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Stuart JENKS
Edition und EDV, mit besonderer Berücksichtigung der hansischen und preußischen Überlieferung

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Ungewöhnliche Begriffe aus der Computerwelt werden als Links dargestellt, die zu einer allgemeinverständlichen Definition im Glossar (am Ende dieses Beitrags) führen


Seit dem großangelegten Plan des Freiherrn vom Stein, alle Quellen zum deutschen Mittelalter im Rahmen der Monumenta Germaniae historica innerhalb von wenigen Jahren zu publizieren, und den Debatten des ausgehenden 19. Jahrhunderts zwischen Droysen, Bernheim und anderen über Quellenbegriff und Quellenkritik ist die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der historischen Überlieferung verstummt. Man ediert und schreibt vor sich hin, ohne das Grundsätzliche einer intensiven, eigenständigen Erörterung zu unterziehen.

Allerdings gibt das Aufkommen der Neuen Medien Anlaß, sich erneut Gedanken zu machen über Quellen und Quelleneditionen, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen werden uns die horrenden Druckkostenzuschüsse für herkömmliche Quelleneditionen zwingen, nach preisgünstigeren Veröffentlichungsmöglichkeiten zu suchen. Zum anderen eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten, wenn man Quellen virtuell veröffentlicht. Wenn wir unseren Beruf ernst nehmen, dann sollten wir regelrecht darauf brennen, uns mit jedweder Möglichkeit auseinanderzusetzen, unsere Forschungsarbeit schneller und besser zu machen.

Vielfach übersieht man, daß Hypertexteditionen eigentlich eine Erfindung des Mittelalters sind: die Kombination von normativem Text mit Erläuterungen, die sich auf eine bestimmte Stelle im Text beziehen, begann mit volkssprachigen Glossierungen im frühen Mittelalter und wurde spätestens im Zuge der Kommentare zum Decretum Gratiani in höchstem Maße systematisiert. Auch heute verbindet jeder Wissenschaftler Texte unterschiedlichen, aber verwandten Inhalts miteinander, z.B. den Text einer Abhandlung und die Fußnoten, Bilder, Karten, Personen-, Orts- und Sachverzeichnisse, die zum Verständnis bzw. zur Vertiefung des Textes dienen oder ihn erschließen. Es gibt allerdings drei wichtige Unterschiede zwischen virtuellem und herkömmlichem Text:

Die Vor- und Nachteile der digitalen Editionsform möchte ich heute am Beispiel der hansischen Überlieferung verdeutlichen. Ihren Kern bilden die Rezesse, die aber bis zum Ausbruch der Kämpfe gegen Waldemar IV. von Dänemark nur vereinzelt überliefert sind und erst danach in städtischen Rezeßhandschriften systematisch gesammelt wurden. Neben den Beratungen und Beschlüssen des Hansetags enthalten diese Handschriften auch die Briefe, die an den Hansetag gesandt wurden, sowie die Antwortschreiben, die die Versammlung beschloß, die Protokolle der Verhandlungen mit ausländischen Mächten und ggf. auch die vereinbarten Verträge, die Spesenabrechnungen der hansischen Vertreter usw.

1859 begannen die Bemühungen um eine angemessene Edition der Hanserezesse. In jenem Jahr schlug Lappenberg der Münchener Historischen Kommission die Herausgabe einer Sammlung hansischer Dokumente vor, die alles umfassen sollte, was "die Hanse als Ganzes betraf oder für ihre Geschichte Bedeutung hatte".1 Kern dieser Quellenausgabe, deren Umfang Lappenberg mit drei bis vier Quartbänden veranschlagte, sollten die Hanserezesse seit dem Jahre 1370 bilden. Das war der Schlußpunkt von Lappenbergs Urkundliche Geschichte der Hanse, die somit zeitlich fortgesetzt werden sollte. Junghans, den die Münchener Kommission mit dem Projekt beauftragte, hegte ursprünglich die Absicht, lediglich die Rezesse "mit den nächst verwandten und unmittelbar dazu gehörigen Urkunden" zum Druck zu bringen,2 aber die Konzeption änderte sich nach seinem frühem Tode, denn kurz vor der Ernennung Karl Koppmanns zum Herausgeber i.J. 1868 war der erste Band der Deutschen Reichstagsakten erschienen (1867). Dieses Quellenwerk hat die Konzeption der Hanserezesse nachhaltig beeinflußt, zumal Koppmanns Doktorvater, Georg Waitz, als Mitglied der Münchener Kommission an beiden Unternehmen führend beteiligt war. Nach Waitz' Vorstellung sollten beide Quellenwerke die Akten der jeweiligen Versammlung möglichst vollständig sammeln, und zwar unter Einschluß aller "vorbereitenden und sich daran schließenden Verhandlungen".3 Allerdings zwang eine Etatkürzung die Münchener Kommission, Abstand von Lappenbergs umfassender Konzeption zu nehmen, sich auf die Herausgabe der Hanserezesse bis 1430 zu konzentrieren und die Publikation ergänzender Urkunden anderen zu überlassen.4

