Kersten Reich: Die Ordnung der Blicke. Band 1: Kapitel II.2.4

   

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2.4. Konstruktionen: Sprechakte und kommunikatives Handeln (Habermas)

Für Jürgen Habermas verhalten sich die sprach- und handlungsfähigen Subjekte vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Lebenswelt, wenn sie sich über etwas in der Welt verständigen. Dabei sind sie gegenüber dem Medium ihrer Sprache sowohl autonom als auch abhängig, wobei diese beiden Momente gleich ursprünglich im Blick auf die Ermöglichung ihrer Praxis erscheinen. „Einerseits finden sich die Subjekte immer schon in einer sprachlich strukturierten und erschlossenen Welt vor und zehren von den grammatisch vorgeschossenen Sinnzusammenhängen. Insofern bringt sich die Sprache gegenüber den sprechenden Subjekten als etwas vorgängiges und objektives, als die prägende Struktur von ermöglichenden Bedingungen zur Geltung. Andererseits findet die sprachlich erschlossene und strukturierte Lebenswelt nur in der Verständigungspraxis einer Sprachgemeinschaft ihren Halt.“ (Habermas 1992a, 51).1
In dieser wechselseitigen Bezüglichkeit entdeckt Habermas die Lebenswelt als Ressource, die für das kommunikative Handeln Voraussetzung ist, und die Lebenswelt als Produkt dieses kommunikativen Handelns selbst, so dass in der Zirkularität zwischen beiden die Möglichkeiten der je konkreten menschlichen Lösungen angesiedelt sind.2
Habermas betont insbesondere die linguistische Wende, die diese neue Sichtweise möglich machte:

  • Das Selbstbewusstsein war als ursprüngliches Phänomen der Selbstbeziehung des erkennenden Subjekts problematisch geworden, weil sich die Spontaneität des bewussten Lebens selbst unter jene Objektform gestellt sieht, die sie angeblich durch Freiheit auflöst. Daraus entstanden Zwänge zur Objek­tivierung und Selbstobjektivierung, die seit Nietzsche „als Zielscheibe für eine auf die modernen Lebensverhältnisse insgesamt ausgreifende Kritik am verfügenden Denken oder an instrumenteller Vernunft“ (ebd., 52) dienen.
  • Logik und Semantik haben seit Frege den gegenstandstheoretischen Auffassungen eine Niederlage bereitet, die sich aus traditionellen bewusstseinsphilosophischen Begriffsstrategien ergaben. Es wurde erkennbar, dass das Subjekt sich in seinen Urteilen, Handlungen und Erlebnissen nur auf Objekte, auf intentionale, d.h. vorgestellte Gegenstände richtet.3
  • Ferner führt Habermas unter anderem Theorien von Freud, Piaget, Saussure an, die die traditionellen Kategorien der Bewusstseinsphilosophie mit ihren Neusetzungen unterliefen. „Über die Kategorien des ausdrucksfähigen Lei­bes, des Verhaltens, der Handlung und der Sprache lassen sich Weltbezüge einführen, in die der vergesellschaftete Organismus des sprach- und handlungsfähigen Subjekts schon eingelassen ist, bevor dieses objektivierend auf etwas in der Welt Bezug nimmt.“ (Ebd., 53).
  • Jedoch erst die linguistische Wende hat für ihn diesen Bedenken eine methodische Grundlage gegeben. Diese Wende äußert sich durch den methodischen Vorzug, der darin wurzelt, dass die Sprachphilosophie sich nicht nur auf introspektive Vorstellungen im Subjekt berufen kann, sondern über eine intersubjektive Gültigkeit von Beobachtungen Zugang zur Lebenswelt gewinnt. So wird die Spaltung in eine schon vorhandene Grammatik und Sprache gegenüber der Spontaneität des Denkens anerkannt und damit können Strukturen analysiert werden, ohne dass bloß auf das Subjektive Bezug genommen werden muss. Dahinter stecken Einsichten, die Habermas in Aus­einandersetzung mit etlichen Autoren umfassend als Theorie des kommunikativen Handelns entfaltet hat.4

Habermas führt diese vier wichtigen Motive der Abkehr von der traditionellen Bewusstseinsphilosophie im Blick auf die Rechtfertigung seiner eigenen Bevorzugung der linguistischen Wende an. Aus dieser Beobachterposition heraus entwickelt er sein Werk der Abarbeitung und Kritik anderer Ansätze. Aber dieser Wendepunkt, der durch sehr unterschiedliche Ausgangspositionen charakterisiert ist, wird auch mit einigen Reduktionen – aus der Sicht meines konstruktivistischen Ansatzes – erzwungen, die die Beobachtungen von Interaktionen und Kommunikationen stark beschneiden. Dies wird mich im folgenden hier im Blick auf die Interaktionen und das kommunikative Handeln, später dann in der dritten Kränkungsbewegung im Blick auf die Deutung der Psychoanalyse beschäftigen.
Meine Grundthese bei der nachfolgenden Erörterung ist, dass die Breite der Beobachtervielfalt bei Habermas eingeschränkt wird, sie wird auf Sprache und inhaltlich rationalisiertes (das ist für ihn kommunikatives) Handeln konzentriert. Dabei hat er differenzierte Ideen entwickelt, die schon wegen der zirkulären Grundstruktur von Sprache und Lebenswelt für konstruktivistisches Denken äußerst aufschlussreich und anschlussfähig sind. Obwohl ich hier mit vielen Interpretationen von Habermas übereinstimme und insbesondere seine Abwehr reduktiv-technologischen Denkens sehr schätze, so möchte ich hier insbesondere auf die Stellen eingehen, in denen er meines Erachtens eher eine verkürzte Beobachtertheorie kommunikativer Handlungen entwirft.5
Zunächst ist zu bedenken, dass Habermas die sprachpragmatische Wende ausführlich nachzeichnet und in ihren Schwierigkeiten problematisiert. Für ihn ist die Sprachpragmatik, d.h. der Einbezug der Sprechsituation, der Sprachverwendung und ihrer Kontexte, der Ansprüche, der Dialogrollen und Stellungnahmen der Sprecher im Wechselspiel mit den Hörern wesentlich, um nicht zu einem re­duzierten Sprachverständnis zu gelangen. An dieser Stelle prüft Habermas auch immer wieder reflektierend den Bezug zu den Fragestellungen der Subjektphilosophie und klassischer Themen, um in der Wende nicht unüberlegt bereits philosophisch formulierte Problemlagen zu übergehen oder zu verniedlichen.6 Diese rekonstruktive Arbeit ist eine umfassende Leistung, sie verhindert dabei wohltuend auch ein enges Verständnis von Sprache oder Sprechakten, und sie lässt Raum zur Entwicklung einer differenzierten Auseinandersetzung. Gleichwohl zentriert er das Problem der Kommunikation damit auch an traditionellen Maßstäben philosophischer Auseinandersetzungen, die überwiegend kognitiv vermittelt sind. Es ist zwar nicht so, dass Habermas die affektive Seite solcher Vermittlung überhaupt nicht sieht, aber da sie nicht schwerpunktmäßig oder wenigstens als ausgewiesene und damit irgendwie kategorial erschlossene Beobachtungsmöglichkeit problematisierend gegenüber der kognitiven bei ihm diskutiert wird, vernachlässigt er insbesondere die in der dritten Kränkungsbewegung von mir noch aufzuweisenden Problemstellungen. Entscheidender in dem Kontext der zweiten Kränkungsbewegung ist, wie Habermas mit dem Ansatz von Mead umgeht und diesen in ein eigenes Modell übersetzt. Ich bleibe also in diesem Abschnitt der Analyse zunächst noch außerhalb des Diskussionskontextes bewusst und unbewusst, der später ergänzend zu der hier geübten Auseinandersetzung hinzutreten wird. In Kapitel II.3.6 wird die Stellungnahme von Habermas zu diesem Problemkreis weiter analysiert.
Für Habermas rückt die Intersubjektivität vor allem aus dem Blickwinkel sprachlicher Verständigung in den Vordergrund. Zwar mag alles Verstehen auch immer ein Nicht-Verstehen sein, zwar sieht Habermas, dass der sprachlich erzielte Konsens in seinen Übereinstimmungen nicht die Unterschiedlichkeit und gegensätzlichen Interessen von Sprecherperspektiven ausräumen kann, aber gerade des­halb erscheint das verständigungsorientierte Handeln als Medium von Bildungsprozessen, die sowohl Vergesellschaftung als auch Individuierung ermöglichen (Habermas 1992 a, 56 f.).
In Absetzung von Max Weber hat Habermas darauf verwiesen, dass Weber zwar das menschliche Handeln mit einem Sinn verbunden gesehen habe, dass er die darin steckende Intentionalität jedoch zugleich auf Meinungen und Absichten von – isoliert gedachten – Subjekten bezog. Solchen intentionalistischen Analysen fehlt ein Modell sprachlicher Handlungen, das über ein linguistisches Modell von Bedeutung verfügt. Es sind ja nicht rein die Intentionen von Handlungssubjekten, die ausschließlich Handlung und Sinn vermitteln, sondern es ist eine symbolische Kommunikation, die in dieser Vermittlung jeweils vorgängig und durchgängig wirkt. In dieser sprachlichen Vermittlung begegnet der Sprecher dem Hörer wie einem alter Ego, „nur im Bewusstsein ihrer absoluten Verschiedenheit und Unvertretbarkeit kann sich der eine im anderen wiedererkennen. So bleibt in der kommunikativen Alltagspraxis jenes verletzbare, objektivierend immer wieder verstellte Nicht-Identische, das durch das Netz der metaphysischen Grundbegriffe stets hindurchfiel, auf eine triviale Weise zugänglich.“ (Ebd., 57).
Gleichwohl ist der Unterschied zu Weber so groß auch wieder nicht, wenn es um die Beanspruchung von Rationalität geht, die auch für Habermas ein zentraler Ort des Anspruches bleibt. Die Entzauberung der Welt durch Max Weber enthält ebenso wie bei Habermas eine Rationalisierungsstrategie, wenn dieser z.B. die Religion bloß als evolutive Vorstufe rationaler Handlungsorientierung auffasst.7 Sie kann für ihn deshalb nicht zu einer rationalen Handlungsorientierung dienen, weil hier die kategoriale Trennung in objektive, soziale und subjektive Welt fehle.8 Diese Gemeinsamkeit mit Weber bringt sich allerdings in die Schwierigkeit, so etwas wie ein kategorial nicht hintergehbares Wissen, zumindest eine Form der Rationalität gegenüber den möglichen Inhalten von Welt zu behaupten, also eine Art höchster Rationalität zu strapazieren. Dies versucht die Theorie kommunikativen Handelns.
Was sind die wichtigsten Gesichtspunkte dieses kommunikativen Handelns? Begrifflich erscheinen insbesondere folgende Unterscheidungen:9

(1) Verständigungs- gegen Erfolgsorientierung: Soziale Interaktionen weisen Unterschiede in ihrer Kooperation und Stabilität, in ihren Konflikten auf. Wenn man gesellschaftstheoretisch nach der sozialen Ordnung fragen kann, dann lässt sich diese Fragestellung handlungstheoretisch so ausdrücken, dass man danach fragt, inwieweit zwei Interaktionspartner (Alter und Ego) ihre Handlungspläne so zu koordinieren verstehen, dass sie konfliktfrei (zumindest frei vom Abbruch ihrer Interaktion) aneinander anzuschließen in der Lage sind. „Sofern die Aktoren ausschließlich am Erfolg, d.h. an den Konsequenzen ihres Handelns orientiert sind, versuchen sie, ihre Handlungsziele dadurch zu erreichen, dass sie extern, mit Waffen oder Gütern, Drohungen oder Lockungen auf die Situationsdefinition bzw. auf die Entscheidungen oder Motive ihres Gegenspielers Einfluss nehmen. Die Koordinierung der Handlungen von Subjekten, die in dieser Weise strategisch miteinander umgehen, hängt davon ab, wie die egozentrischen Nutzenkalküle ineinandergreifen.“ (Ebd., 144) Solches strategische Handeln erweist sich in Bezug auf Interaktionen als problematisch, da es die Verständigung bereits auf bestimmte Kalküle einengt. Wäre Handeln nur strategisch bestimmt, dann würden – wie Foucault es vermutet – Machtpraktiken alle Handlungen durchqueren. Aber für Habermas unterscheidet sich kommunikatives Handeln von solcher Einengung dadurch, dass „sich die Aktoren darauf einlassen, ihre Handlungspläne intern aufeinander abzustimmen und ihre jeweiligen Ziele nur unter der Bedingung eines sei es bestehenden oder auszuhandelnden Einverständnisses über Situation und erwartete Konsequenzen zu verfolgen“ (ebd.). In beiden Fällen suchen die interagierenden Subjekte Ziele und ein Interesse durchzuführen und ihre Handlungen auszuführen. Aber nur im Falle des kommunikativen Handelns werden sie gezwungen, sich Regeln der Verständigung auszuarbeiten, mit denen sie gegenseitig – möglichst gleich sich anerkennend – Handlungen im Einverständnis aneinander anschließen können.
(2) Verständigung erscheint als Problem der Handlungskoordinierung, wobei Habermas eine Zurückführung solchen Handelns auf teleologisches, auf strategisch-zielorientiertes Handeln verhindern will. Einverständnis hängt hier „von der rational motivierten Zustimmung zum Inhalt einer Äußerung“ (ebd., 145) ab. Halten wir die universalpragmatischen Geltungsansprüche ein,10 dann kann scheinbar Einverständnis weder dem Anderen imponiert werden, noch lässt es sich manipulativ erreichen. Diese starke These knüpft sich an die Beobachtungsmaxime, dass Einverständnis dort nicht vorliegt, wo es ersichtlich durch äußere Einwirkung erzwungen wird.

