Kersten Reich: Die Ordnung der Blicke. Band 2: Kapitel III.2.4

   

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2.4. Aneignung oder Spiegelung: Lernen konstruktivistisch betrachtet

Aus der Interaktionstheorie Meads ist für sozialwissenschaftliches Argumentieren deutlich geworden, dass Lernprozesse nicht bloße Nachahmungsprozesse sind, in denen eine vorgängige Welt im Bewusstsein von Kindern abgebildet und im Sinne eines primitiven Konstrukts einer Reiz-Reaktions-Theorie verankert werden. Gleichwohl zeigt das Konzept des generalisierten Anderen, dass sich Kinder mit gewisser Aktivität eine Welt aneignen, dass sie die Symbolvorräte ihrer Kultur und Gesellschaft übernehmen und im Rahmen symbolvermittelter Interaktion hierin Sinn für ihr Leben finden. Obgleich Mead von der Lautgebärde ausgegangen war und die emotionale Basis solcher interaktiven Aneignung nicht unterschätzen wollte, wurde seinem Ansatz in der Rezeption in den Sozialwissenschaften oft eine Reduktion zuteil, die vor allem auf die symbolische Vermittlung abstellte und Garant für inhaltsbezogene, kognitivistische Diskurstheorien über das Lernen werden konnte. Wer im 20. Jahrhundert auf Rationalität und Aufklärung setzen wollte, der konnte gerade hierin ein Gerüst finden, ein Konstrukt, das durch die Aneignung von inhaltsbezogenen rationalen Standards die Bedingung der Möglichkeit von Verständigung erkennen ließ. Insbesondere die Rezeption durch Habermas ging diesen Weg. Solche Aneignungstheorien betonen die symbolische Seite und sehen in symbolvermittelter Interaktion den Königsweg einer Lerntheorie, die uns als Sozialisationstheorie verstehen lässt, warum wir uns überhaupt miteinander sinnvoll verständigen können. Und erst auf dieser Basis lässt sich schließen, warum wir uns in bestimmter Weise sinnvoll verständigen sollten. Allerdings unterschätzen diese Aneignungskonzepte die imaginäre Seite der Spiegelung, die wir im interaktionistischen Konstruktivismus neben die symbolvermittelte Sicht stellen.
Aus dem Blick einer symbolvermittelten Achse der Kommunikation scheint sich in der Tat ein Aneignungskonzept des Lernens zu ergeben, das kollektive Lernprozesse auszudrücken in der Lage ist. Aus der Sicht der Spiegelung über die imaginäre Achse der Kommunikation hingegen zeigt sich die ganze Fragwürdigkeit solcher Lernkonzepte, weil sie die Imagination im Lernprozess selbst unterschätzen und die Symbolvermittlung überbetonen.
Der Kampf zwischen Aneignungs- und Spiegelungskonzepten wird allerdings meist nicht offen ausgetragen, sondern sehr verdeckt geführt. Aneignungstheorien des Lernens werden gewiss nicht Fragen nach der Motivation von Lernern unterschlagen wollen, aber sie vermeiden die Unschärfen einer imaginären Begegnung, indem sie die inhaltsbezogene Ebene der Kommunikation bevorzugen und die Motivation hierzu bloß vorgelagert denken. Wird die Begegnung in einer Kommunikation immer auch vermittelt über die imaginäre Achse gedacht, wie wir es behaupten, dann werden Aneignungskonzepte in der Kurzschlüssigkeit ihrer Argumentation hinterfragbar. Motivation ist nämlich nie eine bloße Voraussetzung für Lernprozesse, sondern imaginär im Begehren in den Lernprozess selbst eingebunden, kann also auch nicht zeitlich von ihm entbunden werden. Zwar ist es auch für die imaginäre Achse wichtig, sich mit den Symbolvorräten zu beschäftigen, an denen wir die Unterschiede von Auffassungen und Vorstellungen erlernen, aber eine vorrangige Blickrichtung auf symbolische Aneignung verkennt die Impulsivität, Spontaneität, die Kreativität und insgesamt Individualität einer Spiegelung, die jede Aneignung begleitet. Damit ist aber auch schon der Gegensatz von Aneignung und Spiegelung überhaupt bezweifelt. Aneignungskonzepte unterstellen nämlich einen generalisierten Anderen, der aus der Spannung von Alter und Ego gleichsam durch höhere Abstraktion herausgefallen ist, der das konstruktive Maß einer imaginären Beziehungsvielfalt auf ein kognitives und intellektuelles Verständigen zurechtstutzt. Es ist kein Wunder, dass Aneignungstheorien zu einem Verständnis von Lernprozessen führen, das durch und durch rationalisiert betrachtet und einseitig auf der Inhaltsebene situiert wird. Lehrer, die sich solcherlei Arten des emanzipativen Unterrichts und einer emanzipatorischen Didaktik zuwenden, betonen nicht selten die Kopfgeburten einer rational sich aufklärenden Welt, um die Symbolvorräte sicher und elegant in die Köpfe der Schüler zu bringen.
