Studienbibliographie zur neueren
skandinavistischen und fennistischen Literaturwissenschaft

2.2.4 Einzelne Theorien und Methoden

Die folgenden Seiten nennen die wichtigsten aktuellen ›Theorien‹, die freilich selten ein zur praktischen Benutzung bereitliegendes literaturchirurgisches Werkzeug darstellen, ja oft nicht einmal ein kohärentes Ganzes ausmachen. Angestrebtes Ziel dieses Abschnitts ist es, wenigstens einen einführenden Aufsatz und/oder eine brauchbare Einführung in Buchform anzugeben sowie ein bis zwei Hauptwerke und möglichst eine ›Anwendung‹ aufzulisten.

Folgende Theorien, Methoden und turns werden in diesem Abschnitt in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt:

(Bourdieusche) Literatursoziologie
Dekonstruktion
Diskurstheorie
Ecocriticism
Formalismus/Strukturalismus/Semiotik
Feministische Literaturwissenschaft/Gender Studies/Queer Studies/Men's Studies
Hermeneutik/Rezeptionsforschung
Intermedialität
Kritische Theorie
Marxismus
Medientheorie
New Historicism
Performative turn
Postkolonialismus
Psychoanalyse
Spatial turn

Auch literaturwissenschaftliche Lexika lassen sich für eine stichworthafte Orientierung über die meisten dieser Theorien und Methoden heranziehen (Abschnitt 4.4), längere, empfehlenswerte Essays finden sich in Seiffert.


(Bourdieusche) Literatursoziologie

In der Folge der Frankfurter Schule/Kritischer Theorie und einer marxistischen Literaturtheorie (s.u.) entstand in den späten sechziger und vor allem den siebziger Jahren eine soziologisch ausgerichtete Literaturwissenschaft (Abschnitt 3.6). Neue Impulse erhielt die Literatursoziologie in den neunziger Jahren aus Frankreich durch die (verspätete) Rezeption von Pierre Bourdieus Theorie des ›Habitus‹, des ›Feldes‹ und seiner ›Soziologie der symbolischen Formen‹.


Link, Jürgen, u. Ursula Link-Heer: Literatursoziologisches Propädeutikum

München: Fink, 1980 (= utb; 799).

Eine didaktisch ausgerichtete, solide Einführung in das Gebiet der Literatursoziologie, das die Autoren verstehen als »alle Fragestellungen und Theorien, die sich auf die soziale Determination und Funktion von Literatur beziehen« (S. 18). Methodisch schlagen die Autoren einen »von Marx und Gramsci ausgehenden, viele andere Anregungen aufnehmenden und teils selbst entwickelten materialistischen theoretischen Rahmen vor« (S. 19), in dem systematische Grundbegriffe der Literatursoziologie entwickelt und an Textanalysen auch erprobt werden. Neuere Entwicklungen in der Literatursoziologie (Bourdieu, Systemtheorie) finden aber in diesem ›älteren‹ Werk naturgemäß noch keine Berücksichtigung. Mit Glossaren zu Kategorien und Autoren sowie Sach- und Autorenregistern. [TFS]


Dörner, Andreas, u. Ludgera Vogt: »Kultursoziologie (Bourdieu – Mentalitätengeschichte – Zivilisationstheorie)«

In: Bogdal, S. 131–53.

— — — : Literatursoziologie. Literatur, Gesellschaft, Politische Kultur

Opladen: Westdeutscher, 1994 (= WV studium; 170).

Sowohl der Aufsatz und als auch – naturgemäß detaillierter – das Buch geben einen ausgezeichneten Einblick in Bourdieus Untersuchungen der Kultur und der sich für die Literaturwissenschaft ergebenden Möglichkeiten, wobei auch die Wurzeln und Quellen dieses Ansatzes behandelt werden (neben Marx z.B. die frz. ›nouvelle histoire‹, also die Alltags- bzw. Mentalitätengeschichte von Febvre, Bloch, Braudel u.a. sowie Norbert Elias’ Untersuchungen über den Prozess der Zivilisation). Zur Veranschaulichung der Theorieansätze dient eine Fallstudie zu Kleists Hermannsschlacht. [TFS]


Jurt, Joseph: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995.

Nach einem Überlick über frühere Ansätze einer Literatursoziologie (G. Lukács, Werner Krauss, Erich Köhler, Peter Bürger) sowie des Kontextes, in dem Pierre Bourdieus Soziologie steht, erläutert Jurt zunächst dessen theoretische Basis, ehe er in seinem Hauptteil anhand der französischen Literatur von der Klassik bis zur Postmoderne eine empirische Untersuchung des literarischen Feldes anstellt. [TFS]


Bourdieu, Pierre: »Das intellektuelle Feld. Eine Welt für sich«

Übers. v. Bernd Schwibs. In: Ders.: Rede und Antwort. 3. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 2011 (= es; 1547), S. 155–166.

Zwar hat Bourdieu keine eigentliche Literaturtheorie entwickelt, doch sein Werk ist so eng mit der Untersuchung der Kultur bzw. Werken der Literatur verbunden, dass es auch für Literaturwissenschaftler eine Herausforderung darstellt. Vor allem mit seinem Begriff des ›Feldes‹ versucht Bourdieu, Subjekt (Autor, Leser) und objektive Gegebenheiten (Gesellschaft, Ökonomie) zu verbinden und damit ein altes Dilemma zahlreicher Ansätze und Begriffe (wie Milieu, Kontext, sozialer Hintergrund, die Bourdieu alle für unscharf hält) zu überwinden. [TFS]


Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes

[Les règles de l'art. Genèse et structure du champ littéraire; 1992.] Übers. v. Bernd Schwibs u. Achim Russer. 4. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 2008 (= stw; 1539).

Für Literaturwissenschaftler unzweifelhaft Bourdieus Hauptwerk, in dem er zumeist an französischen Beispielen untersucht, wie im Laufe des 19. Jahrhunderts das literarische Feld entsteht und sich strukturiert. So inspirierend Bourdieus Ansatz ist, Literatur und deren Ästhetik unter soziologischen Auspizien, d.h. unter Rückgriff auf Bourdieus Begriffe des ›Feldes‹ und des ›Habitus‹ zu analysieren, so verwirrend liest sich Bourdieus literatursoziologische Studie mitunter – man merkt dem langen Text an, dass er aus diversen Einzelstudien zusammengesetzt worden ist, wodurch z.B. gewisse Redundanzen erklärt werden können. [SMS]


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Dekonstruktion


Culler, Jonathan: Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie

[On Deconstruction. Theory and Criticism after Structuralism; 1982.] Übers. v. Manfred Momberger. Neuausgabe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 1999 (= re; 474) [1988].

Nach wie vor der beste Zugang zu dieser Praxis einer Lektüre, die – wenn man so will – den Ausgangstext sowohl ›zersetzt‹ als auch neu/anders zusammensetzt. Nach einer Problematisierung des Lesens und Verstehens von Texten (z.B. im Hinblick auf Differenzerfahrungen) widmet Culler den Hauptteil des Buches der ursprünglich vor allem auf philosophische Texte ausgerichteten Überlegungen und Übungen Jacques Derridas. Mit den Konsequenzen für die Literatur(-wissen-schaft), wie sie vor allem in der amerikanischen Spielart der Dekonstruktion (Paul de Man, Geoffrey Hartmann, Stanley Fish u.a.) exerziert wurde, die ihrerseits stark dem New Criticism verpflichtet ist, befasst sich der abschließende Teil. [TFS]


Zima, Peter V.: Die Dekonstruktion. Einführung und Kritik

Tübingen u. Basel: Francke, 1994. (= utb; 1805)

Weil Dekonstruktion zum Reizwort geworden sei, »müssen die philosophischen und ästhetischen Grundlagen der verschiedenen dekonstruktivistischen Ansätze reflektiert und konkretisiert werden«. Dies unternimmt Zima zum Teil in bewusster Konfrontation mit der Kritischen Theorie. Neben der Einführung in Schlüsselbegriffe Jacques Derridas werden die amerikanischen Positionen (de Man, Hartman, Hillis Miller, Bloom) in Einzelkapiteln dargestellt, vor allem in ihrem Rückgriff auf die englische Romantik und die Philosophie Schlegels. Ein Schlusskapitel widmet sich Positionen, die sich kritisch mit dem Dekonstruktivismus auseinandergesetzt haben. [TFS]


Dahlerup, Pil: Dekonstruktion. 90’ernes litteraturteori

5. Aufl. Kbh: Gyldendal, 2002 (= Gyldendal Intro) [1991].

Kurze und prägnante Einführung in Begriff und Schulen. Setzt die Schwerpunkte ähnlich wie Culler auf die Abfolge Leser>Text, Derrida, de Man, stellt darüber hinaus auch andere Repräsentanten vor (J. Hillis Miller, B. Johnson, M. Riffaterre). Das letzte Viertel des Buches widmet sich den Konsequenzen des Dekonstruktivismus für eine feministische Literaturwissenschaft. – Eine deutsche Übersetzung, besorgt von Barbara Sabel, erschien unter dem Titel Dekonstruktion. Die Literaturtheorie der 1990er 1998 bei de Gruyter in Berlin (= Sammlung Göschen; 2813). [SMS/TFS]


Engelmann, Peter (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart

Stuttgart: Reclam, 1993 (= RUB; 8668).

Eingeleitet von Peter Engelmann (zugleich Herausgeber zahlreicher deutscher Übersetzungen von Derrida, de Man, Kofman u.a.), bietet der Band Schlüsseltexte wie z.B. Lyotards Abgesang auf die ›großen Erzählungen‹ (Christentum, Marxismus, Psychoanalyse) als Phänomen der Postmoderne oder Derridas Erläuterung des Terminus ›différance‹. [TFS]


Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz

[L’Écriture et la Différence; 1967.] Übers. v. Rodolphe Gasché. Ffm: Suhrkamp, 1972. [Taschenbuchausgabe: Ffm: Suhrkamp Taschenbuch, 1976 (= stw; 177).]

In verschiedenen Aufsätzen u.a. zu Werken Freuds, Foucaults, Batailles und Lévi-Strauss’, die z.T. eine Auseinandersetzung mit Positionen des Strukturalismus sind, entwickelt Derrida seine Vorstellungen von einem fortwährenden ›Spiel‹ der Zeichen, denen ein (Sinn-)Zentrum fehle. Zusammen mit dem in seinem Buch De la grammatologie (1970; deutsch als Grammatologie, übersetzt von Hans J. Rheinberger und Hanns Zischler) formulierten ›Logozentrismus‹ der abendländischen Geistesgeschichte nach wie vor eine Art Grundlegung der Dekonstruktion. [TFS]


De Man, Paul: Allegorien des Lesens

[Allegories of Reading; 1979 (Teilausgabe).] Übers. v. Werner Hamacher u. Peter Krumme. 6. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 2003 (= es; 1357).

De Man ist der einflussreichste Vertreter der amerikanischen Variante der Dekonstruktion. Diese Sammlung von Analysen zu Rilke, Proust und Nietzsche (es fehlt das längere Rousseau-Kapitel der amerikanischen Ausgabe) stellt die zentralen Konzepte einer dekonstruktiven Lektüre in den Vordergrund: Trope und Allegorie bzw. das Rhetorische (im Unterschied zur herkömmlichen Rhetorik) von Texten als Überredungsstrategie(n); Literatur ferner als privilegierte Form, die sich jeder endgültigen Strukturierung/Sinnzuschreibung widersetzt. Enthält außerdem eine gute Einführung von Werner Hamacher zu de Mans Werk. [TFS]


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Diskurstheorie

Mit seinen Analysen der sozialen und politischen Bestimmung von Krankheit (Klinik), Wahnsinn (Psychiatrie) und Bestrafung (Gefängnis) setzte der französische Philosoph und Wissenschaftshistoriker Michel Foucault (1926–1984) den Grundstein einer Untersuchungsweise, die er selbst Mikrophysik nannte. Sie sucht die Entstehung von spezifischen gesellschaftlichen Institutionen und ihren (z.T. verborgenen) Machtmechanismen zu beschreiben, deren interne Regelsysteme seither auch mit dem Begriff ›Diskurs‹ (z.B. medizinischer D., juristischer D.) bezeichnet werden. Beachtenswert ist auch die von Jürgen Link herausgegebene Zeitschrift KultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie (1982ff) vor allem wegen ihrer (auch Literatur betreffenden) Analysen. [TFS]


Kammler, Clemens: »Historische Diskursanalyse (Michel Foucault)«

In: Bogdal, S. 31–55.

