Universität zu Köln
 

   Kulturwissenschaftliche Forschungsgruppe Demographischer Wandel

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Alle reden über die Rente - wir nicht

 

Was für die einen wie eine spielerische Reminiszenz an einen erfolgreichen Slogan der Deutschen Bundesbahn und für andere wie eine Reminiszenz an dessen Verfremdung durch den Sozialistischen Deutschen Studentenbund klingt, ist von der Kulturwissenschaftlichen Forschungsgruppe Demographischer Wandel - kfdw programmatisch gemeint: Das Augenmerk der kfdw richtet sich – kurz gesagt – auf Aspekte der demographischen Entwicklung, die weder durch eine neue Rentenformel noch durch die gerontologische Erforschung individueller Alterungsprozesse und -strategien zu bewältigen sind.

 

Ausgangspunkt ist die Einsicht, daß die demographische Entwicklung für die nächsten 35-40 Jahre bereits festliegt, da sie bereits eingetreten ist. Jeder, der aufmerksam die Debatte verfolgt, weiß deshalb, daß wir in wenigen Jahren in einer ergrauten Gesellschaft leben werden. Diese Situation ist im Rahmen unseres kollektiven Gedächtnisses neu. Angesichts der neuen Situation wird es entscheidend darauf ankommen, den Bereich der vorhandenen Möglichkeiten eines humanen Zusammenlebens umfassend zu sichten und zu fragen, wie er unter den veränderten Bedingungen verändert und erweitert werden kann. Bei der heutigen Problemlage reicht es nicht aus, sich auf die Finanzierungsprobleme unserer Sozialsysteme zu konzentrieren. Es reicht auch nicht aus, die individuellen Potentiale und Begrenzungen alter Menschen in klassisch gerontologischer Weise zu untersuchen und auf dieser Basis Konzepte für ein individuell erfolgreiches Altern zu empfehlen. Dies alles ist notwendig, aber nicht hinreichend.

 

Gebraucht wird eine Gesamtvorstellung vom Leben und Zusammenleben in einem Land, in dem bald mehr als ein Drittel der Einwohner älter als 60 Jahre ist. Die bisherigen wissenschaftlichen Perspektiven sollen deshalb um die kulturwissenschaftliche Perspektive erweitert werden, die vor dem Hintergrund von Erfahrungen anderer Zeiten und Kulturen Chancen und Risiken in den Blick nimmt, die eine ergraute Republik insgesamt bietet.

 

Die kfdw versucht, die Herausbildung einer neuen Vorstellung von Alter(n) in allen kulturellen Kontexten zu verfolgen, aufzuzeichnen und zu systematisieren. Die skizzierte Aufgabe stellt die Forschung vor Schwierigkeiten, weil es eine Gesamtvorstellung vom Leben und Zusammenleben in einem ergrauten Land, noch nicht ausdrücklich und damit gegenständlich erforschbar gibt. Es gibt ältere und jüngere Menschen, die ihr Verhältnis explizit (in gesetzlichen und vertraglichen Regelungen, politischen Zusicherungen etc.) und implizit (in performativen Praktiken, standardisierten Verhaltensweisen, Modalitäten des Umgangs in Arbeit und Freizeit, Bau- und Wohnformen, Lebensanschauungen, wechselseitigen Erwartungen, Konstruktionen und Wahrnehmungen, aber auch der unterschiedlichen Zugänglichkeit von Medien, Orten des Konsums, Bildungseinrichtungen, Arbeitsfeldern, Verdienstmöglichkeiten etc.) in vielen einzelnen, nur zum Teil zusammenpassenden Bruchstücken zum Ausdruck bringen.

 

Aufgesucht und methodisch analysiert werden können die derzeit geltenden und die sich neu herausbildenden Festlegungen überall dort, wo eine bestimmte Auffassung vom Zusammenleben der Generationen sich in objektivierter Form fassen und damit wissenschaftlich untersuchen läßt. Der damit verbundene Versuch, durch die Analyse des Ist-Zustandes den Bereich der Handlungsmöglichkeiten auszuweiten, setzt sich zwangsläufig dem Verdacht aus, in fahrlässiger Weise einem naturalistischen Fehlschluß zu unterliegen. Um diese Gefahr kontrollierbar zu halten, ist methodisch strikt darauf zu achten, daß alle bei der Bestandsaufnahme sichtbar werdende Problemlösungen spekulativ entfaltet, in ihrem Geltungsanspruch eingeklammert, als Möglichkeiten aber in der Schwebe gehalten und nicht sofort durch ihre unerfüllbaren Voraussetzungen oder unerwünschten Folgen diskreditiert bzw. durch erfüllbare Voraussetzungen oder erwünschte Folgen akkreditiert werden. Aus Sein entspringt dann nicht Sollen, sondern eine Vielzahl von wählbaren Möglichkeiten mit je spezifischen Vor- und Nachteilen.


 

 

Dr. Miriam Haller
Letzte Änderung: 11.05.2007

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