Die Unterschätzung der imaginären Achse der Kommunikation zeigt sich in einer Schulkrise, die wir gegenwärtig durchmachen. Hier werden Symbolvorräte bloß noch abgearbeitet, abgeklappert und kumuliert, weil sie irgendwie zum kulturellen Aneignungsbestand einer symbolvermittelten Welt gehören sollen, obwohl ihre Unübersichtlichkeit auch hier schon eine genaue Handhabung und curriculare Verwendung fragwürdig macht. Resultat solcher Aneignungstheorien sind Lernprozesse, die überwiegend theoretisch ablaufen und die Schule künstlich von der Lebenswelt getrennt halten. Imaginäre Prozesse werden geradezu ausgegrenzt, weil sie als Unschärfe die Aneignungskonzeptionen bedrohen, denn für Pädagogen scheinen Selbstbespiegelungskonzepte des Lernens fragwürdig zu sein, weil sie zu „nichts“ führen. Doch dies ist ein Vorurteil (vgl. Reich 1997). Meine Argumentation soll allerdings nicht im Gegenzug bedeuten, nun bloß die imaginäre Seite überzubewerten, um so normative Regularien und Disziplinierungen in der Lebenswelt, die symbolisch weitreichend aufgerichtet und wirksam sind, zu unterschätzen.
Ein kurzer Vergleich zwischen Mead und Lacan soll uns exemplarisch helfen, die Gegensätzlichkeit von Aneignung und Spiegelung zu überwinden.
Für beide Autoren ist die Erfahrung und Wahrnehmung des eigenen Körpers als ein ganzheitliches Bild entscheidend, um die Positionen eines „Ich“ (I, je) und „Mich“ (me, moi) zu unterscheiden. Mead argumentiert im Gegensatz zu Lacan, der den Körper im Spiegelbild als eine Ganzheit auf der imaginären Achse erfahrbar werden lässt, weniger aus dem Gesichtspunkt der Ganzheit, sondern zunächst der Zerstückelung. Ein wahrnehmendes Individuum erfährt seinen Körper in verschiedenen Teilen, die es sieht oder fühlt, aber es erscheint sich nicht in seiner Gesamtheit als Objekt. Als ein einzelnes Objekt kann es nur erscheinen, wenn das Subjekt sich dauerhaft in einem Feld von Gleichzeitigkeit als Objekt fixieren kann. Dies aber kann kein physischer Vorgang sein, sondern ist ein sozialer einer Selbstidentifikation, die in folgenden Stufen abläuft (vgl. Joas 1989, 158): Für die Entwicklung von Kindern ist der Einbezug in einen sozialen Umgang elementar. Indem sie sozial auf interaktive Beobachterrollen angewiesen sind, ermöglichen ihnen diese Rollen die Fähigkeit einer identifikatorischen Rollenübernahme, was überhaupt Voraussetzung für ihre sprachliche und kognitive Entwicklung ist. Sie lernen hierbei, Gegenstände zu unterscheiden, was auch die Unterscheidung ihres eigenen Körpers als aktives Selbst eines sozialen Wesens und als physischen Organismus, d.h. eines nicht-sozialen Wesens einschließt. Mead baut hier wesentlich auf die Aneignung interaktiv übernommener Rollen, die über den sozialen Umgang zu einer selbstreflexiven Handlungsfähigkeit führt, die mit bestimmtem Sinn versehen ist. Kognition und Kommunikation entwickeln sich dabei parallel und sind miteinander verschlungen, wobei beide in symbolvermittelte Interaktion eingebettet sind. Darin nun scheint eine anthropologische Widerlegung eines narzisstischen Begriffs von Selbsterfahrung zu liegen (vgl. ebd.), denn nach Mead sind weder der eigene Körper noch ist das eigene Selbst zu erfahren, wenn das Subjekt ganz bei sich bleibt und außerhalb seiner aneignenden sozialen Bezüge gesehen wird. In Abgrenzung zu subjektivistischen Theorien, die von einem isolierenden Robinson-Modell ausgehen, um dem Subjekt eine Autonomie aus sich heraus zu gewähren, erscheint diese Abgrenzung Meads als sinnvoll. Sie wird aber zugleich teuer erkauft. Denn obwohl Mead in der Spannung zwischen „I“ und „Me“ durchaus anerkennt, dass das I, das Ich, zu spontanen, impulsiven, kreativen usw. Handlungen fähig ist, um nicht bei den konventionell angeeigneten Me-Konzepten stehen zu bleiben, so vernachlässigt sein auf äußeres Verhalten gerichteter Ansatz der Beobachtung menschlicher Interaktion die inneren Spiegelungen der Subjekte. Dabei sind die Narzissmuskonzepte keineswegs reine Selbstspiegelungskonzepte, wie z.B. Joas suggerieren will,1 sondern ihrerseits oft an das zurückgebunden, was auch Mead intendiert: Eine soziale Verständigungsgemeinschaft sicherzustellen und eine funktionale soziale Rollenübernahme als Maßstab eines „normalen“ Verhaltens im Rahmen bestimmter Konventionen zu regeln.
