Erna von Dassel, 28.1.1914, to Olaf Fønss

(English translation and biographical information about the letter writer at the bottom of the page)


Hamburg, d. 28.I.1914

Hoch verehrter Herr Fönns!

Verzeihen Sie bitte, dass ich Sie wieder mit einem Brief belästige, aber ich muss noch einmal an Sie schreiben. Vor allen Dingen wollte ich Ihnen herzlichst für die hübsche Karte mit Ihrer Unterschrift danken, Sie glauben garnicht, wie sehr ich mich über sie gefreut habe. In Wirklichkeit habe ich nicht gedacht, dass Sie mir überhaupt antworten würden, desto erfreuter war ich, als nun doch eine Karte ankam. Es war wirklich zu nett von Ihnen!

Bitte, halten Sie mich nicht für undankbar und unbescheiden, wenn ich Sie jetzt recht herzlich bitte, mir doch auch mal, wenn Sie sehr viel Zeit haben einen Brief zu schreiben und mir etwas von Ihrer Tätigkeit am kinematographischen Theater und von Ihnen selbst zu erzählen. Bitte, seien Sie nicht böse auf mich, dass ich Sie sogar um einen Brief zu bitten wage, trotzdem Sie mir schon solch ein nettes Bild geschickt haben, aber wenn Sie mich und die Verhältnisse, in welchen ich lebe, kennten, würden Sie meine Bitte wohl auch verstehen.

Schon als Schulmädchen habe ich mich für Theater, Kinematographen, Konzerte und alles, was zur Kunst gehört, begeistert, alle Bemühungen meiner Eltern meine Vorliebe für die Bühne zu unter­drücken, waren umsonst, im Gegenteil, meine Begeisterung für die Kunst steigerte sich immer mehr. Wie ich Ihnen schon damals schrieb, habe ich ausserdem noch sehr viele andere Ideale und liebe ein lustiges und vergnügtes Leben.

Bis jetzt habe ich noch keinen Menschen gefunden, der mich verstand und meine Ansichten ganz teilte. Mein Vater ist Jurist und daher wohl auch so sehr prosaisch, meine Mutter ist aus einer sehr adelsstolzen Familie und hält so sehr viel nette Menschen nicht für »standesgemäss«. Das kann ich nun garnicht verstehen. Meine ganze Familie denkt aber so und alle Leute, mit denen ich bis jetzt zusam­men gekommen bin, und ich als einzig anders Denkende dazwischen es ist nicht gerade schön. Fast jeden Tag kommt es zu Streitigkeiten, wir können uns einfach nicht verstehen, (das liegt ja auch viel­fach an mir,) und trotzdem ich meine Eltern natürlich sehr lieb habe, komme ich mir doch manch­mal wie gefangen vor. Mein grösster Wunsch ist zur Bühne zu gehen oder Kinoschauspielerin zu werden, aber dieser Wunsch wird wohl schwerlich in Erfüllung gehen, erstens würden meine Eltern es niemals erlauben, und zweitens weiss ich garnicht, ob ich Talent habe, denn bis jetzt habe ich noch niemals Gelegenheit gehabt irgend etwas aufzuführen.

Es versteht hier auch keiner, dass ich viel lieber ins Theater oder ins Kino gehe, als auf Bällen mit alber­nen und langweiligen Leutnants zu tanzen, denn meistens sind sie das doch.

In Wirklichkeit weiss ich garnicht, warum ich Ihnen dies alles schreibe, diese ganze Geschichte muss Ihnen doch eigentlich ganz gleichgültig sein und Sie furchtbar langweilen, auch sind Sie ja für mich ein ganz Fremder, aber Ihr Gesicht ist so gut und klug, und Sie sind ein grosser Künstler, darum habe ich Vertrauen zu Ihnen und hoffe, dass Sie mich verstehen und mich nicht zu sehr auslachen. Hier in Hamb­urg ist kein Künstler, dem ich alles sagen möchte, was ich Ihnen eben geschrieben habe.

Also, bitte, bitte, wenn Sie mal garnichts anderes zu tun haben, (ich will auch geduldig warten,) schreiben Sie mir doch einen Brief und erzählen mir auch, wie ich es anfangen muss Kino­schau­spie­lerin zu werden, (vielleicht setze ich das ja doch noch mal durch,) und ob es wirklich schön ist, Sie müssen es ja wissen. Ich würde mich zu sehr über einen Brief freuen.