Kurze, aber solide Einführung in Foucaults Diskursbegriff und dessen Folgen für die Literaturwissenschaft, nicht zuletzt am Beispiel von ›Anwendern‹ wie etwa Jürgen Link. [TFS]


Fohrmann, Jürgen, u. Harro Müller: Diskurstheorien und Literaturwissenschaft

Ffm: Suhrkamp Taschenbuch, 1988 (= st materialien; 2091).

Der Band setzt sich mit Problemen, Möglichkeiten und Konsequenzen des (Foucaultschen) Diskursbegriffes für die Literaturwissenschaft auseinander, und zwar durchaus kritisch, wie gleich zu Anfang der Beitrag des Hermeneutikers Manfred Frank zeigt. Auch die Nähe (oder Ferne) zu anderen Ansätzen (Systemtheorie, Dekonstruktion) steht zur Debatte, einzelne Fragen werden vertieft (Verhältnis Autor–Diskurs) und schließlich an Beispielen aus der Literatur veranschaulicht (E.T.A. Hoffmann, A. Stifter, A. Döblin). Eine Bibliographie am Ende des Bandes listet Bibliographien, Zeitschriften und Periodika sowie Monographien und Aufsätze zur Diskurstheorie seit Ende der siebziger Jahre auf. [TFS]


Marti, Urs: Michel Foucault

2., überarb. Aufl. München: Beck, 1999 (= Beck’sche Reihe. Große Denker; 513) [1988].

Marti gibt einen Überblick über das Werk Foucaults und seine intellektuelle Entwicklung, studiert die Ursprünge und Einflüsse (z.B. Nietzsche, Bachelard) und erläutert die wichtigen Begriffe vor allem von Foucaults Archäologie der Humanwissenschaften (Diskurs bzw. diskursive Formationen, Episteme, Genealogie usw.). [TFS]


Kleiner, Marcus S. (Hg.): Michel Foucault. Eine Einführung in sein Denken

Frankfurt u. New York: Campus, 2001 (= Campus Studium).

Im Gegensatz zu den meisten, von einer Person geschriebenen Einführungen in Foucaults Werk wie die von Marti versucht dieser Band, »anhand der Darstellung von Leitbegriffen und zentralen thematischen Zusammenhängen [...] das Foucaultsche Denken [...] in seiner Heterogenität und Kontinuität bzw. seiner permanenten Transformation, Prozessualität und Extension« (S. 7) darzustellen. Im ersten Teil des Bandes werden Leitbegriffe wie ›Dispositiv‹, ›Macht‹, ›Geschlecht und Subjektivierung‹ in Aufsatzform diskutiert, im zweiten Teil (»Foucault im Kontext«) geht es vor allem um Foucaults Plazierung in der Philosophiegeschichte. [SMS]


Foucault, Michel: Schriften zur Literatur

Hg. v. Daniel Defert u. François Ewald. Übers. v. Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek u. Hermann Kocyba. Auswahl u. Nachwort v. Martin Stingelin. Ffm: Suhrkamp, 2003 (= stw; 1675).

Diese bislang vollständigste deutschsprachige Auswahl enthält mehrere einflussreiche und für die Literaturwissenschaft fruchtbare Aufsätze in Neuübersetzungen, etwa denjenigen zum Begriff der ›Überschreitung‹ (als solche bestimmt Foucault Literatur) sowie die radikale Infragestellung des Schriftsteller-Subjektes in »Was ist ein Autor?«, dem Foucault nur noch den Status eines Ensembles von Äußerungen und sprachlichen Effekten zubilligt. [TFS]


Ruoff, Michael: Foucault-Lexikon. Entwicklung - Kernbegriffe - Zusammenhänge

Paderborn: Wilhelm Fink, 2007 (= utb; 2896).

Gerade weil Foucault kein sonderlich systematischer Denker war, ist ein Lexikon wie das vorliegende eine ideale Ergänzung zu den mittlerweile zahlreichen Einführungen in sein Werk: Zunächst werden die Hauptwerke aufgeführt und deren Inhalt knapp wiedergegeben, dann folgt ein Lexikon mit den Foucaultschen Grundbegriffen wie ›Bio-Macht‹, ›Diskurs‹, ›Dispositiv‹, ›Epistem‹, ›Gouvernementalität‹, ›Repressionshypothese‹, ›Subjekt‹ etc., wobei jeweils die relevanten Belege in Foucaults Schriften aufgeführt werden. [SMS]


Mills, Sara: Der Diskurs. Begriff, Theorie, Praxis

[Discourse; 1997.] Übers. v. Ulrich Kriest. Tübingen u. Basel: A. Francke, 2007 (= utb; 2333).

Der Begriff ›Diskurs‹ sei, so Mills in ihrer Einleitung, wahrscheinlich »der Begriff mit dem größten Umfang an möglichen Bedeutungen innerhalb der Literatur- und Kulturtheorie« (S. 1). Dieser Unübersichtlichkeit begegnet Mills mit einem schlanken Bändchen, das die Rezeption der Überlegungen Foucaults zum Diskurs in verschiedensten Disziplinen (Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft, Linguistik, Sozialpsychologie) nachzuzeichnen versucht. Als Einstieg in Diskurstheorie(n) zu empfehlen. [SMS]


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Ecocriticism

Inspiriert durch Werke wie Rachel Carsons Silent Spring (1962) oder die vom Club of Rome initiierte Studie The Limits to Growth (1972), die als die Anfänge der aktuellen Ökologiedebatte gelten können, etablierte sich in den 1990ern in der nordamerikanischen Literaturwissenschaft die interdisziplinäre Forschungsrichtung des Ecocriticism, die zunehmend auch in den europäischen Universitäten Einzug hält. Theoretisch und methodologisch bewusst offen und heterogen angelegt, sind es vor allem die gemeinsamen Fragestellungen, die Ecocritics einen: Anhand fiktionaler und nicht-fiktionaler Texte untersuchen sie die Konstruktion von Natur und Mensch-Umwelt-Beziehungen sowie die Wertvorstellungen und kulturellen Funktionen, die dem Natürlichen zugeordnet werden. Ein institutionelles Zentrum für diese Fragestellungen, die gelegentlich auch unter dem Label des Green Criticism verhandelt werden, stellt seit 1992 die Association for the Study of Literature and the Environment (ASLE) mit ihrer Zeitschrift ISLE (Interdisciplinary Studies in Literature and the Environment) und ihrer sehr informativen Homepage http://www.asle.org/ mit umfangreichem Textarchiv dar. [HaM]


Garard, Greg: Ecocriticism

London/New York: Routledge, 2004 (= The New Critical Idiom).

Eine sehr instruktive, leicht verständliche und übersichtlich gegliederte Einführung, die zentrale Themenfelder des Ecocriticism wie Pastoraldichtung, apokalytische Vorstellungen und die Konstruktion von Wildnis oder Verschmutzung vorstellt. Die Entwicklung der ›grünen Literaturwissenschaft‹ wird ebenso umrissen wie die wichtigsten theoretischen Positionen in diesem nach wie vor sehr heterogenen Forschungsfeld: Environmentalism, Deep und Shallow Ecology, Ecofeminism und Eco-Marxism. Ergänzt um ein Glossar, eine ausführliche Bibliographie und einige kommentierte Leseempfehlungen ein empfehlenswerter Einstieg in das Thema Ecocriticism. [HaM]


Goodbody, Axel u. Kate Rigby (Hg.): Ecocritical theory. New European approaches

Charlottesville, Va. [u.a.]: Univ. of Virginia Press, 2011.

Erste umfassendere Sammlung theoretischer amerikanischer und europäischer Zugänge zum Ecocriticism.


Glotfelty, Cheryll: »Introduction«

In: Dies./Harold Fromm (Hg.): The ecocriticism reader. Landmarks in Literary Ecology. London/Athens: University of Georgia Press, 1996, S. XV–XXXVII.

Die vielzitierte »Introduction« ist richtungsweisend vor allem für die frühe Phase des amerikanischen Ecocriticism und enthält mit Glotfeltys Definition wohl den kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich die zahlreichen Versuche der Selbstbeschreibung bringen lassen: »Simply put, ecocriticism is the study of the relationship between literature and the physical environment. Just as feminist criticism examines language and literature from a gender-conscious perspective, and Marxist criticism brings an awareness of modes of production and economic class to its reading of texts, ecocriticism takes an earth-centred approach to literary studies« (S. XIX). Auch der Reader selbst hat als einer der ersten ökokritischen Sammelbände nahezu kanonischen Status erlangt. [HaM]


Goodbody, Axel: »Literatur und Ökologie. Zur Einführung«

In: Ders. (Hg.): Literatur und Ökologie. Amsterdam/Atlanta: Rodopi, 1998 (= Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik; 43), S. 11-40.

Goodbodys Einführung liefert einen knappen Überblick über die Entwicklung des Ökologiebegriffs und des Ecocriticism als Forschungsrichtung. Wesentliche Fragestellungen werden vorgestellt und auf die deutschsprachige Literatur angewendet. Erklärtes Ziel von Goodbodys ›ökologischer Literaturwissenschaft‹ ist es, »einen Beitrag zur Überwindung der Kluft zwischen Natur und Kultur zu leisten, indem sie Prosa und Lyrik, aber auch Essayistik, Reisebeschreibungen und Autobiographik vor dem Hintergrund der sich ändernden natürlichen Umwelt kritisch beleuchtet« (S. 28). Dementsprechend breit gefächert sind auch die Beiträge des Sammelbandes. [HaM]


Packalén, Sture (Hg.): Litteratur och språk. Ekokritik, Jean-Henri Fabre, Återvinningens estetik, Kerstin Ekman, Posthumanism, Elektriska får och mekaniska människor, Djurkaraktärer, Kultur och hållbar utveckling

Themenheft der Litteratur och språk 5 (2009).

Heft zum Thema Ökokritik der Zeitschrift Litteratur och språk: Forskning vid Institutionen för Humaniora. Frei als Volltext zugänglich unter: http://urn.kb.se/resolve?urn=urn%3Anbn%3Ase%3Amdh%3Adiva-9569 [SMS]


Phillips, Dana: »Ecocriticism, Literary Theory and the Truth of Ecology«

In: New Literary History 30 (1999), S. 577-602.

Dana Phillips ist einer der schärfsten Kritiker des Ecocriticism. Er warnt in seinem Aufsatz ebenso wie in seiner vieldiskutierten Monographie »The Truth of Ecology« vor der Gefahr, literaturtheoretische Fragestellungen wie die der Repräsentation außer Acht zu lassen und einem reaktionären Realismus das Wort zu reden. Auch die fehlende Auseinandersetzung mit aktuellen Konzepten der Ökologie führe oft zu naivem, inkorrektem oder bloß metaphorischem Gebrauch einschlägiger Fachtermini: »In their flight from literary theory, ecocritics have ignored an inconvenient fact: a considerable body of what has to be called ›theory‹ must be surveyed, at the least, before one can speak sensibly about ecology« (S. 582). Trotz oder gerade wegen des bisweilen beißend sarkastischen Tons ein sehr lesens- und bedenkenswertes Plädoyer für eine theoretisch fundierte ökologische Literaturwissenschaft. [HaM]


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Formalismus – Strukturalismus – Semiotik

Die gegenwärtige Theoriediskussion wurde ganz wesentlich geprägt vom sogenannten ›linguistic turn‹. Daher spielen formalistische, strukturalistische und semiotische Ansätze – also solche, die Literatur als ein Zeichensystem begreifen – eine grundlegende Rolle bei (fast) allen neueren Theoriemodellen.


Striedter, Jurij (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa

5., unveränd. Aufl. München: Fink, 1994 (= utb; 40).