(3) Handlungssituation und Sprechsituation: das kommunikative Handeln ist eine Situation – als ausgegrenzter Ausschnitt einer Lebenswelt –, in der relevante, thematisierungsfähige Gegenstände individuell akzentuiert einen aktuellen Verständigungsbedarf erzeugen, der in Sprechsituationen interpretativ aufgearbeitet werden muss. Dabei werden in der Sprechsituation von den Handelnden die Kommunikationsrollen von Sprechern, Adressaten und Anwesenden eingenommen, die Teilnehmerperspektiven einer ersten und zweiten Person ermöglichen und eine Beobachterperspektive einer dritten Person – als Beobachtung der intersubjektiven Ich-Du-Interaktion – herstellen.

(4) Der Hintergrund der Lebenswelt markiert die Zirkularität von kommunikativen Handlungen, die einerseits der Initiative der Individuen entspringen, obschon sie andererseits bereits Produkt von Verständigungsgruppen, denen dieses Individuum angehört, sind. Kontext und Ressource der Kommunikation werden von der Lebenswelt bereitgestellt.

(5) Die Subjekte verständigen sich über etwas in der Welt, wobei sie Konzepte bereithalten, die als Bezugssysteme definieren helfen, was in dieser Welt der Fall ist oder nicht. Sie definieren eine objektive Welt, die aber nur eine der möglichen Formen von Welt in der Herstellung von Tatsachen und Funktionen dieser Welt ist. Davon unterscheidet sich eine soziale Welt, in der die Sprecher auf die legitimen Regelungen der Interaktionen selbst Bezug nehmen, wohingegen in der subjektiven Welt die Selbstrepräsentationen der Subjekte, d.h. ihr privilegierter Zugang zu eigenen Erlebnissen, beobachtungsfähig wird. „Die Kommunikationsteilnehmer legen ihren Verständigungsbemühungen ein Bezugssystem von genau drei Welten zugrunde. So kann sich Einverständnis in der kommunikativen Alltagspraxis gleichzeitig auf ein intersubjektiv geteiltes propositionales Wissen, auf normative Übereinstimmung und auf reziprokes Vertrauen stützen.“ (Ebd., 147) Eine Beobachtung solchen Einverständnisses situiert so das Weltverständnis über drei Beobachtungswelten in der Lebenswelt.

(6) Geltungsansprüche, die akzeptiert oder zurückgewiesen werden, sind für die Definition der Weltbezüge entscheidend. Hierin werden universalpragmatische Ansprüche relevant, die Habermas früher als diskursrelevante Geltungsansprüche erhoben hatte und die er mit der Transzendentalpragmatik von Apel teilt:11
In der Verständigung gibt es einen Anspruch auf intersubjektiv gültigen Sinn, der durch die Sprache ermöglicht wird und auf ihr basiert; solcher Sinn muss bei allen Geltungsansprüchen in Diskursen vorausgesetzt werden, d.h. in verständnisorientierter Einstellung erhebt jeder Sprecher mit jeder verständlichen Äußerung Anspruch darauf (vgl. ebd.),

  • dass es einen Wahrheitsanspruch als einen Anspruch auf universalen Konsens gibt (Wahrheitsanspruch);
  • dass es einen Aufrichtigkeits- oder Wahrhaftigkeitsanspruch gibt, der in Sprechakten, die Geltungsansprüche enthalten, vertreten sein muss (Wahrhaftigkeitsanspruch: die manifestierten Sprecherintentionen sind so gemeint, wie sie geäußert werden);
  • dass es einen normativen und insbesondere moralisch relevanten Richtigkeitsanspruch gibt, den implizit die Sprechakte enthalten, wenn in Interaktionen den Kommunikationspartnern die Zustimmung zu einem Wahrheitsanspruch angesinnt wird (Richtigkeitsanspruch: die Sprechhandlung ist in bezug auf einen bestehenden normativen Kontext richtig bzw. der normative Kontext, den sie erfüllt, ist selbst legitim).

Diese Geltungsansprüche selbst scheinen nicht hintergehbar zu sein, wenn herrschaftsfrei – und mithin in der Beobachtungsebene des kommunikativen Handelns nach Habermas – gesprochen werden soll. Weist jemand einen der Geltungsansprüche zurück, dann drückt er damit aus, dass mindestens einer der drei Weltbezüge der objektiven Welt (Darstellung von Sachverhalten), der sozialen Welt (Sicherung von interpersonalen Beziehungen) oder subjektiven Welt (Manifestation von Erlebnissen) nicht erfüllt worden ist, weil sie „entweder mit der Welt existierender Sachverhalte, mit unserer Welt legitim geordneter interpersonaler Beziehungen oder der jeweiligen Welt subjektiver Erlebnisse nicht in Einklang steht.“ (Ebd., 147 f.)

(7) Die Weltperspektiven eines Sprechers erscheinen nach den bisher dargelegten Strukturen des verständigungsorientierten Handelns in den Optionen, über die er verfügt und mit denen er seine Analysen durchführt. „Er hat grundsätzlich die Wahl zwischen einem kognitiven, interaktiven und expressiven Modus der Sprach­verwendung und entsprechenden Klassen von konstativen, regulativen und repräsentativen Sprechhandlungen, um sich unter dem Aspekt eines universalen Geltungsanspruches, sei es auf Wahrheitsfragen, auf Gerechtigkeitsfragen oder auf Fragen des Geschmacks bzw. des persönlichen Ausdrucks zu konzentrieren.“ (Ebd., 148) Seine drei fundamentalen Einstellungen erlauben entsprechende Weltperspektiven. Zugleich aber erzwingt ein dezentriertes Weltverständnis, dass er die Einstellungen mischen kann, d.h. z.B. gegenüber der äußeren Natur nicht nur eine objektivierende Rolle einzunehmen in der Lage ist, sondern auch eine auf Normen der Interaktionen oder persönliche Erlebnisse bezogene, im Blick auf die Gesellschaft nicht nur eine normenkonforme, sondern auch eine objektivierende oder expressive, gegenüber der inneren Natur nicht nur eine expressive, sondern eine objektivierende oder normenkonforme.

Was bedeuten diese Festlegungen des kommunikativen Handelns für eine konstruktivistisch orientierte Beobachter-, Teilnehmer und Akteurstheorie?