Demgegenüber ist Lacans Spiegelungstheorie sehr viel radikaler und weitreichender. Er akzentuiert stärker als Mead die emotionale Seite des Subjekts, die von vornherein und unabdingbar in den Prozess der Kommunikation selbst eingebunden ist. Die Trennung von äußerem und innerem Verhalten ist eine ganz und gar künstliche, ist ein Beobachterkonstrukt, das bei Mead selbst nicht kritisch reflektiert wird. Eine Aneignungstheorie des Lernens wird immer dann zu optimistisch, wenn sie das innere Begehren der Subjekte übersieht und den für die Sozialisation zuständigen Personen hierfür auch kein Beobachterkonstrukt anzubieten in der Lage ist.
Hier erscheint eine Kontroverse, die ich in anderem Zusammenhang in der Entgegensetzung von Piaget und Freud bereits diskutiert habe (vgl. Band 1, Kapitel II.3.4). Wird nämlich die Motivation, die nur ein anderer Ausdruck für den begehrenden Anteil des Subjekts ist, aus dem Lernprozess selbst herausgenommen, wird sie als eine besondere Form der Psychologie von ihm entkoppelt und auf ein spezielles Beobachterwissen verwiesen, dann entsteht die Illusion, als ließe sich das Lernen selbst in relativer Unabhängigkeit solcher Motivation beschreiben. Dies führt zu gänzlich abstrusen Vorstellungen von Lernprozessen, die etwa in der Didaktik einen motivationalen Stundeneinstieg postulieren, um dann zur Sache selbst zu kommen. Dabei ermöglicht es nur die Verinnerlichung von Fremdzwängen in Selbstzwänge, dass die Lernprozesse hier noch funktionieren. Schule in den Industriegesellschaften wird mehr und mehr zu einem Hinhaltemanöver der Kinder und Jugendlichen, das deren Selbstzwangpotenzial testet und diesem Leistungsresultate zuschreibt, die vom gesellschaftlich Anderen, von der Gesellschaft als imaginärer Institution, honoriert werden. Kinder verspüren oft noch die Brüchigkeit solcher Aneignung, wenn sie die eigene Motivation und ihr eigenes Begehren befragen und sich andererseits durch die Disziplinarmächte dem Trott der Fremd- und Selbstzwangapparaturen ausgesetzt sehen. Soll man sich hier fügen? Mitunter blitzt im Widersetzen gegen Aneignungen, öfter aber auch im Aneignungsprozess selbst ein eigentliches Begehren auf, unsere Motivation – wie es heißt –, und wir finden uns mit einem Eifer bei der Sache, in dem sich unser eigenes Begehren spiegelt. Eine solche Spiegelung allerdings verstehen wir nicht durch Reiz-Reaktions-Theorien, die auch für Mead noch einen großen Zauber ausübten. Ein Verständnis für dieses Begehren gewinnen wir nur, wenn wir der notwendigen Aneignung von Symbolvorräten die imaginäre Beziehung an die Seite stellen, über die wir sie gewinnen. Deutlicher als Mead hatte dies John Dewey vor Augen, wenn er den Ausgangspunkt von Handlungen aus einem Problem in einer Situation ableitete, das uns im Lernen zunächst zu einer emotionalen Reaktion bringt, von der aus wir uns überhaupt motiviert fühlen, den Lernprozess weiter zu verfolgen. Dies scheint mir deshalb ein wesentlicher Ausgangspunkt von Lernen auch in einer konstruktivistischen Lerntheorie und Didaktik zu sein (vgl. dazu ausführlich Reich 2008).
Ein solches Lernkonzept stellt uns allerdings vor ein neues Problem: Je mehr die Symbolvorräte uns durch Aneignungsprozesse über das Lernen ge- und verordnet werden, je mehr wir in die Unübersichtlichkeit der Zeichen und Theorienvielfalt von Welt eine Übersichtlichkeit unseres hier nur begrenzten Wissens einbringen, desto übermächtiger scheinen jene unterschiedlichen Stimmen des Me, des Moi, des Über-Ich zu werden, die sich den spontanen und kreativen Einfällen unseres Ichs entgegenstellen und diese begrenzen. Hier sind sich Mead und Lacan einig: Eine „normale“ Entwicklung eines Individuums in einer Gesellschaft wird durch symbolvermittelte Interaktion als Aneignung von Konventionen und Traditionen geregelt. Abweichungen hiervon erscheinen als Abweichungen. Aber für Lacan lässt sich das Begehren des Individuums so nicht vollständig fesseln. Denn in dem Maße, wie sein individuelles Begehren in den aneignenden Spiegelungen von Welt nicht aufgeht, erscheint das Reale, das sich für Lacan durch das Körperliche, durch das Widerständige, das Unmögliche usw. ausdrückt, das als Symptom in Form von Krankheit, Unwohlsein usw. das Subjekt erreicht. Damit aber ist Aneignung und Spiegelung kein Gegensatz mehr. Zwar sind Beziehungen nur vermittelt über die imaginäre Achse möglich, indem Menschen