Literarische Praktiken in Skandinavien um 1900

DFG-Forschungsprojekt

Archivierung von Präsenz: Literatur auf frühen Tonträgern 1890-1925

Teilprojekt 6 – Jan-Philipp Holzapfel

Bild Tonaufnahmen

Mit der Einführung neuer phonographischer Technologien (Aufzeichnungsapparaturen, Speicher- und Übertragungsmedien) am Ende des 19. Jahrhunderts eröffnen sich der Stimme als Vermittlerin von Diskursen völlig neue mediale Horizonte. Die Faszination, gesprochene Sprache aufzeichnen und die vom Körper des Sprechenden losgelöste ‘Physiognomik der Stimme’ als Surrogat körperlicher Präsenz konservieren zu können, bestimmte in den Anfangsjahren den Diskurs über die Phonographie und auch ihren Einsatzbereich. Mit der Einführung der Tonaufzeichnung entwickelt sich eine neue Stimm- und Tonästhetik. Innerhalb weniger Jahre rückte die aufgezeichnete und übertragene Stimme zu einem ähnlich bedeutenden Medium auf wie Schrift und Bild.

In Skandinavien wurden seit dem frühen 20. Jahrhundert zahlreiche literarische Texte von Schauspielern oder den Autoren selbst eingesprochen und archiviert. Das Teilprojekt widmet sich diesen Aufzeichnungen, indem es deren medienkulturgeschichtlichen Hintergründe und Prämissen aufarbeitet, die Auswahl der Texte und der Sprecherinnen und Sprecher untersucht und diese Praxis der Konservierung von Stimmen einer- und von Literatur andererseits als Archivierung von Präsenz beschreibt. Dafür sollen auch der zeitgenössische skandinavische Diskurs über Rolle und Bedeutung der Stimme aufgearbeitet werden und – anknüpfend an Teilprojekt 1 (“Autorenlesungen um 1900”) – Konzepte von Mündlichkeit und Schriftlichkeit innerhalb des Untersuchungszeitraums in den Blick genommen werden.

Kulturwissenschaftliche Forschungen der vergangenen Jahre haben der Stimme als körperhaftem Medium viel Aufmerksamkeit gewidmet (u.a. Kittler, Macho u. Weigel 2002, Epping-Jäger u. Linz 2003, Felderer 2004 und Kolesch u. Schrödl 2004); an deren medientheoretische Überlegungen kann das Projekt ebenso anknüpfen wie an germanistische Arbeiten zur Bedeutung der Sprechkünste um 1900 (Meyer-Kalkus 2001). Das Projekt kann und soll gleichwohl nicht den Mangel an einer grundlegenden Untersuchung zur Sprechkunst in Skandinavien kompensieren und die Tondokumente nicht als Zeugnisse für bestimmte Sprechweisen instrumentalisieren, sondern vielmehr das Archivieren als eine literarische Praxis beschreiben und den Materialcharakter der Aufzeichnungen für verschiedene Diskurse (Literatur- und Theatergeschichte, Phonetik, Sprechkunst etc.) anschaulich machen.

 

Letzte Aktualisierung der Seite am: 08. April 2014
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