Zu (1) Verständigungs- gegen Erfolgsorientierung: Habermas unterscheidet, dass die Aktoren in der Zwecktätigkeit Ziele verfolgen, Erfolge haben und Handlungsergebnisse hervorbringen wollen, die in der Handlungstheorie des Verständigungshandelns einen anderen Sinn einnehmen. Die Zwecktätigkeit selegiert unter Wertungsgesichtspunkten und entwickelt sich als ein kausaler und zielgerichteter Eingriff in die – objektive – Welt. Nach einem Handlungsplan wird das Handlungsziel „(a) unabhängig von den intervenierenden Mitteln (b) als ein kausal zu bewirkender Zustand (c) in der objektiven Welt bestimmt“ (Habermas 1992 a, 66). Bei Sprechhandlungen ist dies nach Habermas nicht in gleicher Weise möglich. „Wenn wir Sprechhandlungen als Mittel zum Zwecke der Verständigung auffassen und das allgemeine Ziel der Verständigung in die Unterzwecke aufspalten, dass der Hörer die Bedeutung des Gesagten verstehen und die Äußerung als gültig anerkennen möge, dann erfüllt die Beschreibung, unter der ein Sprecher diese Ziele verfolgen kann, keine der drei genannten Bedingungen.“ (Ebd.) Dies begründet sich wie folgt:
Zu (a): Das Sprachhandeln selbst verhält sich rekursiv zu Ziel und Mittel, denn die Verständigungsziele können nicht unabhängig von den linguistischen Mitteln der Verständigung selbst erreicht werden.
Habermas verweist hier darauf, dass grammatische Äußerungen nicht in gleicher Weise Instrumente der Verständigung sind, wie z.B. die Operationen eines Kochs für diesen Mittel für die Herstellung von Speisen darstellen. Bei dem Koch erscheint, so meint er, die Zwecktätigkeit des Herstellens genießbarer Speisen damit in einer Beliebigkeit der Mittel, die für die Verständigungshandlung so nicht gesetzt werden kann.
Aber dieses Beispiel ist bereits trügerisch. Es unterstellt dem Koch ein Zweckhandeln, das den Rekurs von genießbarer Speise und einsetzbaren Mitteln aus der Beobachtungsperspektive herausnimmt. Habermas argumentiert hier recht will­kürlich. Nur aus der Verkürzung der Beobachtung der Tätigkeiten des Koches auf eine lineare Handlung mit bestimmten Gegenständen erwächst die Annahme, dass das Ziel des Genusses mit beliebigen Mitteln erreichbar erscheint. Jeder Koch weiß in seiner Bedeutungswelt, dass dies nicht gelingen kann. Auch seinen Mitteln wohnt, wenn man so will, eine innere Sprache inne, die den Rekurs auf den Genuss jeweils schon impliziert. So, wie es eine Sprachkultur gibt, so gibt es auch eine Esskultur. Und wenn der Koch auch nicht direkt im Vorgang des Kochens in einer Beziehung zu anderen Menschen steht, so befindet er sich zumindest imaginativ im Motiv seines Tuns in einer Essgemeinschaft, deren Genuss­gemeinschaft seine Zwecktätigkeit zirkulär auf eine implizite Verständigung immer schon rückbezogen hat. Ist damit die Trennung von Zwecken und Verständigung im Sprechhandeln sinnvoll begründet? Entsteht so nicht ein reduktives Verständnis von Zwecken und Sprechhandeln?
Aus einer kulturbezogenen konstruktivistischen Sicht scheint es mir günstiger, hier bei den konkreten Handlungen anzusetzen, wie es John Dewey (vgl. auch Kap.II.1.2) in seinem Pragmatismus entwickelt hat. Dann kann man durchaus nach Zweck und Verständigung oder anderen Kategorien Momente von Handlung und Experience unterscheiden, um die Beobachtungen über diese Handlungen durch Unterscheidungen zu schärfen, aber man wird sich zugleich für die Teilnahme an Handlungen davor hüten müssen, ihnen eine höhere Wertigkeit oder universale Norm zuzuschreiben, die allein im Prozesse des Handelns erst zu erweisen wären. Verständigung ist auch bei Dewey ein durchgehendes Ziel für jegliche Teilnahme in einer Gesellschaft, aber sie ist in jedem Moment auch durchaus von Zwecken, Bedürfnissen, vielfältigen anderen Aspekten durchquert – und es lässt sich nicht ausmachen, wie die Akteure in ihren Handlungen je zu einer gereinigten Verständigung kommen könnten, die nicht bereits durch diese anderen Aspekte betroffen wären.12 Aus dieser Sicht erscheint die Trennung von Verständigungs- und Erfolgsorientierung damit als künstlich und für die Handlungen in der gegenwärtigen Kultur wohl auch unrealistisch. Der interaktionistische Konstruktivismus sieht sich hier deutlicher in der Tradition des Pragmatismus als in der wenngleich schönen Hoffnung einer Theorie kommunikativen Handelns nach Habermas.
Zu (b): Verständigung kann vom Sprecher nicht als etwas bloß kausal zu Intendierendes gedacht werden, weil der Erfolg des Verständigungshandelns von der rational motivierten Zustimmung des Hörers abhängt. Solche Zustimmung setzt ein freies Zustimmen voraus, so dass hier ein Sprecher nicht wie in der Zwecktätigkeit aufgrund seiner eigenen Handlungsziele und seiner Handlungsdurchführungen von einem kausal bewirkten Erfolg bei seinem Gegenüber ausgehen kann.
Diese Unterscheidung von Habermas deckt sich teilweise mit konstruktivistischen Einsichten in die Zirkularität von Beziehungsprozessen und in die Einsichten, wann eine kommunikative Situation als gelingend betrachtet werden kann.13 Allerdings ist diese nicht gleichzusetzen mit der idealtypischen Annahme einer jeweils symmetrischen Beziehung, in der Sprecher und Hörer in gleichen Anteilen die Freiheit und die Möglichkeit haben, einander zu verstehen und die jeweilige Geltung anzuerkennen. In komplementären Beziehungen wird solches Verständnis und solche Geltung durch die Komplementarität, die immer ein Machtgefälle impliziert, selbst vorgeregelt. In der Kommunikationstheorie nach Gregory Bateson (dargestellt insbesondere durch Watzlawick u.a.) werden gelingende kommunikative Situationen als kongruent beschrieben, wenn die symmetrischen und komplementären Anteile in der Kommunikation konstruktiv zusammenwirken, weil von vornherein bedacht ist, dass es immer zu Mischungen dieser Typen kommen wird. Reine Symmetrie erscheint eher als eine Abweichung, die nur Probleme macht, weil dann die Kommunikationspartner oft darum ringen, wer die bessere Seite ist (symmetrische Eskalation). Diese aus der Praxis der Kommunikation gewonnenen Einsichten decken sich mit Foucaults Analyse, dass in allen Verständigungen und Kommunikationen stets schon Machtaspekte eingeschlossen sind, die wir nicht vermeiden können. Oder alltagssprachlich gewendet: Allein dadurch, dass wir uns als Menschen unterscheiden (alt und jung, erfahren und unerfahren, besitzend und besitzlos und wie auch immer wir Dualismen aufstellen wollen und können), erzeugen wir Unterschiede, die Unterschiede machen. Damit entsteht die Frage, inwieweit wir überhaupt davon ausgehen können, dass Verständigungsgemeinschaften symmetrisch kommunizieren könnten.
Habermas ist gegenüber solcher Lebenswelt nicht naiv. Deshalb geht er in seinem Modell von kontrafaktischen Bedingungen aus. Praktisch orientierte Analysen zeigen in der Gegenwart meist Verständigungsgemeinschaften, die durch und durch vom Zweckdenken geprägt sind. Damit verschiebt sich die Denkannahme herrschaftsfreier Kommunikation in eine Idealsetzung, die erst (aber wann und wie?) eine denkbare Kommunikation anleiten müsste.14
Zugleich bleibt aber auch die Frage, inwieweit zweckgerichtete Tätigkeiten eindeutig nach kausalen Mustern aufgefasst werden können. Es gehört gewiss zur Technikgläubigkeit unseres Zeitalters, dass wir den kausalen Zuschreibungen eine eindeutige, lineare Handlungsfolge zugestehen und sie im Zirkel des Beobachtens damit aus der Rückbezüglichkeit von Umweltprozessen herausnehmen. An Krisen­erscheinungen der Moderne werden die Mängel einer solchen linearen Sichtweise dann aber bei näherer Analyse deutlich. Dann zeigt sich sehr oft, dass die Suche nach Eindeutigkeit und Zweckrationalität selbst eine kausale Sichtweise darstellt, die reduktiv und isolierend Ausschlussbedingungen definieren muss, um die Zirkularität und damit Vernetzung von Umwelt und Systemen im Blick auf die Durchsetzung ihrer Geltung zu übergehen. Da alle Zwecktätigkeit immer in Beziehungen oder in Blick auf Beziehungen geschieht, bleibt andererseits die Frage, inwieweit die Zirkularität von Beziehungen, die auch Habermas notwendig sieht, nicht immer schon die eben hervorgehobene Frage relativiert und damit letztlich doch Zirkularität zu einem Punkt der nicht zweckfreien Verständigung von Beobachtern auch über kausale Wirklichkeit macht. So gewendet macht die Unterscheidung von Habermas auf wichtige Perspektiven des Beobachters selbst aufmerksam.
Gleichwohl ist der von Habermas herausgestellte Punkt der Verständigung nicht unwichtig. Auch für Pragmatisten und Konstruktivisten – auch wenn sie die Herleitung des kontrafaktischen Ideals nicht teilen – kann die Art der Kommunikation als eine, die möglichst auf wechselseitiger Anerkennung und Verständigung nach gleichberechtigten Regeln erfolgt, nur als sinnvoll für eine partizipatorische und demokratische Kultur des Verständigens gelten. Aber die Herleitung ist genau umgekehrt: Eben weil die gegenwärtigen Formen der Partizipation und der Demokratie keine vollkommenen sind und wir wenig Anlass haben, überhaupt an die Möglichkeit solcher Idealsetzungen zu glauben, ist es wesentlich für das Überleben wie die Entwicklung von Demokratie, die Praktiken, Routinen und Institutionen an kommunikativen Prinzipien auszurichten und für solche Prinzipien zu kämpfen, die die hegemoniale Macht bestimmter Interessengruppen in der Gesellschaft begrenzen und eine möglichst gerechte Teilhabe aller einverständlich ermöglich. Diese Vision oder Utopie ist wesentlich, um den Kampf in der Kultur um stets mehr Demokratie aufrecht zu erhalten, eben weil alle Verständigungen nicht so rein funktionieren und nie funktioniert haben (oder in der Zukunft funktionieren könnten), wie es ein theoretisches Ideal wie bei Habermas beschreiben kann.
Zu (c): Zwecktätig handelnde Aktoren begegnen sich nach Habermas nur als Objekte oder Gegenspieler in der Welt. Dies gehört zu ihren objektivierenden Leistungen. Sprecher und Hörer hingegen sind Angehörige einer intersubjektiv geteilten Lebenswelt, einer Sprachgemeinschaft, in der sie sich als zwei kommunizierende Personen begegnen. Ihre Verständigung miteinander unterscheidet sie von einer Beobachterposition, die sich verobjektivierend verhält und in der sie zwecktätig intervenieren können.
Hier wird deutlich, dass Habermas unterstellt, dass zwecktätige Interventionen und Sprechakte jeweils anderen Bedingungen der Rationalität genügen. Solche Rationalität wird von ihrer Verwendungsweise selbst abhängig gemacht. In Zwecktätigkeiten erscheint eine nicht kommunikative Verwendung, die kausal und objektzentriert ist. Im kommunikativen Handeln entsteht eine Verständigungsrationalität, die durch die Bedingungen „für die Akzeptabilität von Sprechhandlungen geklärt werden kann.“ (Ebd., 67 f.) Oder: „Während die Zweckrationalität auf die Bedingungen für kausal wirksame Interventionen in die Welt existierender Sachverhalte verweist, bemisst sich die Rationalität von Verständigungsprozessen an dem Zusammenhang von Gültigkeitsbedingungen für Sprechakte, Geltungsansprüchen, die mit Sprechakten erhoben werden, und Gründen für die diskursive Einlösung dieser Ansprüche. Die Bedingungen für die Rationalität gelingender Sprechhandlungen haben einen anderen Zuschnitt als die Bedingungen für die Rationalität erfolgreicher Zwecktätigkeit.“ (Ebd., 68)
Diese elementaren Handlungstypen, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen, führen Habermas zu der genannten Unterscheidung von strategischem und kommunikativem Handeln. Die Interaktionstypen unterscheiden sich im Mechanismus der Handlungskoordinierung, der die Handlungen eines Aktors immer auch auf einen anderen Aktor beziehen muss, dadurch, inwieweit die natürliche Sprache entweder nur als Medium zur Übertragung von Informationen oder als Quelle der sozialen Integration fungiert. Im ersten Fall spricht Habermas von strategischem, im zweiten vom kommunikativen Handeln. Im strategischen Handeln gilt die Handlungskoordination abhängig von der laufenden Einflussnahme der Aktoren auf die Handlungssituation und aufeinander. Im Bereich des kommunikativen Handelns bedingt die sprachliche Verständigung einen Konsens, d.h. hier werden die Bindungsenergien der Sprache selbst für die Koordination der Handlungen wirksam (vgl. ebd., 69).
Damit hat er eine Unterscheidung getroffen, die für Beobachtungen als Konstrukt eines Beobachters wirksam werden. Aber diese Wirksamkeit erscheint umgekehrt als Problem. Handelt es sich nicht um einen ganz und gar künstlichen Gegensatz? Eine Beantwortung dieser Frage wird in den nächsten Punkten aufzunehmen sein.15 Hier bleibt nur zu bedenken, dass es in Kommunikationssituationen durchaus zu dieser Unterscheidung kommen kann, indem wir den Handlungsakzent einmal mehr in die eine oder die andere Richtung sich entwickeln sehen oder forcieren. Aber diese Unterscheidung erscheint, wenn wir eine Metaperspektive einnehmen, nie als rein oder unverdorben, weil sich in die scheinbar klarsten Verständigungsleistungen ohne scheinbare Zweckhaftigkeit doch immer wieder subtile, unerkannte, verdeckte Zweck- und Machtleistungen einschleichen, die ein äußerer Beobachter leichter als wir als betroffene Akteure sehen wird. Und aus dieser zu Habermas unterschiedlichen Einschätzung erwächst die Kritik an der Herleitung seiner Theorie kommunikativen Handelns.

Zu (2) Einverständnis: Habermas unterstellt hier idealtypisch eine symmetrische Kommunikationsbedingung: Verständigung erscheint nur möglich als Einverständnis über etwas, ohne dass kausal vom Sprecher beim Hörer etwas bewirkt werden soll. Einverständnis kann nicht von außen imponiert werden, es kann nicht der einen Seite von der anderen Seite auferlegt werden, weil es dann nicht als Einverständnis zählt. Gratifikation, Drohung, Suggestion oder Irreführung sind Bedingungen, die kein Einverständnis ermöglichen, sondern Verletzungen einer idealen Sprechhandlung. So gesehen weiß Habermas um komplementäre Bedingungen in Sprechhandlungen. Warum aber bevorzugt er so ausschließlich die symmetrische Bedingung?
Letztlich steht bei ihm hier eine ideale Verständigungsgemeinschaft im Hintergrund, die er sich als Rest aufgeklärter Wahrheit erhalten will. Die Interaktionsteilnehmer sollen sich über die beanspruchte Gültigkeit ihrer Sprechhandlung einigen oder Dissense entsprechend berücksichtigen (vgl. ebd., 70). Sprechhandlungen sollen kritisierbar sein, sollen eine bindende Kraft dadurch gewinnen, dass die Sprecher glaubhaft sind und begründet argumentieren. Sprechhandlungen sollen damit nicht die Personen verdinglichen, verobjektivieren, manipulieren, sondern sich an den Möglichkeiten des Einverständnisses orientieren. In diesem Einverständnis entfalten sie ihre handlungskoordinierenden Kräfte. So erscheint im Sprechhandeln die Zirkularität, die Sozialität menschlicher Beziehungen, wohingegen strategisches Handeln die Sprache auf ein Informationsmedium schrumpft (ebd., 72).
Aus dieser Perspektive heraus ist es verständlich, wenn Habermas insbesondere Foucaults Machttheorie bekämpfen muss (vgl. Habermas 1991 a, 279 ff.), weil in dieser vielfältig und subtil festgehalten ist, dass jeder scheinbar vernunftgeleitete Diskurs immer auch jene Ausschließungsgründe in sich enthält, die Macht als soziale Durchquerung von Körpern enthalten.16 Boshaft könnte man formulieren, dass die Behauptung des kommunikativen Handelns eine strategische Perspektive sei, um ein letztes Ziel von Verständigung zu indoktrinieren. Gleichwohl hilft diese Boshaftigkeit wenig, denn das Ideal kommunikativen Handelns wird als Ideal möglichst auch von jenen stillschweigend vorausgesetzt, die sich überhaupt objektivierend miteinander verständigen wollen. Doch nach Foucault bleibt hier der Verdacht, dass sich in solcherlei Verständigung längst Machtpraktiken eingeschlichen haben. Das Wollen reicht nicht aus. Gerade die wissenschaftlichen Institutionen erweisen sich, wenn sie einer Analyse unterworfen werden (vgl. z.B. Bourdieu 1992), als Verständigungsgemeinschaften, die von Machtpraktiken grundsätzlich durchzogen sind.
Was kann Habermas dem von Beobachtern vielfach konstatierten Machtproblem entgegensetzen? Wenig hilfreich ist für die Beobachtung von misslungenem Einverständnis das empirische Gütekriterium, das Habermas aufstellt: Wo Einverständnis ersichtlich durch äußere Einwirkung erzwungen wird, dort kann es nicht vorliegen.
Hier unterschätzt Habermas, so denke ich, die interaktive Brisanz von Erzwingungen, die sich nicht immer ersichtlich in den Augen-Blicken von Verständigung ersehen lässt, sondern meist erst im nachhinein durchschaut werden kann. Es gibt auch keine erläuternde Beobachtertheorie über diese unterstellte Ersichtlichkeit, die deshalb bloß eine Abstraktion bzw. ein allgemeines Postulat bleibt, das sich nur reduktiv kognitivistisch überhaupt wird nachvollziehen lassen. Es handelt sich um eine idealisierende Denkgröße, die uns im Alltag oder in der Wissenschaft stets nur idealtypisch (wohl fast immer als „falscher Schein“) begegnet. Es ist eine Denkgröße, die eher kritisch herrschende strategische Praktiken aufdecken hilft und gegenwärtige Bedingungen von Einverständnissen überhaupt fragwürdig werden lässt, wenn man sie denn systematisch in konkrete Beobachtungen umsetzen würde. Sehen wir auf die Kränkungsbewegungen in Interaktionen zurück, wie ich sie in diesem Kapitel schon diskutiert habe, dann wird auch deutlich, das Einverständnisse einen komplizierteren Hintergrund haben, als sie hier bei Habermas aufweisen. In der dritten Kränkungsbewegung wird sich dies noch verschärfen.