Der Sammelband bündelt wichtige Texte, darunter so zentrale wie V. Sklovskijs »Die Kunst als Verfahren« oder Jurij Tynjanovs »Über die literarische Evolution«. Er zeigt die Schwerpunkte des russischen Formalismus auf, also z.B. Aspekte der Literarizität, der Gattungen und der Redeweisen. Striedters informative Einführung geht neben der allgemeinen Geschichte dieser theoretischen Schule auch auf die besonderen Leistungen der einzelnen Autoren ein, wobei sich zeigt, dass der Formalismus nicht homogen und schon gar nicht bloß formalistisch war. [TFS]


Ihwe, Jens (Hg.): Linguistik und Literaturwissenschaft. Eine Auswahl. Texte zur Theorie der Literaturwissenschaft

2 Bde. Ffm: Athenäum Fischer, 1972/1973 (= Fischer Athenäum Taschenbücher; 2015 u. 2016), Neuausgabe 1991.

Ziel der schon etwas angejahrten beiden Bände war eine Erneuerung der Literaturwissenschaft als ›empirische Wissenschaft‹, wobei vor allem jene Mechanismen im Zentrum standen, »die zur Literaturgeltung einer sprachlichen Äußerung führen«. In den verschiedenen Aufsätzen werden Fragen der generativen Grammatik und ihre Folgen für die Literatur(-theorie) ebenso behandelt wie Fragen der strukturalen Analyse von Poesie oder der Evolution von Gattungen. Nach wie vor interessant, weil die beiden Bände ein breites Spektrum über Ansätze und Weiterführung formalistischer und strukturalistischer Modelle bieten. [TFS]


Titzmann, Michael: Strukturale Textanalyse. Theorie und Praxis der Interpretation

3., unveränd. Aufl. München: Fink, 1993 (= utb; 582) [1977].

Gegenstand der Darstellung ist das Was und das Wie strukturaler Analyse, d.h. auf (vorwiegend) literarische Texte bezogen: Welche Struktur lässt sich ermitteln, wie steht es mit dem funktionalen Ineinandergreifen der (Text-)Elemente? Wichtige Begriffe wie z.B. ›binäre Oppositionen‹ werden im Hinblick auf die Untersuchung semantischer Relationen im Text erläutert. Darüber hinaus erarbeitet Titzmann Kriterien für die notwendige Selektion und Hierarchisierung von Textelementen. Eine ausführliche Demonstration am Beispiel eines Gedichtes von C.F. Meyer beschließt den Band. [TFS]


Jakobson, Roman: Hölderlin. Klee. Brecht. Zur Wortkunst dreier Gedichte

Eingeleitet u. hg. v. Elmar Holenstein. Ffm: Suhrkamp Taschenbuch, 1979 (= stw; 262).

Jakobson in der Anwendung durch Jakobson! Vor allem zentrale Aspekte (z.B. Übertragung der paradigmatischen Funktion auf die syntagmatische Achse als Kennzeichen literarischer Texte) werden hier anschaulich gemacht. Darüber hinaus sehr brauchbar wegen der Einleitung Elmar Holensteins, eine der prägnantesten Darstellungen dessen, was der Formalismus will. [TFS]


Mukarovský, Jan: Studien zur strukturalistischen Ästhetik und Poetik

[Mysl’ wspólczesna; 1973.] Übers. v. Herbert Grönebaum u. Gisela Riff. München: Hanser, 1974. [Taschenbuchausgabe: Ffm, Berlin u. Wien: Ullstein, 1977 (= Ullstein-Buch; 3311).]

Weiterführung eines strukturalistischen bzw. formalistischen Ansatzes, indem der Text nicht als schlichtes Faktum begriffen wird, sondern erst in der lesenden Aufnahme konkretisiert wird. Mit der Auffassung, dass Zeichen immer bedeutungstragend sind, verbindet Mukarovský die Frage nach ihrem sozialen Sinn, wobei sein Ziel letztlich nicht die Textanalyse, sondern eine allgemeine Kunsttheorie ist. [TFS]


Barthes, Roland: »Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen«

In: Ders.: Das semiologische Abenteuer [L’aventure sémiologique; 1985]. Übers. v. Dieter Hornig. Ffm: Suhrkamp, 1988 (= es; 1441), S. 102–143.

Wie Mukarovský versucht auch Barthes, den Strukturalismus zu einer allgemeinen Semiologie zu erweitern. Ein linguistisches Modell zugrundelegend, begreift er die Erzählung als Satz, als – mehr oder weniger kompliziertes – Syntagma, dessen Einheiten sowie die Funktionen und das Zusammenwirken der Elemente (z.B. Isotopie) sich bestimmen lassen. Dieser Aufsatz gibt allerdings nur einen stichwortartigen, dafür leicht zugänglichen Einblick in die Werkstatt Barthes’; exemplarische Anwendungen finden sich im selben Band, dem der Aufsatz entstammt. [TFS]


Trabant, Jürgen: Elemente der Semiotik

Tübingen u. Basel: Francke, 1996 (= utb; 1908).

Didaktisch sehr klare Einführung in Begriffe und Gegenstand der Zeichentheorie. Erläutert nicht nur anschaulich und mit der Betonung auf Verständlichkeit unterschiedliche Konzepte wie Saussures zweigliedrigen oder Peirces dreigliedrigen Zeichenbegriff, sondern weist auch auf Probleme hin und klärt Voraussetzungen, die z.T. bis ins Mittelalter zurückreichen (Realismus-Nominalismus-Streit). [TFS]


Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik

[La struttura assente; 1968.] Übers. v. Jürgen Trabant. 9., unveränd. Aufl. München: Fink, 2002 (= utb; 105) [1. Aufl. 1972].

Nach wie vor ein, wenn nicht sogar das Standardwerk, vor allem wenn es um die Erweiterung des Zeichenbegriffs über Sprache und Literatur hinaus auf andere Bereiche geht (Film, Architektur, Werbung usw.). Semiologie im Sinne Ecos begreift Kultur vor allem als Kommunikationsprozess. Demzufolge setzt sie sich zuallererst damit auseinander, wann und wie etwas zum Zeichen wird, erst in zweiter Linie (dann aber durchaus in kritischer Perspektive) mit dessen Inhalt. Code und Botschaft lauten die zentralen Termini, und die Semiotik stellt Mittel und Wege zur Decodierung bereit. [TFS]


Nöth, Winfried: Handbuch der Semiotik

2., vollständig neu bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart u. Weimar: Metzler, 2000.

Nöths Handbuch hat sich schnell als Standardwerk etabliert. Es bietet in übersichtlicher Form nicht nur eine Einführung in die Geschichte und die bedeutendsten Schulen und Richtungen der Semiotik, sondern diskutiert auch zentrale semiotische Begrifflichkeiten und Forschungsfelder der Lehre von den Zeichen und eignet sich daher sowohl zur fortlaufenden Lektüre als auch zum gezielten Nachschlagen. Mit umfassender Bibliographie sowie Personen- und Sachregister. [SMS]


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Feministische Literaturwissenschaft – Gender Studies – Queer Studies – Men's Studies

Seit der Mitte der siebziger Jahre hat sich im Zuge der Neuen Frauenbewegung und der allgemeinen politischen Hinterfragung der Geisteswissenschaften eine rege feministische Literaturwissenschaft etabliert. Ihre Ansätze lagen zunächst in einer Kanonerweiterung um vergessene oder verdrängte weibliche Autoren, in einer kritischen Analyse von Frauenschilderungen und einer Neubewertung der wenigen kanonisierten Autorinnen unter Berücksichtigung ihres Geschlechts. Während diese Anliegen der feministischen Literaturwissenschaft sich keiner bestimmten methodischen Richtung verpflichtet fühlten, entwickelte sich mit den Gender Studies eine methodologisch spezifische, aber in ihrem Fragenspektrum engere Richtung, der es um die Erforschung des Entstehens der Geschlechterdifferenz, ihrer Erscheinungsformen und ihrer Mechanismen geht. Etliche Studien haben gezeigt, dass diese Fragen, die vor allem mit den Methoden der Dekonstruktion und unter dem Einfluss psychoanalytischer Theorien verfolgt werden, besonders ergiebig am literarischen Material untersucht werden können. [MCT]

Aus den Gender Studies entstanden in den 1990er Jahren zwei weitere Forschungsfelder: Zum einen die Queer Studies, die – aufbauend auf den älteren Gay and Lesbian Studies und häufig mit Ausgangspunkt in Judith Butlers Werk Das Unbehagen der Geschlechter – die vermeintlich ›natürliche‹ Heteronormativität und Homophobie (nicht zuletzt auch in der Literatur) thematisieren und statt dessen die Inszeniertheit von ›Geschlecht‹ betonen. Zum anderen etablierte sich das Feld der Men's Studies (Männlichkeitsstudien), in denen die Maßgabe der Gender Studies, ›Geschlecht‹ als eine sozial-kulturelle Konstruktion zu lesen, jetzt auch konsequent auf die Konstruktion von (zumeist implizit heterosexuellen) Männlichkeiten angewendet wird. [SMS]


Lindhoff, Lena: Einführung in die feministische Literaturtheorie

2., überarb. Aufl. Stuttgart: Metzler, 2003 (= SM; 285) [1995].

Der erste Teil dieser Einführung geht zurück zu den Pionierinnen der feministischen Literaturtheorie, Simone de Beauvoir und Virginia Woolf, und erklärt, wie sich in den siebziger Jahren aus deren Entwürfen zwei unterschiedliche Richtungen literaturwissenschaftlicher Forschung entwickelten: die ideologiekritische Relektüre des männlichen Literaturkanons und die Frauenliteraturgeschichte, die Suche nach einer verborgenen weiblichen Tradition. Der sehr viel umfangreichere zweite Teil beschäftigt sich mit dem Paradigmenwechsel innerhalb der feministischen Literaturwissenschaft in den achtziger Jahren: dem Wechsel von soziohistorischen zu poststrukturalistischen Theoriemodellen. Zur Einführung erklärt Lindhoff die Bedeutung der wiederentdeckten Psychoanalyse als Grundlagenwissenschaft feministischer Literaturtheorie. Darauf aufbauend entwickelt sie die Thesen der wichtigsten Theoretiker aus dem Umkreis des Poststrukturalismus (Lacan, Derrida, Kristeva, Cixous und Irigaray) und bietet der Anfängerin damit eine wertvolle Orientierung. Im letzten Abschnitt erklärt sie die Bedeutung des Phänomens der Hysterie als Schlüssel zu zentralen Problemen feministischer Literaturwissenschaft: hysterische Weiblichkeit als Infragestellung der Identitätslogik. [MCT]


Eagleton, Mary (Hg.): Feminist Literary Theory. A Reader

3. Aufl. Oxford u. New York: Blackwell, 2011 [1986].

Dieses Buch möchte Studierenden, die sich das erste Mal mit feministischer Literaturtheorie beschäftigen, einen Einstieg in die selbständige Lektüre ermöglichen. Es bietet charakteristische Kurzausschnitte von oft nur zwei bis fünf Seiten Länge aus den berühmtesten Werken der feministischen Theoriebildung in Amerika bis 1986. Die Exzerpte sind thematisch geordnet zu den Kapiteln: »Finding a Female Tradition«, »Women and Literary Production«, »Gender and Genre«, »Towards Definitions of Feminist Writing« und »Do Women Write Differently?«. Jedes der fünf Kapitel ist mit einer kurzen, informativen Einleitung versehen. [MCT]


Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Studien zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen

9. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 2000 (= es; 921) [1. Aufl. 1979].

Jahrhunderte sind Frauen von geschichtsprägenden kulturellen und politischen Institutionen und Positionen ausgeschlossen worden; dem entspricht heute die thematische Absenz des Weiblichen in der geschichtlichen Überlieferung. Nur in einem kulturellen Bereich haben Frauen eine Rolle gespielt: in der Kunst und Literatur, in der Imagination. Bovenschen systematisiert im ersten Teil ihrer Untersuchung solche gängigen Imagines von Weiblichkeit, um diese Bilder im zweiten Teil auf ihre kulturhistorischen Entstehungsbedingungen und spezifischen ästhetischen Ausprägungen hin zu überprüfen. Besonderes Interesse gilt der Frage, welche Auswirkungen diese Zuschreibungsmuster für weibliche Künstler, deren Selbstinszenierung und Ausdrucksmöglichkeiten bedeuteten, die ihrerseits Fiktion, Imagines produzieren wollten bzw. welcher Zusammenhang zwischen dem weitgehenden Ausschluss von Frauen aus der kulturellen Produktion und der männlich normierten Darstellung der Frau in Wissenschaft und Kunst besteht. [MCT]


Weber, Ingeborg (Hg.): Weiblichkeit und weibliches Schreiben. Poststrukturalismus, weibliche Ästhetik, kulturelles Selbstverständnis

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1994.

