Zuerst eine Feststellung:
Heute haben Menschen mehr individuelle Wahlfreiheiten als früher und
sie werden »mit einer Vielzahl von Wert-Systemen konfrontiert« .
Postmoderne Ethik hat nicht die Absicht dieser Vielzahl ein zusätzliches
Modell hinzuzufügen. Wenn ich hier von Postmoderner Ethik spreche,
dann meine ich immer Postmoderne Ethik im Sinne von Bauman. Vielmehr
besinnt sich Postmoderne Ethik auf die Geburtsstunde von Ethik überhaupt,
auf das ursprüngliche Anliegen, und zwar auf die Reflexion über
Moral. Diese postmoderne Reflexion endet aber nicht wie zuvor in der
Moderne in einem neuen Regelsystem; die Postmoderne stellt die Reflexion über
Moral auf Dauer.
Postmoderne Ethik wird immer ein unabgeschlossenes Projekt bleiben, ohne
je in der Lage zu sein, einen ethischen Code aufzustellen. Bauman stellt
in seinem Buch die Unmöglichkeit eines ethischen Codes fest. Dazu führt
Bauman folgende Punkte an, die als grundlegend in seiner Argumentation
angesehen werden können:
Die Illusion der Universalität - Die Illusion der rationalen Begründung.
Daraus folgt:
Aber: "Der
postmoderne Blick auf moralische Phänomene deckt eben nicht den
Relativismus der Moral auf "( Bauman 1995a, 28) .
Um der Möglichkeit willen überhaupt moralisch handeln zu können,
muss die Verantwortung an das Individuum zurückgegeben werden. Ziel
ist eine im Subjekt verwirklichte autonome Moralität. Autonome
Moralität kann aber nicht auf einen vorgefertigten ethischen Code zurückgreifen.
"Nur Regeln können universal sein. Man
kann universale, regeldiktierte Pflichten als Gesetze erlassen, aber
moralische Verantwortung existiert einzig als Interpellation an den
einzelnen und als individuell zu tragen. Pflichten machen menschen
tendenziell gleich; Verantwortung macht sie zu Individuen. Humanität
ist nicht in einem gemeinsamen Nenner zu fassen - dort geht sie unter und
verschwindet. Die Moralität des moralischen Subjekts hat deshalb
nicht den Charakter einer Regel, man kann sagen, die Moralität ist
das, was sich einer Codifikation, Formalisierung, Sozialisierung und
Universalisierung widersetzt; [ ]" (Bauman 1995a, 87, H.i.O.).
Postmoderne Ethik fordert und fördert also die
Orientierung durch autonome Moralität. Diese geforderte
Selbst-Orientierung baut auf die schöpferische Verantwortung eines
jeden Menschen.
"Unser aller Pflicht, die ich kenne, scheint nicht das gleiche zu
sein wie meine Verantwortung, die ich fühle" (Bauman 1995a, 86).
Somit deckt die Postmoderne Ethik die Möglichkeiten des moralischen
Selbst auf.
"Ich bin moralisch, bevor ich denke. Es gibt kein Denken ohne
Konzepte (immer allgemeinen), ohne Maßstäbe (wieder
allgemeinen), ohne Regeln (immer potentiell verallgemeinerbaren). Doch
wenn Konzepte, Maßstäbe und Regeln die Bühne betreten,
macht der moralische Impuls seinen Abgang; ethisches Denken nimmt seinen
Platz ein, aber Ethik ist dem Recht nachgeformt, nicht dem moralischen
Drang" (Bauman 1995a, 97).
Dazu: "Das Recht ist nicht Gerechtigkeit. Das Recht ist das Element
der Berechnung; es ist nur (ge)recht, daß es ein Recht gibt, die
Gerechtigkeit indes ist unberechenbar: sie erfordert, daß man mit
dem Unberechenbaren rechnet. Die aporetischen Erfahrungen sind ebenso
unwahrscheinliche wie notwendige Erfahrungen der Gerechtigkeit, das heißt
jener Augenblicke, da die Entscheidungen zwischen dem Gerechten und dem
Ungerechten von keiner Regel verbürgt und abgesichert wird"
(Derrida 1999, 225) . Autonome moralische Verantwortung ist nicht durch
heteronome ethische Verpflichtung ersetzbar (vgl. Bauman 1995a, 75).
Autonome Moralität bedeutet: "Ich bin für den Anderen, ob
der Andere für mich ist oder nicht" (Bauman 1995a, 81).
"Das spezifische Verständnis von der Verfassung des moralischen
Selbst, wie es ein postmoderner Standpunkt nahelegt, macht das moralische
Leben wahrscheinlich nicht einfacher; es kann höchstens davon träumen,
es ein wenig moralischer zu machen" (Bauman 1995a, 30 H.i.O.).
Denn: "Es gibt keine Alternative dazu, die Bedeutung von Werten
selbst einzusehen, ihre Konstellation für sich selbst zu bestimmen,
Prioritäten, um die es im Einzelfall und vor allem im Konfliktfall
immer geht, selbst festzustzen, und im übrigen Werte nicht so sehr zu
proklamieren, sondern zu praktizieren" (Schmid 1999, 50).
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