstruktiver Wirklichkeitsbildung als gegeben und sinnvoll ansieht. Andere Ansätze, die solche Konstruktion nur in bestimmten Bahnen zulassen, nehmen uns hingegen stärker in ihren Glaubenspostulaten gefangen, was allerdings auch eine höhere Befriedigung durch Erlangung vermeintlich größerer Gewissheit erbringen kann. Dies habe ich bereits weiter oben für die Schlüsselszenarien betont, die ebenso eine Typisierung bestimmter Entwicklungsstufen darstellen, um daraus aber in der Regel Wahrheitsaussagen für alle Fälle und weniger Gesprächsanlässe für bestimmte Ereignisse zu gewinnen.
Wie können wir zu einfache Typisierungen und Schematisierungen vermeiden? Ein Netz der Zirkel ist zeichnerisch schon nicht mehr sinnvoll darstellbar. Es setzt sich aus den Berührungen verschiedenster Beziehungen miteinander zusammen, aus den Verwebungen und Verflechtungen unendlicher Handlungsketten in der Begegnung miteinander und der Gesellschaft, die zudem in der Zeit erfolgen und hierdurch eine Komplexität gewinnen, die für den einzelnen nie vollständig, ja meist nicht einmal im Ansatz rekonstruiert werden kann. Wir haben in der Regel schon größere Schwierigkeiten, die Lebensweise unserer eigenen Herkunftsfamilie zu rekonstruieren, wenn man dies von uns verlangen würde. Insoweit ist die Versuchung zur Vereinfachung zwangsläufig und im Grunde dann nicht übertrieben, wenn wir uns sowohl der Konstruktion der Vereinfachung selbst als auch des Grades der Vereinfachung – motiviert durch imaginäre Verdichtungen und Verschiebungen – bewusst bleiben. Das Netz der Beziehungswirklichkeit eröffnet für uns also die unendliche Geschichte über Beziehungen, die je neue – kreative – Sicht von Beobachtungen und das Gespräch und die Lust oder Unlust hierüber.

 

(2.4) Wo endet die zirkuläre Beziehungswirklichkeit?
Wie aber steht es mit jenen Beziehungszirkeln, mit denen wir selbst nie in Berührung kommen? Ist die Menge der eigenen Beziehungszirkel nicht immer sehr begrenzt, wenn wir an die Möglichkeiten denken, mit wem wir alles Beziehungen eingehen können? Müssen wir erst lernen, die Beziehungswirklichkeit richtig zu entfalten? Wie weit reichen „richtige“ Beziehungen?

   These 10: Es gibt keine „richtigen“ Beziehungen.

Zunächst neigen Menschen in den Beobachterpositionen ihrer Beziehungszirkel dazu, die verdichteten Muster dieser Beziehungen auf alle möglichen Beziehungen zu verallgemeinern. Dies ist eine projektive Möglichkeit, die insbesondere durch imaginäre Verschiebung motiviert wird. Meist wird das eigene Muster zu einer „richtigen“ Beziehung, die als gültig erscheint, um daraus Analogien für sinnvolles Verhalten zu bilden. Da dies die Vorstellungen antreibt und motiviert, gehört es zu dem nie endenden Gesprächsstoff, in Beziehungen über Beziehungen und ihre Möglich- oder Unmöglichkeiten zu sprechen und diesbezügliche Informationen oder Gerüchte zu verbreiten. Wer in Beziehungen steht, der neigt dazu, diese als richtig, wahr, angemessen zu beschreiben. Diese Einstellung wird dann gerne auf alle anderen Beziehungen hin verallgemeinert.
Doch welcher Beobachter soll festlegen, was die letztlich „richtigen“ Beziehungen sind? Im Zirkel der Beziehungen, in der Beziehungswirklichkeit gibt es keine „richtigen“ Beziehungen. Dies betrifft die generalisierbare Position von Beobachtern. Gleichwohl gibt es für jeden einzelnen Beobachter Beziehungen, die mehr oder minder zu ihm passen und somit als richtig oder falsch erscheinen.
Im Prozess der beobachtenden Zuschreibung von „richtigen“ Beziehungen sehen wir eine projektive Kraft am Wirken, die darin wurzelt, dass Menschen offenbar gerne ihre eigenen Vorstellungen auf Andere übertragen. Als imaginiertes Wunschbild wird der andere so zu einem Ausdruck eigener Vorstellungen. Als symbolisierte Realität erscheinen hier die Normen und Tugendzwänge kultureller Verständigungsgemeinschaften, die recht klar zu definieren scheinen, was „richtige“ Beziehungen sind, was sich gehört und nicht gehört, was als normal und abweichend anzusehen ist.
Suchen wir ferner nach einem Begriff, um die Kraft zu beschreiben, die alle unbeteiligten Zirkel in die Gefangenschaft der eigenen erlebten Zirkularität nimmt, so scheint mir der Ausdruck virtueller Kitt besonders geeignet zu sein, das Gemeinte zu symbolisieren. Es ist ja der Riss des Unbeteilgt-Seins, der gekittet werden muss. Dahinter steckt eine Größenfantasie des Beobachters, der sich zu allen Beziehungen in der Welt meint äußern zu müssen. Die Kraft ist virtuell, da eine direkte Teilnahme an allen möglichen Beziehungszirkeln nicht realisierbar ist. Es ist ein Kitt, der diesen Riss, diese Trennung und Spaltung überbrückt.
Dieser virtuelle Kitt sucht nach steter Bebilderung und Gespräch; er hat in den Beziehungsgesprächen seine grundlegende Basis und in den Massenmedien vielfältige Formen eines stereotypen Massengeschmacks gefunden.

These 11: Beziehungen unterliegen einer Vergesellschaftung. Der gesellschaftliche Druck geht gegenwärtig zunehmend dahin, die Beziehungen ihrer Geheimnisse zu berauben und alles öffentlich transparent werden zu lassen.

Unbeteiligtsein könnte eine Massenkultur zum Scheitern bringen, denn die Unerreichbarkeit, die Unmöglichkeit, mit dem virtuellen Kitt der Postmoderne zu kommunizieren, erscheint als Affront gegen die Lebensform selbst und kann nur noch durch Rückzug aus dem Zeitalter erzwungen werden. Sekten, die sich konsequent aus dem modernen Leben in eine Art Vorzeit zurückziehen, symbolisieren z.B. ihre Verweigerung gegenüber dem virtuellen Kitt der flüssigen, beziehungsbezogenen Moderne. Für die Massen in dieser Postmoderne ist hingegen die Aufnahme des gesellschaftlich vermittelten virtuellen Stoffes die Voraussetzung zum scheinbar nur so möglichen Überleben, zur Anerkennung in den jeweiligen Beziehungen selbst. So redet man zunehmend mehr über Ereignisse (auch Beziehungen), deren Unmittelbarkeit man nicht kennt. Man „philosophiert“ z.B. bei Sportereignissen, die durch Identifizierungen Lustgewinn bringen sollen, über Balltechniken, ohne je selbst einen Ball gezielt gespielt zu haben; man bespricht z.B. politisches Handeln ohne Einsicht in die tieferen Interessenstrukturen der Politik; man lebt in einem Beziehungsgeschehen von Seifen-Opern, in denen sich die Welt nach gut und böse, nach schrecklich und schön, nach Leit- und Vorbildern in Formen des Klischees und der Stereotypie abbilden; oder man verurteilt Menschen, die man nicht kennt und deren Motive unklar bleiben. Dadurch entschwindet das Bild der unbeteiligten Zirkel, und die Nachrichten der flüssigen Moderne suggerieren zusätzlich die Verfügbarkeit aller wesentlichen Informationen, die die Nachrichtensendungen verstärkt bildlich ausrichten, so dass jeder meinen kann, er sei beteiligt gewesen, weil er als Augenzeuge sah, was geschah. Das Auge jedoch täuscht den Beobachter, der zusehends den Versuchungen einer Standardisierung aller Beziehungs- und Beobachtungszirkel unterliegt. Und diese Standardisierung von Beobachtung erzeugt ihre eigene Welt als Konstruktion: So wird überall dort, wo das Fernsehen vor Ort Aufnahmen macht, durch die Bedingungen der Aufnahme der Sendung ein spezifisches Erwartungsverhalten erzeugt. Als Beispiel mögen hier besonders jene Berichte gelten, in denen die Aktionen bestimmter Gruppen oder Individuen dokumentiert werden. Das Fernsehen ist für solche Gruppen oder Individuen wichtig, weil es ihre Ideen und Aktionen transportiert. Die Gruppen und Individuen sind für das Fernsehen wichtig, um möglichst hautnah etwas aussagen zu können. In systemischer Eskalation kann dies bis zu dem Extrem reichen, dass die Aktionen nur noch stattfinden, weil und insofern das Fernsehen da ist. In der Filmwelt wird diese Virtualisierung ohnehin als unendliche Geschichte von Normalität und Abweichungen variiert, wobei die Abweichungen besonders dramatisiert werden, um immer neue Blickweisen und Angstdistanzierungen im Sinne des Aktionsfilmes vorzunehmen. Dass eine solcherlei bebilderte Erlebniswelt bei einigen Zuschauern dann verstärkt zu einem Absinken der Gewaltschwelle führt, ist die reale Kehrseite der künstlich erzeugten Welten.
Es gibt keine Stufe der menschlichen Entwicklung, wo nicht virtueller Kitt die menschliche Gemeinschaft zusammenhielt. Je überschaubarer jedoch die Beziehungszirkel sind, desto persönlicher erscheinen die Verbindungen. In der Massenkultur, die sich durch Geld und äußerliche Beziehungen, z.B. Nachrichten, miteinander vermittelt weiß, ist man sich fremd geworden, entfremdet, und sucht mit virtuellem Kitt diese Fremdheit zugleich zu überbrücken und gelten zu lassen. Die Überbrückung wird zur Verbindlichkeit von Normen von Beziehungen, wie man sie selbst hat oder gerne hätte; der Riss wird dort betont, wo Menschen sich von dem absetzen, was ein Massengeschmack als Konstrukt von Werbung und Konsum erfordert. Alle leitet der Grundsatz, dass es unbeteiligte Zirkel nicht mehr geben darf. Alle noch nicht entdeckten frühen Kulturen auf der Erde wurden im 20. Jahrhundert aufgespürt und vernichtet, indem man ihnen ihre Unbeteiligtheit entzog. Insoweit ist der virtuelle Kitt eine Kraft der Beobachtung der Menschen in der Moderne selbst, die danach drängt, alles durch ihre Form der Beobachtung zu vereinnahmen. Es ist ein kolonialer Beobachtungsstil, der die eigene, erworbene Fremd- und Selbstbeobachtung überall wiedersehen will, sich an ihr gar nicht satt genug sehen kann, um in den Beobachtungsvorräten sicher zu sein und die Beobachtungsmodi als anerkannte spüren zu können und Abweichungen hierbei zu verarbeiten.
Dabei wirkt grundlegend eine Individualisierung, die die Beobachterstandpunkte zu verschieben scheint. Bauman schreibt hierzu: „To put it in a nutshell, ‘individualization’ consists of transforming human ‘identity’ from a ‘given’ into a ‘task’ and charging the actors with the responsibility for performing that task and for the consequences (also the side-effects) of their performance. In other words, it consists in the establishment of a de jure autonomy (whether or not the de facto autonomy has been established as well).”  (Bauman 2000, 31 f) Hier wurzelt der falsche Schein, denn de jure ist die Autonomie oft mehr als Wunsch denn Wirklichkeit gegeben. Bauman sieht nämlich die dunklen Seiten der Beziehungs- und Lebenswelt ebenso: „No jobs are guaranteed, no positions are foolproof, no skills are of lasting utility, experience and know-how turn into liability as soon as they become assets, seductive careers all too often prove to be suicide tracks.  In their present rendering, human rights do not entail the acquisition of a right to a job, however well performed , or – more generally – the right to care and consideration for the sake of past merits.  Livelihood, social position, acknowledgement of usefulness and the entitlement to self-dignity may all vanish together, overnight and without notice.” (Bauman 1997, 22)
Die Postmoderne oder die flüssige Moderne, wenn wir die Illusion vermeiden wollen, der Moderne ein Post, einen scheinbaren Abschluss oder ein Ende zu attestieren, verdreht gerade in den Wahrnehmungen der Beobachterpositionen gerne alle Perspektiven. Derjenige, der in seiner Lebenswelt wenig Autonomie hat, der wird als besonders autonom beschrieben und dann auch noch aufgefordert, seine Lebensbedingungen in die eigene Hand zu nehmen. Aber Arbeitslosigkeit, Armut, Bildungsnachteile usw. lassen sich nicht einfach durch Autonomie im Bewusstsein beseitigen. Dennoch müssen auch die Kritiker zugeben, dass es ohne ein sich autonom fühlendes und entwickelndes Bewusstsein eben auch nicht geht.
Im Hintergrund des virtuellen Kits – ihn nutzend und ihn ständig produzierend – stehen Formen der Individualisierung, die alle Beziehungen verändert haben:

  • In der Postmoderne lösen sich ständische und traditionale Bindungen der Personen immer stärker auf (es kommt zu Bastelbiografien und -familien) und damit zu unendlichen Variationen von Beziehungswirklichkeiten.
  • Die Einzelnen müssen ihre Position selbst einnehmen und sind zu (biografisch relevanten) Entscheidungen „verurteilt“. Aber die Positionen sind zugleich auf ein Mindestmaß an sinnvollem, korrekten und wünschenswerten Verhalten zurückgebunden. Für Bauman z.B. gelten Vagabunden als Bedrohung der Moderne wie Postmoderne, weil sie das Chaos der Moderne verkörpern, voller Eigensinn sind, nur vage Hoffnungen darauf haben, ein neues und besseres Ziel finden zu können. Aber die sozialen Verhältnissen können viele Menschen jederzeit zu Vagabunden werden lassen, wenn die sozialen Netze versagen und die Solidarität der Bessergestellten abnimmt. Individualisierung ist deshalb eine gesellschaftliche Dynamik, die nicht auf freier Entscheidung des Individuums beruht – Individualisierung ist ein gesellschaftlicher Zwang.
  • Individualisierung bedeutet für Bauman die Einnahme verschiedener Rollen und unterschiedlicher Typologien: So können Flaneure, Spieler und Touristen in jedem Moment in der Vordergrund oder Hintergrund treten, um einander  Platz zu machen. Auch hier erscheinen wieder Idealtypen als Vereinfachungen der Beziehungswirklichkeiten. Wir brauchen anscheinend Bilder, um uns in unseren neu gewonnenen, flüssig scheinenden Freiheiten zu bewegen:
    • als Flaneure betrachten wir beobachtend die Welt als eine Bühne, in der wir Regie führen. Sei es das Sehen und Gesehenwerden im Flanieren, im Shoppen, im Internet, unterwegs, wir begegnen Anderen ohne spürbare Auswirkungen, in Spaziergängen oder im Konsum, in den Massenmedien;
    • als Spieler spielen wir einzelne Spiele, wobei keines endet und jedes neu anfangen kann. Stets winkt ein neues Glück oder eine neue Befriedigung, wobei die grundsätzliche Simulation von Wirklichkeiten als angenehme und ungefährliche Form der Lebenswirklichkeit erscheinen kann. Spiele simulieren Ängste, Erfolge, Möglichkeiten, Risiken, ohne sich je ganz einlassen zu müssen. Der größte Erfolg eines Spielers wäre es, wenn er mit reinem Glück so viel Geld gewinnen würde, wie er es in seinem ganzen Leben durch harte Arbeit nicht hätte verdienen können;
    • als Touristen sammeln wir möglichst neue und einmalige Erfahrungen und Erlebnisse, obwohl dies in der Massen zu den absurden Effekten führt, dass wir die Fremde immer mehr zur bequemen eigenen Heimat machen wollen und damit das grundsätzlich negieren, was wir eigentlich ersehnen. Touristen mögen wesentliche Idealtypen der flüssigen Moderne sein, denn sie besitzen hinreichend Geld, um ihre Freiheit zu konsumieren. Zugleich wenden sich ihre ästhetischen und wohlstandsbezogenen Kriterien konsequent gegen das, was sie wünschen: Je individueller Touristen reisen wollen und je ausgefallener ihre Erfahrungen werden sollen, desto unwahrscheinlicher wird ihre Befriedigung im gemeinsamen Wunsch einer Masse von Touristen, die das auch begehren.
  • Individualisierung heißt auch, nicht mehr nach Führern zu suchen, sondern nach bloßen Beispielen, besonderen Tipps und Ratschlägen, nach schnellen Formeln und Idealtypen, um so besser selbst verantwortlich für sein eigenes Projekt zu werden, aber auch, um selbst für alle Fehler – die eigenen und die anderer – haftbar gemacht zu werden. Diese Seite der Individualisierung ist gierig in der Suche nach Idealtypen von Beziehungen, mittels derer sie autonomer und unterschiedlicher zu Anderen werden will, um darin ihnen jedoch faktisch immer mehr zu gleichen.
  • Individualisierung zeigt sich grundsätzlich an den Möglichkeiten des Konsums. Die flüssige Moderne sieht ihre Mitglieder stärker als Konsumenten denn als Produzenten (vgl. Bauman 1996). Die Möglichkeiten, am Konsum teilzunehmen, definieren nicht nur immer stärker den Status der Personen, sondern auch ihre Einstellungen, Erwartungen, Haltungen. Und sie definieren die Unterschiede zwischen Besitzenden und Besitzlosen. Vereinfacht gesagt: „Divided, we shop.“ (Bauman 2000, 89)   