Der als humanistisch bezeichnete Femininismus seit den siebziger Jahren ging davon aus, dass die Geschlechterdifferenz nur kulturell bedingt sei, und nahm daher im Namen der grundsätzlichen Gleichheit der Geschlechter die in der Aufklärung definierten Menschenrechte auch für die Frauen in Anspruch. Der sog. gynozentrische Feminismus dagegen postuliert eine fundamentale, wesenhafte Andersartigkeit der Frau, die sich in ihrem Wahrnehmen, Fühlen, Denken, moralischen Urteilen und daher auch in ihrer Schreibweise zeigt. Ingeborg Weber analysiert im ersten, theoretischen Teil des Buches diese vor allem von den französischen Poststrukturalistinnen Hélène Cixous, Luce Irigaray und Julia Kristeva vorgetragenen Thesen über eine spezifisch weibliche Schreibweise, die écriture féminine bzw. das parler femme. Am Beispiel von short stories zehn verschiedener, englischsprachiger Autorinnen aus unterschiedlichen Kulturkreisen werden diese Thesen dann im zweiten Teil von verschiedenen, männlichen und weiblichen Beiträgern auf ihre Kohärenz und Anwendbarkeit überprüft. [MCT]


Vinken, Barbara (Hg.): Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika

2. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 1995 (= es; 1678).

Am Beispiel der ›Freudfabel‹ entwickelt Vinken in ihrem einleitenden Aufsatz noch einmal, warum geschlechtliche Identität weder als biologisch noch historisch oder kulturell konstituiert verstanden werden kann, sondern erst als Größe der symbolischen Ordnung (Lacan) fassbar wird. Daher rührt die Bedeutung der Literatur für die Analyse von Geschlechterdifferenz: Ausgehend vom Modell des selbst-dekonstruktiven literarischen Textes (de Man), von Literatur als »dem Unbewußten der Psychoanalyse«, folgt eine neue Leseweise: Die Texte der Tradition werden nicht länger in (falsche) Identität stiftende Diskurse umgesetzt, sondern ›gegen den Strich gelesen‹, als eine Ordnung von Zeichen, in die die verdrängte Differenz eingeschrieben ist und damit lesbar wird. Sexualität und Textualität erscheinen damit nicht länger als essentielle Gegebenheiten, sondern als differentielle Relationen. – In den Teilen I und II der Aufsatzsammlung werden die beiden Schritte der Defiguration und Refiguration erklärt und in ihrem Zusammenhang vorgeführt. Teil III hat die Debatte über die Repräsentation (von Wirklichkeit im Text) zum Gegenstand und macht die divergierenden Positionen in der Auseinandersetzung zwischen ›französischem‹ (d.h. poststrukturalistischem) und ›amerikanischem‹ (d.h. repräsentationsorientiertem) Feminismus klarer. Eine große Stärke dieser Anthologie ist neben ihrer inhaltlichen und methodischen Klarheit die Auswahl der Beiträge: Leser und Leserin finden hier die bekanntesten und wichtigsten Vertreterinnen dieser Forschungsrichtung in zentralen Aufsätzen präsentiert. [MCT]


Gemzöe, Lena: Feminism

Stockholm: Bilda förlag, 2002.

Leicht verständliche, knappe und dennoch umfassende Einführung in Geschichte und Anliegen des Feminismus, die konsequent Wissenschaft, politischen Aktivismus und die private Sphäre verzahnt bzw. deren Trennung hinterfragt. Gemzöe präsentiert unterschiedliche Kontexte und Ansätze von der Ideologie der "samhällsmoderlighet" über liberalen und radikalen Feminismus bis hin zu Postmoderne und Konstruktivismus.Für Skandinavistikstudierende wegen des Fokus auf die Situation in Schweden vom 19. Jahrhundert mit Fredrika Bremer und Ellen Key bis zum heutigen »Staatsfeminismus« besonders interessant. [LAK]


Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter

[Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity; 1989.] Übers. v. Kathrina Menke. Sonderausgabe zum 40jährigen Bestehen der Ed. Suhrkamp. 16. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 2012 (früher als es; 1722).

Kaum ein anderes Buch zum Thema Geschlechterdifferenz ist so heftig diskutiert worden wie dieses. Judith Butler analysiert in ihrer Abhandlung ein Begriffspaar, das bis dahin weitgehend akzeptiert worden ist: die Einteilung der Geschlechtsidentität nach den Kategorien sex, d.i. das biologische Geschlecht, der Körper, und gender, d.i. das soziale Geschlecht. Die biologische Zweiheit der Geschlechter wurde dabei als eine naturgegebene, nicht-hierarchische Differenz angesehen, die durch die hierarchisch strukturierten kulturellen Konstrukte eines femininen oder maskulinen Geschlechtscharakters nachträglich überformt wird (Lindhoff). Butler dagegen lehnt jede binäre biologische Determiniertheit des Geschlechtscharakters ab. Ihrer Meinung nach ist auch der Körper nur kulturell als sexuell bestimmt, gendered. Die Geschlechtsidentität hängt aber nicht zwingend mit dem ›biologischen Geschlecht‹ zusammen, sondern ist immer ein Akt sozialer Performanz. Für den Feminismus folgt daraus, dass er sich nicht länger als politischer Vertreter einer Identitätsgruppe ›Frauen‹ verstehen darf, weil er damit die aufgezwungenen Sexualkategorien nur übernimmt und fortschreibt, sondern dass es ihm darum gehen muss, die Geschlechterbinarität als solche wo immer möglich zu verwirren, um zu einer »Ent-Naturalisierung der Geschlechtsidentität als solcher zu führen«. (S. 218) [MCT]


Schößler, Franziska: Einführung in die Gender Studies

Berlin: Akademie-Verlag, 2008.

Sehr übersichtliche, knappe und dennoch sehr umfassende Einführung in die Geschlechterforschung. Die kurzen Kapitel behandeln die Geschichte der Geschlechterverhältnisse seit 1800, die Geschichte des Feminismus und alle wichtigen theoretischen Ansätze und Verzweigungen von Psychoanalyse und Dekonstruktion über Diskursanalyse, Queer, Postkolonial und Men's Studies bis hin zur Wissenschaftskritik. Die Kapitel schließen mit Diskussionsfragen und Lektüreempfehlungen ab, die zusammen mit der den Band abschließenden Übersicht über Forschungseinrichtungen, Zeitschriften und Bibliografien das Studienbuch zu einem hervorragenden Handwerkszeug machen [LAK]


Bußmann, Hadumod, u. Renate Hof (Hg.): Genus. Geschlechterforschung - Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften; ein Handbuch

Stuttgart: Kröner, 2005.

Kulturanthropologische Studien vor allem im Rahmen der Frauenforschung seit den siebziger Jahren haben gezeigt, auf wie vielfältige Weise Geschlechterrollen und ihre als männlich bzw. weiblich gedeuteten Zuweisungen kulturell bestimmt sind. Wissenschaftliche Objektivität darf daher von der Differenz der Geschlechter als fundamentaler Analysekategorie nicht absehen. In zehn Originalbeiträgen zur Methodik der Gender-Forschung in den Disziplinen Philosophie, Theologie, Sprach- und Literaturwissenschaft, Geschichtsschreibung, Kunst- und Musikwissenschaft werden mit diesem Band nun der aktuelle Forschungsstand dokumentiert und neue Fragestellungen skizziert. Als wichtige Einleitung fungiert Renate Hofs Beitrag zur Entwicklung der Gender Studies aus früheren feministischen Fragestellungen.


McClintock, Anne: Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest

New York: Routledge, 1995.

McClintocks »Imperial Leather« ist ein frühes und bahnbrechendes Beispiel für Intersektionalitätsstudien, die seither in den Kultur- und Sozialwissenschaften an Bedeutung gewonnen haben. McClintock zeigt am Kontext des britischen Kolonialismus und Imperialismus von seinen Anfängen bis zur Ende der Apartheid in Südafrika, dass Differenzierungskategorien wie ›Rasse‹, Klasse und Geschlecht nicht getrennt voneinander, sondern in ihren jeweiligen Verschränkungen untersucht werden müssen, um komplexe Machtverhältnisse beschreiben zu können. In ihrer Analyse eines reichen Materials von frühen Landkarten über Werbeplakate und Fotografie bis hin zu Gegenwartsliteratur lenkt McClintock ihren Fokus besonders auf die Verschränkung von Ökonomie und Sexualität, die in der Begegnung einer weißen männlichen von Fortschrittsglauben geprägten europäischen Kultur mit dem als weiblich und animalisch imaginierten Afrika zum Tragen kommt. Damit widmet sich McClintock der im Feminismus in Politik und Wissenschaft nach wie vor brisanten Frage nach dem Verhältnis von Produktion und Reproduktion. [LAK]


De los Reyes, Paulina, u. Diana Mulinari: Intersektionalitet

Malmö: Liber, 2005.

De los Reyes und Mulinari sind die wichtigsten Vertreterinnen der Intersektionalitätsforschung in Schweden und damit einer der wichtigsten Weiterentwicklungen der Geschlechterforschung der letzten Jahre, die Geschlechter- und Postkoloniale Studien zusammenführt. Die Intersektionalitätsforschung speist sich aus einer Kritik an einer weißen bürgerlichen und oft heterosexuellen Hegemonie im europäischen Feminismus, die dadurch aufgebrochen werden soll, dass unterschiedliche Differenzierungskategorien wie Geschlecht, Klasse, Sexualität und ›Rasse‹ in ihren Verschränkungen untersucht und dargestellt werden. De los Reyes und Mulinari gehen über diese Kategorien hinaus und untersuchen weitere Intersektionen oder Überlappungen, in denen komplexe Machtstrukturen sichtbar werden, beispielsweise zwischen individuellen und institutionellen Praktiken oder zwischen Wissenschaft und Politik. Der Text, wie auch das von de los Reyes herausgegebene »Maktens (o)lika förklädnader. Kön, klass & etnicitet i det postkoloniala Sverige« (Stockholm: Atlas, 2002), ist für Skandinavistikstudierende besonders interessant, weil erstens Schweden im »postkolonialen Raum« (S. 100-119) verortet und zweitens die Übertragung internationaler theoretischer Ansätze auf Skandinavien exemplarisch vorgeführt wird. [LAK]


Krass, Andreas (Hg.): Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität

2. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 2005 (= es; 2248).

Eine Sammlung von zumeist geschichts- und literaturwissenschaftlichen Basistexten der angloamerikanischen Queer Studies. In seiner Einführung (S. 7-28) gibt der Herausgeber Andreas Kraß eine Übersicht über die historische Erfindung von Homosexualität, die Genealogie sowie den Charakter von Queer Studies, die er nicht als akademische Disziplin, sondern als ein transdisziplinäres kulturwissenschaftliches Projekt mit explizit identitätspolitischer Bedeutung versteht. [SMS]


Hamm, Christine; Jørgen Magnus Sejestad u. Lars Rune Waage (Hg.): Tekster på tvers. Queer-inspirerte lesninger. Festskrift til Pål Bjørby

Trondheim: Tapir, 2008.

Queere Beispielanalysen norwegischer kanonisierter Texte von u.a. Henrik Wergeland, Sigrid Undset und Lars Saabye Christensen. Auch nicht-kanonisierte Autorinnen und Autoren werden behandelt. Um die internationale Perspektive zu wahren, werden auch einige wenige englischsprachige Texte analysiert. [ChB]


Richardson, Diane, u. Steven Seidman (Hg.): Handbook of lesbian and gay studies

London: Sage, 2002.

Umfasst Aufsätze zu den Themen: Geschichte und Theorie, Idenität und Gemeinschaft, Institutionen und Politik.


Sedgwick, Eve Kosofsky: Between Men. English Literature and Male Homosocial Desire

New York: Columbia University Press, 1985.

