Studienbibliographie zur neueren
skandinavistischen und fennistischen Literaturwissenschaft

3.2.2 Schwul/lesbische und queerorientierte Literaturgeschichten

Seit den 1970er Jahren gibt es in der Literaturwissenschaft das Bemühen, die Literatur von Schwulen und Lesben als eigene Traditionslinie zu erkennen sowie deren spezifischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu erforschen. Unter dem Motto »Queering the canon« wurden und werden bisher nicht oder kaum beachtete Werke kanonisiert bzw. bereits kanonisierte Werke neu gelesen. Siehe hierzu auch Abschnitt 2.2.4 »Queer Studies«. Seit den 1990er Jahren stehen diese Bemühungen im Zuge des Queer-Diskurses in der Abkehr von essentialistischen Sichtweisen »des Schwulen und des Lesbischen«.


Plummer, Kenneth (u.a.): The Making of the Modern Homosexual

London: Hutchinson, 1982.

Wichtige einführende Anthologie mit wegweisenden Beiträgen zur modernen Homosexualitätsforschung, deren Perspektive sich damit grundsätzlich ändern sollte: nicht mehr Individualpsychologie und Ätiologie, sondern Rollensoziologie und Labelling theory, also ein ›konstruktivistischer‹ Zugang, standen nun im Mittelpunkt. Wichtig ist vor allem der Wiederabdruck von Mary McIntoshs bahnbrechendem Artikel »The Homosexual Role« von 1968. [DHe]


Lützen, Karin: Hvad hjertet begærer. Kvinders kærlighed til kvinder 1825–1985

Kbh: Tiderne Skifter, 1986.

Zentrales Werk der lesbischen Geschichtsschreibung. In wissenschaftlich fundierten, spannenden und flüssig formulierten Aufrissen werden wichtige Aspekte in der Entwicklung zur modernen ›Lesbe‹ beschrieben, die eingeteilt wird in die Kapitel »Borgerkvinden 1825–1870«, »Overgangskvinden 1870–1915«, »Den moderne kvinde 1915–1970« und »Nutidens kvinde 1970–1985«. Diese Rollen werden unter folgenden Gesichtspunkten analysiert: ›Bewusstsein‹, ›Verhalten‹ und ›Patriarchat‹. Betont wird dabei vor allem die Dynamik solcher Rollen und ›die Veränderlichkeit des Begehrens‹. — Das Buch liegt unter dem Titel Frauen lieben Frauen. Freundschaft und Begehren auch in deutscher Übersetzung von Gabriele Haefs vor (München: Piper, 1992. (= Serie Piper; 1424)). [DHe]


Castle, Terry: The Literature of lesbianism. A historical anthology from Ariosto to Stonewall

New York: Columbia University Press, 2003.

Castle sammelt in dieser Anthologie Texte aus dem 16.–20. Jhd. unter den Leitfragen [Vorwort:] »How (and when) did it first become possible in modern Western culture to think about erotic desire between women? From whence derive our sometimes wildly contradictory notions of what lesbianism is and how it can be recognized? And how to comprehend, more broadly, the curious and enduring intellectual fascination that fantasies of love between women have exerted over the Western popular imagination since the Rennaissance?« Obwohl es sich nicht um eine Literaturgeschichte im eigentlichen Sinne handelt, so ist das Werk nicht zuletzt wegen seines Umfanges (über 1100 Seiten) und Castles Anmerkungen zu den einzelnen Texten wertvoll. [ChB]


Brantenberg, Gerd (u.a.): På sporet av den tapte lyst – Kjærlighet mellom kvinner som litterært motiv

Oslo: Aschehoug, 1986.

Untersuchungen des Motivs der Frauenliebe besonders in der nordischen Literatur des 20. Jh. Mit Beiträgen von Gerd Brantenberg, Bodil Espedal, Relsen Larsen, Lisbeth Nilsen, Astrid Torud. Enthält eine umfassende kommentierte Bibliographie über lesbische Literatur in Skandinavien 1900–1984 sowie ein Verfasser- und Titelregister. [DHe]


Nordisk bibliografi – Homoseksualitet. Landsforeningen for bøsser og lesbiske

Kbh: Pan, 1984.

Bibliographie über nordische Literatur mit homosexueller Thematik.


Für eine Bibliographie der lesbischen Literatur in Skandinavien 1900–1984 Brantenberg.


Bech, Henning: Når mænd mødes

Kbh: Gyldendal, 1988.

