Literarische Praktiken in Skandinavien um 1900

DFG-Forschungsprojekt

Liedvortrag als literarische Praxis 1870-1920

Teilprojekt 3 – Joachim Grage

Bild Liedvortrag

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt sich das Lied zu einer kulturell dominanten literarischen Rezeptions- und Vermittlungsform von lyrischen Texten, wodurch das literarische System nicht nur personell und institutionell, sondern auch medial und performativ expandiert: Komponisten, Sänger und Instrumentalisten werden zu wichtigen Interpreten und Vermittlern von Lyrik, der Konzertsaal einer der bevorzugten Räume der öffentlichen Rezeption von Lyrik. Zugleich ändert die musikalisch-literarische Gattung des Liedes in signifikanter Weise ihren pragmatischen und formalen Rahmen: Zunächst ausschließlich im kleinen, intimen Kreise (Familie, Freundeskreis, Salon) vorgetragen, werden Lieder mehr und mehr in öffentlichen Konzerten dargeboten, zunächst nur als Teil eines gemischten Programms, später als alleiniger oder zentraler Inhalt des Abends. Sie bleiben nicht auf das kammermusikalische Format beschränkt, sondern nehmen auch symphonische Gestalt an. Die so skizzierten Prozesse haben auch Auswirkungen auf die Präsenz von Lyrik im Kanon kultureller Praktiken, die trotz immer wieder unternommener interdisziplinärer Zugänge (Bernhart/Wolf 2001, Danuser 2004) erst ansatzweise, insbesondere für den skandinavischen Raum noch gar nicht untersucht sind (für das frühe 19. Jahrhundert vgl. die Arbeiten von H.W. Schwab).

In Anlehnung an die von H. Danuser vorgeschlagene Gattungsbezeichnung “musikalische Lyrik”, die als eine “Supragattung” (Danuser 2004, 1, 16) neben Liedern sowohl Konzertstücke und Orchesterlieder als auch Instrumentalstücke, die sich auf Lyrik beziehen, umfasst, untersucht das Projekt die Aufführungskultur von Gedichtvertonungen in Skandinavien. Der Zeitrahmen reicht von den ersten öffentlichen Konzerten um 1870 bis ca. 1920, einer Zeit, als musikalische Lyrik endgültig auch als symphonische Großform etabliert ist (A. Schönbergs Gurrelieder nach J.P. Jacobsen) und als erste Tonträger produziert werden. Aufgrund der engen personellen Vernetzung der skandinavischen Musikszene, die sich beispielsweise in den Nordiske Musikblade (1872 ff., hg. von E. Grieg, C.F.E. Hornemann und A. Söderman) manifestiert, soll der Untersuchungsraum die drei kontinentalskandinavischen Länder umfassen.

 

Letzte Aktualisierung der Seite am: 08. April 2014
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