Kosofsky Sedgwicks »Between Men« kann als einer der Gründungstexte der Queer und Men's Studies in der Literaturwissenschaft bezeichnet werden. Vor allen Dingen hat sich Sedgwicks Verwendung des Begriffs Homosozialität als außerordentlich fruchtbar für Männlichkeitsstudien und Queertheorie in unterschiedlichen Disziplinen erwiesen. Ausgehend von einer Analyse von Dreiecksbeziehungen zwischen einer Frau und zwei Männern in der englischen viktorianischen Literatur entwickelt Sedgwick die These, dass diese Beziehungen nicht nur vom Begehren der Rivalen zur Frau strukturiert sind, sondern maßgeblich durch ein soziales Begehren zwischen den Männern. Dieses homosoziale Begehren regelt, über die Frau als Tauschobjekt, den sozialen Status der Männer. Sedgwicks These war und ist deshalb Aufsehen erregend, weil sie postuliert, die Grenze zwischen Homosozialität und Homosexualität sei potenziell fließend und genau deshalb Homophobie in homosozialen Kontexten wie im Sport oder in Schüler-Lehrer-Verhältnissen besonders verbreitet. In »Epistomology of the Closet« (Berkeley: University of California Press, 1990) entwickelt Sedgwick ihre Thesen weiter und verfolgt sie an Beispielen aus der europäischen Literatur der Jahrhundertwende 1900. [LAK]


Halberstam, Judith: Female Masculinity

7. Ausg. Durham/London: Duke University Press, 2006.

Halberstams »Female Masculinity« ist ein wichtiger Text der Gender und Queer Studies, weil sie zeigt, dass Weiblichkeit und Männlichkeit nicht notwendigerweise an einen weiblichen bzw. männlichen Körper geknüpft sein müssen. In ihren Lesarten von literarischen Texten des 19. Jahrhunderts, Filmen und Performances löst Halberstam nicht nur biologisches Geschlecht und Identität voneinander ab, sondern stellt die Frage nach dem Inszenierungscharakter von beidem. Halberstam führt damit Judith Butlers These weiter, dass drag, das »Verkleiden« in das jeweils andere Geschlecht, nicht eine Maskerade ist, hinter der sich eine authentische und fixierte, an das biologische Geschlecht gekoppelte Identität verstecke, sondern eine feministische politische Praxis, die die Frage nach Identität jenseits von körperlichen Merkmalen und geschlechtsspezifischer Kleidung neu stellt. [LAK]


Heede, Dag: »Mærkværdiggørelsen af dansk litteratur: For en ny fordeling af litteraturhistorisk dumhed og blindhed«

In: Kvinder, køn & forskning 12:1 (2003), S. 35-45.

In seinem Beitrag zu einem Queer-Themenheft plädiert der wahrscheinlich wichtigste Queer-Forscher Skandinaviens für ein überfälliges ›Queeren‹ des dänischen Literaturkanons. Die Konturen eines solchen ›Queerens‹ werden in Hinblick auf H.C. Andersens, Herman Bangs, Johannes V. Jensens, Karen Blixens, Klaus Rifbjergs und Kirsten Thorups Werk in aller Kürze skizziert. [SMS]


Ambjörnsen, Fanny: Vad är queer?

Stockholm: Natur och Kultur, 2006.

Eine populär gehaltene und leicht verständliche Einführung in ›queeres‹ Denken (Geschichte, Grundzüge der Queer Theory, zentrale Begriffe und queerer Aktivismus), die für Studierende der Skandinavistik besonders wegen der schwedischen Bezüge von Interesse ist. Mit Literaturverzeichnis und Register. [SMS]


Für eine Themennummer mit Queer-Lektüren skandinavischer Texte s. die Fachzeitschrift Scandinavica 40:1 vom Mai 2001.


Martschukat, Jürgen, u. Stefan Neuhaus: »Es ist ein Junge!« Einführung in die Geschichte der Männlichkeiten in der Neuzeit

Tübingen: Edition Disckord, 2005.

Ein von zwei Geschichtswissenschaftlern geschriebener Einführungsband in die Geschichte von Männlichkeiten, in dem u.a. in leichtverständlicher Form zentrale Begriffsbildungen erläutert werden. Auch wenn Men's Studies in der Literaturwissenschaft nicht thematisiert werden, empfiehlt sich dieser Band zum Einstieg in das Forschungsfeld. Eine Bibliographie mit knapp 1.000 Titeln hilft bei der weiteren Suche nach Literatur zum Thema. [SMS]


Connell, Robert W.: Der gemachte Mann – Konstruktion und Krise von Männlichkeiten

[Masculinities; 1995.] Übers. v. Christiane Stahl. 4. durchges. u. erw. Aufl. Opladen: Leske und Budruch, 2015 (= Geschlecht und Gesellschaft; 8).

Dieses sozialwissenschaftliche Werk ist Grundlage vieler nachfolgender Studien über Männlichkeiten. Connell entwirft hierbei ein Hegemoniekonzept (Hegemonie, Komplizenschaft, Unterordnung), das Gramscis Definition um den fehlenden Geschlechterdiskurs erweitert und damit im Gegensatz zur Geschlechtsrollentheorie Machtbeziehungen von Geschlechtern zu fassen vermag. Zu beachten ist, dass Connell hier von patriarchalen Machtbeziehungen ausgeht. [KaS]


Ekenstam, Claes, u. Jørgen Lorentzen (Hg.): Män i Norden: Manlighet och modernitet 1840-1940

Möklinta: Gidlunds Förlag, 2006.

Ein Sammelband, der sich mit der Konstruktion von Männlichkeiten im Norden insbesondere des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts beschäftigt. Neue Definitionen von Männlichkeit werden im Zusammenhang mit den grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen in der Moderne betrachtet. In ihrer Einleitung grenzen sich die Herausgeber zudem von Connells Hegemoniekonzept ab und präsentieren ein neues Modell, das sich auf die Dynamik zwischen Männlichkeit und Unmännlichkeit stützt. [KaS]


Schnurbein, Stefanie von: Krisen der Männlichkeit. Schreiben und Geschlechterdiskurs in skandinavischen Romanen seit 1890

Göttingen: Wallstein, 2001 (= Europäische Literaturen und internationale Prozesse; 4).

In einem einleitenden Kapitel wird die Entwicklung der skandinavischen Männerforschung dargelegt. Dabei thematisiert die Autorin insbesondere den Begriff der ›Krise‹, der in den darauffolgenden Kapiteln anhand von skandinavischen Romanbeispielen wie z.B. Pan, Fodboldenglen, En flyktning krysser sitt spor oder Le Plaidoyer d‘un Fou problematisiert wird. [KaS]


Folkesson, Per, Marie Nordberg, u. Goldina Smirthwaite (Hg.): Hegemoni och mansforskning. Rapport från nordiska workshoppen i Karlstad 19-21 mars 1999

Karlstad: Universitetet, 2000.

Ein Tagungsband, der sich vor allem mit dem Hegemoniebegriff innerhalb der Männlichkeitsstudien beschäftigt. So gibt unter anderem Marie Nordberg einen hilfreichen Überblick über die unterschiedliche Anwendung des Begriffes. Zusätzlich bietet Per Folkessons »En kartläggning av nordisk manskforskning« eine gute Einführung in die grundsätzlichen Debatten der nordischen Männerforschung. [KaS]


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Hermeneutik – Rezeptionsgeschichte – Rezeptionsästhetik

Die Teilung der Natur- und Geisteswissenschaften in ›zwei Kulturen‹ (C.P. Snow) wurde wesentlich im 19. Jahrhundert begründet. Nicht zuletzt Wilhelm Dilthey hatte daran Anteil, wenn er meinte, dass sich die Naturwissenschaft auf das ›Erklären‹ von Gegenständen richte, die Geisteswissenschaft hingegen auf ihr ›Verstehen‹. In dieser Tradition steht auch Hans-Georg Gadamer, dessen Abhandlung Wahrheit und Methode (1960), dem Werk Martin Heideggers stark verpflichtet, ›Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik‹ ausarbeitete und zum einflussreichen Vordenker einer modernen literarischen Hermeneutik wurde. [TFS]


Jung, Matthias: Hermeneutik zur Einführung

4., vollständig überarb. Aufl. Hamburg: Junius, 2012 (= Zur Einführung; 234) [1. Aufl. 2001].

Eine philosophiegeschichtlich orientierte Einführung in die Geschichte der Hermeneutik, die verständlich und in knapper Form deren Entwicklung von der Antike über die Reformationszeit, die Romantik, den Historismus, Dilthey und Heidegger bis zu Gadamer skizziert. Rezeptionsgeschichte und -ästhetik, die auf die allgemeine Hermeneutik und nicht zuletzt Gadamer zurückgreifen, werden leider jedoch im Kontext dieser Darstellung nicht diskutiert. Doch auch so ist das kleine Buch mit Gewinn zu lesen, wenn man sich mit dem jahrtausendealten und für die Literaturwissenschaft konstitutiven Problem des Verstehens fremder Texte aus vergangenen Zeiten beschäftigen will. [SMS]


Jauss, Hans-Robert: »Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft«

In: Ders.: Literaturgeschichte als Provokation. 11. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 1997 (= es; 418), S. 144–207; sowie in: Warning, S. 126–62.

Dieser Aufsatz verhandelt in grundsätzlicher Weise Probleme der Literaturgeschichtsschreibung und der Epochenbildung. Jauss entwickelt darin den z.T. von Gadamer übernommenen, mittlerweile fest etablierten Begriff des ›Erwartungshorizontes‹, der das historisch differierende (Vor-)Verständnis von Texten mit den unterschiedlichen Bedingungen (›Horizont‹) und Auffassungen (›Erwartungen‹) der jeweiligen Zeit kurzschließt. So beeinflussen historische Ereignisse (z.B. die französische Revolution), aber auch jüngere Texte (Moderne) beispielsweise auch unseren Blick auf ältere Literatur (z.B. Aufklärung oder Romantik) und sorgen dadurch für einen ›Horizontwandel‹. [TFS]


Warning, Rainer (Hg.): Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis

4., unveränd. Aufl. München: Fink, 1994 (= utb; 303) [1. Aufl. 1975].

Sammlung mit Texten v.a. der sogenannten ›Konstanzer Schule‹ (Iser, Jauss, Stierle), aber auch ihrer Vorläufer und Vorbilder (Gadamer, Ingarden). Diese hermeneutisch orientierte Literaturwissenschaft stellt Prozesse des Verstehens und – in unmittelbarer Folge – den Leser in den Mittelpunkt des Interesses. Als Rezipient literarischer Texte (gegenüber dem Autoren/Produzenten) füllt er ›Leerstellen‹ (Iser) aus; an ihm – als Menge der Leser – bemisst sich die ›Wirkungsgeschichte‹ (Gadamer) literarischer Werke. Nach einer Einleitung des Herausgebers über Rezeptionsästhetik als literaturwissenschaftliche Pragmatik folgen, in einzelnen Aufsätzen, verschiedene Standpunkte und Perspektiven sowie Repliken auf Kritik. Vier Applikationen zu Goethe/Racine, Henry Fielding und Diderot beschließen den Band. [TFS]


Iser, Wolfgang: »Die Appellstruktur literarischer Texte«

In: Warning, S. 228–52.

Dieser ursprünglich als Vortrag gehaltene Aufsatz komprimiert in leicht zugänglicher Weise wichtige Gedanken der Rezeptionsästhetik, darunter die Annahme, dass Texte keine verborgene, vom Leser lediglich zu entschlüsselnde Intention ›enthalten‹, sondern im Gegenteil von einer grundsätzlichen ›Unbestimmtheit‹ geprägt sind. Diese Unbestimmtheit (als eine Form von Spielräumen) erfordert die aktive Mitarbeit des Lesers im Verstehensprozess, indem dieser bereits durch die Lektüre sogenannte ›Leerstellen‹ interpretierend ausfüllt. [TFS]


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Intermedialität

Intermedialitätsforschung beschäftigt sich mit den Beziehungen von Medien untereinander. Der Begriff wurde zwar erst in den neunziger Jahren gebräuchlich, doch hat sich die Intermedialitätsforschung aus zwei älteren Forschungskonzepten entwickelt: (1) aus den sog. Interart-Studien (im Englischen auch: Comparative Arts), die sich der »wechselseitigen Erhellung der Künste« (Oskar Walzel, 1917) widmen, und (2) der (post-)strukturalistischen Intertexualitätsforschung, deren Fokus auf die Beziehungen zwischen Texten dann in der Intermedialitätsforschung auf Beziehungen zwischen Medien erweitert worden ist. Die Intermedialitätsforschung ist ein äußerst produktives Forschungsfeld, doch ist immer zu beachten, was jeweils für ein Medienbegriff zugrundegelegt wird. [SMS]

Das Heft 2008:1 der schwedischen Tidskrift för litteraturvetenskap [TFL] ist ein Themenheft zur Intermedialität.