Zu (3) Handlungssituation und Sprechsituation: Handeln ist für Habermas eine Tätigkeit, die sich sensomotorisch im alltäglichen oder handwerklichen Tun äußert; Sprechen hingegen ist an Sprechakte gebunden, so z.B. an Feststellungen, Geständnisse, Befehle. Im weiteren Sinne sind Sprechakte allerdings auch Handlungen. Zur Verdeutlichung unterscheidet Habermas die Handlungen im engeren Sinne als Zwecktätigkeiten, „mit denen ein Aktor in die Welt eingreift, um durch die Wahl und den Einsatz geeigneter Mittel gesetzte Ziele zu realisieren.“ (Habermas 1992 a, 63). Sprechakte hingegen dienen einem Sprecher dazu, sich mit anderen über etwas in der Welt zu verständigen. Habermas unterscheidet, dass es mehrere Beobachterpositionen für solche Beschreibungen gibt. Zunächst den Beobachter, der aus der Ich-Perspektive des Handelnden selbst seine Beobach­tungen interpretiert. Es gibt auch einen zweiten Beobachterstandpunkt, der dadurch entsteht, dass ein Sprecher oder zwecktätig Handelnder in eine Zirkularität mit einem anderen Beobachter eintritt. Dieser wird in Sprechhandlungen stets in die Zirkularität eingeschlossen, in Zwecktätigkeiten dann, wenn sie kooperativ ausfallen. Hinzu tritt die Perspektive eines Beobachters, der in der dritten Person, d.h. als äußerer Beobachter existiert. Der Soziologe etwa, der empirische Sozialforschung betreibt, ist ein bloß anwesender Beobachter, ein virtueller Teilnehmer, 17 der aber nicht abgekoppelt vom lebensweltlichen Kontext oder außerhalb der mit den Beobachteten stehenden Geltungsansprüchen einer Verständigung über etwas stehen kann. Es gibt hier keine Objektivität außerhalb von Teilnahme an einem Kontext, auch wenn diese Teilnahme möglichst nicht in die Beobachtung selbst direkt eingreifen sollte, wenn sie bloß anwesend sein möchte.
Habermas verbleibt in dieser elementar entwickelten Beobachtertheorie allerdings streng auf der kognitiven Seite. Er erörtert die jeweiligen Verstehensbedingungen der beiden Typen nichtsprachlicher und sprachlicher Handlung, indem er auf Bedingungen solcher Beobachtung selbst hinweist:

  • Die jeweiligen Beobachterpositionen bedingen, um ein Verstehen zu gewährleisten, die Unterstellung eines allgemeinen Kontextes, damit man die Intentionen einer beobachteten Handlung so verarbeiten kann, dass man sie versteht.
  • Zwecktätigkeiten bieten ein solches Verständnis der Intentionalität aber nicht selbstverständlich an. Sie zeigen nicht von selbst an, als welche geplante Handlung sie gelten mögen. Sie lassen vielmehr sehr viel Raum für die Vermutungen oder Unterstellungen eines allgemeinen Kontextes, der auch missverständlich sein kann.
  • Sprechakte hingegen sind nicht in diesem Maße interpretationsbedürftig. „In dem Standardfall wörtlicher Bedeutung gibt ein Sprechakt die Intention des Sprechers zu erkennen; ein Hörer kann dem semantischen Gehalt der Äußerung entnehmen, wie der geäußerte Satz verwendet, d.h. welcher Typus von Handlung mit ihm vollzogen wird. Sprechhandlungen interpretieren sich selbst; sie haben nämlich eine selbstbezügliche Struktur.“ (Ebd., 64 f.)

Beide Situationen – Zwecktätigkeiten und Sprechakte – werden von Habermas hier zunächst konstruierend unterschieden und dann recht idealtypisch beschrieben. Im Blick auf die Sprechakte ist diese Beschreibung nicht unproblematisch. Wenn man sie aus ihrer rein bewussten Sphäre löst, wenn man neben die gesprochene Sprache, neben die Äußerungen der Inhaltsebene und der inhaltlichen Artikulation auch jene affektiven Muster setzt, die wir aus dem Alltag unserer Sprechsituationen nur allzugut intuitiv kennen, erlebnisreich und motivational erleben, in der oft durchlebten Ambivalenz reflektieren,18 dann wird die ganze Brüchigkeit der Unterscheidung von Habermas deutlich. So kann sich die Intention des Sprechers verdoppeln, wenn er mir einerseits signalisiert, dass er inhaltlich voll einverstanden sei, andererseits ich aber aus seiner Körpersprache entnehmen kann, dass dieses Einverständnis ein erzwungenes, ein nicht gewolltes, ein unbewusst abgewehrtes oder wie auch immer – im Fall des Unbewussten noch nicht einmal von ihm selbst bewusst empfundenes – Interpretationsbedürftiges sei. Da Habermas aber diese emotional oder motivational vermittelte Beziehungsseite im Sprechakt auslässt, entgeht ihm die wesentliche Spannung und Brüchigkeit  solchen kom­munikativen Handelns. Da bleibt in einer rein bewussten Beobachtereinstellung für einen ersten, zweiten und möglichen dritten Beobachter, die immer auch in der Lage sein müssen, dieselbe Sprache zu sprechen und „gleichsam in die von einer Sprachgemeinschaft intersubjektiv geteilte Lebenswelt“ (ebd., 65) einzutreten, „um aus der eigentümlichen Reflexivität der natürlichen Sprache Vorteil zu ziehen und die Beschreibung einer mit Worten ausgeführten Handlung auf das Verständnis der impliziten Selbstkommentierung dieser Sprechhandlung zu stützen“ (ebd.), da bleibt für diese nur ein kognitiv reduzierter Raum für affektive Spannungen, Unklarheiten, Widerstreit und Brüchigkeit im kommunikativen Prozess.19
Damit hat Habermas nur die inhaltliche Seite des Sprechaktes analysiert. Seine Sprechakte unterscheiden sich von einfachen nichtsprachlichen Tätigkeiten zwar nicht nur durch den reflexiven Zug der Selbstinterpretation, sondern auch durch die Art der Ziele, die intendiert werden und die Arten des Erfolges, die durch das Sprechen erreicht werden können. Aber dies alles bleibt, getreu dem Motto der pragmatischen linguistischen Wende, im Grunde streng kognitiv und bewusst kontrollierbar. Ich kann nicht bestreiten, dass solche Kontrollierbarkeit möglich ist. Ich will nicht bestreiten, dass sie sinnvoll ist. Aber ich bestreite, dass sie hinreichend das kommunikative Handeln selbst beschreibt.

Zu (4) Lebenswelt: Mit der Perspektive der Lebenswelt öffnet Habermas das vorher verengte kommunikative Handeln, ohne dass die Widersprüche der Lebenswelt selbst allerdings in die universalpragmatische Fixierung des Einverständnisses zurückgedacht werden. Was ist, wenn alle Beobachter der Lebenswelt in ihren Beobachtungen nur für bestimmte Verständigungsgemeinschaften das unterstellte Ideal des Einverständnisses entdecken? Was ist, wenn sie strategisches und kommunikatives Handeln zu wenig in den Machtpraktiken des Lebens unterscheiden können? Die Lebenswelt ist für Habermas zwar Kontext und Ressource, sie ist damit ein Korrektiv für Übererwartungen an die Perspektiven der Wissenschaft,20 aber sie bleibt zugleich ein Abstraktum, solange das kommunikative Handeln nicht aus konkreten Ereignissen von Verständigungsgemeinschaften in einer Lebenswelt abgeleitet werden kann. An dieser Stelle sind die Leistungen von Habermas allerdings sehr hoch einzuschätzen, denn als Kritiker der gesellschaftlichen Verhältnisse macht er uns in zahlreichen Arbeiten auf die Versäumnisse aufmerksam, die dem kommunikativen Handeln entgegen stehen. Seine Kritik ist deshalb so profund, weil sie am Ideal gemessen die Schwächen unserer Lebenswelt immer wieder schonungslos aufdecken kann.

Zu (5) Objektive, subjektive, soziale Welt: Sprechhandlungen beziehen sich nach Habermas auf die objektive, subjektive und soziale Welt, zwecktätige Handlungen intervenieren allein in der objektiven Welt (ebd., 132).21 Strategisches Handeln kann durch die Definition, die es der objektiven Welt zuordnet, scheinbar nicht in die subjektiven Beziehungsstrukturen eindringen, es wird seine Verletzungen markieren, sie unauffällig halten, keinesfalls aber den Verständigungsregeln des kommunikativen Handelns unterworfen sein können.
Mit dieser Ordnung der Welten wird die Problematik der gesamten Konstruktion offensichtlich: Habermas hat ein Konstrukt entworfen, in dem er die Welt selbst in bestimmte Beobachtungsbereiche aufteilt, die dann die Gültigkeitsbedingungen dafür definieren, was als strategisch oder als kommunikativ zu gelten hat. Damit hat er logische Regeln aufgestellt, die in sich selbst schlüssig bleiben, solange man an ihnen seine Beobachtungsvorräte abarbeiten und seine Beobachtungsmodi festlegen will. Seine Verteidigungen gegen Angriffe bleiben so in der Immanenz seiner gewählten Theorie, aber lassen die Frage unberührt, inwieweit diese Beobachtungstheorie selbst hinreichend genug Probleme derzeitiger Verständigungsgemeinschaften abarbeiten hilft.22 Hier sehe ich insbesondere zwei Vernachlässigungen:
Erstens erhält sich Habermas in dem zweckgerichteten Handeln eine Sphäre der Objektivität, die abgelöst von „wirklich kommunikativen“ menschlichen Beziehungen zu existieren scheint und deren Geltung sich alleine am Erfolg bemisst. Er entspricht damit dem Denken des Projekts der Moderne, das sich einen wesentlichen Konsens in seinem materiellen Fortschritt selbst festhält. Dies macht uns auf den Umstand aufmerksam, dass auch die in diesem Kapitel geschilderte Beobachtungswirklichkeit im interaktiven Sinne wissenschaftlich schnell in den Versuch umschlägt, Objektivationen zu bestimmen, die uns in diesem Erfolg aussagen können. Ich werde in späteren Teilen der Argumentation (insbesondere Band 2, Kapitel IV.) aus eigener Sicht noch zu prüfen haben, inwieweit eine solche Sicht selbst einer konstruktivistischen Relativierung unterzogen werden könnte. Problematisch an der Setzung von Habermas ist, dass die Zwecktätigkeit zu sehr aus der Zirkularität menschlicher Beziehungen herausgenommen wird, dass hier so etwas wie ein allein schaffender und autopoietisch operierender, selbstorganisierter Mensch ohne Verbindlichkeiten erscheint, der seine Strategien verfolgt und erst im kommunikativen Handeln wieder auf Gesellschaft rückgebunden wird. Eine solche Unterscheidung ist zwangsläufig künstlich und, wie ich glaube, wenig geeignet, konkrete Fragen der Lebenswelt hinreichend in ihrem systemischen Zusammenwirken zu problematisieren.
Zweitens verbleibt das kommunikative Handeln zu sehr in einem zu eng gefassten rational motivierten Typ, der sich auf die Inhaltlichkeit von Sprechhandlungen festlegt. Deshalb geht Habermas nicht näher auf solche konstruktivistischen Theorien ein, die durch die Unterscheidung von Inhalts- und Beziehungswelt auch an psychologische Erörterungen anknüpfen; er vernachlässigt auch psychoana­lytische Sichtweisen, die erkannt haben, dass das rationale Sprechen nur eine, das affektive Fühlen und die Hintergründigkeit von Sprache – vgl. insbesondere die Erforschungen von Freud über das Verlesen, das Versprechen, das Vergessen usw. und die Unterscheidung der Lacanschen Register (vgl. Kapitel II. 3.5.) – eine andere Seite des kommunikativen Handelns sind. So verkürzt sich bei Habermas das kommunikative Handeln einseitig auf die Setzung eines Ideals, das als Rettung eines letzten Aufklärungspotenzials auf den Begriff des Einverständnisses hinausläuft, um sich zumindest pragmatisch eine gewisse Einheit von Verständigung noch zu erhalten. Wir alle sollten an einer solchen Rettung interessiert sein, aber sie darf und sollte doch nicht die Differenzierungen des kommunikativen Handelns selbst soweit verdecken, dass dieses zu einer Einheit gedacht wird, wo es durch die interaktiven Bewegungen von Verständigung in unterschiedlichen Interessen und Machtpraktiken der Gesellschaften uns bereits als zerrissen erscheinen muss. Nur theoretische Ideale erscheinen noch als einheitlich, das interaktive Begehren selbst ist widersprüchlich, divers und plural, different und ambivalent.