so kommunizieren, dass sie über ihre eigenen Vorstellungen sich mit anderen vermitteln, sich über andere erblicken, sich stets des Blicks des anderen versichern, was sie aber nicht davon abhält, sondern geradezu notwendig dahin treibt, die Erfahrungen in diesen Spiegelungen symbolisch festzuhalten und diese Symbolik selbst für die angeeignete Wahrheit bzw. Wahrheitsmöglichkeit ihrer Welterfahrung zu nehmen. Dies kann soweit gehen, dass die eigenen Vorstellungswelten, dass das eigene imaginäre Begehren versteckt, verdeckt, verdrängt und verleugnet bleibt, weil die scheinbar wahre Macht der symbolischen Welt die imaginären Plätze des Subjekts besetzt hält. In der Sprache Meads könnte man sagen, dass der generalisierte Andere in Form einer identifikatorischen Rollenübernahme hier die imaginären Vorstellungen des Subjekts ordnet. Wenn dieses Subjekt in Ich-Form spricht, dann sagt es eigentlich nur die Konvention von Anderen, von als symbolisch wahrhaft anerkannter Faktizität und normativ geregelter Geltung aus. Aber, so Lacan, dieses Subjekt täuscht sich. Es kann so zwar sein Leben normalisieren, seine Verständigungsleistungen regulieren, aber dies wird nicht hinreichend für alle Phasen seines Lebens passen. Das Imaginäre erzeugt ungeplante Bevorzugungen und Abneigungen, Lust und Unlust. Und ihm wird das Reale begegnen, das in Form körperlicher Symptome, des unmöglich Erscheinenden, des Widerständigen usw. auftreten wird, das in seinen Träumen hochgespült werden wird, in seinen Angstzuständen hervorkommt und in seinen Traumata sich dramatisiert. Es gibt eben nicht nur symbolisch vermittelte Interaktion, sondern Interaktion ist immer auch imaginär vermittelt und auf jene Ereignisse zurückbezogen, die wir im Unterschied zur symbolischen und imaginären Realität real nennen.
In ihren Alltagserfahrungen haben die Menschen intuitiv hier meist ein besseres Verständnis als die Wissenschaften vom Menschen, die sich reduktiv beobachtend für Lernprozesse interessieren. Intuitiv deuten wir Spannungsverhältnisse zwischen unseren kognitiven Einstellungen und Verständigungsleistungen und körperlichen Symptomatiken als Brüchigkeiten von Sozialisationskonzepten, die unsere Körper durchqueren und die unsere Beziehungen als verwickelt und komplex, öfter als unverständlich erscheinen lassen. Eben dies ließ die Metakommunikation im vorausgehenden Kapitel als eine Chance erscheinen, solche Brüchigkeiten nicht länger zu verdecken und zu verstecken, sie nicht zu verleugnen und abzuwehren, sondern selbst zum Thema von Kommunikation zu machen. Es entspricht der Paradoxie des modernen Lebens, dass hierfür die Wissenschaften allenfalls spezialisierte Wege der Therapie zulassen, dass sie aber bei dieser Legitimation insbesondere aus psychologischer Sicht ihre eigenen Leistungen und Arbeitsweisen fast vollständig ausklammern. Wann immer die für die Beobachtung unschärferen Bereiche solcher Intuition in wissenschaftlichen Prozessen angeführt werden, gilt die Gegenrede einer Aufweichung des wissenschaftlichen Standards reduzierter Wahrnehmung und Beobachtung, die erst eine eindeutige Herleitung und Begründung zu versprechen scheint.
Eben dies führte zu einer Bevorzugung von Aneignungskonzepten, wenn es darum ging, menschliches Lernen als Sozialisationsvorgang zu beschreiben. Solche Aneignungskonzepte, so aufklärerisch sie auch gemeint sein mögen, und so sehr sie auch einen erwünschten herrschaftsfreien Diskurs und eine Gleichheit aller Menschen beschwören, scheitern nicht nur, wie meist behauptet wird, an den gesellschaftlichen Widerständen. Denn diese Widerstände sind ja Widerstände von Menschen und deren Interessen, sind dabei vom Begehren getragen. Sie scheitern an einer Sinnkrise, an einer fehlenden gemeinsamen Vision, d.h. auch an einer Imagination. Sie scheitern insbesondere, weil sie die imaginäre Achse von Kommunikation unterschätzen. Will man eine Erziehung einrichten, die höchst wirksam alle Menschen erreicht und ihnen allen ein gleiches Maß an bestimmter Verständigung und hinreichender Gleichheit ermöglichen soll, dann müsste man ihre Imaginationen gleichschalten und durch Sinnaufladung absichern. Die von mir bewusst herausgestellte negative Formulierung der Gleichschaltung deutet aber schon auf die Gefahren eines großen Anderen hin, dessen Imaginationen als vermeintliche Wahrheit die Vorstellung der Menschen dann besetzt halten.