Diese Überlegungen und Sachzwänge führten zu einer Aufteilung der hansischen Quelleneditionen. Zum einen beabsichtigten Koppmann und seine Nachfolger, im Rahmen der Hanserezesse alle Dokumente zusammenzutragen, die mit der "Geschichte der Hanse als eines Städtevereins, als eines politischen Gemeinwesens zu tun haben".5 Zum anderen fiel einem weiteren Waitz-Schüler, Konstantin Höhlbaum, und seinen Nachfolgern die Doppelaufgabe zu, im Rahmen des Hansischen Urkundenbuchs das Zusammenwachsen des "hansischen Bundes" in der Zeit vor der ersten Versammlung im Jahre 1256 zu erhellen und daneben alle für die Handelsgeschichte der Hanse relevanten Quellen zusammenzutragen.6 Schließlich sollten im Rahmen der Hansischen Geschichtsquellen die nichturkundlichen Zeugnisse der hansischen Geschichte – städtische Akten wie Kämmereirechnungen, Burspraken usw. – herausgebracht werden. Eine ähnliche Aufteilung des Materials ist auch bei der preußischen Geschichte zu beobachten, wo Toeppen und seine Nachfolger die Akten der Städte- und Ständetage herausgegeben haben, das urkundliche Material in das Preußische Urkundenbuch eingeflossen ist, und die nichturkundlichen Quellen von Sattler und den Editoren der TNT-Reihe herausgebracht worden sind.7

Diese Aufteilung ist aus mehreren Gründen problematisch.

Von dieser Mühsal befreien uns die Neuen Medien. Zugleich bieten sie uns die Möglichkeit, zu Lappenbergs Konzeption einer einheitlichen Quellensammlung zur hansischen Geschichte zurückzukehren. Die hansischen Quellen eignen sich vorzüglich für die digitale Editionsform, weil sie selten sequentiell gelesen werden, sondern in der Regel auszugsweise, und zwar in bezug auf einen Vorgang oder eine Fragestellung.

Durch die Herausgabe der hansischen Quellen in digitaler Form überwindet man zunächst den Konflikt zwischen der chronologischen Anordnung der Unterlagen, die bei Urkundenbüchern üblich ist, und dem Sachbezugsprinzip, das die Hanserezesse sowie die RTA bevorzugen, die die Dokumente zu einer Versammlung unter die Rubriken 'Vorakten', 'Korrespondenz', 'nachträgliche Verhandlungen' usw. einteilen, um ihre Funktion in bezug auf die Versammlung selbst zu verdeutlichen. Bei einer virtuellen Edition jedoch kann die Anordnung der Dokumente gegenüber dem Benutzer je nach Fragestellung eigens generiert werden. So kann man z.B. alle Elemente eines Vorgangs in chronologischer Reihenfolge einsehen und alle Entwürfe, Instruktionen und Debatten, die zu einem Beschluß geführt haben, ebenso wie alle späteren Bestätigungen und Modifizierungen zusammenfügen.

Zudem bieten Hypertexteditionen den Vorteil der Dynamik.