Zu (6) Geltungsansprüche: Die Geltungsansprüche bleiben daher auch nur formale Kriterien, deren Einlösung entweder als zu allgemein oder zu sehr auf sprachliche Prozesse reduziert erscheint. Was zunächst den Sinn betrifft, so muss gesehen werden, dass er nicht nur nach absolut und relativ gekränkt ist, wie in der ersten Kränkungsbewegung bereits ausgeführt wurde, sondern durch die Interaktivität von Selbst und Anderen nochmals gekränkt erscheint. Ist mein Sinn der Sinn, den ich selbst formuliere? Oder ist dieser Sinn schon der Diskurs des Anderen? Ist Verständlichkeit in mir situiert, wenn ich sie über einen Anderen erreiche? Wann erreiche ich jenes Maß des Verständlichen in mir, um darin Sinn zu erkennen? Konsens und Dissens sind nur dann unterscheidbar, wenn ich mit solcherlei Sinn operiere. Aber wer ist der Beobachter, der diesen Sinn zuschreibt, wenn ich ihn mir nicht an mir selbst beobachtend ableiten kann? Sinn ist immer ein Beobachtungskonstrukt. Daher ist es entscheidend, zunächst den Sinn derjenigen Beobachter festzuhalten, die Sinn zuschreiben. Aus dieser Sicht wird klar, dass die universalpragmatische Zuschreibung nur ihren Sinn hat, eine Universalpragmatik zu errichten. Wahrheit verwandelt sich in universalen Konsens, der faktisch aber nur die Wahrheit einer beobachtenden Verständigungsgemeinschaft ist. Diese ist sich bis heute praktisch aber nicht einig, wie man es nach der Universalpragmatik erwarten müsste. Konsens nämlich ist immer nur partiell möglich. Hier gibt es auch für den Konstruktivismus keinen universalen Ausweg – es sei denn, man wollte alle Konstruktionen in erlaubte und unerlaubte zerlegen, was die Universalpragmatik in das Paradox einer Einwirkung von außen zwingt, die sie zugleich nicht zulassen kann und will. Auf diesen Umstand will ich weiter unten mit einem Vergleich von Habermas und Rorty noch näher zu sprechen kommen. Die anderen Geltungsansprüche nach Richtigkeit und Wahrhaftigkeit sind wünschenswert, sagen aber als Ideale noch nichts über tatsächliche Kommunikationen aus. Wie wir aus der ersten Kränkungsbewegung wissen, können sich Beobachter erst im nachhinein oder im Neben-Gegen-Einander Richtigkeit und Wahrhaftigkeit von Kommunikation ablesen, also re/konstruieren. Aus dieser neuen Perspektive erscheint dann etwas erzwungen, was vorher als Einverständnis galt. Insoweit können die Geltungsansprüche positiv gesprochen vor allem als Regeln gesehen werden, deren Verletzungen im historischen Prozess zu interessanten Beobachtungen führen.23

Zu (7) Weltperspektiven: Hier nun stellt Habermas eine implizite Beobachtertheorie auf, denn indem er Bereiche des Beobachtens angibt, führt er mit Unterscheidungen drei Perspektiven ein. Allerdings ist zu bedenken, dass diese Aufteilung selbst nur eine der vielen möglichen Konstruktionen ist, mit der sich Beobachtungen anleiten lassen. Inwieweit sie geeignet ist, das können nur konkrete Studien von Beobachtern belegen. Allerdings fällt auf, dass Habermas die Zirkularität dieser Beobachtungsräume nicht sehr deutlich macht. Seine Beispiele suggerieren zumindest eingeschränkte Maximen der Beobachtung, wenn die äußere Natur in die Rolle der objektiven Welt gesetzt wird, die Gesellschaft in die soziale und die subjektive in die innere Natur. In den Perspektiven der Wissenschaft erscheint die objektive Welt in allen drei Gestaltungsmöglichkeiten: So mag das Subjekt selbst als einzig objektive Welt gelten, so mag die soziale Welt die schlechthin objektive Welt sein usw. Objektive, soziale und subjektive Welt scheinen bei Habermas eher noch starre Größen zu sein, denen Perspektiven schon von vornherein eingeschrieben sind, ohne dass deren Relevanz konkret genug wird.

Dieser kurze Überblick über wesentliche Bestimmungen des kommunikativen Handelns und ihre konstruktivistische Einschätzung soll an dieser Stelle genügen.24 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Teilnehmer an Sprechhandlungen in ihren kommunikativen Handlungen je subjektiv in der Beziehungswelt zueinander Bezug nehmen, und dieser Bezug unterscheidet sich deutlich vom Bezug zur objektiven Welt. In Sprechhandlungen äußern sich die subjektiven Erlebnissätze als wahrhaftig oder unwahrhaftig, aber sie können nicht mehr wahr oder falsch sein. Sie können auch als richtig oder unrichtig erscheinen, „je nachdem ob sie anerkannte normative Erwartungen erfüllen oder verletzen bzw. je nachdem ob sie einen verbindlichen Charakter haben oder eine Verbindlichkeit nur zum Scheine herstellen.“ (Ebd., 126) Aber sie beinhalten zugleich, dass die Kom­muni­kationsteilnehmer jeweils in anderer Weise Bezug aufeinander nehmen, so dass die Referenz hier als Selbstreferenz ihres Beziehens aufeinander erscheint. Konstative, expressive oder regulative Sprechhandlungen unterscheiden sich, um die Geltungsansprüche in solchen Sprechhandlungen zu bestimmen. Solche Geltung aber wurzelt letztlich im Einverständnis, das für die Beteiligten hergestellt wird. Im kommunikativen Handeln ist das Einverständnis idealtypisch die Verständigung, im strategischen eine Einflussnahme, die die Handlungen koordiniert. Was macht nun die idealtypische kommunikative Handlung aus?

  • Sie unterstellt, dass die beteiligten Aktoren sich kooperativ verhalten und in ihrer geteilten Lebenswelt ihre Beobachtungspositionen aufeinander abstimmen.
  • Vorbehaltlos und aufrichtig müssen sie in der gemeinsamen Situationsdefinition miteinander auskommen. Dazu ist ein wechselseitig kritisierbarer Geltungsanspruch notwendig, Glaubhaftigkeit und ein Bindungseffekt von Sprechangeboten. Auch die Gültigkeit des Gesagten ist erforderlich, solche Bindung muss Relevanz für die Interaktionen der beteiligten Partner selbst haben.
  • Damit ist eine rational motivierte Kraft von Verständigungsleistungen unterstellt, die in einer kritisierbaren Anerkennung wechselseitiger Geltungsansprüche intersubjektiv wurzelt.
  • Auch kommunikatives Handeln schließt Zwecke ein, ist in gewisser Weise Zwecktätigkeit. Jedoch wird hier die ausführende Operation durch den Verständigungsmechanismus selbst unterbrochen. So wird die Egozentrik des Aktors beschränkt und „unter die strukturellen Beschränkungen einer intersubjektiv geteilten Sprache“ (ebd., 131) gestellt. Ein Perspektivwechsel in den Beobachterpositionen ist erforderlich: Der Aktor, der unbedingt etwas in der Welt erreichen will und sich in dieser verdinglicht, muss sich in einer Verständigungssituation mit einer zweiten Person einigen, wobei er keine direkte Abbildung seiner Intentionen im Gegenüber unterstellen kann.