Idealtypen von Beziehungen sind also keineswegs allein psychologische Konstrukte, sondern heute ein allgemeines Phänomen bis hin in die differenzierten Analysen der Sozialwissenschaften, wie sie z.B. Bauman vorgelegt hat. Auch der Konstruktivismus als eine Art solcher Beobachtungsanalyse löst die Trivialisierung und Dramatik der Klischeebildung gewiss nicht auf, aber er vermag zu helfen, sie umfassender zu reflektieren. Es wird hieraus eine Ethik erwachsen können, die jene, die unbeteiligt an den Ekstasen der flüssigen Moderne bleiben wollen, schützen sollte. Aber es entsteht zugleich die Frage, wer überhaupt noch unbeteiligt bleiben kann. Hier zeigen die Variationen von Flaneuren, Spielern und Touristen gegenwärtig, wie eine nimmersatte, globale und  imperialistische Postmoderne bereits alles durchdringt, was sich eben noch vor ihr bewahren wollte. Es gehört zur Ironie der Ereignisse, dass dabei gerade diejenigen, die den virtuellen Kit produzieren, zu den ersten Opfern gehören: Das Beispiel des Starkults, der Berühmtheit, belegt diese Paradoxie. Zunächst wollen Schauspieler berühmt sein, um ihre Rollen zu verbessern und Gagen zu steigern. Dann wünschen sie sich, wieder unbekannt zu sein, um ihren Erfolg zu leben. Drängen Menschen zunächst danach, überall beteiligt zu sein, so spüren sie als virtueller Kitt der Gesellschaft, als Idole einer Kultur, den beobachtenden Druck, der sie als Klischee verkommen lässt. Es entsteht eine Form persönlichen, individuellen, virtuellen Selbstmords, der die Sehnsucht nach Unbeteiligtsein ins Unermessliche steigern kann und allerlei Fluchten bedingt. Wo früher die Mythen von Jägern, die Lebensschätze jagen, bevölkert wurden, da jagen heute Paparazzi nach der letzten Realität des Virtuellen, dessen Maske zum Symbol für Unterhaltung geworden ist. Hatten die alten Jäger ihre Geheimnisse, so nimmt die neue Jagd alle Masken ab, um in der obszönen Nacktheit und ständiger Nachstellung des Trivialen ihre Lust als Zurschaustellung einer Besonderheit zu finden. Der Sinn einer Jagd nach einem realen Glück verkommt zur Suche nach virtuellem (Un-)Glück. Hier leben die Idealtypen in allen Vereinfachungen.
Jean Baudrillard (z.B. 1994) ist ein kritischer Beobachter der zunehmenden Transparenz und der Obszönität, mit denen die virtuellen Wirklichkeiten die letzten Geheimnisse unserer Beziehungswelt enttabuisieren, um in einer grenzenlosen Simultanität des profanen Geschmacks aufzugehen. Talkshows in ihrer Tendenz, alle Abwegigkeiten intimer Beziehungen für das Massenpublikum zu verallgemeinern, die Darsteller zu entblößen und zu beleidigen, sie aus ihrem Kontext zu entfernen und einem voyeuristischen Publikum zum Fraß vorzuwerfen, sind nur die Spitze eines Eisberges, der eine coole Kultur dokumentiert. Je mehr der virtuelle Kitt seines kreativen Potenzials beraubt wird, je mehr er als Klischee verarmt, desto unbeweglicher werden die Beobachterpositionen. Zwar mag ihnen die Ablenkung, die Variation des ewig Gleichen eine Zeit lang helfen, aber auf Dauer führt eine Gleichschaltung der Imaginationen durch die Aufrichtung klischeeorientierter Symbolwelten dann auch zur Langeweile. Dies ist das Dilemma aller Werbepsychologie, die an der Oberfläche bleiben muss, um sich dem Takt der Werbezeiten oder dem Raum für Werbeplätze zu fügen, die andererseits aber danach trachtet, sich tief in den Erinnerungen der Konsumenten zu verankern, um wirksam zu sein. Sie strapaziert die Klischees bis an die Grenzen des Erträglichen, wobei sie – um sich effektiv in das Bewusstsein einschleichen zu können – immer neue und gesteigerte Formen der Bild-Ton-Maschinerie heraufbeschwören muss, um das Klischee zu verschleiern, und es in etwas Interessantes zu verwandeln. Es ist wie ein Spiel mit kleinen Mythen, die dann für einen Beobachter kindisch anmuten, wenn er die Wiederholungselemente durchschaut und den Zweck begriffen hat. Diese Einsicht aber gilt überhaupt für den jeweiligen virtuellen Kitt, der das Unbeteiligtsein nicht erträgt, dessen Anmaßung jedoch vom Beobachter hinterfragt und distanziert werden kann.
Warum leben wir in einer Kultur, der das Unbeteiligtsein ein Gegner ist? Hier erscheint, so denke ich, vorrangig die Macht des kapitalistischen Marktes: Seine Waren (und unsere Lust nach und an ihnen) sind es, die sich in alle Beobachtungsebenen hineindrängen, die gesehen werden wollen, um gekauft zu sein. Die Waren sind das allgemeine Zirkulationsmittel, die alle menschlichen Zirkulationen durchqueren und denen keiner mehr entkommen kann. Selbst wer unbeteiligt sein will, kann es nicht mehr. Und im Konsum werden alle Idealtypen gefeiert, denen wir in einer Sehnsucht nach Autonomie zu entkommen versuchen, ohne ihnen heute noch Herr werden zu können.


(2.5) Zirkularität: Muster oder Fortschritt?

Bisher habe ich die Zirkularität vor allem aus einer Perspektive von Beobachtungsmustern betrachtet. So erscheint ein Kreis, der in sich zirkuliert. Es ist eine ständige Wiederholung, ein Muster, das durch die Linie selbst symbolisiert sein soll, das unsere Beobachtungen leitet. Hier schlummert das, was bei Nietzsche als „Wiederkehr des ewig Gleichen“ bezeichnet ist und sich bei ihm auch im Gedanken „Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe Ewigkeit“ ausdrückt. Menschliches Begehren läuft in vielen Bedürfnissen eben auf ein mehr Desselben hinaus. Wir meinen geschichtlich vorangekommen zu sein, aber menschlich wiederholt sich immer das, was wir aus anderen Zeiten als Muster schon kennen. Dies allerdings bemerken eher scharfsinnige Philosophen, zu denen Nietzsche sich selbst zählte. Aus solch einem kritischen Blick suchen wir nach Wirkungen, die ein zumindest ähnliches Muster entlarven. Wir bemerken in dieser Aussage, dass der Begriff Muster allerdings eine Schematisierung, eine Konstruktion darstellt. Hier hängt es ganz und gar vom Beobachter ab, was er als wiederkehrend sieht und inwieweit er diese Wiederkehr anderen Beobachtern verständlich machen kann. Aus solcher Verständigung allein erwächst die wechselseitige Anerkennung und Standardisierung seiner Beobachtungen und unserer Konstruktionen des ewig Gleichen in anderen individuellen Formen.

These 12: Beziehungsmuster sind vorwiegend zeitliche, räumliche und soziale Konstruktionen von Beobachtern.

Das Muster von Beobachtungen kann sehr unterschiedlich verlaufen. Führen wir es also aus der Zweidimensionalität der Fläche, die ich bisher durch den Kreis beschrieben habe, heraus. Wir können den Kreis nun als Spirale zeichnen, wobei unterschiedliche Wirkungen zu beobachten sind, die Unterschiedliches symbolisieren:

Kreis - Spirale

Fall 1 zeigt nochmals den Kreis als Symbolisierung einer zirkulären Bewegung. Es gibt kein Entkommen: Die Aktion des einen wird zur Reaktion des anderen Subjekts. Tragen wir beliebige Subjekte in den Kreis ein, so wird jede Handlung von einem Punkt aus zu einer Bedeutung für einen anderen Punkt. Und jede Handlung kehrt zum Urheber zurück. Als Beobachter unterstellen wir zugleich eine Ebene des Hier und Jetzt, die wir an diese zirkulären Ereignisse anlegen. Alles geschieht jetzt (oder immer wieder) und wird hier von uns als Beobachter festgehalten.
Fall 2 symbolisiert in der Spirale deutlicher die Temporalität von Ereignissen. Auch hier erscheint es dem Beobachter, als handele es sich bloß um einen Kreis, wenn er von oben oder unten schaut. Von der Seite jedoch sieht er einen Anfang, der zwar nie genau festzustellen sein wird, und ein Ende, auf das alles hinausläuft, auch wenn es nicht als Endpunkt erfassbar ist. Hier wird die Zirkularität dadurch verkompliziert, dass nunmehr eine Unendlichkeit möglicher Bewegungen von unten nach oben oder von oben nach unten symbolisiert wird. Nehmen wir diese Möglichkeit als den imaginativen Fluss der Vorstellungen in der Zeit und im Vorstellungs-Raum oder als symbolische Re/De/Konstruktion, so sind alle Möglichkeiten gegeben, die wir überhaupt nur vorstellen können: Raum und Zeit lassen alle Variationen von Zirkularität hier zu, wenn nur die Bedingung der Rückkopplung, d.h. des Zusammentreffens von Beobachter-Punkten, die sich perspektivisch auf Festlegungen von Kreisläufen einigen, als Spiel der Begegnung eingehalten werden. Die Spirale ist dabei ein symbolisches Konstrukt für die Unendlichkeit von Möglichkeiten – aber schon eingeschränkt durch ein Bild des Auf- und Abstiegs, das Deutungen begrenzt (dies ist die seitliche Sicht) – bei gleichzeitiger Veranschaulichung, dass sich irgendwann und irgendwo alles wieder trifft (dies ist die Sicht von oben oder unten). Aber sie ist andererseits auch nur eine Schematisierung, mit der wir uns einen eigentlich schwer nachvollziehbaren Zusammenhang veranschaulichen.
Aus dieser Sicht verstehen wir nun deutlicher, weshalb Zirkulationen als Kreis und Spirale erscheinen können. Sie bleiben kreisförmig als Modell für Rückkopplungen im Hier und Jetzt; sie verwandeln sich in Spiralen, sofern wir eine zeitliche, räumliche, soziale Dimensionierung der Rückkopplungen selbst vornehmen.
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind in der Spirale durch die eingreifende Stelle des Beobachters situiert, so dass dieses Modell für alle Muster von Beziehungen besonders geeignet ist, wenn wir Entwicklung als Aufbau von Unterschieden im Gleichklang eines Zirkels mit einer Entwicklung zeigen wollen. Es mögen, um im Bild des Beobachters von oben/unten zu bleiben, immer bestimmte – nach einem beobachteten Muster verstandene – Beziehungszirkel in der Menschheit gegolten haben, aber als Beobachter von der Seite sehen wir erst, welche Unterschiede, welche Veränderungen hierbei gelten. Es bleibt dies zwar immer die Konstruktion dieses seitlichen Beobachters, aber diese mag nicht minder gültig sein als eine andere auch. So versuchen z.B. unterschiedliche wissenschaftliche Fächer an dem Fortschritt der Menschheit, an der menschlichen Geschichte, sich einen Beobachtungsvorrat zu gewinnen, über den sie sicher die Vergangenheit zu rekonstruieren versuchen, um gegebenenfalls zukünftige Entwicklungen vorherzusagen.
Ihre Sicherheit wird nicht anders als in der je gegenwärtigen Zirkularität durch eine Gemeinschaft von Beobachtern sanktioniert und für gültig gehalten. Entwicklung ist aus dieser Sicht eine Beobachtungsleistung in Raum und Zeit, die die Bewegung von Objekten oder Subjekten nachvollzieht, d.h. die sich diese Bewegung als möglichen Beobachtungsvorrat durch bestimmte Modi des Beobachtens erschließt. Solche Modi variieren sehr stark, seien es direkte Beobachtungen, Quellenstudien in Archiven, Rekonstruktionen in der Archäologie, Analogieschlüsse auf die menschliche Entwicklung in der Ethologie usw. Es ist offensichtlich, dass der Stand des Beobachters entscheidend in die Situierung der Raum-Zeit eingreift und den Fokus, die Trennschärfe der Unterscheidungen bestimmt. Es ist aber auch offensichtlich, dass hier die Raum-Zeit allein nie eine hinreichende Vorgabe der projektiven Fortschritte selbst sein kann, denn sonst bliebe am Ende sich alles gleich.
Die Kreativität der Vorstellungen für die Aktivierung von Beobachtungsvorräten wie auch für immer neue Modi der Beobachtung selbst scheint unbegrenzt. Diese Unbegrenztheit, die für die Beziehungen des Menschen selbst typisch ist, in denen sich zwar Muster, Konstanten und Wiederholungen zeigen, die aber je individuell variiert und gelebt werden, wird zur Notwendigkeit, den Beobachtungen selbst einen Entwicklungsmaßstab zu unterlegen. Entwicklung aber ist, konstruktivistisch gesehen, nur als offenes Beobachtungssystem möglich. Die Illusion eines Laplaceschen Dämons, der irgendwann einmal alle Bewegungen aller Körper nachzuzeichnen in der Lage wäre, würde bei ihrer Realisation das Ende von Geschichte anzeigen. Aus einer konstruktivistischen Logik der Beziehungswirklichkeit erweist sich dieser Wunsch aber gerade als Illusion, der uns bloß über den Verlust dinglich sicheren, eindeutig determinierten Wissens trösten soll. Dieser Verlust durchzieht wie ein Riss immer schon die Abarbeitung der Wirklichkeiten vom Mythos bis in den Logos der Moderne und die Verflüssigungen der Postmoderne.
Beobachter können im Blick auf den Kreis oder die Spirale zweierlei leisten: Sie können entweder das Bleibende im Prozess sich festhalten, jenes, das über die Unterschiede von Zeit und Raum hinaus als das Wiederkehrende im Prozess, in der Zirkularität selbst erscheint; sie können andererseits mehr Wert auf die Unterschiede, die Verschiebungen in der Zeit und im Raum legen, um Veränderungen in den Beziehungen aufzudecken, die menschliches Beobachten und Handeln leiten. Die Gefahr der ersten Position ist eine Dogmatisierung und Universalisierung bestimmter (zeitloser) Muster. Die Gefahr der zweiten eine kulturelle Fixierung eines Auf- oder Abstiegs, um sich selbst als letzten Punkt von Entwicklung oder Evolution zu bestimmen.
Es ist jeweils eine andere Beobachterperspektive, die zur Beobachtung und zur Erklärung ansetzt. Im ersten Fall zeigt schon unser Bild einen gewissen Wunsch nach Geschlossenheit, nach Ganzheit einer Sicht, die alles auf einen Raum-Zeit-Punkt verdichtet. Der Kreis ist hierfür ein traditionelles Symbol. Die Spirale hingegen mag mannigfach variiert werden, sie mag unten schmal sein und sich nach oben verbreitern, sie kann in kleinste Linien zerteilt, in Phasen gegliedert werden usw. Man mag mit ihr zwar auch der Illusion eines Anfangs oder eines Endes erliegen, aber diese selbst ragen aus den Zeit-Raum-Größen, die ein Beobachter in seinem Hier und Jetzt erreichen könnte, immer hinaus. Wo der Kreis die Ganzheit zu fassen scheint, da bleibt die Spirale uns als Bild ein Kontinuum, das Schritt für Schritt oder Stufe um Stufe gegangen werden kann. In beiden symbolischen Bildern kontrastieren damit auch die intuitive Konstruktion eines geschlossenen Ganzen und die eines stetigen Voranschreitens. Diese beiden Sichtweisen sind immer wieder typisch für menschliche Konstruktionen. Sehr oft greifen sie auch ineinander, wenn aus geschlossenen und in sich scheinbar schlüssigen Abbildern von Lebenswelt der Fortschritt der Welt beobachtet wird. Oder wenn umgekehrt aus dem Fortschritt auf eine unabänderliche Größe geschlossen wird, die in sich selbst zu ruhen scheint.
Wie immer, so haben auch hier die bildlichen Analogien ihre deutlichen Grenzen. Die zirkulären Bilder sollen nur illustrieren helfen, was sich als Denkvorgang vollzieht und in diesem sehr kompliziert ist. Stellen wir uns eine Biografie vor, so können Selbst- oder Fremdbeobachter in ihr perspektivisch entweder das bleibende Muster (was wiederholt sich?) oder die wichtigsten Sprünge (was hat sich wann deutlich verändert?) beobachten. In solchen Vorstellungen können die Beobachtungspositionen schnell wechseln, brüchig werden, widersprüchlich sein und in der Unmöglichkeit stehen, beides zugleich zu sein und nicht sein zu können. Es ist meine Hilflosigkeit diesen Möglichkeiten gegenüber, symbolische Bilder zu suchen, die den Fluss der Vorstellungen selbst symbolisieren helfen, obgleich dieser je nur nach dem beobachtet werden kann, was er in den jeweiligen Vorstellungen ist.