Lyotard hat sich mit dem postmodernen Sprachspiel von Forschung und Lehre in diesem Zusammenhang beschäftigt, wenn er hervorhebt, dass die herkömmliche Didaktik hier eine Reproduktion eines wissenden Systems zu sichern hat, ohne kritisch in dessen Bedingungen einzugreifen (Lyotard 1986, 76 ff.). Das Spiel der Forschung verhält sich komplementär zum Spiel der Lehre. In der Forschung wird ein symbolisches System errichtet, das Referenten seiner Aussagen behauptet, die durch Autorität von Experten „gesendet“ und durch die Aufnahme in die Gleichheit einer Forschungsgemeinschaft – die Universitäten – „empfangen“ werden. Dies basiert auf unterschiedlichen, oft sogar gegensätzlichen Voraussetzungen:

  • Die Empfänger wissen nicht, was die Sender wissen; sie sind hierarchisch vom Wissen abgekoppelt und müssen Schritt um Schritt durch Leistungsnachweise sich einem Wissen annähern, das sie zu Gleichen in einer durch Kompetenz geregelten Gemeinschaft von (nur angeblich) Gleichen macht; die Wissenschaft kontrolliert als symbolisches System mit je unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden die Annäherung an diese Gleichheit, indem sie bis in subtile Ebenen immer wieder Ungleichheit selbst unter den scheinbar Wissenden errichtet; so ist das symbolische System, das eine Einheit in der Wissenschaft sichern soll, selbst uneinheitlich, zerrissen und unübersichtlich, sofern es nicht überhaupt in ein Dogma des symbolischen Stillstands zurückflieht.
  • Die Didaktik soll Prinzipien und Methoden zur Reproduktion von Gleichen unter diesen Gleichen bereitstellen, was ihr eine strikte symbolische Rolle zuschreibt; es ist allerdings eine Rolle, die einerseits zwischen der Strenge einer auf Eindeutigkeit orientierten Forschung und andererseits den Narrationen schwankt, in denen diese Suche nach Eindeutigkeit eingebettet ist; dieses Schwanken reproduziert damit die ambivalente Rolle, die dem symbolischen wissenschaftlichen System, wie zuvor hervorgehoben wurde, selbst innewohnt.
  • Daraus nun aber entspringen je neue Unterschiede, deren Dramatisierungen im Gegensatz von Beobachtungswelt der Wissenschaften und der Beziehungswirklichkeit stattfinden; die Didaktik scheint sich diesen Ambivalenzen versagen zu müssen, wenn sie der Aufgabe der Herstellung von immer neuen Gleichen gerecht werden soll:
  • sie müsste sich aus dem Spiel der Kompetenz der Aussagenden und Wissenden selbst lösen, wenn die Rolle der Gleichen nicht mehr unter die Positionen von Selben gestellt werden soll, sondern wesentlich für Anderes oder Andere eine konstruktive Öffnung beansprucht;
  • sie müsste aus der Position der Besser-Wisserei in eine des Un-Wissens geführt werden, das jedoch auch Wissen produziert und damit sich selbst gegenüber paradox wird;
  • sie müsste sich der beziehungsmäßigen Geschwätzigkeit von Diskursen stellen, um nicht über Kognition und strenge Reduktion doch wieder nur ein Gleiches zu destillieren, das alles Andere vertilgt.
  • Sollten diese Argumente aber gelten, dann entbindet sich die Didaktik von der Wissenschaft: „Eine Aussage der Wissenschaft“, so sagt Lyotard, „erreicht keinerlei Gültigkeit dadurch, dass sie wiedergegeben wird. Selbst bei der Pädagogik wird sie nur insoweit gelehrt, als sie immer direkt durch Argumentation und Beweis verifizierbar ist.“ (Ebd., 82) Hier jedoch fehlen beste und letzte Beobachter. Aussagen sind deshalb vor keiner Widerlegung geschützt. Sie sind so in das symbolische Spiel der Wissenschaft eingebunden, in eine diachronische Temporalität, die sich aus Entwurf und Erinnerung, aus Sender und Empfänger im Rückgriff auf Bibliografien, auf Unterscheidungen von früheren Aussagen, auf Spuren des Symbolischen selbst bezieht, ohne jedoch andererseits dem sozialen Netz der Beziehungswirklichkeit entfliehen zu können, in dem dieses Spiel selbst in Erzählung und Alltag sich verwandelt – so abstrus und abgehoben es vom Alltag auch zeitweise geraten mag. Darin aber nun ist die Didaktik entweder eine Wissenschaft, die sich symbolisch auf wissende Spielzüge von Besser-Wissern reduziert, oder sich der Imagination eines Neuen öffnet, das die Gleichheit des Selben und der Gleichen verstört, vielleicht mitunter sogar zerstört. Je mehr die Aneignungsseite eines symbolischen Systems bevorzugt wird, desto mehr verkümmert Didaktik zu einer Transmission der Besser-Wisserei und erschlägt die Kreativität der Lerner durch die Fülle der akkumulierten Lernvorräte, die als gesichertes Wissen absolviert werden müssen. In solcher Wissenschaft regiert eine Selbstvergewisserungsmaßnahme des „homo academicus“, wie er z.B. von Bourdieu (1992) beschrieben wird. Sein Streben nach Gleichheit wuchert als Streben nach Totalität und Autorität, die das symbolisch Erreichte feststellt und in Besitz nimmt, die als Besitzstand sich des eigenen Status vergewissert und die Rechte der Wissenden machtvoll verteidigt. In der institutionellen Fassung der Wissenschaften wäre es naiv, die Aufgabe dieser Position zu verlangen, denn dies käme einer Selbstaufgabe von erworbener Macht gleich, die gerade durch die Position der Aufklärung – der höchst rationalisierten Form der Besser-Wisser – verweigert werden muss. Doch andererseits eröffnet die Perspektive der Spiegelungen eine imaginäre Welt und soziale Beziehungen, die sich der festgeschriebenen Rollen des nur vermeintlich Gleichen entziehen. Hier atmet eine Freiheit, deren je erscheinendes Antlitz allerdings immer im Umbruch steht, weil es als symbolisch geronnene Einsicht oder Ware in den Austausch symbolischer Organisationen gerät, die sogleich wieder Aneignung versprechen.