  1. Größere bzw. stark verstreute Bestände wie die hansischen Quellen können modular herausgegeben werden und bleiben trotzdem in ihrer Gesamtheit zugänglich, weil die Register parallel zur voranschreitenden Edition leicht und in beliebiger Menge generiert werden und sich gleichermaßen auf alle Dateien beziehen. Die modulare Veröffentlichung – etwa von Urkundenbüchern – wäre eine wirkliche Bereicherung der Wissenschaft, denn es dauert gegenwärtig viel zu lang, bevor die erste Lieferung erscheint. Der Grund ist, daß man sich gewöhnlich mit der Drucklegung solange zurückhält, bis nach menschlichem Ermessen alle relevanten Stücke für einen bestimmten Zeitraum gesammelt, transkribiert und beschrieben worden sind. In der Zwischenzeit hat die Wissenschaft allerdings keinen Zugriff auf die bereits fertig edierten Stücke. Hinzu kommt, daß das Register in der Regel noch später erscheint, so daß die bereits in den Teillieferungen publizierten Stücke lange nur unzureichend erschlossen bleiben – im Falle des Preußischen Urkundenbuchs und der Staatsverträge des Deutschen Ordens mußte man knapp 20 Jahre auf das Register warten.9 Solche Wartezeiten sind heutzutage völlig unnötig. Bei einer modularen Veröffentlichung kann man nicht nur die fertig edierten Stücke sofort zur Verfügung stellen, sondern auch dezentral – d.h. an mehreren Orten gleichzeitig – die Unterlagen edieren. Es müßte nur dafür gesorgt werden, daß jedes Stück einen Numerus currens10 erhält, der ihn eindeutig ausweist und der als Dateinamen fungiert. Eine zentrale Stelle müßte dann die Regesten einsammeln, zeitlich ordnen, auf Netz legen und indizeren.

  2. Man kann die Quellen intensiver erschließen, als dies bislang der Fall war. Gerade für Zollakten, Steuerlisten u.dgl.m. wäre es sinnvoll, die Edition primär vom Personen-, Orts- und Sachverzeichnis zu erschließen und dem Benutzer nur diejenigen Eintragungen zu zeigen, die sich auf seine Fragestellung beziehen. Dadurch wären z.B. prosopographische Untersuchungen wesentlich erleichtert, zumal fehlertolerante Suchprogramme die voneinander abweichenden Schreibweisen der Namen berücksichtigen.

    Hinzu kommt, daß der Benutzer viel gezielter suchen kann. Alle modernen Suchprogramme bieten die Möglichkeit einer komplexen Suche, die die logischen Operatoren – UND, ODER, NICHT – zu Hilfe nimmt, so daß die Rückmeldung der Suchmaschine nur die Stücke nennt, die etwa die Begriffe 'Danzig' UND 'Münze' enthalten. Benutzt man das Tübinger Programm TUSTEP als Grundlage für eine Datenbank, so sind wesentlich komplexere Suchmöglichkeiten gegeben.11 Allerdings funktioniert die automatische Indizierung durch TUSTEP nur, wenn die Grunddaten völlig einheitlich eingegeben worden sind, so daß eine Zeichenkette eindeutig als Indizierungselement identifizierbar ist. So muß – um ein Beispiel aus dem Repertorium Germanicum anzuführen – "klein-s, gefolgt von einer Leertaste, gefolgt von einem Großbuchstaben, gefolgt von beliebig vielen Kleinbuchstaben" immer ein Patrozinium bezeichnen und darf unter gar keinen Umständen "siehe" bedeuten. Immerhin kann man mit TUSTEP kollosale Datenmengen automatisch und schnell indizieren – das Repertorium Germanicum für die Zeit Eugens IV. umfaßt eine halbe Million Datensätze, die in weniger als eine Stunde indiziert werden können. In diesem Datenbestand kann man komplexe Suchen durchführen, um beispielsweise eine chronologisch und nach Diözesen geordnete Liste aller Nikolaus-Patrozinien im Reichsgebiet zu generieren. TUSTEP ermöglicht auch ein hohes Maß an Flexibilität. Dies wäre von unschätzbarem Wert für die Forschung, haben wir doch alle die Erfahrung gemacht, daß man mit einer Fragestellung beginnt und die dazu passenden Quellen sucht, dann merkt, daß man eigentlich auf etwas hätte achten sollen, was man zunächst für irrelevant gehalten hatte. Während man früher alle bereits aufgearbeiteten Quellen noch einmal gezielt durchsuchen mußte, erlaubt es TUSTEP, zwischenzeitlich als einschlägig erkannte Informationen mühelos abzufordern. Die Datenbank hält Schritt mit der sich entwickelnden Fragestellung.

