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Die europäischen Hunnen hatten altsibirische Wurzeln

Eine sprachwissenschaftliche Studie belegt eine gemeinsame paläosibirische Sprache der europäischen Hunnen und ihrer asiatischen Vorfahren. Damit ist der bisher angenommene türkische Ursprung der Hunnen entkräftet.

Am Fluss Jelogui, einem Zufluss des Jenisseij in Sibirien. In der Region leben noch einige wenige Sprecher einer Jenissejsprache, des Ketischen. Die Sprache der europäischen Hunnen gehörte zur gleichen Sprachfamilie.

Neue linguistische Erkenntnisse zeigen, dass die europäischen Hunnen paläosibirische Vorfahren hatten und nicht, wie bislang angenommen, auf türkischsprachige Gruppen zurückgehen. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie von Dr. Svenja Bonmann am Institut für Linguistik der Universität zu Köln und Dr. Simon Fries an der Faculty of Classics und der Faculty of Linguistics, Philology and Phonetics der Universität Oxford. Die Ergebnisse der Studie „Linguistic evidence suggests that Xiōng-nú and Huns spoke the same Paleo-Siberian language“ sind in der Fachzeitschrift Transactions of the Philological Society erschienen.

Die Wissenschaftler rekonstruierten aus verschiedenen sprachlichen Quellen, dass der ethnische Kern der Hunnen – darunter Attila und seine europäische Herrscherdynastie – und ihre asiatischen Vorfahren, die sogenannten Xiongnu, eine gemeinsame Sprache teilten. Diese Sprache gehörte zur Gruppe der jenissejischen Sprachen, einer Untergruppe der sogenannten paläosibirischen Sprachen. Diese Sprachen wurden in Sibirien vor dem Eindringen uralischer, türkischer und tungusischer Ethnien gesprochen. Noch heute gibt es kleinere Gruppen am Ufer des Flusses Jenissei in Russland, die eine jenissejische Sprache sprechen. 

Die Xiongnu bildeten vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zum zweiten Jahrhundert n. Chr. eine lose Stammeskonföderation in Innerasien. Vor einigen Jahren legten archäologische Arbeiten in der Mongolei eine Stadt frei, die wahrscheinlich die Hauptstadt des Xiongnu-Reiches Long Cheng ist. Die Hunnen etablierten ihrerseits vom vierten bis fünften Jahrhundert n. Chr. ein relativ kurzlebiges, aber einflussreiches multiethnisches Reich in Südosteuropa. Dass sie aus Innerasien stammten, ist wissenschaftlich anerkannt, doch ihre ethnischen und sprachlichen Ursprünge waren bislang umstritten, da keine schriftlichen Dokumente in ihrer eigenen Sprache erhalten sind. Viele Erkenntnisse über die Hunnen und die Xiongnu stützen sich daher auf Schriftdokumente über sie in anderen Sprachen, die Bezeichnung „Xiōng-nú“ stammt etwa aus dem Chinesischen. 

Ab dem siebten Jahrhundert n.Ch. expandierten türkische Völker westwärts. Daher vermutete man, dass auch die Xiongnu und der ethnische Kern der Hunnen, deren Expansion einige Jahrhunderte zurücklag, eine Turksprache sprachen. Bonmann und Fries haben jedoch unterschiedliche linguistische Anhaltspunkte dafür gefunden, dass diese Gruppen ungefähr zur Zeitenwende in Innerasien eine frühe Form des sogenannten Arinischen, einer jenissejischen Sprache, gesprochen haben. „Das war lange, bevor die Turkvölker nach Innerasien wanderten und zeitlich sogar noch vor der Aufspaltung des Urtürkischen in mehrere Tochtersprachen. Diese alt-arinische Sprache beeinflusste sogar ihrerseits die frühen Turksprachen und verfügte über ein gewisses Prestige in Innerasien. Dies impliziert, dass es sich beim Alt-Arinischen wohl um die Muttersprache der Herrscherdynastie der Xiongnu handelte“, sagt Dr. Svenja Bonmann von der Universität zu Köln. 

Bonmann und Fries werteten linguistische Daten aus, die auf Lehnwörtern, Glossen in chinesischen Texten, Eigennamen der hunnischen Herrscherdynastie sowie Orts- und Gewässernamen beruhen. Jeder dieser Datenpunkte für sich genommen besäße vergleichsweise wenig Aussagekraft, aber alle Daten zusammengenommen ließen kaum einen anderen Schluss zu, als dass sowohl die Herrscherdynastie der Xiongnu als auch der ethnische Kern der Hunnen Alt-Arinisch sprachen. 

Die Erkenntnisse der Studie erlaubten es darüber hinaus zum ersten Mal, die Wanderung der Hunnen nach Europa konkret nachzuvollziehen: Orts- und Gewässernamen belegen für die beiden Wissenschaftler noch heute, dass eine arinisch-sprachige Population einst Innerasien ihren Stempel aufdrückte und, von der Altai-Sajan-Region ausgehend, nach Westen wanderte. Attila der Hunnenkönig trägt wohl ebenfalls einen alt-arinischen Namen: Bislang hielt man ‚Attila‘ für eine germanische Wortschöpfung (‚Väterchen‘), doch könne laut der neuen Studie ‚Attila‘ auch als jenissejischer Beiname mit der ungefähren Bedeutung ‚der schnelle, rasche‘ interpretiert werden.    

Die neuen linguistischen Erkenntnisse untermauern frühere genetische und archäologische Befunde, dass die europäischen Hunnen Nachfahren der Xiongnu sind. „Unsere Studie zeigt, dass die Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft neben der Archäologie und der Genetik eine wesentliche Rolle bei der Erforschung der menschlichen Geschichte spielt. Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse weitere Forschungen zur Geschichte der weniger bekannten Sprachen anregen und damit zu unserem Verständnis der sprachlichen Entwicklung der Menschheit beitragen“, resümiert Dr. Simon Fries von der Universität Oxford.
 

Inhaltlicher Kontakt:
Dr. Svenja Bonmann
Institut für Linguistik der Universität zu Köln
+49 221 470 4112
svenja.bonmannSpamProtectionuni-koeln.de

Dr Simon Fries
Faculty of Classics / Faculty of Linguistics, Philology and Phonetics, University of Oxford
simon.friesSpamProtectionclassics.ox.ac.uk

Presse und Kommunikation:
Eva Schissler 
Universität zu Köln
+49 221 470 4030
e.schisslerSpamProtectionverw.uni-koeln.de

Matt Pickles
Head of Communications, Humanities Division, University of Oxford
matt.picklesSpamProtectionhumanities.ox.ac.uk

Veröffentlichung:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1467-968X.12321