(2.6) Zirkularität und soziales Handeln

Raum und Zeit sind im Konstruktivismus nicht mehr grundsätzliche synthetische Urteile a priori, wie es noch Kant auffasste. Es muss auch erkannt werden, das die Bevorrechtigung von Raum und Zeit als Erkenntniskategorien ethnozentrische Auffassungen und Interessen der westlichen Moderne ausdrückt. Vor diesem Hintergrund bleiben Raum und Zeit dennoch allgemeine Beobachterkategorien, die jedwedes menschliche Handeln in unserem Kulturkreis zu erfassen scheinen. Wir müssen allerdings immer wieder im Vergleich zu anderen Kulturen lernen, dass dies eine idealtypische Konstruktion ist. Und es ist eine Konstruktion, die stets auch aufgelöst und erweitert werden muss.
Wie ist es mit dem Begriff des sozialen Handelns oder der sozialen Beziehung? Nach Max Weber (1973, 567 ff.) ist eine soziale Beziehung eine durch eine Rückbezüglichkeit von Subjekten charakterisierte Begegnung. Die Subjekte, mindestens zwei, beziehen zumindest ihr Handeln aufeinander. „Der Inhalt kann der allerverschiedenste sein: Kampf, Feindschaft, Geschlechtsliebe, Freundschaft, Pietät, Marktaustausch, ‚Erfüllung‘ oder ‚Umgehung‘ oder ‚Bruch‘ einer Vereinbarung, ökonomische oder erotische oder andre ‚Konkurrenz‘, ständische oder nationale oder Klassengemeinschaft ...“ (Ebd., 567) Bereits Weber erkennt den idealtypischen, dabei auch konstruierten Charakter einer solchen Definition. Und er markiert auch deutlich, dass ein solches Beobachtermodell keine Wertung einer „richtigen“ oder „falschen“ Beziehung aufstellen kann. Gleichwohl trägt die Komponente des Sozialen etwas Neues in die räumliche und zeitliche Perspektive hinein: Es ist die Sinnhaftigkeit, die bei Weber vorrangig erscheint. In das soziale Handeln treten wir ein, weil wir bereits Sinn voraussetzen und in ihn eingewoben sind. Dies bedingt für Weber im strikten Sinne eine Gegenseitigkeit: Es ist die Chance, sich überhaupt im Rahmen bestimmter Einstellungen und Erwartungen aufeinander beziehen zu können. Weber ist hier sehr weitsichtig und argumentiert im Grunde konsequent konstruktivistisch, da er schon die Rolle des Beobachters erkennt (ebd., 569).3 Wir als Betrachtende, so sagt er, urteilen immer erst, ob die Chance zu einer sozialen Beziehung vorliegt. Wir erreichen dies, sofern wir auf Wiederholungen, auf Muster achten, die wir dann als sozial klassifizieren. Dies wird dort offensichtlicher sein, wo es um gegenseitige Vereinbarungen geht, die rational – zweck- oder wertrational nach Weber – gefasst sind, aber Weber schließt bewusst die affektiven Beziehungen (z.B. erotische Verhältnisse) nicht aus.
Nun bleiben Webers Bestimmungen aber überwiegend im Symbolischen orientiert. Für ihn wird es geradezu zum Ausschlussgrund aus dem sozialen Handeln (ebd., 563), wenn z.B. ein kontemplatives, religiöses Sichselbstverhalten vorliegt. Daraus ergibt sich der allgemeine Bestimmungsgrund: „Nicht jede Art der Berührung von Menschen ist sozialen Charakters, sondern nur ein sinnhaft am Verhalten des andern orientiertes eignes Verhalten.“ (Ebd.) Zwei Beispiele zieht Weber zur Illustration heran:
Erstens: Wenn bei Beginn des Regens auf der Straße die Menschen die Regenschirme aufspannen, so ist ihr Handeln normalerweise nicht an dem des andern orientiert. Sie handeln mit Bezug auf eine objektive Welt (Natur: Regen).4
Zweitens: Das Handeln einer Masse, das bekanntermaßen Empfindungen und Leidenschaften von Menschen bis hin zur Hysterie steigern kann, entbehrt meistens der notwendigen sinnhaften Beziehung, um soziales Handeln zu sein. „Nicht am Verhalten des andern orientiert sich dies Handeln, sondern durch Beobachtung dieses Verhaltens hat der Handelnde bestimmte objektive Chancen kennengelernt und an diesen orientiert er sich. Sein Handeln ist kausal, nicht aber sinnhaft, durch fremdes Handeln bestimmt.“ (Ebd., 564) Wird aber fremdes Handeln, z.B. als Mode, nachgeahmt, so liegt in der Regel Sinnhaftigkeit (z.B. Orientierung an ständischem Verhalten) vor.
Webers Begründungen erscheinen aus der Sicht unserer konstruktivistischen Interaktionstheorie als zu begrenzt:

  • Da menschliches Zusammenleben als Beziehungswirklichkeit organisiert ist, erscheint die Behauptung eines Sichselbstverhaltens ohne Rückkopplung mit anderen Menschen als bloße Fiktion. Selbst wenn solche Fiktionen durchgespielt werden, wie in der Robinsonade, taucht immer auf der imaginären Ebene ein anderer auf.
  • Sinnhaftigkeit orientiert das Handeln auf ein symbolisches Ordnungssystem. Zwar anerkennt Weber hierbei durchaus die vorhergehende Leistung des Beobachters, aber er unterstellt eine Einsicht in den Sinn des Handelns, der sehr stark von ihm – dem Fremd- oder Außenbeobachter – gedeutet wird. Das Beobachtermodell muss sich aber mindestens nach Fremd- und Selbstbeobachter differenzieren: Was dem einen von außen als Sinn auffällt, mag dem anderen Beobachter als sinnlos erscheinen. Das Beispiel der Regenschirme ist hier augenfällig: Für die Selbstbeobachter erscheint eine natürliche Tatsache, der Regen, als Ausgangspunkt ihrer Handlungen. Ein Fremdbeobachter aus einem anderen Kulturkreis wird hierbei aber durchaus einen gemeinschaftlichen Sinn erkennen können – besonders wenn ihm Regenschirme fremd sind. Der Regenschirm als Kulturprodukt ist ein Konstrukt sozialen Sinns für einen solchen Beobachter. Das zweite Beispiel macht dies noch deutlicher. Eine Massenhysterie mag den Selbstbeobachtern bloß als Ausdruck einer Massenbedingtheit, nicht aber als Ausdruck eines Sinnes erscheinen. Ein Fremdbeobachter, der jedoch Massenphänomene etwa des Faschismus studiert hat, wird hier immer einen hintergründigen Sinn erkennen und diesen als soziales Handeln deuten können.
  • Die Sinnhaftigkeit erweist sich damit als Beobachterkategorie und als ein sehr unscharfes Unternehmen, wenn wir soziales Handeln etwa von anderen Handlungen abgrenzen wollen. Fremd- und Selbstbeobachter müssen hierbei deutlich unterschieden werden. Aber auch in diesen Beobachtern liegen Unterscheidungen, die bereits für soziales Handeln relevant sind, wenn dieses Handeln als rückbezüglich aufgefasst wird. Dies wird durch das Interaktionsmodell Meads sehr klar herausgearbeitet. Hier erhalten wir in der Spannung von „I“ und „Me“ zusätzliche Beobachterkategorien, um auch die innere Seite des Verhaltens als soziale Handlung zu problematisieren. Bereits der Entwurf, die Perspektive auf ein Handeln hin, auch schon die Ambivalenz vor einer Handlung, sind in der Spannung von „I“ und „Me“ auf eine Rückbezüglichkeit mit einem symbolisch Anderen orientiert. Sie erscheinen als Voraussetzungen sozialen Handelns.
  • Hinzu treten aber neben den symbolischen Sinn von Deutungen die imaginären Bestandteile der Beziehung. Sie sind nicht mehr nach Sinnhaftigkeit beschreibbar, sondern erweitern das Beobachterfeld erheblich. In der Imagination wird ein anderer in mein Begehren gestellt. Und da dies immer wechselseitig geschieht, entstehen gerade hier Chancen wie Grenzen einer gegenseitigen Handlung. So dunkel auch im einzelnen die Handlungsmotive in diesem Feld bleiben mögen, so klar motivieren sie die sozialen Begegnungen.

Damit wird deutlich, dass der Begriff des sozialen Handelns aus konstruktivistischer Sicht weiter gefasst werden muss, als es uns Weber vorgibt. Wie aber steht es dann mit den Bestimmungsgründen sozialen Handelns, die Weber vorschlägt?
Vier Bestimmungsgründe liegen nach Weber vor (ebd., 565 f.). Soziales Handeln ist
(1) zweckrational, wenn eigene Zwecke und Interessen in den Vordergrund rücken; hier wird das Handeln an Zwecken, Mitteln und Nebenfolgen orientiert, wobei ein rationales Abwägen der Vor- und Nachteile bestimmend wird;
(2) wertrational, wenn aufgrund von Überzeugungen und wertbezogenen Einstellungen (z.B. Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung usw.) gehandelt wird; dabei steht ein persönlicher Erfolg nicht zur Disposition, sondern das Handeln erfolgt nach Geboten, die sich auch streng gegen den Handelnden selbst richten können;
(3) affektuell, wenn insbesondere emotional im Rahmen aktueller Gefühlslagen und Affekte gehandelt wird; hier sind oft äußere Reize der direkte Ausgangspunkt einer Handlung; affektuelle Handlungen befriedigen – oft gegen jede Vernunft einer planvollen Handlung – den Rausch der Gegenwart z.B. als aktuelle Rache, Hingabe, Genuss, kontemplative Seligkeit oder Abreaktion aktueller Affekte;
(4) traditional, wenn das Handeln auf Gewohnheiten beruht, wie es für das Handeln der Masse typisch zu sein scheint.
In diesen Typen organisiert sich nach Weber soziales Handeln. Allerdings verbleiben Menschen kaum je in einem Typus, sondern wechseln je nach Situation die Typen häufiger.
Diese Typenlehre ist ein interessantes Beobachterkonstrukt, das als Konstrukt bereits eine Beurteilung sozialer Handlungen vornimmt. Die Unterscheidung von Zweck- und Wertrationalität ist dabei ein problematischer Punkt, der wiederum durch die Einführung eines Fremd- und Selbstbeobachters hinterfragt werden kann. Was Weber sagen will, das ist aus der Position der Selbstbeobachter recht schnell nachzuvollziehen. In der Selbstbeobachtung erkennen wir Handlungen geringerer und höherer Wertigkeit. Aber diese Selbstbeschreibung bleibt meist vordergründig, sofern wir nicht einen weiteren Beobachter einführen, der uns im Blick auf unser Handeln unsere Gewohnheit dieser Unterscheidung verstört. Können es nicht gerade die höherwertig scheinenden wertrationalen Handlungen sein, die sich als besonders zweckrational erweisen? Wie oft wurde menschliches Handeln als wertrational charakterisiert, um die Interessen und Zwecke bestimmter Menschengruppen durchzusetzen? Oder nehmen wir einen anderen Punkt. Ist das traditionale Handeln nicht bereits in jedem Zweck- und Werthandeln dadurch eingeschlossen, dass Gewohnheiten überhaupt jegliche Handlung strukturieren? Wer beobachtet hier was?
Um den Selbst- und Fremdbeobachtern auch im Blick auf soziale – zugegebenermaßen sehr unscharfe – Handlungen offene Beobachterkategorien an die Hand zu geben, weist der interaktionistische Konstruktivismus vorrangig drei Beobachtungsebenen aus:

  • Symbolisch: Beziehungen sind grundsätzlich zirkulär und damit auf Gegenseitigkeit in all ihren Formen ausgerichtet; sie drücken sich symbolisch sehr unterschiedlich aus, aber ein notwendiger Ausdruck im Blick auf das gesellschaftliche Interagieren ist das soziale Handeln. Deshalb ist alle Konstruktion von Wirklichkeit immer auch eine soziale Konstruktion von Wirklichkeit. Diese Aussage wird gemacht, weil Beziehungswirklichkeiten immer den Rahmen menschlicher Lebensformen bilden und als Rahmen stets eine soziale Komponente tragen. Es ist aus symbolischer Sicht unzweifelhaft, dass weitere Komponenten hinzugefügt werden können. Dies hängt ganz von den Vorlieben der Beobachter ab. Allerdings müssen sie bei allen anderen Vorlieben den sozialen Rahmen stets beachten, wenn sie den interaktiven Charakter menschlicher Verhältnisse und Verhaltensweisen nicht unterschlagen wollen.
  • Imaginär: Beziehungen tragen nicht nur eine emotionale Seite neben Rationalität und Gewohnheit, sondern sind mit diesen oder anderen vorstellbaren symbolisch festgehaltenen Perspektiven immer notwendig imaginär verknüpft. Das Imaginäre orientiert sich zwar auch an Sachen und Sprachen, aber es ist im wesentlichen durch Rückbezüglichkeit auf andere Menschen bestimmt. Insoweit sind imaginäre Prozesse zutiefst Bestandteil sozialer Handlungen. Die hier herrschende Sprachmauer (vgl. Band 1, Kapitel II.3.5) erscheint als eine wesentliche Bedingung der (Un-)Möglichkeit sozialer Beziehungen. In alle sozialen Konstruktionen von Wirklichkeit gehen immer imaginäre Kräfte und Prozeduren ein. Insofern sollten Beobachter das Imaginäre als Ausdruck sozialer Beziehungen stets im Blick behalten.
  • Real: Beziehungen erscheinen in einer re/de/konstruierten Wirklichkeit, die als Wirklichkeit nicht aufgeht. Es ist die Falle unserer symbolischen und imaginären Beobachtungen, dass sie nie vollständig und hinreichend sein können. Das Reale macht sich als Überraschung, als Staunen, als Fremdartigkeit usw. geltend. Diese Geltung aber ist nun gerade in sozialen Beziehungen immer wieder von Beobachtern festgestellt worden. Wenn wir schnell zur Tagesordnung übergehen, dann typisieren wir im symbolischen System. Wir schaffen Ordnung und beruhigen das Reale. Aber wir können es so nicht bezwingen. Weder erfahren wir so hinreichend seine Tiefenwirkung (haben wir hinreichend erfasst, was nicht zu verstehen war?) noch hindern wir seine Wiederkehr (haben wir unsere Theorie so gefasst, dass sie alles erklären soll? – dann erscheint das Reale als Praxisferne dieser abstrakten Theorie). Wir sollten dem Erscheinen des Realen in der Konstruktion von Wirklichkeiten nicht nur eine Leerstelle, sondern eine hohe Bedeutung zukommen lassen. Deshalb sollten wir vorschnelle symbolische Verallgemeinerungen vermeiden und die Begrenztheit unserer Argumentationen stets thematisieren.