    Darüber hinaus kann man die Quellen sowohl lokal als auch zentral verschlagworten. Bereits jetzt kann der Benutzer der CD-ROM der Regesta Imperii für die Zeit Friedrichs III.12 eigene Notizen eintragen, die lokal auf der Festplatte gespeichert werden und jedes Mal erscheinen, wenn das Regest eingesehen wird. Ein dynamisches, benutzergetriebenes Modell der zentralen Quellenverschlagwortung könnte so funktionieren: Am Anfang der Sitzung gibt der Benutzer seinen Namen und sein momentanes Forschungsanliegen mit einigen Stichworten an. Beim Verlassen einer jeden Datei, wird er gefragt, ob sie unter einem der von ihm genannten Schlagwörter indiziert werden sollte.13 So könnte man nach und nach einen Index selbst zu sehr umfangreichen Quellenbeständen aufbauen. Durch den Austausch der Indizierungsdaten wäre es möglich, einen Gesamtindex zu sämtlichen mittelalterlichen Beständen in Europa zu generieren.

  3. Hypertexteditionen können laufend und ohne nennenswerte Mehrkosten bei erkannten Fehlern korrigiert, um neuentdeckte bzw. unvermutet in den Mittelpunkt der Forschungsdiskussion gerückte Quellen ergänzt und auf den neuesten Stand der Methodik, der Forschung sowie der Editionstechnik gebracht werden. Da die Stücke zudem über die chronologisch geordneten Regesten und die automatisch generierten Indizes erschlossen sind, muß man sie nicht jedes mal neu durchnumerieren, wenn eine weitere Quelle hinzugefügt wird: der Numerus currens genügt für die eindeutige Identifizierung. Digitale Editionen sind jedoch kein Allheilmittel, die die Druckform ein für allemal ersetzen können oder sollen. Hierfür gibt es mehrere Gründe.

    1. Die Lektüre von längeren Texten am Bildschirm ist momentan unbestreitbar mühsam.14 Deshalb wäre es wenig sinnvoll, Texte wie Chroniken, die sequentiell gelesen werden, ausschließlich virtuell zu veröffentlichen. Hier bietet sich eine Mischform an, wobei man den Text einer Chronik in Heftform ausdruckt und alle anderen Informationen (Einleitung, Register, Übersetzung, textkritische Anmerkungen usw.) auf einer CD-ROM speichert.

    2. Das Tempo des technischen Wandels beschleunigt sich zusehends, was digitale Veröffentlichungen doppelt gefährdet. Zum einen fallen alle Daten unweigerlich dem Erdmagnetismus zum Opfer, wenn sie nicht in regelmäßigen Abständen neu abgespeichert werden. Zum anderen werden digitale Arbeiten infolge der rapiden Hard- und Softwareentwicklung innerhalb von wenigen Jahren unlesbar, wenn sie nicht ständig aktualisiert werden. Die Wissenschaft hat aber ein dringendes und berechtigtes Interesse daran, daß ungedruckte Quellen ebenso wie gedruckte Editionen und Forschungsergebnisse auf unbegrenzte Zeit verfügbar bleiben. Da allerdings im digitalen Zeitalter Bibliotheken und andere Repositorien aktiv werden müssen, um die Vergangenheit für künftige Generationen zu bewahren, und dies sogar in wesentlich kürzeren Zeitabständen als bei Druckwerken, ist es denkbar, daß die Aktualisierung und Neuabspeicherung der Daten einer Sparwelle zum Opfer fallen könnten. Größer ist allerdings gegenwärtig das Problem der Datenmanipulation oder der Einschleusung von Computerviren.

