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Editorial
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Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch
Das "deutsch-jüdische Gespräch" - Anmerkungen zu einem Skandalon
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Das "deutsch-jüdische Gespräch" 
Anmerkungen zu einem Skandalon

von Marcus Pyka
In der emotionsbeladenen und tiefgreifenden Debatte um Existenz oder Nichtexistenz einer "deutsch-jüdischen Symbiose" nimmt Scholem mit seiner Verwerfung eines "Gesprächs" zwischen Deutschen und Juden eine exponierte, ja prägende Stellung ein. Und das, obwohl ein Fachmann wie Joseph Dan über ihn sagen konnte, daß er selbst "seinen Äußerungen zu den deutsch-jüdischen Beziehungen [...] keine große Bedeutung" beigemessen habe. Gründe für diesen Nimbus, der ihn selbst eine Stimme wie die Martin Bubers übertönen läßt, sind sicherlich in seinem Renommee als Forscher, Zionist und Zeitkritiker zu suchen, aber vermutlich auch in der Beliebtheit, der sich die Debatte eines "deutschen Sonderwegs" erfreute und die von seinen Äußerungen indirekt neue Nahrung bekam. Was nun Scholems These zunächst besonders heikel macht, ist der implizite Gegenwartsbezug, mit dem sie auch uns heute die Gretchenfrage stellt: Wie hälst du’s mit dem Anderen? Dem Fremden, dem Ungewohnten?

Doch ist hier nicht der Ort, solche Überlegungen weiter zu vertiefen. Allein auf Folgendes sei hingewiesen, nämlich den oft unreflektierten Gebrauch der Begriffe. Denn der bloß im biologischen Sinne gebrauchte Terminus "Symbiose" läßt die Diskussion unfruchtbar werden, da er in diesem Falle niemals auf irgendeine Beziehung zwischen Menschengruppierungen angewandt werden kann. Erst mit der erweiterten Bedeutung im Sinne eines Austausches von Kulturelementen, in dem beide Seiten ihre Identität bewahren können, führt die Diskussion zu einem Erkenntnisgewinn. Dies ist bereits früh wahrgenommen worden, und dementsprechend stammen die Argumente zumeist aus dem kulturellen Kontext, in den Ausführungen der Verfechter einer "Symbiose" oder – vielleicht treffender – Akkulturation wie Ludwig Bamberger, Hermann Cohen und Martin Buber ebenso wie bei deren Gegnern, so etwa bei Hannah Arendt oder eben Gershom Scholem.

Dabei tat sich eine weitere Problematik auf, nämlich die der schwierigen Abgrenzung. Denn allzu oft wurde die Aufgabe jüdischer Kulturelemente zugunsten einer zweifelhaften Assimilation als sehr gravierend und nachhaltig bewertet. Hingegen wurden jüdische Beiträge zur Umgebungskultur als die individuellen Werke Einzelner angesehen, die rückstandslos in einer offenbar amorphen Masse "deutscher" Kultur verschwanden. Allein was ist denn diese "deutsche Kultur" genau? – eine Frage, die streng genommen nie über das Stadium blinder Schlagworte und Polemik hinausgekommen ist. Sofern man "Kultur" überhaupt national zu definieren vermag, wie man hinzufügen muß; denn für die "jüdische" Kultur gilt ein nämliches, was sich in der uns hier interessierenden Diskussion darin äußert, daß ungeachtet einer ganzen Legion ins Felde geführter Namen von Heine bis Husserl beständig beklagt wird, daß eben stets jüdische Kultur aufgegeben wurde, ohne daß dafür die deutsche in irgendeiner Form beeinflußt worden sei. Es stellt sich die Frage, ob diese jüdische Kultur nur aus offensichtlichen, folkloristischen Elementen gar bestanden habe, ob also Klezmer und koscheres Essen nicht schon damals das Deutschtum hätten bereichern sollen, damit so etwas wie eine wahre Akkulturation hätte stattfinden können?

Hier jedoch gilt es, einen Einschnitt zu machen. Denn Scholem ist genau besehen kein Teil der Diskussion um Symbiose oder nicht, obgleich er desungeachtet als der führende Vertreter der Kritikerpartei gilt. Denn, wie Yehiel Ilsar festgestellt hat, tendiert Akkulturation stets dazu, gegenseitig zu sein, wenngleich dies oft eher undeutlich, gleichsam subtiler geschieht. Scholem hingegen bleibt in seiner Argumentation bei dem Bild des Gesprächs bzw. des Monologs, und – da ist ihm in der Tat recht zu geben – von einer ähnlich demonstrativen Übernahme jüdischer Identitätsmerkmale, wie dies in der umgekehrten Richtung geschah, kann "deutscherseits" wahrlich keine Rede sein; doch ließe wohl die Beschränkung auf eine solch oberflächliche Beobachtung die Komplexität von Geschichte außer acht.