Welche Konsequenzen stellen sich hieraus nun für eine Lerntheorie? Im Spiegel der bisherigen Erörterung sehen wir, dass die lernende Kommunikation auf der imaginären Achse noch näher bezeichnet werden muss, um ihre Potenz für die Ambivalenz von Wissen und Didaktik zu artikulieren. Ich will dies nach der eher einfachen Entgegensetzung von Gefahren als auch Möglichkeiten für die Selbstverwirklichung von Menschen kurz näher thematisieren. Als Gefahren, die teilweise thematisch schon auf das Kapitel IV vorgreifen, lassen sich besonders herausstellen:

  • Das je individuelle Begehren ist nie nur das Begehren eines Individuums, sondern immer gespiegelt über a/Andere. Die Sinnaufladung dieses Begehrens durch a/Andere bietet immer ein Potenzial der Manipulation und Beeinflussung, das bis zu den Visionen einer Massenhysterie reichen kann, wie z.B. in der Hitlerjugend oder der Kulturrevolution in China. Die Gefahr ist eine machtbezogene Ideologisierung. Auf der imaginären Achse der Kommunikation gibt es aber nicht wahre oder falsche Bedürfnisse, sondern nur ein Begehren, das als ein Begehren agiert.
  • Die Besetzung der imaginären Achse in einer Welt der Produktion und des Konsums richtet sich zunehmend auf die Partikularisierung von Symbolen, die als virtuelle Klischees einen Sinn von Welt ausdrücken. Die Sinnkrise der Moderne, die ich hier mit Autoren wie Lyotard oder Bauman als Übergang in die Postmoderne oder flüssige Moderne (kein Post im Sinne von Nachfolge, sondern von Aufhebung) auffasse, besteht in der Zertrümmerung der Visionen, die als ganzheitliche noch Motivation von Individuen freisetzen könnten. Diese Zertrümmerung minimiert die Gefahren der manipulierenden Gleichmacherei und Gleichschaltung des Denkens aller in Form einer normativen Meta-Ideologie (z.B. als Faschismus), indem sie – vermittelt über die Gleichmacherei und Gleichschaltung des Geldes – partikularisierten  Sinn oder Unsinn zur bedeutungsvollen Weltbeschäftigung werden lässt. Hierin zeigt sich die Wirksamkeit der imaginären Achse, denn die audiovisuelle Darstellung jener Prozesse, die man Leben nennt, wird z.B. zu einem immer größeren Bestandteil der Freizeit der Menschen in ihrem Fernsehkonsum. Dabei wird die Wahrnehmung von Klischees und des virtuellen Kitts, von dem ich weiter oben gesprochen habe, zum Grenzfall der eigenen Bestimmung von Vorstellungen, wie man sein Leben führt. Die virtuelle Gleichschaltung, die sich hier zeigt, ist so subtil, weil sie sich durch die Wahl der verschiedenen Fernsehkanäle tarnt und als Freiheit ausgibt, die sie als virtueller Kitt eines Massenkonsums und eingeschobener Werbespots längst nicht mehr ist.
  • Schlimmer noch mag erscheinen, dass die imaginären Welten durch die unendlichen Symbolvorräte überwältigt werden, an denen sie ihre wissenschaftlichen, künstlerischen, lebenspraktischen und andere Grenzen finden. Hier scheint alles, was eben noch die Fantasie angespornt hat, von irgend jemand schon gedacht, gemacht und veröffentlicht worden zu sein, so dass nur noch der Unwissende in seinem Größenwahn behaupten könnte, dass es zumindest seine Imagination war, die ein Stück dieser Welt veränderte. Dieser unwissende Narr mag belächelt werden. Dabei sind die Lächler längst die Narren eines Systems von Symbolen, deren Allmacht zugestanden wird, nur weil man meint, der Allmacht der Gleichzeitigkeit nicht entkommen zu können. So wie das Fernsehen in Lichtgeschwindigkeit in die Räume der sogenannten Freizeit eindringt, um die Muße einer Selbstbesinnung zu nehmen und für kulturelle Ablenkung und Unterhaltung zu sorgen, so wird das menschliche Wissensspiel um Überprüfung der Hervorbringung ihrer Symbolvorräte durch bestimmte auserwählte Personen zur Ernüchterung und Erschütterung eines jeden Lerners, der von sich aus etwas entdecken will. Auch hier zählt die Doktrin einer Gleichschaltung, die alle Menschen für gleich nimmt und doch den Lerner von vornherein in einer inferioren Position situiert hat.
