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Hebräische Typographie im deutschsprachigen Raum

von Martin Schmiedeberg

Auf Antrag von Prof. Dr. Hans-Joachim Koppitz, nunmehr emeritierter Leiter für Buchwesen der Universität Mainz, bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Forschungsprojekt über die Entwicklung der hebräischen Typographie im deutschprachigen Raum. Die technische Durchführung wird vom Fachbereich Informatik der Abteilung Gummersbach der FH Köln ermöglicht.

Der Leiter dieses Projektes, Dr. Ittai Joseph Tamari, arbeitet mit Ayhan Arslan, Diplomand in Allgemeiner Informatik, Diplomphotoingenieur Raoul Kimmelmann und Professor Dr. Heinrich Klocke vom Fachbereich Informatik interdisziplinär zusammen. Die auf diesem Gebiet pionierhafte wissenschaftlich-systematische Abhandlung ist einzigartig im europäischen Raum. Ziel ist die Untersuchung von Druckschriftdokumenten und deren vielschichtiger Informationsgehalt im Zeitraum von 1500 bis 1939. Hierbei sollen die Druckzeichen der hebräischen Schrift gemäß ihrer Entwicklung erfaßt und klassifiziert werden, um schließlich in einer sehr komplex strukturierten Datenbank gespeichert zu werden. Diese ist teilweise schon ab Dezember 1998 über das Internet allen Interessenten zugänglich.

Die epochemachende Dimension dieses Forschungsvorhabens verdeutlicht sich nicht nur durch das starke Interesse, das die National - und Universitätsbibliothek in Jerusalem bereits jetzt an dem Projekt und seinen Ergebnissen signalisiert hat, sondern auch durch die Vorbildhaftigkeit der u.a. in diesem Zusammenhang angewandten Verfahren der automatischen Bildverarbeitung und -speicherung von Typographie in dieser Form als mögliche Maßgabe für weitere Schriftsprachen, wie etwa die kyrillische und die arabische.

Durch das Erstellen einer hebräischen systematischen Typographie und die Stilklassifizierung hebräischer Druckschriften lassen sich die Abhängigkeit einzelner Quellen erschließen, Vertriebswege ableiten und somit zur Lokalisierung anonym erschienener Werke beitragen.

Dr. Tamaris Arbeit und Forschung in der Typographie steht in der Tradition Prof. Dr. Konrad Haeblers, eines der ersten deutschen Wiegendruckforscher, der in einer großen Tabelle alle Inkunabeln-Bücher von 1450 bis zum 31.12.1499 katalogisiert hat, in denen als Beispiele die Buchstaben "M" und "R" jeweils mit anderen Frühdrucken verglichen und in Beziehung gesetzt wurden.

Konrad Haebler entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts ein Repertorium der Typenkunde für den deutschsprachigen Raum. Obwohl bei vielen dieser Inkunabeln Angaben über Druckerei, Ort etc. fehlten, konnte ihre Entstehung nach Haeblers System auf 3-4 Jahre eingegrenzt werden. Der Typenhandel wurde im 16. Jahrhundert ausgedehnt, wodurch die Lokalisierung erschwert ist.

Ein weiterer Forschungsansatz bis etwa 1525 wurde von Robert Proctor in England gestartet ; er wurde aber bedauerlicherweise durch seinen Tod frühzeitig beendet. Auch Moritz Steinschneider, ein Genie ersten Ranges, erforschte u.a. Frühdrucke aus Bibliotheken aus München, Hamburg ,Leiden, Cambridge und Oxford, deren hebräische Buchbestände er erarbeitete und katalogisierte. Seine Arbeit erstreckte sich von 1850 bis 1880.

Ab 1939 haben die Nationalsozialisten dem Druck und der Erforschung hebräischer Bücher im deutschsprachigen Raum ein grausames Ende gesetzt und durch die Massenvernichtung haben viele hervorragende Wissenschaftler ihr Leben verloren.

Das jüdisch-hebräische Buchwesen bis 1939 ist einzuordnen in den gesamteuropäischen Kontext. Ein eigenes Genre behandelt die eindeutige Zuordnung der Typographien zu den jeweiligen Texten, wie etwa Handbuch und Gebetbuch. Diese Typologisierungen ermöglichen die Abrufbarkeit der Bestände in Bibliotheken, außerdem werden hiermit allgemeine kulturgeschichtliche und geschichtliche Zusammenhänge erfassbar.

Die bei dem Projekt Dr. Tamaris entwickelte neue Technik kann auch auf deutsche Bücher angewendet werden. Entscheidend sind hierbei z.B. die Untersuchung bestimmter Aspekte des Druckwesens, wie die Qualitäten von Tinten, Druckerschwärze und hebräischen Drucklettern.

Die Erforschung der Typographie hebräischer, deutscher und lateinischer Werke muß in einen gemeinsamen Kontext gesetzt werden, da sie teilweise in denselben Werkstätten von gleichen Fachleuten hergestellt wurden.

Ein neuer Steinschneider ist leider nicht in Sicht. Aber wir hoffen mit Prof. Dr. Hans-Joachim Koppitz, daß Dr. Ittai Joseph Tamari an die verdienstvolle Tradition anknüpfen kann und durch ihn u.a. mit modernsten Informationstechnologien neue Akzente gesetzt werden.