Als interaktionistisch-konstruktive Beobachter und Re/De/Konstrukteure von Wirklichkeiten entkommen wir den sozialen Verhältnissen unserer Zeit nicht. Der Konstruktivismus wird deshalb von mir auch als ein Zeitprodukt verstanden. Was ich hier in Abgrenzung zu Weber aussagen will, das ist, dass wir erkenntniskritisch besonders vorsichtig vorgehen müssen. Unsere Beobachtungen müssen weit und offen genug bleiben. Gleichwohl können diese Beobachtungen mit Typisierungen gefüllt werden, die z.B. das Programm von Weber – wenn auch mit kritischer Intention5– aufnehmen. Es muss nur deutlich bleiben, dass der Beobachtungsrahmen selbst die Falle setzt, in der der Beobachter mit seinen Beobachtungsmöglichkeiten dann sitzt.
Wenden wir uns wissenschaftlichen Vorstellungen zu, so ist es mir wichtig, noch einmal auf Unterschiede zwischen der Beobachtungswelt im engeren Sinne und der Beobachtung von Beziehungswirklichkeit zurückzukommen. Für die Beobachtungswirklichkeit von Dingen oder Personen, die möglichst eindeutig beobachtet werden, ist eine kausale Theoriebildung Voraussetzung für exakte Beschreibung. Solche Theoriebildung kann sehr weitreichend sein und sich durchaus bis hin in die Rekonstruktion großer Spiralen oder systemischer Muster wagen, auch wenn diese an ihren Anfangs- und Endpunkten immer in nebulösen Spekulationen der Unschärfe enden werden. Die Beziehungswirklichkeit scheint hingegen eher im Hier und Jetzt zum jeweiligen Beobachtungsmoment zu werden. Dies ist zumindest immer der Ausgangspunkt einer Therapie. Im Rahmen des therapeutischen Prozesses selbst jedoch können rekonstruktive Momente dann als verschiedene Beobachterperspektiven das Hier und Jetzt selbst unter immer neuen Blickwinkeln erscheinen lassen. Seit die Psychoanalyse das psychologisierende Bewusstsein im Hinblick auf mögliche Fortwirkungen von psychischen Ereignissen geschärft hat, wird sich niemand dem besonderen Fokus verweigern können, der durch die reflexive Durcharbeitung von Erinnerungen als Beobachtungsmöglichkeit besteht. Allerdings mag die Wirksamkeit solcher Spurensuche durchaus unterschiedlich interpretiert werden. Es ist eine je aktuelle Rekonstruktion eines je gegenwärtigen Beobachters, der nicht um unabhängige und außer ihm liegende Wahrheit streitet, sondern für sich zur Konstruktion seiner Wahrheit im Moment des Beobachtens selbst kommt. Genau dieser Vorgang aber kann die eigentliche Entlastung im therapeutischen Prozess bringen – wie unterschiedlich auch der Weg der Rationalisierung dieses Vorgangs selbst gelagert und begründet sein mag. Hier wird verständlich, weshalb alle möglichen, unterschiedlichen Formen von Therapie, seien es schamanistische Praktiken, psychoanalytische Rekursionen, psychodramatische Eskalationen, paradoxe Interventionen oder systemische Blickweisen usw. ihren Erfolg oder Misserfolg in der aktuellen Re/Konstruktion erweisen. Für ihren Erfolg benötigen sie eine beobachtende Instanz im Individuum, das sich selbst als Erklärung in den Beobachtungen setzt – und dies nicht nur im rational-distanzierenden Blick, sondern vor allem im Gefühl –, das die Leid verursachende Perspektive wechseln kann, um durch einen veränderten Fokus oder einen veränderten Bereich des Schauens zu einer neuen Verarbeitung seiner imaginativen Kräfte und vermittelter symbolischer Lösungen zu gelangen.
Wenn ich hier zunächst die Imagination betone, so bedeutet dies keineswegs die Leugnung realer Verhältnisse, so wie sie weiter oben bereits für die Beobachtungswirklichkeit im engeren Sinne diskutiert wurden und weiter unten noch differenziert werden sollen. Lebensumstände können alle Perspektiven verengen oder erweitern, sie können sie bis zum Auslöschen bringen. Aber es bleiben Perspektiven, so lange der Mensch lebt und seine Imagination ihn anregt, sich zu rühren. Deshalb erscheinen gerade dem in Bedrängnis durch die Übermacht der Umwelt oder übermächtige Gegner stehenden Menschen nicht selten Visionen von einer anderen Welt, Projektionen auf ein neues Sein, dessen Entwurf selbst schon den Willen nach Veränderung bekundet und anderen Menschen in anderen Situationen zum Ansporn werden kann.
Es ist also immer ein Wechselspiel in den Beziehungen, die sich nicht nur imaginativ vermitteln, sondern an (reale oder virtuelle) Umstände geknüpft sind, deren Negation sie zugleich durch die in ihnen wohnenden Kräfte sein können. So sind Beziehungen insbesondere so lange lebendig, wie Imaginationen in ihnen leben, Fantasien nicht ausgelöscht und vernichtet sind, das Projektive im Menschen lebt.


(2.7) Das Netz der Entwicklung von Zirkeln in der Lebenswelt

Solche Entwicklungen, die immer Entwicklung von Beobachterperspektiven hierüber sind, erscheinen wie ein Netz miteinander verwoben, in oft unerkannten Bezügen miteinander vermittelt und unsichtbar verwickelt, ein Kontext, der das Leben der Menschen überall auf der Erde immer dichter umspannt. Die Brücken durch Zeit und Raum sind auf dem Planeten Erde dichter geworden, die Zivilisierung des Planeten hat dazu geführt, dass der virtuelle Kitt zwischen den unbeteiligten Zirkeln in der Entwicklung von menschlichen Beziehungen aufmerksamen Beobachtern wie ein zeitliches, räumliches und soziales Netzwerk erscheint, das sich vermittelnd durch alle Individuen hindurchzieht.

These 13: Beziehungen werden zunehmend mehr aus dem Raum ihrer persönlichen Interaktion in eine allgemeine Kommunikation gedrängt, aus der Zeit ihrer Intimität in die Öffentlichkeit geworfen, aus der sozialen Spanne ihrer engeren Bezugspunkte in ein Netz von Weltbezügen gestellt.

Wir haben eine gemeinsame Zeit, ein gemeinsames Zeitalter entwickelt, dessen symbolische Konstruktion sich in materiellen Werten und gesellschaftlichen Institutionen niedergeschlagen hat, die die Vorstellungskräfte der Individuen im Rahmen des zivilisatorisch entwickelten Variantenreichtums regeln. Gleichwohl ist solche Regelung in Teilen widersprüchlich und offen, da in ihr die ausschließliche Geltung eines absoluten Eins abgenommen hat, hingegen die Variationen der vielen Auchs – allerdings im Rahmen des Eins der kapitalistischen Wirtschaftsweise – dominant geworden sind. Insoweit handelt es sich um eine offene, multikulturelle Gesellschaft in relativ geschlossenen Strukturen. Aber diese Geschlossenheit kann nicht mehr in einer universalisierenden Weise beschrieben werden, da sie selbst widersprüchlichen Veränderungen unterliegt (vgl. dazu genauer Kapitel IV). Sie setzt als konstruktiver Rahmen aber nicht die Beobachtungen in determinierter Konstruktivität fest. Diese variieren bis zur aggressiven Gegensätzlichkeit in den Beobachtungsvorräten und in den Modi der Beobachtung bzw. in Handlungsmodi, die aus den Beziehungsgeflechten entstehen und in diesen variieren. Dies ist das Wesen der neuen Unübersichtlichkeit, die die Möglichkeiten von Beobachtung vervielfältigt, ermöglicht und zugleich erschlägt. Vermittelt durch den virtuellen Kitt historischer und gesellschaftlicher Entwicklung haben sich symbolische Institutionen geformt, die nach ständiger materieller und ideeller Umsetzung und Reproduktion suchen. So gibt es ein Netz von Produzenten und Konsumenten, die einander nicht kennen und dennoch die gleichen Spielregeln in ihren Imaginationen, in ihren symbolischen Praktiken, Routinen und Institutionen benötigen, damit das symbolische Konstrukt und reale Ereignis von Gesellschaft funktioniert. Gäbe es keinen Menschen, der dem Papier mit dem Symbol des Geldes eine Tauschbedeutung beimessen und an die Objektivität dieser Bedeutung glauben würde, dann wären die Ware-Geld-Beziehungen unmöglich, auf denen der Kapitalismus basiert. Es gehört zu den Reproduktionsmechanismen der Moderne und zu ihrem Fortwirken in der Postmoderne, dass sie ihre eigene Funktionalität wie ein Naturgesetz an die nachfolgende Generation übermittelt, sich ständig hierin erprobt und vergewissert, dabei Märkte und Bürokratien produziert, die sie zur Sicherung ihrer symbolischen und imaginativen Modi und Beobachtungsvorräte ständig konsumieren muss, um einen systemischen Sinn des Lebens zu konstruieren. Wer (als bisheriger Teilnehmer und es gibt auf der Welt kaum Völker, die hier noch keine Teilnehmer sind) aus diesem System aussteigt, der verrückt die Grundlagen des Lebens und wird mit Ausschließung bestraft. Das Netz selbst ist mittels aller Beobachter eine Verallgemeinerung, die wie das Geld sich gegen alles tauscht, was erreichbar ist. Es füllt die Imaginationen mit den allgemeinsten Plätzen des Lebens, an die sich die Besonderheiten der individuellen Wünsche heften können. Es ist dies weniger die List einer Vernunft, wie Hegel mutmaßte, sondern die List einer Beobachtungswelt, eine parasitäre Welt (vgl. Serres 1987), deren Imaginationen sich verallgemeinern und funktionalisieren, deren Imaginationen zu Gegenständen und Ereignissen gerinnen, die selbst wieder in den Zirkel des Imaginativen eintreten. Darin erscheint eine Wiederkehr des ewig Gleichen als Wiederkehr des Beobachtens eigener Entwürfe und Selbstverwirklichungen als Wirklichkeiten der Anderen, des Anderen, der Geschichte, des Materialismus, des schon gespannten Netzes von Wirklichkeiten.


(2.8) Die Unmöglichkeit, sich nicht zu beteiligen

Dabei mag es noch so scheinen, als könne es eine unbeteiligte Entwicklung geben, die wie ein unbeteiligter Beziehungszirkel – Leute, die man nicht kennt und die es massenhaft gibt – neben dem eigenen Leben existiert. Hier jedoch machen sich die symbolischen Kolonialisierungen eines Kapitalismus mit immer neuen Märkten und auch der virtuelle Kitt geltend, wobei beide in alle Poren der Entwicklung selbst eindringen. Gleichzeitig realisiert sich die je vorhandene Beziehungswirklichkeit in Materialisierungen, die eine eigene Dynamik entfalten, die über die engeren Beziehungen hinausreicht: Architektur, Verkehr, Industrie überschreiten die Grenzen ebenso wie die Wellen der Massenmedien alle geografischen Hindernisse, die Tauschakte der Geld- und Warenmärkte alle unterschiedlichen Sprachen usw. Längst ist es nicht möglich, nicht an irgendeiner Entwicklung teilzunehmen. Man kann sie verdrängen, begrenzt vermeiden, wird ihr am Ende aber irgendwo immer ausgeliefert sein. Das Netz der Institutionalisierungen und Virtualisierungen hat sich um den gesamten Planeten geschlungen und wird immer enger gezogen. Die Fluchtlinien sind begrenzt, die konstruktiven Auswege stoßen an die Rekonstruktionen, d.h. die schon errichteten Wege und realisierten Vermittlungen. Damit scheinen die Beobachtungen funktionalisiert, und man hört von Beobachtern immer häufiger von der Vorgegebenheit des Beobachtungsvorrates und der Ausweglosigkeit neuer Perspektiven.

