2. Methode

Vorherige SeiteNächste Seite

2.1. Variablen und Versuchsplan


Unserer Untersuchung liegt ein 2 x 2 Versuchsplan zugrunde mit den zweifach gestuften Merkmalen (Variablen) ,,Affäre" (Kohl vs. Glogowski) und ,,Parteizugehörigkeit der urteilenden Person" (eigene Partei - andere Partei). Hieraus ergeben sich die vier Zellen: SPD-Politiker/innen äußern sich zur Glogowski-Affäre, Politiker/innen anderer Parteien (CDU, Grüne, FDP) äußern sich zur Glogowski-Affäre, Polititiker/innen der CDU äußern sich zur Spendenaffäre der CDU und Politiker/innen anderer Parteien (SPD, Grüne, FDP) äußern sich zur Spendenaffäre der CDU (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1: Versuchsplan
 

Eigene Partei

Fremde Partei

Glogowski-Affäre

Bedingung A

Bedingung B

Kohl-Affäre

Bedingung C

Bedingung D

2.2. Inhaltsanalytische Methodik

2.2.1. Festlegung von Auswahl-, Kontext- und Analyseeinheiten

Entsprechend der Methodik inhaltsanalytischer Verfahren erfolgte zunächst die Festlegung von Auswahl-, Kontext- und Analyseeinheit.
Als Auswahleinheit wurden Zeitungsinterviews definiert, die in der Reihe ihres Auffindens in die Untersuchung aufgenommen wurden und somit eine angefallene Stichprobe darstellten. Die Interviews wurden durch Recherche in Online-Archiven, Durchsicht von Originalausgaben von Tages-, Wochenzeitungen und Politmagazinen sowie durch eine EDV-Recherche im WDR-Pressearchiv bezogen.
Die Analyseeinheiten wurden zunächst formal definiert und an Interviewfragen ausgerichtet, die eine Relevanz hinsichtlich des zu untersuchenden Themas erkennen ließen. Im nächsten Schritt wurde die Einheitenfestlegung nach inhaltlichen Kriterien präzisiert, d.h. es wurde in den Antworten nach Themenwechseln und -sprüngen unterschieden. Um eine gleiche Gewichtung der in die Untersuchung eingehenden Äußerungen zu erreichen, wurde die Anzahl der Analyseeinheiten je interviewter Person unabhängig davon, aus wievielen Interviews diese entnommen wurden, auf maximal fünf Äußerungen begrenzt.
Die Kontexteinheit unserer Untersuchung setzte sich aus dem die Analyseeinheiten umgebenden Text sowie dem Vorwissen über die Affären zusammen, welches die Kodierer/innen in die Untersuchung einbrachten oder während dieser noch erwarben.

2.2.2. Erstellung des Kategoriensystems

Die Oberkategorien unseres Kategoriensystems wurden theoriegeleitet aus dem Kohlbergschen Stufenmodell der Entwicklung moralischen Urteilens erstellt und erhielten folgende Bezeichnungen: 1.) Strafe und Gehorsam, 2.) Geben und Nehmen, 3.) Gruppenorientierung, 4.) Gesetzestreue, 5.) Sozialvertrag und 6.) universelle ethische Prinzipien. Außerdem wurde eine Restkategorie eingeführt.
Im Folgenden wird als Beispiel die erste Ober- und Unterkategorie vollständig in ihrer explizierten Form aufgeführt. Bei der Darstellung der restlichen Ober- und Unterkategorien beschränken wir uns auf ihre Benennungen (das vollständige Kategoriensystem ist im Anhang abgedruckt):

1. Oberkategorie: Strafe und Gehorsam
,,Eine Handlung ist gerechtfertigt, wenn keine Strafe zu erwarten ist."
Regeln werden nur eingehalten, weil ihre Übertretung mit Strafe bedroht ist. Dabei ist es aber wesentlich, wie wahrscheinlich es ist, dass die Strafe wirklich eintreten wird bzw. ob man erwischt wird. Nach moralischer Rechtfertigung für diese Handlungen wird nicht gefragt bzw. gerechtfertigt ist alles, wenn keine Strafe zu erwarten ist.
Unterkategorien:
1.1. Die Handlung wird danach beurteilt, ob sie von einer strafrechtlichen Verfolgung bedroht ist.
Gemeint ist damit, dass nicht die Handlung selbst bewertet wird, sondern die Konsequenzen der Handlung. Solange die Handlung keine Straftat im juristischen Sinne darstellt und nicht per Gesetz verurteilt werden kann, wird ihre Richtigkeit nicht weiter hinterfragt.
Beispiel: ,,Verstöße gegen das Parteiengesetz unterstehen nicht dem Strafrecht!"
Nicht gemeint ist, wenn in der Argumentation deutlich wird, dass man sich der Bedenklichkeit aus ethischen Erwägungen heraus bewusst ist, die Orientierung an öffentlichen Gesetzen aber als oberste Beurteilungsgrundlage herausstellt.
1.2. Die Handlung wird danach beurteilt, ob vermeintlich die Gefahr bestand, erwischt zu werden.
1.3. Die Handlung wird danach beurteilt, ob Wähler oder Partei diese mit Sanktionen belegen.
2. Oberkategorie: Geben und Nehmen
2.1. Die Handlung wird danach beurteilt, ob auch der Handlungspartner (z.B. Wirtschaft) einen Vorteil aus der Interaktion hat.
2.2. Die Handlung wird danach beurteilt, inwiefern der Handelnde Vorleistungen (für das Land, die Gesellschaft) erbracht hat, für die er nun eine materielle Gegenleistung erwarten kann.
2.3. Die Handlung wird damit erklärt, dass der Handelnde sich mit so ungewöhnlich viel Zeit und Energie für das Wohlergehen des Landes eingesetzt hat, dass er sich auch einige Freiheiten und Rechte herausnehmen darf, die andere Bürger nicht haben.
3. Oberkategorie: Gruppenorientierung
3.1. Die Handlung wird danach beurteilt, ob die Intention der Handlung in Übereinstimmung mit den Interessen der übrigen Parteimitglieder steht und dadurch Anerkennung durch die Gruppe erwartet wird.
3.2. Die Handlung wird danach beurteilt, ob Anerkennung bzw. Verständnis von den persönlichen Bezugsgruppen (z.B. Freunde, Familie etc.) erwartet wird.
3.3. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass die Gruppennormen andere sind als die, an denen sich der individuelle Handlungsträger orientiert hat.
4. Oberkategorie: Gesetzestreue
4.1. Die Handlung wird danach beurteilt, ob sie gegen staatliche Gesetze (Grundgesetz, Parteiengesetz) verstößt.
4.2. Die Handlung wird danach beurteilt, ob sie sich noch im Rahmen der staatlichen Gesetze bewegt.
5. Oberkategorie: Sozialvertrag
5.1. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass eine Stärkung der Partei oder der Wirtschaft dem Land/der Gesellschaft nutzt.
5.2. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass die Zahl der Nutznießer zu gering ist bzw. sich auf Einzelpersonen oder eine bestimmte Gruppe beschränkt.
5.3. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass der Nutzen für die Gesellschaft so groß ist, dass ein Verstoß gegen übergeordnete Prinzipien gerechtfertigt erscheint.
6. Oberkategorie: universelle ethische Prinzipien
6.1. Die Handlung wird daraufhin beurteilt, ob sie in Widerspruch zu übergeordneten absoluten Werten und Rechten wie Demokratie, Wahrheit und Gleichberechtigung/Chancengleichheit steht.
6.2. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass die verletzten Gesetze aus übergeordneten Werten wie der Demokratie hervorgegangen sind.
7. Restkategorie