      All diesen Gefahren kann man jedoch durch eine behutsame Dezentralisierung der Bestände vorbeugen, ohne daß die Vorzüge des universalen Zugriffs verloren gehen. Zur Textsicherung muß eine begrenzten Anzahl von Ausdrücken hinterlegt werden. Für den tagtäglichen wissenschaftlichen Gebrauch genügen CD-ROMs, die eine Lebensdauer von ca. 30-50 Jahren haben (wie Fotokopien, die auch allmählich unlesbar werden) und nicht manipulierbar sind. Angesichts ihrer niedrigen Kosten könnten sie leicht neu aufgelegt werden und verlören somit nicht den Anschluß an den aktuellen Stand der technischen Entwicklung. Für das Problem der dauerhaften Sicherung virtueller Veröffentlichungen gibt es zur Zeit keine wirklich befriedigende Lösung, zumal die Schwierigkeit doppelter Natur ist: Erforderlich ist nicht nur ein langlebiger Datenträger für die dauerhafte physikalische Sicherung der Daten, sondern auch eine langfristig lesbare Speichersprache, damit die Texte trotz aller Techniksprünge lesbar bleiben.

    3. Wissenschaftliche Ergebnisse müssen aber auch nachprüfbar sein. Gerade in diesem Zusammenhang kehrt sich der Vorteil der Flexibilität digitaler Veröffentlichungen, die ja laufend korrigiert und ergänzt werden können, ins Gegenteil, zumal nach bisheriger Praxis die überholte Version einer Datei mit der überarbeiteten Fassung einfach überschrieben wird. So kann es leicht passieren, daß die Version eines zitierten Forschungsbeitrags längst verschwunden ist, wenn man ihn nachprüfen will. Damit würde aber eine tragende Säule der wissenschaftlichen Arbeit verloren gehen. Auch in digitaler Form müssen Untersuchungen eine gewisse Finalität besitzen. Es empfiehlt sich deshalb, wissenschaftliche Werke in abgeschlossener, auf Dauer zu sichernder Form herauszubringen, ohne weitere Auflagen auszuschließen.

    4. Forschungsbeiträge und Editionen müssen schließlich eindeutig zitierbar bleiben. Problematisch ist momentan, daß die Zeilen einer Netzdatei je nach Größe des Bildschirms unterschiedlich umgebrochen werden und Seiten ohnehin nicht existieren. Außerdem eignen sich die gegenwärtigen Vorschläge zur Zitierweise im Netz nur für kürzere Untersuchungen, nicht jedoch für Dissertationen oder Editionen, die mehrere hundert Seiten umfassen. Momentan wird PDF als Liefersprache propagiert, zumal es eindeutige Zeilen- und Seiteneinteilungen ermöglicht. Es wäre aber leicht, die Seiteneinteilung eines Ausdrucks als Basis für Zitate aus der HTML-Datei zu nehmen, die entsprechenden Markierungen in die virtuelle Datei unterbringen und einen einfachen Wegweiser am Anfang der Arbeit einfügen, so daß der Benutzer sofort zu einer bestimmten Seite springen kann.15
    Wichtig scheint mir zum Schluß nicht so sehr, wie die Lösung dieser Probleme aussieht, sondern daß man sich überhaupt als Historiker mit den Vor- und Nachteilen der digitalen Veröffentlichungsform befaßt. Grundsätzlich ist es sinnvoll, mit einem konkreten Textbeispiel anzufangen, denn erst hier beginnt man, sich zu überlegen, wie die Quelle beschaffen ist, wie sie benutzt wird und wie die Edition aufbereitet werden sollte. Ich kann nicht stark genug betonen, wie wichtig diese Überlegungen sind. Einerseits lehrt die Erfahrung, daß eine "Eins-zu-Eins" Übersetzung einer Quellenedition vom Druck in die virtuelle Form völlig unbrauchbar ist, und andererseits erkennt man im Laufe der Auseinandersetzung mit der bisherigen Edition, in welch starkem Maße die Präsentation der Quelle in Druckform davon abhängt, wie der Herausgeber sie verstanden hat. Für Koppmann z.B. stand die Organisation des 'hansischen Bundes' und ihre Rolle als politische und militärische Großmacht im Mittelpunkt. Wichtig an den Rezessen war demnach, was die Hansestädte beschlossen, nicht jedoch wie sie zu diesen Beschlüssen kamen. Mit anderen Worten: die politisch-diplomatischen Inhalte der Rezesse waren für Koppmann ungleich wichtiger als die parlamentarische Funktion des Hansetags. So hat er Briefe und Eingaben, die als integrale Bestandteile des Rezesses überliefert sind, ausgegliedert und unter 'Beilagen' und 'Korrespondenz' eingeordnet, womit er die Quellengattung vergewaltigte und eine Unterscheidung zwischen Legislative und Exekutive suggerierte, die es so nicht gegeben hatte. Bekanntlich trieben es die Herausgeber der RTA noch bunter: Wer Moraws Kritik an der Konzeption der Edition der Rechtstagsakten ernst nimmt,16 der muß erkennen, daß von Weizsäcker und seine Nachfolger eine Legislative des mittelalterlichen Reichs schlicht erfunden haben, während der Hoftag in Wirklichkeit als königliches Herrschaftsinstrument diente. Auch Toeppen stellt das legislative Element in den Mittelpunkt der Akten der Ständetage,17 obwohl infolge der Teilnahme des Hochmeisters und ggf. der Gebietiger das herrschaftliche Moment dieser Versammlungen viel stärker ausgeprägt war als etwa beim Hansetag, wo die Stadtherren keinen Zutritt hatten. So stark war jedoch die Durchschlagskraft der ursprünglichen Konzeption von Georg Waitz – seines Zeichens Verfassungshistoriker –, daß kein Unterschied zwischen dem überwiegend herrschaftlich geprägten 'Reichstag', dem unter starken landesherrlichen Einfluß stehenden preußischen Städtetag und dem herrschaftsfreien Hansetag in der Form der jeweiligen Edition zu bemerken ist.