These 14: Konkrete Beziehungen werden von Individuen in relativ engen zeitlichen, räumlichen und sozialen Perspektiven realisiert, aber sie unterliegen zunehmend einem Beziehungsdruck durch die Vermarktung, Kapitalisierung, virtuelle Vernetzung von Wirklichkeiten, so dass ihre Enge verunsichert wird.

Auch konstruktivistisch sind wir gewarnt, nicht nur die engeren Zirkel der Beziehung zu beobachten, wenn wir erkennen müssen, dass es keine unbeteiligte Entwicklung gibt. Es bleibt uns als Beobachter dennoch vorbehalten, zunächst einmal unsere Beziehungen so zu führen, dass wir die Erfahrungen historischer, kultureller, sozialer Entwicklung für uns interpretieren. Aus solcher kulturbezogenen Interpretation erwächst uns eine Ethik, die beobachtend unser Handeln anleiten kann. Mit ihr aber stehen wir in dem Dilemma, doch wieder eine Grenze des Unbeteilgt-Seins errichten zu müssen, weil uns das Ganze der Entwicklung in unseren Beobachtungsmöglichkeiten überfordert. Konstruktivistisch wird es unsere Aufgabe sein, keine neue, überhöhende Philosophie über dieses Dilemma zu errichten und uns damit in die Heideggersche Perspektive eines Gegensatzes subjektiven Daseins oder mächtigen, objektiven Seins zu begeben und dies von uns zu abstrahieren; vielmehr wird es für uns zum paradoxen Grenzgang, unbeteiligte Entwicklung zu leugnen, weil wir in allen Re/De/Konstruktionen beteiligt sind, zugleich aber nicht an allem beteiligt sein können. Dabei erscheinen wir z.B. als mehrfach gespalten:

  • historisch, weil Menschen immer schon unterschiedlich an Entwicklung beteiligt waren;
  • sozial, weil sie unterschiedlich an den Reichtümern der Welt beteiligt sind;
  • kulturell, weil Menschen je nach Lebenskreis unterschiedlich die Welt erleben und bewältigen;
  • wissenschaftlich, weil sie sich unterschiedlich spezialisieren und den Fokus verengen, um weiter zu sehen;
  • individuell, weil ein menschliches Leben und Wissen gegenüber dem der Menschheit begrenzt ist.

In der Ausgrenzung des Unbeteiligtseins werden wir als Herausforderung einer konstruktivistischen Ethik aus meiner Sicht lernen müssen, unserem Gefühl, dass es da noch mehr gibt, dass wir nur einen Zipfel erfasst haben, dass wir bisher wenig begreifen konnten von den verwickelten Beteiligungen, die wir uns aufgeladen haben, stärker nachzugeben. Die Voreiligkeit, alles zu tun, was wir gerade können, alles zu produzieren, wonach uns der Sinn steht, müssen wir kritisch werten. Immer sollten wir fragen, was diese Voreiligkeit außerhalb der direkten Bedürfnisbefriedung, außerhalb unseres nach schneller Befriedigung schreienden Beteiligungskreises, anrichtet. Unser größtes Problem hierbei ist es jedoch, dass dieses Wir, das wir noch aus der Aufklärung als eine allgemeine Vernunft erinnern, heute zerfallen ist und damit meine Aussage in die vielen Wirs und unterschiedlichen Interessen und Perspektiven zerfällt, die alle Wirs als Freiheit genießen können bis sie sich gegenseitig ihrer Freiheiten durch neue Besitzstände und das Anwachsen von Unbefriedigtseins entledigen. Insoweit ist mein Wir bereits fiktiv und in Gegensätzlichkeit zerfallen.


(2.9) Dekonstruktion der Zirkularität

Das Bild des Zirkels symbolisiert ein Eins, eine Einheit oder Ganzheit, die ein Beobachter sich als Muster eines Prozesses erschließt. Ihr stehen viele Auchs gegenüber. Solche Auchs sind Beobachterperspektiven, die durch die Sicht auf eine Zirkularität selbst eingeschränkt werden. Dabei nimmt die Neigung zu vereinfachenden Mustern zu, je komplexer singuläre Ereignisse in Beziehungen sind. Es erscheint ein Druck der Vereinfachung, um als effektive Lösung zu gelten. Handlungen sind als komplexe Vorgänge mit vielen Wenns und Auchs nicht umsetzbar, d.h. sie sind schwer beobachtbar, und man kann nicht hinreichend über diese Beobachtungen sprechen. Insoweit sind Texte wie die „Ordnung der Blicke“ eine Zumutung.
Die Vereinfachung geschieht meist in zwei Richtungen:
Erstens besteht die Neigung, auch schon das Muster der Zirkularität aufzulösen und in lauter Einzelstrecken zu zerlegen und diese für meine Beobachtungen zu vergrößern. Dies Verfahren erzeugt dann Stückwerke, zerstückelt den Beziehungskontext, um handlungsfähig zu machen. So werden in Familien z.B. immer dieselben Geschichten aus der imaginären oder symbolischen Familienchronik unter die Lupe genommen und bei entsprechenden Anlässen kontinuierlich reproduziert, um so in das erinnerte Inventar von wünschenswerten oder unerwünschten Eigenschaften eingeschrieben zu werden.
Zweitens wird das Muster selbst auf bestimmte Brenn- oder Knotenpunkte hin vereinfacht. Wenn Ehepaare sich z.B. scheiden lassen, dann geschieht dies oft nach einem solchen Muster. Dort, wo früher in dieser Beziehung mannigfaltige Komplexität von wechselseitigen Wahrnehmungen in der Beziehungswirklichkeit möglich war, reduziert sich nunmehr alles auf einfache Zuschreibungen, um die Trennung als effektiv zu erleben. Dann stehen einzelne Ereignisse für den verspürten gegenwärtigen Hass und werden in der Wahrnehmung umcodiert. Die Auchs werden durch das Eins regiert. Ehemalige Freunde des Paares erkennen in den Zuschreibungen kaum das gelebte Muster wieder, an das sie sich als Außenstehende erinnern. Liebe schlägt in Hass um, um so die Vereinfachung durchzuführen, die die Trennung beschleunigt. So muss der Wirklichkeit dieser Beziehung Gewalt angetan werden, weil sie bloß ein Konstrukt ist: Wäre sie ein vollständiges Abbild von Wirklichkeit (im objektiven Sinne), so wäre sie nicht so „leicht“ zu lösen. Nicht dass es je vollständige Abbilder gegeben hätte, aber heute sind auch die Illusionen über die Möglichkeit und den Sinn eines solchen Konstruktes schneller verschwunden.
Die Auchs erscheinen überall, wo es vielseitig blickende Beobachter gibt. Sie sind  in den Beobachtervorgaben und den Beobachterpositionen enthalten, die sich im Blick auf die Beziehung als einem wechselseitigen Prozess des sich Beziehens eingenommen werden können.
Könnten wir nicht einen gänzlich neuen Begriff schaffen, um uns aus alten Bildern zu lösen? Der Kreis und die Spirale sind mythisch und wissenschaftsgeschichtlich besetzt und belastet. Aber welchen Sinn sollte ein neuer Kunstbegriff haben, wenn wir an die alten Sichtweisen anknüpfen? Und welches Bild sollte besser für die Rückkopplungen in Beziehungen stehen als eine runde Form, die sowohl die Dynamik des Prozesses als auch die relative Geschlossenheit des Beziehens selbst ausdrückt? Denken wir uns diesen Zirkel in sehr starker Vergrößerung, dann wird er uns zur Linie, die bis in die Gegenwart das kausale Denken dominiert. Denken wir die Kausalität weiter, dann fällt sie in einen Zirkel zurück, der – wenn auch oft nur imaginativ – unseren Wunsch nach einem Blick auf das Ganze oder eine Schau des Gesamten befriedigt.
Das Bild des Zirkels ist für mich bloß ein Hilfskonstrukt, etwas zu verbildlichen, was wir in konkreten Fassungen unseres Alltagslebens intuitiv bestens kennen. Der folgende Abschnitt soll dazu dienen, uns dieses Selbstverständnis von Beobachtungen im Blick auf Möglichkeiten der Metakommunikation näher zu verdeutlichen und zu verunsichern.