Rajewsky, Irina O.: Intermedialität

Tübingen u. Basel: A. Francke, 2002. (= utb; 2261)

Rajewsky bietet eine äußerst gründliche und systematische Diskussion ihres Gegenstandes, wobei sie es immer wieder versteht, den Rückbezug zu früheren Forschungsdiskussionen (z.B. über das Problem des sog. ›filmischen‹ Schreibens) herzustellen. Ihre Sprache und Begriffsbildung ist indes von hoher und nicht immer leserfreundlicher Abstraktheit; ein Nachschlagen im Glossar am Ende des Buches ist häufig unumgänglich. Das Interesse der Autorin richtet sich auf eine Systematisierung und Typologisierung der möglichen intermedialen Bezüge; die Frage nach ihren (historischen) Funktionen tritt dagegen in den Hintergrund. Mit Sach- sowie Personen- und Titelregister. [SMS]


Hockenjos, Vreni, u. Stephan Michael Schröder »Einleitung: Historisierung und Funktionalisierung: Zur Intermedialität, auch in den skandinavischen Literaturen um 1900«

In: Stephan Michael Schröder u. Vreni Hockenjos (Hg.): Historisierung und Funktionalisierung. Intermedialität in den skandinavischen Literaturen um 1900. Berlin: Nordeuropa-Institut, 2005, S. 7-35 (= Berliner Beiträge zur Skandinavistik; 8).

In übersichtlicher Form werden in diesem Aufsatz wichtige Entwicklungslinien und Forschungsprobleme der Intermedialitätsforschung skizziert, wobei nicht zuletzt der jeder Intermedialitätsforschung notwendig zugrundeliegende Medienbegriff problematisiert wird. [SMS]

Der Aufsatz ist auch als PDF erhältlich.


Heitmann, Annegret: Intermedialität im Durchbruch. Bildkunstreferenzen in der skandinavischen Literatur der frühen Moderne

Freiburg i.Br.: Rombach, 2003 (= Rombach Nordica; 6).

An Textbeispielen von H.C. Andersen, J.P. Jacobsen, Herman Bang, August Strindberg, Henrik Ibsen, Sigbjørn Obstfelder, Illa Christensen, Victoria Benedictsson u.a. demonstriert Annegret Heitmann zum einen, was eine intermediale Perspektive in der Literaturwissenschaft zu leisten vermag, und arbeitet zum anderen heraus, wie mit Hilfe intermedialer Verweise eine moderne poetologisch zu lesende Selbstreflexivität literarisch gestaltet wird. [SMS]


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Kritische Theorie


Adorno, Theodor W.: Noten zur Literatur

Ffm: Suhrkamp Taschenbuch, 1981 (= stw; 355).

Gewissermaßen Adornos praktische Anwendung der Ästhetischen Theorie. Der 700 Seiten starke Band enthält einige grundlegende Stellungnahmen und Texte wie z.B. die »Rede über Lyrik und Gesellschaft« oder den auf Beckett gemünzten »Versuch, das Endspiel zu verstehen«, in denen Adorno den gesellschaftlichen, d.h. politischen Widerstand von Texten – im weiteren Sinne: von Kunst – gerade durch ihre strikte Gesellschaftsferne (Autonomie) begründet. [TFS]


Löwenthal, Leo: Das bürgerliche Bewußtsein in der Literatur. Schriften 2.

Ffm: Suhrkamp Taschenbuch, 1990 (= stw; 902).

Für Skandnavisten unumgänglich, weil der Band, neben einem Kapitel zu Ibsen und einem Exkurs zu Strindberg, auch den berühmten, zuerst in der Zeitschrift für Sozialforschung erschienenen Hamsun-Aufsatz aus dem Jahre 1936 enthält. Ideologiekritik in ihrer Anwendung: das reaktionäre Moment wird nicht anhand der Biographie, sondern auf der Grundlage der Texte herauspräpariert. Alles spätere ideologiekritische Durchgreifen gegen Hamsun fußt auf Löwenthal. [TFS]


Gmünder, Ulrich: Kritische Theorie. Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas

Stuttgart: Metzler, 1985 (= SM; 220).

Nicht die einzige Einführung in die Labyrinthe der Frankfurter Schule, jedoch nach wie vor die am spezifischsten auf die Literaturwissenschaft ausgerichtete. Im Mittelpunkt stehen vor allem Horkheimers Programm des Instituts für Sozialforschung sowie Horkheimer/Adornos folgen- und einflussreiche Untersuchung zur Kulturindustrie: Dialektik der Aufklärung (1947). Den Abschluss bildet das Nachwirken der Kritischen Theorie im Werk von Jürgen Habermas. Wer insbesondere an Adornos ästhetischer Theorie interessiert ist, greift allerdings besser zu einer speziellen Einführung in dessen Werk. [TFS]


Bürger, Peter: »Vorüberlegungen zu einer kritischen Literaturwissenschaft«

In: Ders.: Theorie der Avantgarde. 2., um ein Nachwort erw. Aufl. 16. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 2013 (= es; 727), S. 8–19.

In seinen ursprünglich auf der Tagung des deutschen Romanistenverbandes 1973 vorgetragenen Thesen und Überlegungen bestimmt Bürger die Aufgabe kritischer Literaturwissenschaft darin, dass sie zum einen ihr spezifisches ›Erkenntnisinteresse‹ (Jürgen Habermas), kurzum: ihren Standpunkt bestimmen müsse. Eine große Rolle spielt dabei die von Bürger so benannte ›Werkintention‹ im Unterschied etwa zu einer ›Autorintention‹. Zum anderen sei es die Aufgabe kritischer Literaturwissenschaft, dass sie die Kategorien traditioneller Wissenschaft daraufhin befragt, »welche Fragen mit ihnen gestellt werden können und welche von vorneherein ausgeschlossen sind«. In kritischer Literaturwissenschaft gehe »Hermeneutik [...] in Ideologiekritik über«. Ihr Programm beschreibt Bürger ebenso komprimiert wie klar verständlich auf wenigen Seiten. [TFS]


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Marxismus


Raddatz, Fritz J. (Hg.): Marxismus und Literatur. Eine Dokumentation in drei Bänden

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 1969 (= Rowohlt Paperback; 80, 81, 82).

Umfangreiche Textsammlung von Marx bis Trotzki, Stalin bis Garaudy, von Bloch bis Sartre, von Gramsci bis Hans Mayer. Listet sowohl Pamphlete wie auch Programmschriften auf, theoretische Konzepte ebenso wie kritische Revisionen, bietet daneben auch Auszüge aus Analysen (z.B. aus Sartres voluminöser Flaubert-Studie). Eine fünfzigseitige Einführung des Herausgebers erläutert die Wandlungen des marxistischen Literaturbegriffs. [TFS]


Scholz, Rüdiger, u. Klaus Michael Bogdal (Hg.): Literaturtheorie und Geschichte. Zur Diskussion materialistischer Literaturwissenschaft

Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996.

»Die Gegenwart des Marxismus« heißt – gewiss nicht zufällig, sondern programmatisch – der erste, von Fredric Jameson stammende Text dieser Sammlung, die als ganze von der Frage beherrscht ist: Was bleibt? Anders gesagt: Was ist verwertbar, was kann (und muss) revidiert werden im Hinblick auf eine von den Herausgebern formulierte »Weiterentwicklung der Geschichtswissenschaft und der Literaturwissenschaft«? Marxistische Gesellschaftstheorie sowie deren Leitbegriffe wie Ideologie, Basis-Überbau werden diskutiert, und zwar nicht zuletzt aus feministischer Perspektive; Wahrheitspositionen der Wissenschaft in ihren marxistischen und postmodernen Strategien (und Aporien) erörtert. Im literaturorientierten Teil wird beispielsweise die Frage nach Parteilichkeit (Lukács) oder proletarischen Literaturtraditionen gestellt, oder sogar und leicht ironisch nach den »Aufgaben einer rot-grünen Literaturwissenschaft«. [TFS]


Lukács, Georg: »Einführung in die ästhetischen Schriften von Marx und Engels«

In: Kimmich u.a., S. 79–94.

Bereits in seiner frühen, noch stark dem deutschen Idealismus und insbesondere Hegel verpflichteten Theorie des Romans (1916) spricht Lukács davon, dass der Roman nur als ›Totalität‹ verstanden werden könne. Mit seiner Hinwendung zum Marxismus übernimmt er von Marx insbesondere dessen Vorstellung vom ›Fetischcharakter‹ der Waren, die Lukács in Geschichte und Klassenbewusstsein zu einer Theorie der ›Verdinglichung‹ ausweitet. Diese beiden Vorstellungen bilden zugleich die Grundlage seines Realismuskonzeptes der Literatur, das sich gegen jegliche ›Tendenz‹ wandte, jedoch ›Parteilichkeit‹ einforderte, wobei Lukács in letzterer keinen Hinderungsgrund für eine ihm notwendig erscheinende Objektitvität sah. – Der Aufsatz enthält eine implitzite Theorie des Realismus (mit Hinweis auf das große Vorbild Balzac). [TFS]


Jameson, Fredric: Das politische Unbewußte. Literatur als Symbol sozialen Handelns

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 1988 (= re; 461).

Jameson strebt eine Erneuerung gesellschaftskritischer Literaturwissenschaft in der Nachfolge von kritischer Theorie und Marxismus an, die er mit dem Strukturalismus und der Dekonstruktion zu verbinden sucht, indem er sich mit deren Kritik an Begriffen wie Totalität, Teleologie, Basis/Überbau, ›große Erzählung‹ etc. auseinandersetzt. Im Gegensatz zu anderen postmodernen Positionen bleibt für Jameson Geschichte (und mit ihr: Sinn) in literarische Texte eingeschrieben – und sei es als ihr ›Unbewusstes‹. Mit diesem Rückgriff auf den französischen Psychoanalytiker Lacan (»Das Unbewußte ist strukturiert wie eine Sprache«) nimmt er sich in seinen Analysen vor allem der Literatur des 19. Jh. an (Balzac u.a.). [TFS]


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Medientheorie


Spangenberg, Peter M.: »Mediengeschichte – Medientheorie«

In: Fohrmann; Müller, S. 31–77.

Knappe, aber solide Übersicht über die historische Entwicklung der (Speicher-) Medien, angefangen bei Problemen von Oralität/Literalität über den Buchdruck bis hin zu Photographie, Rundfunk, Kinematographie und Fernsehen sowie einem abschließenden Durchgang durch Medientheorien. Sehr gute Auswahlbiographie. [TFS]


Gumbrecht, Hans Ulrich (Hg.): Materialität der Kommunikation

2. Aufl. Ffm: Suhrkamp Taschenbuch, 1995 (= stw; 750).

Nicht zufällig wendet sich Literaturwissenschaft als Medientheorie (und umgekehrt) dem Problem der Materialität ihrer Gegenstände zu. Der umfangreiche Sammelband beschäftigt sich mit historischen Problemen von Mündlichkeit/Schriftlichkeit bis zur (vermeintlich) drohenden Ablösung des Buches durch den Computer ebenso wie mit systematischen Problemen, etwa der Frage nach dem Unterschied von Körper und Maschine als Träger kommunikativer Praxis oder nach der Originalität im Zeitalter der Fotokopie. Körper und Schrift (und natürlich Medien) sind die Leitbegriffe in diesem ansonsten sehr vielschichtigen, weit über fünzig Aufsätze enthaltenden Sammelband, der weniger Theorie(n) bilden als vielmehr neue »Semantiken von Materialität« entwickeln will, »weil wir Kommunikation nicht mehr in Bildern semantischer Übertragungen, Transporte, ›Mitteilungen‹ denken können«, denn diese seien beobachterabhängig und bereits Interpretationen. Damit ist auch die gesamte Richtung vorgegeben: Radikaler Konstruktivismus und Systemtheorie beschließen den Band mit programmatischen Texten von u.a. Jean-François Lyotard, Humberto Maturana, Paul Watzlawick und Niklas Luhmann. [TFS]


McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Understanding Media

[Understanding Media. The Extensions of Man; 1964.] Übers. v. Meinrad Amann. 2. erw. Aufl. Düsseldorf u. Wien: Econ, 1995. [Aktuelle Ausgabe: Dresden u. Basel: Verlag der Kunst, 1994 (= Fundus; 127).]

