"Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs.
Die Hautoberfläche schließt mich ab gegen die fremde Welt: auf ihr darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag aber bricht dieses Weltvertrauen zusammen. Der andere, gegen den ich physisch in der Welt bin und mit dem ich nur solange sein kann, wie er meine Hautoberfläche als Grenze nicht tangiert, zwingt mir mit dem Schlag seine eigene Körperlichkeit auf. Er ist an mir und vernichtet mich damit. Es ist wie eine Vergewaltigung, ein Sexualakt ohne das Einverständnis des einen der beiden Partner. Freilich sofern auch nur eine minimale Aussicht auf erfolgreiche Gegenwehr besteht, kommt ein Mechanismus in Bewegung, in dessen Verlauf ich die Grenzverletzung durch den anderen begradigen kann. Ich expandiere mich in der Not-Wehr meinerseits, objektiviere meine eigene Körperlichkeit, stelle das Vetrauen in meinen Weiterbestand wieder her. Der Sozialkontrakt hat dann einen anderen Text und andere Klauseln: Aug um Auge, Zahn um Zahn. Man kann auch danach sein Leben einrichten. Man kann es nicht, wo der andere den Zahn ausschlägt, das Auge in der Schwellung versenkt und man selbst den Gegenmenschen, zu dem der Mitmensch wurde, wehrlos an sich erleidet. Es wird schließlich die körperliche Überwältigung durch den anderen dann vollends ein existentieller Vernichtungsvollzug, wenn keine Hilfe zu erwarten ist."
(Amery 1988, S. 44f.)
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