Auf der Suche nach tödlichen Genen

Forschungstransfer in der Genetik


Nach langjähriger Forschungsarbeit ist es Professor Dr. Börries Kemper vom Institut für Genetik zusammen mit seinen Mitarbeitem gelungen, ein vielversprechendes Protein aufzuspüren, das mit Hilfe eines kleinen technischen Tricks jede Veränderung in einem menschliche Gen entdecken und anzeigen kann. Damit wird die Möglichkeit eröffnet, genetisch bedingte Krankheiten bereits in einem frühen Stadium festzustellen.

Genetik ist die Wissenschaft von den Genen, den kleinsten funktionellen Einheiten, deren Gesamtheit die Existenz aller Lebewesen garantiert. Auf dem Weg von der befruchteten Eizelle zum ausgewachsenen Organismus werden die Funktionen der meisten Gene einzeln oder in Gruppen wenigstens einmal benötigt. Dazu werden sie zum richtigen Zeitpunkt an- und nach Funktionserfüllung auch häufig wieder abgestellt.

Einige 100.000 Gene pro Zelle

Eine einzige Zelle des menschlichen Organismus hat schätzungsweise einige 100.000 Gene, eine Bakterienzelle benötigt rund 1.000 zum Leben und ein einfaches Virus kommt mit lediglich 10 Genen zurecht. Aus der Entfernung betrachtet, reflektiert die Zahl der Gene die Komplexität des Organismus. Ganz gleich wie kompliziert ein Organismus aufgebaut ist, die Gene sind sein Kapital und nicht eines darf defekt sein oder gar fehlen. Gene bestehen letztlich aber nur aus Desoxyribonukleinsäure (DNA), einer chemischen Substanz, die mit Faktoren aus der Umwelt reagieren kann und dabei den Regeln der Chemie folgt. Solche Faktore können mutagen wirken und lösen unter ungünstigen Bedingungen dauerhafte Veränderungen im Erdgut, die Mutationen, aus, die schwere Funktionsstörungen der Gen bewirken. Zur Abwehr solcher Defekte hat die Zelle eine ganze Reihe trickreicher Funktionen entwickelt, die Veränderungen des Erbguts schon beim Entstehen verhinder können. Doch ist die beste Feuenwehr kein absoluter Schutz vor Unheil, und es passiert, daß Mutationen von der Reparatur übersehen werden und dann dauerhaft im Genom des Organismus verbleiben. Sie werden zusammen mit den intakten Gene getreu von Zelle zu Zelle und von Nachkomme zu Nachkomme weitergegeben. Ein verspätete Reparatur ist nicht mehr möglich, denn etablierte Mutationen im genetichen Text sind für die zelleigenen Abwehrmechanismen nicht mehr erkennbar. Erbkrankheiten gehen auf Defekte in wichtigen Genen zurück, und die molekulare Medizin fängt gerade an, Zusammenhänge aufzudecken. Seit kurzem wissen wir auch, daß tödliche Krebserkrankungen mit Mutationen in bestimmten Genen einhergehen. Es ist deshalb ein wichtiges Anliegen der Wissenschaft, zu verstehen, wie es zu Mutationen kommt, welche Auslöser welche Mutationen hervorrufen und wo sie in den Genen lokalisiert sind. Die Lage von Mutationen wird heute technisch durch Lesen der Buchstaben, aus denen die Anweisungen der Gene bestehen, ermittelt. Die Methode geht im Labor sehr gut, erfordert aber einen technischen Aufwand, der die Sache für diagnostische Routine teuer macht - zu teuer, um z.B. schnell mal bei einem Patienten nachzusehen, ob eines seiner Gene mutiert ist.

Preisgünstige Lösung

So wurde nach einfacheren und schnelleren Methoden gesucht und auch eine Reihe sehr brauchbarer Lösungen gefunden. Leider lassen sich die meisten aber nur für begrenzte Fragestellungen einsetzen, und es gibt zur Zeit keine Methode, mit deren Hilfe alle Mutationstypen in einem Gen zuverlässig identifiziert werden können. Das von Professor Kemper gefundene Protein, das mit Hilfe eines kleinen technischen Tricks jede Sequenzveränderung in einem Gen entdecken und anzeigen kann, wird hier möglicherweise weiterführen. Auf dieses Protein stieß Professor Kemper im Rahmen seiner langjährigen Untersuchungen des bakterienfressenden Virus T4, einem sogenannten Bakteriophagen. Dabei stellte er fest, daß der Bakteriophage das gefundene Protein selber als Werkzeug zur Schadensbegrenzung an seiner DNA benutzt. Die Reaktion läßt sich mit sehr einfachen Mitteln und auch preisgünstig im Reagenzglas durchführen. Zusammen mit Richard Cotton, Direktor des Murdock Institute for Research into Birth Defects in Australien, und mit der finanz Hilfe einer in den USA ansässigen gentechnologischen Firma, wird dieses Protein nun auf seine Anwendbarkeit hin getestet. Diese Versuche verliefen sehr erfolgversprechend, wie es jetzt in der Januarausgabe der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA nachzulesen ist. Professor Kemper freut sich darüber, eine aus reiner Neugier gewonnene Erkenntnis aus der Grundlagenforschung nun in den Anwendungsbereich übertragen zu können. Die vertragliche Absicherung des Forschungstransfers mit einer gentechnologischen Firma, einem für deutsche Verhältnisse noch sehr neuem Gebiet, erfolgte in guter Zusammenarbeit mit der Universitätsverwaltung.

Bakterienfressende Viren, sog. Bakteriophagen, dienen der medizinischen Forschung als Helfer. Das Bild zeigt zwei solcher Bakteriophagen, die nach Goldbedampfung im Elektronemikroskop sichtbar gemacht und fotagrafiert wurden. Man erkennt die mit DNA gefüllten "Köpfe" und die zur Anhettung an eine Bakterienoberfläche benötigten "Schwänze". Ein Kopf mißt in seiner Längsachse 1/100 mm.


Aus: " Kölner Universitäts-Journal 1/2-1995 "