7 Thesen von Bauman

  1. Menschen sind moralisch ambivalent.
    Sie sind weder von Natur aus gut noch ihrem Wesen nach böse.
    Moralität ist essentiell ambivalent.
    Moralität ist aufgrund der primären Struktur menschlichen Zusammenseins essentiell in einer ambivalenten Verfassung. Und auch Rationalität kann moralische Impulse nicht außer Kraft setzen; sie kann sie höchstens ruhigstellen und lähmen.
    Daraus folgt, dass es keine Garantien für moralisches Verhalten gibt.
  2. Moralische Phänomene sind inhärent nicht-rational.
    Rationalität (hier: Zweck-Rationalität) verschiebt moralische Phänomene aus dem Bereich der persönlichen Autonomie in den der machtgestützten Heteronomie.
    Rationalität setzt erlernbares Wissen um Regeln an die Stelle eines moralischen Selbst, das sich durch Verantwortung konstituiert.
    Sie setzt Verantwortlichkeit gegenüber den Gesetzgebern und -hütern des Codes an die Stelle, an der früher Verantwortlichkeit gegenüber Anderen und dem eigenen moralischen Gewissen bestanden, - als dem Kontext, in dem moralische Position bezogen wird. Autonome Moralität wird durch Rationalität korrumpiert.
  3. Moralität ist unheilbar aporetisch.
    Moralität ist ein unlösbares Problem, da in der Sache selbst ein Widerspruch liegt.
    Die Mehrzahl moralischer Entscheidungen fällt zwischen sich widersprechenden ImpulsenUnsicherheit wird die Verfassung des moralischen Selbst immer begleiten
  4. Moralität ist nicht universalisierbar.
    Diese Feststellung impliziert nicht notwendigerweise moralischen Relativismus.
    Bauman wendet sich gegen die zähe Kampagne, Unterschiede zu glätten und setzt sich für die autonomen, widerspenstigen, unkontrollierten Ursprünge der moralischen Urteilskraft ein.
  5. Moralität ist irrational
    Aus der Perspektive der rationalen Ordnung ist
    Moralität irrational und muss es auch bleiben.

    Das moralische Selbst muss kultiviert werden, ohne sein Wachstum zu ersticken und seine Vitalität auszutrocknen. Bild des Gartens, doch wer ist der Gärtner?
  6. Das moralische Verantwortungsgefühl ist ein Akt der Selbstkonstitution (Schöpfungsakt).
    Der Mensch besitzt von Geburt an eine moralische Disposition, die darauf gerichtet ist für den Anderen zu sein, ob der Andere für ihn ist oder auch nicht. Es gibt also kein Selbst vor dem moralischen Selbst, Moralität ist grundlegende, nicht-determinierte Gegenwart, tatsächlich ein Schöpfungsakt.
    Der Mensch hat die Fähigkeit zur schöpferischen Verantwortung, dies allein garantiert jedoch noch kein moralisches Verhalten.
  7. Moral ist relativ.
    Der umfassenden Substitution der Moral durch Ethik ist eine Absage zu erteilen.

    Deshalb kann sie nicht durch einen universellen ethischen Code ersetzt werden, sondern nur aufgrund der ethischen Autorität des Einzelnen existieren.

(Bauman 1995a, S. 23-30)

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