2.3. Voruntersuchung

In einer Probeuntersuchung testeten wir unser Kategoriensystem an Interviews zur Düsseldorfer Flugaffäre.
Es zeigte sich, dass alle Oberkategorien des Kategoriensystems besetzt waren und somit die allgemeine Brauchbarkeit des Kategoriensystems als gegeben angesehen werden kann. Ein schlechtes Ergebnis bei der Berechnung der Kodierer/innen-Übereinstimmung machte allerdings eine Erweiterung des Kategoriensystems um zusätzliche Unterkategorien und eine verbesserte Explikation durch andere Beispiele und zusätzliche Abgrenzungen nötig.
Als Konsequenz aus einer mangelhaften Übereinstimmung bei der Auswahl der Analyseeinheiten entschlossen wir uns aus Praktikabilitätsgründen, die Analyseeinheiten in der Folge konsensuell festzulegen.
Das verbesserte Kategoriensystems wurde an überzähligen Interviews zur Kohl- und Glogowski-Affäre erprobt.
Diesmal konnte mit _ = .61 eine Kodierer/innenübereinstimmung erzielt werden, die nach Rustemeyer (1992) als ,,substantiell" bezeichnet werden kann.

2.4. Hauptuntersuchung

Für die Auswahl der Interviews wurde für jede Affäre ein Zeitpunkt für die früheste Aufnahme festgelegt (Glogowski-Affäre ab dem 24.11.1999, Kohl-Affäre ab dem 23.12.1999), damit von einem zumindest potenziell gegebenen gleichen Kenntnisstand der Faktenlage zu den Affären bei den interviewten Personen ausgegangen werden konnte.
Es wurden insgesamt 43 Interviews nach dem unter Punkt 2.2.1. beschriebenen Verfahren aus deutschen Zeitungen und Zeitschriften zu den beiden Affären ausgewählt. Die Zellenbesetzung lässt sich Tabelle 2 entnehmen:

Tabelle 2: Zellenbesetzung

Die Berechnung der Kodierer/innenübereistimmung für die 99 kodierten Analyseeinheiten ergab einen Kappa-Koeffizienten nach Fleiß von _ = .53. Somit kann die Übereinstimmung mit Rustemeyer (1992) als ,,moderat" bezeichnet werden.
Die statistische Auswertung geht von den Oberkategorien aus; dementsprechend musste für jede Analyseeinheit festgelegt werden, welcher Oberkategorie sie endgültig zuzuordnen war. Dazu wurde zunächst die Mehrheitsentscheidung herangezogen. Hierbei kam es in 37 Fällen zu einer völligen Übereinstimmung, in 39 Fällen zu einem Mehrheitsentscheid von 3:1 und in 14 Fällen zu einem Mehrheitsentscheid bei 2:1:1. In vier Fällen lag eine Pattsituation vor, bei der durch konsensuelle Festlegung die Kategorienzuordnung bestimmt wurde. In fünf Fällen kam es zu keiner Übereinstimmung, diese Einheiten gingen nicht in die Auswertung ein. Die Analyseeinheiten, die der Restkategorie zugeordnet wurden, werden bei der statistischen Auswertung ebenfalls nicht berücksichtigt. Insgesamt wurden somit 86 Analyseeinheiten zur Überprüfung der Forschungshypothese herangezogen, die sich auf die Bedingungen wie folgt verteilten:

Bedingung

Glogowski-Andere

Glogowski-SPD

Kohl-Andere

Kohl-CDU

Anzahl der Analyseeinheiten

13

15

31

27

Vorherige SeiteNächste Seite


R.Mohseni