  • Hinzu kommt noch der Wahn einer möglichst großen Vollständigkeit des spezialisierten und unübersichtlich gewordenen Wissens für alle Lerner, die oft in einer Oberflächlichkeit des Wissens endet. Aneignungstheorien des Lernens leiden darunter, dass ihre Aneignungskonzepte selbst kein Kriterium dafür bereitstellen können, was zu lernen sei und was nicht. Selbst die Visionen eines exemplarischen Lernens, wie sie etwa Wagenschein (1970) vertreten hat, reichen kaum, das Stückwerk moderner Bildung zu beseitigen und die Verkopfung eines Wissens zu verhindern, dessen praktische Anwendung für die Kinder und Jugend auf die spezialisierten Berufe einer fernen Zukunft verschoben werden. Als Lerner mag man hier mitnehmen, dass eine gewisse Oberflächlichkeit des Wissens bereits Garant für Verständigung und Anerkennung sei.
  • Lernen insgesamt wird zunehmend so organisiert, dass ein Scheitern von Lernprozessen als Drama empfunden wird. Lehrkräfte sind angehalten, das Scheitern zu verhindern. Daraus entsteht ein Druck der Konventionen und Verständigungen, der die Unmöglichkeit des Scheiterns zu einer Maxime der Sozialisation selbst macht und damit illusorischen Charakter gewinnt. Die künstlichen Lernwelten können ja nicht so tun, als sei ein Leben ohne Scheitern möglich. Warum aber verhindern sie dann eine experimentelle Einstellung zum Lernen, die auch das Scheitern erfahrbar werden lässt? Dies dokumentiert anschaulich das Verhältnis moderner Lerninstitutionen zur Zeit. Scheitern kostet Zeit. Angesichts der oberflächlichen Wissensakkumulation aber scheint sie das Kostbarste zu sein, was man hat. Gehörte es noch für Rousseau in seinem „Emile“ zur idealtypischen und in der bürgerlichen Welt nie eingelösten Maxime, möglichst viel Zeit zu verlieren, um eine Erziehung hin auf Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein des Zöglings durchzuführen, so konterkarieren Lernschulen diesen reformpädagogischen Grundsatz durch die zunehmende Verwaltung kleinster Zeiteinheiten. Das Unmögliche, das Widerständige, das Widerstrebende und Widerstreitende wird, wenn nicht gar ausgeschlossen, so doch zumindest minimiert. Damit wird eine Denkweise beschworen, die auch gar nicht mehr nach den Gründen für ein Scheitern sucht und kaum Normen findet, sich mit dem Scheitern auseinanderzusetzen, sondern dahin führt, dass in den beruflichen Einstellungen zur Welt das gemacht wird, was eben gerade geht, auch wenn es der Nachwelt so einen Trümmerhaufen durch bloß Gemachtes hinterlassen wird. Diesen Trümmerhaufen nennen wir distanzierend die Risiken der Moderne (vgl. Beck 1986).

Es ist diese Mischung aus Gleichschaltung und Massenmanipulation, aus Sinnkrise und Überwältigung durch Symbolvorräte, die zum Einsatz kommen, die aus einem übertriebenen Anspruch von Gleichzeitigkeit und Oberflächlichkeit des Wissens und dem vorrangigen Ausschluss von Widerständigkeiten und Schwierigkeiten entstehen, und die uns im Blick auf die Bewältigung von Beziehungsproblemen und Welt- und Produktionswirklichkeiten heute Angst machen können. Der Gegenentwurf ist aus pädagogischer Sicht bereits von John Dewey differenziert ausgearbeitet worden: Erziehung ist immer im Kontext einer Kultur und Zeit situiert. Wollen wir eine demokratische Erziehung und die Chancen darauf, dass alle Lerner im Lernen einen Zugewinn, ein Wachstum, das Eröffnen weiterer Chancen erleben und erfahren können, dann müssen wir die Erziehung selbst als in Handlungen organisieren, die tatsächlich partizipativ,öffnend, demokratisch, wachstumsorientiert usw. sind. Dann müssen wir in dieser Handlungsorientierung das experience schätzen, das weder bloß Aneignung oder Spiegelung in Isolation ist, sondern beide Seiten jenseits eines Dualismus auffasst. Dann werden wir die Erziehung neu erfinden müssen. Im Sinne des interaktionistischen Konstruktivismus stehen dann den eben genannten  Gefahren, deren Aufdecken im Blick auf Lernprozesse eine vordringliche Zukunftsaufgabe wird, deutlich erkennbare positive Perspektiven gegenüber:

  • Im Gegensatz zu einer bloß Inhalte oder moralische Werte vermittelnden Pädagogik müsste eine interaktionistisch-konstruktiv ausgerichtete Lerntheorie Lernenden wie Lehrenden Beobachtermöglichkeiten eröffnen, die sich nie nur in einem Blick, in einer Blickrichtung oder einer Vorauswahl erschöpfen, um ein Begehren zu markieren. Es ist eine grundsätzliche Aufgabe, eine Pluralität des Blickens zu eröffnen, eine Multikulturalität in der Ordnung der Blicke aufzuweisen, die Gleichschaltungspotenziale von Blickrichtungen kritisch zurückzuweisen, um die Relevanz des individuellen Beobachters in Interaktionen (also in einer Konsequenz zur Dialogbereitschaft) zu betonen. Aufgrund der Konstruktivität von Erkenntnis wissen wir allerdings, dass es hier keinen vorgeordneten Sinn mehr geben kann, der für alle Lerner gelten sollte. Damit aber ist Sinn als ein Kriterium der Erkenntnis nicht ausgeschlossen, sondern als ein Motiv in ein Nach- und Nebeneinander zu a/Anderen gestellt. Es wird uns zur Aufgabe die Diversität als unsere Chance für ein Mehr an Demokratie zu begreifen, wie Dewey schon in „Democracy and Education“ darlegte, ein Mehr, das uns zugleich zwingt, ein Miteinander lebbar zu halten.
