Mittlerweile nimmt der Einfluss dieser Zeitungen – wie auch in anderen Ländern – mit dem Aufkommen von sozialen Medien und anderen Onlinequellen ab. Basu: »Das bringt natürlich auch die bekannten Nachteile mit sich. Dennoch schmälert diese Entwicklung die Bedeutung der EU-skeptischen Zeitungen, die die britische Medienlandschaft schon so lange prägen.«
Direkte Demokratie ist ein zweischneidiges Schwert
Seit 2016 hat die britische Regierung aufgrund des innenpolitischen Drucks und des Drucks der EU-skeptischen Presse immer wieder bekräftigt, sie wolle den »Willen des Volkes« respektieren und umsetzen.
Worin dieser Wille besteht, ist für Chitralekha Basu allerdings alles andere als klar: »Es gab so viele Optionen: Binnenmarkt, Zollunion, bleiben und neu verhandeln, austreten. Aber die britische Öffentlichkeit konnte sich nur dafür entscheiden, zu gehen oder zu bleiben.« Diese beiden Optionen hätten jedoch nicht die Bandbreite dessen erfasst, was es zu entscheiden galt.
Wenn es um derart weitreichende Entscheidungen für ein Gemeinwesen geht, befürworten viele Politologinnen und politische Philosophen statt der direkten Demokratie daher die repräsentative Demokratie. Bei so vielen komplizierten Fragen hätten gewählte Vertreter die Frage des EUAustritts entscheiden müssen, meint Basu: »Selbst die ›Remain‹-Kampagne war nicht in der Lage, der Öffentlichkeit alle Feinheiten zu erklären. Die Wahl hätte daher nicht auf ein einfaches Ja oder Nein reduziert werden dürfen.«
Ein weiteres Problem sieht sie darin, dass das Mandat bei weitem nicht klar ist. In einer parlamentarischen, legislativen Wahl entscheiden Wählerinnen und Wähler über Programme, die komplexe Positionen umreißen. Und selbst dann ist klar, dass es Nachverhandlungen geben wird, wenn Parteien in eine Regierung eintreten. Auch ist allgemein anerkannt, dass das gegebene Mandat irgendwann ausläuft: Bei der nächsten Wahl kann man seine Entscheidung überdenken. Aber wann läuft das Ergebnis eines Referendums ab? »Diese Form der Abstimmung sieht vor, dass die Öffentlichkeit einmal entscheidet und keine Möglichkeit hat, diese Entscheidung angesichts neuer Informationen zu überdenken. Es erscheint mir nicht sehr demokratisch, dass die Legitimität des Ergebnisses nie wieder in Frage gestellt werden darf«, reflektiert die Politologin.
Der politische Aktivismus nimmt zu
Das Brexit-Referendum hat die britische Gesellschaft entzweit. Und die Einstellungen sind erstaunlich stabil. Manche »Leavers « bedauern ihre Entscheidung – allerdings weniger, als man angesichts der Entwicklungen der letzten vier Jahre vermuten könnte. »Die meisten Menschen, die für den EU-Austritt gestimmt haben, glauben weiterhin, dass dies die richtige Entscheidung war«, sagt Basu – auch wenn aktuellere Umfragen einen knappen (aber wachsenden) Vorsprung von EU-Anhängern vor Brexit-Anhängern ausmachen. Auch für die britischen Medien gilt: Die Zeitungen, die vorher EU-skeptisch waren, sind es weiterhin – und sie beobachten genau, welche Zugeständnisse die britische Regierung gegenüber der EU macht und kritisieren sie dafür scharf.
Umfragen – Die BBC hat aus verschiedenen Umfragen errechnet, dass 86 Prozent derjenigen, die 2016 für den Austritt gestimmt haben, sich 2019 wieder so entschieden hätten. EU-Befürworter blieben zu 88 Prozent bei ihrer Meinung. Eine Mehrheit derjenigen, die nicht am Referendum teilgenommen haben, sind ebenfalls für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU.
Chitralekha Basu fällt es im Moment schwer, ein optimistisches Zukunftsszenario für das Land auszumachen. Viele Dinge, die der Brexit mit sich bringen wird, könnten in absehbarer Zeit nicht gelöst werden, und die Gräben würden sich wohl noch vertiefen. Aber eine Sache sieht sie positiv: Das Referendum hat den politischen Aktivismus beflügelt. Die Menschen gehen auf die Straße und beschäftigen sich mit dem Thema. Dadurch entsteht ein neues Bewusstsein für die Bedeutung der EU-Frage. »Der Brexit hat so viele Menschen politisiert, die vorher unpolitisch waren. Das kann sich auf lange Sicht positiv auswirken «, schließt sie.