Im September haben Universität und Uniklinik das neue Zentrum für Stoffwechselforschung eingeweiht. Ab 2025 treffen dort elf Forschungsgruppen aus Fachgebieten wie der Endokrinologie, Dermatologie, Kinder- und Jugendheilkunde, Neurobiologie, Physiologie, Bioinformatik, Psychiatrie und Nephrologie zusammen. Die Forschung nimmt allerdings nicht nur die weit verbreiteten Krankheiten Übergewicht, Adipositas und Typ-2-Diabetes ins Visier. Das Spektrum der Forschungsthemen ist breit und umfasst auch Fragen der Wundheilung oder des Einflusses von Ernährung auf Nierenerkrankungen.
Neben der technischen Ausstattung des Gebäudes, die unter anderem ein Massenspektrometer zur Analyse von Bio-Molekülen bereithält, schafft die räumliche Nähe der klinischen und grundlagenwissenschaftlichen Arbeitsgruppen gute Bedingungen für Kooperation: Durch Austausch können völlig neue Forschungsfragen entstehen und untersucht werden.
Die neue Volkskrankheit
Dr. Ruth Hanßen ist nicht nur in der Forschung tätig, sondern auch in der Patientenversorgung an der Uniklinik. Wer zu ihr in die Sprechstunde kommt, hat meist einen langen Leidensweg hinter sich: zig Diäten und danach der JoJo-Effekt, der zu einer noch höheren Zahl auf der Waage führt. Sie und ihre Kolleg*innen bieten an der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin das Schulungsprogramm ›Change Your Life‹ an. Darin lernen die Teilnehmer*innen über ein Jahr einen gesundheitsfördernden Lebensstil mit Änderung des Essverhaltens, Bewegung und Sport sowie Stressbewältigungsstrategien. Oft werden Patient*innen von anderen Fachbereichen überwiesen, da sie bereits an Folgeerkrankungen von Übergewicht und Adipositas leiden. Ab einem Body-Mass-Index von 30 kg/m2 können die Krankenkassen die Teilnahme am Programm finanzieren.
Body-Mass-Index
Der BMI berechnet sich durch die Formel ›Gewicht in Kilogramm durch die Körpergröße zum Quadrat‹. Ab wann ein Mensch als übergewichtig oder adipös gilt, hängt auch von Alter und Geschlecht ab. In der Regel gilt: Ab einem BMI von 25 beginnt das Übergewicht, ab einem BMI von 30 die Adipositas.
Hanßen ist wichtig, dass ihre Patient*innen nicht stigmatisiert werden, weil sie sich vermeintlich nicht ›zügeln‹ können. »Heute wissen wir, dass Adipositas eine chronische Krankheit ist, die mit Veränderungen im Gehirn einhergeht. Diese Gehirnveränderungen machen eine ›einfache‹ Lebensstiländerung nur schwer umsetzbar. Wir sagen ja auch nicht zu Menschen, die an einer schweren Depression leiden, dass sie einfach mal lächeln sollten «, sagt die Ärztin. Besonderen Wert legt sie auf eine umfassende Nachbetreuung, wie sie auch bei anderen körperlichen und psychischen Erkrankungen erfolgt. Denn mit der einmaligen Gewichtabnahme ist es nicht getan. Die größere Herausforderung besteht darin, das neue Gewicht zu halten.
Als Leiterin der Arbeitsgruppe für translationale Stoffwechselforschung an der Uniklinik überträgt Ruth Hanßen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der zell- und tierbasierten Forschung in die Patientenversorgung. Gleichzeitig entstehen im Kontakt mit Patient*innen Forschungsfragen, die sie in Zukunft am neuen Zentrum für Stoffwechselforschung bearbeiten wird. Sie interessiert vor allem, was im Gehirn passiert, wenn Menschen immer mehr zunehmen: »Bei einer Ernährung mit hoher Fett- und Zuckerkonzentration verändert sich das Belohnungszentrum. Wer einmal ein erhöhtes Gewicht hat, dessen Gehirn arbeitet nicht mehr so wie vorher: Die hochkalorischen Nahrungsmittel werden als besonders belohnend kodiert, die niedrigkalorischen im Gegenzug als besonders wenig belohnend «, sagt Hanßen.
Dieser Effekt verstärke sich mit zunehmendem Körpergewicht. Nach aktuellem Forschungsstand sei jedoch völlig unklar, ob sich die Veränderungen im Gehirn jemals umkehren lassen – ein möglicher Grund, warum es nach einer Gewichtsreduktion so schwerfällt, das neue Gewicht zu halten.
Schaltzentrale für das Essverhalten
Professorin Dr. Tatiana Korotkova leitet das Institut für Systemische Physiologie der Medizinischen Fakultät und ist Forschungsgruppenleiterin am Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD. Ihre Arbeitsgruppe, die bald auch in die Räumlichkeiten des Zentrums für Stoffwechselforschung einziehen wird, nimmt die Prozesse im Gehirn unter die Lupe, die für das Essverhalten verantwortlich sind. Das ist vor allem der Hypothalamus, eine Art Schaltzentrale für verschiedene Signale in unserem Körper. Diese Hirnregion ist noch einmal in unterschiedliche Zentren aufgeteilt.