    Aus erartigen Erwägungen muß sich der Entschluß ergeben, sowohl in der Auswahl der Unterlagen als auch in ihre Anordnung eine quellen- und gattungsgerechtere Form der Wiedergabe zu erreichen. Jede Quelle und jede Quellengattung hat ihre Eigenart, die durch die bisherige Editionstechnik nur unvollkommen wiedergegeben wird und die man dem Leser effektiver verdeutlichen möchte. So beginnt man, die Gestaltungsmöglichkeiten von HTML auszuloten. Man kann sich z.B. fragen, ob etwa durch Hierarchisierung der Informationen eine Form der Quellenwiedergabe erreichen wird, die der Quelle gerechter ist und zudem leichter zu benutzen ist.

    Als konkretes Beispiel habe ich den Hansetag gewählt, der vom 20. Mai bis zum 28. Juli 1417 tagte.18 Ich möchte zunächst auf die Tektonik der virtuellen Edition hinweisen.

    Tektonik der virtuellen Edition des Hansetages vom 20. Mai bis zum 28. Juli 1417
    Einsprungseite:
    Inhaltsverzeichnis
    des Gesamtbandes HR 1.6.
    (unterteilt in Jahren)
    dort eingelinkt ============>
    ==>Chronologische Auflistung aller Einzelstücke
    ==>Namensverzeichnis
    ==>Ortsverzeichnis
    ==>Sachverzeichnis

    Gesamtdarstellung des Geschehens (KOPPMANN)
    A. Vorakten B. Rezeß C. Beilagen D. Korrespondenz der Versammlung E. Korrespondenz der Ratssendeboten F. Nachträgliche Verhandlungen G. Anhang
    Einzelstücke mit Regest, Text, textkritischen Anmerkungen
    (Querverweise elektronisch)
    Als oberstes Element dient die sogenannte Einsprungseite, die das Inhaltsverzeichnis des 6. Bandes der ersten Reihe der Hanserezesse bietet. Von dort aus führen Links zu einer chronologischen Auflistung aller Einzelstücke sowie zu den Namens-, Orts- und Sachverzeichnissen. Dort eingelinkt ist auch Koppmanns Zusammenfassung des Geschehens dieses Hansetages, die er in Vorakten, Rezeß, Beilagen, Korrespondenz der Versammlung und der Ratssendeboten, nachträgliche Verhandlungen und Anhang eingeteilt hat. Mit dem Wegweiser kann man zu jedem Gliederungsteil der Einleitung gelangen, von wo aus wiederum Links zu den einzelnen Stücken führen.