Wie ich aus Ihrer Karte sehe, sind Sie jetzt in Frankfurt. Ich schicke diesen Brief aber doch nach Copen­hagen, weil ich nicht weiss, wie ich Ihnen ihn nach Frankfurt adressieren soll. Kommen Sie auch mal nach Hamburg? Dann schreiben Sie mir es doch bitte, ich würde Sie so gern auch einmal münd­lich sprechen. Bitte, seien Sie nur nicht böse, und denken Sie nicht zu schlecht von mir, weil ich Ihnen so »nachlaufe« und Sie belästige, aber nun will ich endlich aufhören, sonst wird der Brief noch ver­rückter und länger, wie er jetzt schon ist. Vielleicht lesen Sie ihn überhaupt garnicht zu Ende, aber ich kann keine vernünftigen Briefe schreiben, es kommt immer alles durcheinander.

Leben Sie wohl, und vergessen Sie mich nicht ganz!

Es grüßt Sie vielmals

Ihre

sehr ergebene

Erna v. Dassel

P.S. Schicken Sie einen etwaigen Brief bitte wieder an dieselbe Adresse: »Frl. Thoms, Hamburg 13, Moorweidenstrasse 15, Th. Heye Stift.«

Das ist noch die Einzige, der ich erzählen kann, dass ich überhaupt an Sie geschrieben habe.



Hamburg, 28.I.1914

Esteemed Mr. Fönns!

Please forgive me for bothering you again with a letter, but I must write to you once more. First of all, I wanted to thank you most sincerely for the pretty card with your signature, you would not believe how happy I was about it. In fact, I did not think that you would answer me at all, the more pleased I was when a card arrived after all. It was really too kind of you!

Please, don't think me ungrateful and immodest, if I ask you now quite cordially to write me also once, when you have a lot of time, a letter and to tell me something about your activity at the cinematographic theater and about yourself. Please, do not be angry with me that I even dare to ask you for a letter, although you have already sent me such a nice picture, but if you knew me and the circumstances in which I live, you would probably understand my request.

Already as a schoolgirl I was enthusiastic about theater, cinematographs, concerts and everything that belongs to art, all efforts of my parents to suppress my preference for the stage were in vain, on the contrary, my enthusiasm for art increased more and more. As I wrote to you at that time, I also have many other ideals and I love a funny and enjoyable life.

Until now, I have not found a person who understood me and completely shared my views. My father is a lawyer and therefore probably so very prosaic, my mother is from a very aristocratic family and does not consider many nice people as "befitting ourr status". I can't understand that at all. But my whole family thinks like that and all the people I have met so far, and I as the only one who thinks differently in between, it is not very nice. Almost every day it comes to quarrels, we just can't understand each other, (this is also often due to me,) and despite the fact that I love my parents very much, I sometimes feel like a prisoner. My biggest wish is to go on stage or to become a cinema actress, but this wish will hardly come true, firstly my parents would never allow it, and secondly I don't know if I have any talent, because until now I have never had the opportunity to perform anything.

Nobody here understands that I much prefer to go to the theater or cinema than to dance at balls with silly and boring lieutenants, because most of the time they are.

In reality, I don't know why I am writing all this to you, this whole story must be quite indifferent to you and bore you terribly, also you are a complete stranger to me, but your face is so good and clever, and you are a great artist, therefore I have confidence in you and hope that you understand me and don't laugh at me too much. There is no artist here in Hamburg to whom I would like to say everything I have just written to you.

So, please, please, if you have nothing else to do, (I also want to wait patiently,) write me a letter and also tell me how I have to start it to become a cinema actress, (maybe I'll put it through after all,) and whether it's really nice, you must know. I would be too happy to receive a letter.

As I see from your card, you are now in Frankfurt. However, I am sending this letter to Copenhagen because I don't know how to address it to you in Frankfurt. Do you ever come to Hamburg? Then please write it to me, I would like to speak to you orally. Please, don't be angry, and don't think too badly of me for »chasing« you and bothering you, but now I finally want to stop, otherwise the letter will become even crazier and longer than it already is. Maybe you won't even finish reading it, but I can't write sensible letters, everything always gets mixed up.

Farewell, and do not forget me completely!

Greetings to you very much

Your

very devoted

Erna v. Dassel

P.S. Please send an eventual letter again to the same address: »Frl. Thoms, Hamburg 13, Moorweidenstrasse 15, Th. Heye Stift.«

This is still the only one I can tell that I even wrote to you.



Biographical information: Erna Agnes Ursula Bertha von Dassel was born 30th March 1896 in Hamburg, Germany. Her parents were Hermann Otto Franz von Dassel and Asta Helene Elisabeth von Dassel, born von Kleist. Erna von Dassel died 26th March 1976 in Hamburg.

letter from Erna von Dassel

(DFI, Olaf Fønss collection, no. 132)