Das zentrale Werk zur modernen männlichen Homosexualität. Durch eine überzeugende Kombination verschiedener wissenschaftlicher Methoden – Gesellschaftstheorie, Kultursoziologie, Anthropologie, Wissenschaftstheorie – und durch Detailanalysen einer Reihe verschiedener Themen (wie Freundschaften, Männergemeinschaften, Gewalt, Subkultur oder Camp) versucht dieses Buch, die moderne männliche Homosexualität als historisches Phänomen in seiner ganzen Vieldeutigkeit und Komplexität zu erfassen. Das Werk ist zugleich wissenschaftlich nuanciert und allgemeinverständlich formuliert und lässt sich auf verschiedenen Ebenen lesen – als poetische, pornographische, philosophische und kulturtheoretische Darstellung. Einzelne Ausblicke zu Verfassern wie Christian Houmark oder Herman Bang. Die fünf Hauptkapitel: »Homoseksualitetens almenhed«, »Den fraværende homoseksualitet«, »Den udskilte homoseksualitet«, »Det homoseksuelle og samfundet« und »Den endelige løsning«. [DHe]


von Rosen, Wilhelm: Månens kulør. Studier i dansk bøssehistorie 1628–1912

2 Bde. Kbh: Rhodos, 1994.

Umfassende, gelehrte, gründliche, aber dennoch leicht zugängliche Habilitationsschrift. Das zentrale Werk zur älteren dänischen Schwulengeschichte. Aus einem radikal konstruktivistischen Blickwinkel, inspiriert durch die Sexualgeschichte des französischen Philosophen Michel Foucault, werden Erfindung und Entwicklung ›des Homosexuellen‹ als Persönlichkeitstyp dargestellt. In umfassenden, intensiven Quellenstudien wird der Übergang von der ›Sodomie‹ und ›Päderastie‹ zur modernen Homosexualität untersucht. Besondere Aufmerksamkeit finden dabei die dänischen Verfasser H.C. Andersen und Herman Bang. [DHe]


Detering, Heinrich: Das offene Geheimnis. Zur literarischen Produktivität eines Tabus von Winckelmann bis zu Thomas Mann

2. durchges. u. mit einer Nachmerkung vers. Ausg., Göttingen: Wallstein, 2013.

Deutsche Habilitationsschrift über Homosexualität in der deutschen und dänischen Literatur, z. B. bei H.C. Andersen und Herman Bang. Durch close readings von literarischen Werken, Briefen und Biographien wird Homosexualität als Camouflage, als verborgene Textschicht und als literarischer Schöpfungstrieb untersucht. Die Abhandlung basiert jedoch auf einer etwas unklaren wissenschaftstheoretischen Grundlage, die wechselt zwischen Essentialismus und Konstruktivismus. [DHe]


Brantsæter, Marianne C. (Hg.): Norsk homoforskning

Oslo: Univ.forl., 2001.

Enthält gut verständliche Übersichtsartikel zum Verständnis, zur Rechtslage und zur Politik Homosexueller in Norwegen seit der Wikingerzeit. Das Thema wird von unterschiedlichen Fachrichtungen aus betrachtet, mit einem leichten Hang zu Beschreibungen von Gesetzgebung/Rechtssituationen. Enthält Personenregister. [ChB]


Gatland, Jan Olav: Mellom linjene. Homofile tema i norsk litteratur

Oslo: Aschehoug, 1990.

Versuch, eine ›alternative‹ homosexuelle norwegische Literaturgeschichte vor allem der Zeit zwischen 1830–1989 zu schreiben. Es geht dem Verfasser um männliche wie weibliche Homosexualität, und er behandelt sowohl Literatur homosexueller Verfasser als auch norwegische Klassiker mit homosexueller Thematik. Ein informatives Pionierwerk, allerdings mit einem teilweise zweifelhaften Begriffsapparat. [DHe]


Mustola, Kati, u. Malla Suhonen (Hg.): Sydänystäviä, rikollisia, meikäläisiä. Naistenvälisen rakkauden historiaa Suomessa

Helsinki: Like Kustannus, 2007.

Anhand vielseitiger Aufsätze wird hier die lesbische Geschichte in Finnland behandelt; basierend auf soziologischen Forschungsergebnissen sowie Belletristik wird dabei u. a. die Haltung gegenüber Lesben sowie die Sexual- und Gleichberechtigungspolitik in Finnland thematisiert. [HNi]


Mustola, Kati (Hg.): Sateenkaari-Suomi. Seksuaali- ja sukupuolivähemmistöjen historiaa

Helsinki: Like Kustannus, 2007.

Diese nach Themen aufgebaute Aufsatzsammlung wirft einen umfangreichen Blick auf die schwul/lesbische Kulturgeschichte Finnlands. Nach Erläuterungen zur Geschichte der finnischen Lesben- und Schwulenbewegungen sowie zu den Grundbegriffen sexueller Orientierung wird u. a. das schwul/lesbische kulturelle Leben sowie Homophobie in verschiedenen Institutionen (z. B. Familie, Religion, Sport) thematisiert. Mit zahlreichen Darstellungen finnischer Persönlichkeiten, die sich für die Gleichberechtigung eingesetzt haben. Ausführliche Literaturangaben zu weiterführender Lektüre. [HNi]



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