    2) Im Rezeß selbst zeigt der Wegweiser die Druckseiten und Paragraphen von Koppmanns Edition an, so daß man ohne zu blättern rasch zu einer Seite oder einem Paragraphen kommt. Die textkritischen Anmerkungen und inhaltlichen Fußnoten erscheinen auf Mausklick im unteren Fenster. Die Briefe, die der Hansetag erhalten oder weggeschickt hat und die Bestandteil des Rezesses bilden, jedoch von Koppmann ausgegliedert worden sind, habe ich ebenfalls eingelinkt, so daß sie leicht einsehbar sind.

    Nun könnte man sehr wohl einwenden, daß ich der Konzeption von Waitz und Koppmann zu treu geblieben bin. Insbesondere habe ich einige Ungereimtheiten von Koppmanns Ausgabe unverändert belassen, so z.B. die Einordnung der Belege über die vorbereitenden Gespräche der Zuiderzeestädte im Vorfeld des Hansetags (Nr. 442, 443), die eigentlich zu den 'Vorakten' gehören müßten, unter Koppmanns Rubrik 'Anhang'. Zudem habe ich vorerst keine bessere sachliche Erschließung des Materials angeboten als Koppmann selbst. Ein Stichwortverzeichnis und eine Freitextsuche stellen hier nur den Anfang dar: man könnte darüber hinaus an übergeordnete Seiten denken, die das gesamte Material zu Flandern oder zum dänisch-holsteinischen Krieg zusammenbringen. Außerdem scheinen mir Ergänzungen des Materials – etwa um die von Koppmann als nur landständisch unterschlagenen preußischen Unterlagen – dringend geboten. Wie dem auch sei: ich hoffe, in diesem Vortrag deutlich gemacht zu haben, daß uns die Neuen Medien eine einmalige Möglichkeit bieten, unsere Forschungsarbeit zu verbessern.


    GLOSSAR

    CD-ROM51/4" Scheibe, auf der die Daten als physikalische Höhen und Tiefen eingebrannt werden, die von einem Laserstrahl abgelesen werden: Speicherkapazität: 650 MB (ca. 220.000 Druckseiten)
    ComputervirenProgramme, die der Benutzer nicht wissentlich auf seinen PC lädt und die schädliche Funktionen (Löschen von Daten usw.) ausführen
    Datenträgeralles, worauf Daten gespeichert werden können (Diskette, Festplatte, CD-ROM, Magnetband usw.)
    Freitextsuchedie Möglichkeit, jedes beliebige Wort bzw. ganze Wortgruppen in einer oder mehreren Dateien zu suchen
    HTMLFormattierungs-'Sprache' für Netzdateien mit einfachsten Mitteln, die von jedem PC dieser Welt eingelesen werden kann (also 'plattformunabhängig' ist)
    HypertextKombination verschiedener, miteinander elektronisch verbundener Texte, Bilder, Geräusche, Videos usw.
    LinkVerbindung zwischen zwei Dateien: das Stichwort wird andersfarbig und unterstrichen dargestellt; wenn man mit der Maus darauf klickt, wird die Zieldatei geholt
    MBMegabyte (gut 1 Mio. Anschläge)
    modulare EditionsformMitarbeiter (u.U. an mehreren Standorten) edieren selbständig, speichern die Ergebnisse lokal ab und melden das Ergebnis (z.B. mit Regest) an eine zentrale Stelle
    PDFFormattierungs-'Sprache' mit eindeutiger Seiten- und Zeileneinteilung, jedoch mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten (u.a. Links, jedoch auch Indizierung); Lektüre von PDF-Dateien erfordert ein besonderes Programm (PDF-Reader), das aber kostenlos ist
    Suchmaschineein Programm zur Indizierung von Netzdateien, die eine Freitextsuche ermöglicht
    TUSTEPTübinger Programm für Texterfassung, Statistik und Indizierung: TUSTEP-Homepage
    Virtueller Textungedruckter, nur auf Datenträgern existierender Text; heute normalerweise in HTML oder PDF geschrieben
    Zeichenkettebeliebige Kombination von Buchstaben und/oder Zahlen


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    Datum der Erstanlage: 19. Oktober 1999 — Letzte Änderung: 27. Oktober 1999 von Stuart Jenks (für ein korrekt adressiertes E-Post-Formular meinen Namen mit der Maus anklicken!)