Prof. Dr. Katharina Niemeyer

Wintersemester 2002/03

Vorlesung: Erzählen im Siglo de Oro: vom Don Quijote (1605/1615) zum Criticón (1651/1653/1657)

2 Std., Mo, 9.30h – 11h in F
Beginn: 21.10.2002

Cervantes’ Don Quijote bedeutet nicht nur den Beginn des modernen Romans. Zugleich beinhaltet er die mehr oder weniger ironische Summe beinahe aller im spanischen Siglo de Oro angelegten Möglichkeiten der erzählenden Prosafiktion. Auf diese Möglichkeiten – und eben nicht den Quijote – wird in der Folgezeit zurückgegriffen. Schelmenroman, byzantinischer Roman, auch noch Schäferroman und historischer Roman bestimmen das Panorama im frühen 17. Jhdt., neu hinzu kommt die Novelle in der Nachfolge von Cervantes’ Novelas ejemplares (1613). Bis zum Ende der Epoche wird sie die erfolgreichste Gattung erzählender Prosafiktion sein, nicht zuletzt weil sie am deutlichsten den veränderten Schichtungen und Unterhaltungsansprüchen eines wachsenden städtischen Lesepublikums Rechnung trägt. Dagegen versucht der Criticón von Baltasar Gracián die Synthese von Schelmen- und Abenteurroman im Sinne einer allegorisch-barocken Zurichtung der erzählenden Prosafiktion zum Epos sittlicher Bildung und Weltklugheit. 

Die Vorlesung versucht, diese unterschiedlichen und einander doch immer wieder kreuzenden Wege des Erzählens nachzuzeichnen. Soziokulturelle Hintergründe sollen dabei ebenso beleuchtet werden wie poetologische Fragestellungen und mediengeschichtliche Aspekte, insbesondere die Entwicklung der Prosafiktion zum eigenständigen Medium – auch und gerade der Unterhaltung.

Lektüreempfehlung: Natürlich, vor allem und immer wieder Miguel de Cervantes, Don Quijote de la Mancha; am besten in der Augabe des Instituto Cervantes, Barcelona: Crítica 1998. Nicht weniger Lesegenuß bieten seine Novelas ejemplares (erschwingliche Ausgaben bei Cátedra und Castalia, noch besser die gerade ebenfalls bei Crítica erschienene Ausgabe). Aber auch Baltasar Gracián, El criticón, z.B. in der Cátedra-Ausgabe lohnt die Lektüre ...

Übersicht:

21.10. Einführung

28.10. Spanien im 17. Jahrhundert: Bücher und Leser

04.11. Cervantes' Don Quijote (1605) als summa der Prosafiktion

11.11. Quevedos Buscón (1604?/1626) oder der Karneval der Reaktion

18.11. Erzählen nach Muster: die novela picaresca zwischen Parodie und Trivialisierung

25.11. Fortsetzung folgt oder Erzählen übers Erzählen: Don Quijote (1615)

02.12. Ars narrandi: Rhetorik der Fiktion

09.12. Cervantes' Novelas ejemplares (1613) oder eine Gattung wird besichtigt

16.12. Lang oder kurz? Prosafiktion zwischen Entgrenzung und Differenzierung

06.01. Ein "Musterroman"? Cervantes' Trabajos de Persiles y Segismunda (1617) und die novela bizantina

13.01. Was heißt denn eigentlich "novela"? Definition und Praxis bei Francisco de Lugo y Dávila (1622), Lope de Vega (1624) und Alonso de Castillo Solórzano

20.01. María de Zayas: Wundern und enttäuschen in den Novelas amorosas (1637) und den Desengaños amorosos (1647)

27.01. Wenn der Teufel mitspielt, bleibt von der novela nichts mehr übrig: Luis Vélez de Guevaras Satire El diablo cojuelo (1641)

03.02. "el discurso de tu vida en un discurso" - Graciáns Criticón (1651-1657) als allegorischer Roman

10.02. Leser und Bücher nach dem Criticón

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