 

2.3.3. Metakommunikation

Wenn wir uns als Selbst- oder Fremdbeobachter mit Kommunikation beschäftigen, dann erscheinen zwei wesentliche Sichtweisen: Einerseits eine Kommunikation, in der inhaltlich und symbolisch Daten übermittelt werden, andererseits eine beziehungsmäßige Kommunikation, in der vor allem körpersprachlich Botschaften gesendet werden, wie gestische und mimische Annahme, Ablehnung, Entwertung. Nach Bateson oder Watzlawick sind aus dieser Zweiteilung heraus alle Informationen, die zwischen Menschen ausgetauscht werden, verdoppelt. Will man sich nur über die inhaltliche Seite verständigen und lässt alle beziehungsmäßigen Botschaften beiseite, dann kommuniziert man. Will man hingegen über die Art und den Typus solcher Kommunikation selbst kommunizieren, sich also damit beschäftigen, wie etwas auf mich und den Anderen wirkt, vor allem, welche die Beziehung betreffenden Anteile angesprochen sind, dann entsteht eine sogenannte Metakommunikation, die letztlich die Kommunikation überhaupt bestimmt. Dabei tauschen Sender und Empfänger keine Inhalte aus, die unabhängig von ihrer Beziehung gesehen werden, sondern thematisieren ihr Verhältnis (z.B. als Sender und Empfänger) direkt. Sie anerkennen, dass sie eine Beziehung haben, die z.B. in ihrer Körpersprache, im Tonfall, in Gefühlen und Empfindungen usw. erscheint.
Aber worin liegt für Bateson und Watzlawick die Priorität der Metakommunikation? Warum soll die Beziehungsebene vor jeglicher Inhaltsebene einen Vorrang haben? Sie können und wollen dies nicht logisch behaupten (vgl. Watzlawick 1985a, 56), sondern folgern dies aus einem pragmatischen Interesse: Weil wir denken, dass wir uns so erleben, weil wir meinen, dass die Menschen so und so handeln, nehmen wir an, dass dies sich als grundlegend für die Kommunikation überhaupt erweist. Hier wird eine Viabilität unterstellt, die sich im pragmatischen Gebrauch in Beziehungen zu bewähren hat.
Im interaktionistischen Konstruktivismus wähle ich ein anderes Modell zur Beschreibung der Metakommunikation (vgl. Reich 2005, 60 f.). Zunächst ist eine bevorzugte Sicht auf die Beziehungswirklichkeit durchaus in meinem Sinne. Gerade in den bisherigen Abschnitten dieses Kapitels habe ich immer wieder darauf verwiesen, inwieweit Kommunikation durch Beziehungen bestimmt ist und welche Unschärfen und Deutungsbreiten hierbei auftreten. Wenn wir hier unsere Kommunikation selbst problematisieren wollen, dann erscheint eine Metakommunikation gerade darüber, wie wir kommunizieren, als ausschlaggebend. Für eine solche metakommunikative Betrachtung können wir auch gezielt die bisher analysierten Beziehungsmerkmale einsetzen. Stimmt etwas auf der Beziehungsebene nicht, dann sollte ich es klären, bevor ich inhaltlich weiter diskutiere, weil der Beziehungskonflikt sonst in die Inhalte unnötig hineinprojiziert und transportiert wird. Insoweit hat die Metakommunikation ein Vorrecht vor jeder anderen Kommunikation.
Aber hier ist eine wesentliche Einschränkung zu machen. Die Kommunikation über Kommunikation im Sinne des Meta stellt keine logische Prioritätssetzung der Metaebene auf, wie schon weiter oben argumentiert wurde. Würde ich diese behaupten, dann kämen wir letztlich zu einem besseren Beobachter, der uns seine „wahrere“ Wirklichkeit konstruieren könnte, weil er nicht nur in einer Kommunikation steckt, sondern über eine Kommunikation metabezogen urteilt. In ihm würde ich einen neutralen Schiedsrichter aufrichten, der hinreichend wissen müsste, wie Kommunikation sinnvoll und angemessen beschaffen sein müsste. Genau diese Haltung eines möglichen letzten oder universal gerechten Schiedsrichters aber gibt der Konstruktivismus auf, weil es nie Schiedsrichter ohne eigene Interessen oder wertende Konstruktionen gibt. Konstruktivisten argumentieren so paradox, dass sie universale Allsätze verweigern, indem sie den Allsatz „Es gibt nicht …“aufstellen. Und dies ist logisch für sie eben deshalb nicht problematisch, weil es für sie nicht einmal mehr ein Allsatz ist. Deshalb mögen sich auch nur diejenigen aufregen, die an Allsätze noch glauben. Für Konstruktivisten ist es nur ein Satz, der so lange Sinn macht, wie er für Konstruktivisten viabel sein kann. Für Konstruktivisten kann deshalb Metakommunikation auch nur die Beschreibung einer Kommunikation aus einer je anderen Perspektive sein, wobei diese Perspektive aus der Sicht von Selbst- und Fremdbeobachtern vollzogen wird. Die Pointe solcher Metakommunikation in Beziehungen ist, dass sich die Selbstbeobachter immer auch in die Fremdbeobachterposition hineinzuversetzen versuchen, um ihre engere kommunikative Perspektive zu erweitern und nach Möglichkeit zu verändern.
Die Grundidee der Metakommunikation als Kommunikation über Beziehungen ist für Beziehungen sehr wichtig. Aber sie sollte uns nicht übersehen machen, dass Metakommunikation als versprachlichter Vorgang gewiss nicht nur für die Besprechung von Beziehungen gelten kann, sondern auch für alle Inhalte einen Sinn macht.
Was könnte dies für die Definition der Metakommunikation näher bedeuten? Ihre Aufgabe erscheint mir als eine doppelte: Einerseits dient sie der Kommunikation über Beziehungen, andererseits der Kommunikation über Inhalte, indem sie aus dem inhaltlichen Rahmen als neue Beobachterperspektive heraustritt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass es nie eine Inhaltskommunikation ohne Beziehungen (Spiegelungen und Anerkennungen) gibt. Insoweit wird es immer wieder erforderlich sein, vorrangig Beziehungskommunikation zu betreiben.
Das folgende Modell soll einige ausgewählte Thesen zur Metakommunikation zusammenfassen (vgl. auch Reich 2005, 61). Die mit diesem Modell vorgestellte Umdefinition und Erweiterung der herkömmlichen Auffassung bei Bateson oder Watzlawick bedeutet nicht, dass ich, immer dann, wenn wir zwischenmenschliche Aspekte einer Kommunikation beachten, die Perspektive einer notwendigen Beziehungskommunikation aufgeben will. Ihr zur Seite tritt jedoch eine Metakommunikation im inhaltlichen Bereich, die für die Erkenntniskritik und alle Wissenschaften zunehmend wichtiger geworden ist. Selbst auf den inhaltlichen Inseln, selbst im Theorienstrom, der von Beziehungen angetrieben wird und auf sie zurückwirkt, gibt es keine ausgemachte Ordnung, die nicht selbst hinterfragt oder von anderer Beobachterseite verworfen werden kann. Inhaltliche Metakommunikation ist daher sehr wichtig, wenn wir die Konstruktivität von Erkenntnissen diskutieren wollen. Daher verwende ich im interaktionistischen Konstruktivismus den Begriff Metakommunikation entweder als inhaltliche Metakommunikation oder als Beziehungskommunikation.

 

Inhaltliche Metakommunikation

Beziehungskommunikation
(beziehungsmäßige Metakommunikation)

Inhalte weisen sehr unterschiedliche Abstraktionsgrade auf: vom Konkreten zum Abstrakten, vom Sinnlichen zum Übersinnlichen, von einer unmittelbaren Empfindung zu einem erinnerten Gefühl usw.

Wenn Beobachter über Inhalte metakommunizieren, dann wechseln sie von einem Abstraktionssystem und einer verstehenden bzw. erklärenden Ordnung in eine andere, um von dort aus den Inhalt in einem neuen Licht bzw. einer veränderten Perspektive erscheinen zu lassen.

Beziehungen weisen sehr unterschiedliche Formen auf, die nicht nach Regeln wie richtig oder falsch, wahr oder unwahr aufzustellen sind. Sie beziehen sich immer auch auf Inhalte, ohne in diesen aufzugehen.

Wenn Beobachter über Beziehungen metakommunizieren, interpunktieren sie Handlungsabläufe nach ihren Wahrnehmungen, um so eine verstehende bzw. erklärende Ordnung zu errichten. Metakommunikation macht Beziehungsmuster transparent, sofern alle beteiligten Beobachter sich äußern.

Resultate solcher Metakommunikation sind in der Regel Relativierungen einer inhaltlichen Ordnung, indem man aus ihr heraustritt, um „von außen“ auf sie zu sehen. Aus solcher Metakommunikation heraus kann man sich als Gefangener symbolischer (inhaltlicher) Ordnungen erkennen. Sie dient der Befreiung aus dogmatischen Gedankenkorsetten ebenso wie der Ermöglichung inhaltlicher Innovationen. Sie erfordert vor allem Perspektivwechsel, Kreativität und Kritikfähigkeit.

In der inhaltlichen Metakommunikation bevorzugen wir das Symbolische. In seinem Nach- und Nebeneinander verschiedener Diskurse werden Beobachterpositionen eingenommen, die über (eigentlich nach und neben) anderen stehen.

Es gibt keine letzte Meta-Position im Blick auf irgendwelche Inhalte.

 

Resultate solcher Metakommunikation sind in der Regel offenere Beziehungen, in denen Gemeinsamkeiten und Trennendes thematisiert und unterschiedliche Positionen aufgezeigt werden. So kann man sich aus Gefangenschaften bzw. Verstrickungen lösen und Konflikte bearbeiten. Das aber erfordert Wertschätzung den Anderen gegenüber, damit auch ein eigenes Selbstwertgefühl, dies riskieren zu können, und die Fähigkeit, Kritik zu ertragen.


In der Beziehungskommunikation spielt das Imaginäre eine wesentliche Rolle. Wir können miteinander über die Antriebe unserer Symbolumsetzungen sprechen, um in unseren unter schiedlichen Beobachterpositionen Verständnis für die Lage des Anderen zu gewinnen.

Es gibt keinen Meta-Beobachter der „richtigen“ Beziehung.

 

 


1 Was dies für eine konstruktivistische Diskurstheorie bedeutet, entfalte ich in Kapitel IV.4.

2 Bourdieus „Homo Academicus“ (1992) analysiert den Lustgewinn solcher Wissenschaft als Karriereform, wobei alle Inhalte mit Beziehungen in der Deutung von Feldern der Macht und des Einflusses vermittelt sind. Vgl. weiterführend Kapitel IV.3.3.

3 Diese Beobachterposition versucht Schütz (1974) weiter zu entfalten.

4 Habermas unterscheidet gegenüber der subjektiven und sozialen Welt ebenfalls wie Weber diese objektive Welt. Zur Auseinandersetzung damit vgl. Kapitel IV.2.2.

5 Eine weiterführende Auseinandersetzung mit Weber und insbesondere seiner Ansicht, das es einer geschulten Fantasie bedarf, um Typisierungen zu konstruieren, findet sich in Reich online hier (Reich 1999).

 

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