All diese Maximen sind aber idealtypisch, sie sind metatheoretische Beobachterperspektiven, die als Konstrukt von Beobachtung jenen Situationsdefinitionen vorausgehen, die sie definieren sollen.
Nun habe ich Habermas immer wieder Beobachterpositionen unterschoben, um so auf Blickwinkel seiner Theoriekonstruktion aufmerksam zu machen. Aber Habermas benötigt selbst keine ausgewiesene und gesondert entwickelte Beobachtertheorie. An der inhaltlichen Verständigung nehme ich teil, so dass bei ihm die Teilnahme die Beobachtungen stets leitet. Von Habermas kann der Konstruktivismus an dieser Stelle ähnlich wie von Dewey lernen, dass uns unsere Teilnahmen immer schon auch in unseren Beobachtungen festlegen. Eine Beobachtertheorie ohne eine Teilnahmetheorie wird schnell naiv und oberflächlich gegenüber den Kontexten, in die sie eingebettet ist.
Wenn Habermas jedoch davon spricht, dass weder die rekonstruktive Analyse des Sprachgebrauchs noch transzendentalphilosophische Untersuchungen von Erkenntnisleistungen aus einer Beobachterperspektive vorgenommen werden können (Habermas 1992 a, 234), dann unterschätzt er jedoch den eigenen Standort des Beobachtens. Der von ihm unterstellte Beobachterstandpunkt hat nämlich von vornherein eine Perspektive eingenommen, die im kommunikativen Handeln jenes letzte Residuum erblickt, in dem sich die Autonomie in Willkürfreiheit, die Individuierung des vergesellschafteten Subjekts in eine Vereinzelung eines freigesetzten Subjekts, das sich selbst besitzt, verwandeln kann (vgl. ebd., 233). Die Anerkennung einer unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft, die in solcher Erwartung wurzelt, ist aber bereits eine Beobachterperspektive, da sie als Konstrukt in die linguistische Wende von Habermas hineingedacht wurde und seinen eigenen Bestimmungsversuch definiert. Allerdings wechselt die Beobachterperspektive, je nachdem welche Position eingenommen wird. So mag es die Ich-Position einer ersten, sich auf sich selbst beziehenden Person sein, wie es die Transzendentalphilosophie gebietet, so mag es aber auch nach Mead die Perspektive einer zweiten Person sein, die sich auf sich bezieht, um die Zirkularität des beziehenden Prozesses besser einzufangen. Die Angabe des Wechsels solcher Perspektiven der Beobachtung wird mithin zum Schlüssel einer Aussage über die Konstruktion und Rekonstruktion von Wirklichkeiten, die als Intention das eigene Beobachten in allen möglichen Teilnahmen durchzieht. Insoweit ist die Unterscheidung von kommunikativem und strategischen Handeln eine durch und durch künstliche Setzung, die Habermas deshalb einsetzen musste, um in seiner Konstruktion zu bleiben und diese zu retten. Der Vorteil seiner Konstruktion ist dabei, dass man als Beobachter von sprachlichen Diskursen, die zweckgerichtet sind, die reine Machtverhältnisse auszudrücken scheinen, immer auch jenen Aspekt des Kommunikativen wird entschlüsseln und enträtseln können, der die Angewiesenheit der sich kommunikativ aufeinander Beziehenden in einer Anerkennungsgemeinschaft idealtypisch erblicken lässt. Habermas argumentiert fast ausschließlich in diese Richtung. Aber auch der umgekehrte Beobachtungsstandpunkt kann genauso gut Geltung beanspruchen, indem er in den vermeintlich kommunikativen Handlungen das jeweils strategische Moment zugleich und inhärent erblickt. Aus einer solchen Sicht, wie wir sie bei Foucault finden, relativiert sich die kommunikative Perspektive durch die Machtverhältnisse, in die sie eingebettet ist.
Als Kritik bleibt an Habermas vor allem, dass er weder die Beobachterperspektive, die er eingenommen hat, kritisch distanziert, noch dass er die Möglichkeiten des Blickwechsels soweit gestattet, dass der eigene Ansatz hintergehbar erscheint. Gleichwohl ist diese Kritik spitzfindig, denn die jeweilige Konstruktion eines jeweiligen Autors ist uns ja Maßstab dafür, eine bestimmte Beobachterperspektive aus ihr abzuleiten und ihr gegenüber einzunehmen. Der Autor legt uns auf eine Teilnahme fest; und hier verfährt der Konstruktivist nicht anders.
Auch für Konstruktivisten bieten die Arbeiten von Habermas ein lesenswertes Abarbeitungspotenzial, an dem besonders für die rationale Seite inhaltlicher Kommunikation Bedingungen studiert werden können, die im kommunikativen Handeln differenziert auftreten. Allerdings bleibt die Beschränkung auf die inhaltliche Seite zugleich eine Verengung des Beobachterstandpunktes, der beachtet werden muss.
Zum Schluss dieser Betrachtungen will ich nochmals verdeutlichen, in welche Schwierigkeiten eine Sprachpragmatik gerät, wenn sie sich überwiegend auf der Inhaltsseite verallgemeinert. Solche Verallgemeinerung gipfelt in starken Thesen: „Aber alle Sprachen bieten die Möglichkeit, zwischen dem, was wahr ist, und dem, was wir für wahr halten, zu unterscheiden. In der Pragmatik eines jeden Sprachgebrauchs ist die Unterstellung einer gemeinsamen objektiven Welt eingebaut.“ (Ebd., 178) Gleichwohl erwächst für Habermas daraus keine neue absolute Weltdeutung, denn die kritisierbaren Geltungsansprüche, über die Einverständnis erreicht werden kann, werden faktisch wirksam als „idealisierter Gehalt der Alltagspraxis“ (ebd., 183), ohne als alles gestaltende Vernunft emporzutreten. Es sind heuristische Vernunftideen, wenngleich die Unterstellung, die sie trägt, sie auch mehr scheinen lassen kann, als sie in der Praxis widerstreitender menschlicher Interessen herzugeben in der Lage sind.
Das kommunikative Handeln soll nach Habermas erklären, „wie soziale Ordnung möglich ist.“ (Ebd., 75) Die Analyse des kommunikativen Handelns erschließt den lebenswirklichen Hintergrund, der die Interaktionen miteinander vernetzt und zu Systemen ausbildet. Habermas spricht von einer Intuition, die sich in der Setzung des kommunikativen Handelns selbst ausdrückt: „Das Konzept des kommunikativen Handelns entfaltet die Intuition, dass der Sprache das Telos der Verständigung innewohnt.“ (Ebd.) Verständigung bezieht sich immer auf Normen, d.h. auf bestimmte Geltungsansprüche, die über grammatische Ausdrücke hinausreichen. Dabei ist die Verständigung von Habermas, wie die Ansprüche des kommunikativen Handelns offenlegen, auf der Inhaltsebene situiert: „Ein Sprecher verständigt sich mit einem anderen über eine Sache. Ein solches Einverständnis können beide nur erzielen, wenn sie Äußerungen als sachgemäß gelten lassen. Einverständnis über etwas bemisst sich an der intersubjektiven Anerkennung der Gültigkeit einer grundsätzlich kritisierbaren Äußerung.“ (Ebd., 75 f.)
Hier unterscheiden sich allerdings Bedeutung und Geltung voneinander: Es ist ein Unterschied, ob man die Bedeutung eines sprachlichen Ausdruckes versteht, oder ob man eine Äußerung, über die man sich verständigt, für gültig hält. Auch unterscheidet man in der Regel eine für gültig gehaltene oder eine gültige Aussage. Gleichwohl treffen Bedeutung und Geltung in dem Umstand zusammen, dass man die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks immer nur in dem bedeutsamen Kontext, d.h. im Gültigkeitsraum dieser Aussage selbst, verstehen kann. „Man wüsste eben nicht, was es heißt, die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zu verstehen, wenn man nicht wüsste, wie man sich seiner bedienen könnte, um sich mit jemandem über etwas zu verständigen.“ (Ebd., 76)
Diese Gedankenführung, die Habermas entwickelt, bleibt eng auf der inhaltlichen Seite. Zwar führt er Karl Bühler an, der die Funktionen der Sprache nach drei Seiten hin unterschieden hat: Sie bringt Intentionen oder Erlebnisse eines Sprechers zum Ausdruck, sie stellt Sachverhalte oder etwas in der Welt Begegnendes dar, sie beinhaltet eine Beziehung zu einem Adressaten. Habermas macht daraus: „Es besteht eine dreifache Beziehung zwischen der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks und (a) dem mit ihm Gemeinten, (b) dem darin Gesagten und (c) der Art seiner Verwendung im Sprechakt.“ (Ebd., S. 77)
Habermas beklagt zu recht, dass diese drei Funktionen in der Entwicklung der Sprachphilosophie sehr einseitig aufgenommen wurden. In der intentionalistischen Semantik wird betont, was der Sprecher mit einem verwendeten Ausdruck in einer gegebenen Situation meint oder ausdrücken will. In der formalen Semantik wird von den Bedingungen ausgegangen, unter denen eine Aussage wahr ist. Die Gebrauchstheorie der Bedeutung schließlich richtet sich vor allem auf die Interaktionszusammenhänge und den Gebrauch, um die praktischen Funktionen, die Aussagen ausmachen, in den Mittelpunkt zu stellen. Habermas erläutert die Bedingungen dieser drei Funktionsweisen und ihre Begrenzungen in den dargestellten Ansätzen ausführlich (vgl. ebd., 105 ff.). Gleichwohl kann er die von ihm als intuitiv bezeichnete richtige Herangehensweise an die Sprachproblematik dieser drei Ansätze allenfalls relativieren, aber nicht übergehen. Dies wird besonders deutlich, wenn man seinen Ansatz mit dem Dekonstruktivismus von Richard Rorty vergleicht. In diesem Dekonstruktivismus findet eine Entwicklung, die die einheitsstiftende Vernunft relativiert, wie es für die Erkenntnistheorie bereits von Kuhn und Feyerabend herausgearbeitet worden war, einen gewissen Abschluss oder Höhepunkt.
Rorty ist für uns interessant, weil in seiner Argumentation durchaus auch eine linguistische Wende innerhalb des Pragmatismus erkennbar wird, die zugleich eine Überwindung naturalistischer Sichtweisen bei Dewey beinhaltet und damit auch eine Entwicklung hin zu konstruktivistischen Denkweisen im Pragmatismus, wie sie zwischen Vertretern des heutigen Pragmatismus und des interaktionistischen Konstruktivismus diskutiert werden, vorbereitet.25
Rorty betont, dass auch für die Naturwissenschaften eine einheitliche Theoriebildung im Sinne eines zeitlosen, neutralen wissenschaftlichen Begriffsystems nicht erreichbar ist (vgl. Rorty 1992). Dies gipfelt in die Aussage, dass in den Labors wie im Leben die gleiche Vielfalt, die gleiche „Kultur der Vieldeutigkeit“ gilt, wobei die Beobachterstandpunkte jeweils durch die eingespielten gesellschaftlichen Konventionen und Praktiken ihre temporale Gültigkeit beanspruchen. Gegenüber dieser Sichtweise klagt Habermas insbesondere den Paradigmenwechsel von der Bewusstseins- zur Sprachphilosophie, d.h. die linguistische Wende ein. In ihr sieht er so etwas wie eine letzte Rettung der Wahrheit, die sich erhalten muss und sich als Möglichkeit sozialer Wissenschaft zu formulieren hat.
Nach Rorty nun ist Wahrheit die Auffassung, die nach den jeweiligen Maßstäben für berechtigt gehalten werden kann. Sie unterscheidet sich als Rationalitätsstandard damit nicht von alltäglichen Standardisierungen des für wahr oder falsch Gehaltenen. Die Praktiken solcher Rechtfertigung sind eingefasst in die sozialen Verhaltensweisen, die durch Sprache, Traditionen, Lebensformen bedingt sind. Wahrheit wird so zu einer Verständigung im Gebrauch. Eine Objektivität gewinnt solche Wahrheit durch die Intersubjektivität einer Übereinstimmung, die in einer faktisch geteilten Lebenswelt wurzelt. Hier gehört man zufällig bestimmten Sprachgemeinschaften und Lebensgemeinschaften an, hier gibt es keine ideale Kommunikationsgemeinschaft für Rorty, hier gibt es keinen letzten Punkt einer letzten Gemeinschaft oder einer „wirklichen“ Rationalität, denn die Rationalität selbst ist begrenzt durch die Temporalität und Zufälligkeit dieser Gemeinschaft und ihrer Konstruktionen. Rorty will den Rückfall in einen Objektivismus vermeiden, der den Beobachter, der in einer solchen Lebensgemeinschaft existiert, aus einer teilnehmenden Perspektive herauslöst und ihn seines Kontextes beraubt, aus dem heraus er allein beobachten kann. Hierbei gibt es durchaus Übereinstimmungen mit Habermas. Rorty wendet sich aber in direkter Kritik an Habermas gegen ein zeitloses, neutrales wissenschaftliches System, das im Zentrum einer neuen Philosophie stehen soll (vgl. 1992, 411 ff.). Soweit Habermas Diskurse als Bestandteil von Bildungsprozessen sieht, die sich durch Gebrauch definieren, kann Rorty noch folgen. Wenn jedoch ambitiös eine Synopse der Funktionen gegeben werden soll, „die Erkenntnis innerhalb universaler lebenspraktischer Zusammenhänge hat“ (Habermas 1975, 410), dann sieht Rorty einen „objektivistischen Schein“ im Hintergrund, der für ihn bereits in der Philosophie Kants gescheitert ist. Habermas Versuch, durch Sprache eine neue Rettung nunmehr pragmatischer Universalien zu finden, scheitert nach Rorty ebenso wie alle anderen Versuche, die sich dem Menschen, dem Geistigen oder welcher Einheit auch immer zuwandten. Es scheint, so argumentiert Rorty, für die Wissenschaft der Moderne immer noch unerträglich zu sein, anzuerkennen, dass Diskurse nur unter anderen, dass Projekte nur eins neben anderen und unter vielen sind, an denen wir beteiligt sind oder von denen wir sogar ausgeschlossen bleiben.
Mit dieser Sichtweise hat Rorty nun allerdings ein Dilemma bezeichnet, das Habermas als Ethnozentrismus oder Privileg der je eigenen, zufällig vorhandenen Sprachgemeinschaft herausstellt. Denn wenn der Beobachter sich so wenig aus seinem Kontext herauslösen kann, wenn er so wenig aus der teilnehmenden Perspektive entlassen werden kann, dann bleibt die Gefahr, dass er ständig aus dieser Perspektive heraus alles andere sehen und interpretieren wird. Habermas widerspricht einer solchen Deutung, indem er sich auf Hilary Putnam, der selbst stark pragmatistisch argumentiert, stützt. Putnams Argumentation geht nach Habermas wie folgt: „Wenn die Unterscheidung zwischen einer hic et nunc für wahr gehaltenen und einer wahren, d.h. unter idealisierten Bedingungen akzeptablen Auffassung zusammenbricht, können wir nicht erklären, warum wir reflexiv lernen, d.h. auch die eigenen Rationalitätsstandards verbessern können. Sobald das rational Gültige mit dem sozial Geltenden zusammenfällt, schließt sich die Dimension, in der allein Selbstdistanzierung und Selbstkritik und damit eine Überschreitung und Reform unserer eingefahrenen Rechtfertigungspraktiken möglich sind.“ (Habermas 1992 a, 176 f.)
Diese Kritik greift aber an Rorty insoweit nicht, weil dieser durchaus zugestehen wird, dass jederzeit die Beobachter mit besseren Ideen, mit besseren Entwürfen und Konstruktionen in den Diskurs der Wahrheitsfindung eingreifen könnten. Insoweit ist auch hier eine Verbesserung der Rationalitätsstandards nicht ausgeschlossen, nur dass wir die darin liegende Idealisierung nicht als Objektivismus missverstehen dürfen. Wir könnten ja irren. Oder anders: im Nachhinein erweisen sich die sichersten Theorien doch wieder als Irrtum.
Wie aber, so fragt Habermas zurück, können wir vorgehen, wenn die dabei erwünschte intersubjektive Übereinstimmung, die die Grundlage jeder Wahrheitsformulierung in einer Zeit ist, sich nicht selbst in ihrer Idee als Idealisierung ernst nimmt? Es erscheint hier nämlich das Dilemma, dass auch Rorty, der seine Aussage niederschreibt, mit ihnen eine Idee hinterlegt, die um intersubjektive Übereinstimmung ringt.
In Fällen des interkulturellen oder historischen Verstehens, in denen nicht nur gegeneinander widerstreitende Interessen und rivalisierende Theorien miteinander streiten, sondern in denen auch unterschiedliche Rationalitätsstandards im Rahmen unterschiedlicher Lebensformen eine Rolle spielen, lässt sich die Beobachterperspektive, die spricht für Rorty, der einen wie der anderen Seite in der Tat nicht mehr nach einer allgemeinen Kategorie der Wahrheit beurteilen. Sollte man solch eine Beurteilung dennoch wagen, so wird die jeweils andere Kultur aus ihrem Ethnozentrismus heraus jenes als falsch diagnostizieren, was von der eigenen Sichtweise abweicht.
Habermas aber setzt da an, wo die unterschiedlichen Kulturen dennoch miteinander frei sprechen. Idealtypisch bedeutet dies, dass es sich um symmetrische Beziehungen handelt. Habermas betont dies mit Putnam und Thomas A. McCarthy ganz entschieden. Er weist daraufhin, dass alle Sprachen die Möglichkeit bieten, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden und dass in ihnen die Unterstellung einer gemeinsamen objektiven Welt eingebaut ist. „Und die Dialogrollen jeder Gesprächssituation erzwingen eine Symmetrie der Teilnehmerperspektiven. Sie eröffnen zugleich die Möglichkeit der Perspektivenübernahme zwischen Ego und Alter sowie die Austauschbarkeit von Teilnehmer- und Beobachterperspektiven.“ (Ebd., 178) Aus dieser Sicht erscheint der Kontextualis­mus und die Ethnozentrierung bei Rorty als fragwürdig, weil sie das Verstehen jeweils „als eine assimilierende Einordnung des Fremden in unseren (erweiterten) Interpretationshorizont beschreibt.“ (Ebd., 177 f.) Was für Habermas bedeutet, dass er damit die „Symmetrie der Ansprüche und der Perspektiven aller an einem Dialog Beteiligten“ verfehlt (ebd.). Idealtypisch bedeutet dies wiederum, dass bei einer unterschiedlichen Sichtweise der einzelnen Beobachter, sie jeweils wechselseitig symmetrisch versuchen müssten, einander zu verstehen.
Aber sind dies wirklich stichhaltige Einwände gegen Rorty? Eine herrschaftsfreie Sprechgemeinschaft erscheint bei Habermas als kommunikative Idealsituation. Hier entfaltet sich in der Tat ein potenzieller Objektivismus, denn unsere Alltagswelt ist weit entfernt von solchen Situationen. Es gelingt Habermas nur durch eine künstliche Trennung von strategischem und kommunikativem Handeln, diesen Riss, der in den Alltagssituationen vorhanden ist und den er auch als Form von Macht sieht, zu überbrücken bzw. künstlich durch ein theoretisches Beobachterkonstrukt zum Verschwinden zu bringen. Darauf gehe ich gleich noch näher ein. Zum anderen übersieht Habermas in der reinen Inhaltlichkeit dieser Sprechgemeinschaft große Teile der von mir in der dritten Kränkungsbewegung noch darzustellenden Aspekte des Unbewussten, des Begehrens, der imaginären Spiegelungen von Menschen über solches Begehren, das für die Subjektivität einen Spalt zwischen irrational und rational aufwirft, zwischen bewusst und unbewusst bedeutet, der die intrapsychische idealisierende Typisierung des sich eindeutig kommunikativ im Sinne von Habermas verhaltenden Menschen in Frage stellt. Solche idealen Typisierungen, wie sie Habermas vorschlägt, sind damit sowohl den Interaktionen der Subjekte als auch den intrapsychischen Vorgängen in Subjekten entfremdet, sie sind ein Rationalitätsstandard, der möglichst über die eigene gewählte Perspektive, die Sprache, zu einer Bereinigung der Widersprüche von Interessen beitragen will. Dahinter steckt immer noch die Utopie einer Gemeinschaft der Besseren, derjenigen, die sich frei und gleich verständigen. Gegen eine solche Utopie ist als Utopie nichts einzuwenden. Sie ist eine Idee, mit der Interessengruppen um Geltung ringen können und im Sinne einer auf Solidarität bauenden Demokratisierung auch sollten, aber, und dies ist bei Habermas nicht deutlich genug artikuliert, sie hat jene unerschütterliche Objektivität verloren, nach der der Autor immer noch diskursiv sucht. Insoweit ist Rortys Antiobjektivismus vorzuziehen. Mit ihm bleiben wir ernüchtert auf beiden Füßen des widersprüchlichen und sich nach unterschiedlichen Projekten hin entfaltenden Lebensalltags.
Gleichwohl bleibt bei Rorty dann das Problem, inwieweit wir noch wahre Ideen für uns gewinnen können, die wir gegen andere wenden. Zwar hat die alte Wahrheit im Sinne eines Objektivismus ihren Glanz verloren, aber auch relativierende Redeweisen beanspruchen so etwas wie Wahrheit im Sinne ihres Beobachterstandpunktes und der hinterlegten Teilnahmen. Ohne diese wäre weder ein Inhalt noch eine Kritik zu formulieren. Es bleibt damit nun aber das Unbehagen, dass die Objektivität all solcher Ideen doch nur ethnozentrisch oder lokal gewonnen wird. Dann aber wird es zu einer die Vernunft regulierenden Idee, die von Habermas intendierte Symmetrie zumindest dadurch in einer Annäherung zu erreichen, dass wir die Beobachterperspektiven möglichst häufig wechseln, um nicht in einen neuen Objektivismus hineinzugeraten. In dieser skeptischen Haltung, die Habermas auch für sich beansprucht, liegen damit Rorty und Habermas nicht weit auseinander. Beide könnten sich hier auf Dewey berufen, der die Demokratie nur dann gewährleistet sieht, wenn innerhalb einer gruppe in der Gesellschaft möglichst hohe Diversität und Pluralität möglich ist und entwickelt wird, zugleich aber auch die unterschiedlichen Gruppen in der Gesellschaft darauf einigen können, uneinig sein zu dürfen (vgl. Reich 2005 a).
Was aber bleibt nach dieser Relativierung dann für die Begründung kommunikativen Handelns? „Auch die kommunikative Vernunft setzt fast alles kontingent, selbst die Entstehungsbedingungen ihres eigenen sprachlichen Mediums. Aber für alles, was innerhalb sprachlich strukturierter Lebensformen Geltung beansprucht, bilden die Strukturen möglicher sprachlicher Verständigung ein Nicht-Hintergehbares.“ (Habermas 1992 a, 179 f.)
Dennoch hält dieser letzte Rückzug nicht das, was Habermas sich von ihm verspricht. Habermas kann der Heterogenität des Lebens, dem Dickicht der Lebenswelt nicht ausweichen, die die sprachliche Verständigung in je konkreter Weise widersprüchlich werden lässt. Sein Versuch, die Niederlage des subjektphilosophischen Begriffs des „gesamtgesellschaftlichen Bewusstseins“ auf eine intersubjektivitätstheoretische, sprachphilosophische Grundlage umzustellen, verengt die menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten auf Sprache und wird sich darin selbst zur Falle.26 So ist denn auch die Anknüpfung an Mead bei Habermas einseitig situiert, weil er Intersubjektivität vor allem auf Sprache bezieht.27
Mir hingegen scheint nicht eine linguistische Wende, sondern eine Wende hin zur Beziehungswirklichkeit der ausschlaggebende Punkt zu sein, aus dem heraus sich eine erweiterte Begründungsbasis für die Konstruktion von Wirklichkeit gewinnen lässt. Damit ist jedoch kein universalisierender Anspruch mehr verbunden. Gleichwohl bleibt dann das Problem, eine neue Theorie zu entwickeln, die sich als passend für soziokulturelle Fragen mindestens einer Verständigungsgemeinschaft erweist, ohne die Diversität, d.h. die Möglichkeit anderer Verständigungen, leugnen zu können. Ihr zentrales Problem wird es sein, gegen die mögliche Beliebigkeit zu streiten, d.h. eine gerechtfertigte Behauptbarkeit ihrer Aussagen noch zu begründen, die sie unterscheidbar werden lässt. In der Kränkung des Unterschiedenen als Gewinn von Unterscheidbarkeit und Diversität scheint die Lösung zu liegen, die zumindest in den Humanwissenschaften gegenwärtig als sich durchsetzendes Paradigma erscheint.
In solche divers gedachten und gelebten Beziehungen aber greift Sprache nur als ein Faktor neben anderen ein. Die bei Habermas erkennbare Unterschätzung der Erlebniswelt, des subjektiv Unbewussten, des konstruktiven Aufbaus von Denken und Gefühlen im zirkulären Kontext, die Unterschätzung von Macht, Begehren und Ambivalenzen, scheint mir der Hauptgrund dafür zu sein, dass die Verständigungsgemeinschaft letztlich ein Bild bleibt, dessen konkrete Kontur nur als Momentaufnahme ihrer eigenen Rationalisierung sichtbar und verstanden werden kann. Darin sind die Argumente von Habermas durchaus einleuchtend. Aber mit dieser Verengung seiner Beobachterperspektive auf den sprachlichen Geltungs- und Verständigungsraum klammert er all jene Momente aus, die die sprachliche Rationalität durch die Beziehungsseite der Kommunikation selbst unterlaufen. Hier reicht es nicht aus, wenn Habermas seine Theorie kommunikativen Handelns hinreichend skeptisch angelegt wissen will. Die Idee einer unversehrten Intersubjektivität, die sich aus der Analyse notwendiger Bedingungen von Verständigung entwickeln lässt (ebd., 185), setzt einen Beobachter voraus, der eine Unversehrtheit in die Beziehungen selbst hineinkonstruiert, der zumindest „die formale Charakterisierung notwendiger Bedingungen für nicht antizipierbare Formen eines nicht-verfehlten Lebens“ (ebd., 186) entwickelt. Auch wenn hier nicht ein prophetisches Leben in Aussicht gestellt werden kann und soll, so bleibt das nicht-verfehlte Leben als ein Restbestand menschlicher Solidarität, dessen Produktion als kommunikatives Handeln intendiert ist. Für dieses will Habermas alle Zwecke ausschließen, alles strategische Handeln hintanstellen. Kom­muni­katives Handeln hingegen wurzelt in der kooperativen Anstrengung, „die Leiden versehrbarer Kreaturen zu mildern, abzuschaffen oder zu verhindern.“ (Ebd.)
Ein solches Bewusstsein äußert sich heute als Krisenbewusstsein, eine „postkonventionelle Ich-Identität kann sich nur stabilisieren im Vorgriff auf symmetrische Verhältnisse zwangloser reziproker Anerkennung.“ (Ebd., 228) In dieser Pro­jek­tion auf eine ideale Kommunikationsgemeinschaft bleibt das Ich in einer Schlüsselrolle. In dieser behauptet Habermas letztlich die Autonomie und Sicherheit dieses Ichs, des Subjekts in der Intersubjektivität. Dabei greifen mehrere Argumentationsstränge ineinander:

  • „Das Selbst des praktischen Selbstverhältnisses vergewissert sich seiner durch die Anerkennung, die seine Ansprüche von alter Ego erfahren.“ (Ebd., 230) Das Ich ist damit auf ein Du bezogen, das für ihn die Grundlage einer intersubjektiven Anerkennung seines Identitätsanspruches darstellt. In einer Sprechhandlung ist dieses vorausgesetzt, da einer den anderen als zurechnungsfähigen Aktor anerkannt haben muss, wenn dieser auch zu seinem Sprechaktangebot Stellung im Sinne der Annahme oder Abweisung nehmen soll. „So erkennt im kommunikativen Handeln jeder im anderen die eigene Autonomie.“ (Ebd.)
  • Die Geltungsansprüche, die ein Sprechaktteilnehmer in Sprechakten erhebt, dürfen damit nicht gleichgesetzt werden. In ihnen ist die Gültigkeit bestimmter Äußerungen unterstellt, nicht aber die Identität des Sprechers, die vorausgesetzt wird.
  • In normativen Kontexten sind interpersonale Beziehungen festgelegt, „die jeweils in einer intersubjektiv geteilten Lebenswelt für legitim gehalten werden.“ (Ebd., 231) Sprecher und Hörer sind in einem solchen interpersonalen Kontext zugleich in ein Netz normativer Erwartungen eingeschlossen. Andererseits bedeutet die Erfüllung solcher sozialen Normen, solange sie in ein sprachliches Netz eingeschlossen sind, deren bloße Reproduktion. „Die ineinander verschränkten Perspektiven der ersten und der zweiten Person sind zwar austauschbar; aber der eine Teilnehmer kann die Perspektive des anderen nur in der ersten Person und das heißt auch: niemals bloß als Stellvertreter, sondern unausweichlich in propria persona übernehmen. So wird der kommunikativ Handelnde durch die bloße Struktur sprachlicher Intersubjektivität dazu angehalten, auch im normenkonformen Verhalten, er selbst zu bleiben.“ (Ebd., 231) Daraus folgt nun, dass auch im normengeleiteten Handeln die Initiative des Subjekts, des Ich-Sprechers, weder abgenommen noch abgegeben werden kann. Hierin wurzelt die Spontaneität und Kreativität des Sprechers.
  • Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung sind streng intersubjektiv fundiert: „Wer moralisch urteilt und handelt, muss die Zustimmung, wer sich in einer verantwortlich übernommenen Lebensgeschichte verwirklicht, muss die Anerkennung einer unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft erwarten dürfen.“ (Ebd., 233) Inwieweit Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung in konkreten Fällen jeweils durchgesetzt werden können, ist allerdings von Handlungssituationen abhängig. „Die allgemeinen pragmatischen Voraussetzungen kommunikativen Handelns bilden semantische Ressourcen, aus denen historische Gesellschaften je auf ihre Weise Geist- und Seelenvorstellungen, Personenkonzepte, Handlungsbegriffe, moralisches Bewusstsein usw. schöpfen und artikulieren.“ (Ebd., 232)

