ANTIKE NUMISMATIK

 
     
 
Der Begriff Numismatik, abgeleitet vom lateinischen "nummus" bzw. vom griechischen "nomisma", ist der übliche Fachausdruck für die Wissenschaft von der Münze, die Münzkunde. Auf die Epoche des Altertums beschränkt, wird die antike Numismatik als "Wissenschaft vom Geldwesen des Altertums in der Ausdehnung der damals bekannten Welt" definiert. Sie beschäftigt sich also nicht nur mit den monetären Zeugnissen der klassischen Kulturen des Mittelmeerraumes (Griechenland und Rom), sondern auch mit denjenigen der sog. Randkulturen der Antike, da Wirtschaftsbeziehungen der Alten z. B. bis nach Mittel- und Ostasien reichten. Die zeitlichen Grenzen des Fachgebietes werden durch die Erfindung der Münze im 7. Jh. v.Chr. in Lydien und durch die europäische Völkerwanderung bzw. die Mitte des 8. Jhs. n.Chr. festgelegt, als unter den Karolingern das antike Münzsystem allmählich überholt wurde. Antike und mittelalterliche Numismatik gehen hier fließend ineinander über. Ein letzter Ausläufer der antiken Numismatik findet sich schließlich in der weiteren Entwicklung des byzantinischen Münzwesens. Die Stellung der antiken Numismatik im allgemeinen Wissenschaftsgefüge ist die eines selbständigen, mit eigenen Methoden und eigener, breiter Literatur ausgestatteten Faches, das zu einer Reihe anderer Disziplinen in intensiver Wechselbeziehung steht.
 
Eine erste Aufgabe für den Numismatiker besteht in der Beurteilung der Münze als Einzelobjekt. Die Beschreibung des jeweiligen Münzbildes, das Entziffern der Beschriftung (auch Legende genannt), die Auflösung von Abkürzungen, Angaben zu Metall, Herstellungstechnik, Gewicht und Echtheit des Stückes gehören als Merkmale zur sog. "Bestimmung" einer Prägung. Fragen nach Ort und Zeit ihrer Herstellung runden das Bild ab.
Der nächste, entscheidende Schritt über die zunächst nur beschreibende bzw. bestimmende Numismatik hinaus führt dann zur Einordnung der Münze in die Zeit ihrer Entstehung und damit zur Auswertung und Deutung. Bedenkt man, daß die einzelne Münze als offizielles, staatliches Produkt Teil einer Serie meist erheblichen Umfanges ist, wird klar, daß sie primär in ihrer Funktion als Geld, also als Zahlungsmittel anzusehen ist. Beobachtungen von Struktur, Volumen und Umlauf antiken Geldes liefern wesentliche Gradmesser für wirtschaftliche Verhältnisse. Außerdem geben die Münzen eine fast unüberschaubare Vielfalt an bildlichen Darstellungen wieder und bilden so als erstes, weitreichendes Massenkommunikationsmittel der Geschichte eine Art "metallener Chronik" von Ereignissen in ihren Herkunftsgebieten. In einigen Fällen stellen sie sogar die einzige verläßliche Quelle dar, z. B. für die Geschichte der Könige in Baktrien und Indien oder einiger römischer Usurpatoren. Mit der politischen Geschichte spiegeln sie natürlich auch die Ideengeschichte.
Eine ausgefeilte Systematik muß den sorgfältig erarbeiteten Prägeplänen und der adäquaten Organisation des technischen Ablaufes der Produktion zugrunde gelegen haben. Einblicke in Verfassung und Verwaltung erhalten wir durch die Darstellung und namentliche Nennung der "Prägeherren": Könige, Stadtstaaten, Kaiser und ihre Familie, leitende Beamte erscheinen mit Titeln oder Funktionen. Entwickelte oder archaische Formen der Schrift belehren uns aus paläographischer Sicht, wie in der Epigraphik, über den Wandel in Orthographie und Sprache.
Für die Kenntnis der antiken Mythologie und Religion(en) stellen die Münzen ein wahres Panorama vor Augen: wir sehen die großen Götterkreise, ihre Begleiter, Attribute und Symbole neben den Heroen lokaler Kulte. Als Objekte der Kleinkunst sind die Münzen einerseits mit den Gemmen verwandt, liefern aber andererseits wertvolle Ergänzungen für die Großplastik. Die Ikonographie wird durch sie in zahlreichen Aspekten wesentlich bereichert.
 
Schließlich stellen die in archäologischem Kontext gefundenen Münzen eine reiche Informationsquelle dar. So kann z.B. eine ausgegrabene Schicht oder ein ganzer Grabungskomplex nicht früher als die Entstehungszeit der jüngsten vertretenen Münze datiert werden. Auch die Umstände, unter denen die Münzen in die Erde kamen, lassen sich erschließen: bei drohender Gefahr etwa wird der Besitz versteckt. Ob der Schatz über mehrere Jahre Stück für Stück angespart oder in großer Hast zusammengerafft wurde, läßt sich anhand der Zusammensetzung des Münzfundes erkennen.
 
 
An keinem Ort findet man das umfangreiche numismatische Material lückenlos versammelt. Es muß also von Fall zu Fall und je nach dem zu behandelnden Problem aus den Beständen der großen Münzkabinette, Privatsammlungen und aus dem Handel zusammengetragen werden. Erst durch die möglichst vollständige Sammlung und Publikation des Materials wird es möglich, die antiken Prägesysteme unterschiedlicher Epochen und Gebiete zu rekonstruieren und damit eine tragfähige Grundlage für weitere, detaillierte Untersuchungen zu schaffen.
 
 

 

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erika.ritz@uni-koeln.de - 09.01.2006

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