Eigentlich Literaturwissenschaftler (wie übrigens zahlreiche der neueren Medientheoretiker, nicht zuletzt in Deutschland), wurde der Kanadier McLuhan mit dieser teils euphorischen, teils skeptischen Untersuchung bekannt vor allem mit dem – meist missverstandenen – Satz, dass das Medium die Botschaft sei. Er meint nichts anderes, als dass jedes neue Medium auch neue Inhalte hervorbringt bzw. ermöglicht (z.B. die Telegraphie die tagesaktuelle Meldung). Wichtig ist sein Buch nicht nur als Initialzündung einer Medientheorie, in der die Literatur nur noch eine Sparte neben anderen belegt, sondern auch wegen seiner Feststellung, dass neue Medien immer auch eine Ausweitung unseres Bewusstseins (als teilweise Auslagerung unserer Wahrnehmung) mit sich bringen. [TFS]


Bolz, Norbert: Theorie der neuen Medien

München: Raben, 1990.

Bolz, von Hause aus Literaturwissenschaftler, sieht im Übergang von der »Buchkultur zur Telematik« die (einzige?) Zukunft und daher in der Verwandlung von Literatur- in Medienwissenschaft eine Notwendigkeit. Mit drei Kapiteln zu Nietzsche/Wagner, Benjamin und McLuhan macht er an Personen und ihrem Werk die »Urszenen der neuen Mediengeschichte« dingfest. Das ist durchaus interessant, in der Mischung aus Euphorie und mal flott überdrehtem, mal geschraubtem Stil allerdings auch mit einiger Vorsicht zu genießen. [TFS]


Kittler, Friedrich A.: »Draculas Vermächtnis«

In: Ders.: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. Leipzig: Reclam, 1993 (= RUB; 1476), S. 11–57.

Eine ebenso bestechende wie unterhaltsame Analyse von Bram Stokers Roman Dracula als Vorbote neuer medialer Entwicklungen und Speichersysteme, wie sie Kittler in seinen beiden Büchern Aufschreibsysteme historisch – auf die deutsche Literatur von Goethe bis Nietzsche bezogen – und Grammophon, Film, Typewriter systematisch unternahm. [TFS]


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New Historicism

Diese mit Beginn der achtziger Jahre vor allem in den USA, genauer gesagt in Kalifornien entstehende ›Schule‹, deren Repräsentanten sich vor allem um die von Stephen Greenblatt herausgegebene Zeitschrift Representations scharten, hat sich gewissermaßen einen erweiterten Literaturbegriff, eine Art Sozialgeschichte der Literatur zum Ziel gesetzt (und ist damit auch und gerade für die Kulturwissenschaften von Interesse), die ihre Wurzeln auch in der französischen Mentalitätengeschichte (L. Febvre, M. Bloch, F. Braudel) und in Foucaults ›Mikrogeschichte‹ hat. Es ist in Europa heftig umstritten, inwiefern sie – anders als in der von der ›reinen Immanenz‹ des ›New Criticism‹ geprägten amerikanischen Literaturforschung – tatsächlich etwas Neues darstellt. [TFS]


Baßler, Moritz (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur

2., aktual. Aufl. Tübingen: Francke, 2001 (= UTB; 2265: Literaturwissenschaft).

Der Band versammelt neben programmatischen Beiträgen von Stephen Greenblatt und Louis Montrose zu einer ›Poetik der Kultur‹ auch kritische Anmerkungen zum Phänomen des New Historicism. Eine Einleitung beschreibt Entstehung, Entwicklung und Einflüsse, während sich Anton Kaes unter dem Vorzeichen der Postmoderne mit der Relevanz des New Historicism gerade auch für die Germanistik bzw. die europäische Literaturwissenschaft beschäftigt. Mit Auswahlbiographie. [TFS]


Ryan, Kiernan: New Historicism and Cultural Materialism. A Reader

London u. New York: Arnold, 1996.

Ryans Reader verknüpft den New Historicism mit dem stärker politisch (neomarxistisch) orientierten, aus England kommenden ›Cultural Materialism‹. In drei Kapiteln nach ›Quellen‹, ›Standpunkten‹ und ›Auslotungen‹ sortiert erweitert er das Fundament durch Namen wie Raymond Williams, Clifford Geertz, Louis Althusser, Jacques Derrida oder Alan Sinfield. Empfehlenswert vor allem auch wegen der ebenso umfangreichen wie vorzüglichen, auf Vollständigkeit bedachten Bibliographie, die bereits Allerneuestes aus demselben Erscheinungsjahr berücksichtigt und zum Beispiel auch Serien und Periodika auflistet. [TFS]


Veeser, Hiram A. (Hg.): The New Historicism

London: Routledge, 1989.

— — — (Hg.): The New Historicism Reader

London: Routledge, 1994.

Zusammen bieten die beiden Bände einen sehr guten Überblick über Ausgangspunkte, Entwicklungen und Ziele des New Historicism. Während der erste Band den programmatischen Anfängen sowie den kritischen Stellungnahmen mehr Raum gewährt, entfaltet der zweite ein breiteres Spektrum von Fallstudien und Einzelanalysen insbesondere zu den Lieblingsthemen und -epochen des New Historicism: der (englischen) Renaissance und dem 19. Jh. Darüber hinaus trägt der zweite Band neueren, den New Historicism theoretisch und praktisch erweiternden Debatten Rechnung (Stichworte: Postcolonialism, Gender Studies). [TFS]


Glauser, Jürg, u. Annegret Heitmann (Hg.): Verhandlungen mit dem New Historicism. Das Text-Kontext-Problem in der Literaturwissenschaft

Würzburg: Königshausen und Neumann, 1999.

Die Beiträge des Bandes sind, so die Herausgeber, vier Verhandlungsfeldern zuzuordnen: »eine Verknüpfung des New Historicism mit ihm vorausgehenden kulturwissenschaftlichen Ansätzen, eine Verfeinerung und kritische Weiterentwicklung bestimmter Ideen und Theoreme, eine wissenschaftsgeschichtliche und -politische Positionierung und schließlich eine kreative Umsetzung in innovativen Textlektüren« (S. 18) Interessant ist der Band für Skandinavistikstudierende nicht zuletzt, weil sich zahlreiche Beiträge auf skandinavische Literatur beziehen. [SMS]


Greenblatt, Stephen: Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance

[Shakespearian Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England; 1988.] Übers. v. Robin Cacket. Berlin: Wagenbach, 1990. [Taschenbuchausgabe: Ffm: Fischer Taschenbuch, 1993 (= Fischer Taschenbuch; 11001).]

»Mit den Toten« wollte Greenblatt sprechen. Längst ist dieser im ersten Satz des Buches formulierte Wunsch zur programmatischen Wendung des New Historicism geworden. Im Mittelpunkt seines Interesses steht, was Greenblatt die »Zirkulation sozialer Energie« nennt, also schlicht das Wechselverhältnis von Literatur und Politik, von Kunst und Wirklichkeit einer Zeit und wie sie sich (gegenseitig!) beeinflussen, oder besser und mit Greenblatt gesagt: wie ein ständiger (Aus-)Tauschprozess zwischen den verschiedenen Bereichen stattfindet. In vier Kapiteln untersucht er am Beispiel des elisabethanischen Theaters Themen wie die Legitimierung und Inszenierung von Macht, die Funktionalisierung von Religion oder die Selbstdarstellung der Geschlechter. [TFS]


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Performative Turn/Literarische Praktiken

Unter dem Performative Turn versteht man im weitesten Sinne eine veränderte Weise, mit Texten umzugehen: Diese werden primär nicht (nur) in ihrem Zeichencharakter betrachtet, sondern statt dessen werden ihre Ausführungs- und Aufführungsdimensionen fokussiert. Dadurch wird Literatur als kulturelle Praxis reflektiert, d.h. z.B. als aufgeführte oder vorgelesene, was zugleich die Körperlichkeit des Aufführenden und die Materialität des Aufzuführenden ins Blickfeld rückt. Der Begriff des ›Performativen‹ geht vor allem auf zwei Traditionen zurück: zum einen auf die performance, also die (z.B. Theater-)Aufführung, zum anderen auf den Begriff der ›performativen Äußerung‹, die der Linguist J.L. Austin in seiner Sprechakttheorie 1961 von konstativen Äußerungen unterschieden haben wollte: Während letztere nur konstatieren, werden mit ersteren Handlungen vollzogen (z.B. durch die Taufformel des Pfarrers »Hiermit taufe ich Dich auf den Namen ...«). [SMS]


Wirth, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften

5. unveränd. Aufl. Ffm: Suhrkamp, 2011 (= stw; 1575).

Ein leider wenig für Anfänger geeigneter Band, der aber den Vorzug hat, für die Entwicklung der Performativitätsstudien zentrale ›historische Texte‹ von Autoren wie Austin, Searle, Barthes, Foucault, Derrida etc. mit neueren Beiträgen von z.B. Sybille Krämer in einem Band zu vereinen. [SMS]


Schröder, Stephan Michael u. Joachim Grage: »Performativität und literarische Praktiken: Zum Erkenntnispotential einer Verschränkung von Performativitätsforschung und Praxistheorie«

In: Joachim Grage u. Stephan Michael Schröder (Hg.): Literarische Praktiken in Skandinavien um 1900. Würzburg: Ergon, 2012 (= Literarische Praktiken in Skandinavien; 1), S. 7-35.

Ein im Unterricht erprobter Aufsatz, der einen Überblick über die Performativitätsforschung vermittelt und von dort einen Bogen zur soziologischen Praxisforschung schlägt, um ein Konzept von literarischen Praktiken als Gegenstand einer (skandinavistischen) Literaturwissenschaft zu skizzieren. [SMS]


Grage, Joachim u. Stephan Michael Schröder (Hg.): Literarische Praktiken in Skandinavien um 1900. Fallstudien

Würzburg: Ergon, 2012 (= Literarische Praktiken in Skandinavien; 1).

— — — (Hg.): Milieus, Akteure, Medien. Zur Vielfalt literarischer Praktiken um 1900.

Würzburg: Ergon, 2013 (= Literarische Praktiken in Skandinavien; 2).

In diesen beiden Aufsatzbänden, die aus einem skandinavistischen DFG-Projekt hervorgegangen sind, wird an zahlreichen Beispielen die Produktivität eines Praktiken-Ansatzes demonstriert, bei dem nicht der literarische Text selbst, sondern das Handeln mit ihm und das Handeln der Akteure im literarischen Feld im Vordergrund steht. Die Aufsätze befassen sich u.a. mit weiblichen Lesevereinigungen, der Literaturvermittlung in der Schule, handgeschriebenen Zeitungen in der Arbeiterbewegung, dem Liedvortrag im 19. Jahrhundert, Künstlerkneipen und Beisetzungen von Autoren. [SMS]


Sasse, Sylvia: »Performativität. Neuere deutsche Literatur«

Velten, Hans-Rudolf: »Performativität. Ältere deutsche Literatur«

In: Claudia Benthien u. Hans-Rudolf Velten (Hg.): Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Reinbek: Rowohlt, 2002, S. 243-265 u. S. 217-242.

In diesen beiden durchaus auch für Anfänger geeigneten Aufsätzen zeichnen beide Autoren die Entwicklung des theoretischen Begriffsfelder der Performativität nach, diskutieren darunter zu subsumierende Theorieansätze sowohl in bezug auf die ältere als auch die neuere deutsche Literatur und skizzieren Arbeitsfelder, die sich leicht auch auf die Skandinavistik übertragen lassen. [SMS]


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Postkolonialismus

Der Postkolonialismus nimmt seinen Ausgangspunkt in der Feststellung, dass wir in einer Welt leben, die durch koloniale Strukturen geprägt war und geprägt ist. Untersucht wird, was für Auswirkungen dies auf die kulturelle (einschließlich der literarischen) Bedeutungsproduktion gehabt hat, und zwar sowohl in den kolonialisierten wie auch in den kolonialisierenden Kulturen, und was für (auch: Text-) Strategien und diskursive Praxen eingesetzt werden, um das komplexe Verhältnis zwischen diesen Kulturen zu gestalten (z.B. Dominanz/Subordination, Mimikry, Erzeugung von Hybridität, eines ›Dritten Raumes‹). Der Postkolonialismus ist in der Anglistik und Romanistik entstanden und greift methodologisch vor allem auf den französischen Poststrukturalismus sowie Kategorien der Cultural Studies wie gender, race, class zurück. In der Skandinavistik ist der Postkolonialismus erst ab ca. 2000 rezipiert worden. Applikationen auf skandinavische Literatur finden sich z.B. in den Themennummern der folgenden beiden Zeitschriften: Tijdschrift voor Skandinavistiek Heft 25:2 (2004) (Surmatz, Astrid, u. Henk van der Liet (Hg.): Postkoloniale tilgange til nordisk rejselitteratur) und Heft 30:2 (2009) (Tema: Et postkolonialt Danmark) sowie in Kritik 178 (2005). [SMS]


Varela, María do Mar Castro, u. Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung

2. komplett überarb. u. erw. Aufl. Bielefeld: Transcript, 2015 (= Cultural Studies; 12).