Insgesamt bleiben diese Voraussetzungen, die Habermas besonders im Anschluss an Mead diskutiert, sehr allgemein. Sie unterstellen zugleich für das kommunikative Handeln, dass es nicht möglich ist, nicht idealtypisch zu kommunizieren, wenn man sich auf Kommunikation überhaupt einlässt. Da sie jedoch auf der rationalen Ebene von Kommunikation verharren, kommt weder die Widersprüchlichkeit im intersubjektiven noch intrapsychischen Geschehen der handelnden Subjekte, kommt weder ihre Trieb-, noch Gefühls- und Erlebnisproblematik zum Ausdruck, verhindert die idealtypische Setzung, die Schwierigkeiten der Ich-Autonomie und Selbstfindung in Beziehungskontexten möglichst von verschie­denen Beobachterperspektiven und aus unterschiedlichen Teilnahmekontexten und Akteursrollen aus vorstellbar werden zu lassen. Die Verengung der Beobachterperspektive auf die inhaltliche Seite der Kommunikation wird durch die von ihm hervorgehobenen Merkmale überaus deutlich. Dabei bleibt es auch eine Schwäche, dass er sich selbst als Beobachter gegenüber den beobachteten Kontexten nicht deutlich genug situiert, damit auch nicht sensibel genug auf jene Bereiche reagiert, die durch Beobachtungen über das sprachlich rationale Phänomen hinaus konstruiert, rekonstruiert oder dekonstruiert werden können.
Gleichwohl bietet die Theorie von Rorty hier keine Gegenlösung. Sie ist zwar als Beobachtertheorie breiter angelegt, und im Sinne der Dekonstruktion ist es auch leichter, eine solche breitere Anlage zu verteidigen, schließlich wird sie jedoch auch in ihrem Ethnozentrismus wie bei Habermas auf Wahrheitsaussagen geführt, die zwar nicht mehr dem Objektivismus unterliegen sollen, die aber doch Angebote eines konstruierenden Beobachters in Beziehungen und Lebenswelt sind. Gerade die Kränkung zwischen Selbst und Anderen macht es nun offenbar notwendig, den komplexen Bedingungen von Beziehungswirklichkeit näher nachzugehen, der Zirkularität in Beziehungen nachzuspüren, eine Beziehungswende der Reflexion zu vollziehen, um jenen Intuitionen nachzuspüren, die Habermas zwar schon erwähnt, wenn er von Funktionen der Sprache spricht, die aber nicht nur für die Sprache, sondern weit über diese hinaus für menschliche Entwicklung und Beobachtung solcher Entwicklung gelten.
Was für Habermas spricht, ist der Umstand, dass er erkennt, dass die Philosophie aus ihrer privilegierten Stellung zur Wahrheit und der Heilsbedeutung der Theorie entlassen wurde. Damit wurde der klassische Vorrang der Theorie vor der Praxis erschüttert, in dem Nebeneinander von Wissenschaften und Nacheinander von verschiedensten Weltbildern wird deutlich, dass sich die unterschiedlichen Beobachterpositionen mit ihren Konstruktionen schon immer auf einen sogenannten vorwissenschaftlichen Umgang mit Dingen und Ereignissen beziehen. Kritiker wie Rorty spitzen dies auf die Aussage zu, dass die Wahrheitssuche sich heute auf lokale Sprachspiele und faktisch durchgesetzte Diskursregeln einschränke, wobei der Rationalitätsstandard an Gepflogenheiten, an vor Ort gültige Konventionen angeglichen wird (Habermas 1992 a, 58). Soweit möchte Habermas nicht gehen. Zwar bleibt für ihn der Vorrang der Praxis vor der Theorie relevant, aber diese Relevanz sollte nicht in eine Vernunftskepsis münden, weil man sich auf die Einengung der wissenschaftlichen Wahrheitsfragen im Sinne traditioneller Muster nicht festlegen muss. Hier spricht Habermas indirekt auf eine Kritik an konstruktivistischen Ansätzen an. Wenn diese nämlich in der allgemeinen Feststellung enden, dass traditionelle Theorien durch ihre Fixierung auf enge Wahrheitsfragen den konstruktivistischen Anteil der Erkenntnis vernachlässigen und damit die je subjektiv möglichen, unterschiedlichen Beobachterstandpunkte übergehen, so kann eine solche Sicht in reinem Solipsismus und Skeptizismus enden. Dies wäre aber eine übertriebene neue Festlegung, die gar nicht erforderlich ist, wenn wir einen anderen Geltungsbereich von Wahrheit definieren. Eine Philosophie oder Beobachter-, Teilnehmer- und Akteurstheorie, die sich nicht auf die Verengung einlässt, die sich nicht in den Logozentrismus einer Wissenschaft flüchtet, die nicht in ihren eigenen Kontexten befangen bleibt, die sich vielmehr, wie Habermas sagt, auf das „Dickicht der Lebenswelt“ zurückwendet, öffnet sich der kommunikativen Alltagspraxis und entdeckt sich in dieser als selbstoperierende Vernunft. „Hier verschränken sich zwar die Ansprüche auf propositionale Wahrheit, normative Richtigkeit und subjektive Wahrhaftigkeit innerhalb eines konkreten, sprachlich erschlossenen Welthorizonts; als kritisierbare Ansprüche transzendieren sie aber zugleich die Kontexte, in denen sie jeweils formuliert und geltend gemacht werden. Im Geltungsspektrum der alltäglichen Verständigungspraxis kommt eine nach mehreren Dimensionen aufgefächerte kommunikative Rationalität zum Vorschein. Diese bietet zugleich einen Maßstab für die systematisch verzerrten Kommunikationen und Entstellungen der Lebensformen, die von der selektiven Ausschöpfung eines mit dem Übergang zur Moderne zugänglich gewordenen Vernunftpotenzials gezeichnet sind.“ (Ebd., 59)
Auch wenn ich glaube, dass die kommunikative Alltagspraxis in ihrer Zirkularität nicht nur in ihrem Vernunftpotenzial bemessen werden muss, sondern hierin gerade auch Einschlüsse affektiver und anderer Natur beinhaltet, so bleibt der von Habermas angegebene Interpretationszusammenhang dennoch in einem engeren Sinne schlüssig. Als Beobachter dieser Alltagspraxis oder als imaginierter äußerer Beobachter von Kommunikationsvorgängen in unserer Gesellschaft nützt uns der Skeptizismus nur zur Dekonstruktion bestehender Machtgefüge und zur Erneuerung unserer Skepsis in ausufernden Variationen. Dies kann starke Tendenzen zur Beliebigkeit fördern und einen Ansatz bis hin in Selbstwidersprüchlichkeiten führen. Eine konstruktivistische Sicht kann allerdings nicht im Gegengriff nach einer „affirmativen Theorie des richtigen Lebens“ (ebd.) suchen, auch sie wird eher Deformationen des Lebens aufspüren, zugleich aber auch beobachtend aufzuklären versuchen, nach welchen Formationsregeln dieses Leben abläuft. In der Relativität der Geltung solcher Beobachtungen haben wir ein Kriterium eingebaut, das genügend Skepsis bewahren lässt, ohne sich selbst handlungsunfähig zu machen. Wie weit dabei nun allerdings die durch solche Beobachtung entstehende Affirmation bestehender Abläufe oder Dekonstruktion solcher Abläufe geht, bleibt immer dem Wechselspiel individueller Interessen und Machtzusammenhänge in der Veränderung einer konkreten Beobachterrealität und -situation vermittelt über Akteure und deren Teilnahmen an Kontexten überlassen, wobei Individualität auf die Interaktionsverhältnisse von Verständigungsgemeinschaften angewiesen ist, durch die Alter und Ego miteinander gekoppelt sind.
Nehmen wir das durch Hegel inspirierte Bild wechselseitiger Anerkennung und ihrer Vermittlung durch ein „Ding“ noch einmal auf, dann erkennen wir vielleicht, dass sich Habermas auf die Seite idealtypisch egalisierter Knechte geschlagen hat, und dass das „Ding“ sich in Sprache verwandelt. In dieser Konstruktion scheint sich eine gleichberechtigte Verständigungsgemeinschaft denken zu lassen, deren Verdinglichung kommunikativ und nicht zugleich strategisch situiert ist.28 So stört Interaktivität nicht mehr die Vermittlung, sondern bedingt sie aus der Einheit eines sprachlichen Vermögens. Dieses bleibt als vernünftiger Restbestand und schimmert wie eine Hoffnung im Dickicht der Lebenswelt, ein Ort, der wie im Märchen ein Glück verheißt, demgegenüber reale Lebensumstände wie ein Leiden erscheinen. Bemerkenswert aber ist, dass dieses kommunikative Glück mit der Magie der Entsubjektivierung versehen ist, denn die Singularität der Subjekte stört aufgrund der Triebe, Emotionen, Zwecke, Interessen und Ambivalenzen ein Ideal, das sie erst zu „wahren“ Subjekten werden lassen soll. Damit aber wird die Verständigungsgemeinschaft paradox, wenn die Lebenswelt ihr doch zum Dickicht durch Beobachtung wird. Welcher interaktive Beobachter solcher Gemeinschaft weiß genau, wann er vernünftig kommunikativ oder bloß strategisch zweckbegehrend ist? Was wäre, wenn das kommunikative Handeln selbst ein Zweckdenken ist? Die Subjektivierung einer Metatheorie, wie der von Habermas, führt sie direkt zurück in das ethnozentrische Denken, das sie – gegen Rorty – verlassen wollte.


Fußnoten

1 Vgl. auch Habermas (1986, 327 ff.).

2 In  diesem Zusammenhang sind auch seine Überlegungen zum nachmetaphysischen Denken zu sehen (vgl. oben Kapitel I., 35 f.).

3 Vgl. auch Tugendhat (1976, 72 ff.).

4 Als Einführung z.B. Habermas (1991 a), als differenzierte Entfaltung Habermas (1988); ferner Honneth/Joas (1986).

5 Die nachfolgende Analyse beschränkt sich überwiegend auf eine Sicht aus einem Diskurs des Wissens (= Sichtweise von Wissenschaft). Inwieweit die Beziehungswirklichkeit und Lebenswelt die Positionen noch einmal verändern, wird in Band 2 unter III. 2.5. (aktive oder virtuelle Teilnahme), IV. 3.2. (objektive, subjektive und soziale Welt) und IV. 3.3.2.2. (strategisches oder kommunikatives Handeln) noch ausführlicher in Auseinandersetzung mit Habermas behandelt.

6 Vgl. dazu vor allem Habermas (1987, 1988, 1991 a,b,c, 1992 a,c).

7 Solche Deutungsmuster werden insbesondere in Habermas (1992 c, 127 ff.) deutlich, wo er im Anschluss an Kohlberg nach entwicklungslogischen Schematisierungen der Moralentwicklung sucht.

8 Eine solche These lässt selbst gutwillige Religionssoziologen wie Kippenberg (1991, 50 ff.), der Habermas Ansatz schätzt, zweifeln, weil so Rationalität auf einen formalen Sachverhalt eingeengt wird. Dies erscheint Kippenberg - bei aller Anerkennung ansonsten für die Bedeutungstheorie - ebenso unhaltbar wie die Trennung von Reflexion und Handeln, die bei Habermas dadurch auftritt, dass in der symbolisch vermittelten Interaktion spätestens dann ein neues Einverständnis hergestellt werden muss, wenn Störungen auftreten. Für einen Religionsforscher ist eine solche Bestimmung naturgemäß einseitig, weil hier Reflexivität und alltägliches Handeln deutlicher miteinander vermittelt beobachtet werden müssen, wenn man überhaupt ein Verständnis für religiöse Prozesse gewinnen will. Mit Habermas ist es sehr schwer, ein pragmatisches Verständnis für Religion zu entfalten (ebd., 54). Dies gilt analog, wie ich meine, für viele konkrete Anwendungen, insgesamt aber für die Beziehungswirklichkeit, wie ich sie verstehe, und weiter unten entwickeln werde.

9 Vgl. die Darlegungen in Habermas (1988, 1984), vgl. einführend (1992 c, 144 ff.).

10 Siehe dazu weiter unten unter (6).

11 Vgl. Habermas (1976, 174 ff.), z.B. Apel in Apel/Kettner (1994, 23).

13 Solche Einsichten sind insbesondere für konkrete pädagogische und unterrichtsbezogene Situationen sehr wesentlich, um die Handlungen als Zielkontext zu leiten. Vgl. dazu ausführlich Reich (2005, 2008).

14 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch die kritischen Sammlungen von Habermas zur geistigen Situation der Zeit und zur neuen Unübersichtlichkeit (1979, 1985), die zeigen wie weit entfernt dieser Idealtypus ist.

15 Gezielt zum strategischen oder kommunikativen Handeln vgl. die umfassendere Auseinandersetzung in Band 2, Kapitel IV. 3.3.2.2.

16 Ähnlich auch die Argumentation bei Honneth (1989, 1990, 1994). Foucaults Machttheorie im Blick auf den Konstruktivismus stelle ich ausführlich in Band 2, Kapitel IV. 3.3.2.1. dar.

17 Vgl. zum virtuellen Teilnehmer Habermas (1988, Bd. 1, 167 ff.). Vgl. dazu genauer weiter unten Band 2, Kapitel III. 2.5.

18 Nach Bauman (1999) ist genau diese Ambivalenz zu einem wesentlichen Kennzeichen unserer gegenwärtigen Lebensweise geworden. Wir sind in unserem Unbehagen an der und in der Postmoderne sowohl in unseren emotional gelebten als auch bewusst vollzogenen Werten und Einstellungen längst nicht mehr klar und bewusst, weil sie in sich immer schon strittig und mehrwertig sind.

19 Vgl. dazu genauer auch weiter unten das Kapitel II. 3.6., wo ich auf diese Seite der Kritik an Habermas im Anschluss an Lacan noch einmal zurückkommen werde.

20 Auch der Konstruktivismus hat sich dem Problem der Lebenswelt zu stellen. Vgl. dazu weiterführend Band 2, Kapitel IV.

21 Eine genauere Auseinandersetzung hierüber findet sich in Band 2, Kapitel IV. 3.2.

22 Dieser Vorwurf trifft allerdings jede Beobachtertheorie, wenn sie systemimmanente Eindeutigkeit anstrebt. Meine Kritik richtet sich hier weniger auf die spezifische Beobachtungstheorie, die Habermas vorschlägt, denn sie ist für die gewählte Systemimmanenz plausibel, als vielmehr auf die Ausschließungen, mit denen diese Plausibilität erkauft wird.

23 In meiner Auseinandersetzung mit der Transzendentalpragmatik habe ich die Kritik an solchen Geltungsansprüchen noch differenzierter entwickelt (vgl. Burckhart/Reich 2000). Diese mit Hol­ger Burckhart entwickelte Auseinandersetzung ist hier online verfügbar:
http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/buecher/moral/index.html.

24 Eine erweiterte Darstellung findet sich z.B. bei McCarthy (1989), eine kritische Erörterung bes. auch bei Wellmer (1986). Zu meinen weiteren Diskussionen über Habermas vgl. auch Band 2 unter III. 2.5. (aktive oder virtuelle Teilnahme), IV. 3.2. (objektive, subjektive und soziale Welt) und IV. 3.3.2.2. (strategisches oder kommunikatives Handeln).

25 Vgl. hierzu auch Hickman/Neubert/Reich (2003, 2009), Garrison (2008).

26 Wenn Habermas in „Erkenntnis und Interesse“ von Arbeit, Sprache und Herrschaft als drei Grundgrößen spricht, so zeigt jede Konzentration auf eines dieser Beobachtungsfelder dann eine Verengung, wenn man fast ausschließlich aus dieser Perspektive eine übergreifende Rationalität gewinnen will. Habermas kritisiert dies etwa für marxistische Strömungen im Feld der Arbeit oder gegenüber Foucault im Feld der Macht. Im Grunde aber schlägt diese Kritik auch auf ihn selbst zurück.

27 Dies sehen auch etliche Pragmatisten als eine Schwäche bei Rorty. Durch die Dominanz der Sprache geraten andere Perspektiven zu sehr in den Hintergrund, auch wenn nicht geleugnet werden kann, dass wissenschaftliche Diskurse sich immer sprachlich artikulieren und hier besonders kontextsensibel sein müssen.

27 Der interaktionistische Konstruktivismus arbeitet nicht mit dieser idealtypischen Setzung, sondern berücksichtigt stärker die Machtfrage. Vgl. dazu Band 2., Kapitel IV. 3.3.2.

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