  • Beobachtermöglichkeiten bleiben allerdings dann klischeehaft, wenn sie sich an der Massenkultur der Moderne orientieren. Ohne die Vision einer imaginären Erneuerung, die für sich allerdings kein höheres moralisches Recht von außen einklagen kann, wird partikularisierter Sinn der „wahren“ Gesellschaft alle konstruktiven Bemühungen um Hintergründigkeit wieder unterlaufen. Die Fantasie als soziale Sprengkraft, als Kraft auch politisch emanzipativer Veränderungen, wie sie in Bestrebungen der Aufklärung und in Aneignungstheorien des Lernens oft einseitig besserwisserisch aufgetreten ist, wird zur Schlüsselstelle, sofern sie sich im Begehren nachwachsender Generationen als ironische Streitbarkeit entwickelt, die sich immer auch selbst in Frage stellt. Zugleich wird darin nur eine Lerntheorie, die sich der imaginären Achse der Kommunikation bewusst ist, sensibel genug für Konzepte sein, die Kräfte der Imagination zu nutzen, statt sie kognitivistisch zu reduzieren. Und sie wird aus dieser Einsicht den Mut aufbringen können, ihre je doktrinäre symbolische Rolle als Paradoxie im Blick auf die Möglichkeiten von Veränderungen diskussionsfähig zu machen.
  • Eine Gefahr jeder Selbstbespiegelung ist die Selbstüberschätzung. Aber ohne eine gewisse Selbstüberschätzung entsteht kein Bewusstsein, das sich aus dem Trott der Symbolvorräte befreit und aus dem Dilemma der Gleichzeitigkeit heraustritt, um ein erfinderisches (konstruktives) Bewusstsein von Kindheit an als Maxime der Lebensführung aufzubauen. Der Ende der neunziger Jahre in Deutschland vielfach beklagte „Reformstau“ ist ein Ausdruck der Überbetonung symbolischer Lösungen, die es möglichst vielen Ansprüchen und Interessen recht machen will. Im Hintergrund steht aber auch eine imaginäre Krise, weil neue Visionen unterschiedliche Interessen nicht hinreichend binden können. Dies gilt analog auch für die Schulkrise der Gegenwart. Bisherige Reformversuche von Modellschulen – insbesondere Deweys Reformversuch – zeigten ebenfalls, dass es einer besonderen imaginären Kraft innerhalb der Schüler- und Lehrerschaft bedarf, um diesen Anspruch überhaupt einzulösen. In dem Maße aber, wie die imaginäre Kraft einer Berufung als Lehrer durch die Sinnkrise der modernen Gesellschaft in ein bloßes Gehaltsverhältnis aufgelöst wird, das für eine symbolische Leistung honoriert wird, steht überhaupt in Frage, inwieweit wir uns aus dem Dilemma einer Überwältigung durch die Symbolvorräte lösen können. Bereits partielle Lösungsversuche können hier Erfolge bewirken. Solche partiellen Erfolge lassen sich besonders dort erreichen, wo Abschied von der Oberflächlichkeit genommen wird, um in elementarer Weise exemplarisch in die Tiefe zu gehen (vgl. weiterführend auch Reich 2005).
  • Schwierigkeiten begleiten Lernprozesse allenthalben. Ihr Ausschluss führt meist nur zu einer Rationalisierung, um sich einen Erfolg zu sichern. Solche Erfolge sind oft nur vordergründig. Metakommunikation wäre die Möglichkeit, sowohl auf der inhaltlichen wie auf der beziehungsmäßigen Seite über solche Schwierigkeiten zu handeln, sie nicht zu verleugnen, sondern zu bearbeiten. Metakommunikation sollte eigentlich alle Lernprozesse begleiten, aber sie unterliegt den Tücken der eben geschilderten Gefahren wie auch den Chancen der beschriebenen Möglichkeiten. Metakommunikation erlischt sofort, wenn sie auf den Blickwinkel der höher stehenden Autorität als Garant zurückgreifen muss, wenn sie durch Klischees in ein allgemeines Palaver überführt wird, wenn sie in der rationalisierten Form der bloßen Angabe von Symbolvorräten versandet oder ihre Legitimität durch irgendwelche doch nicht näher bekannten Namen bzw. Theorien gewinnt. Metakommunikation schließlich ist auch nur möglich, wenn die Widersprüche, die wir als Schwierigkeiten sehen, als Widersprüche offen bleiben können, ohne als perfekte Lösung für alle hingestellt werden zu müssen.   

1 Vgl. dazu z.B. die verengenden Aussagen bei Joas (1989, 158; 1992, 265).

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