Anhand einer Einführung in das Werk dreier Haupttheoretiker der kuranten postkolonialistischen Diskussion (Said, Spivak und Bhabha) werden wichtige Grundzüge des Postkolonialismus leicht verständlich und kompakt präsentiert und diskutiert. Dass es sich um eine ›kritische‹ Einführung handelt, wird explizit im letzten Kapitel »Postkoloniale Theorie kritisch betrachtet« demonstriert, in dem zahlreiche Kritikpunkte an postkolonialer Theoriebildung resümierend und z.T. unter Eröffnung eines historischen Horizontes aufgegriffen werden – selbst eine so erfrischend freche Frage wie »Was ist wirklich neu an postkolonialer Theorie?«. [SMS]


Loomba, Ania: Colonialism/Postcolonialism

London: Routledge, 1998 (= The New Criticial Idiom).

Eine an englischsprachigen Universitäten erprobte Einführung in die postkoloniale Thematik mit ihren historischen Dimensionen und theoretischen Diskursen, wobei immer wieder auf den Konflikt zwischen einer politischen Kritik an den materiellen Konditionen einer durch Kolonialismus geprägten Welt und der vorherrschenden poststrukturalistischen Theoriebildung hingewiesen wird. Etwas befremdlich ist, dass zwar einerseits unterstrichen wird, dass es sich weder bei den Kolonisierenden noch bei den Kolonialisierten um homogene Kategorien handelt, anderseits aber Europa ausschließlich aus England, Frankreich, Spanien, Portugal und die Niederlande zu bestehen scheint und alle Beispiele mit undiskutierter Selbstverständlichkeit englischsprachige sind. Mit Literaturverzeichnis und nützlichem Namens-, Titel- und Sachindex. [SMS]


McClintock, Anne: Imperial Leather - Race, Gender and Sexuality in the Colonial Context

New York u. London: Routledge, 1995.

S. den Kommentar zu diesem Titel in der Intersektionalitätssektion.


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Psychoanalyse

Gerade wegen ihres analytisch-deutenden Ansatzes von ›Erzählungen‹ (auf der Couch), aber auch wegen ihrer Vorliebe für literaturbezogene Theorie- und Begriffsbildung (Ödipus-Komplex, Narzismus) hat die Psychoanalyse von Beginn an eine Faszination auf die Literaturwissenschaft ausgeübt, wie umgekehrt die Literatur gerne von Psychoanalytikern für ihre Zwecke herangezogen wurde. Man kann im Grunde zwei Phasen der Rezeption von Psychoanalyse in der Literaturwissenschaft unterscheiden: eine frühe (Freud), die sich vor allem durch ihren Autor- oder Figurenbezug auszeichnet, sowie eine spätere sprach- und vor allem textbezogene (Lacan, Kristeva u.a.), die grundsätzlich davon ausgeht, dass in literarische Texte stets ›Unbewusstes‹ einfließt. [TFS]


Schönau, Walter: Einführung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft

2. aktual. u. erw. Aufl. Stuttgart: Metzler, 2003 (= SM; 259).

Gegliedert in eine historische und eine systematische Abteilung, bietet der Band im ersten Teil eine Rezeptionsgeschichte der Psychoanalyse durch die Literaturwissenschaften in Europa und den USA. Der andere Teil widmet sich schwerpunktmäßig der Analyse des Schaffensprozesses (Autor) sowie der Lektüre (Leser) und Deutung (Autor, Figuren) von Literatur als psychoanalytisch zu erfassende Vorgänge, wobei bestimmte, von Freud erläuterte Mechanismen z.B. im Traum und im Witz modellhaft verstanden werden. Zu kurz kommt leider die Wendung zur ›Textualität‹ des Unbewussten (bzw. umgekehrt zu einem ›Unbewussten‹ im Text); die Kapitel über Deleuze u. Guattaris ›Schizoanalyse‹ und über feministische Ansätze schließlich grenzen an Vernachlässigung. [TFS]


Engelstad, Irene (Hg): Skriften mellom linjene. Syv bidrag om psykoanalyse og litteratur

Oslo: Pax, 1985.

Sieben ›klassische‹ Beispielanalysen in psychoanalytischer Tradition. Betrachtet werden Werke, die vor und nach dem Durchbruch der Psychoanalyse entstanden sind, wie bspw. Amalie Skrams Novelle »Det røde gardin« und Bjørg Viks Novelle »På bussen er det fint«. Jeder Beitrag ist gefolgt von einem kurzen Literaturverzeichnis. [ChB]


Felman, Shoshana (Hg.): Literature and Psychoanalysis. The Question of Reading: Otherwise

Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1981.

Einflussreicher Reader an der Schwelle zur Postmoderne, der das Feld gleich in mehreren Richtungen (z.B. Marxismus, Feminismus) neu absteckte, insbesondere in Barbara Johnsons kritischer Reflexion über Lacans ›Poe-Lektüre‹ und die darauf folgende Kritik durch Jacques Derrida. Enthält sowohl Einzeldarstellungen wie etwa Sh. Felmans exemplarische Analyse eines Romans von Henry James als auch neue theoretische Adaptionen der Psychoanalyse (Peter Brooks über narrative Mechanismen) oder eine marxistische Kritik an psychoanalytischer Literaturwissenschaft (Fredric Jameson). [TFS]


Nylander, Lars (Hg.): Litteratur och Psykoanalys – en antologi om modern psykoanalytisk litteraturtolkning

Sthlm: Norstedts, 1986.

Reflektiert, nach einer ausführlichen Einleitung, die französische und amerikanische Debatte zum Thema mit Texten von Kristeva, Jameson, Felman u.a. Interessant wegen der eigens für diesen Band geschriebenen Analysen von schwedischer Literatur (Selma Lagerlöf, Pär Lagerkvist, Birgitta Trotzig). [TFS]


Freud, Sigmund: Schriften zur Kunst und Literatur

Ffm: Fischer Taschenbuch, 1987. (= FW; 7399) [zuerst 1969 als Bd. 10 der ›Sigmund Freud Studienausgabe‹]

Enthält u.a. »Der Dichter und das Phantasieren«, »Das Motiv der Kästchenwahl« (über Shakespeares Kaufmann von Venedig) sowie die Initialzündung für eine Anwendung psychoanalytischer Verfahren auf Literatur, nämlich Freuds berühmt gewordene, in ihrer Fixierung auf Autor und Personen allerdings überholte Analyse von W. Jensens Novelle »Gradiva« (in der separaten Taschenbuchausgabe mit dem Text der Novelle!). Allerdings muss man sich gerade jene Texte, die die neuere, vor allem postmoderne Debatte beherrschen, an anderen Stellen zusammensuchen, etwa »Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten« (1914), »Notiz über den ›Wunderblock‹« (1925), »Das Unheimliche« (1919, über E.T.A. Hoffmanns »Sandmann«) oder den bereits von Benjamin rezipierten Essay »Jenseits des Lustprinzips« (1920). [TFS]


Lacan, Jacques: »Das Seminar über E.A. Poes ›Der entwendete Brief‹«

[Le séminaire sur ›La lettre volée‹, aus: Ders.: Écrits; 1966.] Übers. v. Rodolphe Gasché. In: Ders.: Schriften 1. 4. durchges. Aufl. Ffm: Suhrkamp Taschenbuch, 1996 (= stw; 137), S. 7–60.

Gewissermaßen die Anwendung der Psychoanalyse auf zweiter Stufe: nicht mehr Autor oder Personal eines Buches interessieren, etwa als Repräsentanten neurotischer Zustände, sondern Texte und was sich in diese ›einschreibt‹ wie etwas Verdrängtes ins Unbewusste. Wenn nach Lacan »das Unbewußte wie eine Sprache« funktioniert, inkorporiert sich umgekehrt in literarischen Texten ein solches Unbewusstes, und zwar jenseits aller bewussten (Autor-)Intention. Poes »Entwendeten Brief« interpretierend entwickelt Lacan hier sein Konzept des Signifikanten, des Begehrens und des Phallus, das zum Ausgangspunkt für weitere (kritische) Diskussionen einer psychoanalytischen Literaturwissenschaft wurde. [TFS]


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Spatial Turn

Der Spatial Turn oder die ›räumliche Wende‹ beinhaltet, Sigrid Weigels Differenzierung von 2002 folgend, eigentlich zwei verschiedene Wenden: Während der Spatial Turn in den Cultural Studies das durchaus konkrete politische Anliegen einer neuen Geographie verfolgt, wo z.B. auf der Grundlage einer postkolonialistischen Umwertung von europäischen Zentrum und historisch kolonialer Peripherie ›dritte‹ oder ›hybride‹ Räume ausgelotet werden, zielt die eher topographische als allgemein räumliche Wende in den Literaturwissenschaften darauf, Räumlichkeit und ihre Repräsentation z.B. auf Landkarten als ganz konkrete in den Blick zu bekommen. [SMS]


Hallet, Wolfgang, u. Birgit Neumann (Hg.): Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn

Bielefeld: Transcript, 2009.

Die Beiträge dieses Sammelbandes befassen sich mit der literarischen Darstellung von Raum und Bewegung nach dem Spatial Turn. Vor allem der erste Abschnitt (insbesondere die Einführung) bietet dabei auch Einsteigern einen guten Überblick über die verschiedenen literaturwissenschaftlichen Raumkonzepte. [KaP]


Döring, Jörg, u. Tristan Thielemann (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften

Bielefeld: Transcript, 2008.

Ein erster deutscher Sammelband zum Spatial Turn, der seinen Ausgangspunkt in der inflationären Verwendung des Begriffes nimmt und deshalb der Frage nachgeht, inwiefern die vielevozierte räumliche Wende in den Kulturwissenschaften und der Humangeographie eigentlich einen »common ground« (S. 11) hat, wie es bewusst vorsichtig formuliert wird. [SMS]


Dünne, Jörg, u. Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften

Ffm: Suhrkamp, 2006 (= stw; 1800).

Eine umfassende Sammlung kulturell wirkungsmächtiger Texte über den Raum, von Descartes über Leibniz, Kant, Einstein, Husserl, Bachelard, Lacan, Irigaray, Virilio, Foucault, Deleuze und Guatteri und viele andere. Die Texte sind in sechs Kategorien klassifiziert worden (»Physik und Metaphysik des Raumes«, »Phänomenologie der Räumlichkeit«, »Körperliche, technische und mediale Räume«, »Soziale Räume«, »Politisch-geographische Räume« sowie »Ästhetische Räume«), und jeder dieser Abschnitte ist mit einer übersichtsvermittelnden Einleitung versehen. [SMS]


Weigel, Sigrid: »Zum ›topographical turn‹: Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften«

In: KulturPoetik. Zeitschrift für kulturgeschichtliche Literaturwissenschaft 2 (2002), S. 151-165.

In diesem Aufsatz differenziert Weigel zwischen einem angloamerikanischen Spatial Turn der Cultural Studies und einem Topographical Turn in der europäischen Kulturwissenschaft (hierzu s.o. die Einführung zu Spatial Turn). Weigel plädiert dafür, die angloamerikanische Theorie, die auf die Schaffung eines Gegendiskurses für Minderheiten zielt, nicht einfach ohne Rücksicht auf ihren kulturellen ›Ort‹ zu importieren und dadurch zu methodologisieren, und diskutiert die europäische Tradition von Raumtheorien. [SMS]




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