7 Thesen von Bauman
- Menschen sind moralisch ambivalent.
Sie sind weder von Natur aus gut noch ihrem Wesen nach böse.
Moralität ist essentiell ambivalent.
Moralität ist aufgrund der primären Struktur menschlichen
Zusammenseins essentiell in einer ambivalenten Verfassung. Und auch
Rationalität kann moralische Impulse nicht außer Kraft
setzen; sie kann sie höchstens ruhigstellen und lähmen.
Daraus folgt, dass es keine Garantien für moralisches Verhalten
gibt.
- Moralische Phänomene sind inhärent
nicht-rational.
Rationalität (hier: Zweck-Rationalität) verschiebt moralische
Phänomene aus dem Bereich der persönlichen Autonomie in den
der machtgestützten Heteronomie.
Rationalität setzt erlernbares Wissen um Regeln an die Stelle
eines moralischen Selbst, das sich durch Verantwortung konstituiert.
Sie setzt Verantwortlichkeit gegenüber den Gesetzgebern und -hütern
des Codes an die Stelle, an der früher Verantwortlichkeit gegenüber
Anderen und dem eigenen moralischen Gewissen bestanden, - als dem
Kontext, in dem moralische Position bezogen wird. Autonome Moralität
wird durch Rationalität korrumpiert.
- Moralität ist unheilbar aporetisch.
Moralität ist ein unlösbares Problem, da in der Sache selbst
ein Widerspruch liegt.
Die Mehrzahl moralischer Entscheidungen fällt zwischen sich
widersprechenden ImpulsenUnsicherheit wird die Verfassung des
moralischen Selbst immer begleiten
- Moralität ist nicht universalisierbar.
Diese Feststellung impliziert nicht notwendigerweise moralischen
Relativismus.
Bauman wendet sich gegen die zähe Kampagne, Unterschiede zu glätten
und setzt sich für die autonomen, widerspenstigen, unkontrollierten
Ursprünge der moralischen Urteilskraft ein.
- Moralität
ist irrational
Aus der Perspektive der rationalen Ordnung ist Moralität
irrational und muss es auch bleiben.
Das moralische Selbst muss kultiviert werden, ohne sein Wachstum zu
ersticken und seine Vitalität auszutrocknen. Bild des Gartens, doch
wer ist der Gärtner?
- Das moralische Verantwortungsgefühl ist ein
Akt der Selbstkonstitution (Schöpfungsakt).
Der Mensch besitzt von Geburt an eine moralische Disposition, die
darauf gerichtet ist für den Anderen zu sein, ob der Andere für
ihn ist oder auch nicht. Es gibt also kein Selbst vor dem moralischen
Selbst, Moralität ist grundlegende, nicht-determinierte Gegenwart,
tatsächlich ein Schöpfungsakt.
Der Mensch hat die Fähigkeit zur schöpferischen
Verantwortung, dies allein garantiert jedoch noch kein moralisches
Verhalten.
- Moral ist relativ.
Der umfassenden Substitution der Moral durch Ethik
ist eine Absage zu erteilen.
Deshalb kann sie nicht durch einen universellen ethischen Code ersetzt
werden, sondern nur aufgrund der ethischen Autorität des Einzelnen
existieren.
(Bauman 1995a, S. 23-30)